Das Zusammenspiel der Gene

Werbung
BIOsp_SH:001_052_BIOsp_SH_2007_neu.qxd
8
10.08.2007
14:22 Uhr
Seite 8
G E NO M I C S
Systemgenetik
Das Zusammenspiel der Gene
KLAUS SCHUGHART 1 UND HANNES SCHLENDER 2
EXPERIMENTELLE MAUSGENETIK, HELMHOLTZ-ZENTRUM FÜR INFEKTIONSFORSCHUNG, BRAUNSCHWEIG, UND
TIERÄRZTLICHE HOCHSCHULE HANNOVER, 2 ÖFFENTLICHKEITSARBEIT, HELMHOLTZ-ZENTRUM FÜR INFEKTIONSFORSCHUNG,
BRAUNSCHWEIG
1 ABTEILUNG
Wie beeinflussen sich die Gene in
einem Organismus gegenseitig?
Welche Rolle spielen dabei Umwelteinflüsse? Welche Bedeutung
haben Gennetzwerke für Erkrankungen, und lässt sich das
komplexe Zusammenspiel der Gene
vollständig am Computer simulieren? Solchen Fragen widmet sich
ein neuer Forschungszweig:
Die Systemgenetik.
ó Bei den meisten Erbgängen, und vor allem
bei vielen menschlichen Erkrankungen, spielt
nicht nur die Veränderung in einem einzigen
Gen eine Rolle, sie werden vielmehr von einer
Vielzahl von Erbanlagen beeinflusst. Vor
allem bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurologischen Beschwerden und Allergien ist
das komplexe Zusammenspiel einer Vielzahl
individueller Genvarianten für die Ausbildung der Krankheit verantwortlich. Auch ob
ein Wirt empfindlich oder unempfindlich auf
eine Infektion reagiert, bestimmt eine ganze
Armada von Genen. Dabei können sich Gene
und ihre Varianten in einem Individuum
gegenläufig oder gleichsinnig beeinflussen,
sodass ein defektes Gen durch weitere Gene
¯ Sytemgenetik am Beispiel der Untersuchungen
der Wirtsantwort nach einer Influenza-Infektion.
Mäuse von verschiedenen Familien werden mit
dem Influenza A Virus infiziert (A) und dann phänotypisch untersucht (B). Die unterschiedlichen
Phänotypmerkmale korreliert man mit den Genotypen der Familien und identifiziert auf diese
Weise genetische Regionen, die für die Empfindlichkeit gegenüber dem Pathogen eine wichtige
Rolle spielen (Pfeil in C). Aus genomweiten
Genexpressionsmustern lassen sich regulatorische Netzwerke von Genen ableiten (D). (Abbildung D aus Li et al., Inferring gene transcriptional
modulatory relations: a genetical genomics
approach, Human Molecular Genetics, 2005, Vol.
14, No. 9, 1119–1125, mit Genehmigung von
Oxford University Press)
BIOspektrum | Sonderheft zur Biotechnica 2007 | 13. Jahrgang
BIOsp_SH:001_052_BIOsp_SH_2007_neu.qxd
10
10.08.2007
14:22 Uhr
Seite 10
G E NO M I C S
¯ Im GeNeSys-Netzwerk haben sich Partner
aus zehn verschiedenen Institutionen
zusammengeschlossen. (Bildquellen: S.
aureus, Sepsis: HZI, Manfred Rhode; Leberfibrose: Frank Lammert; L. donovani: Werner
Solbach; Neurogenese: Gerd Kempermann;
Influenza: HZI, Miessen; M. tuberculosis:
CDC, George Kubica; Y. enterocolitica: CDC;
Fettleibigkeit: Gudrun Brockmann.)
kompensiert wird – oder umgekehrt, sich
Gendefekte gegenseitig verstärken.
Mäuse: Inzuchtstämme mit neuen
Genkombinationen
Welche Gene sich untereinander steuern,
untersuchen Wissenschaftler an Mäusen. Seit
Beginn des vergangenen Jahrhunderts haben
sie viele verschiedene Mausstämme gezüchtet. Die meisten stammen von einer Mischung
der Subspezies Mus musculus musculus und
Mus musculus domesticus ab. Da die verschiedenen Mausstämme untereinander verpaart werden können, lassen sich neue Stämme mit neu kombinierten Genmerkmalen
züchten.
Die unterschiedlichen Inzuchtstämme der
Mäuse können wir als Familien betrachten,
die jeweils eine bestimmte Kombination von
Genvarianten (Allelen) enthalten und sich
damit genetisch von anderen Familien unterscheiden. Den Forschern steht somit eine große Population von Individuen zur Verfügung,
mit denen sich, ähnlich wie beim Menschen,
Assoziationsstudien zwischen den phänotypischen Eigenschaften und genetischen Merkmalen herstellen lassen. Der große Vorteil
von Mauspopulationen gegenüber Studien
beim Menschen ist jedoch, dass diese experimentell behandelt werden können. So kann
man beispielsweise die Wirtsantwort auf eine
Infektionen mit einem Pathogen studieren,
was sich beim Menschen verbietet. Da die
Mausfamilien nachgezüchtet werden können,
steht den Forschern eine unbegrenzte Anzahl
von genetisch identischen Individuen zur Verfügung, sodass sie immer wieder neue Hypothesen testen können.
Systemgenetiker netzwerken in
GeNeSys
Ein einzelnes Forschungsteam oder gar ein
Forscher allein kann eine solche Herkulesaufgabe wie die Analyse komplexer genetischer Erbgänge nicht bewältigen. Deshalb
haben sich Forschergruppen zu Netzwerken
zusammen geschlossen, in denen sie auf
gemeinsame Mauspopulationen zugreifen
und die Datenerfassung sowie die Bioinformatik-Analysen zentral durchführen. Ein solches Netzwerk ist GeNeSys, ein virtuelles
Institut der Helmholtz-Gemeinschaft (German Network of Systems Genetics,
www.helmholtz-hzi.de/en/research_groups/
experimental_mouse_genetics/). Die GeNeSys-Forscher untersuchen die komplexe Genetik von Humanerkrankungen in der Maus.
Hierzu gehören Infektionen mit Staphylococcus aureus, Mycobacterium tuberculosis, Yersinia enterocolitica, Leishmania donovani und
Influenza A. Auch die Reaktion auf den experimentell induzierten septischen Schock, die
Empfänglichkeit für Diabetes und Leberfibrose sowie die Fähigkeit, im adulten Stadium
Gehirnzellen zu regenerieren, wollen die Forscher des Netzwerks aufklären.
Von der komplexen Genetik zur
Systemgenetik
Mit modernen gentechnischen Methoden
untersucht man aber nicht nur einzelne Phänotypen wie die Empfindlichkeit gegenüber
einer Infektion. Mikrochips erlauben heute
die Erfassung genomweiter Expressionsdaten. In den Maus-Familien lassen sich daher
auch die Expressionsmuster in verschiedenen Organen, Geweben oder isolierten Zell-
populationen analysieren. Die Varianz in der
Stärke der Expression der Gene kann nun
wiederum als Phänotyp interpretiert und mit
den zugehörigen Genotypen korreliert werden. So identifizieren die Wissenschaftler
unter anderem Genregionen, welche die
Expression anderer Gene steuern, und Regulatorregionen, die Regulatoren beeinflussen.
Auf diese Weise können sie ganze Netzwerke
von Genen studieren.
Da alle Daten, sowohl die der klassischen
phänotypischen Analyse als auch die der
Expressionsanalyse, in einer gemeinsamen
Datenbank gesammelt werden, lassen sich
phänotypische Eigenschaften wie die Infektions-Empfindlichkeit oder Diabetes mit dem
regulatorischen Netzwerk von Genen in den
verschiedenen Organen des Wirts korrelieren. Die Verknüpfung vieler Phänotypen mit
den zahlreichen Genotypen der Mausfamilien bezeichnet man als Systemgenetik. Basierend auf den zahlreichen Laborergebnissen
lassen sich anschließend genetische Netzwerke im Computer modellieren. Diese Modelle können bestimmte Szenarien wie die Erhöhung oder Erniedrigung der Aktivität einzelner Gene simulieren und deren Bedeutung
für das Gesamtnetzwerk vorhersagen. Im
Experiment mit einer entsprechenden Mausfamilie lässt sich dann die Prognose testen.
Der Zusammenschluss von Forschergruppen in koordinierten Netzwerke und virtuellen Instituten, die dieselben Mausfamilien
studieren und ihre Daten miteinander verknüpfen, hilft, das komplexe Zusammenspiel
der Gene bei der Entstehung von Krankheiten
beim Menschen zu verstehen.
ó
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Klaus Schughart
Abteilung Experimentelle
Mausgenetik
Helmholtz-Zentrum für
Infektionsforschung
Inhoffenstraße 7
D-38124 Braunschweig
Tel.: 0531-6181-1100
Fax: 0531-6181-1099
[email protected]
www.helmholtz-hzi.de
BIOspektrum | Sonderheft zur Biotechnica 2007 | 13. Jahrgang
Herunterladen