Eötvös Loránd Universität Fakultät für Geisteswissenschaften Zoltán Márió Nemes Thesen der Doktorarbeit „Ästhetik und Anthropologie” Anthropologische Inszenierung als ästhetische Dehumanisierung Philosophische Doktorschule Leiter der Doktorschule: Prof. Dr. János Kelemen, CMHAS Programm für Ästhetik Programmleiter: Prof. Dr. Sándor Radnóti, DSc Ausschußmitglieder Vorsitzende: Prof. Dr. Sándor Radnóti, DSc Opponenten: Dr. Tamás Seregi, PhD, Universitätsassistent Dr. Zsolt Bagi, PhD, Universitätsassistent Ausschußsekretär: Dr. Bálint Somlyó, PhD, Universitätsdozent Mitglied: Dr. Andrea Máthé, PhD Ergänzende Mitglieder: Dr. Zoltán Papp, PhD, Universitätsassistent Dr. Endre Szécsényi, PhD, hab. Universitätsdozent Themaleiter: Prof. Dr. Béla Bacsó, DSc Budapest, 2013. „Ästhetik und Anthropologie” Anthropologische Inszenierung als ästhetische Dehumanisierung Methodisches Vorgehen: Meine Doktorarbeit zielt auf die Ausarbeitung einer anthropologischen Ästhetik. Das vorliegende Forschungsvorhaben gliedert sich in drei Arbeitsschritte. 1. Ausarbeitung des theoretischen Fundaments Zuerst gilt es, den philosophischen und geschichtlichen Kontext der deutschen philosophischen Anthropologie zu analysieren. Ich konzentriere mich hauptsächlich auf die Arbeiten von Helmuth Plessner, weil sein philosophisches Werk das Fundament meiner Dissertation bildet. Die wichtigste Aufgabe besteht darin jene Begriffe (exzentrische Positionalität, offener Wesensbegriff) aufzuklären die das zeitgenössiche anthropologische Denken inspirieren können. 2. Ausarbeitung einer anthropologischen Ästhetik Ausarbeitung einer begrifflichen Verbindung zwischen Anthropologie und Ästhetik. Diese Konzeption stützt sich auf den notwendigen Zusammenhang von offenem Wesensbegriff und „anthropologischer Inszinierung”(Wolfgang Iser). Diesen Zusammenhang exponiere ich durch die Interpretation von Plessners Text „Zur Anthropologie des Schauspieleres”. 3. Werkinterpretationen Aus dem Bisherigen sollen die Grundzüge einer „anthropologischen Ästhetik” herausgearbeitet werden. Die Flexibilität jener Ästhetik unterstütze ich mit einzelnen Kunstinterpretationen. Die Auswahl der Kunstwerke oder Künstler verlauft intermedial, weil der anthropologische Aspekt meiner Forschung nicht medienspezifisch verwurzelt ist. Mein Fokus richte ich vor allem dem Dichter Gottfried Benn, dem Schriftsteller Péter Nádas, dem body-art Künstler Tibor Hajas und dem Regisseur David Cronenberg. In den Werken dieser Künstler wird die anthropologische Plastizität des Menschen durch dehumanisierende Inszeniereungen representiert. Dehumanisierung bedeutet in diesem Kontext nicht die Diskreditierung von Menschlichkeit sondern das antropologisch-kritische Antihumanismus. Revision der ideologischen Dichotomie von Humanismus und 1.1. Das theoretische Fundament meiner Doktorarbeit ist die Interpretation von Helmuth Plessners philosophischen Werken. Plessners anthropologisches Denken ist der unumgängliche Referenzpunkt des aktuellen anthropologischen Gedankenströmungen. (Ich denke hier zunächst auf die Arbeiten von Wolfgang Iser, Hans Belting, K. Ludwig Pfeiffer, Christoph Wulf, Dietmar Kamper) Von Plessner ist die methodologische Auffassung ableitbar, indem die Anthropologie als eine interdisziplinäre Konvergenz von biologischen und kulturellen Dimensionen begreifbar werden kann. Eine solche selbstreflexive Anthropologie lehnt alle substantionelle Auffasungen des Menschlichen ab, und argumentiert für die Unbegründbarkeit des menschlichen Daseins. Plessner konzeptualisiert die Unbegründbarkeit des Menschen mit der offenen Wesensstruktur der exzentrischen Positionalität. Die exzentrische Positionalität drängt zur permanenten Selbstkonstruktion, indem sie die Bemühung des Menschen, mit der er seine Identität in Verkörperungen oder Objektivationen stabilisieren will, verunmöglicht. Die Interpretation der exzentrischen Positionalität ist unerlässlich, beim Rekonstruieren vom Begriff des nichtsubstantionellen Menschenverständnisses. 1.2. Einer meiner Hauptaufgaben bildet die Analyse des wirkungsgeschictlichen Zusammenhangs von Plessners nicht-substantionellem Menschenbild und der Methodenlehre der zeitgenössischen Anthropologien. Grundlage der wirkungsgeschichtlichen Überlieferung ist die Forschung der Frage des offenen Wesensbegriffs. Isers literaturanthropologische und Beltings bildanthropologische Recherche können in dem Fall neue Horizonte eröffnen, wenn sie die methodologischen Premissen ihrer Wissenschaftsbereich hinsichtlich der offenen anthropologischen Struktur des Menschseins (und der Geschichtlichkeit der kulturell divergenten Menschenbilder) umformulieren. Belting betrachtet den Menschen als eine nicht-substantionelle „Fläche” oder „Ort” von ästhetischengesellschaftlichen Representationen, dagegen nach Isers Auffassung ist der Mensch ein dezentriertes-plastisches Wesen. Beide nicht-substantionelle Konzeptionen gründen sich auf der exzentrischen Positionalität, und beide betonen die produktive-performative Dimension des plessnerischen Gedankens. 2.1. Hier wird der ästhetisch relevante Aspekt der nicht-substantionellen Anthropologie offensichtlich, da nach Plessner der Mensch als eine bildschöpferische Lebendigkeit betrachtet werden kann, der aufgrund seiner exzentrischen Positionalität „bildbedingt” existiert. Der Mensch is auf mediale Selbstrepresentationen angewiesen, aber er kann sich in keiner dieser Representationen völlig lösen. Er verfügt über keine authentische Identität, in seiner transitorischen Verkörperungen haltet er sich sowohl in sich, als auch ausser-sich auf. Nach meiner Ansicht ermöglicht der anthropologische Blickpunkt eine differenzierte Interpretationsmöglichkeit vom „medial handelnden“ und von dem „sich medial verstehenden” Menschen. Diese Möglichkeit ergibt sich aus dem auf Plessner basierendes Denken, das die anthropologische Unbegründbarkeit des Menschen mit der künstlerischen Aktivität in direktem Zusammenhang stellt. Der Mensch sei Mensch, weil er mit seiner „Wesenslosigkeit” in einem reflektierten und (im anthropologischen Sinne) expressiven Verhältnis treten kann. 2.2. Als den Leitbegriff der, aus dem nicht-substantionellen Anthropologie entwickelten Ästhetik kann man die anthropologische Inszenierung bezeichnen. Der dezentrierte Mensch versucht sein „auf das Nichts gestellten” (Plessner) Dasein in performativen Inszenierungen plastisch zu gestalten. Wolfgang Iser interpretiert die anthropologische Inszenierung als die Möglichkeit menschlicher Selbstgenese und Selbstkonstruktion. Die Inszenierung ist die Haupteigenschaft der künstlerischen Aktivität und expliziert die funktionelle Struktur von Representation und Mimesis. Bei meiner Arbeit will ich in den verschiedenen Medien sich realisierenden anthropologischen Inszenierungen analysieren, da das interdisziplinäre Interesse der nicht-substantionellen Anthropologie eine intermediale ästhetische Einstellung erfordert. Nur bei einer solchen umfassenden Forschung ist die Verknüpfung der medialen Determiniertheit und der anthropologischen Unbestimmbarkeit des Menschen möglich. Aus den Bisherigen ergibt sich die Erkenntnis, dass das digitale Zeitalter und die zeitgenössiche Bildkultur nicht die Ausschaltung des menschlichen Faktors bewirkt, sondern die Neuformulierung des Menschseins fordert. 3.1. Um die Erforschung der anthropologischen Inszenierung nicht zu zerstückeln, interpretiere ich solche künstlerische Produktionen, die die Thematisierung von Leiblichkeit in den Vordergrund stellen. Die künstlerische Representation der menschlichen Leiblichkeit ist das gemeinsame Motiv der verschiedensten kulturellen-ästhetischen Strömungen und Disziplinen, aber dieser Pluralismus der Lesearten impliziert jene methodologische Gefahr, dass das relevative Erkenntnis der „Wiederkehr der Körper” (Dietmar Kamper) sich in der Dispersion der theoretischen Diskursen relativisiert wird. Anderenfalls, wenn wir die Frage, was der Körper/Leib sei, auf eine zweite, anthropologisch umformulierte Frage zurückführen („Was der Mensch sei”), ergibt sich die Möglichkeit die in verschiedenen Medien realisierenden Körperdarstellungen als die Repräsentationen der menschlichen Unergründbarkeit, bzw. als die Bilder der anthropologischen Offenheit zusammenzufügen. 3.2. Die meisten dieser künstlerischen Inszenierungen haben einen dehumanisierenden Aspekt. Die poetische Dehumanisierung meint in diesem anthropologischen Kontext keinen negativen Begriff weil solche Prozesse auf das Destruieren von substantionellen Menschen- und Körperbilder zielen. Dehumanisierung bedeutet antropologisch-kritische nicht die Diskreditierung von Menschlichkeit sondern Revision der ideologischen Dichotomie von Humanismus das und Antihumanismus. Bei der verschidenen dehumanisierenden Inszenierungen (Mortifizierung, Formalisierung, Animalisierung, Bestialisierung, Biomechanisierung usw.) werden die antropomorphen Formen mit nicht-antropomorphen Formen „hybridisiert” um die Grenzen des Menschen zu provozieren. Das Ergebnis ist nicht totale Abstraktion sondern eine progressive „Formlosigkeit”(informe) was das permanente Anderswerden und radikale Offenheit des Menschseins representiert. Bei diesen Verwandlungen, Metamorhosen, Mutationen werden die Grenzen von „menschlich” und „nicht-menschlich” relativisiert um ein neues Selbstverständnis von homo humanus zu produzieren. 3.3. Die Werkinterpretationen sollen nicht als „mozaikartige” Fallstudien dienen. Meine Forschung zielt auf das Registrierung und das Verständnis einer kulturellen-künstlerischen Tendenz, die den modernen-postmoderen Diskurs vom „Ende des Anthropozentrismus” (Gregor Streim) darstellt. Eine nicht-substantionelle ästhetische Forschung impliziert nicht die Negation oder die Überschreitung der conditio humana, wie zum Beispiel eine transhumane Ästhetik ein solches Ziel intendieren würde. In anthropologischer Sicht bewahrt der Mensch seine Grenzen durch die ästhetische Selbstrepresentation u. zw. so, dass er seine Grenzen permanent neu artikuliert. Die Aufgabe der ständigen Umformulierung macht es erst möglich, dass das Verschwinden der subtantionellen Menschenbilder als eine diskursive-affirmative Option begriffen werden kann. Nur eine selbstreflexive anthropologische Offenheit kann die künstlerische Aktivität des Menschen als eine dialogische und nicht-ideologische Potentialität begreifen. Publikationen im Themenbereich Nemes Z. Márió: Az ember lenyomata és a maradvány esztétikája – Megjegyzések a Párhuzamos történetek antropológiai dimenziói kapcsán, in: ENIGMA 70, (2012) 103-116. Nemes Z. Márió: A performer antropológiája I.-II. – Hajas Tibor Húsfestményeinek filozófiai antropológiai horizontja in: Balkon 2012/2, 6-12, Balkon 2012/3, 2-8. Nemes Z. Márió: Antropológiai töredékek – Győrffy László, Szöllősi Géza, Kis Róka Csaba testképei, in: Balkon, 2011/2, 32-36. Nemes Z. Márió: A Pickman-paradoxon – H. P. Lovecraft és a vizuális reprezentáció, in: PRAE 2011/1 (Dark fantasy), 2-11. Nemes Z. Márió: Lezárt és nyitott arcok. Fiziognómiai gondolkodás a filozófiai antropológia hagyományában, in: CAFÉ BÁBEL 2010, 19(62) 65-71. Nemes Z. Márió: A semmivé váló ember – David Cronenberg és az antropológiai színrevitel, in: PRIZMA 1 (2009) – David Cronenberg, 28-41. Ausgewählte Literatur Asemissen, Hermann Ulrich 1981: Helmuth Plessner: Die excentrische Position des Menschen, in. Josef Speck (Hrsg.): Grundprobleme der großen Philosophen. Philosophie der Gegenwart II, Scheler, Hönigswald, Cassirer, Plessner, Merleau-Ponty, Gehlen, 2., ergänzte Aufl. Göttingen, 164180. Belting, Hans 2007: Kép-Antropológia, ford. Kelemen Pál, Kijárat Kiadó Fahrenbach, Helmuth 1997: Differentielle Interpretation, Strukturanalyse und offene Wesensfrage. O.F. Bollnows Beitrag zu Methodenreflexion philosophischer Anthropologie, in. Kümmel, Friedrich (Hrsg.): O. F. Bollnow: Hermeneutische Philosophie und Pädagogik, Freiburg (Breisgau)/München, 80-118. Haefner, Gerd 1989: Philosophische Anthropologie, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, Berlin, Köln Handerek, Joanna 2007: The positonalist notion of human Nature in Plessner’s and Gehlen”s philosophy in. A.-T. Tymieniecka (ed.) Analitica Husserliana XCVI 533-547. Hárs Endre 2004: Antropológia és irodalom – Mi van a között? In. Uő.: Én - Túl a nyelven, Gondolat Kiadói Kör – Pompeji, Budapest – Szeged Iser, Wolfgang 2001: A fiktív és az imaginárius, ford. Molnár Gábor Tamás, Osiris Kiadó, Budapest Jonas, Hans 1997: Das Prinzip Leben, Suhrkamp Kamper, Dietmar 1973: Geschichte und menschliche Natur – Die Tragweite gegenwärtiger Anthropologie-Kritik. Carl Hanser Verlag, München Matzker, Reiner 2006: Anthropologie. Theorie – Gesichte – Gegenwart, Wilhelm Fink Verlag München Pietrowicz, Stephan 1992: Helmuth Plessner, Verlag Karl Albert GmbH Freiburg / München Streim, Gregor 2008: Das Ende des Anthropozentrismus - Anthropologie und Geschichtskritik in der deutschen Literatur zwischen 1930 und 1950, Walter de Gruyter, Berlin, New York Wilson, Holly L. 2006: Kant’s Pragmatic Anthropology – Its Origin, Meaning and Critical Significance, State University of New York Press Wulf, Christoph 2004: Anthropologie, Geschichte, Kultur, Philosophie, Rowohlt Verlag GmbH