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01. April 2016
Guillain Barré Syndrom: Pathogenese, Diagnostik und Therapie
April 2016
Das Guillain Barré Syndrom (GBS) ist eine typische Ursache akut auftretender, typischerweise symmetrisch aufsteigender
schlaffer Lähmungen mit begleitender Hypo- oder Areflexie, welches innerhalb von 4 Wochen ein Maximum erreicht.
Sensible Symptome wie Missempfindungen, Taubheit oder neuropathische Schmerzen beginnen dabei typischerweise distal
und sind ebenfalls symmetrisch verteilt. Dieser Übersichtsartikel gibt einen Einblick in die Pathogenese der Erkrankung
sowie die diagnostischen Instrumente und aktuelle und künftige Therapiemöglichkeiten.
Häufigste Verlaufstypen des GBS sind die akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP)sowie die
akute motorische axonale Neuropathie (AMAN). Der klinische Verlauf, der Schweregrad sowie die Prognose der Erkrankung sind
dabei im Einzelfall hochgradig variabel.
Ein GBS entsteht typischerweise im Anschluss an eine Infektionskrankheit als Folge einer autoimmunologisch bedingten
Antikörperproduktion, die als Kreuzreaktion mit Gangliosiden auf der Membran von Nervenzellen reagieren. Diese
Autoimmunantwort resultiert in einem Nervenschaden mit Störung der Nervenleitfähigkeit.
Dabei bestimmt die Art der vorausgehenden Infektionen häufig den Subtyp sowie den klinischen Verlauf eines GBS. Der dabei am
häufigsten identifizierte Erreger ist eine gastrointestinale Infektion mit dem Bakterium Campylobacter jejuni, welches typischerweise
zu einer AMAN führt. Eine leitliniengerechte Therapie erfolgt mit intravenösen Immunglobulinen oder Plasmaaustausch. Steroide
haben in großen Studien keinen positiven Effekt, sondern eher eine Verschlechterung des klinischen Verlaufs gezeigt. Trotz effektiver
Therapiemöglichkeiten leiden viele Patienten, insbesondere mit schwerem Verlauf, unter neuropathischen Schmerzen und häufig
residuellen neurologischen Defizite, wenngleich in den meisten Fällen die funktionelle Prognose sehr gut ist und nicht selten eine
vollständige Restitution eintritt..
Epidemiologie
Das GBS ist eine seltene Erkrankung mit einer Inzidenz zwischen 0,8 und 1,9 pro 100.000 Personen und tritt häufiger bei Männern als
bei Frauen auf (3:2). Die weltweite Inzidenz wird dabei mit erheblicher Variabilität angegeben und schwankt zwischen 0,4 und 2,5
Betroffenen pro 100.000 Einwohner. Die Inzidenz steigt mit zunehmendem Alter an, wobei bereits Erkrankungen im Kindesalter
möglich sind. Während die Inzidenz in zahlreichen Studien über die Jahre konstant ist, zeigt sich eine deutliche saisonale Fluktuation.
Auch die Verlaufsformen AIDP und AMAN zeigen unterschiedliche Inzidenzen: Während in Europa die AIDP-Verlaufsform häufiger
auftritt (60-80%), ist im asiatischen Raum die AMAN-Verlaufsform häufiger beschrieben (30-65%). Die Gründe der geografischen
Unterschiede liegen möglicherweise in den Unterschieden der genetischen Ausstattung der typischen Erreger sowie zusätzlichen
konstitutionellen genetischen Faktoren der betroffenen Patienten. Auch der Schweregrad der Erkrankung weist geografische
Unterschiede auf. Studien mit größeren Patientenzahlen zu dieser Fragestellung fehlen jedoch.
Pathogenese
Das GBS stellt eine postinfektiös entwickelte neurologische Erkrankung dar. Zirka 2/3 der Patienten berichten über eine
vorausgehende Infektion der Atemwege oder des Gastrointestinaltraktes, die den ersten neurologischen Symptomen
typischerweise 10 bis 14 Tage vorauseilt. In ca. der Hälfte der GBS-Fälle kann eine Immunreaktion auf einen Erreger zurückgeführt
werden. Dabei ist der am häufigsten nachweisbare Erreger eine Infektion mit Campylobacter jejuni, der für ca. 1/3 der GBS-Fälle
verantwortlich gemacht werden kann. Andere Pathogene sind z. B. Cytomegalieviren, Epstein-Barr-Viren, Mycoplasma
pneumoniae, Haemophilus influenzae sowie das Influenza A-Virus. Aktuelle Studien konnten auch eine enge Assoziation
zwischen dem GBS und einer vorausgegangenen Hepatitis E-Virus-Infektion sowie zuletzt im indischen Raum zu Infektionen mit
dem Denguefieber-Virus zeigen.
Trotz der Korrelation zwischen spezifischen akuten Infektionen und dem GBS ist das absolute Risiko für die Entwicklung eines
GBS nach einer Infektion insgesamt gering. Nur ca. 1 von 1.000 bis 5.000 an einer durch Campylobacter verursachten Enteritis
erkrankten Patienten ist in den darauffolgenden 2 Monaten von einem GBS betroffen. Dies liegt daran, dass eine unkomplizierte
Campylobacter jejuni-Infektion in der Regel kein molekulares Mimikry mit in der Folge kreuzreagierender Gangliosid-spezifischer
Antikörper verursacht, sondern diese kreuzreaktiven Antikörper vermutlich nur unter bestimmten genetisch determinierten
Suszeptibilitätsfaktoren gebildet werden.
Ein weiterer Faktor ist die Bandbreite von unterschiedlichen Lipooligosaccharide auf der Oberfläche des Bakteriums, welche den
Stamm des Erregers bestimmen, die jeweils molekulare Ähnlichkeit zu Gangliosidstrukturen der peripheren Nerven des Menschen
haben. Dabei bestimmt das Vorhandensein von Gangliosid-Antikörpern nur in wenigen Fällen den elektrophysiologisch und/oder
klinisch nachvollziehbaren Verlaufstyp der Erkrankung. So führen Infektionen mit Campylobacter jejuni nicht ausschließlich zur AMAN
oder rein motorischen Verlaufsformen eines GBS. Gerade bei diesen Patienten können oftmals Antikörper gegen GM1a, GM1b,
GD1a und GalNAc-GD1a Ganglioside nachgewiesen werden. Patienten mit einem Miller-Fisher-Syndrom (klinische Trias aus
Ophthalmoplegie, Ataxie und Areflexie) zeigen typischerweise AK gegen GD1b, GD3, GT1a und GQ1b.
Bei denen in Mitteleuropa häufigsten Verlaufsformen der AIDP konnte lediglich bei Infektionen mit dem Cytomegalievirus in einer
größeren Anzahl von Patienten eine Assoziation mit dem Anti-GM2-AK nachgewiesen werden, nicht jedoch mit anderen GangliosidAK. Als Folge der Bindung zwischen den Gangliosid-AK und den Nervenstrukturen wird als Schädigungsmechanismus die
nachfolgende komplementvermittelte Immunantwort angenommen. Je nach Lokalisation des Antigens spielen dabei unterschiedliche
Pathomechanismen eine Rolle. So führt die Bindung mit nachfolgender Immunantwort an Strukturen des Myelins zu einer
Makrophagen-vermittelten Abräumreaktion, welches eine Schädigung des Myelins und dadurch eine Verzögerung der
Nervenleitgeschwindigkeit zur Folge hat. In jüngeren Studien konnte für die AMAN-Verlaufsform, insbesondere in Tiermodellen,
jedoch ein weiterer Pathomechanismus identifiziert werden. So führt die komplementvermittelte Schädigung im Bereich des
Ranvier'schen Schnürrknotens und der paranodalen Region zu einer Verteilungsstörung der dort in hoher Anzahl vorkommenden
Natrium-Kanäle, die essentiell für die Weiterleitung des Aktionspotentials sind. Dies führt zu einem in der elektrophysiologischen
Zusatzdiagnostik typischen Befund, dem sogenannten Leitungsblock.
Die Entwicklung eines GBS nach einer Infektion mit Campylobacter jejuni hängt aber auch an Patienten assoziierten Faktoren, die zu
einer Suszeptibilität gegenüber der Induktion von pathologischen Antikörpern führt. Diese Hypothese erklärt, dass während das GBS
überwiegend als monophasische Erkrankung verläuft, in 5% der Fälle ein klinischer Rückfall auftritt. Als eigentlicher
Schädigungsmechanismus des molekularen Mimikry nach Infektion mit Campylobacter jejuni wird eine Aktivierung dendritischer
Zellen über s. g. Toll-like-Rezeptoren 4 und CD14 vermutet. Diese dendritischen Zellen produzieren dann inflammatorische
Zytokine wie z. B. Interferone und den Tumor Nekrosefaktor (TNF), der dann in der Folge zu einer Proliferation von B-Zellen führt.
Genetische Polymorphismen im TNF-Gen konnten in kleineren Studien eine Assoziation zum GBS zeigen. Auch hier fehlen jedoch
aufgrund des insgesamt seltenen Auftretens der Erkrankung Studien an größeren Patienten-Kohorten.
Auch im Rahmen des aktuellen epidemischen Ausbruches von Zika-Virus Infektionen werden nun erstmals gehäuft Fälle eines GBS
berichtet. In einer aktuellen Fall-Kontroll-Studie wurden 42 Fälle mit GBS nach Zika-Infektion beschrieben.* Diese waren dabei
überwiegend vom AMAN-Typ mit einem raschen Verlauf der Erkrankung. Rund ein Drittel der Patienten wurde beatmungspflichtig.
Eine Besonderheit war dabei das Auftreten von Autoantikörpern die sonst nicht im typischen Zusammenhang einer AMAN stehen. So
fanden sich gehäuft Antikörper gegen Glykolipide und gegen das GA1-Antigen. Weitere Untersuchungen zu den
pathophysiologischen Zusammenhängen stehen noch aus.
Immer wieder kritisch diskutiert wird der Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines GBS und einer vorausgegangenen Impfung.
Diese bereits länger anhaltende Diskussion wurde insbesondere im Rahmen der pandemischen Influenza-Infektion mit H1N1 erneut
aufgenommen. Dabei ergaben sich in den aktuellen klinischen Studien jedoch deutliche Unterschiede. Grunsätzlich ist davon
auszugehen, dass allein die Infektion mit Influenza A das Risiko für das Auftreten eines GBS erhöht, welches zusätzlich die saisonale
Häufung in den Wintermonaten der Erkrankung stützt. Größere Meta-Analysen konnten kein erhöhtes Risiko gegenüber einem
Influenza A assoziierten GBS nach einer Impfung aufzeigen, einzelne Studien ergaben jedoch insbesondere bei den pandemischen
Impfungen einen Trend hinsichtlich eines leichtgradig erhöhten Risikos. Auch hier zeigten sich geografische Unterschiede zwischen
europäischen und asiatischen Populationen. Die Diskussion über diese Thematik hält weiterhin an.
Diagnostik und Diagnose-Kriterien
Klinisch charakterisiert sich das GBS durch eine rasch progredient entwickelte symmetrische Tetraparese in Kombination mit einer
Hypo- oder Areflexie. Dabei können zusätzliche Symptome in Form von Hirnnervenstörungen, sensiblen Beschwerden, Ataxie,
neuropathischen Schmerzen, autonomen Dysfunktionen in hoher Variabilität auftreten. Über die Hälfte der Patienten zeigen
Hirnnerven-Auffälligkeiten, typischerweise eine bilaterale Facialisparese und Schluckstörungen. Viele Patienten klagen über
sensible Defizite in Form von geringer Taubheit sowie Parästhesien, wobei diese gegenüber den motorischen Symptomen deutlich in
den Hintergrund treten. Insbesondere nach Schmerzen sollten die Patienten gezielt gefragt werden. 50 bis 90% der Patienten
berichten über sehr schmerzhafte Parästhesien sowie Muskelschmerzen, welche häufig den Lähmungserscheinungen Stunden
oder Tage vorausgehen können. Rund ein Viertel der Patienten entwickeln eine respiratorische Insuffizienz mit Notwendigkeit einer
maschinellen Beatmung als Folge einer Beteiligung der Atemmuskulatur. Autonome Störungen, typischerweise kardiovaskuläre
Dysfunktionen mit Reflex-Brady- und Tachykardien, treten bei 2/3 der Betroffenen auf, wobei diese ein lebensbedrohliches Ausmaß
erreichen können, weshalb bei der Verdachtsdiagose eines GBS eine Überwachung der Vitalparameter zwingend erforderlich ist.
Zirka 1/3 der Patienten bleibt während des Erkrankungsverlaufs gehfähig.
In der Regel verläuft das GBS als monophasische Erkrankung, die ihren Höhepunkt typischerweise innerhalb von höchstens 4
Wochen erreicht. Die meisten Patienten erreichen den Nadir der Erkrankung innerhalb von 2 Wochen. Die Plateauphase des
Schweregrades der neurologischen Symptome kann bis zu 6 Monate andauern, bevor eine Erholung in der Nervenfunktion klinisch
nachvollzogen werden kann. Die unterschiedlichen Verlaufsformen des GBS z. B. in Form der AIDP oder des AMAN
unterscheiden sich dabei in ihrem klinischen, elektrophysiologischen und histologischen Verlauf.Während die AIDP eine eher
sensomotorische Form mit häufiger Hirnnervenbeteiligung und ausgeprägter autonomer Dysfunktion ist, präsentiert sich die AMAN oft
als rein motorische, jedoch häufiger rasch progrediente Verlaufsform mit einem höheren Ausmaß an persistierenden neurologischen
Symptomen, was sich durch die schlechtere Erholungsfähigkeit der axonalen Funktionen gegenüber der NervenscheidenWiederherstellung erklären lässt. Elektrophysiologisch lassen sich beide Formen jedoch gut voneinander abgrenzen.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben die ursprünglichen Diagnosekriterien von 1978 mehrere Änderungen erfahren. Dabei
orientieren sich die Kriterien im Wesentlichen am klinischen Verlauf sowie an den elektrophysiologischen Zusatzbefunden. Prinzipiell
wird für die Diagnosestellung eine rasch progrediente symmetrische Lähmung der Arme und Beine gefordert, die mit einer Hypooder Areflexie in den betroffenen Extremitäten einhergeht.
Beim klinischen Verlaufstyp der AIDP wird eine Progredienz der Symptome von weniger als 4 Wochen gefordert. Geringer
ausgeprägte sensible Symptome sind ebenso wie eine Beteiligung der Hirnnerven, typischerweise einer bilateralen Facialisparese
oder Dysphagie, mit der Diagnose eines GBS vereinbar, ebenso eine autonomische Dysfunktion, die teilweise mit lebensgefährlichen
Reflex-Bradykardien einhergehen kann. Neuropathische Schmerzen werden ebenfalls häufig berichtet. In elektrophysiologischen
Untersuchungen kommen Zeichen einer progredienten Demyelinisierung in Form einer Verlängerung der distal motorischen Latenz,
einer Verminderung der motorischen Leitgeschwindigkeit sowie einer Verlängerung der s. g. F-Antwort mit Nachweis von
Leitungsblöcken zur Darstellung.
Zur Diagnosestellung des axonalen Verlauftyps (AMAN) wird neben den o. g. zeitlichen Kriterien das Fehlen von sensiblen
Symptomen gefordert. Hier wird eine Beteiligung der Hirnnerven eher selten gesehen, ebenso treten neuropathische Schmerzen
insgesamt seltener auf als bei der AIDP-Verlaufsform. Die elektrophysiologische Zusatzdiagnostik zeigt keine Zeichen einer
Demyelinisierung, sondern einer primären axonalen Schädigung mit Minderung der motorischen Antwort des Nervens. Transiente
motorische Leitungsblöcke werden jedoch durchaus berichtet. Zeichen, die differentialdiagnostisch an andere Ursachen denken
lassen (s. g. Red flags) sind hohes Fieber, Blasen- oder Mastdarmstörungen, eine deutliche Asymmetrie der Symptome oder eine
deutliche Pleozytose in der Liquoranalyse mit mehr als 50 Zellen/µl.
Zusatzdiagnostik: Lumbalpunktion und Liquoranalyse
Die Liquoranalyse hat ihren Stellenwert überwiegend im differentialdiagnostischen Ausschluss anderer Ursachen. Die für das GBS
charakteristische zytoalbuminäre Dissoziation, d. h. das Auftreten eines exzessiv erhöhten Liquor-Eiweißes bei gleichzeitig
normaler Zellzahl im Liquor, kann bei Auftreten der ersten Symptome häufig noch nicht gefunden werden, sollte jedoch spätestens am
7. Tag nach Krankheitsbeginn nachweisbar sein. Erhöhte Eiweißwerte zeigen sich in ungefähr 50% der Patienten am 3. Tag nach
Symptombeginn sowie in 80% der Fälle nach 7 Tagen. Eine deutlich erhöhte Liquor-Zellzahl (>50 Zellen /µl) sollte zu anderen
differentialdiagnostischen Erwägungen führen, wie beispielsweise einer primär infektiösen Radikulitis (z. B. Infektion mit CMV oder
VZV) oder einer Malignom-assoziierten Erkrankung (z. B. Meningeosis carcinomatosa). Zu beachten ist, dass ein GBS mit deutlich
erhöhter Liquor-Zellzahl im Rahmen einer Serokonversion einer HIV-Infektion gehäuft angetroffen wird, weshalb ein solcher Befund
zu einer entsprechenden Diagnostik führen sollte. In Einzelfällen handelt es sich dann um die Erstmanifestation einer HIV-Erkrankung.
Da eine zytoalbuminäre Dissoziation im Liquor nur dann gefunden wird, wenn eine deutliche entzündliche Mitreaktion der
Nervenwurzeln vorliegt, gibt es keine Empfehlung hinsichtlich einer obligaten Wiederholung der Lumbalpunktion bei initial normalen
Liquor-Eiweißwerten.
Elektrophysiologie
Die Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit kann die überwiegend klinische Diagnose eines GBS bestätigen und hilft
insbesondere zur Unterscheidung zwischen einer eher demyelinisierenden und einer eher axonalen Verlaufsform, welches auch für
die Prognosebeurteilung des Patienten von hoher Relevanz ist. In der Frühphase der Erkrankung kann die Elektrophysiologie
differential-diagnostisch hilfreich sein z. B. bei klinisch rein motorischen oder segmental begrenzten Verlaufsformen. Veränderungen
der Nervenleitgeschwindigkeiten erreichen typischerweise ihr Maximum innerhalb von 2 Wochen. Aufgrund der nicht-invasiven Natur
dieser Diagnostik sind Verlaufsuntersuchungen problemlos möglich, wobei zu beachten ist, dass der klinische Verlauf der Erkrankung
mit deutlicher Verzögerung zu den korrespondierenden elektrophysiologischen Veränderungen eintreten kann. Die ersten
Auffälligkeiten betreffen typischerweise die Bestimmung der s. g. F-Welle, die typischerweise eine deutliche Latenzverzögerung
aufweist (siehe Abb. 1).
Abb. 1: Motorische Neurographie des Nervus medianus. Oben: normale DML (3,12 ms) beim Gesunden. Unten: stark verlängerte DML (22,3
ms) beim Patienten mit GBS. DML = distal-motorische Latenz.
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Unter der F-Antwort wird die Reflexion der retrograd laufenden Erregung nach peripherer elektrischer Nervenstimulation verstanden,
die eine zeitlich verspätet eintreffende motorische Erregbarkeit zeigt (F = Following wave). Im weiteren Verlauf finden sich bei einer
demyelinisierenden Verlaufsform dann Verlängerungen der distal motorischen Latenzzeit (siehe Abb. 2) sowie eine Verminderung der
Nervenleitgeschwindigkeit (siehe Abb. 3) z. T. mit Aufsplittung der vom Nerven generierten Summenaktionspotentiale, die bis zum
kompletten Leitungsblock führen können.
Abb. 2: Bestimmung der F-Wellen des Nervus ulnaris. Oben: normale F-Wellen-Latenzen (25,0 ms) beim Gesunden. Unten: stark verzögerte
F-Wellen-Latenzen (55,9 ms) beim Patienten mit GBS.
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Abb. 3: Sensible Neurographie vom Nervus ulnaris. Oben: Normale NLG (57,2 ms) beim Gesunden. Unten: stark reduzierte NLG (19,8 ms)
beim Patienten mit GBS. NLG = Nervenleitgeschwindigkeit.
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Die diagnostische Sicherheit erhöht sich dabei insbesondere dann, wenn wenigstens 4 motorische Nerven und 3 sensorische
Nerven incl. der F-Wellen untersucht werden. Zu beachten ist insbesondere bei der Beurteilung der sensiblen Nerven, dass bei der
AIDP Verlaufsform der häufig untersuchte Nervus suralis eine fehlende Beteiligung mit Normalwerten zeigt bei gleichzeitig
pathologischen Nervenleitgeschwindigkeiten anderer sensibler Nerven (s. g. sural sparing). Hierfür wird in der aktuellen Literatur eine
hohe Spezifität von 95-100% hinsichtlich der Diagnosestellung einer AIDP berichtet (1,2).
Beim AMAN Verlaufstyp zeigt sich eine deutliche Reduktion des motorischen Summenaktionspotentials ohne Zeichen einer
Demyelinisierung. Die sensiblen Nerven sind hierbei typischerweise normal, Ausnahme leichte sensible Mitbeurteilung beim s. g.
AMSAN. Ein begleitende EMG ist in der Frühphase der Erkrankung innerhalb der ersten 14 Tage typischerweise unauffällig. Jedoch
kann im späteren Verlauf der Erkrankung das Ausmaß der axonalen Schädigung, welches für die Restitution der Nervenfunktionen
relevant ist, eingesetzt werden. Da es sich hierbei jedoch um eine invasive Diagnostik handelt, ist hier die Indikation bei häufig
mangelnder therapeutischer Konsequenz kritisch zu überprüfen.
Serologischer Nachweis von Antigangliosid-Antikörpern
Auch wenn die Rolle von Antigangliosid-Antikörpern in der Pathogenese des GBS eine hohe Rolle spielt, ist diese jedoch in der
täglichen klinischen Praxis eher von untergeordneter Bedeutung. Das Vorhandensein von Antigangliosid-Antikörpern hat einen
geringen positiven prädiktiven Wert in der Diagnosestellung eines GBS. Diese beruht dabei sowohl auf den unspezifischen
Vorhandensein von Antigangliosid-Antikörpern, aber auch aufgrund der hohen Variabilität der serologischen Befunde, insbesondere
im Falle der AIDP. Eine Ausnahme ist dabei der Nachweis von Anti-GQ1b-AK bei Patienten mit einem Miller Fisher Syndrom sowie
die Bestimmung der Anti-GM1-AK (IgG) sowie Anti-GD1a-IgG-AK, die typischerweise bei Patienten mit einer AMAN Verlaufsform
auftreten. Eine routinemäßig durchgeführte Diagnostik kann hierbei aufgrund der fehlenden therapeutischen Konsequenz nicht
empfohlen werden, jedoch im Falle differentialdiagnostischer Unsicherheiten durchaus hilfreich sein.
Therapie
Die Therapie des GBS ist eine Kombination aus einer Immuntherapie sowie zahlreichen unterstützenden Maßnahmen. Über
klinische Studien abgesicherte evidenzbasierte Therapien sind dabei sowohl die Gabe von intravenösen Immunglobulinen, als auch
Plasmaaustauschverfahren, wobei in Puncto der Effektivität sich in größeren Untersuchungen keine signifikanten Unterschiede
gezeigt haben (3,4,5). Hinweise für eine Optimierung der Therapie mittels sequentieller Verfahren z. B. zunächst Plasmaaustausch
und dann intravenöse Immunglobuline waren einer Monotherapie nicht überlegen (6).
Eine Immuntherapie sollte spätestens dann eingeleitet werden, wenn der Patient eine deutliche Einschränkung der Gehfähigkeit zeigt,
wobei neuere Daten auch bei vollständig erhaltener Gehfähigkeit eine verbesserte und raschere Rückbildungstendenz unter einer
Immuntherapie zeigen (7). Die Mechanismen des Plasmaaustausches sowie der intravenösen Immunglobuline zur Therapie des GBS
sind immer noch nicht sicher verstanden. Insbesondere Immunglobuline haben eine Vielzahl von pharmakologischen Angriffspunkten.
Gegenwärtig geht man davon aus, dass intravenöse Immunglobuline an mehreren pathogenetischen Mechanismen des GBS
angreifen. So führt es zum einen zur Bindung von Antigangliosid-AK, darüber hinaus werden die Bindungsstellen zur lokalen
Komplementaktivierung unterdrückt sowie die vom FC mediierten Anteil der Aktivierung von immunkompetenten Zellen ebenfalls
supprimiert.
Die Mechanismen des Plasmaaustausches sind vermutlich ähnlich. Im Wesentlichen kommt es zu einer Entfernung von
neurotoxischen Antikörper-Komplementfaktoren sowie anderen humoralen inflammatorischen Mediatoren aus dem Plasma. Wichtig
ist, dass die Therapie jeweils frühzeitig eingeleitet werden sollte. So zeigt sich eine Effektivität eines Plasmaaustausches
insbesondere in den ersten 2 Wochen nach Beginn der Erkrankung, jedoch spätestens bei Einschränkung der Gehfähigkeit.
Typischerweise werden 5 Plasmaaustausche über 2 Wochen mit dem Ziel des fünffachen Plasmaaustauschvolumens durchgeführt.
Die Frage ob die weniger komplikationsbehaftete Immunabsorption der Plasmapherese unterlegen ist, stehen gegenwärtig aus, wobei
anzunehmen ist, dass die Verfahren gleichwertig sind. Typische Nebenwirkungen dieses Verfahrens sind vornehmlich Katheterassoziierte Komplikationen z. B. venöse Thrombosen, lokale Infektionen sowie verfahrensassoziierte Nebenwirkungen wie Hypotonie
oder Eiweißmangelerscheinungen. Die Gabe von intravenösen Immunglobulinen in einer Dosis von 0,4 g/kg Körpergewicht an 5
aufeinanderfolgenden Tagen hat sich als gleichwertig herausgestellt. Die Immunglobuline werden typischerweise gut vertragen.
Typische Nebenwirkungen sind hier Kopfschmerzen sowie allergische Reaktionen. Vor Gabe der Immunglobuline sollte eine
Bestimmung des Serum-IgA erfolgen, da allergische Reaktionen gehäuft im Rahmen eines selektiven IgA-Mangelsyndromes
auftreten. Aufgrund der mit der Eiweißgabe assoziierten Volumenbelastung ist bei Patienten mit Herzinsuffizienz eine erhöhte Vorsicht
geboten. In Einzelfällen sind darüber hinaus z. T. lebensbedrohliche Hämolysen sowie Transfusions-assoziierte Lungenödeme
(TRALI) beschrieben. Die Wahl des Verfahrens (Plasmapherese oder Immunglobuline) ist daher weniger von der Wirksamkeit, als
vielmehr von Patienten-bezogenen oder lokalen Faktoren abhängig zu machen. So ist z. B. die Plasmapherese nicht in jedem
Krankenhaus verfügbar, bei kritisch kranken oder multimorbiden Patienten kann darüber hinaus die mit höheren Komplikationen
behaftete Plasmapherese nachteilig sein. In Ländern mit finanziell schlecht ausgestattetem Gesundheitssystem stellen darüber hinaus
auch finanzielle Aspekte eine Einschränkung dar, wobei insbesondere intravenöse Immunglobuline mit hohen Kosten verbunden sind.
Ob es Unterschiede in der Therapie der AIDP gegenüber dem AMAN gibt, ist nicht abschließend geklärt. Einzelne Studien
postulieren eine höhere Effektivität der Plasmaaustauschverfahren bei der AMAN gegenüber der Therapie mit intravenösen
Immunglobulinen, wobei dies nicht durch kontrollierte Studien belegt ist. Die zusätzliche Gabe von Steroiden in Kombination mit
intravenösen Immunglobulinen sollte aufgrund aktueller Daten unterlassen werden, da sich gerade bei beatmungspflichtigen
Patienten eine prolongierte Beatmungsphase mit erhöhter Komplikationsrate und schlechterer neurologischer Rückbildungstendenz
herausgestellt hat (8). Aufgrund der guten therapeutischen Möglichkeiten und der Akuität des Krankheitsbildes sind andere
immunmodulierende Verfahren z. B. mit monoklonalen Antikörpern nicht gut untersucht. Zur therapeutischen Anwendung von
monoklonalen Antikörpern wie Rituximab existieren lediglich wenige Fallberichte bei den chronischen Varianten der
immunvermittelten Neuropathie (z. B. CIDP) mit unterschiedlichen Therapieerfolgen (9, 10).
Die Anwendung von Mycophenolatmophatil (MMF) konnte in einer offenen Studie an einer kleinen Fallserie keinen Effekt zeigen (11).
Auch mit Interferon-beta 1a konnte in einer kleinen Fallstudie an 19 Patienten kein therapeutischer Effekt erzielt werden (12). Bei den
seltenen Krankheitsvarianten wie dem Miller Fisher Syndrom gibt es keine kontrollierten Therapiestudien, so dass hier eine
Übertragung der Therapie-Regime erfolgt, typischerweise werden Patienten mit intravenösen Immunglobulinen behandelt, sofern das
Krankheitsbild von ausreichender Schwere ist. Aufgrund der geringen Fallzahlen sind kontrollierte Studien hier in absehbarer Zeit
auch nicht zu erwarten.
Supportive Therapie
Insbesondere für die häufig schwer betroffenen GBS Patienten ist den supportiven Therapien ein hoher Stellenwert zuzumessen. So
sollten die von der Vigilanz typischerweise nicht eingeschränkten Patienten gerade im Rahmen intensivmedizinischer Maßnahmen
regelmäßig nach Schmerzen sowie auf Zeichen eines Delirs untersucht und effektiv behandeltwerden. Dabei kann auf
medikamentöse Therapiestrategien anderer Delir- und Schmerz-Erkrankungen zurückgegriffen werden. Zur Behandlung der oftmals
neuropathisch bedingten Schmerzen stehen keine kontrollierten Daten zur Verfügung, allenfalls für die Substanzen Gabapentin und
Carbamazepin kann hier eine positive Empfehlung gegeben werden. Gerade in der Anfangsphase der AIDP treten gehäuft autonome
Komplikationen in Form von malignen Herzrhythmusstörungen auf, so dass ein kontinuierliches EKG-Monitoring obligat sein sollte.
Bei Auftreten gehäufter vagal-induzierter Bradykardien kann ggf. die Versorgung mit einem passageren Schrittmacher sinnvoll sein.
Aufgrund der frühen Progredienz muskulärer Symptome unter Einbeziehung der Atemmuskulatur sollten mehrfach täglich
Messungen der Vitalkapazität durchgeführt werden. Bei deutlicher Einschränkung sollte hier die frühzeitige Versorgung auf einer
neurologisch erfahrenen Intensivstation erfolgen. Klinisches Zeichen einer autonomen Mitbeteiligung kann eine Störung der
Herzfrequenzvariabilität mit Frequenzstarre sein. Darüber hinaus ist auch auf Hustenstoß- oder Absaug-assoziierte sowie
lagerungsbedingte bradykarde Phasen zu achten. Bei Beteiligung der Hirnnerven sollte eine tägliche logopädische Behandlung
erfolgen. Eine physiotherapeutische Behandlung sollte ebenfalls so früh wie vertretbar begonnen werden. Prinzipiell ist die hohe
psychologische Belastung der langfristigen Intensiv-Therapie bei den in der Regel nicht bewusstseinsalterierten Patienten zu
beachten.
Prognose
Das klinische Outcome eines GBS ist hochgradig variabel. Prinzipiell gilt die Regel, dass das Risiko langfristiger residueller
neurologischer Defizite umso höher ist, je schwerer die Patienten klinisch betroffen sind; dies gilt im Besonderen für die AMAN
Verlaufsform. Gerade Patienten, die im Rahmen einer intensivmedizinischen Therapie Langzeit-beatmet sind, zeigen häufig auch
nach Jahren noch residuelle Defizite. Die prinzipiell gute Erholungsfähigkeit des peripheren Nervensystems ist eng verbunden
mit dem Ausmaß der axonalen Schädigung. Grundsätzlich sollte jedoch bedacht werden, dass eine Erholung neurologischer
Symptome bis zu mehreren Jahren andauern kann, so dass eine fortwährende Physiotherapie im ambulanten Setting nach initial
stationärer Behandlung unbedingt erfolgen sollte.
* Anm. d. Red.: Zum Auftreten eines GBS nach Zikavirus-Infektion erschien kürzlich eine Analyse im NEJM (
N Engl J Med 2016; 375:1598-1601October 20, 2016DOI: 10.1056/NEJMc1609015)
Dr. med. Karim Hajjar
Facharzt für Neurologie
Klinik für Neurologie
Universitätsklinikum Essen (AöR)
Hufelandstr. 55
45147 Essen
E-Mail: [email protected]
PD Dr. med. Tim Hagenacker
Oberarzt, Facharzt für Neurologie und Spezielle Intensivmedizin
Leiter der Spezialambulanz für Erkrankungen des peripheren Nervensystems
Klinik für Neurologie
Universitätsklinikum Essen (AöR)
Hufelandstr. 55
45147 Essen
Tel: 0201/723-6513
Fax: 0201/723-6961
E-Mail: [email protected]
Dr. med. K. Hajjar, Facharzt für Neurologie, Universitätsklinikum Essen
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