Wissenstransfer ßlEil Ethik lehren und lernen: Balanceakt zwischen Theorie und Praxis Die Nachfrage nach ethischem Expertenwissen ist ungebrochen. Am Ethik-Zentrum der UniversitätZürich wird Fachwissen an interessierte Berufsleute weitergegeben. -VON @fl BARBARA BLEISCH lmmer mehr Führungskräfte interessieren sich fiir thische Problemstellungen gewinnen seit fahrzehnten in ethischen Leitplanken reden: Einerseits wird gefordert, dass sich die öffentiiche Hand in einer säkularen multikultu- angewandte Ethik, wie Nachfrage und Angebot von entsprechenden Studiengänge zeigen. Das Ethik-Zentrum den unterschiedlichsten Berufsfeldern an Bedeutung. Die rasante Ent- wicklung in den Biotechnologien und die ohne religiösen Unterbau und für alle der Universität Zürich bietet seit r999 die fortschreitende Globalisierung sind ein berußbegleitendes Nachdiplom- nur zwei Beispiele für Themenfelder, einsichtig sind. Andererseits sind die Bereiche, in denen ethisches Knowhow studium in Angewandter Ethik an, das in denen die Bürgerinnen und Bürger moderner Staaten mit immer neuen mit dem Titel <Master of Advanced Studies in Applied Ethics> (MAE) abschliesst. Ziel ist es, Berußpersonen re1len Gesellschaft an Werten orientiere, nötig wäre, umfassender und kompiexer geworden - man denke etwa an Gesetz- gebungsverfahren in Bereichen der Bio- Handlungsmöglichkeiten, deren Beurteilung in vielen Fällen umstritten ist, konfrontiert werden. Schlagwörter wie medizin oder an die Entwicklung von Ethik <Machbarkeitswahn>> und <Wertezer- Wirtschaften anhalten sollen. und deren Anwendung in der Praxis zu fall> geben der wachsenden Verunsicherung vieler Menschen Ausdruck, die normative Strukturen von ihrer aus den unterschiedlichsten Tätigkeits- bereichen die Grundlagen der vermitteln und sie zu ethischer Exper. tise zu befähigen. DR. DES. BARBARA BLEISC H [st Geschäfts- und Studienleiterln der A dv anc e d Studies in Applied Ethics am Ethik Zentrum der Uniuersität Zürich. as ae. Ie itun q @ e thik. u zh. ch Auflösung bedroht sehen. Die Kirchen befinden sich in pluralistischen Gesellschaften in Legitimationskrisen, die ins besondere deren Rolle a1s Hüterinnen der Moral erodieren. Man sehnt sich nach Institutionen, die in die Bresche Ethikkodizes, die Firmen zu ethischem Obwohl viele der Analyse eines Werteval<uums zustimmen, greift auch eine tiefe Skepsis bezüglich ethischem Fach wissen und Expertentum um sich. Ein würfe wie <Ethik ist doch relativ> oder <Aufsolche Fragen gibt es nursubjektive Antwoften> sind an der Tagesordnung und werden mit Vorliebe an die Adresse von professionellen Ethikern und Ethi- Es lässt sich somit gleichsam von kerinnen gerichtet. Dabei ist diese Frage nach Sinn und Möglichkeit ethischen einem doppelten Bedürfnis nach Expertentums den Experten seiber kei- springen und Orientierung bieten. Ein berühmter Mann hat mal in den Fünzigerjahren gesagt: <Wirtschaft und Ethik, das geht nicht zusammen. Entscheiden Sie sich für das eine oder andere.r' lch habe mich unter anderem deswegen für das Ethik-Studium entschieden, um meine gegenteilige Meinung bestätigt zu bekommen: Wirtschaft ohne Ethik, das geht gar nicht. Und siehe da, es gibt tatsächlich positive Zeichen (auch Martin Hofe4 M.A. ETH und MAE, Partner bei Wüest Partner AG 6 wenn weltweit noch vorwiegend unethisch gewirtschaftet wird). Für immer mehr Leute, für immer mehr Firmen sind ethische Fragen am Arbeitsplatz ein Thema. Das Studium hat mir geholfen, mich diesbezüglich zu sensibilisieren, insbesondere auch melne eigene Firma kritisch auf ihre ethische Exzellenz hin zu hinterfragen. Die Kunden schätzen mein zusätzliches Know-how und bei uns in der Ceschäftsleitung sind ethische Fragen und Unternehmenskultur zu einem permanenten Thema geworden. io new management Nr. rr |2oo7 +z 48 ß;nt Wissenstransfer umfangreichen theoretischen Wissens und Könnens. Auf dessen Vermittlung legt man in allen drei Studienprogram men der <Advanced Studies in Applied - das Angebot wurde um ein Zertifikatsprogramm und einen DiplomEthics> studiengang erweitert - grossen Wert. Im ersten Semester wird logisches Denken eingeübt, indem klassische Fehlschiüsse analysiert werden und an einer exakten Begrifflichkeit und Argumentations kunst gefeilt wird. Die philosophischen Trockenübungen werden ergänzt durch Vermitteln klassischer Positionen und Grundkonzepte der Ethik wie Gerechtigdas keit, Menschenwürde oder Verantwor tung. Studierende solien auf diese Weise lernen, eigene Meinungen in eine über- greifende und in sich normativ kohärente Konzeption zu integrieren und konkurrierende Ansichten zu verorten. Der ethische Standpunkt kann dabei als theoretischer Standpunkt verstanden werden: Es gitt. moralische Überzeugungen auf ihre Konsistenz, Kohärenz und Plausibilität hin zu uberprüfen und Debatten in strukturierte ArgumentatiEthik als Wegweiser. neswegs fremd - im Gegenteil: Sie ist len die Studierenden befdhigt werden, in längst selber Gegenstand von Debatten den ethischen Standpunkt in der wissenschaftlichen Ethik gewor- beruflichen Alltag und dessen Problem- Uni felder zu integrieren. Die Grundidee der den. Wenn das Ethik Zentrum der ihren onszusammenhänge überzuführen (vgl. Ach, Runtenberg 2oo2, S. rZl). Ethische Expertinnen und Experten müssen fähig sein, sich von den eigenen spontanen moralischen Wertungen zu distanzieren versität Zürich Weiterbildungen im Studiengänge lässt sich an einerAnel<do- und sich in andere Standpunkte einzu fühlen. Diese Distanznahme fä11t den Bereich der Ethik anbietet, hat es sich te verdeutlichen, die man sichvom deut- Studierenden erfahrungsgemäss insbe- nicht zum Ziel gesetzt, Moralapostel aus schen Philosophen Max Scheler erzählt, sondere zu Beginn des Studiums schwer, zubilden, die in der realen Welt vorgefer- der, angesprochen auf die Widersprüche haben sich doch die meisten aus eigenen tigte Meinungen portieren, sondern zwischen den moralischen Massstäben moralischen Überzeugungen heraus für berufstätigen Personen aus den verschie, in densten Praxisbereichen eine sachge ufernden Lebensstil, lakonisch gefragt haben so11: <Geht denn derWegweiserin die Richtung, in die er zeigt?> rechte und lösungsorientierte Auseinan- dersetzung mit den ethischen Streitfra seinen Werken und seinem aus gen moderner Gesellschaften zu ermög- lichen. Das Ziel der Studiengänge besteht nicht darin, die Studierenden <richtige> Antworten auswendig lernen zu lassen, voller Doch die Leitfragen, an denen sich ethische Expertise zu orientieren hat, fussen nicht oder zumindest nicht aus- Moralische ü berzeugu ngen überprüfen <moralischer Gurus> heranzuzüchten Die Fähigkeit, ethische Wegweiser zu entwerfen und erfolgreich in Dis (Birnbacher r999, S. z7o). Vielmehr sol- kussionen einzubringen, bedarf eines also Expertinnen und Experten im Sinne den Kurs eingeschrieben und sind Tatendrang, die Welt zu <<verbessern>. sch liesslich auf persönlichen Überzeu gungen, sondern fragen vielmehr, was sich aus welchen Prämissen in welchen Situationen ergibt, welche kontraintuitiven Konsequenzen aus welchen Prinzipien folgen und welche Normen und io new management Nr. rr I zooT Wissenstransfer nsbesondere durch die internationale Wirtschaftstätigkeit, durch die veränderten Produktions- und Bezugsmärkte und die globale Versorgu n gskette erhält d ie U nternehmensverantwortu n g neuerdings eine ausgeprägte Menschenrechtsdimension. Ein verantwortungsvolles Unternehmen, das sein Sortiment global beschaft, wird heute kontinuierlich mit dem Thema Ethik im Handel konfrontiert. Problematisch in der Wirtschaft sind die Divergenzen zwischen ökonomischen und moralischen Ceboten und das ständige Abwägen von ethischen und ökonomischen Normen. Durch das Studium verspreche ich mir eine vertiefte Kenntnis der Argumentations- und Begründungsmethoden, die mir helfen sollen, in meinem Arbeitsfeld die richtigen Antworten zu bieten. I Bemhard Moeri, Social Compliance Oficer beim MigrosGenossenschafis Bunrl, gegenwärtig Master Student in den ÄsÄE ElEil Uberlegungen zu Nachhaltigkeit unter Einbezug zweier Fallstudien von WWF International und Swiss Re> verfasst. Die Nachfrage nach Studienplätzen am Ethik-Zentrum ist ungebrochen hoch: Auf fünfzig zu vergebende Studienplätze gehen in der Regel rund siebzig Bewer- bungen ein. Einer derPluspunkte derPro gramme dürfte deren Interdisziplinarität sein, die sich nicht nur durch den vermit- telten Stoff zieht, der alle wichtigen Anwendungsfelder der Ethik abdecl<t, Werte in welchen Zusammenhängen von Relevanz sind - und welche nicht. Das bedeutet keineswegs, dass man dem Praxisbezug des Gelernten nicht hungen wird in Zusammenarbeit mit dem IKRK angeboten, und in der Wirtschafl.sethik kommen Ökonomen zu sondern sich auch in den bunt zusam- Wort, die wirtschaftsethische Überle- Arzte, Consultants, Nationalrätinnen, Rechnung tragen würde. Im Gegenteil: gungen an konkreten Fälien verdeutli- Verwaltungspersonal, Lehrerinnen, Pfar- Die Dozierenden arbeitenvon Beginn an chen. UniversiLäre Kooperationspartner rer, Journalisten mit Fallbeispielen und schlagen die Brü- aus Münster, Utrecht und Lancaster ver- misches Berufsfeld, das in den Studien cke zur Praxis. Dies ist vor allem bezüg- mitteln eine europäische Perspektive. In ihrer Diplomarbeit beschäftigen gängen nicht vertreten wäre. Heterogen sich die meisten Teilnehmendem mit einem Thema, das für sie beruflich rele und Geschlecht: Männer und Frauenhalten sich in etwa die Waage, die jüngsten zusammenstellen l<önnen: Die Zertifi katstudierenden setzen einen Schwer- vant ist oder sogar in eine Studie für ihr Studierenden sind etwas über dreissig, Arbeitsumfeld münden l<ann. So wur- die ältesten um die sechzig Jahre alt. punkt in Medizinethik und ergänzen die den in den vergangenen Studiengängen um Forschungsethik oder Klinische etwa Arbeiten mit den Titeln <Medizi- Ethik, während Diplomstudierende sich nische Gerechtigkeit. Impfstoffallokati- vor allem in Wirtschafts- und Rechts- on im Falle einer Influenza-Pandemie>, ethik sowie in politischer Ethik weiterbil- <Do Pharmaceutical Corporations have den. Die genannten Programme erstre amoral dutytowards those inneed of life cken sich über einen Zeithorizont von saving medications?>, <Sind Geschlech zwei bzw. drei Semestern. Das umfang terquoten für Verwaltungsräte von Publi utandter Ethik FranVurt a.M. kums gesellschaften moralisch legitim?> Birnbacher, D. (t99fl: Für was lich der Schwerpunktmodule der FalI, von denen sich Studierende ab dem zwei- ten Semester ihr individuelles Portfolio sen reichste und zugleich zeitaufwändigste Programm ist das zweijährige Studium, das mit einem <Master of Advanced Stu- und <Nachhaltigkeit - leere Versprechung oder gangbarer Weg? Ethische mengewürfelten Studierendengruppen spiegelt |uristen, Banker, Physikerinnen, - kaum ein akade- sind die Gruppen auch hinsichtlich Alter Weitere Informationen zu den Studiengängen: > wwv*.*tklk"wx*"*h { *uxe Literatur Ach, J. S.; Runtenberg, C. (zaoz): Bioethik: Disziplin und Diskurs. Zur Selbstauftlärung ange ist der <Ethik- P.: Angewandte Ethik in der plural[stischen Gesellschaft. Freiburg. Experte> Experte? In: Rippe, K. S.267-2fi. dies in Applied Ethics> abschliesst. Neben Medizin, Rechts- und Wirt- Den Masterstudiengang in Angewandter Ethik habe ich aus reiner Neugier belegt. lch verfolgte damit kein eigentliches Berufsziel, sondern wollte die aktuellen Diskussionen besser verstehen und nicht nur aus einem Bauchgefühl heraus mitreden. Der Kurs hat schaftsethik umfasst dieser Studiengang auch Medienethik, Ethik der internatio nale Beziehungen, Umweltethik sowie mir aber nicht nur auf all diese Fragen zahlreiche Antworten gegeben, sondern auch viele neue Fragen aufgeworfen, die ich mir früher nie gestellt hätte. Für mich hat sich ein Zugang zu einer neuen Ethik im interkulturellen und interreligiösen Dialog. Um den praktischen Bezug Dr ten, werden wiederholt Experten aus der iur. Marion Völger, MAE, Dozentinf)r Staats- Praxis eingeladen. Im Modui Forschungs- und Verwaltungsrecht an der Zürcher ethik ist beispielsweise eine Expertin der Angewandte der vermittelten Inhalte zu gewährleis- Weltgesundheitsorganisation zu Gast, die Ethik der internationalen io new management Nr. rr lzooT Bezie- Hochschule für Wissenschafien Cedankenwelt eröffnet, aber auch zu vielen spannenden Menschen. Als Juristin interessiert mlch natürlich vor allem dasZusam menspiel von Recht und Moral. ln der juristischen Grundausbildung kommt diese Thematik meines Erachtens viel zu kurz und es macht mir grossen Spass, Themen wie Recht und Gerechtigkeit in den Unterricht einzuflechten und in Diskussionen mit meinen Studierenden immer wieder neue Fragen und Antworten zu erhalten. +s