Gott schenkt Heil - für Seele und Leib

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Univ-Prof. Dr. Michael Rosenberger (Linz)
Gott schenkt Heil - für Seele und Leib
Predigt zur Kräutersegnung am Fest der
Aufnahme Mariens in den Himmel 2005
Lesung: Sir 38,1-8
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder,
in den letzten Jahren lässt sich ein regelrechter Boom der Kräutermedizin beobachten: Da
werden zunehmend pflanzliche Medikamente gekauft, da finden sich in Buchhandlungen
ganze Regale mit Büchern sogenannter „Hildegard-Medizin”, da bieten Volkshochschulen
und manchmal sogar Pfarren Kurse und Vorträge über Kräuter an, da avanciert der Titel
„Kräuterhexe”, früher ein übles Schimpfwort, zu einem Ehrentitel.
All das, was unter dem Oberbegriff pflanzlicher Medizin läuft, wird natürlich vielfach mit
anderen, meist weniger seriösen Methoden alternativer Heilverfahren in einen Topf geworfen.
Mit Homöopathie und Bachblüten, chinesischer Medizin und Ayurveda usw. Ich möchte mit
Ihnen heute ausschließlich auf jenen Bereich schauen, der als Pflanzenheilkunde eine lange
Tradition hat, insbesondere in den mittelalterlichen Klöstern, und der zurecht neue
Wertschätzung erfährt. Was macht ihn so attraktiv? Warum erfährt er gerade am Beginn des
21. Jh. eine so erstaunliche Renaissance?
1) Gründe für die Renaissance der Pflanzenheilkunde
Sicher spielen hier verschiedene Faktoren eine Rolle. Da ist - gleichsam als Gegenströmung
gegen die zunehmende Rationalisierung all unserer Lebensbereiche - sicher eine gehörige
Portion Misstrauen gegen medizinische und pharmazeutische Forschung im Spiel. Medizin
wird gerne als „Schulmedizin” diskreditiert, Pharmazie als „Chemie” abqualifiziert - so als sei
die medizinische Schule unserer Universitäten indiskutabel schlecht und ein chemisch
hergestelltes Medikament per se Gift. Doch diese zweifelsohne nicht ganz gerechte
Einschätzung des medizinisch-therapeutischen Arbeitens ist nicht allein der Grund für die
neue Wertschätzung der Pflanzenheilkunde. Andere Faktoren kommen hinzu, von denen ich
wenigstens zwei nennen möchte:
Zum einen bieten viele pflanzliche Medikamente eine größere Chance, dass wir sie ohne den
Besuch eines Arztes nach alten Hausrezepten selbst anwenden können. Pflanzliche Mittel
geben uns die Möglichkeit, mit einfachen, altbekannten Krankheiten eigenständig umzugehen
und dadurch ein Stück Autonomie zu gewinnen. Sie sind oft (!) weniger gefährlich und meist
nicht rezeptpflichtig. Zum anderen entdeckt gerade heute die pharmazeutische
Spitzenforschung viel klarer, welcher Schatz in den Heilpflanzen noch unerkannt schlummert.
Große Gen- und Samenbanken werden eingerichtet, indigene Bevölkerungsgruppen nach
ihrem traditionellen Wissen um die Wirkung von Pflanzen befragt und in aufwändigen
Forschungsprojekten denkbare Wirkstoffe aus Pflanzen isoliert und getestet. Kein Zweifel,
die Pflanzen bergen einen unermesslichen Reichtum an Heilungspotenzialen. Die Renaissance
der Pflanzenheilkunde hat also ihren guten Grund.
2) Die Weisheit des Heil schaffenden Schöpfers
Ist das aber schon alles? Sind die Pflanzen nur eine medizinisch wie ökonomisch lukrative
Quelle? Dann könnten wir auf die Kräutersegnung am heutigen Fest gut verzichten. Doch
nein, die heutige Lesung aus dem Buch Sirach zeigt uns einen Weg, aus der Heilkraft der
Pflanzen noch tiefere Erkenntnisse zu gewinnen. Der Text stammt aus der Zeit um 170 v. Chr.
Israel wird von griechischen Herrschern verwaltet, die ihre Kultur - und damit auch Medizin
und Pharmazie - als der jüdischen überlegen betrachten und sie den „rückständigen” Juden
mitteilen wollen. Jahrhunderte lang hatte Israel ein abgrundtiefes Misstrauen gegen Ärzte und
Medizin entwickelt. Und so konnte sich die ärztliche Kunst nie wirklich entfalten und
aufblühen. Das, so die Idee der griechischen Herrscher, sollte sich nun ändern.
Angesichts des Transfers griechischer Kultur und Wissenschaft nach Israel spaltete sich das
Judentum in zwei Gruppen. Die eine, die Gruppe der sog. Apokalyptiker, kapselte sich
fundamentalistisch ab. Medizin und Pflanzenheilkunde seien unjüdisch. Das sei heidnischer
Aberglaube. Wer auf Gott vertraue, der brauche keine Medizin und keine Pharmazie. Die
andere Gruppe, die sog. Weisheitsschule, reagierte offener und differenzierter. Von ihr
stammt der Text aus dem Buch Jesus Sirach, den wir heute gehört haben: Natürlich, so auch
diese Gruppe übereinstimmend mit den Fundamentalisten, ist die entscheidende Grundhaltung
des gläubigen Menschen das Gottvertrauen. Aber, so der Weisheitslehrer Sirach weiter, es ist
doch Gott selbst, der uns die Vielfalt der Heilkräuter geschenkt hat, und es ist sein Werk,
wenn der Arzt und der Salbenmischer durch ihr Studium und ihre Forschung Einsichten
gewinnen, mit deren Hilfe sie diese Kräuter zum Wohle der Menschen einsetzen können. Wer
also die Möglichkeiten von Medizin und Pharmazie verschmäht, der weist die Geschenke
zurück, die der himmlischer König seinen Geschöpfen anbietet.
Und die Lesung geht sogar noch einen Schritt weiter: Wenn der Salbenmischer seine
Arzneien zubereitet und der Arzt sie anwendet, dann ist das eine Fortführung des
schöpferischen Tuns Gottes, „damit seine Hilfe nicht von der Erde verschwindet” (Sir 38,8).
Gott will das seelische und das leibliche Heil seiner Geschöpfe, und er gibt uns Mittel in
Hülle und Fülle, die uns dazu verhelfen.
Liebe Schwestern und Brüder, im Blick auf die Gottesmutter wird uns heute ein strahlendes
Beispiel für diesen Heilswillen Gottes gegeben: Gott hat Maria als ganze Person, mit Leib
und Seele, zu sich in den Himmel geholt. Wie er es an ihr getan hat, so wird er es einst auch
an all seinen Geschöpfen tun: Sie werden leben in Fülle und ohne Grenzen, geborgen von
seiner göttlichen Liebe und Herrlichkeit. Die Heilsmöglichkeiten hier und jetzt in unserem
irdischen Dasein sind damit so etwas wie der Vorgeschmack auf jene Heilung, die wir
erwarten und auf die wir hoffen.
3) Die Heilshoffnung erden
Um diese glänzende, alles überstrahlende Hoffnung zu erden, bedarf es aber ganz konkreter,
auch materieller Schritte hier und jetzt. Drei möchte ich nennen:
1) Gott zu vertrauen, so der Weisheitslehrer Sirach, heißt, der menschlichen Vernunft zu
vertrauen, wo diese die Naturgesetze erforscht und erkennt, die Gott seiner Schöpfung
mitgegeben hat. Man muss nicht alles glauben, was einem ein Arzt sagt - auch der macht
Fehler und irrt. Aber grundsätzlich dürfen wir der medizinischen und pharmazeutischen
Wissenschaft und Heilkunst eine positive Einstellung entgegenbringen. Ihr allein deswegen
zu misstrauen, weil sie „rational” ist, mit vernünftigen und überprüfbaren Methoden arbeitet,
wäre ebenso dumm wie die Position der apokalyptischen Fundamentalisten zu Zeiten des
Sirach, die die Medizin als „griechisch” und „heidnisch” ablehnten.
2) Gerade wer den großartigen Reichtum von heilenden Pflanzen in Gottes Schöpfung
erkennt, wird alles dafür tun, dass dieser Reichtum erhalten bleibt. Nie zuvor in der
Geschichte der Menschheit war jedoch die Biodiversität, die Vielfalt des Lebens so massiv
bedroht wie heute. Tagtäglich werden Hunderte von Tier- und Pflanzenarten auf unserem
Planeten unwiderbringlich vernichtet - durch den Menschen! Wir zerstören unberührte
Lebensräume, zerschneiden zusammenhängende Ökosysteme durch Verkehrswege und
Siedlungen und versuchen die Welt immer mehr so zu gestalten, dass sie billig und
maschinell genutzt werden kann. Das ist verheerend. Die UN-Vollversammlung für Umwelt
und Entwicklung 1992 in Rio hat deswegen als eines von zwei Dokumenten eine Konvention
zur Biodiversität verabschiedet. Von den vielen Handlungszielen nenne ich die zwei
wichtigsten: Erstens müssen mindestens 10%, besser 20% der Erdoberfläche zu strengen
Naturschutzgebieten werden - insbesondere solche Gebiete, in denen besonders viele Tierund Pflanzenarten siedeln. Und zweitens müssen die vom Menschen genutzten Flächen so
bewirtschaftet werden, dass sie Artenvielfalt begünstigen und nicht zerstören: Die Almen in
den Alpen z.B. sind vom Menschen durch Viehwirtschaft gemacht - würde man diese
aufgeben, wäre der dann nachwachsende Wald viel ärmer an Arten. Analog bergen
Ackerraine und Wiesen, Feucht- und Überschwemmungsgebiete, die nicht ausgetrocknet und
bebaut werden, einen Reichtum an Tieren und Pflanzen, den wir dringend brauchen - nicht
nur, aber auch um der medizinischen Forschung und Entwicklung willen! Es gilt sie zu
erhalten und zu pflegen!
3) Die Biodiversität nützt nichts ohne das Wissen zu ihrer therapeutischen Anwendung. Ein
Großteil der Heilpflanzen weltweit kommt aus den Regenwaldgebieten der Erde. Doch jene
indigenen Menschen, die um die Heilungspotenziale der Pflanzen wissen und das Wissen
über Generationen weitergeben, werden durch Industrialisierung, Landflucht und
Verwestlichung immer weniger. Wir aus den Industrieländern müssen ihrem Wissen mehr
Ehrfurcht und Wertschätzung entgegenbringen - und das heißt auch: Ihnen mehr Geld geben,
wenn sie uns ihr Wissen mitteilen. Es kann nicht sein, dass ein Pharmakonzern mit einer
einzigen biomedizinischen Entwicklung Milliarden verdient, dem Regenwaldbewohner aber
nur ein paar tausend Dollar in die Hand drückt für jene Informationen, die ihn auf die richtige
Spur brachten. Analog dazu sollten wir aber auch unser eigenes Traditionswissen über die
Heilkraft von Pflanzen neu schätzen. Nichts alles, was die Menschen früher den Pflanzen
zuschrieben, stimmt. Doch in vielen Fällen wussten die Alten sehr wohl, was der Gesundheit
gut tut.
Liebe Schwestern und Brüder, Gott will das Heil seiner Geschöpfe - durch unser
menschliches, einsichtiges Handeln. Das feiern wir im Blick auf Maria, die Gott ganzheitlich,
mit Leib und Seele zu sich geholt hat. Daran erinnern wir uns aber auch bei der Segnung der
Heilkräuter, die ich gleich vollziehe. Im Mittelalter waren die Kräutergärten der Klöster
berühmt und hoch geschätzt. Es freut mich, dass die Pfarre Pregarten rund um ihre Kirche
einen solchen Kräutergarten angelegt hat. Wir haben um unsere Kirche den Friedhof. Aber
schließt das aus, dass der Friedhof ein Kräutergarten wird und auf unseren Gräbern
Heilpflanzen wachsen? Die könnten in uns die Hoffnung stärken, dass auch wir einmal wie
Maria das Heil in Fülle erlangen - mit Leib und Seele!
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