Frühdefibrillation im klinischen Bereich

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Weiterbildungsstätte für Intensivpflege &
Anästhesie und Pflege in der Onkologie
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
verfasst von Karin Taubken
Münster, 30.06.2004
Karin Taubken
Mondstr. 156
48155 Münster
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 2
Gliederung
1.
Vorwort
3
2.
Einleitung
4
3.
Anatomische Grundlagen des Herzes
5
3.1
3.2
3.3
3.4
3.5
3.6
3.7
3.8
Größe, Gewicht, Lokalisation
Aufbau
Herzkranzgefäße
Herztätigkeit
Aufbau der Herzmuskulatur (Myokard)
Hierarchie der Erregungsbildungszentren
Das Elektrokardiogramm (EKG)
Elektrophysiologische Erregung
5
5
6
7
8
9
10
11
4.
Relevante Herzrhythmusstörungen
16
4.1
4.2
4.3
4.4
Kammerflimmern
Ventrikuläre Tachykardie
Pulslose Ventrikuläre Tachykardie (PVT)
Plötzlicher Herztod
16
17
17
18
5.
Defibrillation
19
5.1
5.2
5.3
5.3.1
5.3.2
5.3.3
19
20
22
22
22
5.5
5.6
5.7
Grundsätze der Defibrillation
mono- und biphasische Defibrillation
Gerätekunde
Manuelle Defibrillatoren
Vollautomatische Defibrillatoren
Halbautomatische Defibrillatoren/
Automatisierter externer Defibrillator (AED)
Analysealgorithmus von halbautomatischen
Defibrillatoren
Defibrillationserfolg
Wissenschaftliche Basis der Defibrillation / Frühdefibrillation
Geschichte der Frühdefibrillation
24
25
26
28
6.
Frühdefibrillation im Krankenhaus
29
5.4
6.1
6.2
6.3
6.4
Konzepte im Krankenhaus
Ausbildung des Krankenhauspersonals
Rechtliche Aspekte
Einführung eines Frühdefibrillationsprogrammes in
einem Krankenhaus
6.4.1 Umsetzung eines Frühdefibrillationskonzeptes
in den Kliniken St. Antonius in Wuppertal
6.4.2 Umsetzungsstand in der Uniklinik Münster (UKM)
23
29
30
33
34
35
37
7.
Fazit
38
8.
Literaturverzeichnis
39
K. Taubken
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1. Vorwort
Die Entscheidung, das Thema „Frühdefibrillation im klinischen Bereich“ als
Thema meiner Facharbeit auszuwählen, hat mehrere Gründe. Zum einen ist es ein
relativ junges Thema, da sich die Möglichkeiten der Frühdefibrillation erst in den
letzten Jahren entwickelt haben. Damit verbunden ist gleichzeitig auch ein unterschiedlich hoher Wissensstand bei Pflegepersonal, Ärzten und weiteren Beschäftigten in Krankenhäusern, dem ich mit dieser Arbeit als eine Art Zusammenfassung des derzeitigen Standes der Frühdefibrillation begegnen möchte. Zum anderen fühle ich mich dem Thema durch meine ehrenamtliche Tätigkeit im Rettungsdienst verbunden, wo die Defibrillation durch nicht-ärztliches Personal seit Mitte
der 90er Jahre einen immer größeren Stellenwert eingenommen hat. Ich werde
daher auch einen kurzen Exkurs in den außerklinischen Bereich in meine Arbeit
integrieren.
Da die Frühdefibrillation eine relativ neue Technik ist, musste bei dieser Arbeit
auf zahlreiche – zum Teil auch vereinzelte – Quellen zurückgegriffen werden.
Viele aktuelle Informationen zur Frühdefibrillation finden sich beispielsweise im
Internet, in Präsentationen einzelner Autoren oder Institutionen und in den Unterlagen von Geräteherstellern. Auf „klassische“ medizinische Literatur wurde vor
allem in den Kapiteln über die anatomischen Grundlagen zurückgegriffen.
Mein Dank gilt allen Personen, die mich bei der Erstellung dieser Facharbeit
unterstützt haben. Insbesondere danke ich für die zahlreichen Informationen, die
ich von der Ruhr-Universität Bochum und von der Firma Medtronic erhalten
habe.
Ich würde mich freuen, wenn diese Facharbeit interessierten Personen – beispielsweise beim Aufbau neuer Frühdefibrillationskonzepte – als Hintergrundinformation und Zusammenfassung dienen kann.
Münster, im Juni 2004
K. Taubken
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2. Einleitung
Eine Studie aus dem Jahr 1990 zur Leistungsfähigkeit des Krankenhauspersonals
bei Reanimationen ergab, dass nur 14 % des Pflegepersonals und 20 % des ärztlichen Personals ausreichend gute Leistungen bei der Durchführung der CPR
erbringen.1 Bei einer Untersuchung an der Uniklinik Würzburg 1997 waren nur
0,9 % der Pflegekräfte in der Lage, entsprechend den gültigen Empfehlungen zu
reanimieren.2
Dies soll für diese Facharbeit der Anstoß sein, Informationen zur Verbesserung
des Wissensstandes der Beschäftigten im Krankenhaus zu liefern. Ziel ist es, die
Grundlagen zum Thema Frühdefibrillation im Krankenhaus zu vermitteln, um
eine erfolgreiche Umsetzung von Defibrillationskonzepten in Kliniken zu ermöglichen. Diese Arbeit wird daher zunächst auf die anatomischen, physiologischen
und pathologischen Gegebenheiten und Abläufe eingehen, die zum Verständnis
der Vorgänge bei einer Defibrillation wichtig sein können. Anschließend wird auf
technische Grundlagen und Geräte eingegangen. Zum Schluss sollen mögliche
Frühdefibrillationskonzepte vorgestellt werden.
Die Ausführungen setzen ein medizinisches Grundverständnis – etwa dem der
Krankenpflegeausbildung entsprechend – beim Leser voraus.
1
2
Nordmeyer, Schuhmann, Müller, 1990
Anästhesist 43: S. 107-114, nach: www.narkosearzt-hamburg.de
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3. Anatomische Grundlagen des Herzes
Bei der Anatomie und Physiologie des Herzes beschränke ich mich auf die zum
Thema Frühdefibrillation relevanten Inhalte.
3.1 Größe, Gewicht, Lokalisation
Das Herz liegt im vorderen, unteren Teil des Mediastinums, ca. 2/3 in der linken
und ca. 1/3 in der rechten Thoraxhälfte, vorne hinter dem Brustbein und den angrenzenden Rippen. Nach unten wird das Herz durch das Zwerchfell begrenzt,
dem es auch teilweise aufliegt, hinten ist ihm der Ösophagus angelagert. Wegen
der dichten Organlage im Thorax ist die Lage des Herzens atemverschieblich. Das
Herz hat die Form eines Kegels, mit stumpfer, abwärtsgerichteter Spitze. Die
Herzlängsachse verläuft im Thorax von rechts oben hinten nach links unten vorne.
Die Herzspitze (Apex cordis) liegt im Thoraxraum auf der Höhe des 5. Intercostalraums der Medioklavikularlinie. Die Größe des Herzes entspricht ungefähr
der geballten Faust des betreffenden Menschen, und das Gewicht liegt beim Mann
etwa bei 320 g, bei der Frau etwa bei 280 g. Das Volumen des Herzes beträgt rund
800 ml. Die Größe und das Gewicht des Herzes sind altersabhängig.
Das Herz besteht aus vier Schichten, zum einen der äußere Herzbeutel (Perikard),
in dem sich zur Reibungsverminderung während der Herzarbeit eine Flüssigkeit
befindet, und der Herzwand selbst. Die Aufgabe des Perikards ist es, als Schutzhülle zu fungieren, um so Erkrankungen abzuwehren und eine mechanische Überdehnung des Herzes zu verhindern. Die Herzwand besteht aus einer dünnen
Außenhaut (Epikard), einer dicken mittleren Schicht aus quergestreifter Arbeitsmuskulatur (Myokard) und aus einem dünnen, einschichtigen Plattenepithel
(Endokard), das die Innenfläche des Herzens auskleidet.
3.2 Aufbau
Das Herz ist ein Hohlmuskel, der jeweils links und rechts einen kleinen Vorhof
(Atrium) und eine größere Kammer (Ventrikel) besitzt, wobei die Herzkammern
den Vorhöfen an Muskelmasse weit überlegen sind. Die Vorhöfe fassen etwa
40 ml, die Herzkammern ungefähr 100 ml Blut. Die linke und rechte Herzhälfte
werden durch eine Muskelscheidewand (Septum) getrennt. Die Vorhöfe werden
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durch das Septum atriorum und die Kammern durch das Septum interventrikulare
voneinander getrennt. Vorhof und Kammer werden beidseits jeweils durch eine
Segelklappe (rechts: Dreizipfelklappe = Tricuspidalklappe; links: Zweizipfelklappe = Mitralklappe) voneinander getrennt, die als Ventile die Richtung des
Blutstromes im Herzen regeln. Am Übergang des rechten Ventrikels zur Hauptlungenschlagader (Truncus Pulmonalis) ist die Pulmonalklappe (Valva trunci
pulmonalis), eine Taschenklappe, als Verschlußventil eingelassen. Sie befördert
das Blut in den Lungenkreislauf. Vom linken Ventrikel geht die große Körperschlagader (Aorta) ab, in welche das Blut für den großen Kreislauf aus dem linken
Herzen gepumpt wird. Dieser Übergang, der an der Herzbasis vorn neben der
Mitralklappe sitzt, wird durch eine Taschenklappe, die Aortenklappe (Valva aortae), verschlossen. Alle Herzklappen arbeiten nach dem Prinzip des Rückschlagventils und leiten das Blut nur in eine Richtung weiter. Sie liegen in einer Ebene
an der Herzbasis (Ventilebene) und sind an bindegewebartigen Ringen befestigt,
die die Vorhofmuskulatur von der Herzkammermuskulatur trennen. Dieses Gerüst
aus Bindegewebe wird auch Herzskelett genannt. Von außen liegen der Herzbasis
die Herzohren auf, deren Funktion noch nicht eindeutig geklärt ist. Wahrscheinlich soll durch sie ein Abknicken oder Verdrehen der Blutgefäße, die aus dem
Herzen austreten, verhindert werden.
3.3 Herzkranzgefäße
Die Koronararterien versorgen das Myokard mit oxygeniertem (sauerstoffreichem) Blut und bilden einen Kranz (Corona) um das Herz. Die rechte und linke
Herzkranzarterie entspringen der Aorta direkt oberhalb der Aortenklappe und
werden in der Diastole des Herzes durch den Rückstrom aus der Aorta mit Blut
gefüllt. Die Blutgefäße haben einen Durchmesser von ca. drei Millimetern, der
immer geringer wird, je weiter sie sich vom Ursprungsort entfernen. Die rechte
Koronararterie (Arteria coronaria dextra) verläuft über die Hinterwand des Herzes. Sie teilt sich in die Äste Ramus marginalis und Ramus interventricularis
posterior auf. Die linke Koronararterie zieht über die Vorderwand des Herzmuskels und versorgt die Herzspitze und die Seitenwand. Sie teilt sich in die Äste
Ramus circumflexus und Ramus interventricularis anterior (RIVA) auf. Die
Anastomosen (Verbindungen) zwischen der linken und der rechten Koronararterie
sind in der Regel unzureichend ausgebildet, so dass eine Arterie bei einem weitgehenden Verschluss nicht die Funktion der anderen Arterie übernehmen kann.
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Die Herzvenen verlaufen normalerweise parallel zu den Koronararterien, sie bilden aber keinen vollständigen Kranz um das Herz. Sie leiten das Blut in den rechten Vorhof ab.
3.4 Herztätigkeit
Die Aufgabe des Herzes ist es, das Blut aus den Körper- und Lungenvenen in die
Arterien des großen und kleinen Kreislaufs zu pumpen. Das Blut fließt aus dem
großen Kreislauf in die Vena cava superior und Vena cava inferior, um von dort
in den rechten Vorhof und in die rechte Kammer zu gelangen. Das sauerstoffarme
Blut wird über die Pulmonalarterien durch die Lunge gepumpt. Während dieser
Lungenpassage wird Sauerstoff im Blut aufgenommen und Kohlendioxid über die
Lunge abgeatmet. Das sauerstoffreiche Blut wird über die Pulmonalvenen zum
linken Vorhof geleitet. Anschließend wird das Blut über den linken Ventrikel in
die Aorta gepumpt, um so den großen Kreislauf mit sauerstoffreichem Blut zu
versorgen.
Dies geschieht durch den rhythmischen Wechsel von Kontraktion und Dilatation
der Ventrikel. Die Kontraktionsphase nennt man Systole, die Erschlaffungsphase
Diastole. Es gibt eine Systole und Diastole im rechten und linken Atrium und im
rechten und linken Ventrikel. Während der Systole wird das Blut aus den Ventrikeln gepumpt, und während der Diastole erschlafft der Herzmuskel, um so neues
Blut aufnehmen zu können. Durch die Funktion der Herzklappen kann das Blut
nur in eine Richtung fließen. Während eines Herzschlages arbeiten beide Herzhälften immer synchron. Diese Herzaktion lässt sich in drei Phasen unterscheiden.
1. Entleerung der Kammern (Kammersystole):
Die Vorhöfe befinden sich gleichzeitig in der Diastole. Beide Vorhöfe
werden durch Nachströmen des Blutes aus der oberen und unteren Hohlvene und aus den Lungenvenen wieder gefüllt.
2. Herzpause (Diastole von Vorhöfen und Kammern):
Alle Herzabschnitte sind erschlafft und das Blut strömt von den Vorhöfen
in die Kammern. In dieser Phase wird der Herzmuskel über die Koronararterien perfundiert.
3. Vorhofsystole bei noch bestehender Kammerdiastole:
Der Blutstrom aus den Vorhöfen in die Herzkammern wird am Schluss der
Vorhofdiastole und kurz vor Beginn der Kammersystole durch die Vorhofsystole verstärkt.
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Auf die Kammermuskulatur bezogen kann man vier Phasen unterscheiden.
In der Systole:
•
Anspannungszeit:
Sie dauert vom Schluss der Segelklappen bis zur Öffnung der Pulmonalund Aortenklappe. Es entspricht der Zeit, die erforderlich ist, um durch die
Systole den Kammerdruck so zu steigern, dass er höher ist als im Truncus
pulmonalis und in der Aorta.
•
Austreibungszeit:
Durch eine weitere Kontraktion pumpt die Kammermuskulatur das Blut
aus den Kammern in die Lungenschlagadern und in die Aorta, wobei eine
Restblutmenge in den Kammern verbleibt. Mit dem Schluss der Aortenklappe endet die Austreibungszeit.
In der Diastole:
•
Entspannungszeit:
Die Kammerdiastole beginnt mit der Entspannungszeit. Die Kammermuskulatur erschlafft, und die Segelklappen sind noch geschlossen. Die Vorhöfe laufen voll Blut.
•
Füllungszeit:
Die Füllungszeit ist der zweite Teil der Kammerdiastole. Die Segelklappen
öffnen sich unter dem steigenden Vorhofdruck, und das Blut strömt in die
Kammern. Durch die Vorhofsystole am Ende der Füllungszeit wird der
Blutstrom beschleunigt.
Die Herzpause fällt in die Entspannungszeit und in einen Teil der Füllungszeit.3
3.5 Aufbau der Herzmuskulatur (Myokard)
Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Muskelfasern unterscheiden. Zum einen
das Arbeitsmyokard, welches die Vorhöfe und Kammern bildet und die mechanische Pumpfunktion verrichtet. Es leitet elektrische Erregungen in Form von Aktionspotentialen weiter. Zum anderen die Schrittmacherzellen und Fasern des Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystems, die in das Arbeitsmyokard eingebettet sind. Im Gegensatz zur Skelettmuskulatur, die durch einen Nervenimpuls
innerviert wird, können bestimmte Herzmuskelfasern und Faserknoten spontan
Erregungen bilden. Diese Fähigkeit stellt die Grundlage für die Selbststeuerung
(Autorhythmie) der Herzschlagfolge dar.
3
vgl. auch v. Brandis / Schönberger 1991, S. 189 f.
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Man kann folgende Teile des Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystems
unterscheiden:
Sinusknoten (Keith-Flack-Knoten):
Er liegt in der Wand des rechten Vorhofs, an der Mündung der Vena cava
superior. Der Sinusknoten bildet im Normalfall den Ursprung aller elektrischen Erregungen am Herzen, deshalb wird er auch „Schrittmacher des
Herzens“ genannt. Die Erregung breitet sich radiär über die Arbeitsmuskulatur beider Vorhöfe aus, die dadurch zur Kontraktion angeregt werden.
Von dort trifft die Erregung auf den Vorhofkammerknoten.
Atrioventrikularknoten (AV-Knoten oder Aschhoff-Tawara-Knoten):
Der AV-Knoten befindet sich an der Hinterwand des rechten Vorhofs in
der Nähe des Septums. Der AV-Knoten nimmt die über die Vorhöfe ausgebreiteten Erregungen auf und bremst die Weiterleitung dieser ab. Dies
ist notwendig, damit die Kammerkontraktion erst nach Beendigung der
Vorhofsystole beginnen kann.
Anschließend wird die Erregung auf spezifische Faserbahnen des Ventrikels weitergeleitet. Zuerst kommt das His-Bündel, das an der Vorhof-Kammergrenze bis
zur Mittellinie verläuft und so das bindegewebige Herzskelett überwindet. Es
stellt im Normalfall die einzig überleitende Verbindung zwischen Vorhof und
Kammer dar. Nach einigen Millimetern teilen sich die Faserbahnen in einen rechten und einen linken Kammerschenkel (Tawara-Schenkel) auf. Sie ziehen auf der
rechten bzw. linken Seite des Septums Richtung Herzspitze. „Beide Schenkel enden in den Verzweigungen der Purkinje-Fasern, die sich in der gesamten Arbeitsmuskulatur der Herzkammern verteilen. Durch die netzartige Struktur der Herzmuskulatur können alle Fasern rasch nacheinander von der Erregung erfasst werden, wobei die Erregung durch die Zellgrenzen nicht behindert wird.“4
3.6 Hierarchie der Erregungsbildungszentren
Das primäre Erregungsbildungszentrum geht beim Gesunden vom Sinusknoten
aus. Er gibt eine Ruhefrequenz von ca. 70 Schlägen/Minute vor. Wie oben bereits
angedeutet, sind alle anderen Strukturen des Erregungsleitungssystems auch zur
Erregungsbildung befähigt, jedoch mit einer deutlich niedrigeren Frequenz. Im
Normalfall werden sie durch die Aktionen des Sinusknotens unterdrückt. Durch
pathologische Vorgänge am Herzen kann der Sinusknoten stark verlangsamt
4
v. Brandis / Schönberger 1991, S.192
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arbeiten, die Überleitung vom Vorhof auf die Herzkammern blockiert sein oder
gar ganz ausfallen, dann übernimmt der AV-Knoten mit einer Eigenfrequenz von
40-60 Schlägen/Minute die Schrittmacherfunktion des Herzes. Er gilt somit als
das sekundäre Erregungsbildungszentrum. Als tertiäres Erregungsbildungszentrum gilt das ventrikuläre Leitungssystem mit den Tawara-Schenkeln und den Purkinje-Fasern. Mit einer Frequenz von 25-40 Schlägen/Minute bildet es den Kammerersatzrhythmus.
3.7 Das Elektrokardiogramm (EKG)
Das Elektrokardiogramm beschreibt der Pschyrembel als ein „Verfahren zur Registrierung der Aktionspotentiale des Herzens, die von der Körperoberfläche oder
intrakardial abgeleitet und als Kurven aufgezeichnet werden; dabei entsprechen
den Schwankungen der Kurven einzelne Phasen der Herzperiode (s. Abb. 1). Die
Kurven entstehen als Summation der Stärken und Richtungen der Erregungsleitung in den einzelnen Myokard- und Nervenfasern. Sie werden durch dem Herzen
räumlich unterschiedlich zugeordnete Ableitungen registriert.[...] Die Elektrokardiographie gestattet Aussagen über den Herzrhythmus und die Herzfrequenz, den
Lagetyp des Herzens im Thorax und über Störungen der Erregungsbildung, -ausbreitung und -rückbildung im Erregungsleitungssystem und im Myokard.“5
Das EKG gibt keine Hinweise auf die Herzkraft und die Herzleistung. Die Ableitung des EKG erfolgt indirekt von der Körperoberfläche, in dem an bestimmten
Stellen des Thorax Elektroden platziert werden. In den Ableitungen des EKG
kann man Wellen, Zacken und Strecken unterscheiden: Die Benennung dieser
Merkmale erfolgt fortlaufend in alphabetischer Reihenfolge (P, Q, R, S, T)
P-Welle:
Vorhoferregungswelle, Kontraktion der Vorhöfe, Ausdruck für
die Sinusknotenaktivität
PQ-Strecke:
vollständige Erregung der Vorhöfe
PQ-Zeit:
Zeit zwischen dem Beginn der Erregung der Vorhöfe und der
Kammern, die Erregungsüberleitungszeit; beinhaltet die Erregungsleitung durch den AV-Knoten
QRST:
Kammertätigkeit, Kammerkomplex
Q-Zacke:
Erregung des Kammerseptums
QRS-Komplex: Erregungsausbreitung in den Kammern
ST-Strecke:
5
vollständige Erregung der Kammern
Pschyrembel 1994, S. 384
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T-Welle:
Erregungsrückbildung der Kammern
QT-Zeit:
gesamte elektrische Kammerkontraktion
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Erregungsausbreitung (QRS-Komplex), totale Kammererregung
(ST-Strecke) und Erregungsrückbildung (T-Welle)
TP-Strecke:
Herzpause, es werden keine elektrischen Ströme gemessen;
im Verlauf dieser Strecke ist häufig eine U-Welle, deren Bedeutung nicht vollständig geklärt ist.
Abbildung 1: Benennung der Abschnitte eines EKG, Abbildung nach DRK Münster
Zusätzlich besitzt das Herz ein intramurales Nervensystem, das mit den Fasern
des vegetativen Nervensystems (Sympathikus und Parasympathikus) außerhalb
des Herzes in Verbindung steht. Der Sympathikus steigert die Inotropie (Kontraktionskraft des Herzes), die Chronotropie (Herzfrequenz-steigernd) und die Dromotropie (Erregungsleitungsbeschleunigung) des Herzes. Der Parasympathikus ist
der Antagonist des Sympathikus und bewirkt die entsprechende Abschwächung.
3.8 Elektrophysiologische Erregung
Nach diesen grundsätzlichen Aspekten zur Anatomie des Herzes gehe ich der
Frage nach, wie eine elektrophysiologische Erregung des Myokards zustande
kommt. Im Inneren einer Myokardzelle liegt eine negative Spannung vor, im
Extrazellularraum ist sie hingegen positiv. Die elektrische Spannung einer Myokardzelle in Ruhe beträgt ca. –90 mV. Diese Spannungsdifferenz wird durch die
Elektrolyte Natrium (Na) und Kalium (K) ausgelöst, die in unterschiedlichen
Konzentrationen innerhalb und außerhalb der Zelle vorliegen. Kaliumionen liegen
im Zellinneren ca. 40-50fach konzentrierter vor als im Extrazellularraum, und
Natriumionen hingegen liegen extrazellulär ca. 3-10fach höher konzentrierter vor
als intrazellulär. Im unerregten Zustand ist die Zellmembran für Kaliumionen ca.
100mal höher permeabel als für Natriumionen. Aufgrund des Konzentrations-
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gefälles und der selektiven Permeabilität der Zellmembran diffundieren vermehrt
Kaliumionen vom Zellinneren nach extrazellulär und nur wenige Natriumionen
von extrazellulär nach intrazellulär. Im Zellinneren befinden sich jedoch immer
noch mehr Kaliumionen als Natriumionen und im Extrazellularraum ist es umgekehrt. Dieser Zustand wird auch Ruhepotential oder K-Potential genannt.
Erreicht eine elektrische Erregung (Aktionsimpuls) eine Herzmuskelfaser, dann
wird die Membranpermeabilität für Natriumionen schlagartig verändert. Sie ist
jetzt etwa 500mal höher als während des Ruhepotentials. Die Natriumionen diffundieren aufgrund des Konzentrationsgefälles in das Zellinnere. Anschließend ist
die Zellmembran auch für Kaliumionen wieder durchlässig, die nach extrazellulär
diffundieren. Durch den starken Elektrolyteinstrom entsteht eine spontane Depolarisation. Die elektrische Spannung verändert sich und wird in ihren höchsten
Werten sogar positiv bis 30 mV (Overshoot). Sie dauert ca. 1-2 ms an. Dieser
Vorgang verläuft nach dem „Alles-oder-nichts-Gesetz“, was bedeutet, dass bei
Überschreiten einer gewissen Reizschwelle eine sofortige Depolarisation erfolgt,
bei Unterschreiten dieses Schwellenwertes jedoch kein Aktionspotential ausgelöst
wird. Bei den erregungsbildenden Zellen erfolgt im Ruhepotential eine langsame
diastolische Depolarisation bis zum Schwellenwert von -70 bis -40 mV. Die
Schrittmacherzellen bedürfen nicht eines Aktionsimpulses, wie das Arbeitsmyokard, sondern sie entladen sich automatisch. Anschließend folgt die Repolarisation, d.h., dass sich die Ladungsverhältnisse langsam wieder umkehren bis hin
zum Ruhepotential. Während der Repolarisation zeigen die Herzmuskelzellen eine
für sie charakteristische Plateauphase (Dauer ca. 200-300 ms), die durch eine
kurzzeitig ansteigende Leitfähigkeit der Zellmembran für Calciumionen (Ca²+)
zustande kommt. Der Calciumioneneinstrom verhindert die Diffusion von
Kaliumionen in die Herzmuskelzelle. Erst nach Beendigung des Calciumeinstroms endet die Plateauphase und die Repolarisation erfolgt rascher als vorher.
Das Ruhepotential wird aktiv unter Energieverbrauch mittels einer so genannten
Natrium-Kalium-Pumpe wiederhergestellt. Sie befördert Kaliumionen in die
Herzmuskelzelle und Natriumionen wieder heraus. Während des Aktionspotentials ist die Herzmuskelzelle refraktär, d.h., dass sie für neue, äußere Erregungsreize nicht zugänglich ist. Sie dient als Schutz vor unkoordinierten Herzaktionen.
Die Refraktärzeit unterteilt sich in die absolute Refraktärzeit, die Zeit während des
Plateaus, und die relative Refraktärzeit, welche die Zeitspanne vom Plateauende
bis kurz vor Abschluss der steilen Repolarisationsphase (-40 bis -70 mV) kenn-
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zeichnet. In der absoluten Refraktärzeit ist die Herzmuskelzelle für äußere Reize
nicht zugänglich, während hingegen in der relativen Refraktärzeit Aktionspotentiale ausgelöst werden können. Diese Phase wird auch die vulnerable (verletzliche)
Phase genannt, da sie bei der Entstehung von lebensgefährlichen, tachykarden
Herzrhythmusstörungen wie Kammerflimmern oder der ventrikulären Tachykardie eine Rolle spielt. Der auslösende Mechanismus wird im weiteren Verlauf
noch erklärt. Die Refraktärzeit verhindert, dass eine geregelte Herzaktion durch
eine zu frühe Wiedererregung gestört wird und/oder einen Wiedereintritt (Reentry) von Erregungen, die nach physiologisch durchlaufener Erregung am Herzen auf im selben Herzzyklus erregtes Myokard treffen. Im Normalfall trifft die
Erregung alle zuvor erregten Abschnitte des Herzens im refraktären Zustand an,
so dass es nicht zu einem „Kreisen“ der Erregung kommen kann.
Anhand der Entstehung des lebensbedrohlichen Krankheitsbildes des Kammerflimmerns möchte ich das Prinzip des Wiedereintritts (Re-entry) und der „kreisenden“ Erregung veranschaulichen.
Am gesunden Herzen ist der Wiedereintritt einer Erregung im Normalfall nicht
möglich. Die Herzmuskelzellen, die in einem funktionellen Netzwerk (Synzytium) zusammenarbeiten, leiten die Erregungen so lange fort, bis sie auf refraktäres Gewebe stoßen, welches ihnen ein Weiterschreiten unmöglich macht. Zum
besseren Verständnis bediene ich mich des Beispiels einer „Kreisbahn“. Wenn
man sich das Netzwerk der Herzmuskelzellen als zusammenhängende Bahn
(Kreisbahn) vorstellt, kann man erkennen, dass eine Erregung, die an einem Punkt
der Bahn beginnt oder in sie eintritt, bidirektional weitergeleitet wird. Die Erregungen werden von dem Punkt des Eintritts in beide Richtungen weitergeleitet
und treffen nach kurzer Zeit aufeinander. An diesem Punkt eliminieren sich die
Erregungswellen gegenseitig, da jede dieser Wellen auf das refraktäre Gewebe der
anderen Welle trifft, welches es hinter sich zurücklässt.
K. Taubken
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Abbildung 2: Ausbildung eines Aktionspotentials, aus: www.grundkurs-ekg.de
Im gesunden Myokard ist die Erregungswelle immer länger als die Leitungsbahn,
auf der sie sich bewegt. Dies bedeutet, dass die Erregungswelle die Leitungsbahn
vollständig ausfüllt und sich keine Lücke für vorzeitig einfallende Aktionspotentiale bietet, da alle Myokardfasern während der Repolarisation refraktär sind. Eine
Möglichkeit des Wiedereintritts wäre also eine erregbare Lücke zwischen der Erregungswelle und der Leitungsbahn, die von der kreisenden Erregung immer wieder neu stimuliert wird. Auslöser können eine verkleinerte Erregungsgeschwindigkeit und/oder eine verkleinerte Refraktärzeit sein. Weiterhin kann eine verlängerte Leitungsbahn Auslöser für einen Wiedereintritt sein (z.B. bei einer Hypertrophie des Herzmuskels). Meist reichen diese Voraussetzungen allein noch nicht
für ein Auslösen von Kammerflimmern aus, da auch bei einer verkürzten Erregung dennoch beide Erregungswellen aufeinander treffen, auch wenn sie nicht die
vollständige Leitungsbahn ausfüllen. Eine weitere wichtige Voraussetzung für den
Re-entrymechanismus ist die inhomogene Erregbarkeit. Die Erregungswellen
werden nicht mehr bidirektional weitergeleitet, sondern eine Welle trifft auf refraktäres Gewebe in der Bahn und wird so ausgelöscht. Die Erregungswelle trifft
auf einen unidirektionalen Block. Die verbliebene Welle wird also nicht eliminiert
und kann so ungehindert weiterschreiten. Der unidirektionale Block ist jedoch
temporär (vulnerable Phase) und ist nicht mehr vorhanden, wenn die verbliebene
Erregungswelle diese Position wieder erreicht, mit anderen Worten, die Erregungswelle kreist auf der Leitungsbahn.
K. Taubken
Abbildung 3:
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Normale Ausbreitung - Verlängerte Schleife - Kurze Refraktärzeit - Langsame Ausbreitung. Nach Silbernagl, aus: www.rettung-stromberg.de
Ein vorzeitig einfallender Impuls kann nur in der vulnerablen Phase eine kreisende Erregung auslösen, wenn ein unidirektionaler Block vorhanden ist. Dies ist
während der aufsteigenden T-Welle (EKG) der Fall, wenn sich die Ventrikel in
der frühen Phase der Repolarisation befinden und relativ refraktär sind. Diesen
Zustand kann man als inhomogene Erregbarkeit beschreiben, denn während ein
Teil der Leitungsbahn noch die Kammererregung zurückbildet und somit refraktär
ist, ist ein weiter vorne liegender Teil der Myokardfaser schon wieder erregbar.
Die Erregung wird unidirektional blockiert und das Aktionspotential setzt sich in
die entgegengesetzte Richtung fort.
Die vulnerable Phase stellt ca. 10 % der Herzaktion dar, sie ist jedoch die gefährlichste Phase, um ein Kammerflimmern auszulösen. Ein Impuls, der einen Reentrymechanismus auslösen kann, muss eine Flimmerschwelle überschreiten. Die
Höhe der Flimmerschwelle ist vom Zustand des Herzens abhängig. Beim „kranken“ Myokard sinkt die Flimmerschwelle, weshalb z.B. beim Myokardinfarkt
häufig auch ein Kammerflimmern auftritt. Vorzeitig einfallende Impulse, man
nennt sie auch ektopische Zentren, können durch mehrere Störungen entstehen,
z.B. Elektrolytstörungen (vor allem Hypokaliämie), Dilatation des Herzmuskels,
Hypoxie im Myokard (Myokardinfarkt), Hypothermie.
Ektopische Zentren besitzen eine Automatie, die unabhängig vom Erregungsleitungssystem Impulse (Extrasystolen) aussenden. Diese Impulse gehen vom Arbeitsmyokard aus und stehen somit in Konkurrenz zum Erregungsleitungssystem.
Trifft ein Impuls in die vulnerable Phase, kann diese ventrikuläre Extrasystole
einen Re-entrymechanismus auslösen.
Auch durch überschwellige äußere Reize (z.B. Elektrounfall) kann ein solcher
Wiedereintritt ausgelöst werden.
K. Taubken
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4. Relevante Herzrhythmusstörungen
4.1 Kammerflimmern
Beim Kammerflimmern liegt eine hochfrequente, unregelmäßige Erregung des
Kammermyokards aus unterschiedlichen ektopen Erregungszentren mit kreisenden Erregungen vor. „Es liegen unregelmäßige Undulationen mit wechselnden
Konturen, Amplituden und Zeitintervallen vor. Es sind keine Kammerkomplexe
mehr zu erkennen. Die Frequenz liegt bei über 300/Min.“6 Es besteht ein funktioneller Herzkreislaufstillstand ohne Pumpleistung des Herzes.
Elektrophysiologisch wird das Kammerflimmern auch als „elektrisches Chaos“
bezeichnet.
Abbildung 4: Elektrisches Chaos, aus: www.fh-muenchen.de
Abbildung 5: Kammerflimmern im EKG, Abbildung des DRK Münster
Am Herzen liegen Mikro-Re-entry-Kreise von wechselnder Größe und Lokalisation vor. Als Ursache kommen meist strukturell verändertes Kammermyokard,
seltener Elektrolytstörungen oder Medikamente vor.
Meist liegen eine schwere organische Herzkrankheit (in 80 % Koronare Herzkrankheit), z.B. im Zustand nach Myokardinfarkt oder entzündlichen Herzerkrankungen vor. Beim akuten Myokardinfarkt kann es zu einem akuten Okklusionsflimmern (Herzkranzgefäßverschlussflimmern) kommen. Weniger häufig
tritt ein Reperfusionsflimmern auf.
6
Stierle / Niederstadt 1997, S.524
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 17
4.2 Ventrikuläre Tachykardie
Folgen mehr als sieben ventrikuläre Extrasystolen unmittelbar aufeinander,
spricht man von einer ventrikulären Tachykardie. Der Übergang zu Kammerflattern ist fließend. Man unterscheidet selbstlimitierende Tachykardien, die nach
einigen Sekunden spontan enden und anhaltenden Tachykardien, die länger als 30
Sekunden andauern oder die ohne ärztliche Hilfe nicht aufhören. Weiterhin unterscheidet man ebenfalls monomorphe (aus gleich geformten Extrasystolen bestehend) und polymorphe Tachykardien. Polymorphe Tachykardien gelten als gefährlich, da der Übergang in Kammerflimmern droht.
Bei anhaltenden Tachykardien kann es zu einem fließenden Übergang in Kammerflattern kommen.
Es liegen breite QRS–Komplexe vor mit einem Frequenzbereich von 150240/Min. Abhängig von der Frequenz kann man einen Puls tasten.
4.3 Pulslose Ventrikuläre Tachykardie (PVT)
Die PVT stellt sich als schnelle ventrikuläre Erregung dar, bei der wegen der hohen Frequenz (200-300 Impulse/Min) weder eine systolische Auswurfleistung
noch eine diastolische Füllung des Herzes möglich ist.
Im EKG kann man koordinierte, gleichförmig verbreiterte und deformierte, jedoch voneinander abgrenzbare QRS-Komplexe erkennen, die meist aus einem
einzigen Zentrum entspringen.
Die PVT kommt praktisch nur bei einem vorgeschädigten Myokard vor (Z.n.
Herzinfarkt, fortgeschrittene KHK, Herzinsuffizienz, etc.). Sie geht unbehandelt
wegen des hohen Energieverbrauchs und der fehlenden Koronardurchblutung
schnell in ein Kammerflimmern über.
Abbildung 6: Kammertachykardie, Abbildung des DRK Münster
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 18
Es kann zu häufigen Degeneration im Kammerflattern/Kammerflimmern kommen.
Weiterhin liegt eine hohe Rezidivneigung mit der Gefahr des plötzlichen Herztodes > 25 % innerhalb eines Jahres vor. Es besteht ein besonders hohes Risiko,
wenn ein „plötzlicher Herztod“ überlebt wurde (Z. n. erfolgreicher Reanimation)
und die linksventrikuläre Funktion eingeschränkt ist.
4.4 Plötzlicher Herztod
Plötzlicher Herztod ist ein „natürlicher, unerwarteter Tod kardialer Genese innerhalb einer Stunde nach Auftreten von Symptomen.“7
Eine andere Definition nach der WHO bezeichnet den plötzlichen Herztod „als
Tod innerhalb von 24 Stunden nach Beginn der Erkrankung oder Schädigung.“8
Mit 15-20 % ist der plötzliche Herztod eine der höchsten Todesursachen in den
westlichen Ländern. In Deutschland sterben jedes Jahr ca. 100 000 Menschen an
dieser Erkrankung.
Initial besteht in über 70 % eine Kammertachykardie, die in Kammerflimmern
degeneriert. In weniger als 10 % liegt ein primäres Kammerflimmern und in ca.
15 % eine Asystolie oder Bradykardie vor. Die Rezidivrate liegt im ersten Jahr bei
30 % und insgesamt bei 45 % in den ersten beiden Jahren.
Die Koronare Herzkrankheit (KHK) gilt als häufigste Ursache (80 %) des plötzlichen Herztodes. Während bei ca. 75 % die KHK bereits diagnostiziert ist, ist bei
25 % der plötzliche Herztod die Erstmanifestation.
Als Risikofaktoren gelten:
7
8
•
arterielle Hypertonie
•
familiäre Häufung des Herzinfarktes
•
Hypercholesterinämie
•
bereits stattgefundener Herzinfarkt
•
Adipositas
•
Stress
•
Diabetes mellitus
•
Nikotinabusus
•
orale Kontrazeptiva
Stierle / Niederstadt 1997, S. 526
Der plötzliche Herztod; www.aed-bayern.de/allgemeines/grundlagen
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 19
5. Defibrillation
Die einzige kausale Therapie des Kammerflimmerns und der pulslosen VT ist die
frühestmögliche elektrische Defibrillation.
5.1 Grundsätze der Defibrillation
Defibrillation heißt wörtlich übersetzt „Entflimmerung“. Die Übersetzung drückt
den Sinn und Zweck der Defibrillation aus: Man möchte das Kammerflimmern
am Herzen unterbrechen, alle kreisenden Erregungen beenden und einen erneuten
Re-entry-Mechanismus unmöglich machen.
Das Ziel der Defibrillation ist es, maximal viele Myokardzellen gleichzeitig zu
depolarisieren.
Dies kann durch verschiedene Applikationsformen der Energie erreicht werden.
Bei der externen Defibrillation wird ein kontrollierter elektrischer Gleichstromimpuls von ca. 4-20 ms Dauer über großflächige Paddle- oder Klebeelektroden
abgegeben. Weiterhin ist die Abgabe eines Elektroschocks über intrakardiale
Sonden (z.B. bei implantierten Cardioverter Defibrillatoren (ICD)) möglich oder
epikardial im Operationssaal am „offenen Herzen“. In dieser Arbeit möchte ich
mich ausschließlich der externen, transthorakalen Defibrillation widmen.
Der Defibrillationsimpuls muss eine ausreichend große „kritische Masse“ (ca. 7090 % des gesamten Myokards) gleichzeitig erregen, so dass sich diese Zellen anschließend alle in der Repolarisationsphase befinden. Danach kann ein übergeordnetes Zentrum, im Normalfall der Sinusknoten, wieder die Schrittmacherfunktion
des Herzes übernehmen. Den kreisenden Erregungswellen wird durch die Stimulation der erregbaren Lücke der Weg abgeschnitten und somit ein erneuter Wiedereintritt unterbunden. Nach der Defibrillation ist die erregbare Lücke refraktär
und wirkt wie ein unidirektionaler Block.
Um genügend Myokardzellen gleichzeitig zu erregen, muss eine sogenannte Defibrillationsschwelle überschritten werden. Sie bezeichnet die Energiemenge, die
benötigt wird, um eine Defibrillation des Myokards herbeizuführen. Im Allgemeinen liegt sie vier mal höher als die gewöhnliche Reizschwelle des Myokards. Sie
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 20
ist aber individuell unterschiedlich und lässt sich nicht so scharf abgrenzen wie
die Stimulationsenergie.
Zur Therapie des Kammerflimmerns und der PVT müssen erfahrungsgemäß Defibrillationsimpulse von 2 Ampere für mindestens 10-20 ms durch das Herz fließen.
Die Energie kann bei bis zu 360 Joule, die Spannung bei 2500-7000 Volt liegen.
Bei Erwachsenen wird nach Empfehlung der American Heart Association (AHA)
üblicherweise mit einer Energie von 3 Joule/kg KG defibrilliert, bei Kindern und
Säuglingen liegt die Energiewahl zwischen 2-4 Joule/kg KG. Diese Angaben bilden einen Kompromiss zwischen dem Auftreten von Gewebeschädigungen und
der Notwendigkeit mit einem Minimum an Energie zu defibrillieren. Defibrillationsversuche in Notfallsituationen mit zu niedrig gewählter Energie sind obsolet,
da diese sonst zu einer Elektromechanischen Entkoppelung führen können, die
eine Zusammenarbeit der elektrischen Erregung des Myokards und der anschließenden Auslösung der Kontraktion verhindert.
5.2 mono- und biphasische Defibrillation
Während der Defibrillation fließt der elektrische Strom auf sogenannten Flusslinien von einer Elektrode zur anderen durch das Herz. Die Fließrichtung des elektrischen Stroms bewegt sich von der positiven zur negativen Elektrode.
Monophasische Impulskurvenform:
Bei diesen Defibrillationsimpulsen fließt der Strom in eine Richtung, entweder
von Elektrode 1 zur Elektrode 2 oder umgekehrt, je nachdem, welche Elektrode
positiv ist. Die Defibrillationsenergie wird in der Regel als gedämpfte Sinuskurve
oder monophasischer Rechteckimpuls mit abnehmender Energiedichte abgegeben.
Biphasische Impulskurvenform:
Diese Impulskurvenform besteht aus einem positiven Anteil, dem ein negativer
Teil folgt. Der Strom fließt nacheinander in beide Richtungen. Die Energieabgabe
ist bei biphasischen Impulsen geringer. Diese Technik wird schon längere Zeit bei
den implantierbaren Defibrillatoren angewandt und hat in den letzten Jahren auch
Einzug bei der externen, transthorakalen Defibrillation gehalten.
Unter Laborbedingungen hat man herausgefunden, dass biphasische Defibrillatoren den monophasischen Geräten überlegen sind. Sie benötigen weniger Energie
für eine erfolgreiche Defibrillation. Eine ideale Impulsform und Energiemenge
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 21
kann für die biphasische Defibrillation nicht angegeben werden, fest steht aber,
dass unter Verwendung geringerer Energiemengen (<200 J) eine sichere und
gleicheffektive Defibrillation möglich ist. Durch die geringere Energie und Spannung, die im Rahmen der biphasischen Defibrillation erforderlich sind, kommt es
zu einer geringeren Schädigung und Fehlfunktion des Myokards nach Defibrillation (siehe auch Defibrillationsschwelle).
Abbildung 7: Biphasische Energieabgabe, aus: www.rettung-stromberg.de
Diese Form der Energieabgabe hat auch erheblich zur Miniaturisierung der Defibrillatoren beigetragen, da die Batteriekapazität geringer ist und schwere Bauteile,
wie z.B. Entladetransistoren, nicht mehr benötigt werden.
Wahl der Energiemenge:
Bei einem Gerät mit monophasischer Impulsform wird initial zweimal mit ca. 200
Joule (3 Joule/kg/KG), bei jeder anschließenden Defibrillation mit 360 Joule defibrilliert. Wird bei einer Energiemenge von 200 Joule bereits ein Kammerflimmern
unterbrochen und es kommt zu einem erneuten Kammerflimmern, dann wird zunächst noch einmal mit 200 Joule defibrilliert. Es wird immer in dreier Sequenzen
defibrilliert, da eine Schockabgabe kurzfristig die Thoraximpedanz mindert.
Wie bereits beschrieben, gibt es bei der biphasischen Defibrillation noch keine
gesicherten Erkenntnisse über die Angabe einer geeigneten Energiemenge. Wichtig zu wissen ist allerdings, dass man in der Regel mit weniger Energie als bei
monophasischen Geräten auskommt, bei mindestens gleichen oder evtl. auch besseren Erfolgsaussichten. Man sollte vor Abgabe eines Schocks wissen, mit welcher Impulskurvenform das Gerät arbeitet, um die Energiehöhe richtig zu wählen.
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 22
5.3 Gerätekunde
Man unterscheidet zwei verschiedene Arten von externen Defibrillatoren. Zum
einen findet man manuelle Geräte und zum anderen automatisierte. Die automatisierten Geräte kann man noch einmal in vollautomatische und halbautomatische
Geräte unterteilen.
5.3.1 Manuelle Defibrillatoren
Die Geräte besitzen einen EKG-Monitor, an dem der Herzrhythmus vom Anwender analysiert werden muss. Die Entscheidung zur Defibrillation fällt der Anwender, indem er die Energie wählt, das Gerät manuell auflädt und den Schock ebenfalls manuell auslöst. Die Sensitivität und Spezifität sind so hoch wie der Kenntnisstand des Anwenders. Die Sensitivität definiert das Vermögen, einen defibrillationswürdigen Rhythmus als solchen zu erkennen. Die Spezifität wiederum bezeichnet die Eigenschaft, einen nicht defibrillationswürdigen Herzrhythmus als
einen solchen zu erkennen.
Diese Geräte erfordern daher ein hohes Maß an Ausbildung und Interpretationssicherheit des Anwenders, in der Regel ein Arzt.
Gerätetypen, die in der Uniklinik Münster Verwendung finden sind das Lifepak®
9 der Firma Medtronic/PHYSIO-CONTROL als Stationsgerät der Station 19 A
Ost oder als Defibrillator auf dem Herzalarmwagen der Station 19 A Ost oder
Intensiv 2. Weiterhin gibt es das Lifepak®10 als Transportdefibrillator der Station
10A Ost.
5.3.2 Vollautomatische Defibrillatoren
Der Anwender bringt die Defibrillationsklebeelektroden am Patienten an und
schaltet das Gerät ein. Es erfolgt eine automatische Analyse des Herzrhythmus
durch das Gerät. Das Gerät lädt selbstständig und gibt im Falle eines defibrillationswürdigen Herzrhythmus automatisch einen Schock ab.
Beispiele sind das Lifepak CRplus® der Firma Medtronic oder implantierbare
Defibrillatoren.
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 23
5.3.3 Halbautomatische Defibrillatoren/
Automatisierter externer Defibrillator (AED)
Diese Geräte werden hauptsächlich für Frühdefibrillationskonzepte im inner- und
außerklinischen Bereichen eingesetzt, da sie durch ihre Analysefunktion die Diagnose und Indikationsstellung von Kammerflimmern und PVT erleichtern. Sie sind
deshalb besonders für medizinisches, nicht ärztliches Personal bis hin zu medizinischen Laien geeignet.
Aus diesem Grund widme ich mich etwas ausführlicher ihrem Aufbau und ihrer
Funktionsweise:
Nach dem Feststellen der Pulslosigkeit und des Herz-Kreislauf-Stillstandes des
Patienten bringt der Anwender nach akustischer Aufforderung großflächige Klebeelektroden auf den Thorax auf. Je nach Gerät wird manuell oder automatisch
eine Analyse des Herzrhythmus gestartet. Während der Analyse wird eine Impedanzmessung durchgeführt, um die Elektrodenart und Elektrodenhaftung zu
bestimmen. Nach der durchgeführten Analyse fordert das Gerät den Anwender
auf, bei Vorliegen eines Kammerflimmerns oder einer ventrikulären Tachykardie
einen Stromimpuls abzugeben. Dieser Impuls wird manuell durch den Anwender
ausgelöst. Wenn kein defibrillationswürdiger Herzrhythmus vorliegt, fordert das
Gerät auf, Wiederbelebungsmaßnahmen zu starten. Nach einer Minute wird ein
erneuter Analysezyklus gestartet. AEDs überwachen kontinuierlich über die Klebeelektroden das EKG des Patienten und geben im Bedarfsfall eine Empfehlung
zur Überprüfung der Herzfrequenz oder zum Aktivieren der Analyse. Einige
Halbautomaten unterschiedlicher Hersteller besitzen keinen EKG-Monitor, so
dass eine optische Überprüfung des Herzrhythmus des Patienten nicht möglich ist.
Diese kann man nur mittels Pulskontrolle überprüfen. Der AED fordert den Anwender dazu auf.
Einige Geräte können auch als manuelle Defibrillatoren fungieren, nachdem sie
durch Schalterstellung, Passworteingabe oder Zusatzmodule freigeschaltet werden. Diese Funktion ist natürlich nur sinnvoll, wenn ein EKG-Monitoring vorhanden ist.
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 24
5.4 Analysealgorithmus von halbautomatischen
Defibrillatoren
AED besitzen eine Analyseeinheit zur Auswertung des Patienten-EKG, welches
im Bedarfsfall, also bei einer Ventrikulären Tachykardie und/oder einem Kammerflimmern, eine Defibrillation erlaubt. Diese Geräte überwachen den an den
Klebeelektroden anliegenden Widerstand, um so Artefakte des Patienten-EKG
auszuschließen. Die meisten AED untersuchen während der Analyse nach folgendem Standard das EKG des Patienten:
Zu Beginn der Analyse wird nach möglichen Störsignalen, wie z.B. Muskelartefakten oder Wechselstromüberlagerungen gesucht. Falls Störsignale vorliegen,
werden diese gegebenenfalls von verschiedenen Filtern unterdrückt. Ist dies nicht
möglich, kann keine Analyse stattfinden und somit auch kein Schock ausgelöst
werden.
Liegen keine Störsignale vor, werden 2 bis 3 EKG-Segmente über eine Dauer von
2,7 Sekunden Länge analysiert. Liegen verwertbare EKG-Segmente vor, werden
sie auf verschiedene Merkmale hin untersucht.
Herzfrequenz:
Ein Schock wird ausgelöst bei einer Herzfrequenz >120
Schlägen/Minute, einer QRS-Dauer von mind. 0,16 s und
kein Vorliegen von P-Wellen.
Amplitude:
Abmessung der Amplitudenhöhe
(1mm entspricht 0,1 mV)
Amplitudenhöhen kleiner 0,08 mV erkennt der Defibrillator
als Asystolie und empfiehlt keine Defibrillation, die obere
Grenze beträgt 8,0 mV.
Flankensteilheit:
entspricht einer Flächenberechnung der Zacken.
Durch diese Berechnung wird die Form der Kurven analysiert. Sie muss zwischen bestimmten Grenzwerten liegen.
Abbildung 8: Amplitude Frequenz Flankensteilheit, aus: www.rettung-stromberg.de
Bei allen anderen EKG-Formen wie z.B. Asystolie, Bradykardie, AV-Blöcken,
Supraventrikulären Tachykardien, Sinusrhythmus oder pulsloser elektrischer
Aktivität wird kein Schock empfohlen.
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 25
Nach den Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Frühdefibrillation Deutschland
sollten nur Halbautomaten mit einer Sensitivität von 95 % und einer Spezifität
mit 98 % zum Einsatz kommen. Ferner sollten sie das EKG des Patienten und die
Umgebungsgeräusche während des Einsatzes in Echtzeit aufzeichnen und diese
später wiedergeben können.
Diese Geräte eignen sich nicht für einen Einsatz von Kindern unter 8 Jahren oder
Personen mit einem Körpergewicht unter 35 kg.
5.5 Defibrillationserfolg
Der Defibrillationserfolg steht in engem Zusammenhang mit der Dauer des Kammerflimmerns oder der pulslosen Ventrikulären Tachykardie. Je länger ein funktioneller Herzkreislaufstillstand besteht, wird durch die zunehmende Azidose und
Hypoxie die Rückkehr zur natürlichen Automatie des Herzes erschwert. Die Erfolgsaussichten sinken mit jeder Minute, die bei einem Patienten mit Kammerflimmern oder PVT nicht defibrilliert wird. Jede Minute, die nicht defibrilliert
wird, sinkt die Überlebenschance linear um ca. 7-10 %. Beginnend bei einer
Überlebenschance von ca. 90 % in der 1. Minute, 50 % in der 5. Minute und ca.
10 % nach 10 Minuten. Auch mit einer suffizient durchgeführten Herz-LungenWiederbelebung kann man bei bestehendem Kammerflimmern keinen Patienten
therapieren, sondern nur die Zeit verlängern, bis das Kammerflimmern in die
prognostisch schlechtere Asystolie übergeht.9
Wie schon vorher beschrieben, stellt die Defibrillation die einzige kausale Therapie des Kammerflimmerns oder PVT dar. Dies verdeutlicht die folgende Abbildung:
Abbildung 9:
Reanimations-Erfolg über die Zeit
bis zur Defibrillation,
aus: www.resuscitation.ch
Die frühestmögliche Defibrillation gilt somit als Goldstandard.
9
vgl. Larsen / Eisenberg / Cummins / Hallstrom, 1993
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 26
5.6 Wissenschaftliche Basis der Defibrillation /
Frühdefibrillation
„Evidence-based-medicine [wörtliche Übersetzung: „auf Beweisen fundierte Medizin“] bemüht sich um eine kontinuierliche, kritische Überprüfung der wissenschaftlichen Grundlagen medizinischen Handelns, Lehrens und Forschens mit
dem Ziel, die Basis der aktuell besten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu nutzen
und Ansätze für notwendige neue Forschungsvorhaben zu erarbeiten. EBM wird
als Antipode zu „opinion-based-medicine“ verwendet. Sie bezeichnet die Übernahme von Autoritätsmeinungen.“10 Den ermittelten Therapieverfahren werden
theoretische Erklärungsmodelle, individuelle Erfahrungen und wissenschaftliche
Studien zu Grunde gelegt.
Im August 2000 hat die American Heart Assosciation (AHA) in enger Zusammenarbeit mit der International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR) die
„Guidelines 2000 for Cardiopulmonary Resuscitation and Emergency Cardiac
Care“ veröffentlicht. Diese „Guidelines“ sind die ersten international einheitlichen
auf einem breiten Konsens und auf der Evidence based medicine aufbauenden
Empfehlungen für die Reanimation. Die einzelnen Empfehlungen sind nach ihrem
wissenschaftlichen Evidenzniveau klassifiziert:
Klasse 1
gesicherte Empfehlung,
exzellente Evidence
immer akzeptabel, sicher wirksam
gutes bis sehr gutes Evidenzniveau
Klasse 2a
akzeptabel und sinnvoll
„Therapie der Wahl“
Klasse 2b
mittleres bis gutes Evidenzniveau
akzeptabel und sinnvoll
„Therapieoption“
„unbestimmbar“; keine Empfehlung, da aufgrund der vorliegenden Ergebnisse das Evidenzniveau derzeit nicht beurteilbar ist
nicht akzeptabel, nicht wirksam und möglicherweise schädlich
Leitlinien zur CPR 2000; veröffentlicht durch ANR Arbeitskreis Notfallmedizin und Rettungswesen der Ludwig-Maximilian Universität München
Klasse „Indeterminate“
Klasse 3
Tabelle:
10
vgl. Lackner / Lewan / Kerkmann, 1998
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 27
Als ausdrückliche Basismaßnahme in der Notfallversorgung wird die Anwendung
von halbautomatischen Defibrillatoren bei tachykarden, funktionellen HerzKreislaufstillständen angesehen, auch in der Anwendung durch „Laien“. Durch
die strenge zeitliche Abhängigkeit der Überlebenschancen bei Kammerflimmern
und PVT werden erhöhte Anforderungen an das Hilfeleistungssystem geknüpft
und eine Verbreitung von AED und die Anwendung von First Respondern im
weiteren Sinne aufgezeigt. Die Anwendung von AEDs gilt präklinisch als Klasse
2b Maßnahme und innerklinisch werden Frühdefibrillations-Programme als Klasse 2a Maßnahme eingestuft. Präklinisch wird eine Defibrillation innerhalb von
5 Minuten angestrebt, innerklinisch soll jeder Patient innerhalb von 3 Minuten
defibrilliert werden.11
Diese Zeiten begründen sich auf eine Studie, die einen besonderen Stellenwert in
der „Public Access Defibrillation“ (PAD) erlangt hat. Public Access Defibrillation
bedeutet, dass Laien im Umgang mit halbautomatischen Defibrillatoren geschult
werden und somit frühzeitig dem „plötzlichen Herztod“ entgegenwirken. Im
Rahmen der „Casino“-Studie von TD Valenzuela wurde das Sicherheitspersonal
von Casinos in mehreren amerikanischen Städten (z.B. Las Vegas) in der Anwendung von AEDs geschult. Durch die vorhandene Videokameraüberwachung konnte bei einem Großteil der Patienten eine exakte Fallanalyse vom Kollaps des Patienten bis zum Einsetzen einzelner Therapiemaßnahmen (z.B. Basisreanimation,
Defibrillation) durchgeführt werden.12 Das Ergebnis der Studie ist beeindruckend.
Von den Patienten bei denen im Durchschnitt die erste Defibrillation nach ca.
4,4 Minuten abgegeben wurde, überlebten 49 %. Patienten, bei denen der erste
Elektroschock schon nach weniger als 3 Minuten abgegeben wurde, überlebten
74 %. Die Ergebnisse zeigen, welch großer Anteil von Patienten mit plötzlichem
Herztod potentiell wieder belebbar ist. Die Studie ist zwar an einem lokal sehr
begrenztem Ort durchgeführt worden, mit Schulung des angestellten Personals,
doch würde man diese Rahmenbedingungen auch im Krankenhaus wiederfinden.
Diese Studie gibt eine Hilfestellung, wie Einsatzstrategien für Frühdefibrillationsprogramme geplant werden sollten, damit möglichst Defibrillationszeiten von
unter 3 Minuten erreicht werden könnten. Zu diesem Thema sind noch mehr Studien durchgeführt worden, die alle zu ähnlichen Ergebnissen führten.
11
12
vgl. Schnelle, 2002
vgl. Valenzuela u.a., 2000
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 28
Abbildung 10: Zeitzusammenhang Kollaps – Defibrillation, aus: Valenzuela, 2000
5.7 Geschichte der Frühdefibrillation
Da es den Notärzten in der Regel nicht möglich ist, die oben genannten wünschenswerten Einsatzzeiten zu erreichen, begann man schon zu Beginn der achtziger Jahre, in Pilotprojekten Rettungsdienstpersonal und Feuerwehrmänner in der
EKG-Rhythmusdiagnostik und der Defibrillation zu schulen. Zeitgleich wurden
z.B. auch Feuerwehrmänner zu medizinischen Notfällen ausgesandt, wenn man
sich davon einen zeitlichen Vorteil versprach (First Responder).
In den USA konnte durch Studien gezeigt werden, dass diese Maßnahmen eine
Steigerung der Überlebensrate von 12 % auf 26 % zur Folge hatten.13
Durch die technische Entwicklung der automatischen EKG-Rhythmusanalyse von
halbautomatischen Defibrillatoren konnte man die Defibrillation auch auf nicht
ärztliches Personal ausdehnen und Rettungsdienstmitarbeiter und First Responder
in der Anwendung der AEDs schulen. In den USA sind mittlerweile viele AEDs
im öffentlichen Leben etabliert. Man findet sie in öffentlichen Einrichtungen,
Kaufhäusern, Flughäfen, Sportstätten usw.
Auch in Deutschland finden zunehmend mehr AEDs in der Öffentlichkeit Platz.
Hier nur einige Beispiele:
•
Der Landtag von Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf ist mit mehreren
Halbautomaten ausgestattet worden, und die Mitarbeiter sind in der Anwendung des Gerätes geschult worden.
•
Der Flughafen Frankfurt-Main ist für eine neue Frühdefibrillationsstudie
komplett mit halbautomatischen Defibrillatoren ausgestattet worden.
•
13
die U-Bahnhöfe in München
vgl. Eisenberg u.a., 1980
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
•
Arena auf Schalke
•
Stadthaus Münster 1 und 2, usw.
Seite 29
6. Frühdefibrillation im Krankenhaus
Gerade im Krankenhaus findet man ein erhöhtes Potential an Patienten, die am
plötzlichen Herztod erkranken können (siehe Risikofaktoren, S 18). Nirgendwo
sonst findet man so viele ältere, evtl. schon kardial vorbelastete Patienten an einem Ort, die sich im Krankenhaus vielleicht auch noch in einer Stresssituation
befinden. Daher ist es verwunderlich, dass es für Krankenhäuser keine Verpflichtung zur Frühdefibrillation gibt. Diesen Service/Standard sollte man seinen Patienten genauso bieten, wie z.B. jegliche andere optimale Patientenversorgung oder
ein Zimmer mit eigenem WC und Dusche. Die „Björn-Steiger-Stiftung“ ruft auf
ihrer gleichnamigen Internetseite sogar Patienten dazu auf, sich vom Krankenhaus
schriftlich bestätigen zu lassen, dass sie zu jeder Zeit an jedem Ort nach einem
plötzlichen Herzversagen innerhalb von drei Minuten reanimiert werden können.
6.1 Konzepte im Krankenhaus
Um eine flächendeckende Frühdefibrillation im Krankenhaus einzuführen, ist es
notwendig, Krankenschwestern und -pfleger nicht nur in der Herz-LungenWiederbelebung zu schulen, sondern auch in der Defibrillation. Durch die Anwesenheit dieser Berufsgruppe in fast allen Teilen des Krankenhauses ist sie prädestiniert für die Anwendung dieser Maßnahme. Vor allem in dezentralen Bereichen
einer Klinik ist eine Anschaffung von halbautomatischen Defibrillatoren sinnvoll.
Natürlich kann man auch, wie schon in anderen öffentlichen Bereichen des Lebens geschehen (z.B. Landtag NRW), andere im Krankenhaus angesiedelte Berufsgruppen (Physiotherapeuten, medizinisch-technische Assistenten, Verwaltungsangestellte, usw.) in der Reanimation und Anwendung von solchen Geräten
schulen. Die Anwendung der Defibrillation durch nichtärztliches Personal oder
medizinische Laien ist aber nur dann möglich, wenn halbautomatische Defibrillatoren vorhanden sind. Der Vorteil und die Einsatzmöglichkeiten dieser Geräte
sind bereits ausreichend beschrieben worden. Die Frühdefibrillation ist natürlich
immer nur im Zusammenhang mit einem bereits im Krankenhaus etablierten Notfallsystem zu sehen. Sie dient somit als Ergänzung und kann im besten Fall einen
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 30
Zeitvorteil für den Patienten darstellen, bis das im Krankenhaus vorhandene Notfallteam vor Ort ist.
Selbst die Bundesärztekammer empfiehlt in einer Stellungnahme vom 04.05.2001
im Deutschen Ärzteblatt:
„Erfahrungsberichte aus aller Welt haben gezeigt, dass
1. medizinische Laien nach entsprechender Unterweisung im Rahmen der
Reanimation die automatisierte externe Defibrillation sicher und erfolgreich durchführen können,
2. die Überlebensrate dadurch erheblich gesteigert werden kann.
Die Defibrillation durch Laien ersetzt nicht die Aufgaben des Rettungsdienstes.
Sie verkürzt die Zeitspanne zwischen Auftreten des Kammerflimmerns und der
Defibrillation und erhöht dadurch die Überlebenswahrscheinlichkeit.“
6.2 Ausbildung des Krankenhauspersonals
Laut Krankenpflegegesetz § 4 Abs. 5 ergibt sich die rechtliche Verpflichtung,
dass jeder, der die Berufsbezeichnung Krankenschwester, Krankenpfleger führt,
lebensrettende Sofortmaßnahmen bis zum Eintreffen des Arztes einleiten und diese Maßnahmen korrekt durchführen kann. Vor dem Hintergrund der schon in der
Einleitung erwähnten z.T. vorhandenen Defizite des Krankenpflegepersonals, aber
auch der Ärzteschaft in der kardiopulmonalen Reanimation, ist ein umfassendes
Ausbildungs- und Schulungsprogramm vonnöten. Inhalte der Ausbildung sollten
als Basis für alle Teilnehmer die kardiopulmonale Reanimation sein sowie die
Einbindung eines AED in den Ablauf der Reanimation. Weiterhin können je nach
Ausbildungsstand der Teilnehmer der verschiedenen Schulungen (Mitarbeiter der
Intensiv- und Observationsstationen) auch erweiterte Maßnahmen der Reanimation (z.B. die Intubation) geübt werden. Anhand eines Schaubildes möchte ich eine
Möglichkeit der Einbindung eines AED in den Reanimationsablauf vorstellen
(s. Abb. 11).
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Abbildung 11: Modularer, farbkodierter ANR-Algorithmus, aus: www.anr.de
Seite 31
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 32
Die Bundesärztekammer hat sich „hinsichtlich der Mindestanforderung an die
Aus- und Fortbildung von Ersthelfern in der Frühdefibrillation von Beginn an für
die Vorgaben des European Resuscitation Council ausgesprochen. Diese sehen ein
„Initial training in resuscitation involving AEDs“ von acht Stunden und ein
„Refresher training“ von zwei Stunden wenigstens alle sechs Monate vor. Die
Bundesarbeitsgemeinschaft Erste Hilfe hat demgegenüber etwas modifizierte
Mindestanforderungen formuliert (initial sieben Stunden und einmal jährlich vier
Stunden Auffrischung), die ebenfalls mitgetragen werden können.
„Abschließend soll laut Empfehlung der Bundesarbeitsgemeinschaft Erste Hilfe
eine Lernzielkontrolle praktisch und theoretisch erfolgen.“14
Gegen „Kurzkurse“ in die Anwendung des AED spricht sich die Bundesärztekammer aus, „da die Ausbildung neben der Gewähr für eine sachgerechte Handhabung des Defibrillators auch die Maßnahmen der kardiopulmonalen Reanimation vermitteln muss. Die Frühdefibrillation stellt zwar einen bedeutenden Teilaspekt bei der Wiederherstellung der vitalen Funktionen dar, jedoch sind auch die
übrigen Maßnahmen der kardiopulmonalen Reanimation lebenswichtig. Die
Behandlungsmaßnahmen entfalten ihren Wert sehr wesentlich durch ihr Zusammenwirken.“15
Hinsichtlich der ärztlichen Verantwortung für die Aus- und Fortbildung von
Nichtärzten in der Frühdefibrillation und der Qualitätsanforderungen für den ärztlichen Ausbilder ist zu beachten:
„Die Frühdefibrillation muss hinsichtlich der Aus- und Fortbildung, Kontrolle und
Nachbereitung unter ärztlicher Leitung stehen. Die Aus- und Fortbildung von
Ersthelfern in der Frühdefibrillation muss unter ärztlicher Weisung erfolgen.
Aufgaben des ärztlichen Ausbilders sind:
•
Überwachung der Aus- und Fortbildung
•
Kontrolle und Nachbereitung jedes Einsatzes eines Defibrillators durch
nicht ärztliches Personal
•
regelmäßige Berichterstattung an den Träger des Aus- bzw. Fortbildungsprogrammes
Für diese Aufgaben muss der ärztliche Ausbilder folgende Qualifikationen besitzen:
14
15
Hübner 2003, S. 456-457
Hensel 2002, S. A-476 – A-477
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Seite 33
Er muss notfallmedizinisch qualifizierte(r) Arzt/Ärztin mit Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten in der Reanimation einschließlich Defibrillation besitzen.
Er soll Erfahrungen in der Durchführung von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen
haben.
Die Empfehlungen für die Wiederbelebung des „Deutschen Beirates für Erste
Hilfe und Wiederbelebung-German Resuscitation Council“ sollten entsprochen
werden.“16
6.3 Rechtliche Aspekte
„Die Rechtssicherheit des Helfers in der Not erwächst daraus, dass zur Rechtfertigung der Rettungsmaßnahme eine mindestens mutmaßliche Einwilligung des
Opfers in die mit einer Defibrillation tatbestandlich vorliegende Körperverletzung
angenommen werden kann. Rechtswidrig bleibt die Handlung jedoch dann, wenn
die helfende Person („der Täter“) riskante, insbesondere grob sorgfaltswidrige
Handlungen vornimmt, die durch die Einwilligung nicht gedeckt sind. Eine Verletzung beziehungsweise Schaden wäre dann nicht mehr die Folge der Einwilligung in ein gerechtfertigtes Risiko, sondern die Folge einer Sorgfaltspflichtverletzung.“
Das Bundesministerium der Justiz führt dazu aus:
„Entscheidend ist damit immer, ob das Risiko bei Einsatz der Geräte in der konkreten Rettungssituation in einem angemessenen Verhältnis zu den Rettungschancen steht und der Einsatz sorgfältig durchgeführt wurde.“17
Um einen AED im Krankenhaus bedienen zu dürfen, muss man eine technische
Einweisung auf das vorhandene Gerät bekommen.
„Voraussetzung für die Anwendung eines AED ist eine Ausbildung gemäß § 14
und § 37 Abs. 5 Medizinproduktegesetz (MPG) in Verbindung mit § 2 Abs. 2 und
4 und § 5 Abs. 2 Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV), um die
Rechtswidrigkeit der Körperverletzung zu rechtfertigen und den Bestimmungen
des
Medizinproduktegesetzes
in
Verbindung
mit
der
Medizinprodukte-
Betreiberverordnung, der diese Geräte unterliegen, zu entsprechen.“18
In der
Fachzeitschrift „Die Schwester/der Pfleger“ (Heft 03/06; Seite 453) ist ein interessanter Artikel zum Thema „Frühdefibrillation im Krankenhaus“ mit einer An-
16
Bundesärztekammer 2001, Deutsches Ärzteblatt 98, S. 18
Hensel 2002, S. A-476 – A-477
18
Bundesärztekammer 2001, Deutsches Ärzteblatt 98, S. 18
17
K. Taubken
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frage eines Chefarztes zu lesen. Diese bezieht sich auf die Bedienung eines halbautomatischen Defibrillators durch Krankenpflegepersonal. Die dortige Pflegedienstleitung vertritt die Meinung, dass das „Krankenpflegepersonal trotz einer
Einweisung ein solches Gerät nicht bedienen müsse, da sie keine Ärzte wären,
insbesondere glauben einige Schwestern und Pfleger, dass diese Maßnahme ausschließlich Aufgabe des Arztes sei.“ Aus der Stellungnahme des Rechtsanwalts
Dr. Wolfgang Bruns, Stuttgart, geht folgendes hervor:
„Eine Krankenschwester oder ein Krankenpfleger, die sich weigern würden, im
Notfall – auch unter Einsatz eines automatischen Defibrillators – zu helfen, würde
sich nicht nur wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c St GB), sondern auch
wegen Körperverletzung durch Unterlassen (§§ 223, 13 StGB), ggf. auch wegen
Totschlags durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) strafbar machen.“
Durch häufige Trainingsmaßnahmen sollten die Widerstände und Abwehrhaltungen der Schwestern und Pfleger abgebaut werden, um so die nötige Sicherheit in
der Anwendung dieser Geräte zu erlangen. Ziel dieser Maßnahme soll es sein, die
Überlebenschancen des Patienten zu erhöhen.
6.4 Einführung eines Frühdefibrillationsprogramms in einem Krankenhaus
Zuerst müssen Gefahrenschwerpunkte ermittelt werden, an denen nicht innerhalb
von drei Minuten durch Eintreffen eines Notfallteams ein Elektroschock bei Vorliegen eines Kammerflimmerns abgegeben werden kann.
Ein Finanzierungskonzept für die Anschaffung von halbautomatischen Defibrillatoren muss aufgestellt werden. Interessant zu wissen ist hierbei, dass die „BjörnSteiger-Stiftung“ aufgrund einer Bürgschaft gegenüber den Geräteherstellern die
Preise in Deutschland generell bis zu 50 % gegenüber den restlichen Staaten der
Europäischen Union oder den US-Preisen senken konnte, um möglichst eine Vielzahl von Frühdefibrillationsprogrammen in Deutschland zu implementieren (Anschaffungskosten eines Lifepak®500: ca. 1800 €).
Bei der Auswahl eines AEDs sollte darauf geachtet werden, dass die AEDs mit
bereits im Krankenhaus vorhandenen Defibrillatoren kompatibel sind, also vom
gleichen Hersteller stammen. So können z.B. die Kosten für die Anschaffung verschiedener Klebeelektroden entfallen oder gleiche Akkus/Batterien können verwendet werden. Die Geräte sollten ohne externe Stromversorgung auskommen,
möglichst wartungsarm und ständig einsatzbereit sein.
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Frühdefibrillation im klinischen Bereich
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Ein Ausbildungs- und Schulungsprogramm mit den bisherigen Schwerpunkten der
kardiopulmunalen Reanimation muss um die Anwendung von AEDs im Rahmen
der Reanimation erweitert werden.
Bisher noch nicht ausgebildete Zielgruppen müssen in der Reanimation und der
Anwendung von halbautomatischen Defibrillatoren geschult werden (Physiotherapeuten, medizinisch-technische Assistenten, Verwaltungsangestellte, Reinigungspersonal und sonstige Mitarbeiter).
Jährliche Auffrischungskurse sollten installiert werden. Eine ärztliche Fachaufsicht sollte vorhanden sein.
Nach jedem Einsatz eines AEDs sollte im Rahmen eines Qualitätsmanagementprogramms gemeinsam mit der ärztlichen Fachaufsicht der Einsatz analysiert
werden. Gerade nach erfolglosen Einsätzen des AEDs ist eine Aufarbeitung der
Situation notwendig, um die gemachten Erfahrungen zu verarbeiten und
Versagens- und Schuldgefühlen vorzubeugen.
6.4.1 Umsetzung eines Frühdefibrillationskonzeptes
in den Kliniken St. Antonius in Wuppertal
Die Kliniken St. Antonius Wuppertal bestehen aus einem Klinikenverbund. Bestandteile sind die Klinik Vogelsangstraße (186 Betten), das Marienheim (113
Betten), das Petrus-Krankenhaus (312 Betten), eine Reha-Klinik (92 Betten) und
eine Tagesklinik (15 Betten) sowie drei Krankenhäuser außerhalb Wuppertals.
Diese Kliniken entschlossen sich zu einem Aktionsplan „Frühdefibrillation im Krankenhaus“,
weil nach den Reanimationsempfehlungen der
AHA von 2000 die Installation von „Schockboxen“ nahe gelegt wird, da sich im Krankenhaus
unter den Patienten und evtl. auch Besuchern Personen mit deutlich erhöhtem Herztodrisiko häufiger als an anderen Orten aufhalten. Nach der Entscheidung für ein AED-Modell wurden diese in
mit Glastüren versehenen Schutzkästen auf jeder
Ebene der Krankenhäuser angebracht. Diese
Abbildung 12:
Beispiel eines Notfallpunktes
mit Defibrillator im St. JosefHospital der Ruhr Universität
Bochum, aus: Präsentation des
St. Josef-Hospitals, Bochum
Schutzkästen sind schlüssellos zu öffnen und geben nach Entnahme des Gerätes einen Dauerton
ab.
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Zeitgleich wurden Pflegekräfte, Medizinisch-Technisches Personal und Physiotherapeuten sowie Ärzte in der kardiopulmonalen Reanimation und in der Anwendung der AEDs geschult. Es fanden halbjährliche verpflichtende Wiederholungsschulungen und zeitnahe Nachbesprechungen nach Einsätzen des Gerätes
statt. Jede Station wurde mit einer Verfahrensanweisung zu diesem Thema, einem
Algorithmus sowie einem Lageplan der AEDs im Haus ausgestattet.
Nach den Schulungen wurden anonyme Beurteilungsbögen ausgefüllt, die zu
Verbesserungsvorschlägen führen sollten. Um die Lernerfolge der Teilnehmer zu
verbessern, wurden simulierte, unangekündigte Notfallsituationen auf der Station,
im Aufenthaltsraum oder im Sanitärräumen durchgeführt. Der Gesamtablauf der
Übungen wurde anhand eines Punktesystems bewertet. Anschließend folgte eine
direkte Nachbesprechung mit allen Beteiligten. Fehler und Probleme wurden
transparent gemacht, Verständnisprobleme, die während der Schulungen auftraten, konnten ausgeräumt werden und im nächsten Unterricht speziell behandelt
werden. Die Vergleichswerte der Beurteilungsprotokolle wiesen innerhalb eines
Jahres deutliche Verbesserungen im zeitlichen Ablauf der Reanimation auf, so
dass in den meisten Fällen die geforderte Hilfsfrist von drei Minuten deutlich
unterschritten werden konnte. Bis Januar 2003 kam es zu fünfzehn Notfalleinsätzen der Geräte. In sieben Fällen lag ein defibrillationswürdiger Rhythmus vor.
Vier Patienten überlebten das Ereignis nicht, drei Patienten konnten nach der Anwendung des AED das Krankenhaus ohne neurologische Defizite verlassen. Weitere erfolgreiche Einsätze des AEDs waren in der Notaufnahme und dem Aufwachraum zu verzeichnen.
In diesem Fall kann man eine erfolgreiche Implementierung eines Frühdefibrillationsprogramms in einem Krankenhaus sehen. Vor allem die konsequente und auf
Evaluation basierende Schulung aller Anwendergruppen hat hier zum Erfolg geführt.
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6.4.2 Umsetzungsstand in der Uniklinik Münster
(UKM)
Eine ähnlich konsequente Einführung eines Defibrillationskonzeptes wie im vorigen Beispiel beschrieben gibt es in der Uniklinik Münster noch nicht.
Derzeit gibt es für alle pflegerischen Mitarbeiter ein CPR-Schulungsprogramm,
für Mitarbeiter der Intensivstationen und der Intensivobservationsstationen wird
ein Megacode-Training mit der Anwendung eines manuellen Defibrillators angeboten. Im Frühjahr 2004 wurden mit Einführung der Observationszimmer auf
mehreren Ebenen des Ost- und Westturms halbautomatische Defibrillatoren
(Lifepak®500) angeschafft. Vor allem auf den kardiologischen Stationen 15 B Ost
und 17 B Ost ist dies äußerst sinnvoll, da dort die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Patienten mit Kammerflimmern hoch ist. Auch in anderen Bereichen
des UKM sind AEDs angeschafft worden, wie z.B. in der Zahnklinik, der technischen Orthopädie, der Augenklinik, der Lungenfunktionsabteilung und auf dem
Löschfahrzeug der Werksfeuerwehr des UKM.
Da zur Zeit die finanziellen Mittel zur Anschaffung weiterer Geräte knapp bemessen sind, muss die Ausweitung eines flächendeckenden Defibrillationskonzeptes
leider noch zurückstehen. Weitere sinnvolle Standorte für einen AED wären z.B.
die Hals-Nasen-Ohren-Klinik, die Psychiatrie, die Hautklinik, die Personalkantine, die Zentralküche, Wäscherei und natürlich die Besucherbereiche auf den Ebenen 03 bis 05.
Leider hat der Personenkreis, der derzeit mit den Geräten arbeiten kann, bisher
nur eine Einweisung in die Geräte nach MPG erhalten und noch keine umfassende
Schulung in Kombination mit der Reanimation. Zur Zeit ist noch keine Reanimationsschulung mit Anwendung des AEDs durchgeführt worden.
Auswertungen liegen seit Anschaffung der Geräte noch nicht vor. Aus einzelnen
Berichten kann jedoch abgeleitet werden, dass die Geräte bereits erfolgreich eingesetzt wurden. Bekannt ist z.B. der Fall eines Patienten, der vor einem Aufzug
erfolgreich defibrilliert wurde. Weitere Berichte und Auswertungen bleiben abzuwarten.
K. Taubken
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7. Fazit
Die vorliegenden nationalen und internationalen Studien und Konzepte zur Frühdefibrillation lassen eindrucksvoll erkennen, wie sinnvoll eine möglichst weite
Verbreitung der Geräte und eine möglichst gute Fortbildung der potentiellen Anwender ist. Gerade im Krankenhaus erwarten Patienten und Öffentlichkeit professionelle und schnelle Hilfe im Notfall und ein höchstes Maß an Sicherheit. Dies
kann nur durch gut geplante und konsequent durchgeführte FrühdefibrillationsProgramme gewährleistet werden.
Der Weg zum sogenannten „Heart-Safe-Hospital“, in dem jeder Patient innerhalb
von drei Minuten nach Eintritt eines funktionellen Herz-Kreislauf-Stillstandes
defibrilliert werden kann, scheint in einigen Kliniken bereits umgesetzt worden zu
sein. Für die Uniklinik Münster sind erste Schritte eingeleitet worden, ein umfassendes Konzept steht jedoch noch aus.
Ob ein funktionierendes Defibrillationskonzept vorhanden ist oder nicht, könnte
in Zukunft auch zum Wettbewerbs- und Imagefaktor zwischen einzelnen Krankenhäusern werden, da das Thema in der Öffentlichkeit zunehmend bekannter
wird.
Die Beobachtung der weiteren Entwicklung der Frühdefibrillation scheint interessant und lohnenswert zu sein. Weitere Studien, z.B. der Deutschen Herzstiftung
zur Frühdefibrillation auf dem Frankfurter Flughafen, und Erfahrungsberichte aus
anderen Krankenhäusern können in Zukunft weitere Impulse für die Einführung
der Frühdefibrillation im Krankenhaus geben.
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
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8. Literaturverzeichnis
Bundesärztekammer: Empfehlung der Bundesärztekammer zur Defibrillation mit
automatisierten externen Defibrillatoren (AED) durch Laien. Deutsches Ärzteblatt
98 / 2001
Bundesärztekammer: Stellungnahme der Bundesärztekammer zur ärztlichen Verantwortung für die Aus- und Fortbildung von Nichtärzten in der Frühdefibrillation. Deutsches Ärzteblatt 98 / 2001, S. 18. aktualisiert in: Deutsches Ärzteblatt
100, 2003, S. 51-52
Eisenberg MS, u.a.: Treatment of out-of-hospital cardiac arrests with rapid
defibrillation by emergency medical technicans. New England Journal of
Medicine 1980, 302: 1379
Hensel, Franz J.: Frühdefibrillation durch medizinische Laien. Deutsches Ärzteblatt 99 / 2002, S. A-476 – A-477
Hübner, Axel: Frühdefibrillation – ein Thema für die Pflege. Pflege aktuell 09 /
2003, S. 456-457
Lackner, Chr. K., Lewan, U. M., Kerkmann, R., Peter, K.: Notfall & Rettungsmedizin 1998
Larsen MP, Eisenberg MS, Cummins RO, Hallstrom AP: Predicting Survival
from Out-of-hospital Cardiac Arrest. A Graphic Model. Annuals Emergency
Medical 1993
Nordmeyer, Schuhmann, Müller: Modell einer interdisziplinären Reanimationsschulung. In: Notfälle im Krankenhaus. Erlangen 1990
Pschyrembel, Willibald (Hrsg.): Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch, 257. Auflage, Berlin, New York 1994
Schnelle, R.: Kardiopulmonale Reanimation. Stuttgart 2002. aus: www.malteserstuttgart.de
Stierle, U., Niederstadt, C.: Klinikleitfaden Kardiologie. Lübeck, Stuttgart, Jena,
Ulm 1997
Valenzuela, Terence D. u.a.: Outcomes of Rapid Defibrillation by Security
Officers after Cardiac Arrest in Casinos. The New England Journal of Medicine
2000
v. Brandis, Schönberger: Anatomie und Physiologie für Krankenschwestern sowie
andere medizinische und pharmazeutische Fachberufe. Stuttgart, Jena, New York
1991
K. Taubken
Frühdefibrillation im klinischen Bereich
Internetseiten:
www.aed-bayern.de
www.anr.de
www.fh-muenchen.de
www.forum-intensivpflege.de
www.grundkurs-ekg.de
www.narkosearzt-hamburg.de
www.resuscitation.ch
www.rettung-stromberg.de
Bildnachweis Titelseite: Fa. Medtronic
Seite 40
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