Wie Axone ihren Weg finden

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Wie Axone ihren Weg finden
Der visuelle Teil der Welt hat eine räumliche Struktur, die sich im Gehirn widerspiegelt. Eine
neuronale Karte im visuellen Zentrum bildet die räumlichen Verhältnisse zwischen
verschiedenen Punkten im visuellen Feld ab. Wie kommt es dazu, dass sich
Nervenzellverbindungen während der Entwicklung korrekt anordnen und ein neuronales
Pendant der Umwelt aufbauen? Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Martin Bastmeyer vom
Zoologischen Institut am KIT (Karlsruhe Institute of Technology) untersucht, wie ein
komplexes Netz aus molekularen Landmarken die auswachsenden Zellfortsätze der Netzhaut
zum richtigen Punkt auf der Karte im visuellen Zentrum leitet. Ihr Modellorganismus ist das
Hühnchen. In Zellkulturen und Computermodellen simulieren sie diese Vorgänge im
Gehirngewebe.
Dass wir überhaupt etwas wahrnehmen können, verdanken wir einer komplexen Architektur
von verschalteten Nervenzellen in unserem Gehirn. Dieser Architektur liegt eine überraschende
Ordnung zugrunde. Die visuelle Umgebung etwa wird topographisch abgebildet. Das bedeutet,
dass Lichtreize, die zwei benachbarte Sinneszellen in der Retina stimulieren, räumlich korrekt
ins Gehirn weiter vermittelt werden: Die Information kommt in nebeneinander liegenden
Bereichen im Sehzentrum des Gehirns an. Wissenschaftler bezeichnen diese Abbildung der
Information von den Zellen in der Retina ins Gehirn auch als eine neuronale „Karte“. Wie aber
kommt diese Karte zustande? Woher wissen die Nervenzellen im sich entwickelnden Auge, wo
ihre Zielgebiete im Gehirn liegen? „Eine allgemein anerkannte Hypothese ist, dass es sowohl
auf der Oberfläche der wachsenden Nervenzellfortsätze als auch auf derjenigen der Zellen im
Zielgebiet komplexe Verteilungen von Molekülen gibt, die wie Schlüssel und Schloss zusammen
passen“, sagt Prof. Dr. Martin Bastmeyer vom Zoologischen Institut I des KIT. „Die Interaktionen
zwischen diesen Molekülen bestimmen, wohin die Axone aus der Retina wachsen.“
Wachstum und Abstoßung
Die experimentellen Grundlagen für diese Hypothese wurden in den 90er Jahren gelegt.
Bastmeyer war damals Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in
Tübingen. Hier hat Prof. Dr. Friedrich Bonhoeffer wegweisende Untersuchungen zur Lenkung
retinaler Nervenfortsätze durchgeführt; in seinem Labor wurden unter anderem die Ephrine
als axonale Lenkungsmoleküle entdeckt. Ephrine sind Moleküle, die auf der Oberfläche von
Nervenzellen angeordnet sind. Sie können an spezielle Rezeptoren binden, die auf anderen
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Wird Ephrin (blau) in einer gradierten Verteilung auf eine Oberfläche gedruckt, wachsen Axone aus der Retina in
diesen Gradienten ein und stoppen an einer definierten Stelle. © Dr. Martin Bastmeyer
Neuronen (zum Beispiel an der Spitze von Axonen) zu finden sind. Findet ein Schlüssel ins
Schloss, dann treten im Inneren eines wachsenden Axons molekulare Vorgänge in Kraft, die
entweder sein Wachstum anregen oder eher bremsen. Eine stark vereinfachte Vorstellung des
Vorgangs könnte also so aussehen: Ein Axon aus der Retina mit einer hohen Konzentration von
Ephrin-Rezeptoren auf seiner Oberfläche wächst ins Gehirn ein und findet das Zielgebiet. Hier
sind hemmende Ephrine in einer gradierten Verteilung auf Nervenzellen angeordnet. Weil das
Axon so viele Rezeptoren hat und damit sehr sensibel ist, wird es von Zellen abgestoßen, die
eine hohe Konzentration von Ephrinen tragen. Zu Zellen mit einer geringen Konzentration an
abstoßenden Ephrinen hingegen wird es Kontakte ausbilden.
Dieses Modell ist stark vereinfacht. In den Neuronen im Gehirn gibt es nicht nur einen
Ephrintyp sondern mehrere verschiedene. Außerdem besitzen die Axone und die Zielzellen
sowohl Ephrine als auch Ephrin-Rezeptoren auf ihrer Oberfläche. Und schließlich können
Ephrine auch selbst als Rezeptoren fungieren, was die Komplexität nochmals steigert. Aber das
Modell verdeutlicht auch eine wichtige Grundidee: „Wir nehmen an, dass für die Zielfindung
von Axonen gradierte Verteilungen von Ephrinen und ihren Rezeptoren notwendig sind“, sagt
Bastmeyer. Die Konzentrationen der Moleküle variieren räumlich sehr stark, sowohl in der
Retina als auch im visuellen Zentrum des Gehirns. Diese räumlichen Variationen in den zwei
Gebieten müssen auf irgendeine Weise korrespondieren. Während der Entwicklung findet eine
Verrechnung der verschiedenen Gradienten statt, sodass schließlich die richtigen Zellen
zueinander finden. Wie diese Verrechnung funktioniert, untersucht die Arbeitsgruppe
Bastmeyer mithilfe von zwei sich ergänzenden Ansätzen.
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Molekulare Muster in vitro und in silico
Im einfachen Streifenassay vermeiden Axone aus der Retina hohe Konzentrationen an Ephrin (rot). © Prof. Dr. Martin
Bastmeyer
„In Gewebekulturen zerlegen wir das komplexe System in überschaubare Teilsysteme“, erklärt
Bastmeyer. Die Karlsruher Forscher schaffen in ihren Petrischalen mithilfe verschiedener
Techniken eine molekulare Umgebung, in der genau definierte und stark vereinfachte
Verteilungen von Ephrinen angeordnet sind (zum Beispiel Streifenmuster aus Ephrinen oder
lineare Gradienten aus Ephrinen und Ephrinrezeptoren). In diese Umgebung setzen sie
wachsende Nervenzellen aus der Retina des Hühnchens aus und verfolgen ihr
Wachstumsverhalten. Parallel dazu entwickeln sie Computermodelle, die die Vorgänge in der
Zellkulturschale nachstellen. Das Modell-Axon statten sie mit verschiedenen Kombinationen
aus Ephrinen und Rezeptoren aus. Sie konfrontieren es mit einem Muster aus Ephrinen in einer
simulierten Umgebung. Experimente in echten Zellkulturen und im Computer ergänzen und
befruchten sich gegenseitig. Denn Erkenntnisse aus simulierten Tests können zu theoretischen
Vorhersagen über das Verhalten von echten Nervenzellen führen. Diese Vorhersagen können in
vitro überprüft werden. Umgekehrt können Erkenntnisse in der Zellkultur dazu dienen, die
Parameter im Computermodell anzupassen.
Neben der Frage nach der korrekten Zielfindung von Axonen aus der Retina untersuchen
Bastmeyer und sein Team auch die axonale Zielfindung im olfaktorischen System des
Zebrafischs. Außerdem interessieren sie sich für Themengebiete wie die Neurogenetik der Maus
oder die neuronale Entwicklung des Zebrafisches. „Wir sind hier in Karlsruhe in einer sehr
fruchtbaren interdisziplinären Umgebung angesiedelt“, sagt der Biologe. Die Forscher sind
zum Beispiel im Exzellenzcluster „Zentrum für funktionelle Nanostrukturen (CFN)“ mit
Polymerchemikern, Physikern und anderen Biologen organisiert. Von dem Know-how und den
Erfahrungen ihrer Kollegen profitieren sie etwa bei der Entwicklung von dreidimensionalen
Wachstumsstrukturen für die Zellkultur. Und ihr eigenes Know-how stellen sie wiederum der
Gemeinschaft zur Verfügung. „Gute Forschung funktioniert oft besser in der Zusammenarbeit
mit anderen Disziplinen“, sagt Bastmeyer.
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Fachbeitrag
29.11.2010
mn
BioRegion Freiburg
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Prof. Dr. Martin Bastmeyer
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Zoologisches Institut
Abteilung für Zell- und Neurobiologie
Haid-und-Neu-Straße 9 (MRI)
D-76131 Karlsruhe
Tel.: +49 (0) 721/ 608-30 85 (direct)
+49 (0) 721/ 608-22 18 (Secretary)
+49 (0) 721/ 608-48 48 (Fax)
E-Mail: bastmeyer(at)kit.edu
KIT, Zoologisches
Institut
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