Wildernährung und Fortpflanzung Viel Futter, viel Nachwuchs? B eim Säugetier ist die Fortpflanzung hormongesteuert. Der Eisprung, das Einnisten der befruchteten Eier in die Gebärmutter und das Austragen der Frucht werden durch spezifisch wirkende Hormone bestimmt. Hormone sind Stoffwechselprodukte von Drüsen, die über die Blutbahn an die jeweiligen Organe, wie etwa die Eierstöcke, ge20 10/2012 langen und dort bestimmte Reaktionen auslösen. Sichtbare Zeichen sind die Brunft und die Begattung. Die Vermehrung hat aus der Sicht der Natur einen hohen Stellenwert, geht es doch um die Arterhaltung. Eine Beeinflussung durch Umweltfaktoren wie beispielsweise die Ernährung ist außer in Extremsituationen unwahrscheinlich. In einer solchen Extremsituation hätte das Überleben des Einzelindividuums einen höheren Stellenwert als die Arterhaltung, zum Beispiel gilt das für die so genannte Hungersterilität. In der freien Wildbahn kommt das in unseren Breiten aber nicht vor. Wesentlich ist, dass sich die Zahl der Nachkommen abhängig von der Foto: B. Diercks Wir Jäger – so fordern die Grundeigentümer – sollen Reh und Wildschwein möglichst scharf bejagen und den Bestand niedrig halten, um Wildschäden zu vermeiden. Viele fordern auch, wir sollen möglichst nicht füttern. Vor allem die Kritiker der Rehwild-Fütterung argumentieren, dass die im Winter über das Futter zugeführte Energie die Fruchtbarkeit der Rehe erhöhe und so für mehr Nachwuchs sorge. Das Gleiche gelte auch für eine zusätzliche Kirrung beim Schwarzwild. Stimmt‘s? Dr. Josef Bauer, Vorsitzender des BJV-Ausschusses Wildkrankheiten und Wildernährung nimmt hierzu Stellung. Die Rehgeiß setzt in der Regel zwei Kitze, egal ob in der Notzeit gefüttert wird oder nicht. Tierart in engen biologischen Grenzen hält. Deshalb darf man für Reh- und Schwarzwild auch nicht die gleichen Maßstäbe anlegen. Fütterung von Rehwild in der Notzeit hat keinen Einfluss auf die Zahl der Kitze Beim Reh haben wir es mit einer Wildart zu tun, die in der Regel pro Wurf zwei Kitze setzt, ganz selten sind es drei. Erstgebärende Geißen setzen meist nur eines. Ein Ernährungseinfluss zur Zeit der Brunft durch eine zusätzliche Futtergabe ist unrealistisch und eine Fütterung in der winterlichen Notzeit kann die Reproduktionsrate körperlich gesunder Stücke nicht beeinflussen, so Professor Reinhold Rudolf Hofmann vom Arbeitskreis Wildbiologie an der Universität Gießen. Ein Blick auf die Rinderhaltung in Bayern kann das veranschaulichen: Ausgewachsene Fleckviehkühe wiegen heutzutage durchschnittlich 750 bis 800 Kilogramm. Aufgrund der besseren Fütterung sind sie um bis zu 50 Prozent schwerer als noch vor über 50 Jahren. Doch damals wie heute bringt die Kuh nur ein Kalb pro Geburt. Als Schlussfolgerung ergibt sich, dass durch eine Winterfütterung die Fruchtbarkeit beim Reh nicht beeinflusst wird, das heißt die Zahl der Kitze pro Wurf ist auch bei bester Versorgung nicht höher. Entsprechende Untersuchungen belegen das eindeutig. Die Angst vor zu viel Nachwuchs kann also kein stichhaltiges Argument gegen eine Rehwild-Fütterung sein. ➔ 10/2012 21 Anders als beim Reh bringt beim Schwarzwild eine gute Ernährung eine hohe Ovulationsrate und viele Frischlinge. Deshalb heißt es Vorsicht beim Kirren: Nur ein Kilogramm pro Kirrung und nur eine Kirrung pro 100 Hektar. Beim Schwarzwild gilt: Gute Ernährung – viele Frischlinge Als mehrgebärende Tierart hängt die Wurfgröße stark von der Ovulationsrate ab und diese wird nachweislich von der Höhe der Nährstoffversorgung – vor allem vor der Rausche – beeinflusst. Eine gute Versorgung vor der Rausche bedeutet mehr befruchtungsfähige Eier. In der landwirtschaftlichen Ferkelerzeugung macht man sich diesen Effekt zu Nutze, indem vor der Rausche mehr und reichhaltiger gefüttert wird. Dies wird als „flushing-effect“ bezeichnet. Außerdem nehmen bei einer guten Nährstoffversorgung weibliche Wildschweine schon ab einem Lebendge22 10/2012 wicht von 25 Kilogramm an der Reproduktion teil. Denn das Lebendgewicht hat auf die Entwicklung der Sexualfunktion einen größeren Einfluss als das Alter. Für Schwarzwildpraktiker ist das nichts Neues: Jahre mit ausgeprägter Eichel- und Buchenmast haben stärkere Würfe und viele „Frischlingsbachen“ zur Folge. Unter den heute generell günstigen Ernährungsbedingungen ist über viele Monate des Jahres in der Feldflur reichlich Fraß vorhanden. Aus jagdlicher Sicht kann diese Entwicklung durch eine nicht sachgerechte Kirrung noch verstärkt werden. Kirrung ist hilfreich, um leichter zu Schuss zu kommen. Man sollte aber hier das rechte Maß walten lassen und die richtige Strategie wählen. Nicht umsonst heißt die Empfehlung: maximal ein Kilogramm Körner pro Kirrstelle und nur eine Kirrung pro 100 Hektar. Das Hinauskarren von großen Haufen Mais ist in jeder Hinsicht kontraproduktiv: Es fördert die Zahl der Nachkommen und senkt den Jagderfolg. Eine Absprache mit den Reviernachbarn über Ort und Zahl der Kirrstellen kann für eine Re- gulierung der Schwarzwildbestände hilfreich sein. Fazit: Beim Rehwild beeinflusst die Fütterung die Zahl der Nachkommen nicht. Beim Schwarzwild hingegen heißt es „zu viel Kirrung – zu viel Wild“. Der Autor im Blickfeld: Dr. Josef Bauer Dr. Josef Bauer ist seit vielen Jahrzehnten Revierinhaber und Vorsitzender des Ausschusses Wildkrankheiten und Wildernährung im BJV. Fotos: M. Breuer, M. Kühn/piclease Anders ist es beim Schwarzwild. Das Wildschwein zählt zu den so genannten mehrgebärenden Tierarten mit vier bis acht Frischlingen pro Wurf. Bei grundsätzlich gleichen hormonellen Abläufen bestehen nun artspezifisch andere Gewichtungen. Beim Schwein gibt es einen deutlichen Einfluss der Ernährung auf die Zahl der Nachkommen.