Jahrbuch 2003/2004 | Schuster, Stephan C. | Genom-Evolution in W irts-adaptierten Bakterien Genom-Evolution in Wirts-adaptierten Bakterien Genome evolution in host-adapted bacteria Schuster, Stephan C. Max-Planck-Institut für Entw icklungsbiologie, Tübingen Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Die Verfügbarkeit einer großen Anzahl von bakteriellen Genomen hat es ermöglicht, den Einfluss der Lebensbedingungen eines Organismus auf die Struktur seines Genoms zu untersuchen. Die Genome verw andter, w irts-adaptierter Bakterien w erden untersucht. Mikroorganismen, die sich sehr eng an einen W irt in Form einer Symbiose oder eines krankheitserregenden Verhältnisses angepasst haben, kleine Genome aufw eisen. Im Gegensatz hierzu besitzen Organismen, die in der freien Umw elt leben oder für den W irt unschädlich sind, größere Genome. Summary The availability of a large number of microbial genomes from a broad range of organisms has shaped our understanding of the dynamics of genome structure from pathogenic and non-pathogenic bacteria. The close adaptation tow ards a host in a symbiotic or pathogenic relationship results in small, minimalist genomes. The genomes from related host-adapted and potentially free-living bacteria are studied to gain insight into the molecular mechanisms that have driven the speciation process from free-living last common ancestors to the obligatory pathogenic species that w e see today. Dynamik mikrobieller Genome Mikroorganismen müssen in der Lage sein, sich einer ändernden Umgebungen anzupassen. Daher sind diese Organismen ständig bemüht, ihre genetische Information so zu verändern, dass sie dem Selektionsdruck standhält. Dies geschieht durch die Aufnahme und Abgabe von genetischer Information. Organismen, die sich in einer vor Umw elteinflüssen schützenden Nische befinden, beispielsw eise in einem W irt, versuchen sich dieser Nische dadurch anzupassen, indem sie alle Faktoren, die den W irt stören, aus ihrem Repertoire entfernen. Dies geschieht zuerst durch eine Veränderung (Mutation) der Gene eines Organismus, sow ie durch eine anschließende Entfernung der mutierten Gene aus dem Erbgut. Um eine neue Nische besiedeln zu können, kann es aber auch notw endig sein, bisher nicht vorhandene Gene aus der Umgebung aufzunehmen und in das Genom zu integrieren. Diesen Vorgang nennt man horizontalen Gentransfer (HGT), da hierbei Gene aus einer Spezies in eine andere transferiert w erden. Durch die Aufklärung und den Vergleich der Genome von Bakterien, die sich an einen W irt angepasst haben, sow ie von nahen Verw andten, die diese Eigenschaft © 2004 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/6 Jahrbuch 2003/2004 | Schuster, Stephan C. | Genom-Evolution in W irts-adaptierten Bakterien verloren haben, untersucht unsere Arbeitsgruppe die Dynamik eines Genoms, die durch den Anpassungsprozess an den W irt ausgelöst w ird. Diese Fragestellungen w erden anhand der Modellsysteme Wolinella und Bdellovibrio bearbeitet. Wolinella gehört zur Gruppe der epsilon-Proteobakterien, deren Vertreter häufig W irbeltiere besiedeln, jedoch als Krankheitserreger bei Säugetieren auftreten können. Im Gegensatz hierzu sind die W irte des delta-Proteobakteriums Bdellovibrio andere Gram-negative Bakterien, in die Bdellovibrio eindringt und sie als Grundlage für sein eigenes W achstum benötigt. R a ste r-e le k trone nm ik rosk opische Aufna hm e von Wolinella succinogenes. Da s zirk ulä re Ge nom die se s O rga nism us ist 2,4 Millione n Ba se npa a re groß. © Ma x -P la nck -Institut für Entwick lungsbiologie , Be rge r, Schuste r, Epsilon-Proteobakterien besitzen hoch variable Genome Die prominentesten Vertreter der Gruppe der epsilon-Proteobakterien sind Helicobacter pylori und Campylobacter jejuni. Allein diese beiden Bakterien besiedeln ca. 50% der Menschheit. Obw ohl Helicobacter pylori zumeist keine Symptome verursacht, konnte er als Ursache für Gastritis und Magenkrebserkrankungen nachgew iesen w erden. Campylobacter jejuni tritt häufig im Zusammenhang mit Lebensmittelvergiftungen auf und verursacht eine Durchfallerkrankung. Um die Gene dieser Bakterien zu identifizieren, die für die krankheitserregende (pathogene) Wechselw irkung mit dem menschlichen Körper verantw ortlich sind, haben w ir das Genom des nicht-krankheitserregenden Bakteriums Wolinella succinogenes sequenziert und mit denen der beiden Organismen Helicobacter pylori und Campylobacter jejuni verglichen. Wolinella succinogenes lebt im Pansen von Rindern und besitzt keine beschriebenen negativen Effekte auf diesen W irt. Durch unsere vergleichende Genomanalyse konnten w ir zeigen, dass die Genomgröße der beiden pathogenen Bakterien sehr viel kleiner ist als die des nicht-pathogenen Pansenbew ohners. Zudem zeigte eine Analyse der Genabfolge zw ischen den Organismen, dass alle drei Bakterien eine extreme Neigung zur Rekombination besessen haben müssen, da übereinstimmende Anordnungen der Gene zw ischen diesen Genomen fast nicht mehr feststellbar sind. Die hohe Neigung zur Rekombination kann bis heute im Falle von Helicobacter pylori und Campylobacter jejuni beobachtet w erden, da eine Vielzahl von unterschiedlichen Stämmen für diese beide Pathogene beschrieben sind. Im Gegensatz hierzu scheint das Genom von Wolinella ein Ruhestadium erreicht zu haben, da alle von uns isolierten Stämme dieselbe Struktur und Abfolge der Gene aufw eisen. Trotzdem lässt sich auch für Wolinella nachw eisen, dass es in seiner Vorgeschichte einen Zeitraum mit sehr hoher Rekombinationsaktivität gegeben haben muss, heute jedoch erscheint diese Aktivität zum Erliegen gekommen zu sein. Im Gegensatz zu der Rekombinationsaktivität kann man für einen evolutionär relativ kurzen Zeitraum einem regen Genaustausch nachw eisen, bei dem Wolinella mindestens 6% seiner Gene von anderen Bakterien aufgenommen hat. Die vielen Signal- und Stoffw echselw ege, die Wolinella heute noch besitzt, die jedoch in den pathogenen Verw andten Helicobacter pylori und Campylobacter jejuni verloren gegangen sind, geben Aufschluss über die notw endigen Anpassungen, die ein strikt W irts-adaptiertes Bakterium vornehmen muss, um in seinem © 2004 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/6 Jahrbuch 2003/2004 | Schuster, Stephan C. | Genom-Evolution in W irts-adaptierten Bakterien W irt zu überleben. Ge na bfolge von Wolinella succinogenes und se ine n e psilonprote oba k te rie lle n Ve rwa ndte n. O ra nge unte rle gte Ste lle n m a rk ie re n spe zie s-spe zifische Ge ne in de n pa thoge ne n O rga nism e n. © Ma x -P la nck -Institut für Entwick lungsbiologie , R ichte r, Schuste r, Das räuberische Bakterium Bdellov ibrio behält seine Gene für sich. In einem zw eiten Ansatz untersuchen w ir, inw iew eit sich die Erkenntnisse aus dem epsilon-proteobakteriellen System auf eine andere Gruppe von Bakterien übertragen lässt, die nicht Säugetiere als W irt, sondern ihresgleichen als Nahrungsgrundlage gew ählt hat. Diese Organismen w erden "Bdellovibrios " genannt, eine Begrifflichkeit, die sich als "gekrümmter Sauger" ins Deutsche übersetzen lässt. Bdellovibrio, ein deltaProteobakterium, besitzt nämlich einen Lebenszyklus, der andere Bakterien als W irt bedingt, und in dessen Ablauf der bakterielle W irt als Nahrung und Baustofflieferant dient. Hierzu dringt Bdellovibrio in den W irt ein und verzehrt sein Inneres, w ährend es mit seinem eigenen Wachstum beginnt. Die Proteine, Lipide und DNABausteine des W irts dienen dabei als Substrat für das Wachstum und die Generierung von mehreren Tochterzellen. Obw ohl dieser Lebenszyklus parasitär ist, besitzt Bdellovibrio ein mehr als doppelt so großes Genom w ie die pathogenen epsilon-Proteobakterien. Einen w eiteren Gegensatz findet man in der fast völligen Abw esenheit von horizontalem Gentransfer (HGT), der sehr einfach zw ischen dem Beutebakterium und dem räuberischen Bakterium stattfinden könnte. Vergleicht man nun Stämme von Bdellovibrio, die entw eder ausschließlich räuberisch oder auschließlich nicht-räuberisch (in zellfreien Medien w achsend) sind, so findet man eine gegenüber den epsilon-Proteobakterien ungew öhnliche Stabilität der Genome. Dies w ird am deutlichsten durch eine fast perfekt erhaltene Abfolge der Gene zw ischen den beiden von uns untersuchten Stämmen von Bdellovibrio. © 2004 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/6 Jahrbuch 2003/2004 | Schuster, Stephan C. | Genom-Evolution in W irts-adaptierten Bakterien Le be nszyk lus de s rä ube rische n Ba k te rium s Bdellovibrio bacteriovorus. © Ma x -P la nck -Institut für Entwick lungsbiologie , R e ndulic, R ichte r, Schuste r, Es lassen sich jedoch auch Ähnlichkeiten zw ischen den strikt W irts-adaptierten epsilon-Proteobakterien und delta-Proteobakterien beschreiben. So konnte unsere Analyse des Bdellovibrio Genoms zeigen, dass auch dieses Bakterium bereits Stoffw echselw ege verloren hat, die für die Biosynthese von Aminosäuren und Kohlenhydraten notw endig sind, und die Bdellovibrio deshalb ausschließlich von seinem W irt beziehen kann. Hieraus ergibt sich eine strikte Abhängigkeit, die zum einen eine Koevolution des W irts und des räuberischen Bakteriums bedingt, und es zum anderen erlaubt, nicht mehr benötigte Gene im parasitären Organismus zu entfernen. Genomvergleich als Werkzeug für eine Funktionsvorhersage In dem von unserer Arbeitsgruppe verw endeten Ansatz w ird eine umfassende Vorhersage der physiologischen Fähigkeiten eines Organismus aus den genomischen Daten verfolgt. Hierdurch gelingt es, die notw endigen funktionellen Experimente, die letztlich erst die erstellten Funktionsmodelle bew eisen können, auf die w esentlichen Experimente einzugrenzen. W ir überprüfen deshalb nun mittels Transkriptions- und Proteomanalyse inw iew eit die in der Genomanalyse vorhergesagten Gene tatsächlich an der Bakterium-W irtsWechselw irkung beteilig sind. Gene, die auf diese Weise bestätigt w urden, w erden nun einem funktionellen Test unterw orfen, in dem die Fähigkeit einer gezielt erzeugten Mutante überprüft w ird, auch w eiterhin seinen W irt zu infizieren. © 2004 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/6 Jahrbuch 2003/2004 | Schuster, Stephan C. | Genom-Evolution in W irts-adaptierten Bakterien Ge na nordung zwische n ve rschie de ne n e psilonprote oba k te rie lle n Spe zie s. Nur zwische n Ge nom e n de rse lbe n Spe zie s ble ibt die Abfolge e rk e nnba r (e rste s P a ne l). Unte rschie dliche Spe zie s de r C a m pyloba cte ra le s ha be n e ine ge m e insa m e Abfolge ihre r Ge ne ve rlore n (P a ne l 2-4). © Ma x -P la nck -Institut für Entwick lungsbiologie , Huson, Schuste r, Referenzen: W hole Genome-based Prokaryotic Phylogeny. (2004) S.R. Henz, A.F. Auch, D.H. Huson, K. Nieselt-Struw e and S.C. Schuster Bioinformatics In press. A Predator unmasked: The life cycle of Bdellovibrio bacteriovorus from a genomic perspective. (2004) S. Rendulic, P. Jagtap, A. Rosinus, M. Eppinger, C. Baar, C. Lanz, H. Keller, C. Lambert, K.J. Evans, R. Till, A. Goesmann, F. Meyer, R.E. Sockett and S.C. Schuster Science 303, 689-692. Genome Sequencing and Analysis of the W olinella succinogenes Genome. (2003) © 2004 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/6 Jahrbuch 2003/2004 | Schuster, Stephan C. | Genom-Evolution in W irts-adaptierten Bakterien C. Baar, M. Eppinger, G. Raddatz, J. Simon, Christa Lanz, O. Klimmek, R. Nandakumar, R. Gross, A. Rosinus, H. Keller, P. Jagtap, B. Linke, F. Meyer, H. Lederer and S.C. Schuster (2003) Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) 100 (20), 11690-95. Pow er and Limitations of Genome Comparison: A Study of e-Proteobacteria M. Eppinger, C. Baar, G. Raddatz, R. Nandakumar, D. Richter, S.R. Henz, D.H. Huson and S.C. Schuster Submitted BACCardI - A tool for the validation of genomic assemblies, assisting genome finishing and intergenome comparison. D. Bartels, S. Kespohl, S. Albaum, T. Drüke, A. Goesmann, O. Kaiser, A. Pühler, F. Pfeiffer, G. Raddatz, J. Stoye, F. Meyer and S.C. Schuster Submitted Syntenic Layout of Tw o Assemblies of Related Genomes O.D. Friedrichs, A.L. Halpern, R. Lippert, C. Rausch, S.C. Schuster and D.H. Huson Submitted © 2004 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/6