Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft Nr. 153 Working Paper-Reihe der AK Wien Herausgegeben von der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien Reichtum – Legitimation und Kritik Der Einfluss von Klassenlagen, Vermögen und subjektiven Einschätzungen auf Einstellungen zum Reichtum in Österreich Hilde Weiss, Julia Hofmann Juni 2016 . Die in den Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft veröffentlichten Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der AK wieder. Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich. ISBN 978-3-7063-0623-2 Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien A-1041 Wien, Prinz-Eugen-Straße 20-22, Tel: (01) 501 65, DW 2283 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung: Soziale Polarisierung und Einstellungen .............................................................. 1 2 Fragestellungen und Thesen .................................................................................................... 4 3 Beschreibung der Datenbasis und methodische Schritte ......................................................... 6 3.1 Beschreibung der Datenbasis ............................................................................................ 6 3.2 Methodische Schritte ........................................................................................................ 7 4 Ergebnisse ............................................................................................................................... 9 4.1 Einstellung zum Reichtum (Linearverteilungen) ............................................................. 9 4.2 Dimensionen der Einstellungen zu Reichtum: Einstellungsskalen und split consciousness ................................................................................................................ 12 4.3 Soziodemographische Hintergründe der Einstellungen ................................................. 15 4.4 Klassenlagen und Einstellungen ..................................................................................... 18 4.5 Ideologien des Reichtums – Strukturen im Vergleich sozialer Klassenlagen ................ 22 5 Zusammenfassung und Diskussion ....................................................................................... 37 6 Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 42 7 Anhang .................................................................................................................................. 46 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Tabelle 1: Korrelationen der Subskalen inkl. Item „Wohltätigkeit“ (Pearson) ..................................... 13 Tabelle 2: Typologie der Dimensionen Leistung und Folgen des Reichtums (in Prozent)1) ................. 15 Tabelle 3: Verteilung der Einzelitems nach Geschlecht, Alter und formalem Bildungsniveau (in Prozent)1) ............................................................................................................................................... 16 Tabelle 4: Subskalen nach Bildung, aufgeschlüsselt nach Altersgruppen (Zustimmung; Prozent) ...... 18 Tabelle 5: Verteilung der Einzelitems nach Klassenlagen (in Prozent)1) .............................................. 19 Abbildung 1: Linearverteilung der Einzelitems (4-stufig) .................................................................... 10 Abbildung 2: „Zu großer Reichtum ungerecht“ und „Reichtum durch Leistung“ nach Klassenlagen. Prozent „starke Zustimmung“ nach dem oberen Drittel des Skalenscores 1) ........................................ 20 Abbildung 3: Zu großer Reichtum ungerecht“ und „Reich wird man durch Erben und Kontakte“ nach Klassenlagen. Prozent „starke Zustimmung“ nach dem oberen Drittel des Skalenscores 1) ................. 21 Tabellenverzeichnis im Anhang Tabelle A 1: Dimensionen der Einstellungen zum Reichtum (Faktorenanalyse; n = 1235) ................. 46 Tabelle A 2: Korrelationen auf Basis der konfirmatorischen Faktorenanalyse (n = 1235) ................... 46 Tabelle A 3: Typologie nach den Dimensionen „zu viel Reichtum ungerecht“ und „Reich durch Erben/Kontakte“ (n = 1235) .................................................................................................................. 47 Tabelle A 4: „ungerechter Anteil am Wohlstand“1) nach Klassenlagen (in Prozent; n = 1235) ........... 47 Kurzfassung Der Beitrag befasst sich mit den Einstellungen zu den Ursachen und gesellschaftlichen Folgen von Reichtum in der österreichischen Bevölkerung: Werden Leistung und individuelle Fähigkeiten oder eher Privilegien durch Herkunft, Erbe oder Machtnetzwerke als zentral für die Entstehung von Reichtum eingeschätzt? Wie werden die Folgen „zu großen Reichtums“ einiger Weniger bewertet? Im Mittelpunkt der Forschung steht die Frage, ob sich „klassenbezogene“ Begründungsmuster von Reichtum und sozialer Ungleichheit erkennen lassen. Die Analysen beruhen auf der ersten Welle des österreichischen Household Finance and Consumption Survey (HFCS)-Datensatzes. In den Analysen hat sich gezeigt, dass insbesondere die gesellschaftlichen Folgen „zu großen Reichtums“ in Österreich kritisch gesehen werden. Die Entstehungsbedingungen von Reichtum werden dennoch mehrheitlich durch Leistung und individuelle Fähigkeiten, also „meritokratisch“ begründet. Daneben werden im selben Maße aber auch Privilegien in Form von Erbschaften und Netzwerken, also „zugeschriebene“ (klassenbezogene) Chancen als Erklärung herangezogen. Die klassenvergleichenden Analysen legten offen, dass in den oberen Klassenlagen die Überzeugung, Reichtum durch Leistung erworben zu haben, besonders ausgeprägt ist, während in den unteren Klassenlagen eher ein uneinheitliches bzw. wenig festgelegtes Einstellungsmuster vorherrscht, in dem keine klare Positionierung zwischen Leistungslegitimation und kritischer Bewertung großen Reichtums erkennbar ist. Abstract The article analyses the social determinants of attitudes on societal consequences and origins of private wealth in the Austrian population. Are individual merits, especially personal achievements, regarded as crucial factors for gaining wealth, or rather privileges by social origin, inheritance or power-networks? How are societal consequences of excessive private wealth assessed within the Austrian population? A key aspect of our analyses was the examination of class-related attitudes towards social inequality and private wealth. Data of the Austrian Household Finance and Consumption Survey (HFCS; first wave) were used for empirical analyses. Our results indicate that in Austria the societal consequences of excessive private wealth are criticized. Nevertheless, the origins of private wealth are interpreted mainly as an outcome of individual merits, yet, class privileges (e.g. heritage, social networks) are equally regarded as essential. Class analyses demonstrate that upper classes strictly adhere to the idea of meritocracy, while lower classes tend to have no clear cut attitude profile. 1 Einleitung: Soziale Polarisierung und Einstellungen In rezenten Analysen sind die zunehmenden sozialen Ungleichheiten (insbesondere im Bereich der Einkommen und jüngst auch bei den Vermögen) und die Beschleunigung des Auseinanderdriftens von „reich und arm“ deutlich dokumentiert (für Österreich siehe unter anderem: Dimmel et al. 2014, Eckerstorfer et al. 2014, Fessler/Schürz 2013, Hofmann/Weiss 2014, Humer et al. 2014, Reinprecht/Paulinger 2015). Wie diese sozialen Entwicklungen in der Bevölkerung und speziell von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen wahrgenommen werden, ist jedoch eine in der aktuellen Forschungsliteratur weitgehend offene Frage (Ausnahme u.a. für Österreich: Melchior/Schürz 2015, für Deutschland: Glatzer et al. 2008, Sachweh 2010). Forschungen zeigen, dass soziale Ungleichheit per se in den europäischen Ländern akzeptiert wird – das Ausmaß und die konkreten Formen der Ungleichheit sowie die Voraussetzungen, unter denen diese als legitim – also als „gerecht“ – verstanden wird, sind jedoch höchst umstritten (Becker/Hajdar 2011, Hadjar 2008). Dies zeigt sich auch bei der wieder an Auftrieb gewonnenen Verteilungsdebatte der letzten Jahre, insbesondere bei den gesellschaftspolitischen Diskussionen rund um die obersten 0,1% (bzw. die untersten 99,9%) oder hinsichtlich des Entstehens einer sogenannten „Erbenrepublik“ (Friedrichs 2015). Wie man zu Reichtum kommt bzw. kommen sollte – ob durch eigene Leistung, durch Erbe oder durch bessere Startbedingungen – und wieviel Ungleichheit eine Gesellschaft „aushält“ (Heitmeyer 1997) steht heute (wieder) zur Debatte. Die Frage, ob die Einstellung von Menschen zu sozialer Ungleichheit und (den Entstehungsbedingungen von) Reichtum von ihrer sozialen Position bzw. Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe abhängt, beschäftigt die soziologische Diskussion seit langem. Es ergibt sich in der Literatur hierzu jedoch kein klares Bild: In zahlreichen Forschungen wird einerseits etwa der Einfluss sozialer Klassenlagen auf Verhaltensmuster, wie Bildungswahl und Berufskarrieren, Heiratsmuster oder das Gesundheitsverhalten stringent nachgewiesen (Blossfeld/Timm 2003, Goldthorpe 2003, Mayer/Blossfeld 1990). Andererseits verweisen Studien darauf, dass die Zusammenhänge zwischen „objektiver“ Lage und sozialen Wahrnehmungen, wie Gerechtigkeitsvorstellungen, Einstellungen zu sozialer Ungleichheit oder die Selbstverortung in der sozialen Hierarchie, oft nur schwach bis rudimentär 1 ausgeprägt sind (Sachweh 2010) bzw. eher in den oberen sozialen Lagen zu finden sind (Weiss/Strodl 2008). Hinsichtlich des Zusammenhangs objektiver Faktoren und subjektiver Einstellungen werden in der Ungleichheitsforschung auch zwei konträre Standpunkte postuliert: Auf der einen Seite die These, dass es keine gemeinsam geteilten, kollektiven Wahrnehmungen und Erfahrungen (vor allem durch die stark fragmentierten Arbeitsprozesse) mehr gibt (Gorz 1980). Demzufolge hätte ein „neoliberales“ Einstellungsmuster auch in den unteren Klassenlagen Fuß fassen können, erkennbar an der Wirksamkeit des Glaubens, jede/r könne es (durch harte Arbeit, Ideen, Kreativität) schaffen, einen höheren sozialen Status zu erlangen, sowie an einer zunehmenden Skepsis gegenüber sozialstaatlichen Aktivitäten („wer arm ist, ist selbst schuld“). Auf der anderen Seite steht die vor allem auf Pierre Bourdieu (und seinen Habitusbzw. Kapitalbegriff; Bourdieu 1983/1997) Bezug nehmende These sich zwar wandelnder, aber dennoch deutlich abgrenzender Klassenmentalitäten (wie sie unter anderem bei Vester et al. 2001 in der Darstellung der Pluralisierung von „Stammmilieus“ gezeigt wird). Reichtum und soziale Ungleichheiten werden in kapitalistischen Gesellschaften durch Leistungsnormen legitimiert (Prinzip der Meritokratie). Für die ideengeschichtliche Basis des modernen Kapitalismus haben vor allem drei Strömungen eine zentrale Rolle gespielt (Bachinger 2002): die protestantische Ethik, die Neoklassik und der Sozialdarwinismus. Wurde im Mittelalter soziale Ungleichheit als gottgewollt legitimiert, so trug die protestantische Ethik dazu bei, ungleiche Lebenslagen und Reichtum als Ergebnis von harter Arbeit und einem asketischen („gottgefälligen“) Lebensstil zu rechtfertigen (vgl. Max Webers religionssoziologisches Werk „Der Geist des Kapitalismus und die protestantische Ethik“ von 1904). In der Neoklassik (z.B. bei Adam Smith) wird Ungleichheit als elementarer und notwendiger Anreiz für Fleiß und persönlichen Einsatz betont. Der Sozialdarwinismus deklariert den Kapitalismus schließlich als ein System, in dem sich nur die „Leistungswilligen“ und „Tüchtigen“ durchsetzen (siehe auch: Hofmann 2015). Soziologische Ansätze der Gegenwart erklären die Strukturen sozialer Ungleichheit und die Entstehung des Reichtums allerdings weniger auf Basis meritokratischer Konzeptionen, sondern gehen von konflikttheoretischen Überlegungen, also von Macht- und Herrschaftsprozessen, aus. Reichtum entstehe auf Basis des Wirkens der Mechanismen des Marktes in Relation zum Staat, d.h. durch Formen der Regulierung bzw. Nicht-Regulierung 2 durch staatliche Institutionen und Sozialpolitik (vgl. Rawls 1979, Esping-Andersen 1990). Weiteres wird in der soziologischen Debatte davon ausgegangen, dass Reichtum nicht nur auf „ökonomischem Kapital“, sondern auch auf dem Zugang zu „sozialem Kapital“, bedingt etwa durch die soziale Herkunft, Beziehungen und Netzwerke, aufgebaut wird (vgl. Bourdieu 1983/1997, Hartmann 2007). Historisch betrachtet waren Leistungsnormen für das Funktionieren kapitalistischer Gesellschaften zentral. Im Österreich der Nachkriegszeit galt die Erbringung individueller Leistung als gesellschaftlich anerkannte Grundlage von sozialer Ungleichheit. Wohlstand wurde damit einhergehend als „Belohnung“ individueller Anstrengungen betrachtet. Die Chancen auf sozialen Aufstieg und Mobilität waren in der „goldenen Phase des Austrokeynesianismus“ für viele Teile der Bevölkerung vorhanden, was mit dazu beitrug, dass das Leistungsdenken das Selbstverständnis der unteren und mittleren sozialen Klassen über lange Zeit stark bestimmte. Wie Michael Hartmann (2007) zeigt, war Österreich in dieser Phase – was die Zusammensetzung der Eliten betrifft – auch ein sozial eher durchlässiges Land, während in Großbritannien oder in Frankreich ein Aufstieg nach „oben“ kaum möglich war. Seit den 1980er bzw. 1990er Jahren ist im ideologischen („neoliberalen“) Diskurs eine Betonung individueller Leistung und von „Tüchtigkeit“ als Garant von Erfolg und Aufstieg beobachtbar, gleichzeitig nimmt jedoch die soziale Polarisierung zu und soziale Mobilität ab. Diese widersprüchlichen Entwicklungen – das Hervorkehren der individuellen Leistung bei gleichzeitiger sozialer Polarisierung – spiegelt sich auch in den Köpfen der Menschen wider: So stimmten bei einer österreichischen Studie von 2008 knapp 90% der Befragten der Aussage zu, „Ich arbeite hart und will gute Leistungen erbringen, auch wenn es lange dauert bis sich Erfolge zeigen.“ (Weiss/Strodl 2008). Andererseits zeigten sich ein erhöhtes Statusunbehagen und die Angst, in der Leistungsgesellschaft nicht mehr mithalten zu können, vor allem in den unteren und mittleren sozialen Lagen. Auch in einer in Deutschland (ebenfalls 2008) durchgeführten Studie zeigte sich, dass beide Muster – die Leistungsorientierung, aber auch macht- und herrschaftssoziologische Interpretationen – in der Bevölkerung stark verbreitet sind: So stimmten knapp 70% der deutschen Befragten der Aussage zu, dass der „eigenen Leistung“ sowie den „individuellen Fähigkeiten“ eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Reichtum beizumessen sei. 3 Gleichzeitig argumentierten aber auch über 80%, dass soziale Beziehungen bzw. das Kennen der „richtigen Leute“ und gute soziale Ausgangsbedingungen wichtige Ursachen dafür sind, dass Menschen reich werden. Für über 50% war schlussendlich auch Unehrlichkeit ein Faktor, der zu Reichtum führt (Glatzer et al. 2008: 45ff.). In den folgenden Analysen stehen die Einstellungen zum Reichtum und zu sozialer Ungleichheit in der österreichischen Bevölkerung im Mittelpunkt: Eine zentrale Frage, die sich im Kontext der wiederaufkeimenden Verteilungsdebatte stellt, ist, wie verbreitet meritokratische Legitimationsmuster im Verhältnis zu herrschafts- und klassenbezogenen Interpretationen – Privilegien durch Herkunft, Erbe oder Machtnetzwerke – in der österreichischen Gesellschaft sind; und ob sich bei verschiedenen sozialen Gruppen Unterschiede in den Einstellungsmustern zeigen. Der Forschungsbericht gliedert sich in zwei große Abschnitte: Im ersten Teil werden die einzelnen Items dargestellt und nach den soziodemografischen Hintergründen (in bivariaten Korrelationsanalysen) aufgeschlüsselt. Dem folgen im zweiten Teil multivariate Kausalanalysen. Diese beziehen sich auf eine Zusammenfassung der einzelnen Statements zu Subskalen (d.h. die zentralen thematischen Schwerpunkte der Einstellungen zum Reichtum werden auf Basis der Faktorenanalysen zusammengefasst). Ideologische Profile werden im Vergleich verschiedener sozialer Gruppen herausgearbeitet. 2 Fragestellungen und Thesen Eine zentrale Thematik der empirischen Analysen bildet die Frage nach den Auswirkungen realer („objektiver“) Faktoren, wie Einkommen, Vermögen oder sozialer Status, auf die Akzeptanz von Ungleichheit bzw. Reichtum: Lassen sich klassenbezogene Legitimationsmuster von Reichtum und sozialer Ungleichheit erkennen, bzw. umgekehrt, welche Vorstellungen teilen Menschen, obwohl sie unterschiedlichen Klassen angehören? Die vorliegenden Analysen stellen die verschiedenen sozialen Klassenlagen – in Anknüpfung an vorangegangene Untersuchungen (Hofmann/Weiss 2014) – in den Mittelpunkt. Ausgehend 4 vom Konzept der Klassenlagen nach Erikson/Goldthrope/Portocarero (EGP1; Ganzeboom et al. 1992, 1996) werden zusätzlich die Auswirkungen vorhandener Vermögensbestände und auch die subjektive Selbstverortung bezüglich Einkommen/Vermögen und des „gerechten Anteils“2 auf die ideologischen Positionen untersucht. Die subjektive Einschätzung der eigenen sozialen Lage wird für die Einstellungen zu Reichtum und sozialer Ungleichheit als zentral angesehen, da sie als ein Indikator für die gesellschaftlichen Wahrnehmungen der Befragten betrachtet werden kann. Analysen haben gezeigt, dass sich in Österreich die meisten Personen der „Mitte der Gesellschaft“ zuordnen (Andreasch et al. 2012), wohl auch um den gesellschaftlichen Erwartungen der „Wohlstandsgesellschaft“ zu entsprechen: Im für diese Analysen verwendeten Datensatz (HFCS Österreich, siehe weiter unten) ordnen sich die Befragten eher der Mitte zu: Die meisten verorten sich auf der Einkommens- und Vermögensskala zwischen dem 3. und dem 6. Dezil. Damit überschätzen sich ärmere Personen tendenziell, während sich reichere Personen stark unterschätzen (ebenda). Dazu passend sind auch über 60% der Meinung, dass sie ihren „gerechten Anteil“ erhalten, während allerdings rund 30% der Befragten als relativiert depriviert bezeichnet werden können. Die hier durchgeführten empirischen Analysen sollen Antworten auf folgende zentrale Fragestellungen geben: - Welche Einstellungen zu Reichtum finden sich in der Bevölkerung, welche Legitimations- und Erklärungsmuster sind präsent? Welche Zusammenhänge bestehen mit soziodemographischen Merkmalen (Alter, formaler Bildungsstand, Geschlecht)? - Gibt es deutliche Beziehungen zwischen den sozialen Klassenlagen und den Einstellungsdimensionen? - Welche Rolle spielen subjektive Faktoren (wie subjektive Gerechtigkeit oder die Selbsteinstufung auf der gesellschaftlichen Vermögens- und Einkommensleiter) in Relation zu objektiven Klassenlagen? 1 „Dieses Konzept der Klassenlage, das seine Kategorien an Karl Marx und Max Weber orientiert, verbindet den Beschäftigten-Status (mit den Kategorien abhängig beschäftigt oder selbstständig), mit der beruflichen Tätigkeit, die nach wichtigen Kriterien, wie erforderliche Qualifikation und berufliches Fortkommen (Karriereplanung, Laufbahn) bewertet bzw. eingestuft werden. Es hat also zum Ziel, typische Arbeitsverhältnisse mit ihren Folgen für Lebenschancen und Entwicklungsmöglichkeiten zu erfassen.“ (Hofmann/Weiss 2014: 562) 2 Wir verwenden im Folgenden für die Frage nach dem „gerechten Anteil“ am Wohlstand im Vergleich zu den anderen ÖsterreicherInnen die Begriffe der subjektiven Gerechtigkeit und der relativen Deprivation. 5 3 Beschreibung der Datenbasis und methodische Schritte 3.1 Beschreibung der Datenbasis Die empirische Datenbasis der Analysen bildet der österreichische HFCS-Datensatz (1.Welle; Erhebungszeitraum 2010/2011; Albacete et al. 2012). Für die Analysen wurde ein integrierter Datensatz erstellt, der neben den Core-Variablen auch einige Non-Core-Variablen (u.a. Einstellungen zur Vermögensverteilung, Verteilungsgerechtigkeit und Einschätzung der eigenen sozialen Position) umfasst. Im non-core-Teil des österreichischen HFCS-Datensatz finden sich neun Items, die zur Analyse der subjektiven Wahrnehmungen von Vermögen und der Einstellungen zum Reichtum herangezogen werden können. Alle Items wurden anhand einer 10er-Skala abgefragt (1 = stimme nicht zu, 10 stimme sehr zu)3. Die meisten der abgefragten Items zu den Entstehungsbedingungen und Folgen von Reichtum sind mit jenen der bereits erwähnten deutschen Befragung zu den Einstellungen zu Reichtum und sozialer Ungleichheit ident (analysiert unter anderem von Glatzer et al. 2008). Auch hinsichtlich der Beurteilung der gesellschaftlichen Folgen von Reichtum und sozialer Ungleichheit gibt es bei der erwähnten Befragung aus Deutschland und beim HFCS nahezu deckungsgleiche Frageformulierungen. Fünf dieser Items messen Begründungen bzw. Rechtfertigungen von Reichtum und sozialer Ungleichheit: „Reich wird man mit guten Ideen“; „Reich wird man über eigene Leistung“; „Reich wird man über soziale Kontakte“; „Reich wird man übers Erben“; „Jeder / Jede hat die Chance aus eigener Kraft reich zu werden“. Weitere vier Items stellen die gesellschaftlichen Folgen von Reichtum zur Debatte: „Zu großer Reichtum einiger weniger führt zu Problemen in der Gesellschaft“; „Reiche Menschen genießen im Leben Vorteile, die ungerechtfertigt sind“; „Niemand sollte bessere Möglichkeiten im Leben haben, nur weil er / 3 Dies weicht von der zumeist verwendeten 5-stufigen „Likert-Skala“ ab und ist insofern problematisch, da in der Methodenliteratur davon ausgegangen wird, dass 10er-Skalen die Befragten oft überfordern, da die Unterschiede zwischen den einzelnen Antwortkategorien (z.B. dem Wert 2 oder 3 bzw. 7 oder 8) oft nicht eindeutig sind. Des Weiteren fehlt den 10er-Skalen ein sogenannter „Indifferenzpunkt“, der insbesondere bei Einstellungsvariablen von entscheidender Bedeutung ist. 6 sie viel geerbt hat“; „Reiche Menschen können durch Wohltätigkeit mehr für eine gerechte Gesellschaft tun als der Staat durch Umverteilung“. Ein methodisches Problem ergibt sich angesichts der Mehrdeutigkeit einiger Items: So ist nicht klar, ob die Befragten dem Item „Reich wird man über eigene Leistung“ eher zustimmen, weil diese Aussage ihren gesellschaftlichen Wunschvorstellungen entspricht oder weil sie der Meinung sind, dass diese Aussage der sozialen Realität entspricht. Ein ähnliches Problem ergibt sich beim Item „Reich wird man übers Erben.“ Bei der Aussage „Zu großer Reichtum einiger weniger führt zu Problemen in der Gesellschaft“ bleibt offen, ob sie eine Tatsachenfeststellung darstellt oder eine Kritik an den bestehenden Verhältnissen impliziert. Da nicht nachgefragt wurde, was die Befragten unter „Reichtum“ verstehen, werden auch unterschiedliche Vorstellungen etwa über Umfang und Formen des Reichtums bestehen; da aber die Fragen aber am Ende der ausführlichen Erhebung von Einkommens- und Vermögensarten gestellt wurden, ist damit aber doch der gemeinte Kontext ziemlich deutlich. 3.2 Methodische Schritte Welche Einstellungen zu Reichtum finden sich in der Bevölkerung? Auf Basis explorativer (sowie auch konfirmatorischer) Faktorenanalysen4 wurde untersucht, ob die einzelnen, in der Untersuchung vorgelegten Aussagen über Reichtum verschiedene inhaltliche Dimensionen repräsentieren, d.h. ob und wenn ja, welche thematischen Gemeinsamkeiten hinter den einzelnen Aussagen über Reichtum liegen. Die Subskalen (bzw. Summenscores der Einzelitems) geben somit die positive oder negative Haltung zu verschiedenen Aspekten von Reichtum wider, z.B. die Haltung zu den gesellschaftlichen Folgen von Reichtum oder zur Entstehung von Reichtum durch individuelle Fähigkeiten bzw. durch Opportunitäten, wie Erbe oder soziale Kontakte. Da Skalen bessere (sowohl genauere als auch deutlichere) Ergebnisse erzielen als Einzelitems, bilden sie die Grundlage der multivariaten Analysen. 4 Faktorenanalysen sind ein Verfahren zur Datenreduktion. Im Gegensatz zur explorativen setzt die konfirmatorische Faktorenanalyse a priori fest, welche Variablen die postulierten Faktoren messen sollen. 7 Zusammenhänge relevanter Variablen – bivariate und multivariate Analysen Bivariate und multivariate Analysen wurden durchgeführt, um im ersten Schritt herauszufinden, welche der zentralen soziodemographischen Merkmale (wie Alter, Geschlecht, Bildungsniveau) für die Einstellungen zu Reichtum Erklärungskraft haben. Detaillierte Analysen, in denen das EGP-Klassenschema angewandt wird, zeigen, ob die Einstellungen mit der Klassenzugehörigkeit zusammenhängen; und auch, ob Zustimmungen/Ablehnungen zu bestimmten Inhalten quer durch verschiedene Klassenlagen verlaufen. Welche strukturellen Differenzen zeigen sich im Vergleich der Klassen? Anhand von Pfadanalysen (Strukturgleichungsmodellen) werden die latenten Strukturen (bestehend aus objektiven und subjektiven Faktoren) offengelegt, die den Einstellungen zum Reichtum zugrunde liegen. Das Verfahren prüft, welche Beziehungen zwischen verschiedenen Einflussfaktoren bestehen und vermag daher, komplexe Hintergründe aufzudecken und auf diese Weise etwa ideologische Standpunkte zu erklären. Seit der Wiederaufbauphase befassten sich Ungleichheitsuntersuchungen vor allem mit den expandierenden gesellschaftlichen Mittellagen (Angestellte, BeamtInnen, FacharbeiterInnen), mit der Folge einer weitgehenden Ausblendung oberer und unterer Klassenlagen. Durch systematische Gruppenvergleiche zwischen den Klassen konnten die Auswirkungen der real vorhandenen Besitz- und Vermögensstände in Relation zu subjektiven Wahrnehmungen (Selbsteinstufungen) auf die Legitimationsmuster von Reichtum geprüft werden. Auf dieser Basis konnte daher auch gezeigt werden, wie weit real vorhandener Besitzstand bzw. „Reichtum“ auch innerhalb der Klassenlagen eine Auswirkung auf die Bewusstseinsformen hat und welche Rolle subjektive Faktoren demgegenüber spielen. Im Gesamten konnte hierdurch ein „Einstellungsprofil der Klassenlagen“ aufgezeigt werden: Spiegelt sich in den Einstellungen zum Reichtum eine Hierarchie des sozialen Raums wider? Inwiefern spiegelt sich in den Orientierungen ein Wissen um die eigenen „objektiven“ Interessenslagen (sogenanntes „Klassenbewusstsein“) wider? 8 Es stellte sich im Zuge des Forschungsprozesses die Frage, ob Klassenlagen, bezugnehmend auf die Berufstätigkeit der Referenzperson, als Individualvariable für die Analysen herangezogen werden sollten. Damit reduziert sich das sample allerdings auf jene Personen, die tatsächlich berufstätig sind (da der frühere Beruf von PensionistInnen im HFCS nicht erfragt wurde). Eine weitere Option war es, der befragten Person den jeweils höchsten sozioökonomischen Status des Haushaltsmitglieds zuzuordnen, d.h. diesen als Kontextmerkmal des Haushalts (so wie die Vermögensarten) zu behandeln. In allen Analysen, in denen nicht lediglich mit den Individualdaten, wie Geschlecht und Alter, gearbeitet wird, sondern die sozioökonomische Lage einbezogen ist, wurde daher der höchste Status des Haushaltsmitglieds als Kontextmerkmal herangezogen. 4 Ergebnisse 4.1 Einstellung zum Reichtum (Linearverteilungen) Anhand einer Analyse der Linearverteilungen der Einzelitems (s. Abbildung 1) zeigt sich, dass in der österreichischen Bevölkerung einige Vorstellungen über Reichtum und dessen Folgen für soziale Ungleichheit eher weit verbreitet sind, während andere zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen polarisieren. Eine starke Zustimmung findet sich in der österreichischen Gesellschaft bei den Aussagen „Zu großer Reichtum einiger weniger führt zu Problemen in der Gesellschaft“ sowie „Reiche Menschen genießen im Leben Vorteile, die ungerechtfertigt sind“ und „Reich wird man mit guten Ideen“ bzw. „Reich wird man übers Erben“. Vor allem die letzteren beiden Aussagen geben widersprüchliche Ansichten wider, was bereits darauf schließen lässt, dass den Antworten nicht unbedingt bzw. kein ideologisch konzises Denkmuster zugrunde liegt. 9 Abbildung 1: Linearverteilung der Einzelitems (4-stufig) Leider lassen sich diese Ergebnisse aus Österreich mit keinem der anderen Länder, die am HFCS teilgenommen haben, vergleichen, da die Items nur in Österreich im Rahmen des nationalen non-core-Fragebogens erhoben wurden. In Deutschland wurden allerdings 2008, wie bereits erwähnt, inhaltsgleiche Items abgefragt, die im Folgenden als Vergleichsmaßstab herangezogen werden. Da die Erhebungszeitpunkte (D: 2008, Ö: 2010/2011) und -kontexte (D: eigene Befragung zu den Einstellungen zu Reichtum und sozialer Ungleichheit, Ö: im Rahmen des HFCS) ist dieser Vergleich allerdings nur als erstes Indiz für etwaige Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu verstehen; international vergleichbare Daten wären in diesem Zusammenhang wünschenswert. Die Legitimitätsprinzipien und Erklärungsmuster von Reichtum und sozialer Ungleichheit unterscheiden sich zwischen Österreich und Deutschland relativ stark: Während in Deutschland knapp 70% der Befragten der Aussage zustimmten, dass der „eigenen Leistung“ eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Reichtum beizumessen sei, stimmen dieser Aussage in Österreich „nur“ rund 49% zu. Passend hierzu glauben hierzulande auch fast gleich viele (47%), dass jede/r die Chance hat reich zu werden. Die Bedeutung „guter Ideen“ wird in Österreich hingegen von mehr Personen, insgesamt von knapp 70% der Befragten, hervorgehoben. In Deutschland wurde dieser Faktor nicht abgefragt, sondern nach der 10 Bedeutung „individueller Fähigkeiten“ gefragt – diese betonten allerdings ca. gleich viele Personen (68%). In Deutschland wurden auch die sozialen Beziehungen (das Kennen der „richtigen Leute“) und „gute, soziale Ausgangsbedingungen“ als wichtige Ursachen dafür erachtet, dass Menschen reich werden (über 80% Zustimmung). Für über 50% war, wie erwähnt, des Weiteren „Unehrlichkeit“ ein Faktor, der zu Reichtum führt (Glatzer u. a. 2008: 45ff.). In Österreich betonten wiederum „nur“ knapp 50% die Rolle sozialer Kontakte. Demgegenüber wird die Bedeutung des Erbes von über 70% hervorgehoben und bildet somit neben den „guten Ideen“, den von den meisten genannten Grund für das Erlangen von Reichtum5. Diese Einschätzung der ÖsterreicherInnen hinsichtlich der Bedeutung des Erbes ist angesichts rezenter Forschungsergebnisse als sehr „realistisch“ zu betrachten (vgl. u.a. Humer et al. 2016). Starke Parallelen zwischen den beiden Ländern zeigen sich bei der Bewertung der gesellschaftlichen Folgen von Reichtum und sozialer Ungleichheit: Hier stimmten bei der deutschen Befragung über 70% der Aussage zu, dass es ungerechtfertigt sei, dass reiche Menschen mehr Verwirklichungschancen im Leben haben. Ein ähnliches Muster zeigt sich auch in Österreich: Der Aussage „Reiche Menschen genießen im Leben Vorteile, die ungerechtfertigt sind“ stimmen über 60% der Befragten zu. Auch die mit dem Reichtum einhergehenden Privilegien wurden kritisch beurteilt: So lehnt es in Deutschland mehr als die Hälfte der Befragten ab, dass Kinder von Reichen bzw. Besserverdienenden eine bessere Ausbildung bekommen; in Österreich stimmen ähnlich viele (60%) der Aussage zu „Niemand sollte bessere Möglichkeiten im Leben haben, nur weil er / sie viel geerbt hat“. Die überwiegende Mehrheit der deutschen wie der österreichischen Befragten waren zudem der Meinung, dass die zunehmende soziale Ungleichheit im Land zu sozialen Spannungen führen wird (Glatzer u. a. 2008: 56ff.). Die Einstellung zu der Aussage, dass „Reiche Menschen durch Wohltätigkeit mehr für eine gerechte Gesellschaft tun [können] als der Staat durch Umverteilung“ wurde in Deutschland nicht abgefragt; in Österreich findet dies eine Zustimmung von rund 50%. 5 Die Ursachen für diese großen Unterschiede zwischen den beiden Ländern könnten in den sich leicht unterscheidenden Antwortmöglichkeiten liegen; nach der Bedeutung des Erbes wurde etwa nur im Rahmen des HFCS gefragt. 11 4.2 Dimensionen der Einstellungen zu Reichtum: Einstellungsskalen und split consciousness Den verschiedenen Aussagen zum Reichtum liegen unterschiedliche Sichtweisen über eine „gerechte“ Gesellschaft, über normative und faktische Hintergründe von Ungleichheit, zugrunde. Anhand einer Faktorenanalyse können die thematischen Zusammenhänge zwischen den Items, d.h. die Dimensionen der Einstellung zu Reichtum, offengelegt werden. Die durchgeführte explorative Faktorenanalyse (siehe Anhang: Tabelle A 1) brachte drei unterscheidbare thematische Schwerpunkte, die in der Folge zu Subskalen zusammengefasst wurden, zu Tage:6 (1) Die Items „Zu großer Reichtum einiger weniger führt zu Problemen in der Gesellschaft“, „Reiche Menschen genießen im Leben Vorteile, die ungerechtfertigt sind“ und „Niemand sollte bessere Möglichkeiten im Leben haben, nur weil er sie viel geerbt hat“ thematisieren Folgen des Reichtums und geben Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit wider (22% Varianz der Faktorladungen; Varimax-Rotation). Die Antworten zu den drei Items wurden zu einem Skalenscore zusammengefasst (Einstellungsskala „großer Reichtum ungerecht“: Reliabilität gemessen durch Cronbach’s Alpha = 0,71). (2) Im zweiten Faktor (21% Varianz) werden das individualistische Leistungsprinzip und Chancengleichheit als Begründung und Rechtfertigung von Reichtum hervorgehoben: „Reich wird man mit guten Ideen“, „Reich wird man über Leistung“ sowie „Jeder/Jede hat die Chance aus eigener Kraft reich zu werden“. Dieser Faktor repräsentiert somit das meritokratische Legitimationsprinzip von Ungleichheit schlechthin (Skala „reich durch Leistung“, Cronbach’s Alpha = 0,661). (3) Ein dritter Faktor fasst „Erben“ und „Kontakte“ als Basis für das Erlangen von Reichtum zusammen (14% Varianz). Die beiden Items „Reich wird man über soziale Kontakte“ sowie „Reich wird man übers Erben“ beziehen sich damit auf strukturelle Bedingungen bzw. vorgegebene (ungleiche) Opportunitäten. Eine Bewertung ist in den Aussagen nicht enthalten; 6 Die Antworten zu den jeweiligen Items wurden in Summenscores zusammengefasst. Personen können nun aber z.B. sowohl zur Thematik „großer Reichtum ist ungerecht“ als auch „Reichtum durch Leistung“ eine positive Einstellung haben; also in einer Dimension etwa stark zustimmen, in einer anderen stark ablehnen. 12 man kann sie als bloße Darstellung der Realität ansehen, egal ob dies als gut oder schlecht beurteilt wird. Die Reliabilität (Cronbach’s Alpha = 0,41) ist als niedrig einzustufen. Interessant ist, dass die Aussage „Reiche Menschen können durch Wohltätigkeit mehr für eine gerechte Gesellschaft tun als der Staat durch Umverteilung“ keinem dieser Faktoren eindeutig zuzuordnen war (mit einer Faktorladung von 0,550 würde die Aussage am ehesten dem „Leistungsfaktor“ zuzuordnen sein, doch ist dieser Wert deutlich niedriger als bei den anderen Items). Die Einstellung „Wohltätigkeit von Reichen ist effizienter als staatliche Umverteilung“ präsentiert damit eine spezifische, anders gelagerte Thematik: es wird primär die Rolle des Sozialstaats – kritisch – angesprochen, weniger die Einstellung zu Reichtum oder Ungleichheit. Anhand der Zusammenhänge zwischen diesen Dimensionen des Reichtums kann gezeigt werden, wie sich die verschiedenen Entstehungsbegründungen von Reichtum und dessen gesellschaftliche Folgen in den Köpfen der Befragten darstellen (welches kognitive Muster also insgesamt präsent ist). Tabelle 1 zeigt die Korrelationen der drei Dimensionen bzw. Subskalen7 und des Einzelitems „Wohltätigkeit besser als Umverteilung“. Tabelle 1: Korrelationen der Subskalen inkl. Item „Wohltätigkeit“ (Pearson) 1 1 Reichtum ungerecht 2 Reichtum durch Leistung 2 3 4 -0,161 ** - 3 Reichtum durch Erbschaft/Kontakte 0,128 ** 0,131 ** - 4 Wohltätigkeit besser 0,102 ** 0,245 ** 0,083 ** - Die Einstellung „zu großer Reichtum ist ungerecht“ korreliert negativ mit der Meinung, „reich wird man durch Leistung“, was dem erwarteten ideologischen Grundmuster entsprechen würde, allerdings ist der negative Zusammenhang nicht sehr stark (sondern eher nur mäßig) ausgeprägt (r=-,161). Positiv mit der Ungerechtigkeitswahrnehmung korreliert – ideologisch folgerichtig – auch die Meinung, durch Erben/Kontakte werde man reich, aber auch diese 7 „Erben/Kontakte“ darf aber aufgrund geringer Reliabilität nicht als Einstellungsskala, sondern nur als Summenindex betrachtet werden. 13 Korrelation ist nicht sehr stark (r=,128). Letzteres korreliert in nahezu gleichem Ausmaß mit der Subskala „reich durch Leistung“ (r=,131) – was dem Leistungsgedanken zuwider läuft. Die Überzeugung, Reiche seien durch Wohltätigkeit besser als der Staat, korreliert auf ähnliche Weise mit dem Ungerechtigkeitsempfinden gegenüber zu großem Reichtum (r=,102) wie mit der Subskala „Reich durch Erben/Kontakte“ (r=,083). Die einzige deutlichere Relation besteht zwischen den Auffassungen, reich werde man durch Leistung, und die Wohltätigkeit einiger Reicher sei effizienter als der Staat (r=,245), was wiederum eher als „ideologisch konsistent“ interpretiert werden kann.8 Auch Tabelle 2 bestätigt das oben bereits gezeichnete Bild einer eher konturlosen Haltung zu individuellem Reichtum und den gesellschaftlichen Folgen. Rund ein Viertel (25,6%) der Befragten findet zu großen Reichtum ungerecht und glaubt nicht daran, durch Leistung reich zu werden; umgekehrt finden ca. ebenso viele (28,2%) Reichtum als unproblematisch und rechtfertigen Reichtum durch Leistung. Während die übrigen sich auf inkonsistente Wahrnehmungsmuster aufteilen. Ähnliche Einstellungsmuster zeigen sich auch in den Kombinationen der Bewertungen von „reich durch Erben/Kontakte“ und „Folgen des Reichtums“ (s. Anhang, Tabelle A 3). 8 Die auf Basis der konfirmatorischen Faktorenanalyse erstellte Korrelationsmatrix der drei Subskalen zeigt sehr ähnliche Korrelationen, s. Anhang Tabelle A 2. Die konfirmatorische Faktorenanalyse ist ein Verfahren zur Datenreduktion, es setzt im Gegensatz zur explorativen Faktorenanalyse eine theoretische Annahme voraus, d.h. es wird a priori festgelegt, welche manifesten Variablen die postulierten Faktoren messen sollen. 14 Tabelle 2: Typologie der Dimensionen Leistung und Folgen des Reichtums (in Prozent)1) 1) Die Subskalen bzw. Skalenscores wurden nach dem Median dichotomisiert An den kognitiven Mustern wird deutlich, dass die verschiedenen Komponenten der Einstellung zum Reichtum einander nicht unbedingt ausschließen, d.h. nicht als ideologisch unvereinbar gesehen werden. Ungerechtigkeitswahrnehmungen sind zwar durchaus verbreitet in der österreichischen Bevölkerung (wie an den Antwortverteilungen weiter oben gezeigt wurde). Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Befragten einen gewissen Glauben an einen gerechten, d.h. durch Leistung erworbenen Reichtum hegen. 4.3 Soziodemographische Hintergründe der Einstellungen Die oben stehenden Analysen haben gezeigt, dass in der österreichischen Bevölkerung kaum „ideologisch konsistente“ Positionen zu Reichtum und sozialer Ungleichheit nachzuweisen sind; vielmehr überlappen meritokratische Interpretationen mit dem Wissen über strukturell vorgegebene Privilegien (Erbe, Machtnetzwerke). Lassen sich dennoch Tendenzen anhand soziodemographischer Hintergründe der Befragten feststellen? Sind junge Befragte, aufgrund des ca. seit den 1980er Jahren spürbar werdenden strukturellen und ideologischen Wandels (Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, Umbau des Sozialstaats etc.) offener gegenüber dem Leistungsnarrativ und bewerten sie entsprechend die Folgen „großen Reichtums“ weniger kritisch? Oder stellt es sich umgekehrt dar und sind es die älteren Menschen, die auf Grund ihrer biographischen Erfahrungen (Phase des Austrokeynesianismus 15 und der sozialen Mobilität) offener gegenüber Leistungslogiken sind? Welche Rolle spielt das formale Bildungsniveau und das Geschlecht der Befragten: Schätzen Personen mit höherer formaler Bildung die Entstehungsbedingungen von Reichtum „realistischer“ ein? Haben Männer das Leistungsnarrativ stärker „verinnerlicht“ als Frauen? Eine bivariate Analyse anhand der Einzelitems zeigt, dass soziodemographische Merkmale nicht bei allen Items eine relevante Rolle spielen. Tabelle 3 gibt eine Übersicht über die signifikanten Unterschiede der Items nach Alter, Bildung und Geschlecht und gibt damit einen ersten Einblick in „Konsens“ und „Dissens“ in der Bevölkerung. Insbesondere das Leistungsnarrativ und die Einstellung, dass zu viel individueller Reichtum einer Gesellschaft schade, sind unabhängig von Geschlecht, Alter oder Bildungsstatus der Befragten (siehe Tabelle 3). Tabelle 3: Verteilung der Einzelitems nach Geschlecht, Alter und formalem Bildungsniveau (in Prozent) Geschlecht „Reich wird man über soziale Kontakte“ „Reich wird man übers Erben“ „Reich wird man mit guten Ideen“ „Reich wird man über Leistung“ „Jeder / Jede hat die Chance aus eigener Kraft reich zu werden“ „Zu großer Reichtum einiger weniger führt zu Problemen in der Gesellschaft“ „Reiche Menschen genießen im Leben Vorteile, die ungerechtfertigt sind“ „Niemand sollte bessere Möglichkeiten im Leben haben, nur weil er / sie viel geerbt hat“ „Reiche Menschen können durch Wohltätigkeit mehr für eine gerechte Gesellschaft tun als der Staat durch Umverteilung“ Männer 52 Frauen 47 76 74 50 49 71 71 48 45 69 1) Alter Bildung Fachsch. und unter 35 über 51 bis Lehre darüber 57 45 ** 48 52 * ** 69 75 60 59 76 71 45 41 68 63 70 68 61 51 ** 74 72 49 46 73 73 49 49 70 68 69 70 69 74 62 ** 59 63 56 ** 62 57 * 52 58 49 ** 55 48 ** ** ** * = sig. p<,05, ** = sig. p<,01 1) Es werden die Zustimmungen (nach den dichotomisierten Werten auf Basis der 10-stufigen Skalierung) angegeben. Demgegenüber divergieren die Einstellungen zur Bedeutung sozialer Kontakte und des Erbes sowie zu dem Item „jede/r hat die Chance aus eigener Kraft reich zu werden“ in der 16 Bevölkerung: Die Bedeutung sozialer Kontakte betonen eher Männer (52% Zustimmung versus 47% bei den Frauen) und jüngere Personen (57% Zustimmung bei den unter 35jährigen versus 45% bei den über 51jährigen). Die Relevanz des Erbes heben ebenfalls eher Männer (76% versus 71%) hervor sowie ältere Personen (76% bei den über 51jährigen versus 69% bei den unter 35jährigen). Dass jede/er die Chance hat, aus eigener Kraft reich zu werden, glauben jüngere Personen (59% bei den unter 35jährigen versus 41% bei den über 51jährigen). Bei den übrigens Items gibt es nur geringe Unterschiede nach soziodemographischen Merkmalen, insbesondere nicht nach dem Geschlecht der Befragten. Formal schlechter Gebildete und jüngere Personen glauben eher, dass „wohltätige Reiche“ gut für eine Gesellschaft sind. Die jüngeren sind aber zugleich der Meinung, dass aus dem individuellen Reichtum keine „besseren Möglichkeiten“ erwachsen sollen. Formal schlechter Gebildete sind darüber hinaus eher der Meinung, dass „Reiche ungerechtfertigte Vorteile genießen“ und dass das Erbe zu keinen besseren Möglichkeiten im Leben führen sollte. Wie Tabelle 3 zeigt, ist das Alter jenes soziodemographische Merkmal, das bei den meisten Variablen mit Unterschieden in den Einstellungen korreliert. Die Altersunterschiede lassen sich dahin interpretieren, dass ältere Personen hinsichtlich der Bedeutung des Erbes eine „realitätsnähere“ Einschätzung haben als jüngere. Diese betonen wiederum eher Aspekte der Chancengleichheit, aber auch die Bedeutung von Kontakten und Netzwerken. Beides, ein Vertrauen in „Leistungsgerechtigkeit“ aber auch die „realistische“ Einstufung von Kontaktnetzwerken, spiegelt somit den Horizont der Jungen wider. Der formale Bildungsstatus ist insbesondere für die Frage nach den Entstehungsbedingungen von Reichtum zentral, wobei sich hier ein eher inkonsistentes Bild zeigt: Höher Gebildete stimmen sowohl eher individualistischen Begründungen („reich durch Leistung“) als auch strukturellen Bedingungen („reich durch Kontakte“) zu. Das Geschlecht korreliert, wie Tabelle 3 zeigt, kaum mit den Einstellungsvariablen. Blickt man auf die Subskalen, so akzentuiert sich das Bild. In Tabelle 4 wird gezeigt, wie sich die Einstellung bei niedrig und höher Gebildeten unterscheiden, wenn man sie nach Altersgruppen aufschlüsselt. Formal niedriger Gebildete ältere Personen stehen dem Leistungsmythos weitaus skeptischer gegenüber als die niedrig gebildeten Jüngeren. Demgegenüber schätzen die höher gebildeten Älteren wie Jüngeren die Bedeutung des Erbes 17 generell als bedeutsamer ein als die weniger Gebildeten. Bei den besser Gebildeten sind es vor allem die Jungen, die die Bedeutung des Erbes betonen. Sie sind es allerdings auch, die, ähnlich wie bei den schlechter Gebildeten, eher dem Leistungsnarrativ anhängen. Tabelle 4: Subskalen nach Bildung, aufgeschlüsselt nach Altersgruppen (Zustimmung; Prozent) Bildung niedrig Reich durch Leistung Reich durch Erbe/Kontakte Reichtum ungerecht 1) bis 35 Jahre 74 37 50 über 51 Jahre 36 41 48 Bildung hoch bis 35 Jahre 59 53 46 über 51 Jahre 45 45 44 sig. ** * Es werden die Zustimmungen (nach den dichotomisierten Werten) angegeben. 4.4 Klassenlagen und Einstellungen Lassen sich klassenbezogene Einstellungen zum Reichtum erkennen? Argumentieren untere soziale Klassen eher nach strukturellen Überlegungen (Bedeutung von Erben, Kontakte) und obere soziale Klassen eher meritokratisch? Werden die Folgen von „zu großem Reichtum“ nicht nur bei unteren, sondern auch mittleren Klassen negativ beurteilt? Die Klassenlage spielt bei den Einzelitems, wie der Überblick in Tabelle 5 zeigt, nur bei drei der neun Aussagen eine signifikante Rolle: Der Aussage „reiche Menschen genießen im Leben Vorteile, die ungerechtfertigt sind“ stimmen eher die unqualifizierten bzw. die qualifizierten ArbeiterInnen zu und weniger die Selbstständigen. Die Meinung „reiche Menschen können durch Wohltätigkeit mehr tun als der Staat“ findet eher bei den kleinen Angestellten, den kleinen Selbstständigen und den qualifizierten ArbeiterInnen Unterstützung, am wenigsten bei der „unteren Dienstklasse“. Der Aussage „Reich wird man über eigene Leistung“ stimmen 54% der kleinen Angestellten, aber auch 56% der qualifizierten ArbeiterInnen zu; demgegenüber sind nur 43% der „unteren Dienstklasse“ dieser Meinung. 18 Tabelle 5: Verteilung der Einzelitems nach Klassenlagen (in Prozent) „Reich wird man über soziale Kontakte“ „Reich wird man übers Erben“ „Reich wird man mit guten Ideen“ „Reich wird man über Leistung“ „Jeder / Jede hat die Chance aus eigener Kraft reich zu werden“ „Zu großer Reichtum einiger weniger führt zu Problemen in der Gesellschaft“ „Reiche M enschen genießen im Leben Vorteile, die ungerechtfertigt sind“ „Niemand sollte bessere M öglichkeiten im Leben haben, nur weil er / sie viel geerbt hat“ „Reiche M enschen können durch Wohltätigkeit mehr für eine gerechte Gesellschaft tun als der Staat durch Umverteilung“ 1) Unqual. Qual. Einfache Selbstst. manuell manuell Angestellte/ ohne Arbeitende Arbeitende Beamte Besch. 48 49 53 50 Untere Dienstklasse 50 Obere Dienstklasse 51 M anager/ Unternehmer/ Landwirte Sig. 56 74 70 48 49 67 67 56 47 73 77 54 50 76 74 58 55 69 75 43 48 72 73 50 49 79 75 54 47 61 65 67 62 69 70 69 76 79 71 53 67 62 55 65 65 66 62 57 61 52 51 54 59 57 48 49 42 * ** * * = sig. p<,05, ** = sig. p<,01 (signifikante Unterschiede zwischen den Klassenlagen) 1) Es werden die Zustimmungen (nach den dichotomisierten Werten) angegeben. Insbesondere die signifikant höhere Zustimmung zur „Wohltätigkeit von reichen Personen“ bei den unteren sozialen Klassen gibt zu denken: Gerade diejenigen sozialen Gruppen, die vom Sozialstaat profitieren sollten, erachten diesen als weniger effektiv als die „Wohltätigkeit Einzelner“. Bei den anderen Items ergaben sich in der bivariaten Analyse zwar keine signifikanten Zusammenhänge, aber doch interessante Tendenzen: So betonen höhere Selbstständige die Rolle sozialer Kontakte (56%) und die Bedeutung des Erbes (79%) stärker als etwa ungelernte ArbeiterInnen (Bedeutung von Kontakten: 48%) bzw. gelernte ArbeiterInnen (Bedeutung des Erbes: 67%). Dies entspricht einem Befund von Michael Hartmann (2007), der argumentiert, dass sich ein Teil der „Eliten“ durchaus darüber bewusst ist, auf welchem Weg sie ihren sozialen Status erlangt haben. Dagegen betonen untere soziale Klassen Aspekte der sozialen (Un-)Gerechtigkeit stärker als obere soziale Klassen und bewerten die gesellschaftlichen Folgen eher negativ. So sind auch rund 65% der gelernten ArbeiterInnen und der einfachen Angestellten der Meinung, dass „Niemand bessere Möglichkeiten im Leben haben [sollte], nur weil er/sie viel geerbt hat“, während der Aussage nur 52% der höheren Selbständigen 19 zustimmen. Ein etwas anderes Bild ergibt sich jedoch bei der Aussage „Zu großer Reichtum einiger weniger führt zu Problemen in der Gesellschaft, der 61% der ungelernten ArbeiterInnen, aber auch 69% der höheren Selbstständigen zustimmen. Betrachtet man die drei Einstellungsskalen zum Reichtum nach den Klassenlagen, wird deutlich, dass tendenzielle, aber keine signifikanten Unterschiede (s. Abbildung 2 und 3) bestehen. Um Differenzen sichtbar zu machen, werden hier die oberen Drittel der Zustimmungen in den Einstellungsskalen gezeigt. Stärkere Unterschiede treten erst in den gehobenen Klassen hervor (jedoch sind die Unterschiede statistisch nicht signifikant). Abbildung 2: „Zu großer Reichtum ungerecht“ und „Reichtum durch Leistung“ nach Klassenlagen. Prozent „starke Zustimmung“ nach dem oberen Drittel des Skalenscores 1) 1) Skala „Reichtum ungerecht“: Range 3-30, oberes Drittel: >22 (n=1358); Skala „Reichtum durch Leistung“: Range 3-30, oberes Drittel: >19 (n=1405) 20 Abbildung 3: Zu großer Reichtum ungerecht“ und „Reich wird man durch Erben und Kontakte“ nach 1) Klassenlagen. Prozent „starke Zustimmung“ nach dem oberen Drittel des Skalenscores 1) Skala „Reichtum ungerecht“: Range 3-30, oberes Drittel: >22 (n=1358); Skala „Reichtum durch Erben und Kontake“: Range 2-20, oberes Drittel: >13 (n=1374) Insgesamt ergibt sich ein Bild ziemlich breiter Übereinstimmungen in der Gesellschaft, auch zwischen den Klassenlagen – ein Konsens, der aber auch zwiespältig ist: So wird der Legitimation von Reichtum durch individualistische Tugenden (Leistung, Ideen) ebenso breit ausdrücklich zugestimmt (ca. zwischen 35% und 39% aller Klassen) wie der Meinung, dass Erben und auch Kontakte dafür ausschlaggebend sind – wobei hier in der obersten Klasse die stärksten Zustimmungen geäußert werden (hierbei steigen die Zustimmungen kontinuierlich an); und trotz breiter Akzeptanz von „Reichtum durch Leistung“ sehen die Befragten unabhängig von den Klassenlagen auch Ungerechtigkeiten und Probleme durch „zu viel Reichtum“. Deutlichere Differenzen treten hingegen in den Gerechtigkeitsurteilen des „eigenen Anteils“ zutage; hier zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den Klassenlagen: In den drei unteren Klassen (angelernte und qualifizierte ArbeiterInnen sowie Routine-Angestellte) stufen rund 40% ihren Anteil als etwas und sehr „ungerecht“ ein, bei den Selbständigen ohne Beschäftigte sind es 27%, bei kleineren Beamten/Angestellten („lower service“) 21%, bei den 21 höheren („higher service“) 16% und bei den höheren Selbständigen/LandwirtInnen sind es wiederum 34% (s. Anhang, Tab A 4; wobei sich auch die UnternehmerInnen von den LandwirtInnen stark unterscheiden: erstere bewerten „nur“ zu 30% ihren Anteil als „ungerecht“, LandwirtInnen aber zu 40%). In den weiteren multivariaten Analysen soll nun diesen Fragen nach Konsens und Dissens, innerhalb und zwischen den Klassenlagen, genauer nachgegangen werden. 4.5 Ideologien des Reichtums – Strukturen im Vergleich sozialer Klassenlagen Im folgenden Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob und wie sich die Reichtumseinstellungen zwischen verschiedenen Klassenlagen unterscheiden – ob etwa in den höheren Klassen deutlichere ideologische Muster erkennbar sind als in den unteren, ob und wie sie sich von denen der unteren und mittleren Lagen unterscheiden. Welchen Einfluss haben die soziodemografischen Variablen und subjektive Einschätzungen der eigenen sozialen Lage bzw. des eigenen Vermögens auf die jeweiligen Einstellungsdimensionen?9 Es wird ein Kausalmodell der wichtigen Einflussvariablen auf die Reichtumseinstellungen entwickelt, dessen Struktur im Vergleich zwischen den sozialen Klassenlagen geprüft wird. Ob und welche Formen von „Klassenbewusstsein“ bestehen, kann aus den Strukturvergleichen ersichtlich werden. Anhand von Pfadmodellen (Strukturgleichungsmodellen10) wird dargestellt, in welcher Beziehung einzelne Einflussfaktoren zueinander stehen – wie stark z.B. reale Vermögenswerte und Faktoren wie Bildung und Alter nicht nur die Reichtumseinstellungen, sondern auch subjektive Einstufungen beeinflussen – und in welchen Relationen die beiden zentralen Subskalen „großer Reichtum ungerecht“ und „reich durch Leistung“ (bzw. im weiteren „reich durch Erben/Kontakte“) zueinander stehen. Es wird also ein möglichst 9 Während die Merkmale Alter, Geschlecht und Bildung im Datensatz individuelle Merkmale sind, sind die Vermögensangaben als Kontextmerkmale des Haushalts anzusehen. 10 Das Strukturgleichungsmodell ist ein Ansatz der Kausalanalyse, bei dem es im Prinzip darum geht, das postulierte hypothetische Beziehungssystem zwischen den Variablen zu testen. Es können Beziehungen zwischen latenten (nicht direkt beobachtbaren) und manifesten Variablen überprüft werden (Programm Amos [Version 22], estimation method: maximum likelihood). 22 umfassendes Modell entwickelt, in dem die kognitiven Strukturen im Zusammenwirken mit „objektiven“ Variablen sichtbar werden. Variablen der Kausalmodelle Die postulierten Beziehungen zwischen den Variablen sind in den Grafiken anhand der Pfeile zwischen den Variablen ersichtlich. Die Pfadstruktur wird im Gruppenvergleich auf ihre Aussagekraft geprüft, sodass Abweichungen bzw. Übereinstimmungen zwischen den Klassenlagen sichtbar werden. Das Modell umfasst folgende Einflussfaktoren: - Besitz und Vermögen: bestehend aus ‚Total real assets‘, ‚Value of household‘s main residence‘ und ‚Net wealth‘ (die entsprechend der konfirmatorischen Faktorenanalyse eine latente Variable bilden, d.h. die besten Erklärungswerte für die latente Variable „Vermögen“ aufweisen) - Alter, Geschlecht und Bildung - Gerechtigkeit und subjektive Vermögenseinschätzung: bestehend aus ‚erhalte (nicht) meinen gerechten Anteil‘ und ‚Einschätzung des eigenen Vermögens und Einkommens‘ auf 10-stufiger Skala. Da Gerechtigkeitswahrnehmung und Selbsteinstufungen von Vermögen/Einkommen keine gemeinsame latente Variable bilden, werden sie in jeweils getrennten Modellen geprüft. - Abhängige Variablen: die Subskalen bzw. ihre Beziehungen zueinander (a) „großer Reichtum ungerecht“ und „reich durch Leistung“ sowie (b) „großer Reichtum ungerecht“ und „reich durch Erben/Kontakte“. Es werden sowohl die Effekte der oben genannten Variablen auf diese Einstellungen ausgewiesen, zudem aber auch noch der Einfluss der Einstellung „reich durch Leistung“ (bzw. im Modell „reich durch Erben/Kontakte“) auf die Gerechtigkeitswahrnehmung („Reichtum ungerecht“). Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Begründung des Reichtums durch Leistung bzw. durch Erben/Kontakte die Einstellung zu den gesellschaftlichen Folgen des Reichtums maßgeblich beeinflusst.11 11 Diese beiden Einstellungen sind „latente“ Variablen (auf Basis der konfirmatorischen Faktorenanalyse; in Strukturgleichungsmodellen werden die entsprechenden Variablen bzw. Items eingegeben). Eine weitere Modellierung mit den Skalen „Reichtum durch Leistung“ und „Reichtum durch Erben/Kontakte“ wurde nicht mehr berechnet. Dies begründet sich darin, dass die Einstellungsvariable über Erben/Kontakte nichts dazu aussagt, ob man diese Prinzipien auch unterstützt oder nur als Gegebenheiten beurteilt, d.h. eine eher faktische Wahrnehmung würde einer normativen gegenüberstehen – dies wäre nicht interpretierbar. 23 Da die Bestimmung der Klassenlagen auf der Basis der ISCO-Berufsklassifikation (bzw. des sozioökonomischen Index ISEI) beruht, die im Datensatz nur für berufstätige Personen erfasst wurde, ist das sample nun eingeschränkt. Da sich auch die Vermögensangaben auf den gesamten Haushalt beziehen, wurde folgender Weg für die Bestimmung der Klassenlage der (zum Reichtum befragten) „Referenzperson“ gewählt: das Haushaltsmitglied mit der höchsten Einstufung (des ISEI bzw. der Transformation in die EGP) wurde herangezogen und dessen Klassenlage als Kontextmerkmal der Referenzperson zugeordnet (es kann auch die Referenzperson selbst die höchste Klassenlage haben). Das EGP-Klassenschema ging in unseren vorangegangenen Analysen von sieben Klassenlagen aus (Hofmann/Weiss 2014). Da die Basiszahlen der Vergleichsgruppen nicht zu gering sein dürfen (und auch missing values zu berücksichtigen waren), wurden diese im Folgenden in drei größere Gruppierungen – untere, mittlere und obere Klassen – zusammengefasst. Dies entspricht den Ergebnissen zu den realen Vermögensverhältnissen, die entlang dieser Gruppierung zwischen den Klassenlagen festgestellt wurden. Die untere Gruppe umfasst: „un- und angelernte ArbeiterInnen“, „qualifizierte ArbeiterInnen“ und nicht manuelle „Routine-DienstleisterInnen“ (n=584); die mittlere Gruppe „Selbständige ohne Beschäftigte“, „niedrige“ und „höhere“ Angestellte/BeamtInnen (n=560); die höhere Gruppe „Selbständige und LandwirtInnen mit Beschäftigten“ (n=89). (a) Strukturgleichungsmodelle: „zu viel Reichtum ist ungerecht“ und „reich wird man durch Leistung“(mit der Variable „gerechter Anteil“) Die folgenden Strukturmodelle (siehe Abbildungen Modell 1a, 1b und 1c) sind in Relation zueinander zu verstehen; die Gütekriterien sind als gut einzuschätzen12. 12 Chi-square=426, 625, df =162, CFI =0,944; RMSEA=,036, PCLOSE=1,000, n = 1233. Im ovalen Rahmen sind die latenten Variablen (Konstrukte) angeführt, im rechteckigen Rahmen die direkten Messvariablen. 24 Modell 1a: Unqualifizierte und qualifizierte ArbeiterInnen und Routineangestellte (EGP 1-3) Lesebeispiel: Die nicht fett gesetzten Werte bezeichnen die Einflüsse auf die Variable, die fett gesetzten Werte das Ausmaß der erklärten Varianz, zum Beispiel: Das vorhandene Vermögen beeinflusst die Einschätzung des gerechten Anteils nur mäßig (,12), und auch die demographischen Variablen haben hierauf kaum Einfluss (alle zusammen erklären die Gerechtigkeitswahrnehmung nur zu 3%); die Gerechtigkeitswahrnehmung wirkt sich aber sehr stark (-,33) auf die Einstellung „großer Reichtum ungerecht“ aus. Alle Einflüsse zusammen (inkl. der Einstellung „Reich durch Leistung) erklären 14% der Einstellung „zu großer Reichtum ist ungerecht“. Die Einstellung „reich durch Leistung“ wird insgesamt nur zu 7% erklärt. Im ovalen Rahmen sind latente Variablen (Konstrukte) angeführt, im rechteckigen Rahmen direkte Messvariablen. In den unteren drei Klassen (Modell 1a) wirkt sich dieser/s vorhandene Besitz/Vermögen eher schwach auf das Gerechtigkeitsgefühl („ich bekomme meinen gerechten Anteil“) aus (r=,12) und gar nicht auf die Leistungsrechtfertigung von Reichtum; auch die Einstellung „zu großer Reichtum ist ungerecht“ wird kaum von der realen Vermögenslage (r=,08) beeinflusst. Die subjektive Gerechtigkeit, die auch von Bildung und Alter nur schwach beeinflusst ist, wirkt 25 sich jedoch sehr deutlich auf die Einstellungen zum Reichtum aus: eine als „gerecht“ eingestufte soziale Lage beeinflusst einerseits die Leistungslegitimation positiv (r=,21), andererseits wirkt sie negativ auf „zu viel Reichtum ist ungerecht“ (r=-,33), d.h. jemand, der/die seine/ihre Lage als ungerecht bewertet, hält auch die gesellschaftlichen Folgen von Reichtum für ungerecht. Die erklärte Varianz dieser Subskala beträgt 14%, die der Leistungsrechtfertigung 7%. Zwischen den Skalen besteht nur eine schwache, negative Relation. Modell 1b (Selbständige ohne Beschäftigte, niedrigere und höhere Dienstklasse, EGP 4-6). Im Modell 1b der mittleren Klassenlagen zeigen sich bereits Verschiebungen: die Einstellung „reich durch Leistung“ wird stärker durch das Alter bestimmt: je jünger, desto stärker wird die Leistungslegitimation akzeptiert (r=-,19) – dieses Muster zeigte sich bereits in den bivariaten Analysen; auch die Selbstwahrnehmung der eigenen Lage als „ungerecht“ wird durch das Alter beeinflusst (r=-,12). Höheres Vermögen wirkt sich positiv auf die subjektive Gerechtigkeitswahrnehmung aus (r=,18); eine „gerechte“ Bewertung wirkt sich in weiterer Folge negativ auf die Einstellung, die Folgen von zu großem Reichtum seien problematisch, 26 aus (r=-,18), positiv hingegen auf die Legitimation von Reichtum durch Leistung (r=,16). Diese wird nun zu 8% der Varianz erklärt, die Subskala „zu viel Reichtum ungerecht“ zu 17%, wobei die Beziehungen zwischen den beiden Skalen negativ ist (r=-,28), d.h. die beiden Dimensionen treten hier stärker auseinander. Die Einstellung wird somit akzentuierter, im Vergleich zu den unteren Klassen wird Leistung nun stärker forciert und tritt als Gegenposition zu Reichtumskritik hervor. Die objektiven Vermögen haben eher nur geringe Erklärungskraft, negativ (r=-,08) auf „zu viel Reichtum ungerecht“ und positiv (r=,09) auf Leistungsrechtfertigung. Das Bild verändert sich in den obersten Klassenlagen (Modell 1c) nun stark: Die Subskala Rechtfertigung des Reichtums durch Leistung wird nun zu 38% erklärt; wesentlich stärkere Effekte haben nun auch die Variablen Alter (r=-,27) und Bildung (r=-,31), d.h. jüngere und formal geringer Gebildete unterstützen diese affirmative Haltung in den obersten Klassenlagen stärker – was aber auch bedeutet, dass in dieser wohlhabenden Sozialschicht die höher gebildeten eine kritische Haltung zur Leistungslegitimation einnehmen. Die subjektive Gerechtigkeitseinstufung wird nun auch stark vom realen Vermögen bestimmt (r=,25), aber auch das Geschlecht wirkt sich auf die Wahrnehmung aus (r=-,13; Männer stufen ihre Lage stärker als „ungerecht“ ein). Die Gerechtigkeitseinstufung hat auch hier einen sehr starken Effekt auf die beiden Subskalen: „gerechte“ Selbsteinstufung wirkt sich stark positiv auf die Leistungsrechtfertigung von Reichtum aus (r=,44) und stark negativ auf die Einstellung, zu viel Reichtum und seine Folgen seien ungerecht (r=-,26). Diese Einstellung wird durch das Modell zu 19% erklärt, wobei sich die Rechtfertigung durch Leistung auch stark negativ auswirkt (r=-,23). Damit zeigen die oberen Lagen ein klares Bewusstsein ihrer Position, die sie durch Leistung rechtfertigen. 27 Modell 1c (Selbständige mit Beschäftigte, inkl. Landwirte, EGP = 7). Fasst man die Ergebnisse zusammen, so treten in diesen Strukturmodellen deutliche Differenzen zwischen den (hier in größere Gruppen zusammengefassten) Klassenpositionen, von unten zur Mitte nach oben, zutage: Während in den unteren Schichten die Einstellung zu Reichtum inhomogen ist, wird sie mit steigender Schicht deutlich homogener, also „geschlossener“. So wird oben der Glaube an „Reichtum durch Leistung“ auch konsequenterweise eher als Gegensatz zur Meinung, Reichtum könnte negative gesellschaftliche Folgen haben, bewertet; und die Leistungsrechtfertigung wird durch die im Modell erfassten Einflussvariablen sehr gut erklärt. Finden also in den unteren drei Gruppen beide Positionen – „zu viel Reichtum sei ungerecht“ und „reich wird man durch Leistung“ mehr oder weniger Unterstützung, so sind diese Positionen in den beiden höheren Gruppen sehr deutlich als widersprüchliche Urteile erkennbar. Entsprechend tritt die latente Einflussstruktur in der obersten Klassenlage am klarsten zutage: hier bestimmt das Vermögen am stärksten die subjektive Gerechtigkeitseinstufung, diese wiederum sehr stark die Befürwortung von „reich durch Leistung“. Die mittleren Klassenlagen nehmen hier eine Zwischenposition ein. Bei allen drei 28 Lagen fällt auf, dass jüngere stärker an das Leistungsnarrativ glauben, besonders in den oberen Klassenlagen. In sämtlichen Modellen übte die Beurteilung zum „gerechten/ungerechten“ eigenen Anteil von allen geprüften Einflussvariablen den stärksten Effekt auf die Einstellung „zu großen Reichtums“ aus, während der Effekt auf die Leistungslegitimation deutlicher zwischen den jeweiligen Klassenlagen variierte. (b) Strukturgleichungsmodelle mit Selbsteinstufung auf der sozialen Skala des Vermögens und des Einkommens Eine weitere Variante der Modellanalysen befasst sich mit den Selbsteinstufungen der Befragten über ihr Vermögen und ihr Einkommen (die Messung beruht auf der 10-stufigen Skala vom „untersten“ zum „obersten“ Vermögens- bzw. Einkommensdezil; sie bilden zusammen eine latente Variable im Strukturgleichungsmodell). In diesem wird nun der Effekt des realen Vermögens sowie der Variablen Bildung und Geschlecht 13 auf die Selbstbeurteilung geprüft, und weiter der Einfluss dieser Selbsteinstufung auf die Einstellung zu Reichtum. In diesen Modellen14 (2a-c) zeigen sich einerseits wieder ähnliche Unterschiede im Gruppenvergleich, andererseits aber auch Abweichungen gegenüber den zuvor dargestellten Modellen (mit der Variable „gerechter Anteil“). In allen Klassenlagen hat das vorhandene Vermögen einen sehr deutlichen Effekt auf die Selbstverortung. In den unteren Klassenlagen (un- und qualifizierten ArbeiterInnen sowie Routine-Angestellten, siehe Modell 2a) steigt mit dem höherem realen Vermögen auch die höhere Einstufung (r=,23)15. Weiteres bewirkt ein geringerer Vermögensstand auch eine etwas leistungskritischere Position (r=-,09); hingegen hat aber eine höhere Selbstverortung eine affirmative Haltung zu „reich durch Leistung“ zur Folge (r=,30). Ist also die subjektive Einschätzung auf der Vermögens- und Einstellungsskala höher, so findet sich eher eine positive Meinung zu Aspekten der Leistungsgerechtigkeit. Formal höhere Bildung bewirkt eine höhere Selbsteinstufung (r=,14; weitere Effekte von 13 Auf die Variable Alter wurde in diesen Modellen auf der Basis vorangegangener Prüfungen verzichtet. Chi-square =388,193, df=174, CFI=0,961; RMSEA=,032, PCLOSE=1,000; n=1233 15 Dazu ist allerdings anzumerken, dass der Pfadkoeffizient (der die Stärke des Effekts misst) über detaillierte Hintergründe, wie Unter- oder Überschätzung der eigenen Situation, keine Information gibt. Solche Effekte werden hier also nicht erfasst. 14 29 Bildung und Geschlecht sind eher schwach). Eine kritische Haltung zu Reichtum („zu viel Reichtum und seine Folgen sind ungerecht“) wird dagegen durch eine niedrigere Selbsteinstufung auf der Vermögens- und Einstellungsskala beeinflusst, der Koeffizient (r=,12) ist aber eher schwach. Das Modell erklärt die Einstellung zu Reichtum mit 9% Varianzerklärung besser als die Einstellung, Reichtum führe zu gesellschaftlichen Problemen (4% Varianzerklärung). Modell 2a (EGP 1-3) In den mittleren Klassenlagen (s. Modell 2b) hat das reale Vermögen bereits einen stärkeren Effekt auf die Selbsteinstufung (r=,36) als bei den niedrigeren Klassenlagen, doch haben hier auch das Geschlecht (r=-,13; Frauen stufen sich niedriger ein) und Bildung (r=,15) einen deutlicheren Effekt. Die höhere Selbsteinstufung auf der sozialen Skala hat eine positive Haltung zur Leistungslegitimation zur Folge (r=,32), jedoch keine Auswirkung auf die Einstellung, ob zu großer Reichtum und seine Folgen ungerecht seien. Während im Fall der unteren drei Klassenlagen die Leistungsrechtfertigung sich eher schwach auf die Ungerechtigkeitswahrnehmung auswirkt (r=-,10), ist der Effekt hier viel stärker (r=-,28), d.h. 30 die beiden Bewertungen von Reichtum treten hier wieder viel deutlicher in Gegensatz zueinander. Modell 2b (EGP 4-6) Ein anderes Bild zeigt sich wieder in der höchsten Klasse (UnternehmerInnen, LandwirtInnen mit Beschäftigten, s. Modell 2c): auch hier hat das reale Vermögen eine entsprechende Selbsteinstufung zur Folge (r=,39); Geschlecht (r=,11; Männer) und formal höhere Bildung (r=,20) führen zu einer höheren Selbsteinstufung auf der Skala, doch hat die höhere Einstufung nun auch eine wesentlich stärkere Auswirkung auf die meritokratische Rechtfertigung von Reichtum (r=,67). und eine starke negative Wirkung auf Kritik an Reichtum (r=-,38). Interessant ist aber, dass sich Bildung in dieser Klassenlage – wie schon zuvor festgestellt wurde – deutlich negativ (r=-,34) auf die Leistungsrechtfertigung auswirkt, d.h. formal niedrigere Bildung forciert die Leistungsrechtfertigung. Diese wird durch die Variablen des Modells insgesamt zu 41% der Varianz, also sehr gut erklärt, die kritische Haltung zu Reichtum wird zu 17% erklärt. Zwischen diesen beiden Facetten der Reichtumseinstellung besteht eine negative, aber nicht weiter nennenswerte Relation. 31 Modell 2c (EGP = 7) In der obersten Klasse besteht also ein ausgeprägter Konsens über Entstehung und Folgen des Reichtums. Dennoch wirft das Modell eine interessante Frage zum Effekt von Bildung auf: mit formal höherer Bildung kommt es in diesen Klassenlagen zu einer durchaus starken Bekräftigung reichtumskritischer Positionen: Leistung wird als Ursache von Reichtum kritischer beurteilt (r=-,34) und dass zu viel Reichtum ungerecht sei auch deutlich unterstützt (r=,22). Damit vermittelt das Bild eine gewisse Ambivalenz: einerseits ist Vermögen und dessen Wahrnehmung besonders stark mit Leistungsrechtfertigung verbunden, andererseits tritt in diesen Lagen auch ein durch Bildung hervorgerufenes kritisches Bewusstsein zutage. Im Vergleich zu den oben dargestellten Ergebnissen mit der Variable der Gerechtigkeitseinstufung des „eigenen Anteils“ zeigen die Modelle mit den subjektiven Selbsteinstufungen auf der sozialen Skala des Vermögens und Einkommens keine großen Unterschiede, doch treten die Effekte der Einflussfaktoren bei letzteren stärker hervor (womit 32 sie die Effekte der klassenspezifischen Vermögen und ihrer Variationen deutlicher wider geben). (c) Strukturgleichungsmodelle: „zu viel Reichtum ist ungerecht“ und „reich wird man durch Erben und Kontakte“ (mit der Variable „gerechter Anteil“) Das Strukturmodell16, in dem die Einstellung „Reich durch Leistung“ durch „Reich durch Erben und Kontakte“ ersetzt wird, zeigt bei den unteren drei Klassenlagen (Modell 3a) eine sehr mäßige Erklärung: „reich durch Erben und Kontakte“ wird nur zu 6% erklärt. Höhere Bildung bestärkt die Ansicht, durch Erben/Kontakte reich zu werden (r=,19), ebenso die Einschätzung, einen „gerechten Anteil“ am Wohlstand zu haben, und wirkt sich schließlich auf die reichtumskritische Haltung negativ aus (r=-,11). Männer sehen geringere Möglichkeiten, durch Erbe/Kontakte reich zu werden; sie beurteilen ihren „gerechten Anteil“ auch eher negativ als Frauen. Insgesamt zeigen sich kaum bemerkenswerte Unterschiede zum oben diskutierten Modell (1a); lediglich die Beziehung zwischen diesen beiden Subskalen ist stärker, die Meinung „reich durch Erben/Kontakte“ verstärkt die Meinung „zu großer Reichtum ist ungerecht“ (r=,16). 16 Gütekriterien der Modelle: Chi-square =412,020, df=132, CFI=,934; RMSEA=,042, PCLOSE=,999. N=1233. 33 Modell 3a (EGP 1-3). Bei den mittleren Klassenlagen (Modell 3b) werden ähnliche Varianzerklärungen erzielt (8% „reich durch Erben/Kontakte, 20% „großer Reichtum ungerecht“), doch ist hier die Beziehung zwischen diesen beiden Dimensionen nun wesentlich stärker (r=,33), d.h. die Meinung „reich wird man durch Erben/Kontakte“ bestärkt die Ansicht über negative Folgen großen Reichtums. Auch hier lehnen Männer die Meinung „reich durchs Erben//Kontakte“ stärker ab als Frauen (r=-,18) und sehen weniger negative Folgen von Reichtum (r=-,13). In den mittleren Klassen wirkt sich nun auch das Vermögen aus; bei höherem Vermögen wird die Meinung „reich durch Erben/Kontakte“ deutlich abgelehnt (r=-,19). Dies ist wohl durch den stärkeren Glauben an „Reichtum durch Leistung“ begründet, der mit steigendem Vermögen einhergeht (wie das vorgehende Modell 1b zeigte). 34 Modell 3b Ein sehr deutlich konturiertes Bild zeigt das Einflussmodell der oberen Klassenlagen: die Einstellung zu „reich durch Erben/Kontakte“ wird nun zu 31% erklärt, die sich hier aber (im Vergleich zu den darunter liegenden Klassenlagen) nur schwach auf die Einstellung „großer Reichtum ist ungerecht“ auswirkt (r=,09). Einen starken Effekt zeigt hier das reale Vermögen: die Einstellung „reich wird man durch Erben/Kontakte“ wird mit steigendem Vermögen jedoch stark abgelehnt (r=-,29). Daneben wirken sich auch das Alter aus (r=-24) und das Geschlecht (r=-,19) aus. Eine wesentliche Rolle spielt zudem die Einschätzung des „gerechten Anteils“; sie wirkt sich positiv auf die Einstellung „reich durch Erben/Kontakte“ aus (r=,36) und negativ auf die Meinung, zu viel Reichtum sei ungerecht (r=-,39). Wurde bei der Einschätzung „gerechter“ Anteil in den unteren Klassen die Meinung „reich durch Erben/Kontakte“ verneint und zeigte sich in der Mitte keine Korrelation, verbindet sich hier also eine positive Einstellung – die vielleicht einfach als „realistisch“ angesehen werden kann. 35 Modell 3c (EGP 7) Zusammenfassend bestätigt sich auch in diesen Modellen die wesentlich profiliertere Haltung der oberen Klassenlagen. Es zeigen sich nun aber bemerkenswerte Unterschiede zu den Modellen, die „reich durch Leistung“ im Mittelpunkt hatten: Während dort das Bildungsniveau eine starke reichtumskritische Rolle spielte, zeigen sich hier kaum nennenswerte Effekte. Das reale Vermögen spielte zwar keine nennenswerte Rolle für die Einstellung zum Leistungsnarrativ, doch nimmt die Meinung „reich durch Erben/Kontakte“ mit dem Vermögen nun stark ab. Im Vergleich zu den unteren Klassen tritt eine sehr „geschlossene“, den Reichtum absichernde Ideologie zutage. Besonders in den drei unteren Klassenlagen sind die Einstellungen zum Reichtum sehr inhomogen. Die Meinung „reich wird man durch Erben/Kontakte“ bestärkt in den unteren und mittleren Klassenlagen eine reichtumskritische 36 Haltung („zu viel Reichtum ungerecht“), während die Rechtfertigung von Reichtum durch Leistung mit steigender Klassenlage stärkere Legitimation erfährt. 5 Zusammenfassung und Diskussion Die empirischen Analysen hinterlassen ein recht ambivalentes Bild: In den deskriptiven Analysen hat sich gezeigt, dass insbesondere die gesellschaftlichen Folgen sozialer Ungleichheit und „zu großen Reichtums“ in Österreich kritisiert werden: Den Aussagen „Zu großer Reichtum einiger weniger führt zu Problemen in der Gesellschaft“ bzw. „Reiche Menschen genießen im Leben Vorteile, die ungerechtfertigt sind“ wird zu über 60% zugestimmt. Die Entstehungsbedingungen von Reichtum werden aber interessanterweise mehrheitlich durch individuelle Fähigkeiten begründet (d.h. „meritokratisch“ legitimiert). Daneben werden im selben Maße auch strukturelle Privilegien in Form von Erben und Netzwerken, also „zugeschriebene“ (herrschafts- und klassenbezogene) Chancen als Erklärung herangezogen (eine Bewertung dessen ist hierbei aber nicht enthalten). Das Phänomen der zahlreichen Widersprüche in den Einstellungen der Menschen wird in der Sozialpsychologie mit dem Terminus „split consciousness“ bezeichnet. Aus der Forschung über Einstellungen zu sozialstaatlichen respektive individualistischen Einstellungen („Staat versus Markt“) ist das Paradox bekannt, dass auch oder gerade Personen in oberen gesellschaftlichen Positionen egalitäre Prinzipien (Umverteilung, Reduzierung sozialer Gegensätze) befürworten; oder dass Personen, die strikte Leistungsnormen vertreten, zugleich egalitär eingestellt sind („split consciousness-Theorie“, vgl. Kluegel/Smith 1986, die dies für die USA aufgezeigt haben; Wegener, /Liebig 1995). Die Einstellungen zur staatlichen Eingrenzung großer Ungleichheiten und zu individueller Leistung bilden somit keine „geschlossenen“ Ideologien. Ambivalenzen und Widersprüche in den Einstellungen zu sozialer Ungleichheit sind besonders typisch für konservative Sozialstaaten, zu denen u.a. auch Österreich zählt (Weiss/Strodl 2008): In diesen spielt die Arbeitsmarktbeteiligung des/der Einzelnen (vor allem durch die Koppelung der Sozialleistungen an den Arbeitsmarktstatus) eine zentrale Rolle. Daher findet auch die individuelle Leistung eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung. Gleichzeitig sind soziale Ungleichheitslagen in konservativen Sozialstaaten jedoch mehr oder 37 weniger stabil: Das heißt, soziale Mobilität ist schwer(er) möglich und der Sozialstaat agiert statussichernd. Dementsprechend wird die Bedeutung der Familie bzw. der sozialen Ausgangsbedingungen in der Bevölkerung neben der Leistung des/der Einzelnen als durchaus wichtig erachtet. Auch wird es in diesem Sozialstaatstyp als Aufgabe des Staates erachtet, (zu) große soziale Ungleichheiten auszugleichen (Weiss 2013). Soziale Ungleichheit wird demnach zwar als Merkmal des Marktsystems akzeptiert, allerdings nur unter der Bedingung, dass die gesellschaftliche Integration nicht gefährdet wird bzw. jede/jeder vom Sozialsystem in einigermaßen ähnlicher Art und Weise profitieren kann. In den Einstellungen der Bevölkerung gegenüber der Entstehung von Reichtum und sozialer Ungleichheit werden also – wie es typisch ist für „konservative“ Sozialstaaten (gemäß Esping-Andersens Typologie) – gleichzeitig gesellschaftliche Wunschvorstellungen wie reale Erfahrungen verarbeitet. Insbesondere die in Tabelle 1 und 2 dargestellte geringe Abgrenzung der verschiedenen ideologischen Dimensionen ist erstaunlich: Den zur Diskussion gestellten Aspekten – negative gesellschaftlichen Folgen zu großen Reichtums einerseits und der Rechtfertigung des Reichtums durch individuelle Tugenden, wie Leistung und Kreativität andererseits – wird mehr oder weniger gleichermaßen zugestimmt. Der Glaube an das Leistungsprinzip als Entstehungsbedingung von Reichtum erscheint den Befragten kaum als Widerspruch zur sozialen Problematik „zu großen“ Reichtums in einer Gesellschaft. Angesichts zunehmender gesellschaftlicher Spaltungen und Verteilungskonflikte wären heute stärkere Unterschiede zwischen den sozialen Schichten zu erwarten. Zu denken gibt der positive Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu einer unteren sozialen Klassenlage und der Zustimmung zu der Aussage „Reiche Menschen können durch Wohltätigkeit mehr für eine gerechte Gesellschaft tun als der Staat durch Umverteilung“. Dies könnte ein Ergebnis des seit einigen Jahren bemerkbaren Trends hin zur Förderung von privaten Spenden (insbesondere im NGO-Bereich) anstelle des Ausbaus von staatlichen Unterstützungsleistungen sein (Neumayr et al. 2013). Da dieses Item jedoch das einzige ist, das „Sozialstaatsfeindlichkeit“ misst, sollte das Ergebnis hier nicht überinterpretiert werden. Es wäre jedoch wünschenswert aktuellere Daten zu den Einstellungen der ÖsterreicherInnen zum Sozialstaat zu erheben (letzte Daten von 2008, Weiss/Strodl 2008). 38 Die hier untersuchten Einstellungsdimensionen differenzierten gemäß den ausführlichen bivariaten Analysen nur in geringem Maße nach sozialen Merkmalen bzw. nach Klassenlagen. Nur die jüngeren (und hier vor allem die formal geringer Gebildeten) hängen dem Leistungsnarrativ stärker an als die Älteren, welche bei ihren Einstellungen wohl auf ihre Lebenserfahrungen zurückgreifen können. Die Kritik an den gesellschaftlichen Folgen großen Reichtums ist tendenziell häufiger in unteren Klassenlagen zu finden (signifikant sind die Differenzen jedoch nicht). Ob dies nun tatsächlich einen klassenübergreifenden Konsens im „kapitalistischen Wohlfahrtsstaat“ bedeutet, wurde versucht, in weiteren detaillierten Analysen herauszufinden. Hierzu wurden Strukturgleichungsmodelle gerechnet, in denen die zentralen Dimensionen der Reichtumseinstellung – negative Folgen des Reichtums, Rechtfertigung durch Leistung bzw. in weiterer Folge Erben und Kontakte – in einem gemeinsamen Kausalmodell zusammengefasst wurden; es wurde geprüft, welche Effekte nun die – zwischen den Klassen sowie auch innerhalb der Klassen variierenden – Vermögenslagen und subjektiven Einschätzungen, aber auch zentrale soziodemografische Faktoren, haben. Diese klassenvergleichenden Analysen zeigten deutlich, in welchem Maße intern homogene oder heterogene ideologische Standpunkte vertreten werden, wie „geschlossen“ sozusagen ein Klassenbewusstsein ist, und legte zugrundeliegende Dynamiken offen. Die Überzeugungen, Reichtum gerechterweise durch Leistung erworben zu haben, treten in den mittleren Klassen bereits stärker hervor als in den unteren, besonders ausgeprägt aber in den obersten Klassenlagen. Hingegen ist in den unteren Klassenlagen die Bewertung von Reichtum sowohl im Hinblick auf problematische Folgen als auch hinsichtlich seiner Begründung durch Leistung inhomogen. D.h. es gibt kein klares Gesellschaftsbild, in dem – spiegelbildlich zur Leistungsdominanz der oberen Klassen – die Kritik an den gesellschaftlichen Folgen des Reichtums den Schwerpunkt bildet. Wie frühere Studien auch bereits gezeigt haben, wissen die oberen Klassenlagen damit genauer um ihre („objektiven“) Interessenslagen Bescheid als die unteren (Weiss/Strodl 2008, Weiss 2011). Je weiter oben eine Person auf der sozialen Leiter steht, umso „ideologisch konsistenter“ wird auch ihr Gesellschaftsbild. In den unteren Klassenlagen zeichnet sich eher ein diffuses Bild hinsichtlich der Einstellungen zu Reichtum und sozialer Ungleichheit ab. 39 Trotz der eindeutigen ideologischen Positionierung trat in den oberen Klassenlagen auch eine durch höhere Bildung hervorgerufene Ambivalenz zutage. So sind in den oberen Klassenlagen die formal höher Gebildeten teils „kritischer“ gegenüber dem Leistungsnarrativ eingestellt als die schlechter Gebildeten ihrer Klasse, aber auch als vergleichsweise gut gebildete in den mittleren und unteren Klassenlagen. Hier findet sich wohl das „intellektuelle BürgerInnentum“ wider, das sich gegen ein zu großes Ausmaß sozialer Ungleichheit im Land ausspricht und meritokratischen Legitimitätsprinzipien kritisch gegenüber steht. Demgegenüber wirkt sich das Bildungsniveau in den unteren Klassenlagen kaum auf die Einstellungen aus, was ein erstaunlicher Befund ist. Eine mögliche Interpretation ist, dass Bildung hier stärkere „instrumentelle“ Funktion hat, d.h. stärker auf den beruflichen Aufstieg oder Selbstbehauptung gerichtet ist. Während in den materiell besser gesicherten Verhältnissen Bildung auch mit dem Wissen um mehr Gestaltungsraum des eigenen Lebens verknüpft ist (Becker/Lauterbach 2011). In den Analysen stellten sich zudem die subjektive Bewertungen der eigenen Lage (Wahrnehmungen als „gerecht“, Selbstverortung des Einkommens/Vermögens) als eine zentrale Variable zur Erklärung der Reichtumseinstellungen heraus (d.h. sie hat den stärkeren Effekt als die „objektive“ Vermögenslage). Dass die subjektive Wahrnehmung, etwa der materiellen Lebenslage, mehr erklärt, fußt auf der (in der Psychologie als „kognitive Wende“ bezeichneten) Beobachtung, dass die „objektive“ Lebenssituation erst durch ihre Bedeutung im Lebenskontext relevant wird. Das bedeutet, dass Menschen ähnlicher Ausgangssituationen davon durchaus unterschiedliche Wahrnehmungen haben können und Aspekte der Realität daher unterschiedlich bewerten. In der Sozialforschung wird hierzu vor allem auf den „relativen“ Erfahrungskontext hingewiesen, d.h. Menschen können sich mit unterschiedlichen Bezugspersonen oder -gruppen vergleichen, erst aus dieser Referenz entstehen Bewertungen über die eigene Lage (Olson et al. 1986. Runciman 1966). In der vorliegenden Forschung ist dieser Hintergrund eher nur angerissen, da Informationen über konkrete Vergleichsprozesse leider nicht vorliegen. Welche politischen Schlüsse können aus den empirischen Analysen nun gezogen werden? Die „Entideologisierung“ in den unteren sozialen Klassen, sowie die geringe Bedeutung des formalen Bildungsniveaus müssten zu denken geben. Mit gezielten Aufklärungskampagnen (ganz im Sinne der Volks- bzw. ArbeiterInnenbildung Anfang des 20. Jahrhunderts) sollte vermehrt versucht werden, ein umfassendes gesellschaftliches Wissen über die Bedingungen 40 und Folgen sozialer und ökonomischer Entwicklungen an sie heranzutragen. Hierbei lässt sich an dem vorhandenen Ungerechtigkeitsempfinden, insbesondere hinsichtlich der gesellschaftlichen Folgen „zu großen Reichtums“ anschließen. Es gilt, die in den unteren sozialen Lagen erlebten Widersprüche (Leistungsnarrativ versus zunehmende Prekarität) zu erklären und den Blickpunkt auf kollektive Strategien zu richten. 41 6 Literaturverzeichnis Albacete, Nicolaus/Lindner, Peter/Wagner, Karin/Zottel, Siegfried (2012): Household Finance and Consumption Survey des Eurosystems 2010. Methodische Grundlagen für Österreich. 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Varianz 0,775 0,764 0,618 22% 21% 0,762 0,777 14% Tabelle A 2: Korrelationen auf Basis der konfirmatorischen Faktorenanalyse (n = 1235) 1 Zu viel Reichtum ungerecht 2 Reich durch Leistung 3 Reich durch Erben und Kontakte 1 Zu viel Reichtum ungerecht -0,21 0,21 alle p < 0,01 46 2 Reich durch Leistung 0,17 3 Reich durch Erben und Kontakte - Tabelle A 3: Typologie nach den Dimensionen „zu viel Reichtum ungerecht“ und „Reich durch Erben/Kontakte“ (n = 1235) 1) Tabelle A 4: „ungerechter Anteil am Wohlstand“ nach Klassenlagen (in Prozent; n = 1235) 1) „Erhalte etwas weniger“ und „erhalte viel weniger“ als meinen gerechten Anteil. 47 Zu den Autoren: Hilde Weiss, Institut für Soziologie, Universität Wien, Rooseveltplatz 2, 1090 Wien, email: [email protected] Julia Hofmann, Institut für Soziologie, JKU Linz, Altenbergerstraße 69, 4040 Linz, email: [email protected] 48 „Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft" Die Working Paper-Reihe der AK Wien sind unregelmäßig erscheinende Hefte, in denen aktuelle Fragen der Wirtschaftspolitik behandelt werden. Sie sollen in erster Linie Informationsmaterial und Diskussionsgrundlage für an diesen Fragen Interessierte darstellen. Ab Heft 80 sind die Beiträge auch als pdf-Datei zum Herunterladen im Internet http://wien.arbeiterkammer.at/service/studien/MaterialienzuWirtschaftundGesellschaft/index.html Heft 127 Heft 128 Heft 129 Heft 130 Heft 131 Heft 132 Heft 133 Heft 134 Heft 135 Heft 136 Heft 137 Heft 138 Heft 139 Heft 140 Heft 141 Heft 142 Heft 143 Heft 144 Heft 145 Heft 146 Heft 147 Heft 148 Heft 149 Heft 150 Heft 151 Heft 152 Heft 153 Die Freizeitoption in Kollektivverträgen, April 2014 Indikatoren bedarfsorientierter Mittelverteilung im österreichischen Pflichtschulwesen, Mai 2014 Vermögensunterschiede nach Geschlecht, Mai 2014 Budgetanalyse 2014-2018, Mai 2014 Zugangsbeschränkungen und Chancen(un)gleichheit im österreichischen Hochschulsystem, Juli 2014 Die Berufslandschaft im Strukturwandel einer urbanen Ökonomie: Wien 2001-12, August 2014 Die Sachgüterproduktion Österreichs: Entwicklung und gesamtwirtschaftliche Bedeutung im internationalen Vergleich, Oktober 2014 Chancengleichheit in Österreich - Bildungs- und Einkommenskorrelationen von Geschwistern, November 2014 Volkwirtschaftliche Gesamtrechnungen, Zeitreihen 1995-2013, Dezember 2014 Sozioökonomische Charakteristika der Vermögensverteilung in Österreich – Eine Analyse des HFCS 2010, Dezember 2014 Drivers of wealth inequality in euro area countries, Februar 2015 Implementing the Golden Rule for Public Investment in Europe – Safeguarding Public Investment and Supporting the Recovery; März 2015 Haben und Nichthaben in der Vermögensgesellschaft - Vermögensarten und Vermögenstypen: Eine Auswertung des European Household Finance and Consumption Survey (HFCS); März 2015 Der Berufs- und Branchenstrukturwandel der Beschäftigung in Österreich 19912012, April 2015 Of Proprietors and Proletarians - Inequality, Household Indebtedness, Macroeconomic Imbalances and the Ownership Society, April 2015 Analyse des Bundesfinanzrahmengesetzes 2016 bis 2019 - Spielraum für Beschäftigungspolitik; Juni 2015 Freizeitoption - Evaluierungsupdate einer arbeitszeitpolitischen Innovation, Juni 2015 Wissens-Spillovers und regionale Entwicklung, Juli 2015 Strukturwandel und regionales Wachstum – Wissensintensive Unternehmensdienste als „Wachstumsmotor“?, September 2015 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Zeitreihen 1995 – 2014, Oktober 2015 Budgetanalyse 2016, Wichtigste Budgetpolitische Herausforderung: Arbeitslosigkeit senken, November 2015 Arbeitszeiten in Österreich: Zwischen Wünschen und Realität, Dezember 2015 Bequests and the Accumulation of Wealth in the Eurozone, Februar 2016 Länder-Gemeide-Transferverflechtungen, April 2016 Aufgabenorientierter Finanzausgleich am Beispiel der Elementarbildung, April 2016 Budgetanalyse 2016-2020, Mai 2016 Reichtum – Legitimation und Kritik, Juni 2016 Eigentümer, Verleger, Herausgeber und Vervielfältiger: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien; alle: 1041 Wien, Prinz Eugen-Straße 20-22, Postfach 534 49