1 Erreger von Infektionskrankheiten und Übertragungswege 1.1 Allgemeines Obwohl viele Infektionskrankheiten schon seit Jahrhunderten bekannt sind, ist die Erkenntnis über ihre Ursache – nämlich übertragbare Mikroorganismen (zu diesen winzig kleinen Lebewesen gehören beispielsweise Bakterien, Viren oder Pilze) – noch ziemlich neu. Lange hatten die Menschen nur sehr ungenaue Vorstellungen über diese Erkrankungen. Sie spiegeln sich teilweise noch heute in den Krankheitsnamen wider. So beispielsweise bei der Malaria, deren Name aus dem italienischen mala aria oder mal'aria gebildet wurde, was – wörtlich übersetzt – „schlechte Luft“ bedeutet. Erst mit der Entwicklung des Mikroskops und der Entdeckung der Bakterien (Antoni van Leeuwenhoek; 1676) und anderer Mikroorganismen war es möglich, die tatsächlichen Ursachen dieser Krankheiten aufzuklären und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zwar gibt es neben Bakterien und Viren noch weitere wichtige Mikroorganismen, die Infektionskrankheiten auslösen können, jedoch wird die Mehrheit der Infektionskrankheiten durch die beiden Erstgenannten ausgelöst, so dass wir diese näher betrachten wollen. Viren und Bakterien werden häufig auch „Erreger“ genannt. 1.2 Bakterien Unter Bakterien (auch Prokaryonten genannt) versteht man einzellige Organismen, die einen eigenen Stoffwechsel1 besitzen und sich durch Zellteilung vermehren. Man teilt Bakterien in kugel- (sogenannte Kokken), stäbchen- oder schraubenförmige Typen ein. Darüber hinaus bilden Bakterien oftmals „Kleinkolonien“, die sich in Vorsilben wie beispielsweise Diplo(paarbildend), Strepto- (kettenbildend) oder Staphylo- (traubenartige Haufen bildend) widerspiegeln. Plasmid-DNA Nukleoid („Haupt“-DNA) Zytoplasma Zellwand Zellmembran Peptidoglykanschicht äußere Hüllmembran (bei gramnegativen) Kapsel Geißel(n) (Flagellum) Pili Fimbrien Abb. 1: Schematische Darstellung einer Bakterienzelle Nicht alle Bakterien besitzen sämtliche hier dargestellten Strukturen. Im Gegensatz zu höheren Organismen liegt die Erbinformation, die DNA, bei Bakterien frei in der Zelle vor. Fimbrien und Pili dienen u. a. der Anheftung an die Umgebung. Die Kapsel ist eine Schleimschicht, die vor Abwehrzellen schützt. Die Zahl unterschiedlicher Bakterien ist unvorstellbar groß. Man schätzt, dass bisher erst etwa 5 % aller Bakterienarten bekannt sind. Dabei sind nur sehr wenige in der Lage, Infekti- 1 „Stoffwechsel“ steht für die Aufnahme, den Transport und die chemische Umwandlung von Stoffen in einem Organismus sowie die Abgabe von Stoffwechselendprodukten an die Umgebung. 3 onskrankheiten beim Menschen auszulösen. Im Gegenteil, zahlreiche Bakterien leben sogar in enger „Partnerschaft“ mit uns. So ist beispielsweise der Dickdarm, aber auch die Haut, ständig von zahllosen Bakterien besiedelt. 1.3 Viren Erst über 200 Jahre nach den Bakterien entdeckte man das, was wir heute als Viren bezeichnen. Ihre medizinische Bedeutung wurde aber erst ab etwa den 1930er Jahren zunehmend erkannt. Viren (Abb. 2) sind viel kleiner als Bakterien und daher aus physikalischen Gründen – zumindest einzeln – nicht lichtmikroskopisch sichtbar. Viren sind keine eigenständigen Mikroorganismen, da sie keinen eigenen Stoffwechsel besitzen und auch für die Vermehrung zwingend auf eine lebende Wirtszelle (z. B. Schleimhautzellen der Atemwege) angewiesen sind. Abb. 2: Schematischer Grundbauplan eines Virus. Mit Ausnahme einer Erbsubstanz besitzen nicht alle Viren sämtliche hier dargestellten Strukturen. Insbesondere die Lipidhülle kommt nur bei den „behüllten“ Viren vor. Erbinformation: • meist ds/ss DNA oder RNA z. T. segmentiert Evtl. Kapsel(n) aus Kapsomeren • Proteinhülle um Nukleinsäure = Kapsid(e) Nukleokapsid Evtl. Matrixproteine Virion = Viruspartikel = „Virus“ Evtl. Hülle (engl. Envelope): • „Gestohlene“, modifizierte Wirtsmembran mit Membranglykoproteinen die z. T. sogenannte Spikes bilden Man teilt Viren unter anderem nach der Art ihrer Erbinformation (RNA oder DNA) und dem Vorhandensein bzw. dem Fehlen einer Hülle ein (Tab. 1). Ein behülltes Virus kann auf Gegenständen und Flächen meist recht leicht durch alkoholische Desinfektionsmittel abgetötet werden. Viren ohne Hülle, wie z. B. die hochansteckenden Rotaviren, sind viel schwieriger abzutöten. Behüllt Unbehüllt 4 Varizella-Zoster-Virus (VZV) Hepatitis-B-Virus (HBV) Variolavirus (Pockenvirus) Masernvirus Mumpsvirus Rötelnvirus Humane Papillomviren (HPV) Rotaviren Poliomyelitisviren Hepatitis-A-Virus (HAV) Grippeviren Gelbfiebervirus Lyssavirus (Tollwut) FSME-Virus Japan-Enzephalitis-Virus Tab. 1: Hüllstatus wichtiger Viren 1.4 Infektion, Infektionskrankheit und Übertragungswege Unter einer Infektion2 oder Ansteckung versteht man die Ansiedlung und die Vermehrung von Erregern in einem Wirt (als Wirt bezeichnet man in der Biologie ein Lebewesen, das außer sich selbst auch einen oder mehrere andere Organismen mit lebensnotwendigen Nährstoffen versorgt). Es ist wichtig zu verstehen, dass eine Infektion mit einem Erreger nicht gleichbedeutend mit einer Erkrankung ist. Erst wenn eine Infektion sofort oder mit zeitlicher Verzögerung zu Symptomen (Symptome sind in der Medizin Zeichen, die auf eine Erkrankung hinweisen, z. B. Fieber, oder der Hautausschlag bei Masern) führt, wird aus der Infektion eine Infektionskrankheit. Die große medizinische Bedeutung dieses Unterschieds liegt darin, dass Infizierte auch ohne selbst erkrankt zu sein dennoch andere Menschen anstecken (infizieren) können, ohne von der eigenen Infektion zu wissen. Außerdem ist man oft bereits vor dem Auftreten von Krankheitssymptomen einer Infektion ansteckend, so dass auch hier eine Gefahr für andere besteht. So können sich viele Infektionskrankheiten schnell ausbreiten. Für eine „erfolgreiche“ Infektion ist dabei der Übertragungsweg von großer Bedeutung. Nur wenn der Erreger unbeschädigt zur einer für ihn geeigneten Eindringpforte gelangt, kann es zur Infektionskrankheit kommen. Je nach Erreger bzw. Erkrankung sind unterschiedliche Übertragungswege möglich: 1.4.1 Tröpfcheninfektion Beim Niesen oder Husten, aber auch beim normalen Sprechen oder Atmen, setzen wir Flüssigkeitströpfchen unterschiedlicher Größe in unsere Umgebungsluft frei, die auch Erreger enthalten können (Abb. 3). Je nach Tröpfchengröße bleiben diese unterschiedlich lange in der Luft: Größere Tröpfchen fallen rasch zu Boden, kleinere können sehr lange in der Luft schweben. Im Freien werden die so schwebenden Erreger durch den UV-Anteil im Sonnenlicht zerstört, dagegen bleiben sie in geschlossenen Räumen deutlich länger infektiös. Diese Tröpfchen können von anderen eingeatmet werden, so dass sich die Erreger dort vorzugsweise in den Atemwegen ansiedeln können. Abb. 3: Tröpfchenbildung beim Husten Beim Husten, Niesen aber auch Sprechen werden zahllose Flüssigkeitströpfchen unterschiedlicher Größe freigesetzt. Wenn sich infektiöse Erreger auf den Schleimhäuten der Atemwege finden, können diese auf diesem Weg in die Umgebung freigesetzt werden und so andere infizieren. Neben der direkten Aufnahme der Erreger durch das Einatmen besteht auch die Möglichkeit der indirekten Aufnahme. So gelangen viele Erreger durch Niesen oder Husten auf die Handfläche und werden von dort durch die Berührung auf Türklinke, Geländer oder Lichtschalter 2 5 Vom lateinischen inficere = etwas hineintun, anstecken verteilt, wo sie von einer anderen Person ebenfalls über die Hand aufgenommen werden. Wenn diese Hand nun Kontakt (ebenfalls direkt oder indirekt) zu Schleimhäuten (z. B. Nasenschleimhaut, Mundschleimhaut, Bindehaut des Auges) hat, gelangen die Erreger in den Körper und können zur Infektion und evtl. Krankheit führen. 1.4.2 Fäkal-orale Übertragung Neben der Tröpfcheninfektion ist die fäkal-orale Übertragung eine der häufigsten Infektionswege. Infektiöse Erreger werden dabei mit dem Stuhl ausgeschieden und gelangen so in die Umwelt. Außerdem kann durch mangelhafte Hygiene das Trinkwasser (und damit zubereiteter Getränke (Eiswürfel!) oder Speisen) z. B. durch Abwässer verunreinigt sein. Auch die Anreicherung der Keime z. B. in Muscheln wie bei den Hepatitis-A-Viren ist möglich, so dass deren Verzehr dann zur Infektion führt. Nicht ohne Grund gilt für Reisen in Länder mit bekanntermaßen geringerem Hygienestandard der Spruch: Schäl es, koch es oder lass es. Noch häufiger ist jedoch die indirekte Übertragung, vor allem über Hände oder Gegenstände die mit Ausscheidungen in Kontakt gekommen sind. Dies ist die Grundlage der sogenannten Schmierinfektion. Viele Durchfallerreger und andere Magen-Darm-Keime sind extrem widerstandsfähig und oft bereits in kleinsten Mengen infektiös. So genügt bei den vor allem für Säuglinge und Kleinkinder bedrohlichen Rotaviren bereits die Aufnahme von etwa 10 Viruspartikeln für eine Infektion und Erkrankung. Daher können selbst gute hygienische Verhältnisse, normales Händewaschen und der Einsatz gängiger Desinfektionsmittel die Ausbreitung dieser Keime kaum eindämmen. Abb. 4: Verunreinigtes Wasser Vor allem in Ländern mit niedrigeren Hygienestandards ist mit Erregern verunreinigtes Trinkwasser keine Seltenheit, ohne dass dies mit bloßem Auge zu erkennen wäre. So können dann Eiswürfel, Getränke, ungekochte Speisen und ungeschältes Obst zu einer Infektion führen. 1.4.3 Blut und andere Körperflüssigkeiten Manche Erreger verbreiten sich auch über Blut und andere Körperflüssigkeiten. Wie schon bei den zuvor beschriebenen Kontaktinfektionen spielt auch hier enger körperlicher Kontakt eine große Rolle. Speichel, Tränen, Samenflüssigkeit oder Scheidenflüssigkeit, selten auch Harn (Urin) können als Transportmittel dienen. Oft, aber nicht immer, lässt sich die Übertragungswahrscheinlichkeit durch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen wie Kondome deutlich reduzieren. Bei der Infektion über den Blutweg spielen Blutübertragungen, sogenannte Transfusionen, in Deutschland nur extrem selten eine Rolle (Blutkonserven werden zumindest in Deutschland sehr intensiv auf zahlreiche Erreger getestet). Sehr viel häufiger ist die Übertragung in der Schwangerschaft oder während der Geburt. Insbesondere das Hepatitis-B-Virus (HBV) wird auf diesem Wege von der Mutter auf das Kind übertragen. Unglücklicherweise ist es auch gerade diese frühe Übertragung, die ohne Impfung fast immer (>90 %) zu einer chronischen 6 Hepatitis-B-Infektion führt. Als Folge kann es zu einer schweren Leberstörung, der sogenannten Leberzirrhose, oder sogar Leberkrebs kommen. In einigen Regionen der Erde – insbesondere großen Teilen Asiens – war Leberkrebs aufgrund einer Hepatitis-B-Infektion vor der Einführung der Hepatitis-B-Impfung eine der häufigsten Krebserkrankungen überhaupt. 1.4.4 Kontaktinfektion Die Übertragung einiger Erreger erfolgt durch direkten körperlichen Haut- oder Schleimhautkontakt. Hierzu zählen beispielsweise die humanen Herpesviren (HSV), die unter anderem durch Küssen weitergegeben werden, oder auch humane Papillomviren (HPV), die für die Entstehung von Warzen, vor allem aber für Gebärmutterhalskrebs und andere Tumorerkrankungen verantwortlich sind. Sie werden hauptsächlich bei Sexualkontakten durch direkten (Schleim-)Hautkontakt übertragen, was sich (anders als bei HIV/AIDS) auch durch den korrekten Einsatz von Kondomen nur begrenzt vermeiden lässt. Nur selten verursachen indirekte Übertragungen über Handtücher, Klobrillen, Umkleidekabinen etc. eine Infektion. Abb. 5: Nähe bringt manchmal auch Gefahr Zahlreiche Erreger können beim Küssen oder Sexualkontakten weitergegeben werden. Manche Erreger, wie die humanen Papillomviren (HPV), verursachen erst nach Jahren oder Jahrzehnten Erkrankungen – eine Zeitspanne, in der sie sich weiter ausgebreitet haben. 1.4.5 Wundinfektionen Bei Verletzungen kommt es häufig zum Eindringen von Erregern in Wunden, die manchmal auch zu schweren Erkrankungen führen können. Dabei spielt die Größe der Wunde nicht immer die entscheidende Rolle. Auch ein scheinbar harmloser Stich am Stachel einer Rose kann zu einer lebensbedrohlichen Tetanus-Erkrankung führen. Bisweilen führen auch rituelle Handlungen zu einer Infektion. So ist es bei einigen Völkern in Afrika üblich, bei Neugeborenen nach Durchtrennung der Nabelschnur die Wunde mit Rinderdung zu bedecken, welcher besonders viele Tetanuserreger enthält. 1.4.6 Vektor-vermittelte Infektionen Einige Krankheiten werden nicht oder nur selten direkt von Mensch zu Mensch übertragen, sondern benötigen einen Überträger, den sogenannten Vektor. In der Regel erfolgt die Übertragung dabei von einem Tier auf den Menschen. Meist übernehmen Insekten (unfreiwillig) die Rolle des Vektors (Abb. 6). So findet das Virus der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) zumeist durch Zecken, das Gelbfiebervirus durch Stechmücken den Weg zu einem neuen Wirt. 7 a b c Abb. 6: Vektoren und Vektor-vermittelte Infektion a) Der auch in Deutschland weit verbreitete gemeine Holzbock (Ixodes ricinus) ist die bekannteste Art der Schildzecken. Er bevorzugt als Wirt nicht nur Wild- und Haustiere, sondern auch den Menschen. Dies kann vor allem dann gefährlich werden, wenn die Zecke mit Krankheitserregern wie dem Erreger der Lyme-Borreliose oder der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) infiziert ist. b) Die Anopheles-Mücke kann neben Malaria auch zahlreiche weitere Erkrankungen wie z. B. Gelbfieber übertragen. c) Bei der Vektor-vermittelten Infektion – hier am Beispiel des Gelbfiebers – infiziert sich der Vektor bei einer Blutmahlzeit an einem Tier und überträgt bei einer der nächsten Blutmahlzeiten den Erreger auf einen neuen Wirt. 1.5 Erregerreservoire, Endemie, Epidemie und Pandemie Die Kenntnis, an welchen Orten und wie lange sich ein Erreger in infektiöser Form aufhalten kann und so Infektionsketten entstehen können, ist von entscheidender Bedeutung für Vorsorgemaßnahmen. Man unterteilt dabei in lebende und unbelebte Erregerreservoire. Ein Erregerreservoir ist eine ökologische Nische, in der sich Krankheitserreger sammeln, vermehren und von der eine erneute Infektion ausgehen kann. Das offensichtlichste lebende Erregerreservoir sind infizierte Menschen, insbesondere chronisch Infizierte (z. B. beim Hepatitis-B-Virus oder den humanen Papillomviren) bzw. Dauerausscheider. Als Dauerausscheider wird eine Person bezeichnet, die nach Infektion mit Krankheitserregern diese auch ohne das Auftreten von Krankheitssymptomen oder nach dem Abklingen der Symptome weiterhin produziert und ausscheidet (z. B. Salmonellen). Aber auch Tiere oder Insekten können als belebtes Reservoir dienen. Als unbelebte Erregerreservoire können mit Fäkalien oder anderen infektiösen Körperausscheidungen verunreinigte (Ab-)Wässer oder Gegenstände dienen. Auch der Erdboden stellt für manche Keime – wie den Tetanuserreger Clostridium tetani – ein wichtiges Reservoir dar. Manche Erkrankungen sind in einer bestimmten, begrenzten Region heimisch und führen auch zu einer begrenzten Zahl von Erkrankungen in der dortigen Bevölkerung. Man spricht dann von einer endemischen Erkrankung oder einem „Endemiegebiet“. Wenn die Erkrankungszahlen für einen begrenzten Zeitraum lokal deutlich über das übliche Ausmaß ansteigen, spricht man von einem „Ausbruch“, wobei der Übergang zur Epidemie, dem massenhaften, aber weiterhin zeitlich und örtlich noch begrenzten Auftreten einer Erkrankung fließend ist. Breitet sich eine solche Epidemie weltweit aus, so spricht man von einer Pandemie, wovon die Grippepandemien sicherlich die bekanntesten sind. 8