Ausarbeitung () - Server der Fachgruppe Physik der RWTH

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Grundlagen von Teilchendetektoren
Seminar WS 2001/2002
Moderne Methoden/Experimente der
Teilchen- und Astroteilchenphysik
Carsten Magaß
Matrikelnummer : 219031
Betreuer : Privatdozent Dr. Wolfgang Struczinski
19. November 2001
Zusammenfassung
Mit der Entdeckung der radioaktiven Strahlung durch Becquerel (1896)
begann auch die Entwicklung der Teilchendetektoren. Die Messverfahren wurden im Lauf der Zeit stark verfeinert. Heute will man nicht nur Teilchen und
Strahlung nachweisen, sondern diese auch identifizieren, d. h. sowohl Energie-,
Impuls- als auch Ortsmessungen durchführen.
In dieser Ausarbeitung werden zunächst Eigenschaften von Detektoren im
allgemeinen behandelt. Im Anschluss daran wird eine Auswahl von Detektortypen vorgestellt und deren Funktionsweise und typische Eigenschaften
vorgestellt. Das Beispiel des CMS-Detektors am LHC im CERN zeigt den
charakteristischen Aufbau eines Großdetektors für aktuelle Messungen in Experimenten der Teilchenphysik.
1
Inhaltsverzeichnis
1 Allgemeine Eigenschaften von Detektoren
1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Messgrößen und Kenngrößen von Detektoren . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 Typen von Detektoren
2.1 Nebel- und Blasenkammer . . . . . . . .
2.1.1 Nebelkammer . . . . . . . . . . .
2.1.2 Blasenkammer . . . . . . . . . . .
2.2 Gasgefüllte Detektoren . . . . . . . . . .
2.2.1 Ionisationskammer . . . . . . . .
2.2.2 Proportionalzähler . . . . . . . .
2.2.3 Geiger-Müller-Zählrohr . . . . . .
2.2.4 Vieldraht-Proportionalkammer . .
2.2.5 Mikrostreifen-Gasdetektor . . . .
2.2.6 Driftkammer . . . . . . . . . . . .
2.3 Halbleiterdetektor . . . . . . . . . . . . .
2.4 Szintillator . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5 Kalorimeter . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5.1 Elektromagnetisches Kalorimeter
2.5.2 Hadronisches Kalorimeter . . . .
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4
4
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7
7
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9
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14
15
15
16
17
19
19
21
3 Beispiel eines Teilchendetektors: CMS
22
4 Ausblick
22
2
Abbildungsverzeichnis
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
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15
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20
21
22
23
24
25
26
27
Energieverlust − dE
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
dx
Absorption von Photonen in Blei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vergleich der Photoneffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nebelkammer (schematisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Blasenkammeraufnahme der Reaktion π − + p → Λ0 + K 0 . . . . . . .
π − -Wechselwirkung in Freon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Charakteristik gasgefüllter Kammern . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ionisationskammer (schematisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Geometrie der Ionisationskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nebelkammeraufnahme einer Ladungslawine im Proportionalzähler .
Vieldraht-Proportionalkammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kathodenauslese in einer Vieldraht-Proportionalkammer . . . . . . .
Mikrostreifen-Gasdetektor (schematisch) . . . . . . . . . . . . . . . .
Elektrisches Feld im Mikrostreifen-Gasdetektor . . . . . . . . . . . . .
Verschiedene Ausführungen der Driftkammer . . . . . . . . . . . . . .
p-n-Halbleiterdetektor (schematisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Silizium-Streifendetektor (schematisch) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bändermodell eines Festkörpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Photomultiplier (schematisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Spektrum der Komponenten organischer Szintillatoren . . . . . . . .
Vergleich der Energieauflösung beim Szintillator und Halbleiterdetektor
Energieverlust von Elektronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Energieverlust von Photonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Elektromagnetische Kaskade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einfaches Modell zur Schauerparametrisierung . . . . . . . . . . . . .
Aufbau eines Großdetektors (schematisch) . . . . . . . . . . . . . . .
CMS-Detektor (Querschnitt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
5
7
7
9
9
10
11
11
12
14
15
16
16
16
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17
18
19
19
19
20
20
20
20
23
23
Tabellenverzeichnis
1
2
Strahlungslängen und kritische Energien einiger Materialien . . . . . 21
Absorptionslängen einiger Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
3
1
Allgemeine Eigenschaften von Detektoren
1.1
Einleitung
Detektoren werden in verschiedenen Bereichen verwendet. Allein in der Kern- und
Teilchenphysik wird ein sehr breites Spektrum an verschiedenen Detektorformen
angefordert. So werden beispielsweise bei der Mößbauer-Spektroskopie Proportionalzähler zur Energiemessung eingesetzt; bei der Messung der Lebensdauer von
Myonen geben Szintillatoren Zeitsignale an Koinzidenzschaltungen. Messungen in
der Astrophysik stellen wiederum andere Anforderungen an Detektoren. Die Strahlungsüberwachung von α-, β- und γ-Strahlung in Medizin, Umwelt und Technik
stellt ebenso einen breiten Anwendungsbereich mit speziellen Anforderungen (z. B.
Messungen der Dosis) dar.
1.2
Messgrößen und Kenngrößen von Detektoren
Die Anwendung in der Teilchenphysik soll nun im Vordergrund stehen. Bei einer Elementarteilchenreaktion sollen beispielsweise (möglichst) alle entstehenden Teilchen
registriert werden. Dies bedeutet im einzelnen:
• die Bestimmung von Richtungen und Impulsen der produzierten Teilchen;
• die Identifikation der Teilchen;
• die Erkennung von Untergrundreaktionen.
Diese Forderungen können nicht von einem einzelnen Detektor erfüllt werden; es ist
dazu vielmehr eine Kombination verschiedener Nachweisgeräte erforderlich.
Jeder Detektor kann nur einen Teil der Messung vornehmen. Zu den Messgrößen
gehören die Orts-, Energie-, Impuls- und Zeitmessung. Die Ortsbestimmung ist erforderlich zur kinematischen Rekonstruktion einer Reaktion. Auch über eine Zeitmessung können Aussagen über den Ort des Teilchens erhalten werden (s. 2.2.6). Die
Energie- und Impulsmessung kann zur Bestimmung von Massen beitragen. Auch ist
es möglich, durch Vergleich der gemessenen Energie mit der Energie der einfallenden
Teilchen Rückschlüsse auf nicht unmittelbar nachgewiesene Teilchen zu ziehen.
Jeder Detektor wird neben der Messgröße durch Kenngrößen charakterisiert.
Das Maß für die Trennfähigkeit bezüglich einer Messgröße z ist die Auflösung σz
(Varianz). Sie berechnet sich bei zugrundeliegender Verteilung D(z) und Mittelwert
< z > aus:
Z
σz =
Z
2
(z− < z >) D(z) dz
mit
< z >=
zD(z) dz
(1)
Wird die Zeit gemessen, so bezeichnet man σt als Zeitauflösung. Daneben gibt
es noch die Totzeit. Innerhalb der Totzeit ist der Detektor für einfallende Teilchen
unempfindlich. Als empfindliche Zeit bezeichnet man die Zeit, innerhalb der der
4
Detektor registrierbereit ist. Die Auslesezeit ist die Zeit, die benötigt wird, um die
Information des registrierten Teilchens in elektronischen Speicher einzulesen. Eine
weitere wichtige Kenngröße ist die Nachweisempfindlichkeit ε (efficiency). Diese bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, mit der ein eintreffendes Teilchen registriert wird
(0 ≤ ε ≤ 1).
1.3
Theoretische Grundlagen
Die Messung von Teilchen in einem Detektor erfolgt über die Wechselwirkung des
zu messenden Teilchens mit der Materie des Detektors. Bei der Art der Wechselwirkung kann grundsätzlich zwischen geladenen und neutralen Teilchen unterschieden
werden. Geladene Teilchen verlieren im Detektormaterial Energie durch Ionisation
und Anregung gemäß der Bethe-Bloch-Gleichung bzw. aufgrund von Bremsstrahlung. Neutrale Teilchen müssen erst durch Prozesse in geladene Teilchen umgewandelt werden, damit so wiederum der Energieverlust nachgewiesen werden kann. Dies
geschieht im einzelnen bei Photonen durch Photoeffekt, Comptoneffekt und Paarbildung – je nach Energie und Material – und bei Neutronen durch Kernreaktionen.
Andere neutrale Teilchen, wie z. B. das Pion π 0 können durch Untersuchung der
Folgeprodukte von Teilchenreaktionen (hier: π 0 → γγ) nachgewiesen werden. Informationsträger sind somit letztendlich immer geladene Teilchen.
Abbildung 1: Energieverlust − dE
[Ber92]
dx
Abbildung 2: Absorption von
Photonen in Blei [Ger93]
Geladene Teilchen verlieren Energie durch Ionisation und Anregung gemäß der
Bethe-Bloch-Gleichung:
¯
(
2
ZNA ρ z 2
2me c2 γ 2 β 2
δ
dE ¯¯
2
2 (h̄c)
·
·
ln
−
β
−
¯
=
4πα
−
2
2
dx ¯Ion
me c
A
β
I
2
α ≈ 1/137 (Feinstrukturkonstante)
5
)
mit
(2)
z
Z
A
ρ
NA
=
=
=
=
=
Ladung des einfallenden Teilchens
Ordnungszahl des Absorbermaterials
Atommasse des Absorbermaterials [g/mol]
Dichte des Absorbermaterials
6.022 · 1023 mol−1 (Avogadrozahl)
v
1
β =
und γ = √
c
1 − β2
δ = Einfluss des Dichteeffektes
I ≈ 16 · Z 0.9 eV (mittleres Ionisationspotential)
In Abb. 1 sind gemessene Werte im Vergleich zur Theorie für verschiedene Teilchen
aufgetragen. Leichte Teilchen wie das Elektron verlieren Energie durch Bremsstrahlung:
¯
dE ¯¯
Z2 1
−
¯
∝ z2 ·
·
· E,
(3)
dx ¯Brems
A m20
wobei m0 die Masse des einfallenden Teilchens bezeichnet. Insbesondere kann man
Gl. 3 integrieren:
¯
dE ¯¯
−
¯
∝E
dx ¯Brems
¯
⇒
dE ¯¯
E
¯
−
=
¯
dx Brems X0
E = E0 e−x/X0
⇒
(4)
Die Größe X0 bezeichnet man als Strahlungslänge. Sie ist materialabhängig und
außerdem abhängig von z 2 (vgl. Gl. 3). Daher definiert man die Strahlungslänge in
einem Material der Ordnungszahl Z für Elektronen (z ≡ 1). Genauere Ableitungen
[PDG00] ergeben für die spezifische Strahlungslänge X0 /ρ:
·
X0
g
716.4 · A
√
=
ρ
Z(Z + 1) ln(287/ Z) cm2
¸
(5)
Für Photonen gilt:
I = I0 e−µx
mit
µ=
ρ · NA X
σi ,
A[g/mol]
(6)
wobei ρ die Dichte des Materials und A dessen Atommasse bezeichnet. Die einzelnen
Effekte sind in Abhängigkeit von der Energie in Abb. 2 für Photonen in Blei aufgetragen. Die Proportionalitäten der einzelnen Effekte (Photoeffekt, Comptoneffekt
und Paarbildung) sind in Gl. 7 aufgelistet.
In Abb. 3 ist in Abhängigkeit von Ordnungszahl und Energie aufgetragen, welcher Effekt jeweils dominant ist.
Der Energieverlust geladener Teilchen ∆E führt zu einer Zahl freier Ladungsträger nT
∆E
,
(8)
nT =
W
wobei W die charakteristische Energie zur Erzeugung eines Ladungsträgerpaares ist
(W ≈ 30 eV in Gasen; 3.6 eV in Silizium; 2.8 eV in Germanium; s. 2.3).
6
σ P hoto ∝
7/2
Eγ
ln Eγ
Eγ
2
∝ Z · ln Eγ
σ Compton ∝ Z ·
σ P aar
2
2.1
Abbildung 3: Vergleich der Photoneffekte [Gru93]
Z5
(7)
Typen von Detektoren
Nebel- und Blasenkammer
Nebel- und Blasenkammern fanden hauptsächlich in den Jahren von 1960 bis 1975
Verwendung. Beide wurden als Spurkammern und zur Bestimmung von Impulsen
eingesetzt. Der zugrundeliegende Effekt der Sichtbarmachung der Spur ist thermodynamischer Natur. Die Spuren wurden dann fotografiert und die Bilder ausgewertet.
Die Impulsbestimmung erfolgt dadurch, dass die ganze Anordnung in ein Ma~ gebracht wird, welches senkrecht auf der Richtung der ausfallenden Strahgnetfeld B
lung steht. Die Gleichheit aus Zentripetalkraft und Lorentzkraft erlaubt die Bestimmung des Impulsbetrages (R: Radius der Bahn, q: Ladung):
~
|~p| = |q| · R · |B|
~
(~p ⊥ B)
(9)
Die Richtung der Krümmung (links- oder rechtsgekrümmt) gibt das Vorzeichen der
Ladung an.
2.1.1
Nebelkammer
Der schematische Aufbau einer Nebelkammer nach Wilson (1912) ist in Abb. 4 wiedergegeben. Eine Kammer ist mit wasserdampfgesättigter Luft gefüllt; d. h. gasförmige und flüssige Phase stehen im thermodynamischen Gleichgewicht. Dann wird die
Abbildung 4: Nebelkammer (schematisch), nach [Ger93]
7
Kammer adiabatisch auf V 0 = 4/3V expandiert. Gemäß der Adiabatengleichung
sinkt die Temperatur:
T V κ−1 = T 0 V 0κ−1
⇒
T 0 = T (3/4)κ−1 < T
(κ > 1)
(10)
Dadurch entsteht übersättigter Dampf – an Kondensationskeimen entstehen jetzt
Wassertropfen. Als Kondensationskeime können Staubkörner dienen. Hier findet jedoch die Kondensation entlang der geladenen Gasmoleküle statt, da die geringe
Energieänderung durch Ionisation den metastabilen Zustand der Übersättigung in
den stabilen Zustand der Tropfenbildung überführt. Wird die Kammer jetzt von der
Seite beleuchtet, so können von oben hellleuchtende Nebelstreifen beobachtet bzw.
fotografiert werden. Abb. 10 auf Seite 12 zeigt die Nebelkammeraufnahme einer
Ladungslawine.
Die empfindliche Zeit der Nebelkammer beträgt etwa 10−2 s. Zwischen zwei Expansionen werden Zeiten von einigen Minuten benötigt, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen.
Ein Nachteil dieser Apparatur ist die geringe Dichte des Gases. Dadurch erzeugen schwach ionisierende Teilchen zu wenig Ionen, um die Spur sichtbar zu machen.
Abhilfe schafft eine mit metastabiler Flüssigkeit gefüllte Kammer – die Blasenkammer.
2.1.2
Blasenkammer
Die Blasenkammer (Glaser, 1952) ist eine mit Flüssigkeit (z. B. Wasserstoff, Deuterium) bei Druck nahe des Siedepunktes gefüllte Kammer. Wird nun der Druck
plötzlich erniedrigt, so entsteht ein überhitzter Zustand, der wiederum metastabil
ist. Geringe thermodynamische Ungleichheiten führen zur Bildung von Gasblasen.
An durch Strahlung ionisierten Atomen kommt es zur Bildung vom Dampfblasen,
welche durch Energiedifferenzen entlang der Spur des ionisierenden Teilchens ausgelöst werden. Die Spur kann dann wiederum fotografiert und ausgewertet werden.
Die Dichte der gebildeten Blasen entlang einer Teilchenspur ist proportional zum
Energieverlust dE/dx. Für kleine Impulse (p/mc < 3) gilt dE/dx ∝ 1/β 2 (s. Gl. 1);
d. h. die Dichte der Blasen ist umgekehrt proportional zu β 2 . Ist der Impuls zusätzlich
nach Gl. 9 bestimmt worden, so lässt sich außerdem die Masse bestimmen:
√
1 − β2 · p
m0 =
(11)
βc
Die Füllflüssigkeit hängt von der Art der Reaktion ab, da die Flüssigkeit gleichzeitig
als Detektormaterial und Target dient. Ist eine Reaktion mit Protonen erwünscht,
ist die Kammer mit Wasserstoff gefüllt. Wechselwirkungen mit Neutronen können
durch Differenzmessungen mit Deuterium und Wasserstoff behandelt werden. Die
empfindliche Zeit der Blasenkammer beträgt etwa 1 ms. Zwischen zwei Expansionen
werden Zeiten von etwa 100 ms benötigt, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen.
8
In Abb. 5 ist eine Reaktion von Pionen mit Protonen fotografiert und aufgeschlüsselt. Das Magnetfeld kommt aus der Zeichenebene heraus. Die aufgezeigte
Abbildung 5: Blasenkammeraufnahme der
Reaktion π − + p → Λ0 + K 0 [WWW1]
Abbildung 6: π − -Wechselwirkung
in Freon [Kle84]
Reaktion ist ein Beispiel für die assoziierte Produktion. Die seinerzeit neu entdeckten Teilchen Λ0 und K 0 haben besondere, “seltsame” Eigenschaften, die ihnen den
Namen “strange particles” verliehen. Sie werden ausschließlich paarweise über starke
Wechselwirkung produziert und zerfallen über schwache Wechselwirkung. Die neuartigen Eigenschaften wurden durch die Einführung einer neuen Quantenzahl – der
Strangeness S – erklärt: das Λ0 hat S = −1 (enthält ein s-Quark), das K 0 hat
S = 1 (enthält ein s̄). Diese Quantenzahl ist in der schwachen Wechselwirkung nicht
erhalten, wohl aber in starker und elektromagnetischer.
Der Vorteil von Nebel- und Blasenkammer ist, dass der volle Raumwinkel von
4π erfasst werden kann. Auch besitzen beide Kammern eine ausgezeichnete Ortsauflösung; durch spezielle holografische Aufnahmen wie Abb. 6 kann mit der Blasenkammer eine Auflösung von 8 µm erreicht werden. Auch zeigen beide Apparaturen
eine hohe Effizienz der Spurbildung. Sowohl Blasen- als auch Nebelkammer sind
jedoch nicht auf elektronischem Wege triggerbar, was ihren Einsatz an Collideranlagen nicht zulässt. Hochenergetische Strahlung kann in den Kammern aufgrund der
geringen Dichte nicht absorbiert werden. Bei hohen Energien ist die genaue Bestimmung der Impulse der Teilchen nur schwer möglich. Auch ist die Auswertung der
Fotografien mit sehr hohem Aufwand verbunden.
2.2
Gasgefüllte Detektoren
Gasgefüllte Detektoren lassen sich auf vielfältige Weise erstellen. Das Prinzip ist
jedoch bei allen Modifikationen gleich: Ein einfallendes geladenes Teilchen setzt im
Gasvolumen längs seiner Bahn Elektronen-Ionenpaare frei, welche über eine angelegte Spannung an der Kathode bzw. Anode gesammelt werden. In Abb. 7 ist die
Anzahl der freigesetzten Ladungsträger in Abhängigkeit von der angelegten Spannung an einem (zylindrischen) Zählrohr aufgetragen, und zwar für Elektronen und
α−Teilchen. Man kann die Charakteristik in 4 Bereiche einteilen:
9
Abbildung 7: Charakteristik gasgefüllter Kammern [Kle84]
Bereich I: Rekombinationsbereich
Die Feldstärke ist so gering, dass die Ionenpaare teilweise rekombinieren. Da
nur ein geringer Teil zur Pulshöhe beiträgt, ist in diesem Teil keine quantitative
Messung möglich.
Bereich II: Ionisationskammerbereich
Alle primär erzeugten Ladungsträger werden unabhängig von der Spannung
aufgesammelt.
Bereich III: Proportionalbereich
Sekundäre Ladungsträger werden durch Stoßionisation gebildet und es bilden
sich Ladungslawinen aus. Die Gasverstärkung A (s. 2.2.2) steigt exponentiell
mit der angelegten Spannung an. Die registrierten Ladungen sind immer noch
proportional zu den primär erzeugten Ladungsträgern. Im Bereich begrenzter Proportionalität treten Sättigungserscheinungen auf. Die Feldstärke bricht
zusammen in Bereichen großer Lawinen.
Bereich IV: Geiger-Müller-Bereich (Auslösebereich)
Hier ist die Pulshöhe unabhängig von der Zahl der primären Ladungsträger.
Es wird nur noch der Durchgang geladener Teilchen registriert. Bei weiterer
Erhöhung der Spannung findet selbständige Gasentladung statt; das Zählrohr
wird dabei zerstört.
10
2.2.1
Ionisationskammer
In Abb. 8 ist eine zylindrische Ionisationskammer schematisch aufgetragen. Die
Spannung ist gemäß Bereich II in Abb. 7 eingestellt.
Abbildung 8: Ionisationskammer (schematisch)
[Ott96]
Abbildung 9: Geometrie der
Ionisationskammer
Ein einfallendes, geladenes Teilchen setzt Elektronen-Ionenpaare frei; die Elektronen werden auf der Anode, die Ionen auf der Kathode gesammelt. Es finden noch
keine Sekundärionisationsprozesse statt. Die Kammer wirkt wie ein Kondensator
(CK , s. Abb. 8). Auf diesem “Kondensator” entsteht Ladungsinfluenz; am Widerstand R fällt eine Spannung ∆U ab, die über einen Kondensator C ausgekoppelt
und an einen Verstärker V weitergegeben wird.
Das elektrische Feld (Abb. 9) ist gegeben durch
~ r) =
E(~
U0
1
· · e~r .
ln(ra /ri ) r
(12)
Berechnet man den durch die Bewegung der Ionen bewirkten Spannungsstoß ∆U +
und den durch die Bewegung der Elektronen bewirkten Spannungsstoß ∆U − , so
stellt man folgende Beziehungen fest (r0 : Ort des einfallenden Teilchens, parallel
zum Anodendraht [idealisiert]):
∆U ges = ∆U − + ∆U + = −
Ne
∝N
C
und
∆U +
ln(ra /r0 )
=
−
∆U
ln(r0 /ri )
(13)
Die Pulshöhe ist also proportional zu Anzahl der primär freigesetzen Ladungsträger
N . Für realistische Werte (ra /ri = 103 ; r0 = ra /2) ist ∆U + /∆U − ≈ 0.11, d. h. der
Hauptanteil des Signals stammt von der Bewegung der Elektronen.
Durch ähnliche Berechnungen kann man die Zeiten zur Sammlung bestimmen.
Es ergeben sich typische Zeiten von te ≈ 1 µs für Elektronen und tIon ≈ 1 ms für
Ionen (bei Argonfüllung unter Normaldruck, E = 500 V /cm).
Im Schaltbild Abb. 9 gibt das RC-Glied die Zeitmarke an. Dadurch läßt sich die
Ionisationskammer in zwei Modi betreiben:
11
1. Betrieb als Pulskammer: RC ¿ tIon
Es können einzelne Teilchen gezählt werden; außerdem ist eine Bestimmung
des Energieverlustes dE/dx im Zählrohr möglich (z. B. α-Spektroskopie).
2. Betrieb als Stromkammer: RC À tIon
Hier wird die aufintegrierte Ladung gemessen. Dies wird beispielsweise in Dosimetern ausgenutzt zur Ermittlung der Personendosis.
Vorteile der Ionisationskammer sind der einfache Aufbau und die Proportionalität
zur Zahl der Ionenpaare in Gl. 13. Nachteil bei Betrieb als Pulskammer (RC klein)
ist die Abhängigkeit des Signals vom Ort r0 der Bahn. Auch können nur geringe
Pulsraten wegen der langen Driftzeiten der Ionen gemessen werden. Ein weiterer
Nachteil ist, dass die Spannungssignale extrem klein sind. Letzteres wird durch Anlegen einer höheren Spannung beim Proportionalzähler behoben.
2.2.2
Proportionalzähler
Der Proportionalzähler wird in Bereich III in Abb. 7 betrieben. Der Aufbau erfolgt
gemäß Abb. 8, jedoch werden höhere Feldstärken durch einen kleineren Radius des
Anodendrahtes erreicht. Kommen nun Primärelektronen in Drahtnähe in dieses hohe
~
E-Feld,
so findet ein starker Zuwachs an kinetischer Energie statt. Die Elektronen
sind in der Lage, durch weitere Stöße Gasatome zu ionisieren. Dadurch entsteht
eine Lawine von Ladungsträgern in Drahtnähe (s. Abb. 10). Durch die LawinenAbbildung 10: Links: Nebelkammeraufnahme einer Ladungslawine im Proportionalzähler. Rechts: Verteilung der Ionen (+) und Elektronen (–) [Kle84]
bildung kommt es zur Gasverstärkung. Der insgesamt gemessene Spannungsimpuls
wird gegenüber der Ionisationskammer (vgl. Gl. 13) um den Faktor A verstärkt:
Ne
,
(14)
C
wobei A der Gasverstärkungsfaktor genannt wird. An Gl. 14 erkennt man, dass das
gemessene Signal immer noch proportional zur Zahl der primären Ladungsträger ist,
jedoch um den Faktor A vergrößert. Für A gilt näherungsweise:
√
√
(15)
A ∝ ek U0 ( U0 /US −1)
∆U ges = −A ·
12
U0 ist die angelegte Spannung, k eine Konstante. US bezeichnet den Übergang des
Proportionalbereiches. Dieser wird nun so definiert, dass innerhalb des Proportionalbereiches der Gasverstärkungsfaktor unabhängig von N ist. A ist abhängig vom
geometrischen Aufbau, Füllgas und Gasdruck. Außerdem ist in Gl. 15 die Abhängigkeit von der Hochspannung U0 zu erkennen. Die Gasverstärkung erreicht im Proportionalbereich Werte von 104 bis 106 . (Eine bessere Beschreibung von A gelingt
mithilfe der sog. Townsend-Koeffizienten, [Gru93] oder [Kle84]).
Das Verhältnis der Spannungsimpulse berechnet sich hier zu:
∆U +
ln(ra /ri )
≈
,
−
∆U
kλ/ri
(16)
wobei λ die freie Weglänge des Gases ist. Im Gegensatz zur Ionisationskammer
stammt hier der Spannungsimpuls hauptsächlich von den sich langsam vom Anodendraht wegbewegenden positiven Ionen (∆U + /∆U − ≈ 10 für ra = 1 cm, ri = 30 µm,
kλ = 20 µm).
Neben den Elektronen entstehen in Sekundärprozessen auch UV-Quanten, deren
Störeffekte (z. B. Photoeffekt) durch organische Gaszusätze (Alkohol) verhindert
werden.
Mit dem Proportionalzähler ist im Vergleich zur Ionisationskammer auch die
Spektroskopie von Röntgenstrahlung möglich. Von Vorteil ist, dass eine geringe
Primärionisation zur Signalbildung ausreicht. Die Energieauflösung ist jedoch durch
Fluktuationen der Primärionisation und der Ladungsvervielfachung begrenzt. Auch
ist i. a. eine Signaldifferenzierung durch RC-Glieder notwendig.
2.2.3
Geiger-Müller-Zählrohr
Bei weiterer Erhöhung der Zählrohrspannung gelangt man in den Auslösebereich
(s. Abb. 7). Die Gasverstärkung erreicht nun Werte von A ≈ 108 , denn neben der
Stoßionisation entstehen jetzt UV-Quanten in großer Anzahl. Diese UV-Quanten
bewirken folgendes:
1. Sie lösen an der Kathode (Zählrohrmantel) Photoelektronen aus, die auf dem
Weg zum Anodendraht wiederum Lawinen auslösen;
2. sie ionisieren ebenfalls selbst das Gas in Drahtnähe.
Sind alle Elektronen abgesaugt (10−8 s), verhindert der Ionenschlauch durch Feldabschimung des Anodendrahtes weitere Lawinenbildung. Erreichen jedoch die Ionen
den Zählrohrmantel (10−4 s), können sie dort Sekundärelektronen herausschlagen,
welche erneute Lawinen bilden und somit zur Dauerentladung und Zerstörung des
Rohres führen. Der Zusammenhang zwischen dem Signal und der Primärionisation
ist nun nicht mehr vorhanden; das Zählrohr kann nur den Durchgang von Teilchen
registrieren. Doch dazu muss zunächst die Dauerentladung verhindert werden, und
zwar durch Löschprozesse.
13
Bei nicht selbstlöschenden Zählrohren wird der Ladewiderstand R im RC-Glied
so groß gewählt, dass die momentane Anodenspannung U0 −RI kleiner als der untere
Grenzwert für den Auslösebereich wird. Nachteil dieser Anordnung sind erhöhte
Totzeiten, weswegen dieser Typ auch “langsames” Zählrohr heisst.
Bei selbstlöschenden Zählrohren wird dem Zählgas (meist ein Edelgas) ein Löschgas (Alkohol, Methan o. ä.) im Verhältnis 1 : 10 hinzugefügt. Das Löschgas ist in
der Lage, die UV-Photonen zu absorbieren, so dass keine Photoelektronen aus der
Kathode ausgelöst werden können. Zusätzlich findet durch Stöße des Löschgases mit
den Zählgasionen eine Umladung statt: Ar+ +CH4 → Ar+CH4+ . Die Löschgasionen
haben jedoch nicht genügend Energie, um Elektronen aus der Kathode herauszuschlagen. Die Entladung bricht von selbst ab. Der Ladewiderstand R kann also jetzt
kleiner gewählt werden, so dass geringere Totzeiten erreicht werden (daher heisst
dieser Typ auch “schnelles” Zählrohr).
Von Vorteil ist die einfache Bauweise und Handhabung. Es sind aber keine Mehrfachteilchenregistrierungen möglich. Auch sind die Totzeiten immer noch relativ
groß. Das Geiger-Müller-Zählrohr zeigt außerdem ein geringes Ansprechvermögen
für Photonen.
2.2.4
Vieldraht-Proportionalkammer
Die Anordnung von Proportionalzählrohren ohne trennende Zwischenwände in einer Ebene bezeichnet man als Vieldraht-Proportionalkammer (s. Abb. 11), die als
erstes von Charpak eingeführt wurde (Nobelpreis 1992). Charpak zeigte, dass die
Abbildung 11: Links: Schematischer Aufbau einer Vieldraht-Proportionalkammer;
rechts: Elektrische Feldlinien in der Vieldrahtproportionalkammer
Anodendrähte als unabhängige Detektoren wirken und dass die kapazitive Kopplung
benachbarter Anodendrähte vernachlässigbar ist. Das Verhältnis von Drahtdurchmesser zu Drahtabstand beträgt etwa 1 : 100, z. B. 20 µm : 2mm; der Abstand
zwischen Kathode und Anode liegt bei 6 mm. Mit dieser Anordnung lässt sich nicht
nur der Energieverlust messen, sondern auch der Ort des Teilchens. Eine Registration der Teilchenspur ist dadurch möglich, dass die Reihenfolge der Anodensignale
rekonstruiert wird. Es kann eine Ortsauflösung von etwa 500 µm erreicht werden.
14
Ein großes Problem der Anordnung ist die mechanische Instabilität der Anodendrähte durch elektrostatische Abstoßung. Dieses Problem kann man durch Stützstellen in regelmäßigen Abständen verhindern. Dadurch ist der Detektor aber an diesen
Stellen nicht empfindlich für Teilchendurchgänge.
Die Ortsauflösung kann erheblich verbessert werden, indem die Kathode zusätzlich streifenweise ausgelesen wird (“Kathodenauslese”, s. Abb. 12). Es lässt sich eine
Ortsauflösung von ca. 35 µm erreichen.
Abbildung 12: Kathodenauslese in einer Vieldraht-Proportionalkammer
2.2.5
Mikrostreifen-Gasdetektor
Die miniaturisierte Form der Vieldraht-Proportionalkammer bezeichnet man als
Mikrostreifen-Gasdetektor. Hierbei sind die frei gespannten Anodendrähte und die
Kathode durch auf Substrat aufgedampfte Kathoden- und Anodenstreifen ersetzt
(s. Abb. 13; Abb. 14 zeigt das elektrische Feld). Die Funktionsweise ist ansonsten
genauso wie bei der Vieldraht-Proportionalkammer; der Vorteil besteht in Signalverkürzungen durch reduzierte Ionenlaufzeiten. Die Ortsauflösung liegt im Bereich
von 30 µm.
2.2.6
Driftkammer
Bei der Driftkammer wird die Proportionalität zwischen Ort und Zeit ausgenutzt,
um aus einer Zeitmessung auf den Ort des Teilchens zu schliessen – bei konstanter
Driftgeschwindigkeit vD :
z ∝ ∆t
⇒
z = vD · ∆t
(17)
Das Problem hierbei ist die über den Driftraum konstante Geschwindigkeit. Dazu
verwendet man modifizierte Formen der Vieldraht-Proportionalkammer. In Abb. 15
(links) wird die Feldstärke in der Driftregion konstant gehalten, indem jeder von
den die Kathodenebene bildenden Drähten auf einem anderen Potential liegt; dieses
15
Abbildung 13: Mikrostreifen-Gasdetektor (schematisch) [Pooth]
Abbildung 14: Elektrisches
Feld
im
MikrostreifenGasdetektor [Pooth]
Abbildung 15: Verschiedene Ausführungen der Driftkammer [Kle84]
variiert von 0 für den gegenüber dem Anodendraht angeordneten Draht bis zu −HV 1
für denjenigen gegenüber dem Felddraht. Eine andere Möglichkeit besteht darin,
Potential-Korrekturdrähte einzuführen zur Erzeugung eines annähernd konstanten
Driftfeldes (rechts in Abb. 15; S.DR. bedeutet Signaldraht).
Die Ortsauflösung der (ebenen) Driftkammern liegt im Bereich von etwa 50 µm.
Die Driftkammern gibt es auch in zylindrischer Form.
2.3
Halbleiterdetektor
Der Halbleiterdetektor kann mit einer mit einem Festkörper gefüllten Ionisationskammer verglichen werden. Der Vorteil zu gasgefüllten Detektoren liegt in der niedrigen Energie zur Erzeugung der Ladungsträger, welche bei Gasdetektoren im Bereich
16
von 30 eV , beim Halbleiterdetektor im Bereich von 3 eV liegt.
Fällt ein geladenes Teilchen in einen Halbleiterdetektor ein, so werden ElektronLoch-Paare erzeugt. Durch ein elektrisches Feld müssen diese Ladungsträger nun
“abgesaugt” werden, bevor die Elektronen mit den Löchern rekombinieren. Das Ladungssignal ist proportional zum Energieverlust bzw. der deponierten Energie.
Abbildung 16: p-n-Halbleiterzähler
(schematisch) [Gru93]
Abbildung 17: Silizium-Streifendetektor (schematisch) [Gru93]
In Abb. 16 ist der Aufbau eines p-n-Halbleiterzählers gezeigt. Bringt man einen
p- und einen n-dotierten Halbleiter zusammen, so entsteht – zunächst ohne Anlegen
eines äußeres Feldes – eine Verarmungszone, da die Elektronen des n-dotierten Halbleiters in diesem Bereich mit den Löchern des p-dotierten rekombinieren. Dadurch
entsteht schon ein elektrisches Feld. Betreibt man diese Anordnung in Sperrrichtung,
so wird analog zur Diode die Verarmungszone weiter vergrößert; das elektrische Feld
wird größer. Geht nun ein geladenes Teilchen durch den Kristall und erzeugt Ladungsträger, so werden diese durch das elektrische Feld abgesaugt.
Halbleiterdetektoren lassen sich auch zur Ortsmessung einesetzen, wie der Silizium-Streifendetektor in Abb. 17. Dazu wendet man die schon in 2.2.4 diskutierte
Auslese der Kathode, die wie in der Vieldraht-Proportionalkammer streifenweise
angeordnet ist. Es lassen sich Ortsauflösungen im Bereich von 10 µm erreichen. Unterteilt man die Streifen nun noch in viele Elektrodenplättchen (Pixeldetektor), so
lässt sich die Auflösung noch einmal bis hinunter zu einigen µm verbessern.
Nachteil der Halbleiterdetektoren ist, dass diese aufgrund der geringen Differenz von ca. 1 eV zwischen Leitungs- und Valenzband gekühlt werden müssen, um
elektrische Leitung durch thermische Anregung zu verhindern.
2.4
Szintillator
Unter Szintillation versteht man die Erzeugung eines Lichtblitzes (Photon) in einem
Medium nach Einfall eines geladenen Teilchens. Die Registrierung der erzeugten
17
Photonen erfolgt durch Photoeffekt an der Kathode eines Photomultipliers (s. u.).
Das Szintillationsmaterial muss transparent sein für die erzeugten Photonen; sie
dürfen nicht reabsorbiert werden. Man unterscheidet zwei Typen von Szintillatoren:
anorganische und organische.
Anorganische Szintillatoren sind mit Aktivatoren dotierte Einkristalle (NaJ(Tl);
CsJ(Tl); LiJ(Eu) etc.). Kristalle sind Isolatoren; der Energieunterschied zwischen
Leitungs- und Valenzband beträgt 5 − 10 eV . Die Energieniveaus der Aktivatoratome liegen gerade in der Energielücke. Ionisierende Teilchen erzeugen in diesem
Abbildung 18: Bändermodell eines Festkörpers [Gru93]
Festkörper freie Elektronen, Löcher und Exzitonen (gebundene Elektron-Loch-Zustände). Diese Anregungszustände wandern im Gitter, bis sie auf ein Aktivatorzentrum treffen, welches in einen angeregten Zustand versetzt wird, der unter Emission
von Licht in den Grundzustand zerfällt. Dies ist das Szintillationslicht. Die Abklingzeit der Aktivatoren liegt im µs-Bereich. Niedrigere Abklingzeiten von einigen ns
besitzen organische Szintillatoren.
Organische Szintillatoren bestehen aus drei Komponenten. Der primäre Fluoreszenzstoff wird durch Energieverlust ionisierender Teilchen angeregt und emittiert UV-Quanten. Diese Quanten absorbiert ein sekundärer Fluoreszenzstoff, der
wiederum Licht kleinerer Frequenz emittiert (“Wellenlängenschieber”). Dieses wird
nachgewiesen. Dabei müssen Emission, Absoption und spektrale Empfindlichkeit des
Photomultiplier aufeinander abgestimmt sein (s. Abb. 20). Die beiden Fluoreszenzstoffe sind meist in einer dritten organischen Substanz eingebettet.
Die Registration erfolgt mit einem Photomultiplier (s. Abb. 19). Die im Szintillator erzeugten Photonen lösen an der Photokathode Elektronen aus, die auf eine erste
Dynode fokussiert werden. Die Dynoden sind in der Lage, 3 - 5 Sekundärelektronen
auszulösen, so dass nach in der Regel 12 bis 14 Dynoden ein messbares Spannungssignal an der Anode anliegt.
Szintillatoren werden zur Energiemessung und zur Zeitmessung eingesetzt. Die
Enegieauflösung ist aber im Vergleich zu Halbleiterdetektoren (s. 2.3) um einen
Faktor ≈ 50 schlechter (s. Abb. 21: Co60 -Gammaspektrum mit NaJ(Tl)-Szintillator
und Ge(Li)-Halbleiterdetektor).
18
Abbildung 20: Spektrum der Komponenten organischer Szintillatoren
[Gru93]
Abbildung 19: Photomultiplier (schematisch) [Gru93]
Abbildung 21: Vergleich der Energieauflösung beim Szintillator und Halbleiterdetektor [Gru93]
2.5
2.5.1
Kalorimeter
Elektromagnetisches Kalorimeter
Elektromagnetische Kalorimeter dienen zur Energiemessung von Elektronen und
Photonen bei hohen Energien. Wie aus Abb. 22 und Abb. 23 ersichtlich ist, verlieren Elektronen in diesem Bereich ihre Energie ausschließlich durch Bremsstrahlung,
Photonen durch Paarerzeugung. Daher kommt es zur Entstehung von elektromagnetischen Kaskaden bzw. Schauern, wenn ein Photon oder Elektron in Materie
eindringt (s. Abb. 24). Nach der Wegstrecke von einer Strahlungslänge X0 (vgl. 1.3)
ist die Energie auf den e-ten Teil abgefallen (s. Gl. 4). Der Schauer hält solange
an, bis das Elektron die Energie nicht mehr durch Bremsstrahlung, sondern durch
Ionisation verliert. Dies geschieht bei der kritischen Energie EC . In Tab. 1 sind X0
und EC für einige Materialien angegeben.
19
Abbildung 22: Energieverlust von Elektronen [Gru93]
Abbildung 23: Energieverlust von Photonen [Gru93]
Abbildung 24:
Kaskade [All71]
Abbildung 25: Einfaches Modell zur
Schauerparametrisierung [Gru93]
Elektromagnetische
In einem einfachen Modell (Abb. 25) erzeugt ein einfallendes Photon nach einer
Strahlungslänge ein e+ e− -Paar, wobei sich die Energie gleichmäßig auf beide Teilchen
verteilt. Das Elektron/Positron erzeugt jeweils im nächsten Schritt ein Bremsquant
usw. . Mithilfe dieses Modells lassen sich folgende wichtigen Eigenschaften ableiten:
Schauerlänge ∝ ln E0
Teilchenanzahl im Schauer ∝ E0
1
Energieauflösung ∝ √ ,
E0
(18)
wobei E0 die Energie des einfallenden Teilchens ist. [Bei der Auflösung ist nur der
energieabhängige Anteil angegeben].
Man unterscheidet Kalorimeter, die aus einem Material homogen aufgebaut sind
20
Tabelle 1: Strahlungslängen und kritische Energien einiger Materialien, nach [Gru93]
Material
Kohlenstoff
Aluminium
Silizium
Blei
Eisen
Kupfer
Wolfram
P bW O4
X0 [cm]
18.80
8.90
9.40
0.56
1.76
1.43
0.35
0.89
EC [MeV]
90.0
40.0
39.0
7.4
20.7
18.8
8.0
18.9
(z. B. Bleiglas) und Sampling-Kalorimeter. Dabei ist das Kalorimeter aus alternierenden Absorber- und Detektorlagen aufgebaut. Als Detektoren können beispielsweise Szintillatoren oder Vieldraht-Proportionalkammern eingesetzt werden.
2.5.2
Hadronisches Kalorimeter
Im Prinzip arbeiten Hadron-Kalorimeter nach dem gleichen Prinzip wie elektromagnetische Kalorimeter; nur dass jetzt nicht die Strahlungslänge, sondern die Absorptionslänge λa die Länge des Schauers bestimmt. Es gilt:
λa =
1
n0 σinel
mit
n0 =
ρNA
,
A[g/mol]
(19)
wobei σinel den inelastischen Anteil des hadronischen Wirkungsquerschnitts bezeichnet. Die Absorptionslänge ist erheblich größer als die Strahlungslänge, wie aus Tab. 2
ersichtlich ist. Konsequenz daraus ist, dass die Kalorimeter größer sind. Hadronische
Tabelle 2: Absorptionslängen einiger Materialien, nach [Gru93]
Material
Blei
Eisen
Kupfer
Aluminium
Kohlenstoff
Wolfram
Szintillator
λa [cm]
17.1
16.7
15.1
39.3
38.1
9.6
≈ 79.5
Kalorimeter werden daher meist in Sampling-Technik gebaut.
21
Ein großer Nachteil im Gegensatz zu elektromagnetischen Kalorimetern ist, dass
ein Großteil der Energie (20 - 30%) nicht nachgewiesen werden kann. Dazu gehört
die Energie der neutralen Pionen π 0 , die gemäß π 0 → γγ zerfallen und somit elektromagnetische Unterkaskaden auslösen. Weiterhin wird die Energie der Neutronen
und anderer neutraler Teilchen (z. B. K 0 ) nicht nachgewiesen. Manchmal gelingt es,
die Energie der Neutronen durch Kernreaktionen zurückzugewinnen, indem Lagen
mit Wasserstoff oder Uran in das Kalorimeter eingebettet werden.
3
Beispiel eines Teilchendetektors: CMS
In Abb. 26 ist der charakteristische Aufbau eines modernen Detektors an einem
Collider schematisch zu sehen. Im Inneren befindet sich der Spurdetektor (tracker ),
der Zerfälle extrem kurzlebiger Teilchen unmittelbar am Vertex (Wechselwirkungspunkt) nachweisen kann. Im Anschluss daran folgen die Kalorimeter. Da die Strahlungslänge X0 erheblich kürzer ist als die Absorptionslänge λa (s. 2.5), folgt zuerst das elektromagnetische, dann das hadronische Kalorimeter. Zuletzt folgt der
Nachweis des Myons in Myon-Driftkammern. Diese Anordnung kann man als “zwiebelförmig” bezeichnen, da die verschiedenen Detektortypen wie Schalen in einer
Zwiebel um den Vertex angeordnet sind.
In Abb. 27 ist der Querschnitt des CMS-Detektors am LHC (Large Hadron Collider) zu sehen, der am CERN gebaut wird. Die Struktur ist identisch mit dem in
Abb. 26 gezeigten Aufbau. Die inneren Kreise stellen die Spurkammern dar; grün ist
das elektromagnetische und blau das hadronische Kalorimeter eingezeichnet. Zwischen dem hadronischen Kalorimeter und den Myonkammern (rot) ist zusätzlich eine
Magnetspule (schwarz) eingebaut, die ein Magnetfeld erzeugt, welches aus der Zeichenebene herauszeigt und zur Impulsmessung eingesetzt wird. Gelb eingezeichnet
sind schwere Absorber, die gleichzeitig als Rückflussjoch für die Spule dienen.
4
Ausblick
Das Spektrum der Nachweistechniken ist breit und weitgefächert. Je nach Messziel
werden physikalische Effekte unterschiedlicher Art ausgenutzt. Durch Entdeckung
neuer physikalischer Phänomene können neue Detektorkonzepte entwickelt werden.
Es passiert auch, dass “alte” Detektoren “aussterben”, da sie nicht mehr den modernen Anforderungen genügen (z. B. Nebelkammer).
Die Zahl der in Gebrauch stehenden Detektoren ist so groß, dass im Rahmen
eines Seminarvortrages nur ein kleiner Ausschnitt gezeigt werden kann. Auch kann
eine solche Ausarbeitung nicht den Anspruch erheben, umfassend und vollständig
zu sein. Dennoch denke ich, dass ein grober Überblick der verschiedenen Typen und
Einsatzmöglichkeiten dargelegt werden konnte.
22
Abbildung 26: Aufbau eines Großdetektors (schematisch) [WWW2]
Abbildung 27: CMS-Detektor (Querschnitt) [WWW3]
23
Literatur
[All71]
O. C. Allkofer, Teilchendetektoren, Verlag Karl Thiemig KG München,
1971
[Ber92]
Bergmann/Schaefer, Lehrbuch der Experimentalphysik, Band 4: Teilchen,
de Gruyter, Berlin, 1992
[Fer86]
Richard C. Fernow, Introduction to experimental particle physics, Cambridge University Press, 1986
[Ger93]
Gerthsen/Vogel, Physik, 17. Auflage, Springer-Lehrbuch, 1993
[Gru93]
Claus Grupen, Teilchendetektoren, BI Wissenschaftsverlag, 1993
[Kle84]
Konrad Kleinknecht, Detektoren für Teilchenstrahlung, TeubnerStudienbücher, Stuttgart, 1984
[Leo87]
W. R. Leo, Techniques for Nuclear and Particle Physics Experiments,
Springer Verlag, 1987
[Ott96]
Otter/Honecker, Atome-Moleküle-Kerne, Band II, B. G. Teubner, Stuttgart, 1996
[Pooth]
Oliver Pooth, Micro Strip Gas Detector Modules: Development and Integration in the Forward Tracking System of the CMS Experiment, Doktorarbeit am III. Physikalischen Institut, RWTH Aachen
[PDG00] Particle Data Group, R. M. Barnett et al., Review of Particle Properties,
Eur. Phys. J. C15:1, 2000
[WWW1] http://insti.physics.sunysb.edu/~allen/252/
PHY251_elementary_particles.html
[WWW2] http://cmsinfo.cern.ch/Welcome.html/CMSdocuments/
JimInaugural/JimInaugural_index.html
[WWW3] http://cmsdoc.cern.ch/pictures/publicity/overview.html
24
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