Begleitmaterial für Pädagogen

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Material zur Vor - und Nachbereitung
Außer Kontrolle: CARMEN
von Brigitta Gillessen und Michael Hönes
nach Georges Bizet
Herausgegeben von:
Theater Dortmund / Kinder- und Jugendtheater und Junge Oper
Erika Schmidt-Sulaimon, Heike Buderus, Ilona Seippel-Schipper, Isabel Stahl,
Gabriela Raaflaub (Theaterpädagogik/Dramaturgie)
Spielzeit 2013 / 2014
www.theaterdo.de
Theater Dortmund 2013/2014
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Außer Kontrolle: Carmen
Inhaltsverzeichnis
Begrüßung und Hinweise für den Vorstellungsbesuch
Stückinfo
Der Komponist Georges Bizet
Interview mit der Regisseurin
Die Novelle „Carmen“
Habanera
Notenbeispiel
Rap: „Du musst dich entscheiden, José“
Frauen-Drogenhandel-Mafia
Praktischer Teil zur Vor- und Nachbereitung
Spiele zu Status und Sprache
Arbeitsblatt: L’amour – Fragen zur Liebe
Arbeitsblatt: Carmens Lied
Literaturhinweise
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Begrüßung und Hinweise für den Vorstellungsbesuch
Liebe Pädagoginnen und Pädagogen,
schön, dass Sie sich für die Produktion „Außer Kontrolle: Carmen“ interessieren.
Diese Materialien sollen Ihnen Anregungen und Tipps zur Vor- und Nachbereitung
des Stückbesuchs mit Ihrer Gruppe bieten.
Wir freuen uns immer über Feedback, sei es zur Inszenierung oder zu diesen
Materialien. Schreiben Sie uns mit Ihren Schülern einfach eine E-Mail an
[email protected] oder [email protected].
Vorab möchten wir ihnen einige Hinweise mit auf den Weg geben, die Ihnen und uns
den Theaterbesuch verschönern und vereinfachen sollen:
Ankunft im Theater:
Das Kinder- und Jugendtheater ist zwar eine Sparte des großen Theater
Dortmund, hat aber eine externe Spielstätte in der Sckellstr. 5-7, Dortmund
Hörde. Es empfiehlt sich, 15 – 20 Minuten vor Beginn der Vorstellung im Theater
zu sein, damit genug Zeit ist, Jacken und Taschen an die Garderobenständer im
Untergeschoß zu hängen. Sie dürfen nicht mit in den Theatersaal genommen
werden.
Einlass:
Ca. 5 Minuten vor Vorstellungsbeginn gongt es, dann gehen alle in den
Theatersaal, am Eingang werden die Karten kontrolliert. Es gibt keine
nummerierten Sitzplätze, sondern Sitzreihen, die lückenlos besetzt werden.
Die Schauspieler, SängerInnen, MusikerInnen, TänzerInnen und alle, die an der
Produktion beteiligt sind, tun alles dafür, dass Ihr Ausflug ins Theater zu einem
gelungenen Erlebnis wird. Doch auch die Zuschauer müssen etwas zum Gelingen
beitragen. Gerade Jugendliche, die selten oder nie ins Theater kommen, wissen oft
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Außer Kontrolle: Carmen
nicht, was im Theater erlaubt ist und was nicht. Dabei ist es eigentlich ganz einfach,
sich im Theater so zu verhalten, dass alle auf ihre Kosten kommen.
Wir möchten Sie deshalb darum bitten, mit den SuS über die Besonderheiten eines
Besuchs im Theater zu sprechen und Ihnen die Verhaltensregeln zu vermitteln:
1. Während der Vorstellung: Respekt
Anders als im Kino, wo das Erleben einseitig in den Zuschauersitzen stattfindet,
lebt eine Theatervorstellung von der Kommunikation zwischen den Akteuren auf
der Bühne und Publikum. Die Künstler nehmen ihr Publikum sehr genau wahr und
müssen bei jeder Vorstellung auf Lacher, Zwischenapplaus und anderer
Reaktionen spontan reagieren. Gespräche mit dem Nachbarn, das Spiel mit dem
Handy oder gar ein Telefonklingeln, eine raschelnde Bonbontüte oder KaugummiKauen können eine Vorstellung erheblich stören. Deshalb braucht es Respekt auf
Seiten des Publikums. Wer die Arbeit der Schauspieler und Sänger respektiert,
redet, trinkt, isst und telefoniert vor oder nach der Vorstellung und verlässt den
Zuschauerraum während der Vorstellung nur im Notfall.
Handys, I-Phones, MP3-Player und sonstige elektronische Geräte müssen ganz
ausgeschaltet werden.
2. und am Ende: Applaus!
Am Ende der Vorstellung verbeugen sich die Künstler. Das Publikum applaudiert.
Mit dem Applaus zeigt man, dass man den Einsatz der Schauspieler wertschätzt.
Man sagt: Der Applaus ist das Brot des Künstlers. D.h. auch wenn
einem die Aufführung in Teilen nicht gefallen hat, spendet man Applaus. Natürlich
kann man mehr oder weniger begeistert in die Hände klatschen, aber gar nicht zu
klatschen ist respektlos.
Unsere SchauspielerInnen und SängerInnen stehen gerne für ein Nachgespräch im
Anschluss an die Vorstellung zur Verfügung. Bei Interesse schicken Sie bitte eine
Anfrage an [email protected]. Auch bei weiteren Fragen,
Anmerkungen und Wünschen rund um das Theater und die Oper stehen wir gerne
zur Verfügung.
Tipp: Auf der Homepage des Theaters unter www.theaterdo.de kann man sich einen
kurzen Videotrailer zu „Außer Kontrolle: Carmen“ anschauen und bekommt so vorab
eine kleine Kostprobe.
Herzliche Grüße und einen schönen Musik-Theaterbesuch wünschen
Erika Schmidt-Sulaimon & Heike Buderus, Ilona Seippel-Schipper, Isabel Stahl
(Theaterpädagogik, Dramaturgie)
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Außer Kontrolle: Carmen
Stückinfo
Außer Kontrolle: Carmen!
Ein Musik-Theaterprojekt nach Georges Bizets Carmen
von Brigitta Gillessen und Michael Hönes
Koproduktion des KJT Dortmund mit der Jungen Oper Dortmund
ab 14 Jahren
Premiere am 28.03.2014 im KJT Sckellstraße
Carmen ist schön, Carmen ist stark, und José verliebt sich in sie. Als sie wegen
Drogen mit der Polizei in Konflikt gerät, ergreift der Polizist José ihre Partei und lässt
die belastenden Beweismittel verschwinden. Das kostet ihn den Job und die Liebe
Micaelas, seiner Frau. Als er nur noch seine Leidenschaft zu Carmen hat, muss er
feststellen, dass sich Liebe nicht zwingen lässt, schon gar nicht bei Carmen. Die hat
sich inzwischen in den Superhelden Escamillo verliebt und findet José nur noch
lästig. Da gerät die Situation außer Kontrolle.
Die Szenenfolge nach Carmen vereint die bekannten Arien mit Musik von „Der Wolf“
(Jens Albert) und Timo Gilenberg. Sie haben aus Bizets Musik Raps komponiert, die
die Geschichte um eine glühende Leidenschaft in eine heutige musikalische Sprache
übersetzen. Jugendliche aus den Jugendprojekten des Theaters mit einer
Leidenschaft für den Tanz formieren sich zu Carmens Gang. Denn Carmen lebt!
Musikalische Leitung: Michael Hönes | Arrangement der Originalmusik: Ralf Soiron | Raps:
Jens Albert, Timo Gilenberg | Regie: Brigitta Gillessen | Ausstattung: Ute Lindenbeck |
Choreografie: Amelie Jalowy
Mit: Paulina Steinmeyer/Hasti Molavian (Carmen), Engjellushe Duka (Micaela), Steffen
Happel (José), Christian Henneberg (Escamillo), Andreas Ksienzyk (Zuniga)
Bewegungschor (Carmens Gang): Dunja Dembon, Helen Schröder, Laura Lisboa, Gianna
Pellarin, Nadine Mell, Sylvia Klein, Julia Kubensky, Hanna Lisa Hennrich
Es spielen Mitglieder der Dortmunder Philharmoniker.
Weitere Vorstellungen:
So, 30.03.2014, 18.00 Uhr | Fr, 11.04.2014, 11.00 Uhr | Sa, 12.04.2014, 19.30 Uhr
Mo, 28.04.2014, 11.00 Uhr | Di, 29.04.2014, 11.00 Uhr | Mi, 30.04.2014, 11.00 Uhr
Fr, 02.05.2014, 18.00 Uhr | Di, 13.05.2014, 11.00 Uhr | Mi, 14.05.2014, 11.00 Uhr
Do, 15.05.2014, 11.00 Uhr | So, 18.05.2014, 18.00 Uhr
Eintrittspreise:
Jugendliche/Erwachsene 7,00 €
Ermäßigt 5,00 €
Tickethotline:
0231/50 27 222
Für Gruppenvorbestellungen:
0231/50 22 442
Infos:
www.theaterdo.de
Theater Dortmund 2013/2014
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Außer Kontrolle: Carmen
Der Komponist
Eigentlich hieß er gar nicht
Georges mit Vornamen, der
Komponist der unsterblichen Oper
Carmen; ein Jahr nach seiner
Geburt wurde er von seinem Vater
Adolphe Adam Bizet mit dem
kriegerischen Vornamen
Alexandre César Léopold in
Geburtsregister eingetragen.
Warum er sich später Georges
nannte? Das weiß niemand.
Er wird am 25. Oktober 1838 als
Sohn eines Musikers in Paris
geboren. Auf Beschluss des
damals sehr berühmten
Komponisten Daniel Francois
Auber beginnt Bizet sein Studium
am Pariser Konversatorium
bereits im Alter von 10 Jahren.
Während seines Klavier-, Orgel-,
Theorie- und Kompositionsstudiums gewinnt Bizet zahlreiche
Preise seiner Klasse.
So führt ihn auch der „Prix de Rome“ 1857 für einige Jahre nach Italien, der ihm zwar
seinen Aufenthalt in Rom auf Staatskosten sichert, gleichzeitig aber auch verpflichtet,
weitere kompositorische Arbeit abzuliefern. Der Rom-Aufenthalt ist Bizets einziger
außerhalb von Paris; der Rest spielt sich in seinem Kopf ab, denn Bizet ist
Romantiker.
Doch die schnöde Wirklichkeit holt ihn schon bald wieder ein, denn von seinem
Erfolg zu Studienzeiten ist später nichts mehr zu sehen. Er gilt zeitlebens als
Komponist in Paris wenig. Um sich finanziell über Wasser zu halten, arbeitet er an
Klavierarrangements von Opern bis hin zur Instrumentierung zweifelhafter
Unterhaltungsmusik. Dieser Misserfolg und seine, von ständigen Selbstzweifeln
geprägte Persönlichkeit machen ihn zu einer tragischen Figur der Musikgeschichte.
Davor konnten ihn auch seine drei stolzen Vornamen nicht retten.
1861 erlebt Wagners Tannhäuser seine Pariser Erstaufführung. Während das Stück
Proteststürme im Publikum auslöst, sind junge Musiker, so auch Bizet, von der Musik
Wagners gepackt.
Trotz des mühsamen Broterwerbs, der ihn nur selten zu konzentriertem Schaffen
kommen lässt, ist 1863 die Uraufführung seiner dritten Oper „Die Perlenfischer“, die
immerhin auf 17 Aufführungen kommt. Seine nächste Oper „Ivan le Terrible“ zieht
Bizet 1865 kurz vor der Uraufführung zurück; er habe mit dem Theatre Lyrique
gebrochen, heißt es. Lange Zeit glaubte man, Bizet habe die Oper verbrannt, doch
nachdem sie 1933 wieder aufgetaucht war, wurde sie 1951 erfolglos aufgeführt.
Musikalische Teilstücke aus der Oper fanden in anderen Werken Aufnahme. Die
unvollendet nachgelassene Oper seines einstigen Lehrers J.F. Haléy („Noah“)
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Außer Kontrolle: Carmen
beschäftigt Bizet 1868. Er vollendet sie, doch zur Uraufführung kommt es erst 1885
in Karlsruhe. Die Tochter desselben Lehrers heiratet Bizet am 3. Juni 1869.
In den folgenden Jahren plant Bizet verschiedene Opern, von denen er zwei beginnt,
aber nicht fertig stellt. 1872 wird erstmals erwähnt, dass es einen Opernauftrag der
Opera Comique für Bizet gibt, deren Text durch das prominente Librettistenpaar
Henry Meilhac und Ludovic Haléy vorgenommen werden soll. Dass es sich hierbei
um Carmen handelt wird erst später deutlich, denn ein Thema ist noch nicht
vorgegeben. Nach vielen Änderungen, hunderten von Proben, Protesten von Chor
und Orchester, die sich überfordert fühlen, wird Carmen am 3. März 1875 in der
Pariser Opera Comique uraufgeführt. Die Stimmung des Publikums nimmt von Akt zu
Akt ab. Doch obwohl sich die Begeisterung des Publikums in Grenzen hält, kommt es
vor der Sommerpause zu 37 Aufführungen. Der große Erfolg bleibt allerdings mal
wieder aus.
Nur drei Monate nach der Uraufführung Carmen stirbt der Komponist mit nur 37
Jahren am 3. Juni 1875. Manche sagen, dass er an gebrochenem Herzen gestorben
sei. Fakt ist, dass er den großen Erfolg seiner Carmen Oper nie erleben konnte.
Heute gehört Carmen zu den meistgespielten Opern überhaupt!
Interview mit der Regisseurin Brigitta Gillessen
Georges Bizets „Carmen“ ist eines der meistgespielten Werke der
Opernliteratur. Worin liegt für Sie der Reiz, die Geschichte für ein jugendliches
Publikum aufzubereiten?
„Außer Kontrolle: Carmen“ ist eine Auseinandersetzung sowohl mit Bizets „Carmen“Oper als auch mit der ihr zugrunde liegenden Novelle von Prosper Mérimée. Die
Opernversion ist natürlich wesentlich bekannter und präsenter.
Sie enthält einerseits einige musikalische „Hits“, die sich bis in die Popkultur
durchgesetzt haben und die auch unser junges Publikum schon einmal irgendwo
gehört hat. Andererseits ruft der Stoff ganz bestimmte Erwartungen hervor, die sich –
wahrscheinlich gerade weil die Oper so oft gespielt wird – verfestigt haben und die
wir in Frage stellen wollen.
Die Uraufführung von Bizets „Carmen“ war ja bekanntermaßen kein Erfolg, sondern
wurde vom damaligen Publikum als zu krass empfunden. Die Figur der Carmen fand
man sogar geradezu skandalös. Man kann sich aus heutiger Sicht kaum noch
vorstellen, was daran so provokant war. Überhaupt sind Opern für die meisten
jungen Zuschauer sehr weit weg und scheinen wenig mit ihrem Leben zu tun zu
haben.
Wir möchten den Stoff heranholen und überprüfen, inwieweit man ihn von allen
Klischees entschlacken und befreien muss, um die Geschichte aus heutiger
Perspektive in ihrer ganzen Härte und Kompromisslosigkeit spürbar zu machen.
Wer an Carmen denkt, denkt an Spanien-Folklore, Stierkampf, Flamenco und ein
bestimmtes Bild von weiblicher Erotik. Mir scheint, dass das Opernpublikum das
immer wieder sehen will und dabei außer Acht lässt, was Bizet daran wichtig war:
eine ungeschönte Sicht auf die Wirklichkeit, auf die Realität der Liebe, auf Frauen
und Männer.
Theater Dortmund 2013/2014
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Außer Kontrolle: Carmen
In dem Stoff steckt außerdem noch etwas ganz Anderes, Elementares: wie
gewalttätig Liebe sein kann, wie sehr es einen Menschen umhauen kann, wenn er
sich verliebt. Umso mehr, wenn das Objekt seiner Liebe für ihn fremd ist und er nicht
einordnen kann, was da mit ihm passiert. Das ist ganz nah an den jungen
Zuschauern.
Wir konzentrieren uns in unserer Bearbeitung auf das Wesentliche und lassen die
Hauptfiguren wie in einem Kammerspiel aufeinander treffen. Das Besondere an
unserer Version ist, dass José und Zuniga von Schauspielern verkörpert werden –
Carmen, Micaela und Escamillo aber Opernsänger sind. Die Konfrontationen
zwischen José und Carmen, aber auch zwischen José und Micaela sind bei uns
weniger opernhaft, sondern sehr direkt, sehr nah am Leben.
Mit „Außer Kontrolle: Carmen“ möchten wir dem jungen Publikum einen Einstieg
geben, um ein Gefühl für die Faszination des Musiktheaters zu bekommen: welche
unmittelbare Wirkung klassische Musik haben kann und wie spannend eine
Operngeschichte aus dem 19. Jahrhundert sein kann.
In Bizets Oper sind Micaela und Carmen sehr gegensätzliche Frauenfiguren –
Micaela hofft auf die Erwiderung ihrer Liebe durch Don José, Carmen nimmt sich
im Leben und der Liebe selbstbewusst was sie will. Wie verhält es sich damit in
Ihrer Fassung?
Die „brave“ Micaela steht in Bizets Oper vollkommen im Schatten der
freiheitsliebenden Carmen. Man weiß nie so recht, ob sie bei José überhaupt je eine
Chance gehabt hätte. In unserer Version ist die Figur der Micaela aufgewertet, sie ist
ein Gegenpart zu Carmen. José muss sich zwischen zwei unterschiedlichen Frauen
entscheiden, die ihm beide etwas bedeuten.
Dabei holen wir die Frauenfiguren aus ihren „Schubladen“ heraus. Uns interessiert:
wie viel Carmen steckt eigentlich in Micaela, und wie viel Micaela steckt in Carmen?
Auf der Bühne werden Sänger, Schauspieler des KJT, Rapper und junge Laien
stehen. Wie werden Sie mit dieser buntgemischten Gruppe arbeiten?
Diese bunte Mischung ist für mich persönlich sehr inspirierend: so eine Cross-over
Besetzung kann das Genre Oper nur bereichern und erweitern. Wir bekommen
dadurch ganz unterschiedliche Perspektiven auf den Stoff: die Arbeitsweise von
Opernsängern und Schauspielern ist schon verschieden genug, aber wir fügen noch
eine ganz andere Komponente hinzu, indem wir von zwei Rappern Lyrics schreiben
und performen lassen, die die Geschichte umrahmen und hinterfragen. Die Raps
werden vom Orchester begleitet und verfremden Bizets Musik. Hierfür konnten wir
den Rapper und DJ Der Wolf und seinen Kollegen Terow gewinnen.
Wichtig ist uns vor allem auch, dass wir die „Carmen“ nicht nur FÜR ein junges
Publikum erarbeiten, sondern auch MIT: eine Gruppe von jungen Frauen spielt und
tanzt neben den professionellen Darstellern – und uns interessiert natürlich, wie sie
die Figur der Carmen sehen und was sie damit verbinden.
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Außer Kontrolle: Carmen
Die Novelle „Carmen“
1830 reist der Schriftsteller Prosper Mèrimée nach Spanien. Dort trifft er die Gräfin
Maria Manuela de Montijo, die ihm die Geschichte eines Banditen erzählt, den die
tiefe Liebe zu einer Zigeunerin in den Tod führt. Er trägt die Geschichte 15 Jahre mit
sich herum, bis er 1845 schließlich die Novelle „Carmen“ schreibt. Verfasst ist sie als
Ich-Erzählung. Sie wird zur Grundlage der Oper von Georges Bizet, die 1875
uraufgeführt wird.
…..Ich schaute mich nach Carmen um; schon war sie nicht mehr auf ihrem Platze. Da es mir
unmöglich, den meinen zu verlassen, musste ich bis zum Ende der Kämpfe warten. Dann
ging ich in das Ihnen bekannte Haus, wo ich den ganzen Abend und einen Teil der Nacht
ruhig wartete. Gegen zwei Uhr morgens kam Carmen heim, nicht wenig überrascht, als sie
mich sah.
Komm mit mir, sagte ich zu ihr.
Meinetwegen, erwiderte sie. Gehen wir!
Ich holte mein Pferd, setzte sie auf die Kruppe, und so ritten wir den Rest der Nacht, ohne
ein Wort miteinander zu reden. Bei Tagesanbruch machten wir an einer einsamen Venta
(Schänke) Halt, nahe einer Einsiedelei.
Hier sagte ich zu Carmen: Höre! Alles Gewesene sei vergessen. Nichts werde ich je
erwähnen. Aber schwöre mir eines: Du gehst mit mir nach Amerika und wirst dort vernünftig!
Nein, rief sie trotzig. Nach Amerika will ich nicht. Es gefällt mir hier.
Wohl weil du in der Nähe von Lukas bist? Aber ich sage dir: Wenn er wieder gesund wird,
graue Haare soll er nicht bekommen. Doch wozu mich an ihn halten? Ich habe es satt, alle
deine Liebhaber umzubringen. Dich werde ich töten!
Sie warf mir ihren wilden Blick zu und sagte: Ich habe es mir immer gedacht, dass du mich
morden wirst. Das erste Mal, als ich dich sah, war mir gerade an der Tür meines Hauses ein
Pfaffe begegnet. Und heute Nacht, als wir Kordova verließen, hast du das nicht gesehen?
Ein Hase ist unter den Hufen deines Pferdes über den Weg gelaufen. Es kommt, was
kommen soll.
Carmencita, fragte ich sie, liebst du mich noch?
Sie gab keine Antwort. Die Beine gekreuzt, saß sie auf einer Matte und zog mit dem Finger
Striche in den Staub.
Beginnen wir ein neues Leben, Carmen, sagte ich in bittendem Tone. Wir wollen
irgendwohin gehen, wo wir niemals getrennt werden. Du weißt, wir haben nicht weit von hier
unter einer Eiche hundertundzwanzig Unzen Gold vergraben. Und wir haben auch noch Geld
beim Juden Ben Joseph.
Sie lächelte und sagte: Erst ich, dann du! Ich weiß genau, dass es so kommen muss.
Überlege es dir, begann ich von neuem. Ich bin am Ende meiner Geduld und meines Mutes.
Fasse deinen Entschluss, oder ich fasse meinen. Ich verließ sie und wanderte auf die
Klause zu.
Der Einsiedler betete gerade. Ich wartete, bis er mit seinem Gebet fertig war. Ich hätte am
liebsten selber gebetet, wenn ich es gekonnt hätte. Als er sich erhob, ging ich auf ihn zu.
Vater, redete ich ihn an, wollt Ihr für einen beten, der in großer Gefahr ist?
Ich bete für alle, die in Not sind.
Könnt ihr für eine Seele, die vielleicht bald vor ihrem Schöpfer erscheinen muss, eine Messe
lesen? Ja, antwortete er, indem er mich scharf anblickte. Und da ihn mein Wesen
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Außer Kontrolle: Carmen
befremdete, wollte er mich aushorchen. Mich dünkt, ich habe Euch schon einmal gesehen,
sagte er.
Ich warf ihm einen Piaster auf die Bank und fragte: Wann werdet Ihr die Messe lesen?
In einer halben Stunde. Der Junge des Gastwirts unten soll mir ministrieren. Sagt mir, junger
Mann, habt Ihr nicht etwas auf dem Gewissen, das Euch quält? Wollt Ihr den rat eines
Christen hören?
Ich war Tränen nahe. Ich sagte ihm, ich käme wieder, und ich lief davon. Ich legte mich ins
Gras, bis ich die Glocke hörte. Dann ging ich hin, blieb aber außerhalb der Kapelle. Als die
Messe gelesen war, kehrte ich zur Venta zurück, in der Hoffnung, Carmen sei inzwischen
verschwunden. Sie hätte mein Pferd nehmen und sich retten können. Doch ich traf sie an.
Sie wollte nicht, dass man ihr nachsagen könne, sie habe Angst. Während ich fort war, hatte
sie den Saum ihres Kleides aufgetrennt und das Blei herausgenommen. Jetzt stand sie am
Tisch und schaute in eine Schüssel voller Wasser, in die sie das Blei, das sie geschmolzen,
soeben geworfen hatte. Sie war in ihre Zauberei derart vertieft, dass sie meine Wiederkehr
erst nicht bemerkte. Bald nahm sie ein Stück Blei und drehte es mit trauriger Miene nach
allen Seiten; bald sang sie eins der Zauberlieder, worin Maria Padilla, Don Pedros Geliebte,
angerufen wird, die Bari Crallisa, die angebliche große Königin der Zigeuner.
Carmen, sagte ich zu ihr, willst du mit mir gehn? Sie reckte sich auf, stieß die Schüssel
zurück und nahm ihre Mantilla über den Kopf, als sei sie bereit mitzugehen. Mein Pferd ward
vorgeführt; sie setzte sich auf die Kruppe, und wir entfernten uns.
So liebe Carmen, sagte ich zu ihr nach einem Stück Wegs, du gehst mit?
In den Tod, ja, aber ich will nicht mehr mit dir leben.
Wir befanden uns in einer einsamen Schlucht; ich parierte mein Pferd.
Hier, sagte Carmen und war mit einem Satz auf dem Boden. Sie nahm ihre Mantilla, warf sie
hin und stand unbeweglich da, eine Faust in der Hüfte, den Blick fest auf mich.
Du willst mich töten; ich sehe es wohl, sprach sie, Es kommt, was kommen soll. Nachgiebig
aber machst du mich nicht.
Ich bitte dich, sagte ich zu ihr, sei vernünftig!
Höre mich“ Alles, was gewesen, ist vergessen. Du weißt doch, du, du hast mich zugrunde
gerichtet. Deinetwegen bin ich Dieb und Mörder geworden. Carmen, liebe Carmen, lass mich
dich retten und mich mit dir!
José, erwiderte sie, du bittest Unmögliches. Ich liebe dich nicht mehr. Du, du liebst mich
noch, und darum willst du mich töten. Ich könnte dir noch irgendeine Lüge vormachen, aber
diese Mühe gebe ich mir nicht. Alles ist aus zwischen uns. Als mein Rom hast du das Recht,
deine Romi zu töten. Carmen aber ist ewiglich frei. Als Zigeunerin ist sie geboren, als
Zigeunerin wird sie sterben.
Du liebst also den Lukas?
Ja, ich habe ihn geliebt, wie einst dich, eine Zeit lang vielleicht weniger als dich. Jetzt lieb ich
nichts mehr, ich hasse mich, weil ich dich geliebt habe.
Ich warf mich ihr zu Füßen, griff ihre Hände und benetzte sie mit meinen Tränen. Ich
erinnerte sie an alle die glücklichen Augenblicke, die wir zusammen erlebet hatten. Ich
erklärte mich bereit, ihr zu Gefallen Räuber zu bleiben. Alles, alles hab ich ihr angeboten, auf
dass sie mich wieder lieben sollte. Sie sprach: Dich noch lieben ist unmöglich. Mit dir leben
will ich nicht.
Da packte mich die Wut. Ich zog mein Messer.
Hätte sie nur Furcht gezeigt, hätte sie mich um Gnade angefleht! Nichts; dies Weib war ein
Dämon.
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Außer Kontrolle: Carmen
Zum letzten Male, rief ich, willst du bei mir bleiben?
Nein, nein, nein, rief sie, indem sie mit dem Fuß aufstampfte und den Ring , den sie von mir
hatte, vom Finger zog und ins Gebüsch schleuderte.
Ich stach und stach nochmals. Es war das Messer des Einäugigen, das ich mir angeeignet
hatte, als das meine zerbrochen war. Beim zweiten Stiche brach sie lautlos zusammen.
Noch ist’s mir, als schaute ich ihr großes schwarzes Auge starr auf mich gerichtet.
Bald ward es trübe und schloss sich. Mindesten eine Stunde stand ich vor der Leiche, wie im
Traum. Dann fiel mir ein, dass Carmen oft zu mir gesagt hatte, sie möchte gern im Walde
begraben sein. Ich grub ihr mit meinem Messer ein Grab und legte sie darein. Lange suchte
ich nach dem Ringe, bis ich ihn endlich fand. Ich legte ihn ins Grab neben sie, dazu ein
kleines Kreuz. Vielleicht tat ich Unrecht. Schließlich saß ich auf, ritt im Galopp nach Kordova
und gab mich dem erstbesten Wachposten zu erkennen.
Ich habe angegeben, dass ich Carmen ermordet hatte; aber wo ihr Leib liegt, habe ich nicht
gesagt.
Der Einsiedler, ein frommer Mann, hat für sie gebetet, hat eine Messe für sie gelesen.
Armes Ding!
Die Zigeuner tragen die Schuld; sie haben sie so erzogen.
Carmen und Don José. Nach einem Aquarell von Prosper Mérimée
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Außer Kontrolle: Carmen
Habanera
Als Habanera wird ein Tanz und eine Liedform bezeichnet, die aus Kuba vom
Anfang des 19. Jahrhunderts stammt. Benannt nach der kubanischen Hauptstadt
Habana (Havanna) ähnelt die Habanera dem Tango: In langsamem bis moderatem
Tempo und im Zweivierteltakt bildet eine markant punktierte Achtelfigur das
charakteristische Merkmal dieses Tanzes.
Gleichzeitig ist dies die Bezeichnung für die wohl berühmteste Arie der Carmen aus
der Oper von George Bizet.
Liebe ist wie ein wilder Vogel,
den niemand wirklich fangen kann.
Er fliegt fort, willst du nach ihm fassen,
und rufst du, schaut er dich nicht an.
Einer kann vielleicht besser reden,
der andere schweigt, spricht nicht gern mit dir,
und auch wenn ich es nicht verstehe,
sein Schweigen reizt mich nur noch mehr,
L’amour! L’amour! L’amour! L’amour!
Die Liebe ist ein Kind der Freiheit,
sie ist für Reden einfach nicht gemacht.
Liebst du mich nicht, dann kann ich dich lieben,
und lieb ich dich, nimm dich in acht!
L’oiseau que tu croyais surprendre
battit de l’aile et s’envola.
L’amour est lion, tu peux l’attendre.
Tu ne l’attends plus … il est lá
Si tu ne m’aimes pas, je t’aime;
Si je t’aime,
Prends grande à toi!
Der Vogel, den du zu überlisten glaubtest,
schlug mit den Flügeln und flog davon…
Die Liebe ist fern, du kannst auf sie warten.
Du erwartest sie nicht mehr… schon ist sie
da
Ganz um dich herum, schnell, schnell
kommt sie, geht sie davon, kommt dann
wieder
Du glaubst sie festzuhalten, sie weicht dir
aus
Du glaubst ihr auszuweichen, sie hält dich
fest
Die Liebe ist ein Zigeunerkind.
Sie hat niemals, niemals Gesetze
gekannt.
Wenn du mich nicht liebst, liebe ich dich;
wenn ich dich liebe,
nimm dich in Acht!
Theater Dortmund 2013/2014
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Tout autour de toi, vite, vite,
Il vient, s’en va, puis il revient
Tu crois le tenir, il t’évite,
Tu crois l’éviter, il te tient.
L’amour est enfant de Bohéme,
Il n’a jamais connu de loi;
Außer Kontrolle: Carmen
Cello-Stimme für die „Schicksalsmelodie“
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Außer Kontrolle: Carmen
Rap: „Du musst dich entscheiden, José!“
Timo:
1. das hast du ja toll hingekriegt, junge siehst du wo das hinführt
2. nur weil du nicht hinhörst
3. sobald du dein ding spürst, oh mann ich fass' es ja nicht
4. du willst mehr feuer mein freund? siehst du die asche auf dem tisch
5. du lässt alles im stich was du bist und was dich ausmacht
6. für 'ne olle mit 'ner hausbar
7. du willst in die weite welt rausfahren mit der frau da? glaub mal
8. das gibt 'nen harten aufschlag
Jens:
9. ey yo, immer cool bleiben, man muss auch schon mal opfer bringen
10. und für ne frau wie sie sind diese noch gering
11. mal eben so'n paar drogen verbrennen - merkt kein schwein!
12. aber dafür kannst du dir Ihrer Zuneigung sicher sein..
13. ein drug-dealer mehr oder weniger
14. macht den kohl nicht fett, aber carmen wär' dann nicht mehr da..
15. doch diese frau hat echt style und charakter
16. und darum legt ihr diesen fall jetzt mal ad acta!
Timo:
17. ach guck mal ein verrückter, und was er da sagt
18. ist das hirnlose gestammel eines gackernden hahns
19. sie macht mit dir was sie will und du plapperst es nach
20. weil du ihr die macht dazu gabst
21. jetzt stehst du da, vor der wahl, bald ist alles im arsch
22. die karriere, die ehe... micaela oder carmen?
23. der fall ist jetzt klar, es ist alles gesagt
24. ich hab dich gewarnt
Jens:
25. lass dich nicht verrückt machen, hör' auf deinen instinkt
26. war schon alles richtig so, hat schon gestimmt
27. wie gesagt, weg ist weg - aber die frau ist noch da,
28. und jetzt schuldet sie dir was, also mach sie klar!
29. scheiss auf alle ander'n und vertrau deiner leidenschaft,
30. du lebst nur einmal, hat man dir das nicht beigebracht?
31. lass dir die Gelegenheit nicht entgehen
32. denn mal im ernst: keiner könnte carmen widerstehen!
Wer sind die Rapper?
Jens Albert und Timo Gilenberg tragen als Rapper die Namen Der Wolf und T-Row.
Zusammen veröffentlichen sie seit 2011 auf YouTube und bei schwatzgelb.de
Analysen von Spielen der Borussia Dortmund, die mit Rap-Texten unterlegt sind. Der
Wolf ist auch als DJ unter anderem in Dortmund tätig.
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Außer Kontrolle: Carmen
Frauen – Drogenhandel – Mafia
Frauen in der Mafia gibt es nicht. Das ist vielleicht die hartnäckigste
Klischeevorstellung über die Mafia, entstanden aus dem Bild, das uns Filme und
Zeitungsfotos und die Nachrichten im Fernsehen vermitteln. Dass dieses Bild seit
langen nicht mehr stimmt, davon berichtet Marisa Merico (Foto unten Mitte) , heute
selbst Mutter zweier Söhne. Sie erzählt ihr Leben, mit all den vermeintlichen Höhen
als "Prinzessin der Mafia", Tochter eines der größten Mafiosi Italiens, und den tiefen
Tälern von Gewalt und Angst, von Aufenthalten im Gefängnis, von Geldwäsche im
großen Stil, von Drogenhandel, Macht und Luxus. Sie erzählt vom schwierigen
Dasein als Aussteigerin, die von ihrer Vergangenheit nicht in Ruhe gelassen wird.
… Die Aufgabe meiner Großmutter war, ihrem Vater Mico Lebensmittel, Zigaretten und Wein
ins Gefängnis zu bringen. Während dieser Besuche erhielten die Wärter ihr „Taschengeld“.
Von der äußeren Erscheinung her war sie die typische süße Sechzehnjährige, doch sie war
bereits voller List und Schläue wie eine echte Kalabresin, wahrhaftig die Tochter des
Fuchses. So verfügte sie über genug Selbstvertrauen, um sich mit einem jugendlich
aussehenden zwanzigjährigen Gefängniswärter, der während ihrer Besuche mit ihr geflirtet
hatte, auf eine Romanze einzulassen. Zwischen ihnen hatte es gefunkt. Rosario Di Giovine
war neu im Gefängnis, neu in der Gegend, aber durch Blutsverwandtschaft mit dem Süden
verbunden. Sein Vater arbeitete in Rom im Strafvollzugswesen. Es war kurz nach dem Krieg,
und Arbeit war schwer zu finden, also hatte sein Vater ihm diesen Posten beim Staat
besorgt. Berufen dazu fühlte er sich ganz gewiss nicht.
Trotzdem war ihm nicht klar, dass eine Beziehung zu Maria Serraino ihn das Leben kosten
könnte. Dass schon ein kleiner Brief an sie gefährlich war.
Auf keinen Fall konnte Großmutter einen Gefängniswärter nach Hause bringen und ihn der
Familie vorstellen. Da hätte sie ja gleich die Polizei mitbringen können. Doch sie fand einen
Weg. Sie bot an, die Wäsche für die Gefängniswärter zu waschen, um sich ein wenig Geld
dazuzuverdienen. Das benutzte sie als Ausrede, um auch nach der Entlassung ihres Vaters
weiter ins Gefängnis zu gehen. Und Rosario Di Giovine lernte schnell und wusste bald, wie
es in Kalabrien zugeht. Sie hielten ihre Affäre geheim, und kurze Zeit später verließ mein
Großvater den Strafvollzugsdienst und mied die Cafés und Bars, in denen die anderen
Beamten verkehrten. Seine Zeit im Staatsdienst blieb nicht in seinem Lebenslauf. Es war, als
habe es sie nie gegeben. Stattdessen wurde er Lastwagenfahrer, eine sehr nützliche
Fähigkeit in der Familie Serraino.
Rosarios Charme wurde auf eine harte Probe gestellt, denn Großmutters Vater und ihre
Brüder beobachteten ihn genau. Damals wurde eine Frau nie mit einem Mann allein
gelassen. Man brauchte immer eine Begleitperson. Wenn man zum Eisessen ausging,
musste eine Anstandsdame dabei sein. Für Neuankömmlinge wie Großvater galt das erst
recht. Als die beiden in die Berge ausrissen, merkte die Familie, was vor sich ging.
Großmutter war schwanger. Es kam zu heftigen Wortgefechten zwischen Großvater und
Großmutters Brüdern, doch die Umstände gewannen die Oberhand. Sie heirateten, und
mein Vater Emilio kam zwanzig Tage vor Weihnachten im Jahr 1949 zur Welt. Die Dynastie
Serraino/ Di Giovine nahm ihren Anfang.
……
Dads Schwester Rita war sechzehn, als sie und ihr Freund, die beide bei Großmutter
wohnten, mit dem Heroinhandel anfingen. Diebe brachten gestohlene Fernsehgeräte und
anderes Zeug, das weiterverkauft werden sollte; mit dem Geld, das sie von Großmutter in
der Küche erhielten, kauften sie sich Heroin bei Tante Rita im Schlafzimmer. Ein cleveres
Karussell des Verbrechens. Aber dann kam es zwischen Rita und ihrem Freund zu einem
heftigen Krach. Sie wog das Heroin und streckte es mit Zucker. Für sie war das kein Betrug.
Doch dass ihr Freund die Kunden auch noch übers Ohr haute, indem er ihnen weniger als
das korrekte Gewicht der Heroinmischung abfüllte, gefiel ihr ganz und gar nicht.
…..
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Außer Kontrolle: Carmen
Wie ein mittelalterlicher Kriegsherr hielt sich Großmutter zu dieser Zeit eine Art offiziellen
Vorkoster. Mimmino, der noch keine Zwanzig war, wohnte in einem kleinen Schuppen
hinterm Haus; seine Aufgabe war es nicht, das Essen der Familie auf Gift hin zu
untersuchen, sondern den Heroingehalt festzustellen. Seine Reaktion auf den Fix gab vor,
ob die Lieferung gestreckt werden konnte, damit mehr Gewinn zu erzielen war. Ein riskantes
Geschäft: Mimmino starb an einer Überdosis.
Aus: Marisa Merico, Mafia Princess, Bastei Lübbe, 2010
Die Frauen der Camorra
Eigentlich packen sie Kokain in Päckchen und erziehen ihre Kinder zu kleinen
Mafiosi. Aber weil viele ihrer Männer ermordet wurden oder im Knast sitzen, haben
die Frauen der neapolitanischen Mafia an Macht gewonnen. Sie führen ein
Pseudonym wie «dicke Katze» oder «Wildfang». Ihren Familienclan regieren sie mit
eiserner Entschlossenheit. Sie ziehen die Kinder auf, kochen Pasta - und
organisieren die Geschäfte der Camorra: In dem süditalienischen Verbrechersyndikat
gibt es immer mehr «Patinnen». Denn während der Staat den Kampf gegen die Mafia
verstärkt und bereits mehrere führende Mitglieder verhaftet hat, übernehmen
zunehmend Frauen deren aktive Aufgaben im Geschäft.
«Es sind entweder Witwen von Gangsterbossen oder Ehefrauen, deren Männer im
Gefängnis sitzen. Sie sind es, die die Zügel in der Hand halten», sagt Gaetano
Maruccia von den Carabinieri in der Region um Neapel. Mütter, Töchter, Schwestern
und Schwägerinnen übernähmen immer mehr führende Rollen, sagt auch
Staatsanwältin Stefania Castaldi, die das organisierte Verbrechen untersucht.
Nachdem die beiden führenden Mafiafahnder Giovanni Falcone und Paolo Borsellino
1992 bei Bombenanschlägen in Sizilien ums Leben kamen, hat Italien die Gesetze
gegen Top-Mafiosi verschärft. Dazu gehört auch die Einschränkung von
Gefängnisbesuchen Angehöriger - was die Frauen der Camorra zu ihrem Vorteil zu
nutzen wussten. «Die meisten Bosse wollten ihre Ehefrauen sehen», sagt
Staatsanwältin Castaldi. «Meist sind es die Frauen, die die Befehle des Clanbosses
weitergeben. So wird die Frau zum Bindeglied zwischen dem Geschehen im und
außerhalb des Gefängnisses.» Und gewinnt damit an Prestige innerhalb des Clans.
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Außer Kontrolle: Carmen
Vielfach besetzen die Frauen der Camorra zwar nach wie vor die eher traditionelle
Rolle und schneiden und verpacken Kokain und Heroin in ihrer Küche. Andere
allerdings erpressen Schutzgelder von Händlern oder beteiligen sich direkt an
millionenschwerem Drogenhandel, so Castaldi. Bei einem der blutrünstigsten
Zwischenfälle trafen sich im Jahr 2002 Frauen rivalisierender Camorra-Clans in den
Straßen von Lauro in der Nähe von Neapel. Zuerst warfen sie sich Beleidigungen an
den Kopf, dann griffen sie zu Maschinengewehren und Pistolen. Zwei ältere Frauen
und eine 16-Jährige kamen ums Leben. Der Grund für das Blutbad: ein Revierkampf,
angeheizt durch den Mord am Vetter eines Klanbosses. [Aus: iwi/iwe/news.de/ap]
In ihrem Nachtclub „La
corrida“ [span. Stierkampfarena] betreibt Carmen
illegale Drogengeschäfte.
Sie wird dabei von ihrer
Gang, den Karincas [türk.
Ameisen, Fußvolk],
unterstützt.
Abb: Figurinen der
Karincas, gezeichnet von
der Ausstatterin Ute
Lindenbeck
Roxane, Stellvertreterin
Mex, Bodyguard
Melly, Maskottchen
Scarlett, Fashion Victim
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Isa, Nerd
Außer Kontrolle: Carmen
Praktischer Teil zur Vor- und Nachbereitung
Folge mir!
Die SuS bilden Paare.
A schließt die Augen. B lockt A mit einem Ton ( evtl .mit dem Lied der Carmen s.u. )
durch den Raum. B hat die Verantwortung, dass A sich sicher durch den Raum
bewegen kann. Danach werden die Rollen getauscht.
Navigator-Spiel
Die SuS bilden Paare, 1 Befehlsgeber, 1 Ausführender
Der Befehlsgeber kann folgende Befehle erteilen: vor, zurück, rechts, links
Der Ausführende muss den Befehl sofort befolgen, dabei darf er jeweils nur einen
Schritt gehen.
Das Spiel wird so lange durchgeführt, bis der Ausführende die Befehle möglichst
fehlerlos ausführt. Das Tempo der Befehle kann dabei gesteigert werden.
In der zweiten Runde soll der Ausführende jeweils einen Schritt gehen, die erteilten
Befehle jedoch nicht mehr befolgen. Sagt der Befehlsgeber z. B „vor“, kann der
Ausführende also einen Schritt zurück, links oder rechts gehen.
In einer dritten Runde soll der Ausführende das Gegenteil von dem tun, was der
Befehlsgeber verlangt.
Nun werden die Rollen getauscht.
In einem Auswertungsgespräch tauschen sich die Spielpartner darüber aus, wie sie
sich in der Rolle des Befehlsgebers, bzw. des Ausführenden gefühlt haben. Welche
Rolle hat ihnen besser gefallen?
Statusspiel
Status bezeichnet die Position, die eine Person in einer Gruppe inne hat. In den
meisten Gruppen herrscht eine bestimmte Hierarchie, die festlegt wer in der
Rangordnung den tiefsten oder den höchsten Status einnimmt. Der jeweilige Status
ist situations- und rollenabhängig. Die Rangordnung in einer Gruppe kann sich also
je nach Situation ändern. Eine Person hat somit nicht immer denselben Status inne,
sondern befindet sich je nach Situation oder Gruppe mal im Tiefstatus und mal im
Hochstatus.
Beispiele für Hochstatus:
Richter
Polizist
Mafiaboss
Berühmte Persönlichkeit
Schuldirektor
Eltern
Ältere Geschwister
Frau / Mann
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Beispiele für Niedrigstatus:
Angeklagte/r
Bürger
Dealer
Fan
Schüler
Kinder
jüngere Geschwister
Frau / Mann
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Außer Kontrolle: Carmen
Die SuS bilden Paare. Jedes Paar erhält zwei Karten mit Rollenzuteilungen, also z.B.
Richter (Hochstatus) – Angeklagte/r (Tiefstatus). Aufgabe ist es, die Rollen und deren
Statusverhältnis möglichst deutlich in einem Standbild darzustellen. Unterstützend
dürfen die SpielerInnen jeweils einen zur Situation und der Rolle passenden Satz
sagen.
Das Standbild wird anschließend der Gruppe präsentiert. Diese rät, was für eine
Situation dargestellt wird.
Als mögliche Weiterführung der Übung kann man den Status wechseln. Also den
Richter in den Tiefstatus und den Angeklagten in den Hochstatus befördern. Wie
kann ein Statuswechsel stattfinden? Worüber definiert sich Status? Und wie wird
Status über die Körperhaltung, Gestik, Mimik und Sprache ausgedrückt?
Ja-Nein-Spiel
Die Gruppe stellt sich im Kreis auf. Eine Person eröffnet das Spiel, indem sie ein
lautes Ja an den Nachbarn weitergibt. Das Ja wird im Kreis weitergegeben. Sagt
jemand Nein wird die Richtung gewechselt.
Die SuS sollen das Ja und Nein dabei auf verschiedene Arten ausdrücken, z.B.
verlockend, drohend, aggressiv, fragend, entschieden, unsicher, genervt, erfreut, etc.
Was fällt auf? Welche Botschaften können mit den Worten Ja und Nein, verbunden
mit Betonung und Körperausdruck, vermittelt werden?
Im zweiten Durchgang wird das Ja und Nein an die beiden Personen eines
Spielpaares gegeben. Versucht den anderen zu überzeugen durch Strenge, Charme,
mit einer Drohung oder einem Flehen………
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Außer Kontrolle: Carmen
Arbeitsblatt
L’amour! L’amour! L’amour! L’amour!
JOSÉ:
Die ganze Zeit habe ich dich gesehen, deine Stimme gehört, dein Parfüm gerochen.
Ich konnte nicht schlafen, nachts lag ich wach und habe immer nur dich in deinem
blauen Kleid gesehen, das du damals anhattest. Ich glaube, du hast mich verhext.
Carmen, ich will dich, wie ich vorher nie etwas gewollt habe!
CARMEN:
Aber du liebst mich nicht.
JOSÉ:
Was?
CARMEN:
Wenn du mich lieben würdest, würdest du alles stehen und liegen lassen und mit mir
weggehen. Nach Cuba, Rio, nach Kalifornien, was weiß ich. Irgendwo, wo wir zu
zweit ein neues Leben anfangen können.
1. Wie sieht für dich eine ideale Beziehung aus?
2. Wie viel Freiheit verträgt eine Liebesbeziehung?
2. Was würdest du aus Liebe für jemanden tun?
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Außer Kontrolle: Carmen
Arbeitsblatt
Dieses Lied singt Carmen abends in ihrem Club „La Corrida“
Versetzt euch in Carmens Stimmung und singt das Lied in verschiedenen Haltungen
nach
-
spöttisch
in die eigenen Gedanken versunken beim Blick in den Spiegel
herausfordernd beim Flirt mit einem Gast
Unterstreicht die jeweilige Situation spielerisch (durch passende Gestik und Mimik).
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Außer Kontrolle: Carmen
Literatur:
Prosper Mérimée, Carmen, Anaconda Verlag, 2006
Attila Csampai / Dietmar Holland( Hrsg), Georges Bizet Carmen, Texte, Materialien,
Kommentare, rororo Opernbücher, 1984
Kirsten Möller / Inge Stephan / Alexandra Tacke (Hrsg), Carmen, Ein Mythos in
Literatur, Film und Kunst, Böhlau Verlag 2011
Marisa Marico, Mafia Princess, Bastei Lübbe, 2011
Giuseppina Vitale, Ich war eine Mafia Chefin, Blanvalet 2012
Michael Dorn, Thema Musik, Georges Bizet: Carmen, Arbeitsheft für den
Musikunterricht
in
der
Sekundarstufe
1,
Klett
Verlag,
2007
Carmen spezial:
Das große Heinz Erhardt-Buch, Das hat sie nun davon
Habanera: http://www.youtube.com/watch?v=jXKUb5A1auM
Facebook: http://www.seattleoperablog.com/p/carmen-on-facebook.html
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Außer Kontrolle: Carmen
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