Aktuell - BIOspektrum

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W I S S E N SCH AFT · AKTU E LL
ÿ Neue genetische Beiträge zu „Angst“ – die Rolle von Crh und Oprm1 in der Maus
ÿ Neue Angriffspunkte für Therapien: Analyse der parallelen Evolution von Burkholderia dolosa
ÿ Durchbruch in der Pharmakotherapie der zystischen Fibrose
Gen in den Schlagzeilen
Neue genetische Beiträge zu „Angst“ – die Rolle von Crh
und Oprm1 in der Maus
ó Angst ist ein wichtiger Modulator von Verhalten – sei es in Form seiner Abwesenheit
(was zu „Verwegenheit“ führen kann) oder in
Form von Überängstlichkeit, was sich oft lähmend auswirkt. Mutationen im menschlichen
Gen MECP2 (methyl CpG binding protein 2) sind
Ursache für das Rett-Syndrom; es ist aber auch
eine Duplikation des entsprechenden Bereichs
auf dem X-Chromosom bekannt; die betroffenen Jungen leiden an Autismus, verbunden mit
größerer Ängstlichkeit. Um den Beitrag von
Mecp2 in diesem Kontext in der Maus zu überprüfen, stellten Rodney C. Samaco et al. (Houston, USA) Mäuse her, die das Mecp2-Gen überexprimieren, und untersuchten deren Angstverhalten (Samaco RC et al., Nat Genet (2012)
44:206–211).
Die erste Beobachtung ist, dass das verdoppelte Mecp2-Gen tatsächlich zu gesteigerter Ängstlichkeit bei den transgenen Mäusen
führt. Insgesamt konnten die Autoren zeigen,
dass in der Amygdala der Mecp2-überexprimierenden Tiere 32 Gene, die mit Ängstlichkeit in Beziehung stehen, in ihrer Expressionsstärke signifikant herauf- oder herunterreguliert sind (demgegenüber sind aber 85 Gene in ihrer Expressionsstärke verändert, die
mit Angst nichts zu tun haben). Die Autoren
haben sich in der Folge auf zwei Gene konzentriert, Crh und Oprm1, die beide bekanntermaßen mit Angstverhalten assoziiert sind
und in der Amygdala der transgenen Mäuse
verstärkt exprimiert werden (das Crh-Gen codiert für das corticotropin-releasing hormone
und das Oprm1-Gen für den Opiat-Rezeptor
μ1). Die Autoren konnten überzeugend zeigen,
dass die Zunahme der Angst über den Crh-Weg
läuft.
Y Der Nachweis ist elegant, weil er sowohl
genetische als auch pharmakologische Ansät-
Hippocampus
Abb.: Mecp2-Protein
im Mausgehirn
(© Jentarra et al.,
2010)
Cerebellum
ze kombiniert, die sich im Ergebnis gegenseitig
stützen: Doppelmutanten, die Mecp2 über exprimieren und heterozygot für den Verlust
von Crh sind, entsprechen in den Verhaltenstests fast dem Wildtyp. Und in pharmakologischen Tests (mit dem Antagonisten des CrhRezeptors Antalarmin) zeigen sich bei den
Mecp1-überexprimierenden Mutanten deutlich
angstlösende Effekte.
Jochen Graw, Neuherberg ó
Mikroorganismus in den Schlagzeilen
Neue Angriffspunkte für Therapien: Analyse der parallelen Evolution
von Burkholderia dolosa
ó Welchen Herausforderungen müssen sich
Bakterien während einer Infektion im Körper
Abb.: Durch die phylogenetische Analyse der Isolate aus Burkholderia dolosa konnte die Übertragung verschiedener Klone von der Lunge in die
Blutbahn nachgewiesen werden. Die Veränderungen im Bakteriengenom, die unabhängig voneinander in verschiedenen Patienten erworben wurden, weisen auf die Gene hin, die unter dem größten Selektionsdruck in vivo stehen.
stellen? Roy Kishony und Kollegen (Lieberman
et al., Nat Genet (2011) 43:1275–1280) analysierten adaptive Mutationen im Genom von
Burkholderia dolosa während der Infektion
mehrerer Patienten mit cystischer Fibrose (CF)
und fanden heraus, wie sich Bakterien an die
Immunantwort und die Wachstumsbedingungen in vivo anpassen.
Um zu verfolgen, wie sich B. dolosa im Lauf
des Ausbruchs verändert, sequenzierten die
Forscher die Genome konsekutiver Isolate
verschiedener Infizierter, kartierten die genetischen Veränderungen unter Einbeziehung
der Infektionsroute und bestimmten die Gene, die dabei unter dem größten Selektionsdruck standen. Dazu durchsuchten sie die
B. dolosa-Genome nach Genen, die unabhängig voneinander die gleichen Mutationen in
verschiedenen Patienten erworben hatten.
Sie identifizierten 17 Gene, die starkem evolutionären Druck ausgesetzt waren. Mehrere
davon spiegeln Wachstumsbedingungen in
der Lunge von CF-Patienten wider und vermitteln z. B. Resistenz gegen Fluorochinolone, Schutz gegenüber dem Immunsystem
(LPS-Biosynthese) oder Wachstum unter Sauerstofflimitation. Interessanterweise konnten
auch sechs Gene unbekannter Funktion mit
der Infektion in Verbindung gebracht werden,
die nie zuvor mit Pathogenität assoziiert wurden.
Y Diese Studie weist den Weg, um die Stärken und Schwächen eines Erregers sowie seine
Anpassungsmechanismen an die Wachstumsbedingungen während der Infektion einzuschätzen. So können potenzielle Angriffspunkte
für neue Therapien identifiziert werden.
Ulrich Dobrindt, Münster ó
BIOspektrum | 02.12 | 18. Jahrgang
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Arzneimittel in den Schlagzeilen
Durchbruch in der Pharmakotherapie der zystischen Fibrose
Cystic Fibrosis Foundation in den
USA.
Y Die Therapie mit Ivacaftor
(Handelsname Kalydeco®) hat
ihren Preis: In den USA kostet
die Behandlung eines Patienten
294.000 Dollar pro Jahr. Diese
Behandlung muss lebenslang
durchgeführt werden. Das mag
sehr hoch erscheinen, aber man
muss die jahrzehntelange Grund-
Abb.: Pathophysiologie und Pharmakologie des CFTR bei zystischer Fibrose
(Mukoviszidose)
ó Die zystische Fibrose (CF) ist
eine genetische Erkrankung, bei
der ein Chloridkanal, der cystic fibrosis conductance regulator
(CFTR), defekt ist. Eine Vielzahl
von Mutationen führt zum CFTRDefekt. Am häufigsten ist die
F508-Deletionsmutante, bei der
der Transport des CFTR vom endoplasmatischen Retikulum (ER) an
die Plasmamembran gestört ist.
In anderen Fällen liegen Punktmutationen vor. Bei der sehr seltenen G551D-Mutante ist die
Chloridleitfähigkeit des CFTR gestört. Als Folge der CFTR-Mutationen wird das Sekret in den
Atemwegen zähflüssig, was dann
wiederum zu bakteriellen Superinfektionen führt, vor allem mit
Pseudomonas aeruginosa. Durch
verbesserte antibiotische Therapie, Sekretverflüssigung und
Physiotherapie wurde die Lebenserwartung von CF-Patienten
deutlich erhöht, aber eine spezifische Therapie auf der CFTR-Ebene war bislang nicht möglich.
Van Goor et al. (Proc Natl Acad
Sci USA (2009) 106:18825–
18830) entwickelten eine neue
Arzneistoffklasse, die CFTR-Potentiatoren, die die Chloridleitfähigkeit der G551D-CFTR-Mutante
in vitro erhöhen. Ramsey et al. (N
BIOspektrum | 02.12 | 18. Jahrgang
Engl J Med (2011) 365:1663–1672)
zeigten, dass der CFTR-Potentiator VX-770 (Ivacaftor) bei Patienten mit G551D-Mutation auch klinisch wirksam ist. Um die viel häufigeren Transportdefekte zu korrigieren, wurde die Klasse der CFTRKorrektoren entwickelt. Sie ermöglichen bei der F508-Deletionsmutante den Transport vom
endoplasmatischen Retikulum an
die Plasmamembran (Van Goor et
al., Proc Natl Acad Sci USA (2011)
108:18843–18848). Die Ergebnisse von klinischen Studien mit
CFTR-Korrektoren liegen noch
nicht vor.
Diese Untersuchungen zur CFPharmakotherapie sind ein sehr
gutes Beispiel dafür, wie translationale interdisziplinäre Forschung
zu Durchbrüchen in der Pharmakotherapie führen kann. Es hat ungefähr 25 Jahre von der Identifikation des CFTR-Gens bis zur
Etablierung einer klinisch wirksamen Pharmakotherapie gedauert.
Dieser Durchbruch wurde nur
durch nachhaltige und nicht an
kurzfristigen Erfolgen (deliverables,
bench marks, high publication numbers, impact factors, citations)
orientierte Forschungsförderung
ermöglicht. Eine Schlüsselrolle
spielte dabei das Engagement der
lagenforschung, die gewonnenen
Lebensjahre, die verbesserte
Lebensqualität und verringerten
Therapiekosten durch verminderte CF-Komplikationen in Betracht
ziehen. Da CF die häufigste Stoffwechselerkrankung in Deutschland
ist (ca. 8.000 Erkrankte), wird es
sicher bald gesundheitspolitische
Diskussionen geben.
Roland Seifert, Hannover ó
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