Workshop „Essstörungen - Anorexia nervosa und Bulimia nervosa“, Klinikum Mutterhaus Trier, 04.09.2013 Neurotransmitter und neuromorpholgische Veränderungen Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Serotoninsystem • Mittelhirn lokalisierten Nervenzellen • riesiger "Projektionsbaum" in alle Hirnbereiche und schütten normalerweise an ihren Enden (den serotonergen Präsynapsen) während des gesamten Tages regelmäßig ihren Botenstoff Serotonin aus (3-5mal/Sekunde), der die Erregbarkeit der nachgeschalteten Nervenzellen beeinflusst: Auf diese Weise übt das serotonerge System einen ständig präsenten global wirksamen "Harmonisierungseffekt" auf die im ZNS ablaufenden Informationsprozesse aus. („Glückshormon“) Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Nachweisbare Veränderungen im Serotoninhaushalt • Herabregulierung des 5-HT (Serotonin-) Systems (Hürther 1999) • Nachweis eines Serotoninmangels (Monteleone et al, 2000, Anderson et al., 1990; Attia et al., 2005) • Erhöhte Serotoninmetaboliten (5-HIAA) im Liquor • PET-Befunde sprechen für eine DownRegulation der Serotoninrezeptoren (Kaye et al 1987, 1991, St. Herpetz, 1997) Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil A.N. – SerotoninsystemBefundlage (Handbuch Essstörungen,2008) • Häufig noch inadäquate Funktion nach Realimentierung (Frank, Kaye, Meltzer et al., 2002) • Verminderte Funktion der Serotonin-A2-Rezeptoren im ZNS, die auch nach Realimentierung weiter nachzuweisen ist (Audenaert et al2003, Frank et al 2002) • Der Neurotransmitter Serotonin ist auch bei normalgewichtigen Anorexie-Patienten erniedrigt. (Herpertz, 2008) • Vulnerabilität des serotonergen Systems möglicherweise prädisponierend für die Entstehung einer ED und das damit assoziierte Persönlichkeitsmerkmale wie Perfektionismus • Aber: Untersuchungen zeigten, dass Nahrungsreduktion auch bei gesunden Frauen die zentrale 5-HT Funktion verändert. Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Serotoninstoffwechsel (nach Herpertz et al, 2008, S. Ehrlich et al, 2008)) AN BN 5-HIES i.L. akut geheilt akut n geheilt Lokale 5 HT1A Rezeptoren akut geheilt akut geheilt akut akut n geheilt geheilt MAO-B Aktivität geheilt Anhaltende Auffälligkeiten bei geheilter AN/BN als möglicher Hinweis auf gemeinsame intrinsische Vulnerabilität im Bereich des Serotoninstoffwechsel Lokale 5 HAT 2A Rezeptoren Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Kritische Beurteilung der Ergebnisse • Ob die persistierenden Veränderungen nach „Heilung“ endgültig als Trait-Marker anzusehen sind, bleibt noch offen, da auch viele PatientInnen aus dieser Gruppe auch in dem realimentierten Stadium noch ein verändertes Essverhalten aufweisen Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Dopaminerges System und ED • Dopaminerge Neurotransmission gestört (WH Kaye et al, 1999) • DNA Hyper- oder Hypomethylierung (H Frieling et al, 2007;) • gestörte Expression dopaminerger Gene( Frieling et al, 2010) • Dysregulation der epigenetischen DNA-Methylierung (H. Frieling et al,2010) • Eine signifikante Hypermethylierung des DRD2 Promoters konnte nur für die AN-Gruppe nachgewiesen werden (H. Frieling et al,2010) • Folge: Gestörte Appetitregulation, Veränderungen im hedonischen Erleben, Bewegungsstörungen, (Frank et alm2005;Kaye et al1999; Casper 2006) Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Bedeutung der Veränderungen des dopaminergen Systems • Die neurohormonellen Veränderungen sind Folge des gestörten Essverhaltens und des Gewichtsverlustes • Normalisierung nach Realimentierung (nach Herpertz, Schweiger, 2001) Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Appetitanregende zentrale Steuerung • Die Veränderungen der appetitanregenden Hormone POMC und AGRP waren nur im untergewichtigen Stadium nachweisbar, korrelierten eng mit BMI und Leptin und normalisierten sich bei Genesung (Ehrlich et al., 2010). • Hier sicherlich keine Trait-Situation. Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Fazit • Zahlreiche hormonelle Veränderungen interagieren bei einer Essstörung und perpetuieren sie. • Hier spielen neben den Hormonen die Hunger und Sattheit steuern auch zentralwirksame Hormone und Neurotransmitter eine wichtige Rolle • Für das Serotoninsystem scheinen auch Trait-Faktoren eine Rolle zu spielen Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Neurophysiologie • Magersüchtige halten an ihrem gestörten Essverhalten oft wider eigenem Willen fest, da Veränderungen im Gehirn einen Wechsel eingeübter Routinen erheblich erschweren. • Magersucht kann partiell als neuronale Entwicklungsstörung verstanden werden, die z.T. malnutritiv getriggert ist. Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Strukturelle Hirnveränderungen • strukturelle Hirnveränderungen bei AN in post mortem Untersuchungen beschrieben (Martin, 1958) • vergrößerte Ventrikel und Sulci, verringerte Dicke des Kortex Volumina der grauen und geringer der weißen Substanz (Hentschel et al., 1995; Katzman et al., 1996; Kerem and Katzman, 2003; Kornreich et al., 1991) • Ausmaß der atrophischen Veränderungen korreliert mit dem Gewichtsverlust (Artmann et al., 1985; Fleta Zaragozano et al.,2005) • gestörten neuronalen Metabolismus bei akuter AN (Frank et al., 2004) • Folge: gestörte neurokognitive Leistungsfähigkeit (Ohrmann et al., 2004) • Anhalt für fortbestehende funktional relevante Hirnveränderungen (Bailer et al., 2005; Kaye et al., 2005; Rastam et al., 2001) Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Hirnveränderungen bei ED gesunde 16-Jährigen (rechts) Anorexie-Patientin (links) Hirnschnitte einer Anorexie-Patientin (links) und einer gesunden 16-Jährigen (rechts) Copyright: B. Herpertz-Dahlmann, Universitätsklinikum Aachen Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Hirnveränderungen bei ED • Die Hirnentwicklung hängt sehr stark von den Geschlechtshormonen Östrogen Testosteron ab • Hippocampus und Amygdala in ihrer Entwicklung durch Mangel an Östrogenen gestört (Connan et al,2006) • Der Wiederaufbau der grauen Substanz im Thalamus, Hippocampus und Amygdala steht im Zusammenhang mit der Hormonellen Bereitsstellung von FSH (FollikelStimulierendes Hormon) (V.Mainz et al, Psychosomatic Medicine, 2012, 74,574-582) • Wenn dies ausbleibt: Entwicklung von depressiven – und/oder Angststörungen möglich. • Eine Studie aus Schweden ergab: Etwa jede vierte behandelte Magersucht-Patientin nach 18 Jahren psychisch so krank war, dass sie arbeitslos war. „Biologische Narbe“ (nach Herpertz-Dahlmann) Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Brain-derived neurotrophic factor (BDNF) (MK Brands et al 2011,Ehrlich et al, 2009) BDNF wirkt auf verschiedene Neuronen des zentralen und des peripheren Nervensystems Es wirkt beim Schutz existierender Neuronen und Synapsen mit und fördert das Wachstum neuer. Im Gehirn ist es in Hippocampus, Großhirnrinde und dem Vorderhirn aktiv, also in Bereichen, die basal für Gedächtnis und abstraktes Denken sind Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Hirnveränderungen bei ED • Die Hirnentwicklung hängt sehr stark von den Geschlechtshormonen Östrogen Testosteron ab • Hippocampus und Amygdala in ihrer Entwicklung durch Mangel an Östrogenen gestört (Connan et al,2006) • Der Wiederaufbau der grauen Substanz im Thalamus, Hippocampus und Amygdala steht im Zusammenhang mit der Hormonellen Bereitsstellung von FSH (FollikelStimulierendes Hormon) (V.Mainz et al, Psychosomatic Medicine, 2012, 74,574-582) • Wenn dies ausbleibt: Entwicklung von depressiven – und/oder Angststörungen möglich. • Eine Studie aus Schweden ergab: Etwa jede vierte behandelte Magersucht-Patientin nach 18 Jahren psychisch so krank war, dass sie arbeitslos war. „Biologische Narbe“ (nach Herpertz-Dahlmann) Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Verminderte kognitive-behaviorale Flexibilität , Am. J. Psychiatry (2009)166, 608-616. Zastrow, A et al • Im fMRT zeigt sich eine Störung des fronto-striatalen Schleifensystems zwischen Groß- und Zwischenhirn. • Dieser Pfad ist für Einleitung und Kontrolle von Handlungen wichtig, besonders wenn sich Umweltbedingungen rasch verändern. • Fazit: Magersuchtkranke halten häufiger als gesunde Vergleichspersonen an der vertrauten Verhaltensantwort fest, wodurch eine alternative Verhaltensweise unterdrückt wurde • Therapieansatz: Mit Magersucht-Patientinnen gezielt das Auflösen von Ritualen, Abläufen und Strukturen trainieren (?) Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Kognitive Leistungsfähigkeit • Bei Adoleszenten: lediglich milder Einschränkungen in der kognitiven Flexibilität (u.a. Bühren et al., 2012; Calderoni et al., 2013; Favre et al., 2009; Shott et al., 2012, Sarrar 2013) • Bei Erwachsenen: deutliche Einschränkungen in den kognitiven Funktionen, d.h. der kognitiven Flexibilität, Verarbeitungsgeschwindigkeit und anderen Teilbereichen kognitiver Funktionen (u.a. Fagundo et al.,2012; Fos-sati et al., 2002, Bühren et al.. 2012). Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Körperbildstörung und neurologische Korrelate bei bulimischen Probandinnen mittels fMRT (HM Mohr, et al, 2011) • • • • Die Bulimie-Gruppe war im Vergleich zur Kontroll-Gruppe weniger zufrieden mit ihren aktuellen Körperproportionen und bevorzugte dünnere Proportionen. Diese Präferenzmuster spiegelten sich in der Aktivierung der Insula wieder. Darüber hinaus überschätzte die Bulimie-Gruppe ihre Körperproportionen. Interessanterweise differenzierte nur bei der Kontrollgruppe ein Areal im lateralen Occipitallappen zwischen verzerrten und unverzerrten Körperproportionen. Zusätzlich rekrutierten die Bulimie-Gruppe während der Einschätzung der Körperproportionen den mittleren frontalen Gyrus (MFG) in geringerem Ausmaß als die Kontroll-Gruppe, was auf eine geringere Nutzung von räumlichen Manipulationsressourcen hinweisen könnte. Durch die vorliegende Studie konnte gezeigt werden, dass bulimische Patientinnen an Veränderungen in beiden Dimensionen (Einschätzung der Körperwahrnehmung, emotionale Bewertung) des Körperbildes leiden, welche jeweils mit spezifischen neuronalen Aktivierungen korreliert sind. Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Funktionelle Hirnveränderungen • Die subjektive Einschätzung der Sättigungsgefühle zeigte bei den Anorektikerinnen schon nach Einnahme von sieben Schlucken Kakao während der Messung eine extreme Zunahme. (verstärkte Aktivierung im orbitofrontalen und im parietalen Kortex) (ER Gizewski et al, Psychother Psych Med 2008; 58 - S36) • Die Aktivierungsmuster im Gehirn bei Betrachtung des eigenen und eines fremden Körpers zeigen deutliche Unterschiede bei gesunden und essgestörten Probanden (Vocks S et al, Journal of Psychiatry Neuroscience 2010 May; 35(3):163-176 • Eine deutlich erhöhte Aktivität des Amygdala-Areals konnte bei Personen mit Essstörungen beim Betrachten fremder Körper im Vergleich zu Personen ohne Essstörung festgestellt werden. Die Amygdala, der Mandelkern, ist Bestandteil des limbischen Systems, das bei Angst und unangenehmen Gefühlen aktiviert wird. Ursächlich für die erhöhte Aktivität könnte die Tatsache sein, dass sich Menschen mit Essstörungen stärker mit anderen vergleichen und bei diesem Vergleich ihrem subjektiven Empfinden nach schlechter abschneiden Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Visuelle Wahrnehmung des eigenen Körpers Amygdala (Mandelkern): Emotionale Bewertung Der Gyrus fusiformis, Gyrus occipitotemporalis lateralis oder Spindelwindung ist eine Gehirnwindung der Großhirnrinde des Schläfenlappens: Fusiform Body Area (FBA) Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Visueller Cortex: Extrastriate Body Area (EBA) Funktionelle Hirnveränderungen in der visuellen Wahrnehmung (Suchan et al, Behav Brain Res. 2013,241:80-5 • Strukturelle Veränderungen im Gehirn von Patientinnen mit Anorexie nachgewiesen, mit einer verminderten Dichte von Nervenzellen in der EBA • Die Verbindung zwischen FBA (fusiform body area) und EBA (extrastriate body area) war bei magersüchtigen Frauen schwächer als bei gesunden Frauen. Außerdem fanden die Forscher eine negative Korrelation zwischen der EBA-FBA-Verbindung in der linken Hirnhälfte und der Fehleinschätzung des Körpergewichts: Je schwächer die effektive Konnektivität zwischen EBA und FBA war, desto dicker schätzten sich die Probandinnen mit Magersucht fälschlicherweise ein. • Nach der Therapie glich sich das aus. Ebenso stieg nach der Therapie die Aktivität in diesem Hirnbereich bei Betrachtung des eigenen Körpers an. „Die Region ist also plastisch: Man kann sie durch therapeutische Intervention verändern“ Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Funktionelle Hirnveränderungen • • Die graue Substanz der Extrastriate Body Area war bei essgestörten Patientinnen vor der Körperbildtherapie deutlich verringert. Nach der Therapie glich sich das aus. Ebenso stieg nach der Therapie die Aktivität in diesem Hirnbereich bei Betrachtung des eigenen Körpers an. „Die Region ist so plastisch. Man kann sie durch therapeutische Intervention verändern“, B. Suchan, 2009 Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Funktionelle Hirnveränderungen • Die Stabilisierung bei AN ist primär nicht abhängig von der Veränderung des emotionalen Antwort der Amygdala auf Körperbilder. • Sondern kompensatorische neuronalen Mechanismen, die diese emotionale Antwort modifizieren sind hier ausschlaggebend. (TA Pruis et al, Int. J Eat Disord 2012 Dec;45(8)_91931) Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Selbstbeschreibung „Das war schon ein Elend, in dieser Weise gefangen zu sein und nicht zu verstehen, warum und wie.“ „Ich… bin entsetzt bei dem Gedanken, dass ich meine Krankheit ablege Und dann nichts mehr habe.“ Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil Fazit • Die gestörte Körperwahrnehmung, ist v.a. dadurch bedingt, dass eigene Krankheitssignale durch Änderungen im visuellen und parietalen Kortex häufig falsch wahrgenommen werden. • Zudem wird durch Überaktivität der Amygdala mit damit verbundenen emotionalen Komponenten (Angst und unangenehmen Gefühlen) das eigene Köperbild negativ besetzt • Veränderung der hormonellen Interaktion zwischen der Peripherie und dem ZNS, aber auch nachweisbare Defizite in Transmittersystemen des ZNS selbst fördern eine „unselige Neigung zur Selbstverewigung“. Netzwerk Essstörungen Trier Dr. Schaan, Dr.Weiland-Heil