Erfahrungen mit einem PCBSanierungsfall Das Mercator-Hochhaus in Kiel Dr. Siegfried Mohr Dr. Birger Heinzow Dr. Guido Ostendorp Hermann Pitulle Das Mercator-Hochhaus in Kiel-Wik ist ein Bürogebäude der Landesregierung, in dem vor der Sanierung etwa 350 Beschäftigte in 210 Büroräumen arbeiteten. Es wurde 1969 in Betonskelett-Bauweise mit eingehängten Fassadenelementen errichtet. Die Versiegelung der verschiedenen Fugen dieser Fassadenelemente und der eingesetzten Fenster erfolgte sowohl im Außen- wie im Innenbereich mit den zu dieser Zeit üblichen dauerelastischen Dichtungsmassen. Durch die ab 1990 allgemein bekannt gewordene Verwendung Polychlorierter Biphenyl (PCB)-haltiger Thiokol-Fugendichtungsmassen bei bestimmten Hochbauverfahren erfolgte im Herbst 1990 auch eine Routineüberprüfung des MercatorHochhauses, in deren Folge bis Juli 1992 umfangreiche Raumluftmessungen durchgeführt wurden. In 220 Einzeluntersuchungen wurden PCB-Raumluftgehalte zwischen 10 und 2.800 Nanogramm pro Kubikmeter gemessen. Der Mittelwert dieser Messungen lag bei zirka 600 Nanogramm. Nach diesem Zeitraum durchgeführte weitere Messungen ergaben in Einzelfällen Spitzenwerte bis 4.500 Nanogramm pro Kubikmeter Luft. Sanierungsentscheidung Die Einzelmessungen im Mercator-Hochhaus waren für eine systematische Bestandsaufnahme der schadstoffbelasteten Baumaterialien wenig geeignet. Einerseits kamen sie ohne systematisches Messkonzept auf erheblichen Druck der Betroffenen zustande und orientierten sich deshalb verständlicherweise nach Art und Umfang an deren Forderungen und Ängsten. Andererseits lassen sich, wie die Erfahrungen auch dieses Sanierungsfalls zeigten, aus der Höhe der Raumluftgehalte nur sehr begrenzt Aussagen über Art und Menge der primär- beziehungsweise sekundär-kontaminierten Materialien machen. Verschiedene einfache Sanierungsversuche, bei denen die zunächst als alleinige Quelle angesehenen und mit Thiokol verfüllten Wandfugen zwischen den Betonelementen sowohl von innen entfernt als auch mit Folienbändern abgeklebt wurden, scheiterten. Das Mercator-Hochhaus in Kiel-Wik 10 Die fortschreitende und zunehmend kritischere Diskussion mit den Betroffenen über mögliche gesundheitliche Gefährdungen und die zwischenzeitlich vorlie- genden Messwerte deutlich oberhalb von 3000 Nanogramm führten im Oktober 1992 zu dem Beschluss der Landesregierung, eine grundsätzliche, systematische Sanierungsuntersuchung für das Gebäude durchzuführen, um daraus ein tragfähiges Sanierungskonzept zu entwickeln. Dieser Entschluss deckte sich sowohl mit den Empfehlungen des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes als auch mit den Maßnahmewerten der später verabschiedeten PCB-Richtlinie des Deutschen Instituts für Bautechnik (IfBt-Berlin), die als Technische Baubestimmung später auch in Landesrecht übernommen wurde. Empfehlung und Regelwerk sehen für PCB-belastete Gebäude jeweils einen Eingriffswert von 3000 Nanogramm und einen Sanierungszielwert von 300 Nanogramm pro Kubikmeter Luft vor. Erleichtert wurde die systematisch Sanierungsuntersuchung durch die im Dezember 1992 weitgehende und im Juni 1993 vollständige Räumung des Gebäudes. Die Fortschreibung der Sanierungsmaßnahmen wurde in der Folge dann jeweils durch einen externen Gutachter (IFUA, Bielefeld), durch das Finanzministerium, die Oberfinanzdirektion Kiel und durch die Untersuchungsstelle für Umwelttoxikologie (UfU) beziehungsweise als deren Nachfolgeeinrichtung durch die Abteilung Umwelttoxikologie im Landesamt für Natur und Umwelt (LANU) abgestimmt. Die Umwelttoxikologie führte sämtliche Beprobungs- und Analytikarbeiten und zunehmend auch die fachliche Beratung und Bewertung durch. Systematische Vierkantheizkörper-Vorlaufrohr am Boden mit Dichtungsstreifen (grau) und Feuchteschäden der Außenwand Gehalten über einem Prozent PCB. Entsprechend sind Sekundärquellen (Sekundärkontamination) aus Primärquellen verunreinigte Materialien mit Gehalten von unter einem Prozent PCB. Die Sekundärkontamination erfolgt in der Regel durch Transportprozesse über die Luft. Sekundärquellen können wiederum PCB an die Innenluft abgeben. Primärquellen (Primärkontaminationen) Bestandsaufnahme Luftmessungen geben nur einen generellen Hinweis auf die PCB-Belastung eines Gebäudes. Ein Sanierungskonzept setzt darüber hinaus eine lückenlose Kenntnis des bauseitigen Vorkommens aller Primärund Sekundärquellen voraus. Für die systematische Erfassung aller Schadstoffquellen wurde deshalb eine repräsentative Anzahl von rasterförmig über das Gebäude verteilten Räumen untersucht. Die Ergebnisse sind nachfolgend summarisch dargestellt. Primärquellen (Primärkontaminationen) sind dabei nach unserer Begriffsdefinition herstellerseitig mit PCB versetzte Materialien mit Als Primärquellen wurden ausschließlich Fugendichtungsmassen in folgenden Verwendungsbereichen festgestellt: • Dichtungsmassen des bodennahen Heizkörpervorlaufrohres Die einzelnen Etagen wurden jeweils durch ein Einrohrheizungssystem versorgt, wobei die wand- und fußbodenseitigen Fugen mit Dichtungsmaterial ausgefüllt waren. Die PCB-Gehalte lagen zwischen 2,5 und 16,9 Gewichts-Prozent. Da die Heizkörper die Verdampfung aufgrund der hohen Temperaturen während der Heizperiode beschleunigen, ist davon auszugehen, dass ehemals in den Dichtungsmassen im Mittel erheblich 11 taminationen erfasst. Das heißt, es erfolgte eine größenordnungsmäßige Bestimmung der PCB-Gehalte in allen vorhandenen relevanten Materialien. Besonders bedeutsam für die Raumluftbelastung und mithin für die Sanierung sind dabei die flächigen Sekundärquellen, deren PCB-Gehalte nachfolgend in Milligramm pro Quadratmeter angegeben sind: • der PVC-Fußbodenbelag: 50 bis 200, • die Dispersions-Wandfarben (in unterschiedlich dicken Farbschichten): 5 bis 70, • der Putz (im Mittel etwa ein Zentimeter starke Putzschicht): 5 bis 25. Der gesamte PCB-Gehalt der Wandflächen betrug also bis 100 Milligramm, im Mittel etwa 50 Milligramm PCB pro Quadratmeter. Anteilsmäßig waren davon etwa zwei Drittel in der Farbschicht und ein Drittel im darunter liegenden Putz lokalisiert. Sanierungsverlauf Modellsanierungen - Erster Abschnitt: „Abbeizen oder Aktivkohletapete“ Eingeschäumte Fensterelemente mit grauen Dichtungsmassen höhere PCB-Gehalte vorhanden waren. Diese Dichtungsmassen sind damit vermutlich die Hauptquelle der Sekundärkontamination. • Dichtungsmassen der vertikalen Innenfugen Sie wiesen die höchsten PCB-Belastungen im Gebäude auf. Die PCB-Belastungen schwankten stark zwischen 0,05 und 45,5 Gewichts-Prozent und waren etagenabhängig. Die Dichtungsmassen der horizontalen Innenfugen waren nicht belastet. • Dichtungsmassen aus dem Außenbereich der Fassade Die PCB-Gehalte lagen zwischen „nicht nachweisbar“ und 40,8 Gewichts-Prozent. Da das gering kontaminierte Material nur selten vorkam und die Verteilung keinem Muster entsprach, wurde die Belastung als durchgängig angenommen. Sekundärquellen (Sekundärkontaminationen) Im Zuge der Primärquellenermittlung wurden auch alle möglichen Sekundärkon- 12 Um ein geeignetes Sanierungsverfahren für das Gesamtgebäude festzulegen, wurden ab März 1994 in insgesamt fünf Büroräumen Probesanierungen durchgeführt. Die Entfernung der Primärquellen, der Austausch des Fußbodens und das Absperren der Außenwand mit Aluminiumkaschierter Tapete erfolgten in allen Fällen gleich. Die Maßnahmen unterschieden sich jeweils durch die Behandlung der Sekundärquellen. Der alleinige Einsatz von Aluminium-kaschierter Rauhfasertapete führte bei den Modellsanierungen nicht zu dem gewünschten Erfolg einer sicheren und dauerhaften Absenkung der Raumluftwerte unter 300 Nanogramm Es verblieben mithin nur die beiden nachfolgend skizzierten Varianten „Abbeizen“ und „AktivkohleTapete“: Variante „Abbeizen“ • Abbeizen der alten Dispersionsfarbe von den Wänden, • Austausch der Zimmerdecke; Variante „Aktivkohle-Tapete" • Aktivkohle-Adsorptionstapete als Diffusionssperre an der Decke und den Der Vorteil des Verfahrens ist die direkte Entfernung von hohen Anteilen der Sekundärkontamination aus dem Gebäude und ein gegenüber dem A-KohletapeteVerfahren niedrigerer Kostenaufwand. Zusätzlich entfällt die später notwendige Entfernung und Entsorgung der A-Kohletapete. Nachteilig ist der Einsatz relativ großer Mengen lösemittelhaltiger Abbeizer. Bei der für die PCB-Sanierung entwickelten „Aktivkohle-Tapete“ handelt es sich um eine Vliesstoff-Mehrschichttapete mit einer eingearbeiteten Adsorberschicht aus Aktivkohle-Kügelchen. Deren flächenbezogene Aufnahmekapazität ist für den gesamten PCB-Wandinhalt ausreichend und unterbindet nach Aufbringung auf die Wandflächen die Rückemission von PCB aus der Wand praktisch vollständig. Sanierungsversuche durch Abkleben der fensterseitigen Dichtungsmassen mit Aluminiumfolie übrigen Wänden ohne Entfernung der Altanstriche, • Austausch des Fußleisten-Heizkörperrohres und der alten Fenster. Die beiden letztgenannten Maßnahmen (Austausch Heizkörperrohr und Fenster) ermöglichten erst eine lückenlose Entfernung aller Dichtungsmassen in diesen Bereichen. Die Variante „Abbeizen“ beruht auf der Tatsache, dass zwei Drittel der in den Wandflächen insgesamt enthaltenen PCBKontaminationen der Farbschicht zuzuordnen sind. Die Probesanierung mit einem handelsüblichen Abbeizer zeigte, dass sich mit der Farbschicht problemlos fast die Hälfte des Gesamt-PCB-Gehaltes der Wandfläche entfernen ließ. Dies ist weniger als dem Gehalt der Farbschicht entspricht. Es wurde aber eine realistische „Arbeitsgüte“ zugrunde gelegt, bei der noch deutliche Restanteile der Farbe auf den abgebeizten Wänden verblieben. Als Ergebnis konnten im Langzeit-Monitoring Raumluftwerte um 200 Nanogramm pro Kubikmeter Luft und damit deutlich unterhalb des Zielwertes eingehalten werden. Die Variante „Aktivkohle-Tapete“ ermöglichte auch über längere Zeiträume eine problemlose Einhaltung von Raumluftwerten im Bereich unter 100 Nanogramm pro Kubikmeter. Sie stellt damit eine sehr sichere, allerdings auch teure Sanierungsvariante mit hoher Nutzerakzeptanz dar. Im Februar 1996 wurde die Verwendung der Aktivkohle-Tapete zur Sekundärquellensanierung des Mercatorhauses endgültig festgelegt. Sanierung der Primärquellen Die im Rahmen der Gebäudesanierung durchzuführenden Arbeiten des ersten Bauabschnitts „Primärquellenentfernung“ erstreckten sich von Februar 1996 bis Dezember 1996. Dazu gehörten der Rückbau der vorgesetzten Fassade, der Austausch aller Büroraumfenster und der der umlaufenden Heizkörperrohre sowie die Entfernung aller Bodenbeläge. Auf die lückenlose Entfernung aller Dichtungsmassen wurde größter Wert gelegt. Dies wurde durch mehrfache Sichtkontrollen von zwei erfahrenen Mitarbeitern als Voraussetzung zur Bauabnahme sehr sorgfältig überprüft. Im September 1996 war die neue Fassade einschließlich der Fenster fertiggestellt. Im weiteren Verfahren sollte die Sekundärquellensanierung mit Aktivkohle-Tapete durchgeführt werden. Die Maßnahme wurde dann jedoch ausgesetzt, da durch einen Kabinettsbeschluß vom Dezember 1996 ein neuer Nutzer für das Gebäude festgelegt wurde (Umweltministerium anstelle der Landesbauämter und Landesbezirkskassen). 13 Sanierungsunterbrechung durch Nutzerwechsel und Brandschutzproblematik Die Raumanforderungen des Umweltministeriums wurden im August 1997 genehmigt und die daraus resultierenden erheblichen Abrissarbeiten innerhalb des Gebäudes einschließlich der Entfernung von Decken und Estrich wurden von September 1997 bis Februar 1998 durchgeführt. Zum gleichen Zeitpunkt deutete sich für den Einbau der Aktivkohle-Tapete im Mercatorhaus ein mögliches Verwendungsverbot aus Brandschutzgründen gemäß Hochhausrichtlinien (HHR) an. Um die bereits begonnene Sanierung nicht scheitern zu lassen, mußte deshalb zwangsweise ein alternatives Verfahren zur Sekundärquellensanierung entwickelt werden. Modellsanierungen - Zweiter Abschnitt: „Abfräsen“ Ein „nasses Abtragsverfahren“, mit dem die oberen, kontaminierten Farb- und Putzschichten unter hohem Wasserstrahldruck entfernt werden sollten, erwies sich aufgrund des hohen technischen Aufwandes und entsprechend hoher Kosten als ungeeignet. Alternativ wurde ein „trockenes Abfräsverfahren“ erprobt und damit in vier Musterräumen eine komplette Sekundärquelensanierung durchgeführt, um eine entsprechende Verfahrenssicherheit für die Sanierung des Gesamtgebäudes zu haben. Eingesetzt wurde dabei eine handgeführte Tellerfräse im Trockenbetrieb mit einem kombinierten Absauge- und Staubabscheidesystem. Damit wurden von allen vorhandenen Altflächen zirka fünf Millimeter der Farb- und Putzschicht abgefräst, die verbliebene rauhe Putzfäche anschließend verfestigt und neu verputzt. Der Raum wurde danach als bezugsfertiger Büroraum vollständig hergerichtet. Die einzelnen Arbeitsschritte wurden wie üblich wieder durch PCB-Raumluftmessungen überwacht. Das Ergebnis war hervorragend. Durch das Abfräsverfahren wurden nach Abschluss der Modellsanierungen durchgängig Raumluftwerte um 50 Nanogramm pro Kubikmeter erreicht. Sanierung der Sekundärquellen und Sanierungsabschluss Durch die Modellsanierungen wurde gezeigt, dass das „Abfräsverfahren“ minde14 stens ebenso gute Werte wie die Sanierung mit Aktivkohle-Tapete liefert. Zudem entfällt die Brandschutzproblematik und die spätere Entfernung der belasteten Tapete bei gleichzeitig erheblich geringeren Gesamtkosten des Verfahrens. Nach dem im Herbst 1998 inzwischen abgeschlossenen Einbau der noch fehlenden Wände und aller Decken wurde das gesamte Gebäude folgerichtig nach dem „Abfräsverfahren“ saniert. Die Arbeitsschritte „Abfräsen, Verfestigen der gefrästen Altflächen, Putzen der Fräsflächen und Einbringen von Estrich“ im gesamten Gebäude erfolgten von November 1998 bis März 1999. Sämtliche noch fehlende Restarbeiten wurden dann Anfang August 1999 abgeschlossen und nach einer Bauschlussreinigung erfolgte eine Freimessung in 33 exemplarisch ausgewählten Räumen mit folgendem Ergebnis: Sanierungsabschluß August 1999: Der Mittelwert aller Räume betrug 95 Nanogramm PCB pro Kubikmeter Raumluft. Die Einzelwerte der 33 gemessenen Räume betrugen 42 bis 177 Nanogramm (Messung ohne Lüftung, Temperatur in Grad Celsius: 24 ± 2). Mit diesem für ein Gebäude dieser Größe hervorragenden Ergebnis wurde das Mercatorhaus am 1. September 1999 an den Nutzer (Ministerium für Umwelt, Natur und Forsten des Landes SchleswigHolstein) übergeben. Auch nach dem Einzug wird der weitere Verlauf der PCB-Konzentrationen durch ein längerfristiges, mit dem Nutzer abgestimmtes Messprogramm überprüft. Eine Kontrollmessung der oben genannten Räume vom Oktober/November 1999 ergab einen um ein Viertel niedrigeren Mittelwert von 75 Nanogramm. Eine weitere Messung einer Auswahl der 16 am höchsten belasteten Räume nach vier Monaten ergab wiederum gegenüber der Vormessung eine Abnahme um mehr als 40 Prozent, so dass zum Zeitpunkt März 2000 mittlere Raumluftkonzentrationen unter 45 Nanogramm mit weiter abnehmender Tendenz zu veranschlagen sind. Gemessen an dem Sanierungszielwert von 300 Nanogramm haben damit die zum Teil erheblichen Anstrengungen aller Beteiligten einen hervorragenden vorläufigen Abschluss gefunden. Schlagzeilen über das Mercator-Hochhaus in der Presse (Zeitungsausschnitte) 15