Urologik 1 I 2012 Update Testosterontherapie Lebenshormon Testosteron A. Stangelberger, Mödling Testosteron ist für den Mann während des gesamten Lebens ein essenzielles Hormon für viele Organe. Die Bedeutung von Testosteron für die Funktion von Knochen, Muskeln, Herz-Kreislauf, Blutbildung und Sexualität kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gerade in den letzten Jahren wurde zunehmend auch die schützende Funktion von Testosteron auf Herz und Gefäße entdeckt, die im klinischen Alltag eine wichtige Rolle spielt. I 18 © UNIVERSIMED ® Testosteron (nmol/l Aufgrund der zahlreichen Funktionen tion massiv erhöhte Testos­teronwerte Eine besondere Rolle für die Männ­ im menschlichen Körper wird Testos­ gemessen. Niedrige Testos­teronspiegel lichkeit, aber auch den Testosteron­ teron auch als Lebenshormon, Hor­ sind nachweislich assoziiert mit ei­ spiegel, spielt der Lebensstil der Män­ mon der Macht und Treibstoff der ner erhöhten Mortalität sowie einem ner. Ausdauersport, reduzierter Alko­ Männlichkeit bezeichnet. Testoste­ erhöhten Risiko, Herzinfarkte und hol- und Nikotingenuss, ausgewo­ ron soll sich auch auf Karriere, Sex Schlaganfälle zu erleiden. gene Ernährung und Regulation von und Gesundheit auswir­ Übergewicht (Testosteron ken. Besonders hohe Testos­ wird im Fettgewebe zu Ös­ Testosteronabnahme im Alter teronwerte konnten bei er­ trogen konvertiert) wir­ 30 folgreichen Börsenmaklern ken sich durchaus positiv und Politikern gefunden nicht nur auf die Vitalität n=249 werden. Das Siegergefühl des Mannes, sondern auch 23,1 20 21,4 21 19,5 erfolgreicher Männer wie­ auf seinen Testosteronspie­ 18,2 16,3 derum lässt die Hormon­ gel aus. 13 10 werte in die Höhe schnel­ Ab dem 40. Lebensjahr len. Testosteron steuert aber kommt es zu einem Rück­ 0 auch psychische Eigenschaf­ gang der Testosteronbiosyn­ 25–34 35–44 65–74 45–54 55–64 75–84 >85 ten wie Selbstvertrauen, Ag­ these. Zwischen dem 40. Alter der Männer gressivität, Risikobereit­ und 60. Lebensjahr sinkt Vermeulen 1995 schaft und hebt so die Er­ Abb. der Testosteronspiegel um folgschancen des Mannes. zirka 20% des Ausgangs­ Der Testosteronwert ist grundsätzlich Rezente Studien zeigen die schützende wertes (Abb.). Nur 15% der 80-Jäh­ genetisch determiniert, kann aber je Wirkung von Testosteron für Gefäße rigen haben einen Testosteronspie­ nach Situation spontan ansteigen. In­ und Herz. Männer mit niedrigen Tes­ gel >3ng/ml (12nmol/l). In der Mas­ teressant erscheint auch, dass Singles tosteronwerten leben deutlich kürzer sachusetts Male Aging Study konnte und geschiedene Männer höhere Tes­ als solche mit normalem Testosteron­ gezeigt werden, dass der Testosteron­ tosteronwerte haben als verheiratete spiegel. Auch für die psychische Ge­ spiegel des Mannes um 1,6%/Jahr Männer. Dies ist im Zusammenhang sundheit ist Testosteron wichtig. Ein abnimmt, Werte für freies Testoste­ mit der evolutionsbiologischen Haupt­ interessanter Zusammenhang zwi­ ron sogar um 2–3% pro Jahr. Auch funktion des Mannes, der Reproduk­ schen Testosteronspiegel und Depres­ das Luteinisierungshormon (LH) sinkt tion, als Wettbewerbsvorteil zu sehen. sionsanfälligkeit wurde in einer Studie in dieser Phase um etwa 0,9% pro Das männliche Geschlechtshormon der University of Western Australia ge­ Jahr ab, während das Sexual Hormone Testosteron ist auch Lebenshormon. funden. Männer mit niedrigen Werten Binding Globulin (SHBG) jährlich So wurden bei lebensgefährlich ver­ zeigten ein rund dreimal so hohes Ri­ um etwa 3% ansteigt. Wird die kri­ letzten Patienten auf der Intensivsta­ siko, an Depressionen zu leiden. tische Testosteronschwelle mit einem universimed.com | referat Testos­ teronspiegel <3,5ng/ml ange­ setzt, so ergibt sich eine Prävalenz für ein Androgendefizit des Mannes von 7% bei 40–60-jährigen, 21% bei 60–80-jährigen und 35% bei >80-jäh­ rigen Männern. Der Testosteronman­ gel wird oft, aber nicht immer, durch klinische Symptome bemerkt. Bestimmung des Testosteronspiegels Die direkte Messung von Testoste­ ron kann mittels Chemolumineszenz­ immuno­­assay durchgeführt werden, ist aber oft, vor allem bei niedrigen Werten, wie bei Jugendlichen, Ka­ straten und Frauen, ungenau. Deshalb wird von der US Endocrine Society die Testosteronmessung nach Extrak­ tion mit Chromatographie und Im­ munoassay oder mittels Massenspek­ troskopie empfohlen. Mittels „High-Throughput Liquid“Chromatographie und Tandemmassen­ spektroskopie gelingt heute sogar die Messung mehrerer Steroide gleichzei­ tig. Diese Methode ist jedoch noch durch ihre begrenzte Verfügbarkeit li­ mitiert. Die Testosteronmessung im Speichel mit Immunoassay korreliert gut mit Serumtestosteronwerten, ist aber störanfällig (z.B. durch Verlet­ zungen im Mund) und hat sich des­ halb nicht allgemein durchgesetzt. Bei der Bestimmung der Testosteronspie­ gel im Serum ist weiters zu beach­ ten, dass auch 5α-Dihydrotestosteron, Androstendion, Dehydroepiandroste­ ron und dessen Sulfat (keine Routi­ nemethoden zur Messung verfügbar) ebenfalls zur Androgenisierung bei­ tragen. Eine interessante Ergänzung der Testos­ teronmessung ist die Be­ stimmung der sogenannten CAG-Re­ peats. Dies sind Trinukleotid-Repeats am Exon 1 des Androgenrezeptors, die dessen Transkriptionsaktivität steuern. Die Länge polymorpher CAG-RepeatSequenzen am Androgenrezeptor-Gen ist ein Marker für die Transkriptions­ aktivität des Androgenrezeptors und variiert bei Menschen unterschied­ licher Herkunft. Bei Europäern werden 21–23, bei Asiaten mehr und bei Afri­ kanern weniger CAG-Repeats gemes­ sen. Eine niedrige Anzahl von CAGRepeats korreliert mit hoher Testoste­ universimed.com ronaktivität. Die Bestimmung dieses Androgenrezeptor-Polymorphismus ist sinnvoll, wenn die Symptomatik des Patienten und der Tes­tosteronspiegel nicht zusammenpassen. Es konnte ge­ zeigt werden, dass eine erhöhte an­ drogene Stimulation durch CAG-Re­ peats das Risiko für Prostatakarzinom und dessen Progression erhöht. Kür­ zere CAG-Repeat-Sequenzen sagen hö­ here Tumorstadien und höhere Tumor­ grade sowie Metastasierung und Mor­ talität bei Patienten mit Prostatakar­ zinom voraus. Der Testosteronspiegel unterliegt ständigen Schwankungen. Kurzfristig kann der Testosteronspiegel ansteigen, z.B. bei intensiver physischer Aktivi­ tät, zu einem Abfall des Testosteron­ spiegels kann es bei Leistungs- und Ausdauertraining kommen. Außer­ dem finden sich bei Leber-, Nierenund kardiovaskulären Krankheiten, Stress, Anästhesie, Drogen- und Me­ dikamentengebrauch (z.B. Ketocona­ zol) erniedrigte Testosteronwerte. Die altersabhängige physiologische Ab­ nahme von Testosteron und freiem Testosteron ist zum Teil durch die zu­ nehmende Morbidität erklärbar. Ist Morgenabnahme von Testosteron wirklich notwendig? Aufgrund der zirkadianen Rhyth­ mik von Testosteron wird allgemein die Bestimmung von Testosteron in den Morgenstunden empfohlen. Dies beruht auf Beobachtungen, dass in den Morgenstunden 20–40% höhere Werte als am Abend gemessen wer­ den. Allerdings wurde ebenfalls beo­ bachtet, dass die morgendlichen Spit­ zen im Alter verloren gehen. Da die meisten Patienten, die wegen des Ver­ dachts auf Hypogonadismus eine Tes­ tosteronbestimmung erhalten, älter als 50 Jahre alt sind, ist die Differenz zwi­ schen Morgen- und Abendtestoste­ ronwerten bei diesen Männern rela­ tiv gering. In einer Studie mit 3.006 Männern (Ø 60,4; 40–94 Jahre) wurden Testos­ te­ ronwerte gemessen und die Pro­ ben in 4 Zeitinter­ val­ len abgenom­ men (6–10 Uhr [n=632], 10–12 Uhr [n=812], 12–14 Uhr [n=388], 14–18 Uhr [n=1.174]). Die durchschnitt­ lichen Testosteronwerte unterschie­ den sich im Tagesverlauf kaum, wobei in den ersten 3 Zeitintervallen über­ haupt kein Unterschied zu finden war, im 4. Zeitintervall (14–18 Uhr) fan­ den sich im Vergleich um 13% nied­ rigere Testosteronwerte (Morgentaler et al, JSM 2006). Eine weitere Studie zeigte, dass Testosteronwerte nicht von der Tageszeit, sondern ausschließlich vom Schlaf-Wach-Rhythmus anhängig sind. Bei Nachtschlaf fand man maxi­ male Testosteronkonzentrationen im Zeitintervall zwischen 5 und 9 Uhr, bei Tagschlaf lagen die höchsten Tes­ tosteronspiegel zwischen 12 und 15 Uhr (Axelsson et al, JCEM 2005). Aus diesen Ergebnissen wurde geschlos­ sen, dass dem Messzeitpunkt nur se­ kundäre Bedeutung zukommt, viel re­ levanter ist die Abnahme von Tes­ tosteron in Abhängigkeit vom SchlafWach-Rhythmus. Grenzwerte sollten jedenfalls nach 2–4 Wochen unter Verwendung des gleichen Assay-Typs wiederholt werden. Freies vs. bioverfügbares Testosteron Im Blut liegt Testosteron nur zu etwa 1–3% als freies Hormon vor. Mehr als 97% des Hormons sind an Binde­ proteine gebunden. Bis zu 78% des Tes­tosterons ist hochaffin an SHBG gebunden und somit biologisch in­ aktiv. Ein Anteil von 20–32% des Testos­ terons ist mit niedriger Affi­ nität an Albumin gebunden und da­ mit biologisch aktiv. Als freies Testos­ teron gilt jener Anteil an Testosteron, der nicht gebunden ist, das bioverfüg­ bare Testos­teron ist die Summe des freien und des schwach an Albumin gebundenen Tes­ tosterons (ca. 35% des Gesamttestos­terons). Die Bestim­ mung des freien Tes­tosterons erfolgt durch Berechnung aus Gesamttes­ ­tos­teron, Albumin und SHBG (Ver­ meulen 1999) oder mittels Messung durch die sogenannte Equilibrium­ dialyse. Freies Testosteron korreliert normaler­ weise gut mit dem Gesamttestosteron­ wert. Als Indikation zur Bestimmung des freien Testosterons gelten Hyper­ thyreose und die Einnahme von An­ tiepileptika, die einen Anstieg verur­ 19 I Urologik 1 I 2012 sachen. Bei Adipositas werden meist niedrigere Testosteronwerte gemessen, da aber auch die SHBG-Werte dieser Patienten niedriger sind, bleibt das freie Testosteron meist im niedrig nor­ malen Bereich (Tab.). In einer Studie, bei der bei 304 Pati­ enten Testosteron und freies Testos­ teron bestimmt wurden, zeigten sich bei Männern mit Testosteron­ werten <230ng/dl immer auch er­ niedrigte Werte für das berechnete freie Testos­teron (<7,2ng/dl). Im Be­ reich 230–350ng/dl fand man noch in 67% der Fälle erniedrigte Werte für das freie Tes­tosteron, bei Werten bis zu 400ng/dl noch zu 24%. Verein­ zelt wurde auch bei höheren Testos­ teronwerten ein erniedrigter Wert für freies Testosteron gemessen, beson­ ders wenn das SHBG erhöht war. Da­ raus wurde geschlossen, dass das freie Tes­ tosteron >7,2ng/dl (0,25nmol/l) sein sollte. Ein Wert für freies Tes­ tosteron, der niedriger als 5,2ng/dl (0,18nmol/l) ist, kann als Hinweis auf einen therapiebedürftigen Tes­ tosteronmangel interpretiert werden. Eine andere Studie von Park et al 2008 fand heraus, dass die Bestimmung des Gesamttestosterons ausreichend für die Diagnose und Therapie von Late-Onset-Hypogonadismus ist. Bei dieser Studie wurden Gesamttestos­ teron, freies Testosteron und SHBG gemessen sowie freies Testosteron be­ rechnet. Mit steigendem Alter fand man eine Abnahme von Gesamttes­ tosteron, gemessenem freiem Testos­ teron, berechnetem freiem Testoste­ ron und einen Anstieg von SHBG. Das Gesamttestos­ teron korrelierte gut mit den berechneten Werten von freiem Testosteron (r=0,910), jedoch kaum mit den gemessenen Werten von freiem Testosteron (r=0,449). Aus den Ergebnissen dieser Studie zeigte sich, dass alle biochemischen Tests für Ge­ samttestosteron und freies Testosteron das klinische Bild nur bedingt wider­ spiegeln. Die Werte für Gesamttes­ tosteron korrelieren noch am besten mit den Symptomen und haben auch eine gute Korrelation mit berechne­ tem freiem Testosteron, aber korre­ lieren deutlich schlechter mit gemes­ senem freiem Testosteron. I 20 Ursachen für Veränderungen von SHBG Erhöhtes SHBG: Hyperthyreose Thyroxinmedikation Leberzirrhose Hepatitis Östrogeneinnahme Erniedrigtes SHBG: Adipositas Akromegalie Nephrotisches Syndrom Hyperkortisolismus/Kortikoidtherapie Hyperprolaktinämie Hypothyreose Tab. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Messung von Gesamttestos­ teron für eine optimale Diagnostik des Late-Onset-Hypogonadismus aus­ reichend ist. Die Bestimmung von SHBG und Berechnung des freien Tes­tosterons sind sinnvoll im Graube­ reich bei Tes­tosteronwerten zwischen 230–400ng/dl. Bei Werten von freiem Testosteron >400ng/dl ist eine ausrei­ chende Tes­tosteronwirkung anzuneh­ men, sofern die Werte für das SHBG normal sind. Wie viel Testosteron ist genug? Derzeit gibt es keine allgemein ak­ zeptierten altersabhängigen Referenz­ werte für den Testosteronspiegel des Mannes. Im Jahre 2006 wurden von Zitzmann et al symptomspezifische Schwellenwerte publiziert. Libido­ mangel und Kraftlosigkeit wurden bei Männern mit Testos­teronwerten zwi­ schen 12–15nmol/l gefunden, Adiposi­ tas bei 10–12nmol/l und erektile Dys­ funktion bei Werten <8nmol/l. Die European Male Aging Study (Wu et al 2010) fand bei Männern mit Tes­ tosteronwerten <11nmol/l verringerte sexuelle Gedanken, erektile Dysfunk­ tion und schwache Morgenerektion. Deutlich kam jedoch in dieser Studie heraus, dass symptomatische Männer teilweise sogar höhere Testosteronwerte haben als asymptomatische Männer. Die Testosteronwerte von symptoma­ tischen Patienten waren oft deutlich höher als die akzeptierten Referenz­ werte für Late-Onset-Hypogonadis­ mus. Psychische Symptome waren we­ nig bis gar nicht mit dem Testosteron­ spiegel assoziiert. Es wurde geschlos­ sen, dass Libidoverlust und erektile Dysfunktion mehr vom Alter als vom Testosteronmangel abhängen. Eine andere Studie von Lackner et al 2011 fand erektile Dysfunktion schon bei Männern mit Testosteronwerten zwischen 14,5–14,8nmol/l. Diese Tes­ tosteronwerte waren auch höher als bei Männern ohne Erektionsprobleme. Dies ist dadurch zu erklären, dass viele andere Ursachen außer Testoste­ ronmangel einer erektilen Dysfunk­ tion zugrunde liegen können. In die­ ser Studie waren nur die psychischen Symptome mit dem Testosteronman­ gel assoziiert. Ein Problem bei der Quantifizierung und Vergleichbarkeit von Libido und körperlicher Schwäche in Studien ist sicher, dass diese Symptome unspezi­ fisch und schlecht definiert sind, und außerdem zum Teil auch normale Al­ tersveränderungen darstellen. Könnten also heute viele Symptome zu Unrecht einem Testosteronmangel zugeschrie­ ben werden? Tatsache ist, dass die Symptomprävalenz mit abnehmendem Tes­ tosteronspiegel zunimmt. Jedoch sind mehr Symptome mit dem Al­ ter korreliert und durch Komorbidi­ täten zu erklären als durch einen Tes­ tosteronmangel (endokrinologisches Altern). Generell gilt heute ein Testo­ steronwert von <8nmol/l (230ng/d) als untere Normgrenze, ab der die Ein­ leitung einer Tes­tosteronersatztherapie bei Vorliegen von Symptomen allge­ mein empfohlen wird. Testosteron und Prostatakarzinom Bisher ist das Vorliegen eines Prostata­ karzinoms eine Kontraindikation für eine Testosterontherapie. In den letz­ ten Jahren hat sich angesichts neuer Daten ein Paradigmenwechsel voll­ zogen, da keine einzige Studie ein er­ höhtes Risiko von PCA bei höheren Testosteronwerten beweisen konnte. Ebenso kommt es unter Testosteron­ therapie nicht zu einer Zunahme des Prostatavolumens oder zu einem PSAAnstieg. Die derzeitige Studienlage universimed.com | referat zeigt, dass eine Testosterontherapie im physiologischen Bereich das Risiko, ein Prostatakarzinom zu entwickeln, nicht erhöht. Die diesbezüglich so oft geäußerten Ängste sind also völlig un­ begründet und Männer mit erniedri­ gten Testosteronspiegeln haben sogar ein höheres Risiko, an einem Prosta­ takarzinom zu erkranken. Selbst bei Patienten nach radikaler Prostatekto­ mie oder Strahlentherapie kam es un­ ter Tes­tosterongabe zu keiner Krank­ heitsprogression bzw. keinem Tumor­ rezidiv. Die von Morgenthaler vorgestellte Sättigungstheorie der Androgenre­ zeptoren versucht zu erklären, warum sich die Tes­tosterontherapie nicht ne­ gativ auf die Prostata auswirkt. An­ drogene wirken an der Prostata über Androgenrezeptoren. Sobald die ma­ ximale Bindungskapazität der Re­ zeptoren für Tes­tosteron erreicht ist, kommt es zu keiner weiteren Aktivie­ rung. Zur maximalen Androgenrezep­ toraktivierung kommt es aber bereits weit unter den physiologischen Testos­ teronspiegeln. Somit kommt es bei niedrigen Androgenspiegeln schon zu maximalem Pros­tatawachstum. Nied­ riges Testosteron bei Prostatakarzi­ nompatienten korre­ liert signifikant mit höheren PSA-Werten und Pro­ statakarzinome hypogonadaler Män­ ner haben oft aggressivere Eigenschaf­ ten, wie höheren Gleason-Score, hö­ here Tumorstadien, extrakapsuläres Wachstum sowie ein höheres Risiko für ein bio­chemisches Rezidiv nach ra­ dikaler Prostatektomie oder Bestrah­ lung. Auch hat eine rezente Studie einen signifikanten Zusammenhang zwischen Tes­tosteronspiegel, präopera­ tiver Erektions­funktion und Harnin­ kontinenz gezeigt, sodass es sinnvoll erscheint, den Testosteronspiegel vor radikaler Prostatektomie zu bestim­ men. Testosteronersatz bei Männern mit ED Ein Testosterondefizit findet sich bei bis zu 35% der Patienten, die an erek­ tiler Dysfunktion leiden. Andererseits haben bis zu 35% der Patienten mit erektiler Dysfunktion keinen Thera­ pieerfolg durch die Gabe von PDEuniversimed.com 5-Hemmern. Testosteron hat eine di­ rekte Wirkung auf den Aufbau und die Funktion des Schwellkörpers so­ wie dessen glatte Muskelzellen und Enzymsysteme, die die Erektion ein­ leiten. Testosteron aktiviert Sticko­ xidsynthase (NOS), die NO freisetzt, das wiederum die Gefäße erweitert. Testosteron verbessert nachweislich die erektile Funktion bei hypogona­ dalen Männern mit metabolischem Syndrom, die nicht auf die Thera­ pie mit PDE-5-Hemmern ansprechen. Die sogenannte TADTEST-Studie hat gezeigt, dass hypogonadale Non-Re­ sponder einer Tadalafil-Therapie von einer Normalisierung des Testosteron­ spiegels mit 1%-Gel profitieren. Um­ gekehrt dürften PDE-5-Hemmer auch den Hormonhaushalt des Mannes be­ einflussen. Eine neue Studie hat he­ rausgefunden, dass PDE-5-Hemmer die Steroidbildung in Leydigzellen sti­ mulieren. Leydigzellen von Tieren, die mit Sildenafil behandelt waren, pro­ duzierten signifikant mehr Testoste­ ron und cGMP. Die Hemmung der Phosphodiesterase führte zu erhöh­ ten Testosteronspiegeln und erhöhter Kapazität der Leydigzellen zur Testos­ teronsynthese bedingt durch eine ko­ ordinierte Stimulation der cAMP- und cGMP-Signaltransduktion. Statine, Testosteron und Erektionsfunktion Statine werden zur Gefäßprotektion und -wiederherstellung der endothe­ lialen Funktion in der Kardiologie häufig verwendet. Seit einiger Zeit jedoch geraten diese einerseits sehr wertvollen Medikamente ins Kreuz­ feuer der Kritik von Andrologen, da sie nachweislich den Testosteronspie­ gel des Mannes reduzieren. Die Ver­ wendung von Statinen führt auch zu kleineren Hodenvolumina und Hypo­ gonadismus. Sogar FSH-Werte sind unter Einnahme von Statinen signifi­ kant erhöht. Dies erscheint ein wich­ tiger Aspekt in der Therapie von Pa­ tienten mit Fettstoffwechselstörungen und erektiler Dysfunktion zu sein. Im­ merhin geht bei den meisten Patienten eine Störung des Fettstoffwechsels mit Adipositas, erektiler Dysfunktion und Hypogonadismus einher. Testosteron und kognitive Funktion Sowohl die Testosteronproduktion als auch die kognitive Funktion neh­ men mit dem Alter ab. Interessant ist, dass Patienten mit Alzheimerde­ menz niedrigere Testosteronspiegel ha­ ben als Kontrollpatienten. Auch geht eine Erniedrigung des freien Testoste­ rons einer Demenz vom Alzheimertyp oft um Jahre voraus. Männer mit Alz­ heimerdemenz zeigten ein beschleu­ nigtes endokrinologisches Altern. Da­ mit ist ein Abfall von Testosteron und freiem Testos­teron ebenso wie ein Ab­ sinken von TSH sowie ein Ansteigen von SHBG und Gonadotropinen ge­ meint. Ein positiver Zusammenhang von Testosteron und kognitiver Funk­ tion wurde in vielen kleinen Beobach­ tungsstudien festgestellt. Die Aussage­ kraft der bisher verfügbaren Studien ist jedoch durch die kurze Beobach­ tungszeit mit kleinen Fallzahlen limi­ tiert und oft zeigen sich keine signifi­ kanten Veränderungen der Testosteron­ therapie auf die globale Kognition und Gedächtnisfunktion. Der optimale Tes­ tosteronspiegel für das Gehirn ist also bislang unklar. Ebenso bislang unge­ klärt ist die Rolle genetischer Faktoren sowie von Apolipoprotein E und CAGRepeat-Polymorphismen und ihre In­ teraktion mit der Kognition. Auch ist unser Verständnis der Rolle von SHBG, Gonadotropinen, Schilddrüsenhormo­ nen und Östrogenen für die kognitive Funktion und Demenzprävention bis­ lang unzureichend. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass hypogona­ dale demente Männer nicht von ei­ ner Testos­terontherapie zu profitieren scheinen. Erfolg versprechende posi­ tive Resultate unter Testos­terontherapie gibt es aber bei eugonadalen Männern. Größere und kontrollierte Studien sind nötig, um den Stellenwert der Testoste­ rontherapie in Bezug auf die Gehirn­ funktion beurteilen zu können. ■ Autor: OA Dr. Anton Stangelberger Abteilung für Urologie Landesklinikum Thermenregion Baden-Mödling E-Mail: [email protected] uro120100 21 I