Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefund Nevfel Cumart „Die Gärten der Erkenntnis“ Einblicke in die islamische Mystik I Allgemeine Bemerkungen Mystik ist die Suche des Menschen nach einer Begegnung mit Gott. Diese Suche und die Bestrebungen des Menschen gipfeln in der Gottesvereinigung. Letztendlich liegt die Initiative für diese Nähe bei Gott selbst, doch der Mystiker kann sich durch gezielte Übungen auf die einstellende Nähe Gottes vorbereiten. Um den Weg zu Gott erfolgreich beschreiten zu können, wendet der Mystiker geeignete Übungen an, die in ihm visionäre Erlebnisse hervorrufen, ihn in Trance und Versenkung versetzten oder auch in geistige Ekstase führen können. Auch im Islam, dessen grundlegendes Glaubenselement die Unterwerfung des Menschen unter den Willen Gottes und die innerliche Hingabe an ihn darstellt, haben sich mystische Strömungen entwickelt, auf die in diesem Beitrag kurz eingegangen werden soll. II Definition und Interpretation Die islamische Mystik wird mit dem arabischen Begriff tasawwuf bezeichnet, das wir im Deutschen mit Sufik oder Sufismus wiedergeben. Ein islamischer Mystiker heißt mutasawwif oder auch sufi. Alle diese drei Begriffe, tasawwuf, mutasawwif und sufi, sind Ableitungen des arabischen Wortes suf, zu Deutsch: Wolle. Ein Sufi ist somit ein Mensch, der sich in wollene Gewänder kleidet, ein „Wollgekleideter“. Diese Ableitung ist in der wissenschaftlichen Welt allgemein akzeptiert, denn das grobe Wollgewand der ersten Asketen war ihr besonderes Kennzeichen. Es finden sich auch andere Ableitungen, etwa von dem arabischen Wort safa, (Reinheit) oder aber von dem Ausdruck ashab-i suffa, mit dem die Leute der Veranda gemeint waren, die Gefährten und ersten Muslime, die sich in Medina um den Propheten Muhammed scharten. Eine kurze Bemerkung sei vorausgeschickt: Wir können uns dem Phänomen Sufismus, also der islamischen Mystik, auf vielfach verschiedene Weise nähern, jedoch ist es fast unmöglich, die eigentliche mystische Erfahrung an sich zu analysieren, da Worte, die Tiefe dieser Erfahrung niemals ausloten können. Erst recht nicht die Worte eines Außenstehenden. Zu recht sagen die Sufis: „Worte bleiben an der Küste“. Was ist eigentlich islamische Mystik? Hierzu finden sich viele Definitionen und Interpretationen, denn natürlich haben sich die Mystiker oft dazu geäußert. Abul Qasim Muhammad Junaid (st. 910), der unangefochtene Führer der irakischen Schule, schrieb dazu: „Sufismus wird nicht erworben durch viel Beten und Fasten, sondern ist die Sicherheit des Herzens und die Großmut der Seele.“ Einige seiner Zeitgenossen hoben die asketische Seite des Sufismus, den Bruch mit der materiellen Welt, in den Vordergrund: „Sufismus bedeutet, nichts zu besitzen und von nichts besessen zu werden.“ Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefund Auch die soziale und praktische Seite wird erwähnt: „Sufismus besteht nicht aus Praktiken und Wissenschaft, sondern ist Moral.“ Oder aber: „Wer dich in guten moralischen Qualitäten übertrifft, übertrifft dich in Sufismus.“ Beide Aussprüche stammen von dem Liebesmystiker Abul Husain Nuri aus Bagdad (st. 907) Maulana Jalaluddin Rumi (1206 - 1273), einer der größten Mystiker und Dichter der islamischen Welt überhaupt und der in der westlichen Welt am meisten bekannte, erklärte auf die Frage „Was ist Sufismus?“: „Freude finden im Herzen, wenn die Zeit des Kummers kommt.“ Es ließen sich noch sehr viele weitere Definitionen und Interpretationen aus der mystischen Innenschau anführen, die aber durch ihre symbolische Vielfalt und Akzentuierung eher verwirren als Klarheit schaffen könnten. In der kürzesten Form ließen sich die Grundlagen der islamischen Mystik wie folgt formulieren: Die Quintessenz all der Bemühungen der islamischen Mystiker ist der Versuch, in immer neuen Formulierungen die überwältigende Wahrheit auszudrücken, daß es keinen Gott außer Gott (arab.: Allah) gibt, und zu realisieren, daß nur Er allein das Objekt der Anbetung sein kann. Dies geschieht im vollen Vertrauen auf die koranische Offenbarung und in der Verehrung des Propheten Muhammed. Das Erscheinungsspektrum der Mystiker ist breit gefächert und spiegelt gleichzeitig die verschiedenen Haltungen der Muslime zur Welt wider: Wir finden unter ihnen weltfeindliche Asketen und aktive Kämpfer für Ruhm und Tradition des Glaubens, wir finden strenge Prediger der Reue und enthusiastische Sänger, die preisende Hymnen auf Gottes ewige Gnade anstimmen, wir finden aber auch Erbauer komplizierter theosophischer Systeme und Liebende, die verzückt sind von der ewigen Schönheit. Und doch haben sie alle im Grunde das gleiche Ziel. III Entstehung und Entwicklung der islamischen Mystik Die allerersten Spuren der islamischen Mystik, die Vorläufer der Mystiker, fanden sich bereits zu Zeiten des Propheten Muhammed (st. 632) und seiner Gefährten im 7. Jahrhundert. Das Anliegen dieser Menschen ging weiter, als nur die religiösen Bräuche und Pflichten zu erfüllen. Sie konzentrierten sich vielmehr auf das seelische Befinden bei der Ausübung des religiösen Lebens. Sie versuchten, diese innerlichen Erlebnisse in einen Einklang mit den äußerlichen kultisch-rituellen Handlungen zu bringen. Als Mittel dienten ihnen Weltabkehr und Askese. Die islamische Mystik gründet, vereinfacht dargestellt, auf diese asketische Tradition, die die erste Generation der Muslime gepflegt hat. Später kommen noch zwei wichtige Elemente hinzu, die rückblickend betrachtet, die Übergangsstufe von der Askese dieser Vorfahren zur eigentlichem mystischen Suche bildete: nämlich Gottesfurcht und Gottvertrauen. Beide Haltungen tragen dazu bei, die Nähe Gottes erfahrbar zu machen. Gottesfurcht, durch die Abkehr vom Bösen und Gottvertrauen, durch das zuversichtliche Warten auf das Wirken der göttlichen Zuneigung. Auf diese Punkte wird im Abschnitt über den mystischen Pfad noch ausführlicher eingegangen. Die islamische Mystik führt also ihre Wurzeln in die Entstehungszeit des Islam und bezieht sich dabei insbesondere auf den Propheten Muhammed selbst. Ihre ursprüngliche und immerwährende Inspiration gewinnt diese Mystik aus dem göttlichen Wort, wie es im Koran geoffenbart wird. Nach islamischer Auffassung enthält der Koran das unerschaffene, transzendente Wort Gottes, das gleichewig mit Ihm ist. Somit wird der Koran eigentlich zum einzigen Medium, durch das der Mensch Ihn, also Gott, erkennen kann. Die Worte des Koran haben den Eckstein und die Basis für alle mystischen Lehren gebildet. In Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefund diesem heiligen Buch fanden die Sufis die verschiedenen Stadien der menschlichen Seele aufgezeichnet, die sich bis zur „Seele, die in Frieden mit Gott lebt“ erheben. In ihm erfuhren sie auch etwas von der Nähe des Menschen zu Gott, denn im Koran steht, daß „Gott dem Menschen näher ist als seine Halsschlagader“ (Sure 50, Vers 16). Auch war die Meditation des Korans ein wichtiges Mittel, den Geist in einen mystischen Zustand zu versetzen, nämlich durch rhythmische Rezitation in klangvollen Tonfolgen (dhikr / Gottesgedenken). Wie ausgeführt, führt die islamische Mystik ihre Ursprünge auf Muhammed zurück. Dieser wird im Koran als illiterat beschrieben. Dieses Eigenschaft steht im Mittelpunkt der islamischen Frömmigkeit, denn dadurch daß der Prophet Analphabet gewesen ist, also nicht befleckt durch Wissen, konnte das göttliche Wort, das durch ihn gesandt wurde, in völliger Reinheit bewahrt werden. Für die Mystiker ist Muhammed das erste Glied in der geistigen Kette und seine Himmelsfahrt (miradsch), die im Koran und in Legenden überliefert ist, gilt für sie als das Prototyp des geistigen Aufstiegs in die unmittelbare Nähe Gottes. Nach seinem Tode erreichte die Verehrung des Propheten bald mythische Dimensionen und gipfelte in dem Bild des vollkommenen Menschen (insan-i kamil). Jede Strömung innerhalb des Islam, so natürlich auch innerhalb der Mystik, stützte sich auf gewisse prophetische Traditionen, die in Form von Überlieferungen (hadithe) erhalten sind und als die wichtigste Quelle nach dem Koran betrachtet werden. IV Außerislamische Einflüsse Die Entwicklung der islamische Mystik wurde auch durch außerislamische Einflüsse gefördert und in machen Punkten sogar entscheidend geprägt. Zu diesen Einflüssen zählen insbesondere die christliche und neuplatonische, aber auch persische und die indische bzw. die buddhistische. Nachweislich sind die christlichen Einflüsse am größten, denn die Christen waren die wichtigste Gruppe, mit der die frühen Muslime Kontakt hatten. Im Koran finden wir Passagen, in denen das echte christliche Mönchtum als ein Kennzeichen der Jünger Jesu Christi betrachtet wird. Die bußfertige Askese dieser Mönche wird im Koran mit Lob erwähnt, so daß gesagt werden kann, daß das Ideal der frommen Menschen in den christlichen Mönchen verwirklicht zu sein scheint. Aus einigen Quellen ist bekannt, daß nach der Eroberung christlicher Gebiete durch den Islam Gespräche zwischen Muslimen und Mönchen stattgefunden haben, in denen die Muslime nach dem Ziel und den Methoden asketischen Lebens fragten und auch um Unterweisung baten. Die Begegnung mit einem christlichen Asketen oder einem weisen Mönch ist ein Element, das in vielen Legenden der Frühzeit der islamischen Mystik erscheint. Meist erklärt solch eine Gestalt dem Sucher gewisse mystische Wahrheiten. In den Schriften der islamischen Mystiker aus dieser frühen Periode finden sich auch Beschreibungen des asketischen Lebens Jesu. Jesus ist in den Offenbarungen des Koran der letzte Prophet vor Muhammed. Er war für die muslimischen Gottsucher auch ein großes Vorbild. Für sie galt er als der ideale Asket und als der wahre Gottliebende, an dem sie Eigenschaften wie Demut, Frieden und Barmherzigkeit bewunderten. Jesus hat im Sufismus noch immer seinen Platz als großer „Arzt der Herzen“. Doch an dieser Stelle sei deutlich angemerkt, daß die Vereinnahmung Jesu als Vorbild unter einem islamischen Vorzeichen erfolgte. Die Sufis sahen Jesus im Lichte der koranischen Lehre und „islamisierten“ sein Bild. So wie der Koran beispielsweise die Gottessohnschaft Jesu ablehnte, so hat auch die mystische Lehre von ihm nur das aufgenommen, was als mit dem Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefund islamischen Glauben vereinbar schien. Aber: Auch wenn der Einfluß außerislamischer Vorbilder und Vorstellungen auf die islamische Mystik auszumachen sind, so bleibt diese Mystik doch unverkennbar islamisch! Denn sie weist einen deutlichen Bezug zum Koran und zum islamischen Frömmigkeitsbild auf. Sie ist auf der Grundlage von Vorstellungen und Verhaltensweisen gewachsen, die der Islam geformt hat. Durch ihren Ausgangspunkt und ihre eigene spezifische Prägung ist diese Mystik in erster Linie die Mystik des Islam. V Der Pfad des Mystikers In allen Religionen haben die Mystiker die verschiedenen Stufen und Schritte, die zu Gott führen, gern mit dem Bild des Weges beschrieben, so auch die islamischen Mystiker. Der Weg, die tariqa, auf dem der Mystiker wandert, wird von ihnen beschrieben als der Pfad, der von der shari'a, dem religiösem Gesetz kommt. Mit anderen Worten: Die Sufis hielten den Pfad der mystischen Erziehung für eine Abzweigung von jener „Hauptstraße“, die aus dem gottgegebenen Gesetz besteht, also eine „Hauptstraße“, auf der jeder Muslim wandern muß. Der Pfad, die tariqa, ist eng und schwierig zu begehen. Er wird den angehenden Mystiker durch viele verschiedene Stationen führen, bis dieser vielleicht am Ende einer mehr oder minder langen Zeit sein letztes Ziel, das vollkommene tauhid erreicht, das wesenhafte Bekenntnis, daß Gott Einer ist. Und man erwartete von dem Mystiker, daß er die Verpflichtungen und Erfordernisse, die mit jeder Entwicklungsstufe bzw. -station zusammenhängen, vollständig erfüllt, bevor er sich den nächstfolgenden Stufen zuwendet. Die Stationen, die der Sufi auf seinem Weg, dem mystischen Pfad, durchlaufen muß, sind vielfach unterteilt und geprägt von vielen Nuancen. Die Vorliebe der Sufis bestand darin, alle Phasen und Zustände überwiegend in drei Stufen zu differenzieren, diese Unterteilungen dann auch noch in drei weitere Grade zu charakterisieren, so daß wir sehr viele fein abgestufte Stadien vorfinden. Es wurden auch viele und lang andauernde Diskussionen über diverse Definitionen geführt, beispielsweise über die von Zustand und Station. Ganze Handbücher widmeten sich der Nomenklatura der Begriffsbestimmungen und der mystischen Phasen. Was im folgenden Teil dieses Beitrags skizziert wird, ist gewissermaßen nur eine grobe Struktur, eine Kette von Anhaltspunkten, die zwar völlig richtig ist, die jedoch viele Feinheiten herausläßt. In den Handbüchern der islamischen Mystik tauchen als Hauptschritte immer wieder folgende auf: Reue, Gottvertrauen und Armut, die dann zu Zufriedenheit, zu den verschiedenen Graden der Liebe oder zur Erkenntnis führen werden. Der Pfad wird beschritten mit Hilfe eines Scheichs, eines Meisters, dessen Schüler der angehende Mystiker wird. Der Scheich leitet ihn durch die verschiedenen Stationen und zeigt ihm den Weg zum Ziel. Er begleitet und kontrolliert laufend die Fortschritte und das seelische Wachstum seines Schülers. Dem Scheich, persisch pir genannt, wurde fast unbegrenzte Autorität gegeben, denn seine Funktion als Führer auf dem mystischen Pfad war bedeutend. Es heißt nicht umsonst: „Wer ohne Führer reist, braucht 200 Jahre für eine Reise von zwei Tagen“ oder „Ja, man könnte alle Lehrbücher 1000 Jahre lang lesen - ohne einen Führer würde man nichts erreichen“ (Yunus Emre, st. 1240). Die Station der Reue Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefund Die erste Station des Schülers, des murid, auf dem Pfad ist Reue (tauba). Reue bedeutet, sich von den Sünden abzuwenden und von allem Weltlichen abzukehren. Hierzu gehört auf den ersten Stufen des eingeschlagenen Pfades, daß der angehende Sufi sich in Abstinenz und Enthaltsamkeit, die von Gottesfurcht erzeugt wird, und in Entsagung übt. Dieser letzte Ausdruck bedeutete in letzter Stufe, daß man schließlich alles aufgibt, was das Herz von Gott ablenkt. Das Vorwärtskommen auf dem mystischen Pfad, das von Reue und Enthaltsamkeit eingeleitet wird, besteht aus dem ständigen Kampf gegen die nafs, die Triebseele, also die niederen Triebe oder das, was wir im biblischen Sinne als Fleisch übersetzen können. Die nafs ist die Ursache für tadelnswerte Handlungen, Sünden und niedere Eigenschaften, und der Kampf mit ihr wird als der „größere Heilige Krieg“ bezeichnet. Die Hauptpflicht des Schülers ist es, den Wünschen und den Begierden der nafs entgegenzuhandeln und sie von ihren negativen Qualitäten zu reinigen. Mit der Beschreibung der nafs, also der niederen Triebe, sind ganze Bücher gefüllt worden, die Heiligenlegenden sind voll von Geschichten, über die Art und Weise, wie die Meister ihre Lüste zähmten und wie sie bestraft wurden, wenn ihnen das nicht gelang. Nafs wurde auch mit sehr vielen Tierbildern gleichgesetzt, beispielsweise mit einem widerspenstigen Kamel oder einem störrischen Pferd oder Maulesel. Die nafs zeigte sich nicht nur in der gröberen Form sinnlicher Lüste, sondern auch unter der Verkleidung von Heuchelei und falscher Frömmigkeit, die man sorgfältig beobachten und dann ausrotten mußte. Das Hauptmittel, um die nafs zu erziehen, waren und sind noch Fasten und Schlaflosigkeit. Hiervon führt auch eine alte Redensart, daß die drei wichtigsten Elemente der Sufi-Erziehung „wenig Essen, wenig Schlaf, wenig Reden“ sind. Die ersten islamischen Asketen sind auch als diejenigen bezeichnet worden, „die ihre Nächte aufrecht im Gebet zubringen und am Tage ständig fasten.“ Die Station des Gottvertrauens Eine der wichtigsten Stationen auf dem Pfad des Mystikers ist tawakkul, vollkommenes Gottvertrauen. Ein zentraler Aspekt beim Gottvertrauen ist für den Mystiker das völlige Sichauf-Gott-verlassen. Hierbei geht es um den festen Glauben an die allumfassende Vorsehung Gottes, der sämtliche Geschicke der Menschen lenkt, denn Gott in Seiner Absolutheit ist der einzig Handelnde. Der Mensch kann daher keine bessere Haltung einnehmen als das totale Vertrauen in die Betreuung des barmherzigen Gotttes, als das völlige Vertrauen in seine allumfassende Macht. Ein Mensch, der sich so völlig und ausschließlich auf Gott verläßt, erlangt den inneren Frieden, die unerschütterliche Ruhe des Herzens, die zufriedene Gelassenheit. In seiner so gewonnenen Geduld und Standhaftigkeit manifestiert sich die wahre Hingabe in den Willen Gottes. Im realen und praktischen Leben drückt sich diese Haltung an Punkten wie beispielsweise in Gleichgültigkeit gegenüber Gefahr, Verzicht auf Reichtum, Standhaftigkeit bei Schicksalschlägen aus Wie wichtig das Problem, besser gesagt, der Aspekt des tawakkul für das Denken und Handeln der Sufis ist, wird aus der Tatsache deutlich, daß in vielen Handbüchern dieser Frage viel Raum gegeben wird, mehr als über einen anderen Aspekt der islamischen Mystik. In dem frühesten Standardwerk der Mystik, in Abu Talib al-Makkis (st. 996 in Bagdad) „Qut al-Qulub“ („Die Nahrung des Herzens“) sind das beispielsweise 60 Seiten im Großformat. Die Haltung der Armut Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefund Die zentrale Haltung im Leben des islamischen Mystikers ist faqr, die Armut. Die Wurzeln dieses Begriffs im mystische Sinne gehen auf den Propheten Muhammed zurück, dessen Attribut die Armut gewesen ist, aber angefüllt mit dem ewig reichen, sich selbst genügenden Gott. Von Muhammed wird auch der Ausspruch überliefert: „Meine Armut ist mein Stolz“ (arab.: faqri fakhri) Die Sufis hielten äußerliche Armut für eine notwendige Station am Anfang des Pfades und versuchten, sie so lange wie möglich in ihrem Leben zu bewahren. Wir kennen Geschichten über Mystiker, in denen oftmals die Strohmatte, auf der er schlief, als sein einziger weltlicher Besitz beschrieben werden. Diese Strohmatte wurde später in der mystischen persischen Dichtung ein Symbol geistigen Reichtums. Armut im geistigen Sinne bedeutete das Fehlen jedweden Begehrens nach Reichtum, was auch die Segnungen des Jenseits mit einschließt. Wenn der Mensch nichts für sich in dieser und der nächsten Welt wünscht, dann kann man ihn einen echten faqir nennen. Denn etwas zu besitzen heißt, davon besessen zu sein. Der wahre faqir aber sollte nichts besitzen und von nichts besessen sein. Er braucht nur Gott, sonst nichts. Die Station der Geduld Eine weitere, oft beschriebene Station des Mystikers auf seinem Pfad ist sabr, die Geduld, die im Koran auch als die Haltung Hiobs beschrieben wird. In der Sure 2 heißt es: „Und Gott ist mit den Geduldigen“ (Sure 2, Vers 103 u. a.). Etwas poetischer bringt es der Bagdader Mystiker Ibn Asad al-Muhasibi (st. 857): „Geduld heißt, vor den Pfeilen des göttlichen Geschicks unbeweglich zu bleiben.“ Manche andere sagten statt „göttliches Geschick“ auch „Heimsuchungen“, doch der Sinn bleibt derselbe: vollkommene Geduld bedeutet, zu akzeptieren, was immer von Gott kommt, auch die härtesten Schicksalsschläge. Entsprechend ihrer weiter oben erwähnten Tendenz, Stationen und Zustände zu klassifizieren, haben die Sufis alle bisher aufgeführten Stationen und Haltungen mehrfach unterteilt, so auch die Geduldigen in drei Gruppen: Da sind der mutasabbir, „der versucht, geduldig zu sein“, der sabir, „der in Heimsuchungen geduldig ist“ und schließlich der sabur, „der unter allen Umständen geduldig ist“. Zum Abschluß noch ein Ausspruch von Maulana Abdur Rahman Jami aus Herat (st. 1492): „Bei Gottes Befehlen Geduld zu zeigen, ist vorzüglicher als Fasten und Gebet.“ Die Station der Dankbarkeit Auf dem beschwerlichen Weg des Mystikers ist Geduld ein wichtiger Meilenstein, doch wenn man die Station der Dankbarkeit (shukr) erreicht hat, ist man schon mit göttlicher Gnade gesegnet. Auch hier gibt es verschiedene Stufen: Dankbarkeit für die Gabe, Dankbarkeit für das Nicht-Geben und Dankbarkeit für die Fähigkeit zu danken. Denn wenn der normale Mensch Lob verdient, wenn er seine Dankbarkeit beim Empfang einer Gabe zum Ausdruck bringt, so sollte der Sufi auch dann dankbar sein, wenn sein Wunsch nicht erfüllt oder seine Hoffnung zuschanden geworden ist. In der mystischen Literatur des Islam gibt es so manche Geschichte, in der der höhere geistige Rang derjenigen gerühmt wird, die Dank aussprechen, selbst wenn sie alles entbehren und nichts haben. Diese Geschichten erinnern an das Gebet Hiobs, des großen Modells der Geduld in christlicher und muslimischer Überlieferung: „Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen - gelobt sei der Name des Herrn.“ Auf der höchsten Stufe verstanden die Mystiker, daß selbst die Fähigkeit zu danken eine Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefund göttliche Gabe ist und nicht ein menschlicher Akt. Deshalb muß man „für die Dankbarkeit dankbar sein“, wie es der große Liebesmystiker Irans, Ruzbihan Baqli (st. 1209) ausdrückte. Die Station der Zufriedenheit Dankbarkeit steht in Beziehung zu einer anderen Station des mystischen Pfads, der Zufriedenheit (ridâ). Das meint nicht ein geduldiges Ertragen und Erleiden aller Wechselfälle des Lebens, sondern glücklich sein in Armut und Heimsuchung. „Rida ist die Freude des Herzens während der Bitterkeit des göttlichen Ratschlusses“, sagt der bereits zitierte Mystiker Dhu'n Nun (st. 859). Im vollkommenen rida, der Zufriedenheit, sollte der Mystiker nicht daran denken, ob Gott seine Ergebung und seine Zufriedenheit angenommen hat oder nicht, vielmehr sollte er jeden göttlichen Ratschluß, - egal ob Zorn oder Gnade, - mit Gleichmut und Freude akzeptieren. Diese innere Freude und Zufriedenheit, diese völlige Übereinstimmung mit Gottes Ratschlüssen verwandelt den Bettler in einen König und öffnet den Weg zu einer Teilnahme am göttlichen Willen, zur Liebe und schließlich zum höheren Glauben an die Vorherbestimmung. Die Stationen der mystische Liebe und Gotteserkenntnis Die letzten Stationen auf dem mystischen Pfad sind Liebe (mahabba) und Erkenntnis (ma'rifa). Die Liebe ist eines der Hauptwege, die den Mystiker zu der Gotteserkenntnis führt. Sie kann den Mystiker zur affektiven Erkenntnis führen, wenn sie sich einzig und ausschließlich auf Gott fixiert, so daß er der Einswerdung mit Gott (mit anderen Worten: der Entwerdung) sehr nahe kommt. Auch bei der Liebe haben die Sufis verschiedene Aspekt erwähnt, so beispielsweise die Vertrautheit (uns), die Nähe (qurb), und die Sehnsucht (shauq). Später erfanden sie ein kompliziertes System der Grade von „Nähe“. Aber trotz dieser vielen Differenzierungen und Unterteilungen, ist es ganz unmöglich, mystische Liebe zu beschreiben. Ein Ausspruch von Sumnum ibn Hamza (st. um 900), mit dem Beinamen der Liebende (al-Muhibb), bringt es auf den Punkt: „Man kann etwas nur erklären, das subtiler ist als es selbst. Es gibt aber nichts, was subtiler ist als die Liebe - wie also kann man sie erklären?“ Wenn wir von Gotteserkenntnis sprechen, so müssen wir zwischen zwei Stufen dieser Erkenntnis unterscheiden. Die erste Stufe ist die Erkenntnis des Glaubens. Diese Stufe ist grundsätzlich jedem Menschen zugänglich, aufgrund der Offenbarungen vor allem den Gläubigen. Durch die Erkenntnis des Glaubens bezeugt der Mensch die Wahrheit Gottes, doch er kennt ihn nicht direkt und intuitiv; er erreicht Gott nicht direkt. Diese intuitive und affektive Gotteserkenntnis ist die zweite Stufe. Sie ist es, die der Mystiker begehrt und von der im folgenden die Rede sein wird. Der Mystiker versucht, Gott direkt zu erreichen und zur Erkenntnis seines verborgenen Wesens vorzustoßen, deswegen hat er sich auf diesen beschwerlichen Pfad begeben. Wie gelingt ihm dies? Bei der Beantwortung dieser Frage kommen wir zum wichtigsten Begriff auf dem Pfad des Mystikers, zu fanâ, der Entwerdung. Fanâ ist ein ethischer Begriff, und heißt, daß der Mensch seinen Eigenschaften entwird, indem er Gottes Eigenschaften annimmt. Diese intuitive und affektive Gotteserkenntnis gelingt dem Sufi auf dem Weg der totale Konzentration auf Gott, also auf dem Wege der vollkommenen Entwerdung des Menschen und das Aufgehen in Gott. Der Mystiker beseitigt alles, was zwischen ihm und Gott liegt, die Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefund Menschen, die Umwelt, sein eigenes Wünschen und Denken. Er kann mit diesem Entwerden bis zum verborgenen Geheimnis des göttlichen Wesens vordringen und Gott direkt erkennen. Letztendlich verliert sich der Mystiker in die Kontemplation der Herrlichkeit Gottes, und sein Herz wird von der Erkenntnis Gottes erfüllt. Der Gipfel der Gotteserkenntnis mündet im tauhid, nämlich darin „Gott als Einen zu erklären“. Die Einheitserklärung Gottes (Gottes Einzigkeit) ist das Ziel des religiösen Lebens für den Muslim im allgemeinen und für den Mystiker im besonderen. Hier ist für den Mystiker das Ziel erreicht. Die alles durchdringende Gegenwart Gottes, wie der Mystiker sie am Ende seines Pfades erfährt, heißt, daß nichts die Seele des Mystikers beschäftigen soll außer Gott. Dieser Zustand wurde oft mit dem Satz ausgedrückt: „Ich sehe nichts, wo ich nicht Gott vor ihm, nach ihm, mit ihm und in ihm gesehen habe.“ Der Weg zu dieser inneren Vereinigung mit Gott wurde von Maulana Jalaluddin Rumi mit folgender kurzen Erzählung bildlich dargestellt: Jemand (der Mystiker) pochte an das Tor des Vielgeliebten (Gott), und eine Stimme im Innern fragte: „Wer ist da?“ - „Ich bin es“, antwortete er. Und die Stimme erwiderte: „In diesem Haus ist nicht Raum für mich und dich.“ Und das Tor blieb geschlossen. Da ging der Gläubige in die Wüste, fastete und betete in der Stille. Ein Jahr danach schlug er von neuem ans Tor, und die Stimme fragte wieder: „Wer ist da?“ Der Gläubige antwortete: „Du bist es.“ Da öffnete sich das Tor. Abschließend noch eine kleine Anmerkung: In seinen Bemühungen, zu Gottes innerem Wesen vorzustoßen, erlebt der Mystiker seelische und geistliche Zustände, Visionen, die ihm eine unsagbare Nähe zu Gott beinhalten. Doch diese Erlebnisse und Visionen sind noch nicht Gott, sondern nur Erlebnisse des Mystiker selbst, die ihm Gott schenkt, um ihn bei der weiteren Suche zu ermutigen. Das eigentliche Wesen Gottes bleibt stets jenseits aller menschlicher Erfahrungen und Erlebnisse VI Konflikte zwischen der Orthodoxie und den Mystikern Zum Charakter des Konflikts Bereits in den Anfängen der islamischen Mystik machten sich antigesellschaftliche und antistaatliche Tendenzen bemerkbar. Die Vertreter der asketischen und nach Verinnerlichung strebenden Strömungen versuchten, ein gefühlsbetontes Verhältnis zu Gott zu schaffen und verurteilen manche Aspekte der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung in der jungen islamischen Welt. Durch die Eroberungen des 7. und 8. Jahrhunderts griffen Verweltlichung, Wohlstand und Luxus um sich, die von ihnen verworfen wurden. Die ständige Ausweitung des islamischen Reichs ließen die Frommen, zu ihnen gehörten ja die Mystiker damals, über die Diskrepanz nachdenken, die zwischen den eschatologischen Drohungen der frühen Offenbarungen im Koran vorherrschten, und den Bestrebungen der herrschenden Klasse, durch immer neue Eroberungen den islamischen Bereich auszudehnen. Hinzu kam noch, daß die Omayyaden, die Dynastie der 14 Kalifen, die von 661 bis 749 n. Chr. herrschte und die das Amt des Kalifen erblich machte, keineswegs den Idealen der Frömmigkeit entsprachen und daher wegen ihrer auf Weltlichkeit fixierten Haltung von den Frommen angeklagt wurden. Soweit zur Frühzeit der islamische Mystik. Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefund Die hier angedeuteten Spannung zwischen der islamischen Orthodoxie und den Mystikern nahmen stetig zu und erhielten einen ersten tragischen Höhepunkt im Jahre 922. In jenem Jahr wurde der Mystiker Husain Ibn Mansur al-Halladsch hingerichtet, der behauptete, wahre Einigung mit seinem göttlichen Geliebten erlangt zu haben. Er hatte die Herrschenden seiner Zeit mit seinen Aussagen ungemein provoziert, insbesondere mit seinem seit Jahrhunderten hindurch zitierten Ausspruch: „Ana'l Haqq“ („Ich bin die absolute Wahrheit“, interpretiert als: „Ich bin Gott“). Der Konflikt zwischen der Orthodoxie und den Mystikern beruhte auf politischen, sozialen und religiösen Gründen. Weil dieser Konflikt einen immerwährenden Aspekt in der Geschichte des Sufismus darstellt, der von seinen Anfängen bis zum heutigen Tage anhält, soll er hier etwas ausführlicher behandeln. Politische Gründe für den Konflikt Die regierende Schicht warf den Mystikern vor, die oppositionellen Kräfte, die Häretiker und die schiitischen Minderheiten zu unterstützen. In der Tat geschah dies in der islamischen Geschichte so manches Mal. Sie reicht von der propagandistischen Unterstützung des Sufi-Ordens in Ardabil, die im Jahre 1502 zum Sieg Schah Ismails aus Iran gegen das Osmanische Reich führte, bis hin zu den Aufständen der Janitscharen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Istanbul, die den osmanischen Hof gefährdeten. Darüberhinaus nahmen die Herrschenden es den Mystiker übel, daß sie die laschen Lebensgewohnheiten der oberen Gesellschaftsschichten derart anprangerten und sich mehr der Lebensweise der armen Leute zuwandten. Wir haben bereits erfahren, daß Armut eines der wichtigen Stadien ist, auf dem Pfad des Mystikers. Die Mystiker wiederum kritisierten die offizielle Religionslehre der Herrschenden und warfen ihnen vor, die Führung der Glaubensgemeinde nicht wirkungsvoll zu gestalten und sich nur den formaltechnischen Rechtsfragen zu widmen, anstatt den Gläubigen Hilfestellungen für ihr Streben nach Gotteserkenntnis zu geben. Sie wandten sich auch gegen die Rechtsgelehrten und Theologen und mit ihnen gegen die legalistische Gelehrsamkeit und argumentierten, daß man wahre Erkenntnis, also die Erkenntnis des Einen, nicht durch Bücher erreichen könne. An dieser Stelle sei aber angemerkt, daß die Sufis zwar die Buchgelehrsamkeit verdammten, sie selbst aber zu den fruchtbarsten Autoren der islamischen Welt gehören. Zudem muß man festhalten, daß so manche ihrer theoretischen Schriften nicht besser lesbar und lustvoller sind, als die dogmatischen Traktate, die sie in ihrer Poesie so heftig und polemisch angriffen. Religiöse Gründe für den Konflikt Diese Gründe beziehen sich in erster Linie auf die Lehre und die Praxis der Mystiker, die den orthodoxen Rechtsgelehrten des Islam sehr verdächtig schienen. Die Mystiker pflegten einen freien Umgang mit einigen gesetzlichen Bestimmungen, die religiöse Pflichtübungen vorschrieben. Die Erfüllung dieser individuellen kultischen Pflichten, wie beispielsweise das Ritualgebet, wurde zwar von den meisten Mystikern erbracht, doch standen diese für sie nicht im Vordergrund. Ali ibn Uthman Hujwiri (st. 1071) hat die Haltung der frühen Mystiker zu Wissenschaft und Theologie mit seinem treffenden Kommentar gut zum Ausdruck gebracht: „Das Wissen ist riesig und das Leben ist kurz; deshalb ist man nicht verpflichtet, alle Wissenschaften zu lernen, sondern nur so viel, wie für die Befolgung der Religionsgesetze Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefund notwendig ist.“ Die Mystiker vertraten also die Meinung, daß diese religiösen Pflichtübungen von geringem Nutzen und nur für das einfache Volk gut geeignet wären, und zwar als frommer Ausdruck des Gehorsams. Wer hingegen eine wirkliche Liebesbeziehung zu Gott und echte Gotteserkenntnis erlangen wolle, der müsse sich den mystischen Übungen widmen. Mit dieser Haltung zogen die Mystiker die harte Kritik der islamischen Rechtsgelehrten als orthodoxe Vertreter des Glaubens und der Tradition auf sich. Ein Aspekt der Popularität kam noch hinzu: Die Reden der Mystiker riefen beim Volk oftmals größere Resonanz hervor als die Predigten der Gelehrten, was deren Mißtrauen weiter schürte. Der Konflikt verschärfte sich noch, als in späterer Zeit das Volk den verstorbenen Mystikern eine Art Heiligenverehrung widmete. Dies verstieß in eklatanter Weise gegen die orthodoxe islamische Lehre von der Alleinigkeit Gottes als einzigem Objekt der Anbetung und Verehrung. Doch die am heftigsten umstrittenen Lehren der Mystiker beziehen sich auf die Aspekte der Gotteserkenntnis und der Gottesliebe. In den Augen der Mystiker war das Wissen der Gelehrten etwas steriles und stehe auf jeden Fall niedriger als die intuitive Erkenntnis des Mystikers. Diese Erkenntnis komme ja dem Mystiker direkt von Gott, sie befreie ihn von den Fesseln der Welt und bringe eine Gewißheit mit sich, die dem Mystiker als Maßstab diene, um über Wahrheit und Irrtum zu urteilen. Diese Auffassung der Mystiker, die eigene Erfahrung zum Maßstab der Wahrheit zu machen und eine Erkenntnis für sich zu beanspruchen, die das göttliche und unsagbare Wesen Gottes betrachte, wo doch Gott das absolute Geheimnis bleibe, hörte sich für die orthodoxen Gelehrten natürlich wie Ketzerei an. Was den Aspekt der Gottesliebe betraf, die Lehre von einer Liebesbeziehung zwischen dem Gottsuchenden und Gott, so stießen die Mystiker hier auch auf heftigste Kritik. Nach Ansicht der gelehrten Orthodoxie kann es keine Gemeinsamkeiten zwischen dem Schöpfer und seinem Geschöpf geben, zwischen dem Diener und seinem souveränen Herrn. Es gibt keine Liebe der Gleichen zwischen Mensch und Gott, sondern nur eine Liebe der Ungleichen, welche auf Seiten der Gläubigen Gehorsam, Ehrfurcht sowie Hingabe, und auf Seiten Gottes Wohlwollen, Barmherzigkeit und Treue beinhalte. Es gab übrigens auch mystische Strömungen, die dieselbe Haltung vertraten. Hierzu zählte z. B. Muhammed Ibn Da'du (st. 909), der Sohn des Gründers der zahiritischen Rechtsschule, der zu Zeiten von al-Halladsch lebte und gegen ihn agierte. Er und seine Anhänger leugneten sogar die Möglichkeit gegenseitiger Liebe zwischen Gott und Mensch völlig und schlossen jedes menschliche Objekt aus der mystischen Liebe aus. Diese Strömung setzte sich aber nicht auf die Dauer durch. Eine andere Anklage der Orthodoxie, die gegen die Liebestheorien der Sufis vorgebracht wurde, bestand in dem Vorwurf, daß sie manichäische Ideen enthielten. Gott durch Liebe anzubeten, erschien als die Sünde der Manichäer, der Erzketzer, sie sich einbildeten, daß ihre Seelen Partikel des ewig göttlichen Lichts seien. Abschließend müssen noch die zunehmenden Einflüsse der hellenistischen Kultur, der persischen und indischen Spiritualität erwähnt werden, die durch ihre Wirkung in den Augen der Gelehrten die Gefahr einer Entfremdung der Mystik von der islamischen Frömmigkeit befürchten ließen. Abu Hamid Al-Ghazzali (st. 1111), einer der größten Theologen in der Geschichte des Islam und später auch ein Mystiker, unternahm den Versuch, die Mystik mit der Orthodoxie zu versöhnen. Al-Ghazzali wurde oft als der größte Muslim nach Muhammed bezeichnet und galt als einer der Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefund großen Erneuerer des Islam. Mit knapp 40 Jahren brach er nach einem Nervenzusammenbruch seine Karriere als erfolgreicher Professor an der Universität in Bagdad, der wichtigsten überhaupt, ab und wandte sich dem geistigen Leben zu. Mit seinem riesigen Werk zu vielen Themen, zumeist der Theologie und der Philosophie, wurde er zum einflußreichsten Theologen des mittelalterlichen Islam. Er bildete ein fein abgestuftes, aufeinander abgestimmtes System aus den Vorgaben der traditionellen Lehre und den Lehrmeinungen der Mystiker. Manche sagen auch, daß er „eine Hochzeit von Mystik und Gesetz“ vollzogen habe. In seinem Werk unternahm Al-Ghazzali es, die Glaubenswahrheiten zu durchleben und eben diese religiösen Wahrheiten durch die experimentelle Methode der Mystiker zu testen. Als vereinfachtes Fazit Al-Ghazzalis gilt: Glaube und Frömmigkeit einerseits und mystische Erkenntnis andererseits sind verschiedene, aber prinzipiell gleichberechtigte Wege zur Wahrheit.