Finanzmathematik Vorlesung WS 2010/11 Jürgen Dippon 28. März 2011 Inhaltsverzeichnis 1 2 3 4 5 6 7 Einführung 3 1.1 Grundbegrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Put-Call-Parität 1.3 Schranken für Optionen 1.4 Ein-Perioden-Marktmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 11 11 12 Bedingte Erwartungen und Martingale 19 2.1 Bedingte Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2 Martingale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Finanzmärkte in diskreter Zeit 28 3.1 Risikoneutrale Bewerung von Finanzderivaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.2 Vollständige Märkte 31 3.3 Das Cox-Ross-Rubinstein-Modell 3.4 Binomialapproximation 3.5 Bewertung amerikanischer Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Stochastische Prozesse in stetiger Zeit 42 4.1 Grundbegrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4.2 Klassen von Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4.3 Brownsche Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4.4 Das Itô-Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Zeitstetige Finanzmärkte 55 5.1 Risikoneutrale Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 5.2 Das Black-Scholes-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 5.3 Black-Scholes mittels risikoneutraler Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . 63 5.4 Black-Scholes mittels No-Arbitrage-Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 5.5 Die Feynman-Kac-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 5.6 Risikokennziern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 5.7 Hedging-Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5.8 Schätzung der Volatilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Spezielle Derivate 72 6.1 Kreditderivate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6.2 Credit Default Swaps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6.3 Bewertung des CDS 74 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur 75 2 1 Einführung Die klassische Finanzmathematik beschäftigt sich in erster Linie mit grundlegenden Finanzinstrumenten oder Anlageformen (basic securities) • Aktien (stocks) • festverzinsliche Wertpapiere (bonds) • Währungen (foreign exchange) • Rohstoe (commodities) • Energie Die moderne Finanzmathematik untersucht derivative Finanzinstrumente (derivatives, derivative securities, contingent claims), die von einfacheren Finanzinstrumenten (underlyings) abgeleitet werden. Beispiele für Derivate: • Forwards • Futures • Optionen (options, contingent claims) Geschichte • 17. Jahrhundert in den Niederlanden: Put-Optionen auf Tulpen • 18. Jahrhundert in London: Problem kein gesetzlicher Rahmen beim Ausfall eines Vertragspartners • 1930: Gesetzliche Regulierung • 1970: Bedeutende Zunahme von Termingeschäften • 1973: Gründung der Chicago Board Options Exchange • 1990: Deutsche Terminbörse (DTB) nimmt Handel mit Optionen auf • 1998: Fusion der DTB mit der SDFEX (Schweizerische Terminbörse) zur EUREX Wissenschaftliche Untersuchung • 1900: Louis Bachelier modelliert in seiner Dissertation Theorie de la spéculation den Aktienkurs als Brownsche Bewegung • 1965: Paul Samuelson modelliert den Aktienkurs als geometrische Brownsche Bewegung • 1973: Fischer Black und Myron Scholes geben explizite Formeln zur Optionspreisbewertung an unabhängig davon auch Robert Merton • 1981: M. Harrison und S. Pliska führen Martingalmethoden in die Optionspreisbewertung ein • 1997: Ökonomie-Nobelpreis für Scholes und Merton (Black 1995 gestorben) • 2003: Ökonomie-Nobelpreis für Robert F. Engle (ARCH-Zeitreihen) 3 Quantitative Fragen • Bewertung (pricing) von Derivaten • Hedging Strategien für Derivate (Absicherung) • Risikomanagement von Portfolios • Portfoliooptimierung • Modellwahl und Kalibrierung Aktuelle Fragestellungen • Verbesserung der Modellierung der Underlyings: Lévy Prozesse, fraktale Brownsche Bewegung, Sprünge in den Aktienkursen, Insider-Information, stochastische Volatilitäten, . . . • Modellierung des Korrelationsrisikos in groÿen Portfolios • Bewertungsmethoden für hochdimensionale und pfadabhängige Auszahlunsprole in komplexeren Modellen • Modellierung der Marktliquidität und des Ausfallrisikos • Risikomanagement bei extremer Entwicklung von Märkten 1.1 Grundbegrie Finanzinstrumente: • primäre Finanzinstrumente: Basisgüter • sekundäre Finanzinstrumente: Derivate Denition 1.1. Ein Derivat ist ein Finanzinstrument, dessen Wert zum Verfallszeitpunkt T T (expiry date) vom Wert eines einfacheren Finanzinstruments (underlying) zum Zeitpunkt (oder auch vom Werteverlauf bis zum Zeitpunkt T) abhängt. Beispiele für Basisgüter (underlying securities) • Aktien (stocks) • Zinsraten (interest rates) • Währungen (currencies) • Rohstoe (commodities) • Wetter • Indizes wie DAX, Dow Jones, CAT-Index (catastrophe losses) • Firmenwerte (rm values) • Bonitäten (rating) Die Preisentwicklung eines Basisgutes wird üblicherweise mit bezeichnet. 4 S = (St ) = {St | t ≥ 0} Festverzinsliche Wertpapiere Startkapital zum Zeitpunkt annum: Kapital nach t=n t = 0: B0 Bei jährlicher Zinsausschüttung mit Zinsrate r per Jahren Bn(1) = B0 (1 + r)n Zinsausschüttung nach r 1 1 k Jahren und Zinsrate k pro k Jahre: Kapital nach n Jahren r nk Bn(k) = B0 1 + k Bei stetiger Verzinsung mit dem Momentanzins (short rate) r: Kapital nach n Jahren Bn := lim Bn(k) = B0 enr k→∞ Märkte: • Börsen • OTC (Over-the-Counter) Typen von Händlern: • Hedgers versuchen ihre Institution gegen Risiken abzusichern • Spekulanten versuchen durch Wetten Prot zu machen • Arbitrageure versuchen durch simultane Transaktionen auf verschiedenen Märkten Prot aus Kursdierenzen zu ziehen Modellannahmen (perfekter Finanzmarkt) • reibungsloser Markt: keine Transaktionskosten, keine Steuern, keine Einschränkungen für short sales, Kaufs- und Verkaufspreise sind identisch • kein Ausfallrisiko, Soll- und Habenzinsen sind identisch • Wettbewerbsmarkt: der Preis wird vom Markt und nicht von einzelnen Marktteilnehmern festgelegt • Kapitalanlagen sind beliebig teilbar • NO ARBITRAGE!!! Short Selling ist eine Handelsstrategie, bei der der Investor Objekte, z.B. Aktien, die ihm nicht selbst gehören, von einem Partner für eine gewisse Zeit ausleiht, diese verkauft, später wieder zurückkauft und an den Partner zurückgibt. In der Zwischenzeit anfallende Erträge des Objekts (z.B. Dividenden) muss der Investor an den Partner erstatten. Short Selling ist nur dann für den Investor interessant, wenn der Rückkaufswert lich) kleiner als der Verkaufswert S0 St (deut- ist. Short Selling ist in der Praxis zahlreichen Restriktionen unterworfen. Ein Portfolio ist eine Kombination mehrerer Finanzinstrumente, deren Wertentwicklung als Ganzes gesehen wird. Finanzmärkte bieten 5 • risikolose Anlagen (z.B. festverzinsliche Wertpapiere) • risikobehaftete Anlagen (z.B. Aktien) Ein Anleger ist nur bereit, in risikoreichere Anlagen zu investieren, wenn er die Möglichkeit sieht, einen höheren Prot als in risikoärmeren Anlagen zu erzielen. Arbitrage ist die Möglichkeit, ohne Kapitaleinsatz einen risikolosen Prot zu erzielen (formale Denition später). Würde diese Möglichkeit bestehen, so könnte man damit risikolos riesige Geldsummen erwirtschaften. Märkte im Gleichgewicht neutralisieren solche Arbitrage-Möglichkeiten. Es wird sich zeigen, dass die No-Arbitrage-Annahme direkt zu einer Methode zur Bewertung von Derivaten führt. Beispiel eines einfachen Derivates: Denition 1.2 Ein Forward-Kontrakt (Terminkontrakt) vereinbart den Kauf oder Verkauf eines Finanzgutes zu einem festen zukünftigen Zeitpunkt Preis K, T (delivery date) zu einem festen dem sog. Terminkurs (delivery price, strike price). Häug wählt man den Terminkurs tragsabschluss (t = 0) K so, dass der Wert der Forward-Kontraktes bei Ver- den Wert Null hat. Bei dieser Wahl des Terminkurses ist bei Ver- tragsabschluss also nichts zu bezahlen, erst zum Zeitpunkt Bei Vertragsabschluss (t = 0) T. führt der Verkäufer des Kontraktes die beiden folgenden Aktionen durch: • Er nimmt einen Kredit über • Er kauft das Underlying mit diesem Geldbetrag Bei Vertagsablauf (t = T) S0 zur risikofreien Zinsrate r auf führt der Verkäufer des Kontraktes die beiden folgenden Aktio- nen durch: • Er übergibt dem Käufer des Underlying (welches jetzt den Wert Preis von • K = S0 ST besitzt) zum erT . Zur Tilgung des Kredits bezahlt er S0 erT . Damit hat er alle Verbindlichkeiten aufgelöst. Würde der Verkäufer einen Betrag K > S0 erT fordern, könnte er einen risikolosen Gewinn K < S0 erT fordern, könnte der Käufer einen risikolosen einstreichen. Würde der Verkäufer einen Betrag Gewinn einstreichen. Dies würde jeweils der Forderung nach arbitragefreien Preisen zuwiderlaufen. Damit ist der arbitragefreie Terminkurs K = S0 erT Beachte: Es wurden keine Annahmen über die Kursentwicklung von Beispiel: 6 (St ) gemacht! Ein Investor erwirbt am 1. September einen Forward-Kontrakt mit dem Inhalt, in 90 Tagen 106 e zum Umtauschkurs von 0.9 US $ zu kaufen. Falls der Kurs nach Ablauf der 90 Tage auf $, da 106 e dann am Markt für 0.95 · 106 0.95 $ gestiegen ist, gewinnt der Investor 5 · 104 $ verkauft werden können. Hier also t = 1. September T − t = 90 Tage T = 30. November K = 0.9 · 106 $ Pay-o-Prol (Auszahlungsprol) eines Forward-Kontraktes zur Zeit T: payoff long position K ST short position Pay-o eines Forward-Kontraktes zum Laufzeitende T: Pay-o eines Forward-Verkaufskontraktes zum Laufzeitende T: ST − K K − ST Forwards sind nicht standardisiert und bergen das Risiko in sich, dass eine Vertragsseite ausfällt (default risk). Sie werden deshalb an Börsen kaum gehandelt, sondern nur over the counter (OTC). Eine Variante sind Futures, welche in standardisierter Form an Börsen gehandelt werden. Hierbei wird, z.B. täglich, die Wertveränderung des Futures (aufgrund von Wertänderungen des zugrundeliegenden Finanzgutes) zwischen den Vertragsparteien ausgeglichen, so dass der Wert des Futures anschlieÿend wieder gleich Null ist. Unter schwachen Voraussetzungen stimmen Terminkurse (delivery prices) von Forwards und Futures überein. Futures werden z.B. an der CBOT gehandelt. Ein etwas komplizierteres Derivat: Denition 1.3 Eine Option gibt dem Käufer das Recht, ein bestimmtes Finanzgut bis zu einem zukünftigen Verfallszeitpunkt übungspreis K T (expiry, maturity) zu einem vereinbarten Aus- (strike price) zu kaufen oder verkaufen. Der Optionskontrakt beinhaltet im Unterschied zum Forward oder Future jedoch nicht die Picht zur Ausübung. 7 Beim Kaufrecht wird die Option als Call (Kaufoption), beim Verkaufsrecht als Put (Verkaufsoption) bezeichnet. Ist die Ausübung der Option nur zum Verfallszeitpunkt T möglich, so spricht man von einer europäischen Option. Kann die Option jederzeit bis zum Zeitpunt T ausgeübt werden, wird diese amerikanische Option genannt. Der Käufer bendet sich in einer long position, der Verkäufer bendet sich in einer short position. Pay-o einer long position bei einem Call zum Verfallszeitpunkt T payoff K Pay-O Sei ST = (ST − K)+ = max{ST − K, 0} = max{ST , K} − K t ≤ T. S(t) < K : S(t) = K : S(t) > K : die Option ist out of the money die Option ist at the money die Option ist in the money Problem: Wie lautet der faire Preis C0 und P0 für eine Call- bzw. Put-Option? Gewinn (yield) einer long position bei einer Call-Option yield K −C0 8 K+C0 ST Beispiel Markt mit drei Anlagemöglichkeiten: • (risikoloser) Bond B • Aktie S • europäische Call-Option mit Strike Investition zum Zeitpunkt t=0 K=1 mit Preisen (in und Expiry t=T auf die Aktie S e) • B(0) = 1 • S(0) = 1 • C(0) = 0.2 Zum Zeitpunkt t = T soll sich die Welt (der Markt) in nur zwei möglichen Zuständen benden können: u mit Preisen (in d (= up) oder (= down) e) B(T, u) = 1.25, S(T, u) = 1.75, also C(T, u) = 0.75 und B(T, d) = 1.25, S(T, d) = 0.75, Startkapital sei Portfolio also C(T, d) = 0 25 e. A:t=0 Anlage Anzahl Betrag in e Bond 10 10 Aktie 10 10 Call 25 5 25 Portfolio A:t=T Anlage up down Bond 12.5 12.5 Aktie 17.5 7.5 Call Portfolio 18.75 0 48.75 20.0 B:t=0 Anlage Anzahl Betrag in e Bond 11.8 11.8 Aktie 7 7 Call 29 5.8 24.6 Portfolio B:t=T 9 Anlage up down Bond 14.75 14.75 Aktie 12.25 5.25 Call 21.75 0 48.75 20.0 Oensichtlich existiert in diesem Markt eine Arbitrage-Möglichkeit, da Portfolio Portfolio B denselben Gewinn erwirtschaften Portfolio B A und jedoch mit einem geringeren Einsatz! =⇒ Call-Option besitzt falschen Preis! Stelle zum Zeitpunkt t=0 das Dierenzportfolio Portfolio C auf: C := Portfolio B − Portfolio A = (11.8, 7, 29) − (10, 10, 25) = (1.8, −3, 4) Portfolio C zum Zeitpunkt t = 0: Anlage Aktion Bond Kaufe Aktie 1.8 Einheiten Verkaufe 3 geliehene -1.8 Einheiten, welche zum Zeitpunkt 3 t=T wieder zurückgegeben werden Call kaufe 4 Einheiten -0.8 0.4 Dies ergibt zum Zeitpunkt Portfolio C zum Zeitpunkt Anlage Zum Zeitpunkt einen Gewinn von 0.4 e. t=T : Aktion up 1.8 Bond Verkaufe Aktie Kaufe 3 Einheiten zurück Call Zum Zeitpunkt t=0 Einheiten Option ausüben, falls sinnvoll down 2.25 2.25 -5.25 -2.25 3 0 0 0 t = T ist das Portfolio C also ausgeglichen. t = 0 wurde damit ein risikoloser Gewinn von 0.4 e realisiert. Weitere Beobachtung: Mit 1.8 Bonds und 3 Aktien short kann die Wirkung der Call-Option zum Zeitpunkt t = T neutralisiert werden. Man sagt: Die Bond- und die Aktienposition bilden einen Hedge gegen die Position des Calls. Dies gilt unabhängig davon, wie groÿ die Wahrscheinlichkeiten für den Zustand up/down der Welt sind! 10 1.2 Put-Call-Parität Seien St der Spot-Preis einer Aktie, Ct und Pt die Werte von auf der Aktie denierten europäischen Call- bzw. Put-Optionen mit Verfallsdatum Πt T und Ausübungspreis K. bezeichne den Wert eines Portfolios bestehend aus einer Aktie, einem Put und einer short position in einem Call: Πt = St + Pt − Ct Satz 1.1 Aktie St Ct Für europäische Call- und Put-Optionen und Pt auf der zugrunde gelegten (ohne Dividendenzahlung) gilt die Put-Call-Parität Π(t) = St + Pt − Ct = Ke−r(T −t) ∀ 0≤t≤T Beispiel: Aktie der Deutschen Bank (alle Preise in DM) t = 23. Juni 1997, T = 18. Juni 1998, K = 80.00, r = 3.15% p.a. S(t) C(t) P (t) S(t) + P (t) − C(t) Aktie Call Put Diskontierter Strike-Preis: = = = = 97.70 23.30 4.16 78.66 K 80 = = 77.56 1+r 1.0315 Ursachen für Dierenz: Dividendenzahlung vor T, Nachfrageeekte, . . . 1.3 Schranken für Optionen Satz 1.2 Für europäische und amerikanische Call-Optionen gilt: + C(t) ≥ S(t) − e−r(T −t) K ∀ t∈[0,T ] C(t) ≤ S(t) ∀ t∈[0,T ] Satz 1.3 Es ist nicht sinnvoll, eine amerikanische Call-Option vor ihrem Verfallsdatum auszuüben, da ∀ CA (t) = CE (t) t∈[0,T ] Satz 1.4 (i) Für zwei Call-Optionen auf denselben Basiswert, mit demselben Verfallsdatum, aber unterschiedlichen Ausübungspreisen K1 < K2 , gilt für alle (a) CK1 (t) ≥ CK2 (t) (b) CK1 (t) − CK2 (t) ≤ e−r(T −t) (K2 − K1 ) (c) ∀ λ∈[0,1] t ∈ [0, T ] CλK1 +(1−λ)K2 (t) ≤ λCK1 (t) + (1 − λ)CK2 (t) 11 (ii) Für zwei Call-Optionen auf denselben Basiswert, mit demselben Ausübungspreis, aber unterschiedlichen Verfallsdaten T1 und T2 , gilt T1 ≤ T2 =⇒ C(T1 ) ≤ C(T2 ) Satz 1.5 Für amerikanische Optionen gilt die folgende Put-Call-Beziehung: S(t) − K ≤ CA (t) − PA (t) ≤ S(t) − Ke−r(T −t) ∀ t∈[0,T ] 1.4 Ein-Perioden-Marktmodelle 1 Aktie mit Preis 1 Bond mit Preis S0 = 150 B0 = 1 mit Zinsrate Zustand ST BT Aktienpreis Bondpreis r im Zeitraum ω1 mit W p T Zustand ω2 mit W 180 90 1+r 1+r Gesucht: Preis einer europäischen Call-Option mit Verfallsdatum T 1−p und Ausübungspreis K = 150 Auszahlung ( 30 XT (ω) = (ST − K)+ (ω) = 0 Erwartungswert von falls falls ω = ω1 ω = ω2 XT E(XT ) = 30 · p + 0 · (1 − p) = 30p Mögliche Denition des Call-Preises zum Zeitpunkt X0 = E Spezialfall: Für p= 1 2 und r=0 folgt XT 1+r = t=0 30p 1+r X0 = 15 Wir zeigen: Dieser Optionspreis lässt jedoch Arbitrage zu! Dazu konstruieren wir aus Sicht des Käufers der Option ein Portfolio, das Arbitrage zulässt. Zeitpunkt t = 0: Aktion Cash Flow Kaufe die Option zum Preis von 15 1 150 Leihe 3 der Aktie und verkaufe diese zum Preis von 3 Kaufe festverzinsliches Wertpapier zum Preis von 35 (r = 0) Bilanz Zeitpunkt t = T : Zustand ω1 (Wert der Aktie Zustand ST = 180) Option wird ausgeübt Kaufe 1 3 Aktie und Rückgabe Verkauf des Wertpapiers Bilanz ω2 (Wert der Aktie 30 −60 35 5 ST = 90) Option wertlos Kaufe 1 3 Aktie und Rückgabe Verkauf des Wertpapiers 12 −15 50 −35 0 0 −30 35 5 Mit dieser Strategie wäre ein risikoloser Gewinn von 5 Geldeinheiten möglich. Also kann X0 = 15 kein arbitragefreier Preis der Option sein! Aufgabe: Konstruiere aus Sicht der die Option verkaufenden Seite ein Portfolio, bestehend aus • • und Zinsrate a festverzinslicher Wertpapiere (jeweils mit Wert 1 zum Zeitpunkt t = 0 r während der Laufzeit) und einer Anzahl b einer Anzahl von Aktien, welches das Auszahlungsprol (zum Zeitpunkt t = T) der Option repliziert. Bestimme damit den arbitragefreien Wert der Option (zum Zeitpunkt Lösung: Zum Zeitpunkt t = 0). t = 0: a · 1 + b · S0 = X 0 Zum Zeitpunkt t = T: a · (1 + r) + b · ST (ω1 ) = (ST (ω1 ) − K)+ a · (1 + r) + b · ST (ω2 ) = (ST (ω2 ) − K)+ Mit Werten: Zum Zeitpunkt t = 0: a · 1 + b · 150 = X0 Zum Zeitpunkt t = T: a · (1 + r) + b · 90 = 0 (1) a · (1 + r) + b · 180 = 30 (2) Auösen des linearen Gleichungssystems mit den beiden Unbekannten (1) zunächst b · 90 a = − 1+r a und b liefert aus und damit b= also a=− 1 3 30 1+r und X0 = 50 − 30 1+r Man sagt, das o.g. Portfolio repliziert zu jedem Zeitpunkt die Call-Option. Mit dieser Replikationsstrategie kann • der arbitragefreie Preis der Option ermittelt werden • die die Option ausstellende Institution sich gegen Preisrisiken absichern (Hedging) Eine modernere Lösung des Problems besteht in der Anwendung der Methode der risikoneutralen Bewertung: 13 (i) Ersetze p durch p∗ so, dass der diskontierte Aktienpreisprozess ein faires Spiel ist: ∗ S0 = E Hier: Für 150 = r=0 1 1+r folgt (p∗ · 180 + (1 − p∗ ) · 90), p∗ = P ∗ = (p∗ , 1 − p∗ ) ST 1+r also p∗ = 2+5r 3 2 3 ist das zum Aktienpreisprozess risikoneutrale Wahrscheinlichkeits- maÿ (ii) Berechne den fairen Preis der Option bzgl. ∗ X0 := E Für r=0 folgt Xt 1+r E∗ 30p∗ 2 + 5r 30 = 10 = 50 − 1+r 1+r 1+r = X0 = 20 Denition des Ein-Perioden-Modells: Der Finanzmarkt kennt nur die beiden Zeitpunkte t=0 und Es werden t = T. d+1 Finanzgüter gehandelt mit Preisen zu den Zeitpunkten t=0: S0 (0) . . . S(0) = d+1 ∈ R+ Sd (0) t=T : S0 (T ) . . . S(T ) = Rd+1 + -wertige ZV Sd (T ) Si (T ), i ∈ {0, . . . , d}, R+ -wertige Zufallsvariablen auf dem endlichen Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) mit |Ω| = N, F = P(Ω) und P({ω}) > 0 für alle ω ∈ Ω = {ω1 , . . . , ωN } Hier: R+ := [0, ∞) Kauf und Verkauf der Finanzgüter zum Zeitpunkt t = 0 gemäÿ der Handelsstrategie ϕ0 ϕ = ... ∈ Rd+1 ϕd wobei Zum Zeitpunkt t=0 Investition der Summe hS(0), ϕi = d X ϕi Si (0) ∈ R i=0 Zum Zeitpunkt t=T liegt das vom Zufall abhängige Kapital vor: hS(T ), ϕi = d X ϕi Si (T ) i=0 14 reellwertige ZV Denition 1.4 Der (oben denierte) Finanzmarkt lässt eine Arbitrage-Möglichkeit zu, falls es ein Portfolio ϕ ∈ Rd+1 hS(0), ϕi ≤ 0 gibt, so dass die folgende Bedingung gilt: ∀ hS(T, ω), ϕi ≥ 0 und und ω∈Ω Gibt es kein solches ϕ, ∃ hS(T, ω), ϕi > 0 ω∈Ω so heiÿt der Finanzmarkt arbitragefrei. Bemerkung: Falls es im oben denierten Finanzmarkt ein Portfolio hS(0), ϕi < 0 und ϕ ∈ Rd+1 mit ∀ hS(T, ω), ϕi ≥ 0 ω∈Ω gibt, ist ϕ Satz 1.6 eine Arbitrage-Möglichkeit. Der (oben denierte) Finanzmarkt ist genau dann arbitragefrei, falls es einen ψ ∈ RN mit ψi > 0 für alle i ∈ {1, . . . , N } gibt, so dass sogenannten Zustandspreis-Vektor Sψ = S(0), wobei S0 (T, ω1 ) · · · S0 (T, ωN ) . . . S= . . . Sd (T, ω1 ) · · · Sd (T, ωN ) Kurz: Der Markt ist genau dann arbitragefrei, wenn es einen Zustandspreis-Vektor (state price vector, pricing kernel) gibt. ψ Sei Mit ein solcher Zustandspreis-Vektor. ψ0 := N P ψi gilt für qj := i=1 ψj ψ0 ∈ (0, 1] N X qj = 1 j=1 d.h. durch (q1 , . . . , qN ) wird ein Damit W -Maÿ Q auf Ω deniert. N Si (0) X = Si (T, ωj )qj = EQ (Si (T )) ψ0 j=1 Unter Q sind die mit ψ0 standardisierten Preise der Finanzgüter i ∈ {0, . . . , d} deshalb risikoneutral. Ist i ein Finanzgut mit Si (T, ωj ) > 0 j ∈ {1, . . . , N }, so können die Preise der Si (T, ωj ) ausgedrückt werden. Das Finanzgut i für alle anderen Finanzgüter als Vielfaches von wird dann Numéraire gennant. Sei z.B. Finanzgut i=0 ein risikoloser Bond mit ∀ ω∈Ω S0 (T, ω) = 1 Damit 15 N N j=1 j=1 X S0 (0) X = qj S0 (T, ωj ) = qj = 1 ψ0 Ist r die Zinsrate pro Zeiteinheit, dann gilt S0 (0) = ψ0 = (1 + r)−T Damit ergibt sich der Preis von Finanzgut Si (0) = N X qj j=1 i t = 0 zu Si (T ) (1 + r)T zum Zeitpunkt Si (T, ωj ) = EQ (1 + r)T d.h. Si (0) = EQ (1 + r)0 Si (T ) (1 + r)T In der Sprache der Wahrscheinlichkeitstheorie: Der stochastische Prozess Si (t) : t ∈ {0, T } (1 + r)t ist ein Q-Martingal Achtung: Im allgemeinen ist dieser Prozess aber kein Maÿ P, • P ({ω}) > 0 (nach Annahme) und • Q({ω}) > 0 (wie gezeigt) P für ein von Q verschiedenes W- ω∈Ω Da für alle sind P -Martingal welches z.B. die Einschätzung eines Anlegers widerspiegelt. und Q zwei sog. äquivalente Maÿe. Also ist Q Damit: Der Markt ist genau dann arbitragefrei, wenn es ein äquivalentes Martingalmaÿ ein zu P ein äquivalentes Martingalmaÿ. gibt Bewertung eines neu eingeführten Finanzinstrumentes mit vom Zufall abhängigen Auszahlungen δ(T ) zum Zeitpunkt t=T durch δ(0) = EQ mit einem äquivalenten Martingalmaÿ Problem: Der Preis Denition 1.5 δ(0) Q. ist nur eindeutig, falls Q eindeutig. Der (oben denierte) Finanzmarkt heiÿt vollständig, falls es zu jedem Finanzinstrument δ(T ) (das d+1 variable) ein aus den δ(T ) δ(T ) (1 + r)T ist eine auf Ω = {ω1 , . . . , ωN } denierte reellwertige Zufallsϕ ∈ Rd+1 gibt, das Basisinstrumenten bestehendes Portolio repliziert, d.h. falls ∃ ∀ ϕ∈Rd+1 ω∈{ω1 ,...,ωN } d X i=0 16 Si (T, ω)ϕi = δ(T, ω) oder kompakter falls δ(T, ω1 ) . . . S0 ϕ = δ(T) := ∃ ϕ∈Rd+1 δ(T, ωN ) (d + 1) Sd (T, ω1 ) S0 (T, ω1 ) . . . . , . . . , . . S0 (T, ωN ) Sd (T, ωN ) Ein Finanzmarkt ist also genau dann vollständig, wenn die den gesamten RN Vektoren aufspannen. Satz 1.7 Der (oben denierte) Finanzmarkt sei arbitragefrei. Dann ist dieser Markt genau dann vollständig, wenn es einen eindeutigen Zustandspreis-Vektor ψ gibt. Eine Kombination der Sätze 1.6 und 1.7 ergibt: Ein Finanzmarkt ist genau dann vollständig und arbitragefrei, wenn es einen eindeutigen Zustandspreis-Vektor gibt. Probabilistische Interpretation unserer Ergebnisse: • Ein Finanzmarkt ist genau dann arbitragefrei, wenn ein äquivalentes Martingalmaÿ existiert. • Ein arbitragefreier Finanzmarkt ist genau dann vollständig, wenn genau ein äquivalentes Martingalmaÿ existiert. Beispiel: Binäres Einperiodenmodell d+1=2 Ω = {ω1 , ω2 } r=0 Basisinstrumente Raum der möglichen Zustände Zinsrate S0 (0) 1 S(0) = = S1 (0) 150 1 180 S0 (T ) = , S1 (T ) = 1 90 Also S= Zustandspreis-Vektor ψ ∈ R2+ : 1 1 180 90 Sψ = S(0) 1 1 180 90 ψ= 17 1 150 wird (in eindeutiger Weise) gelöst durch ψ= 2/3 1/3 (=⇒ ψ0 = ψ1 + ψ2 = 1) Also existiert (zu jedem nichtdegenerierten W-Maÿ tingalmaÿ Q P) ein eindeutiges äquivalentes Mar- mit Q(ω1 ) = 2 ψ1 = ψ0 3 Q(ω2 ) = und ψ2 1 = ψ0 3 Der oben denierte Finanzmarkt ist vollständig, da zu jedem (neuen) Finanzinstrument δ(T ) mit Zahlungen δ(T, ω1 ) und δ(T, ω2 ) ein replizierendes Portfolio ϕ ∈ R2 S0 ϕ = δ(T ) da die Spalten von Sei δ(T ) S0 den Rd+1 = RN aufspannen. die im letzten Beispiel genannte europäische Call-Option ( 30 δ(T, ω) = (S(T, ω) − K) = 0 + Dann wird durch ϕ0 = −30 und ϕ1 = 1 180 1 90 ϕ0 ϕ1 1 3 (eindeutig) gelöst. 18 = ω = ω1 für ω = ω2 für 30 0 existiert, d.h. 2 Bedingte Erwartungen und Martingale Eine gut lesbare Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie: J. Jacod and P. Protter. Probability Essentials. 2nd Ed. Springer 2004. Eine klassische Einführung in die Martingal-Theorie: D. Williams. Probability with Martingales. Cambridge 1991. Ein schönes Lehrbuch, das einen weiten Bogen von der Maÿtheorie bis zur Stochastischen Analysis schlägt: D. Meintrup, S. Schäer. Stochastik Theorie und Anwendungen. Springer 2005. Etwas anspruchsvoller: J. Wengenroth. Wahrscheinlichkeitstheorie. De Gruyter 2008. A. Klenke. Wahrscheinlichkeitstheorie. 2. Auage, Springer 2008. Im Folgenden sei (Ω, F, P ) immer ein Wahrscheinlichkeitsraum. (Eingeführt durch Andrey Nikolaevich Kolmogorov (1903-1987), Grundbegrie der Wahrscheinlichkeitsrechnung, 1933) 2.1 Bedingte Erwartungen Denition. Seien P und Q σ -Algebra F zwei auf derselben denierte Maÿe. Q heiÿt P- stetig, falls P (A) = 0 =⇒ Q(A) = 0 ∀ A∈F In Zeichen: QP Satz von Radon-Nikodým. endliche Maÿe. Es gilt Funktion f Seien Q P P und Q genau dann, wenn es eine gibt mit ∀ Satz 2.1. Integrierbare σ -Algebra F F -B -messbare denierte nichtnegative Z Q(A) = A∈F eine ZV zwei auf derselben X : (Ω, F, P ) → (R, B). σ -Algebra C ⊂ F . ZV Z : (Ω, F, P ) → (R, B) Z Dann existiert mit folgenden Eigenschaften: ist integrierbar und Z C C -B -messbar (∗) Z X dP = ∀ C∈C f dP A Z dP C 19 (∗∗) Z ist eindeutig bis auf die Äquivalenz = Denition 2.1. Integrierbare ZV P |C -f.ü.. X : (Ω, F, P ) → (R, B). σ -Algebra C ⊂ F . Die ÄquivaZ : (Ω, F, P ) → (R, B) mit (∗) und (∗∗) Äquivalenzklasse heiÿt bedingte Erwartung von X bei lenzklasse (im eben denierten Sinne) der ZVn oder auch ein Repräsentant dieser gegebenem C. E(X | C) In Zeichen: Häug wird ein Repräsentant dieser Äquivalenzklasse als eine Version von E(X | C) be- zeichnet. E(X | C) ist eine Vergröberung von Bemerkung 2.4. X. Geometrische Interpretation des bedingten Erwartungswertes: Es sei L2 (Ω, F, P ) der Hilbertraum der Äquivalenzklassen quadratisch integrierbarer reeller Zufallsvariablen auf • M Es sei (Ω, F, P ) C eine Teil-σ -Algebra von der lineare Teilraum von C -B -messbare • und L2 (Ω, F, P ), F. dessen Elemente als Repräsentanten Zufallsvariablen haben. Man kann zeigen, dass M abgeschlossen ist. b ∈ L2 (Ω, F, P ) mit Repräsentanten X und Y := E(X | C) mit zugehöriger X b . Man kann zeigen, dass Yb die orthogonale Projektion von X b auf Äquivalenzklasse Y 2 M ist und das Proximum (bestapproximierendes Element im Sinne der L (Ω, F, P )b darstellt. Mit anderen Worten: Y := E(X | C) minimiert unter Norm) in M zu X allen C -B -messbaren Zufallsvariablen den Ausdruck Sei E|X − Y |2 • Unter Verwendung eines Stutzungargumentes kann diese Denition auch auf die Klasse der integrierbaren Zufallsvariablen fortgesetzt werden. Beispiele • C = F . . . E(X | C) = X f.s. • C = {∅, Ω} . . . E(X | C) = EX • C = {∅, B, B c , Ω} 0 < P (B) < 1. Z 1 X dP =: E(X | B), ω ∈ B P (B) B (E(X | C))(ω) = Z 1 X dP, ω ∈ B c P (B c ) B c E(X | B) heiÿt bedingter Erwartungswert von Satz 2.2. X, Xi ∀ C∈C X unter der Hypothese σ -Algebra C ⊂ F ; c, α1,2 ∈ R. Z E(X | C)dP = X dP Z a) mit integrierbar; C C b) X=c P-f.s. =⇒ E(X | C) = c f.s. c) X≥0 P-f.s. =⇒ E(X | C) ≥ 0 f.s. d) E(α1 X1 + α2 X2 | C) = α1 E(X1 | C) + α2 E(X2 | C) 20 f.s. B e) X1 ≤ X2 f) X C -B -messbar =⇒ X = E(X | C) g) X g') h) P-f.s. integrierbar, =⇒ E(X1 | C) ≤ E(X2 | C) σ -Algebra C1,2 f.s. Y C -B -messbar, XY X, X 0 integrierbar, XE(X 0 | C) C)E(X 0 | C) f.s. mit f.s. integrierbar integrierbar E(E(X | C1 ) | C2 ) = E(X | C1 ) f.s. E(E(X | C2 ) | C1 ) = E(X | C1 ) f.s. Hier f.s. im Sinne von P |C2 -f.s. bzw. P |C1 -f.s. Denition 2.2. σ -Algebra C ⊂ F . A ∈ F . P (A | C) := E(1A | C) A scheinlichkeit von f.s. =⇒ E(XE(X 0 | C) | C) = E(X | integrierbar C1 ⊂ C2 ⊂ F , X =⇒ E(XY | C) = Y E(X | C) heiÿt bedingte Wahr- σ -Algebra C . bei gegebener Bemerkung 2.1. Zu Denition 2.2. Z P (A | C) dP = P (A ∩ C). ∀ C∈C C Beispiel. C = {∅, B, B c , Ω} mit 0 < P (B) < 1. (P (A | C))(ω) = P (A ∩ B) =: P (A | B), ω ∈ B P (B) P (A ∩ B c ) =: P (A | B c ), ω ∈ B c . P (B c ) Denition 2.3. X : (Ω, F, P ) → (R, B). ZV Y : (Ω, F, P ) → (Ω0 , F 0 ). E(X | Y ) := E(X | Y (F )) [kleinste σ -Algebra in Ω, bzgl. der Y messbar ist . . . F(Y )(⊂ | {z } F)] . . . bedingte Erwartung von X bei gegebenem Y a) Integrierbare ZV −1 0 X : (Ω, F, P ) → (R, B). ZVn Yi : (Ω, F, P ) → (Ω0i , Fi0 ) (i ∈ I) kleinste σ -Algebra in Ω, bzgl. der alle Yi messbar sind b) Integrierbare ZV C(⊂ F) sei die [C = F( ∪ Yi−1 (Fi )) . . . F(Yi , i ∈ I)] i∈I E(X | (Yi )i∈I ) := E(X | C) c) A ∈ F; ZV . . . bedingte Erwartung von . . . bedingte Wahrscheinlichkeit von Bemerkung 2.2. Integrierbare ZV X : (Ω, F, P ) → (R, B). σ -Algebra C in (X −1 (B), C) unabhängig b) ZV F =⇒ E(X | C) = EX Y : (Ω, F, P ) =⇒ (Ω0 , F 0 ) (X, Y ) bei gegebenem Yi , i ∈ I Y : (Ω, F, P ) → (Ω0 , F 0 ). P (A | Y ) := E(1A | Y ) a) X unabhängig =⇒ E(X | Y ) = EX 21 f.s. f.s. A bei gegebenem Y Satz 2.3. ex. Abb. g g X : (Ω, F, P ) → (R, B). g : (Ω , F ) → (R, B) mit E(X | Y ) = g ◦ Y . Integrierbare ZV 0 0 ZV Y : (Ω, F, P ) → (Ω0 , F 0 ). Dann ist die sog. Faktorisierung der bedingten Erwartung. ist eindeutig bis auf die Äquivalenz = PY -f.ü. . Denition 2.4. Integrierbare ZV X : (Ω, F, P ) → (R, B) bzw. A ∈ F . ZV Y : (Ω, F, P ) → (Ω0 , F 0 ). gA eine bis auf Äquivalenz = PY - f.ü. eindeutig bestimmte Faktorisierung von E(X|Y ) bzw. von P (A|Y ). E(X | Y = y) := g(y) . . . bedingte Erwartung von X unter der Hypothese Y = y P (A | Y = y) := gA (y) . . . bed. Wahrscheinlichkeit von A unter der Hypoth. Y = y E(X | Y = ·) = g P (A | Y = ·) = gA Satz 2.4. Integrierbare ZV X : (Ω, F, P ) → (R, B) bzw. A ∈ A. ZV Y : (Ω, F, P ) → (Ω0 , F 0 ) R R a) ∀ 0 E(X | Y = y) PY (dy) = Y −1 (A0 ) X dP , A A0 ∈F 0 R insbesondere Ω0 E(X | Y = y) PY (dy) = EX . R −1 (A0 ) ∩ A) , b) ∀ A0 P (A | Y = y) PY (dy) = P (Y A0 ∈F 0 R insbesondere Ω0 P (A | Y = y) PY (dy) = P (A) . Sei Beispiel. X a) g bzw. bzw. sowie y ∈ Ω0 wie zuvor. Sei mit {y} ∈ F 0 und PY ({y}) > 0. s. Beispiel nach Def. 2.1. P (A | Y = y) = P (A | [Y = y]) | {z } | {z } s. Def. 2.4. s. Beispiel nach Def. 2.2. Satz 2.5. Integrierbare ZV Y E(X | Y = y) = E(X | [Y = y]) | {z } | {z } s. Def. 2.4. b) A ZV X : (Ω, F, P ) → (R, B). Y : (Ω, F) → (Ω0 , F 0 ). a) X=c f.s. =⇒ E(X | Y = ·) = c PY -f.ü. b) X≥0 f.s. =⇒ E(X | Y = ·) ≥ 0 PY -f.ü. c) E(αX1 + βX2 | Y = ·) d) X1 ≤ X2 f.s. = αE(X1 | Y = ·) + βE(X2 | Y = ·) PY -f.ü. =⇒ E(X1 | Y = ·) ≤ E(X2 | Y = ·) PY -f.ü. 2.2 Martingale Denition 2.6. Eine Folge (Xn )n∈N Xn : (Ω, F, P ) → (R, B) heiÿt bei gegebener monoton wachsender Folge (Fn )n∈N von σ -Algebren Fn ⊂ F mit Fn -B Messbarkeit von Xn [wichtiger Fall Fn = F(X1 , . . . , Xn ) (n ∈ N)] a) ein Martingal bzgl. (Fn ), von integrierbaren ZVn wenn ∀ n∈N E(Xn+1 | Fn ) = Xn Z [d.h. ∀ Z Xn+1 dP = ∀ n∈N C∈Fn f.s. C 22 Xn dP ] , C Abbildung 1: P. Lévy und J.L. Doob b) ein Submartingal bzgl. (Fn ), wenn Z ∀ n∈N E(Xn+1 | Fn ) ≥ Xn c) ein Supermartingal bzgl. f.s., d.h. (Fn ), ∀ ∀ n∈N C∈Fn wenn (−Xn ) Z Xn+1 dP ≥ C Xn dP C ein Submartingal bzgl. Die in Denition 2.6 genannte Folge von aufsteigenden (Fn ) ist. σ -Algebren wird auch als Filtration bezeichnet (P.A. Meyer). Bemerkung 2.3. . . . , Xn )). Ein Martingal (Xn ) bzgl. (Fn ) ist auch ein Martingal bzgl. (F(X1 , Entsprechend für Sub-, Supermartingal. Die Herkunft der Bezeichnung Martingal (engl. martingale) ist nicht genau geklärt. • Teil des Zaumzeuges, um die Kopfbewegung des Pferdes zu kontrollieren • Eine Seil, um den Klüverbaum zu verspanen • Ein Wettsystem, bei dem nach einem Verlust der Einsatz verdoppelt wird Der Begri des Martingals im mathematischen Sinne wird J. Ville (1939) zugeschrieben. Paul Lévy (18861971) und Joseph Leo Doob (19112004) lieferten wichtige Beiträge zur Martingal-Theorie. Beispiele für Martingale: 1. Partialsummenfolge P ( ni=1 Vi )n∈N zu einer unabhängigen Folge (Vn )n∈N von inte- grierbaren reellen ZVn mit Erwartungswerten 0. 2. Aktienpreise: Sn = S0 ξ1 · · · ξn mit unabhängigen positiven Zufallsvariablen Eξi = 1. 23 ξi mit 3. Sammeln von Information über eine Zufallsvariable (Williams 1991): Sei fallsvariable mit endlichem erstem Moment und ξ eine Zu- (Fn ) eine Filtration in F . Dann wird durch Mn := E(ξ | Fn ) ein Martingal deniert. Mit den nachfolgend vorgestellten Martingalkonvergenzsätzen kann gezeigt werden, dass Mn → M∞ := E(ξ | F∞ ) wobei S F∞ := σ( ∞ n=1 Fn ) f.s. und in L1 die sogenannte Doomsday-σ -Algebra. Satz 2.6 (Martingalkonvergenzsatz von Doob) X Ist ein L1 -beschränktes Sub- oder Supermartingal, d.h. sup E(|Xn |) < ∞, n so existiert eine Zufallsvariable X∞ mit Xn → X∞ (n → ∞) f.s. Satz 2.7 (Konvergenzsatz für UI-Martingale) (i) (ii) Xn X konvergiert in ist Für ein Martingal X sind äquivalent: L1 L1 -beschränkt und der f.s.-Limes X∞ erfüllt Xn = E(X∞ | Fn ) (iii) X ist gleichgradig integrierbar (uniformly integrable), d.h. lim sup E(|Xn | · 1[|Xn |>K] ) = 0 K→∞ n Denition 2.7. riablen Eine auf einem gemeinsamen W-Raum denierte Familie von Zufallsva- X = {Xi | i ∈ I} mit Indexmenge I heiÿt stochastischer I = {0, 1, . . . , T } oder I = {0, 1, 2, . . .} gewählt. Prozess. Im Folgenden wird häug Denition 2.8. X = (Xn )∞ n=0 Der stochastische Prozess heiÿt zur Filtration (Fn )∞ n=0 adaptiert, falls ∀ n∈N Sei Xn − Xn−1 Xn ist Fn -messbar der zufällige Gewinn pro Einheit des Wetteinsatzes in Spiel n (n ∈ N) in einer Serie von Spielen. Ist X = (Xn ) ein Martingal, d.h. E (Xn − Xn−1 | Fn−1 ) = 0, so kann dieses Spiel als fair bezeichnet werden. Denition 2.9. Ein stochastischer Prozess C = (Cn )n∈N heiÿt vorhersagbar (predictable, previsible), falls Cn ist Fn−1 -messbar 24 für alle n∈N (C0 existiert nicht). Ist Cn der Wetteinsatz in Spiel n, liesslich auf die bis zum Zeitpunkt Gewinn zum Zeitpunkt so ist die Entscheidung über die Höhe von n−1 Cn aussch- verfügbare Information gegründet. n: Cn (Xn − Xn−1 ) Gewinn bis einschlieÿlich Zeitpunkt Yn = n X n: Ck (Xk − Xk−1 ) =: (C • X)n =: C dX 0 k=1 Sinnvoll: n Z (C • X)0 := 0 Klar: Yn − Yn−1 = Cn (Xn − Xn−1 ) Denition 2.10. Der durch C • X = ((C • X)n ) denierte X unter C (D.L. Burkholder). stochastische Prozess heiÿt Martingal-Transformation von Dies ist das diskrete Analogon zum später noch zu denierenden stochastischen Integral R C dX . Satz 2.8. Sei reelle Zahl K C ein beschränkter vorhersagbarer stochastischer Prozess, d.h. es gibt eine mit ein Martingal mit Satz 2.9. |Cn (ω)| ≤ K für (C • X)0 = 0. Eine zur Filtration n alle und alle F = (Fn )n∈N0 ω, und X ein Martingal. Dann ist adaptierte Folge M = (Mn )n∈N0 C •X von Zu- fallsvariablen ist genau dann ein Martingal, wenn für jede beschränkte vorhersagbare Folge H = (Hn )n∈N0 ∀ E n∈N n X ! Hk ∆Mk =0 k=1 Stoppzeiten Denition 2.11 Eine Zufallsvariable T mit Werten in {0, 1, 2, . . . , ∞} heiÿt Stoppzeit, falls [T ≤ n] := {ω | T (ω) ≤ n} ∈ Fn ∀ n∈{0,1,2,··· ,∞} oder äquivalent [T = n] ∈ Fn ∀ n∈{0,1,2,··· ,∞} Eine Stoppzeit kann z.B. dazu verwendet werden zu entscheiden, ob ein Spiel zum Zeitpunkt n abgebrochen oder fortgeführt wird. Hierbei wird nur die Information verwendet, die bis einschlieÿlich Zeitpunkt n vorliegen kann. Wird z.B. beim Verkauf einer Aktie Insiderwissen verwendet, ist die vorgenannte Eigenschaft verletzt. Satz 2.10 (Doob's Optional Sampling Theorem) Sei T ein Supermartingal. Ist T oder X beschränkt, so ist EXT ≤ EX0 Ist X ein Martingal, dann gilt sogar EXT = EX0 25 XT eine Stoppzeit und integrierbar und X = (Xn ) Proposition 2.1 (Xn∧T ). • Stoppen der Folge X = (Xn ) zur (zufälligen) Zeit T : X T := (XnT ) := Dann gilt: Ist (Xn ) adaptiert und T eine Stoppzeit, so ist auch die gestoppte Folge (Xn∧T ) adaptiert. • (Xn ) ein (Super-) Martingal und T eine Stoppzeit, so ist auch (Xn∧T ) ein (Super-)Martingal (Optional Stopping Theorem). Ist die gestoppte Folge Ein faires Spiel bleibt fair, wenn es ohne Vorkenntnis über ein zukünftiges Ereignis gestoppt wird. P Sn := ni=1 Xi mit unabhängigen Zup = 1/2 und Xi = −1 mit W. p = 1/2. Sei Beispiel: Einfache Irrfahrt (simple random walk) Xi , wobei Xi = 1 mit W. T := inf{n | Sn = 1}, d.h., wir hören auf zu fallsvariablen spielen, sobald wir eine Geldeinheit gewonnen haben. Man kann zeigen, dass T eine Stoppzeit E(ST ∧n ) = E(S0 ) = 0 für jedes n. 1 = E(ST ) 6= E(S0 ) = 0 Beachte: S = (Sn ) P (T < ∞) = 1. ist ein Martingal und Mit obiger Proposition: Jedoch: Also kann auf die Beschränktheitsbedingungen in Satz 2.10 nicht gänzlich verzichtet werden! Man kann zeigen, dass weder T noch der Verlust vor dem ersten Netto-Gewinn beschränkt sind. Dieses Spiel kann in der Praxis also nicht realisiert werden! Die Snell-Einhüllende Denition 2.12 Ist X = (Xn )N n=0 eine (endliche) Folge von zur Filtration (Fn ) adaptier- ten Zufallsvariablen, so heiÿt die durch ZN := XN Zn := max{Xn , E(Zn+1 | Fn )} denierte Folge Satz 2.11 die Folge Z = (Zn )N n=0 die Snell-Einhüllende von (Zn ) von (Xn ) ist Zn ≥ Xn für alle n). Die Snell-Einhüllende (Xn ) dominiert (d.h. (n ≤ N ) X. das kleinste Supermartingal, welches Proposition 2.2 T0 := inf{n ≥ 0 | Zn = Xn } ist eine Stoppzeit und die gestoppte Folge T 0 (Zn ) ist ein Martingal. Satz 2.12 Sei Tn,N eine Familie von Stoppzeiten mit Werten in {n, . . . , N }. Dann löst die Stoppzeit T0 das optimale Stoppproblem für X: Z0 = E(XT0 | F0 ) = sup{E(XT | F0 ) | T ∈ T0,N } Sind die Werte von X bis zum Zeitpunkt das optimale Stoppproblem für n bereits bekannt, löst Tn := inf{j ≥ n | Zj = Xj } X: Zn = E(XTn | Fn ) = sup{E(XT | Fn ) | T ∈ Tn,N } 26 Bei der Bewertung von amerikanischen Optionen soll zu dem Zeitpunkt die Option ausgeübt werden, zu dem die erwartete Auszahlung maximal ist. Die beiden letzten Aussagen zeigen, dass T0 bzw. Tn die hierfür optimalen Zeitpunkte liefern bei Verwendung der bis zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Information (ohne Vorgri auf zukünftige Ereignisse). Der folgende Satz zeigt, dass die oben denierte Stoppzeit für (Xt ) T0 die kleinste optimale Stoppzeit ist. Satz 2.13 Eine Stoppzeit T ist genau dann optimal für die Folge (Xt ), falls die beiden folgenden Bedingungen gelten: (i) (ii) XT = ZT ZT ist ein Martingal Satz 2.14 (Doobsche Zerlegung von Submartingalen) Sei (Xn )n∈N ein Submartingal be- (Fn )n∈N von wachsenden σ -Algebren. Dann existieren ein (Mn )n∈N und ein wachsender vorhersagbarer Prozess (An )n∈N (d.h. An+1 ≥ An Fn -messbar) so, dass züglich einer Folge Xn = X0 + Mn + An , für alle n ∈ N. wobei Diese Zerlegung ist f.s. eindeutig. 27 M0 = A0 = 0, Martingal f.s., An+1 3 Finanzmärkte in diskreter Zeit Wir betrachten folgenden Finanzmarkt • (Ω, F, P ) W-Raum mit |Ω| < ∞ • F0 ⊆ F1 ⊆ . . . ⊆ FT ⊆ F • F0 = {∅, Ω}, • M: aufsteigende Folge F von in F enthaltenen σ -Algebren FT = F = P(Ω) P ({ω}) > 0 ∀ ω∈Ω • d + 1 Finanzgüter mit Preisen S0 (t), S1 (t), . . . , Sd (t) zum Zeitpunkt t ∈ {0, 1, . . . , T }, welche Ft -messbare Zufallsvariable seien Dann ist S0 (t) . . . S(t) = Sd (t) ein Ft -messbarer Zufallsvektor mit mit Werten in Rd+1 Denition 3.1. Ein Numéraire ist ein Preisprozess (Xt )t∈{0,1,...,T } Prozess), welcher strikt positiv ist für alle Das mit i = 0 (also ein stochastischer t ∈ {0, 1, . . . , T }. indizierte Finanzinstrument wird als Numéraire verwendet und ist meist eine risikolose Kapitalanlage mit S0 (0) = 1 Ist r der während einer Zeitperiode (t → t + 1) gewährte Zins, so gilt S0 (t) = (1 + r)t Damit denieren wir den Diskont-Faktor Denition 3.2 Eine Rd+1 -wertiger β(t) := 1/S0 (t) Handelsstrategie (oder dynamisches Portfolio) ist ein vorhersagbarer stochastischer Prozess ϕ0 (t) ϕ1 (t) ϕ= . .. ϕd (t) t∈{1,...,T } d.h. eine Folge von ϕi (t) T Zufallsvektoren mit Werten in Rd+1 . ist die Anzahl von Anteilen des Finanzgutes i, basierend auf den Informationen zum t − 1. Die Adjustierung des S0 (t − 1), . . . , Sd (t − 1) statt. Zeitpunkt Preise Denition 3.3. hϕ(1), S(0)i Portfolios fand also kurz nach Bekanntgabe der Der Wert des Portfolios zum Zeitpunkt t ist gegeben durch Vϕ (0) = und Vϕ (t) := hϕ(t), S(t)i = d X ϕi (t)Si (t), t ∈ {1, . . . , T } i=0 Der dadurch denierte stochastische Prozess Vϕ 28 heiÿt Wertprozess der Handelsstrategie ϕ. Vϕ (0) ist das Anfangskapital des Investors. Denition 3.4. Der Zuwachsprozess Gϕ (t) := t X Gϕ der Handelsstrategie hϕ(τ ), S(τ ) − S(τ − 1)i = τ =1 für Sei t X ϕ ist gegeben durch hϕ(τ ), ∆S(τ )i τ =1 t ∈ {1, . . . , T }. e = (1, β(t)S1 (t), . . . , β(t)Sd (t))0 S(t) der auf den Zeitpunkt t=0 abdiskontierte Preis- vektor. Ähnlich: Abdiskontierter Wertprozess e Veϕ (t) = βt hϕ(t), S(t)i = hϕ(t), S(t)i für t ∈ {1, . . . , T }. Abdiskontierter Zuwachsprozess e ϕ (t) = G t X e )i hϕ(τ ), ∆S(τ τ =1 für t ∈ {1, . . . , T }. Denition 3.5 Eine Handelsstrategie ϕ heiÿt selbstnanzierend, falls hϕ(t), S(t)i = hϕ(t + 1), S(t)i ∀ t∈{1,...,T −1} t werden die neuen Preise S(t) bekannt. Das Portfolio hat dann den Wert hϕ(t), S(t)i. Aufgrund der Kenntnis der neuen Preise S(t) schichtet der Investor sein Portfolio mit Anteilen ϕ(t) zu einem Portfolio mit ϕ(t + 1) Anteilen um Interpretation: zum Handelszeitpunkt ohne jedoch Kapital abzuziehen oder einzubringen. Behauptung 3.1. Sei X(t) ein Numéraire. Eine Handelsstrategie ϕ ist genau dann selbstnanzierend bzgl. S(t), falls ϕ Also ist eine Handelsstrategie nanzierend bzgl. e S(t) selbstnanzierend bzgl. ϕ S(t)/X(t) ist. genau dann selbstnanzierend bzgl. S(t), falls ϕ selbst- ist. Behauptung 3.2. Eine Handelsstrategie ϕ ist genau dann selbstnanzierend, wenn ∀ t∈{0,1,...,T } e ϕ (t) Veϕ (t) = Veϕ (0) + G Die nächste Behauptung zeigt, dass der Wert des Portfolios vollständig durch das Anfangsvermögen und die Handelsstrategie (ϕ1 (t), . . . , ϕd (t))t∈{1,...,T } bestimmt ist vor- ausgesetzt der Investor folgt einer selbstnanzierenden Strategie. Behauptung 3.3. Für jeden vorhersagbaren Prozess (ϕ1 (t), . . . , ϕd (t))t∈{1,...,T } F0 -messbare V0 existiert genau ein vorhersagbarer Prozess Handelsstrategie ϕ0 (t) ϕ1 (t) ϕ= . .. ϕd (t) 29 (ϕ0 (t))t∈{1,...,T } , und jedes so dass die selbstnanzierend und Denition 3.6. Eine V0 = Vϕ (0) der Anfangswert des Portfolios ist. selbstnanzierende Strategie ϕ heiÿt Arbitrage-Strategie, falls Vϕ (0) = 0 mit Wahrscheinlichkeit 1 Vϕ (T ) ≥ 0 mit Wahrscheinlichkeit 1 Vϕ (T ) > 0 mit Wahrscheinlichkeit >0 Der (oben denierte) Finanzmarkt M heiÿt arbitragefrei, falls es keine Arbitrage-Strategie in der Klasse aller Handelsstrategien gibt. Denition 3.7. Ein zu P Martingalmaÿ für den stochastischen Prozess Filtration e P(S) P ∗ auf (Ω, FT ) heiÿt ein ∗ ein P -Martingal bezüglich der äquivalentes Wahrscheinlichkeitsmaÿ F = (Ft )t∈{0,1,...,T } Se , falls Se ist. bezeichne die Klasse aller äquivalenten Martingalmaÿe (für Se). Behauptung 3.4. Sei P ∗ ein äquivalentes Martingalmaÿ und ϕ eine selbstnanzierende eϕ (t) ein P ∗ -Martingal bezüglich der Filtration Handelstrategie. Dann ist der Wertprozess V F. Behauptung 3.5. Existiert ein äquivalentes Martingalmaÿ, dann ist der Markt M arbi- tragefrei. Setze X + := {X : Ω → R+ 0 |X Γ := {X ∈ X + | ∀ ist eine Zufallsvariable} X(ω) ≥ 0 und ω∈Ω Γ ∃ X(ω) > 0} ω∈Ω ist ein Kegel. Ist M ein arbitragefreier Markt, so gilt für jede selbstnanzierende Strategie ϕ Vϕ (0) = 0 =⇒ Veϕ (T ) 6∈ Γ Mit Behauptung 3.2 folgt: e ϕ (T ) 6∈ Γ G ϕ∗ = (ϕ1 , . . . , ϕd ) ein vorhersagbarer Prozess ist und ϕ0 so gewählt wird, dass die Strategie ϕ = (ϕ0 , . . . , ϕd ) das Startkapital V0 = 0 besitzt und selbstnanzierend ist. Das nächste Lemma zeigt, dass Lemma 3.1. (ϕ1 , . . . , ϕd ) e ϕ (T ) 6∈ Γ G immer noch gilt, falls In einem arbitragefreien Markt erfüllt jeder vorhersagbare Prozess ϕ∗ = die Relation e ϕ∗ (T ) 6∈ Γ G Behauptung 3.6. Ist der Markt M arbitragefrei, dann existiert ein zu P äquivalentes ∗ Martingalmaÿ P . Eine Kombination der Behauptungen 3.5 und 3.6 liefert Satz 3.1 (No-Arbitrage-Satz). Der Finanzmarkt M ist genau dann arbitragefrei, wenn es ein zu P äquivalentes Martingalmaÿ ∗ ein P -Martingal ist. P∗ gibt, unter dem der diskontierte Preisprozess 30 Se 3.1 Risikoneutrale Bewerung von Finanzderivaten Denition 3.8. Ein Finanzderivat mit Verfallszeitpunkt messbare Zufallsvariable X. T ist eine nichtnegative FT - Das Derivat heiÿt erreichbar (attainable), falls es eine das Derivat replizierende Handelsstrategie ϕ gibt, die selbstnanzierend ist und für die gilt, dass Vϕ (T ) = X Zwei Handelsstrategieen werden als äquivalent angesehen, wenn sie denselben Wertprozess besitzen. X ist meist eine Funktion des Preisprozesses X := (ST − K)+ Ausübungszeitpunkt T Beispiel: Behauptung 3.7. nanzderivat X Ist M S : X = f (S) für eine europäische Call-Option mit Ausübungspreis K und ein arbitragefreier Finanzmarkt, dann ist jedes erreichbare Fi- eindeutig in M replizierbar. Grundidee der Arbitrage-Bewertung von Derivaten: Da der Wert eines erreichbaren Derivates X zu einem Zeitpunkt t ≤ T eindeutig sein sollte (sonst existiert eine Arbitra- gemöglichkeit), muss der Preis des Derivates zum Zeitpunkt des Portfolios zur replizierenden Handelsstrategie ϕ t≤T zum Zeitpunkt mit dem Wert t Vϕ (t) übereinstimmen. Deshalb ist folgende Denition sinnvoll: Denition 3.9. Der Finanzmarkt M sei arbitragefrei und X Verfallszeitpunkt Wertprozess der ein erreichbares Derivat mit T . Dann ist der Arbitragepreisprozess (πX (t))t∈{0,...,T } X replizierenden Strategie ϕ. gegeben durch den Da die Arbitrage-Bewertungsmethode oensichtlich unabhängig vom zugrundeliegenden Maÿ P ist also unabhängig vom Modell, das sich ein Investor vom weiteren Kursver- lauf macht sollte ein Investor, welcher statt dem Maÿ P das risikoneutrale Maÿ P∗ zugrundelegt, das Derivat mit demselben Preis bewerten. Behauptung 3.8. Der Finanzmarkt M sei arbitragefrei. Dann ist der Arbitragepreisprozess (πX (t))t∈{0,...,T } jedes erreichbaren Finanzderivats X durch die Formel der risikoneu- tralen Bewertung ∀ t∈{0,...,T } gegeben, wobei E∗ πX (t) = β(t)−1 E∗ (β(T )X | Ft ) die Erwartung bezüglich eines (zu (für den auf den Zeitpunkt t=0 P) äquivalenten Martingalmaÿes P∗ abgezinsten Preisprozess) darstellt. Frage: Unter welchen Bedingungen ist jedes Finanzderivat erreichbar, also mittels einer Handelsstrategie replizierbar? 3.2 Vollständige Märkte Denition 3.10. Der Finanzmarkt M heiÿt vollständig, wenn jedes Derivat erreichbar + eine replizierende ist, also für jede nichtnegative FT -messbare Zufallsvariable X ∈ X selbstnanzierende Handelsstrategie ϕ mit Vϕ (T ) = X 31 existiert. Satz 3.2 (Vollständigkeitssatz). vollständig, wenn es genau ein zu S abgezinste Preisprozess Ein arbitragefreier Finanzmarkt P M ist genau dann äquivalentes Martingalmaÿ gibt (unter welchem der ein Martingal ist). Die Kombination des No-Arbitrage- und des Vollständigkeitssatzes (Sätze 3.1 und 3.2) ergibt den Fundamentalsatz der Preistheorie für Derivate: In einem arbitragefreien vollständigen Finanzmarkt M existiert genau ein äquivalentes ∗ Martingalmaÿ P . Ferner mit Behauptung 3.8: In einem arbitragefreien vollständigen Finanzmarkt πX (t) eines Derivates X M ergibt sich der arbitragefreie Preis als (bedingter) Erwartungswert des Derivates unter dem risiko- neutralen (d.h. äquivalenten Martingal-) Maÿ ∀ t∈{0,...,T } P ∗: πX (t) = β(t)−1 E∗ (β(T )X | Ft ) 3.3 Das Cox-Ross-Rubinstein-Modell Wir betrachten folgenden Finanzmarkt • B risikolose Anlage M mit Handelsperioden: (Bond) mit B(t) = (1 + r)t , • T risikobehaftete Anlage S t ∈ {0, . . . , T } (z.B. Aktie) mit ( uS(t) mit W p, S(t + 1) = dS(t) mit W 1 − p, wobei • 0<d<u und Die Veränderung t ∈ {0, . . . , T } S0 ≥ 0 S(t+1) S(t) ∈ {u, d} ist unabhängig von S(0), . . . , S(t) für alle t ∈ {0, . . . , T } S(2)=uuS(0) p S(1)=uS(0) p 1−p S(2)=udS(0) S(0) 1−p p S(1)=dS(0) 1−p S(2)=ddS(0) T=0 T=1 T=2 Die ersten beiden Handelsperioden eines Binomialmodells Explizite Konstruktion eines geeigneten Wahrscheinlichkeitsraumes tration F: 32 (Ω, P, F) und einer Fil- T • Ω := × Ω̃t t=1 wobei Ω̃t := Ω̃ := {u, d}, wobei P̃t := P̃ Ω = {u, d}T also • F := P(Ω) T • P := ⊗ P̃t t=1 mit P̃ ({u}) := p P ({ω}) = und T Y P̃ ({d}) := 1 − p, also P̃t ({ωi }) t=1 mit ω = (ω1 , . . . , ωT ) • F = (Ft )t∈{0,...,T } und ωt ∈ {u, d} mit F0 := {∅, Ω} Ft := σ(S(1), . . . , S(t)), t ∈ {1, . . . , T − 1} FT := F = P(Ω) Bemerkung. Sei Z(t+1) := vom Zeitpunkt t S(t+1) S(t) die relative Preisänderung der risikobehafteten Anlage zum Zeitpunkt t + 1 (t ∈ {0, . . . , T − 1}). Dann folgt aus den Modellannahmen: • S(t) = S(0) t Q Z(τ ), t ∈ {1, . . . , T − 1} τ =1 • Z(1), . . . , Z(T ) Denition 3.11. sind unabhängige Zufallsvariablen Der oben denierte Finanzmarkt M heiÿt Cox-Ross-Rubinstein-Modell (CRR-Modell). Behauptung 3.9. Q, Im CRR-Modell existiert genau dann ein äquivalentes Martingalmaÿ wenn 0<d<1+r <u Existiert ein äquivalentes Martingalmaÿ Q, q= so ist dieses eindeutig und durch 1+r−d u−d festgelegt, es gilt also T Q = ⊗ Q̃t t=1 mit Q̃t ({u}) = q und Q̃t ({d}) = 1 − q Aufgrund von Behauptung 3.9 gehen wir bei CRR-Modellen im Folgenden immer davon aus, dass 0<d<1+r <u gilt. Behauptung 3.10. Das CRR-Modell ist arbitragefrei. Behauptung 3.11. Das CRR-Modell ist vollständig. 33 Behauptung 3.12. Ein Mehrperioden-Marktmodell ist genau dann vollständig, wenn jedes darin enthaltene Einperioden-Modell vollständig ist. Behauptung 3.13. Im CRR-Modell ist der Arbitragepreis eines Derivates X πX (t) = B(t) E∗ (X/B(T ) | Ft ) ∀ t∈{0,...,T } gegeben, wobei E∗ durch die Erwartung bezüglich des eindeutigen (zu ∗ galmaÿes P (für den auf den Zeitpunkt t=0 durch p∗ = P) äquivalenten Martin- abgezinsten Preisprozess) darstellt, welches 1+r−d u−d über T P ∗ = ⊗ Q̃t t=1 mit Q̃t ({u}) = p∗ und Q̃t ({d}) = 1 − p∗ festgelegt ist. Behauptung 3.14. Der Arbeitragepreis einer europäischen Call-Option mit Verfallsdatum T und Ausübungspreis K, basierend auf einer Aktie S, ist im CRR-Modell gegeben durch ∀ t∈{0,...,T } −(T −t) C(t) = (1 + r) T −t X T − t ∗j p (1 − p∗ )T −t−j (S(t)uj dT −t−j − K)+ j j=0 Behauptung 3.15. datum T Im CRR-Modell ist die eine europäischen Call-Option mit Verfalls- und Ausübungspreis K replizierende Handelsstrategie ϕ = (ϕ0 (t), ϕ1 (t))0t∈{1,...,T } gegeben durch C(t, St−1 u) − C(t, St−1 d) St−1 (u − d) uC(t, St−1 d) − dC(t, St−1 u) ϕ0 (t) = (1 + r)t (u − d) ϕ1 (t) = 3.4 Binomialapproximation Modellierung von Preisprozessen in stetiger Zeit mittels • eines stochastischen Prozesses in stetiger Zeit • einer Approximation mit einer Folge stochastischer Prozessen in diskreter Zeit Jetzt: Approximation der Preisprozesse in stetiger Zeit CRR-Modellen in diskreter Zeit mit kn Modellierung des Bonds: Sei rn ∆n = kTn = j∆n , j ∈ {0, . . . , kn } Teilintervalle der Länge Handel nur in den Zeitpunkten: tn,j mittels einer Folge von Handelszeitpunkten, wobei Folge aus Teile N sei [0, T ] in kn t ∈ [0, T ] der risikolose Zins Preisentwicklung des Bonds: B(tn,j ) = (1 + rn )j , 34 j ∈ {0, . . . , kn } (kn ) eine wachsende Im zeitstetigen Modell: B(t) = ert mit stetiger Zinsrate r>0 Falls für rn gilt 1 + rn = er∆n folgt (1 + rn )j = erj∆n = ertn,j Modellierung der risikobehafteten Anlage: S(t ) ∈ {un , dn } Zn,i = S(tn,i+1 n,i ) (i ∈ {0, . . . , kn − 1}) mit Sei die relative Veränderung in der Handelsperiode i → i+1 P (Zn,i = un ) =: pn = 1 − P (Zn,i = dn ) pn ∈ (0, 1) mit einem noch zu bestimmenden Aktienpreisprozess im n-ten kn CRR-Modell (mit Sn (tn,j ) = Sn (0) j Y Zn,i , Handelsperioden) j ∈ {1, . . . , kn } i=1 Annahme: Für jedes feste n gilt: Zn,1 , . . . , Zn,kn n-te Nach Behauptung 3.9 ist das unabhängige ZV'n CRR-Modell genau dann arbitragefrei, wenn d n < 1 + r n < un Dieses ist in eindeutiger Weise charakterisiert durch p∗n = Damit ist das n-te 1 + rn − d n un − dn CRR-Modell bis auf die Parameter un und dn festgelegt. Wir wählen un = eσ Das risikoneutrale Maÿ für das n-te √ ∆n dn = e−σ und √ ∆n CRR-Modell ist dann gegeben durch √ p∗n Mögliche Preise der Aktie S er∆n − e−σ ∆n 1 + rn − d n √ = √ = un − dn eσ ∆n − e−σ ∆n zum Zeitpunkt S(0)ujn dknn −j , T: j ∈ {0, . . . , kn } Mit Behauptung 3.13 folgt der Arbitragepreis S mit Strike K und Expiry T im n-ten Cn (0) des europäischen Calls auf die Aktie CRR-Modell: C(0) = (1 + rn )−kn E∗ (S(T ) − K)+ kn + X kn ∗j = (1 + rn )−kn pn (1 − p∗n )kn −j S(0)ujn dknn −j − K j j=0 35 Mit an = min{j ∈ N0 | S(0)ujn dknn −j > K} folgt kn X kn ∗j −kn Cn (0) = (1 + rn ) pn (1 − p∗n )kn −j S(0)ujn dknn −j − K j j=an j kn −j kn ∗ X ∗ (1 − pn )dn kn pn u n = S(0) 1 + rn 1 + rn j j=an kn X kn ∗j −kn ∗ kn −j − (1 + rn ) K pn (1 − pn ) j j=an ∗ pn u n , kn (an − 1) = Sn (0) 1 − Bin 1 + rn − K(1 − rn )−kn {1 − Bin (p∗n , kn ) (an − 1)} Bemerkung: 0< p∗n un 1+rn <1 Satz 3.3 (Black-Scholes-Formel für den Preis einer europäischen Call-Option). Mit obiger Notation gilt: C(0) := lim Cn (0) = S(0)Φ(d1 (S(0), T ) − Ke−rT Φ(d2 (S(0), T )) n→∞ wobei 2 log(s/K) + (r + σ2 )t √ σ t √ log(s/K) + (r − √ d2 (s, t) = d1 (s, t) − σ t = σ t d1 (s, t) = und Φ σ2 2 )t die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung bezeichne. Der Preis für die europäische Put-Option ergibt sich sofort über die Put-Call-Parität. Dieses Resultat wurde 1997 mit dem Nobelpreis für Ökonomie gewürdigt. Bemerkung: Sei t ∈ [0, T ] mit t/T rational, also gibt es T kn jn := na, kn := nb und ∆n = t = tn,jn = jn ∆n betrachten den Preisprozess Sn im n-ten Wähle a, b ∈ N0 mit t = ab T Dann gilt Wir Sn (tn,j ) = Sn (0) j Y CRR-Modell Zn,i , j ∈ {0, . . . , kn } i=1 Also gilt speziell Sn (t) = Sn (tn,jn ) = Sn (0) jn Y Zn,i i=1 Mit Methoden wie im Beweis zu Satz 3.3 kann gezeigt werden: 1 D Sn (t) → S(t) := S(0) · exp(tr) · exp tσ 2 Z − 2 N (0, 1)-verteilten Zufallsvariablen Z Der stochastische Prozess S = (St )t∈T (Q∩[0,1]) stetiger Zeit t ∈ [0, T ] fortgesetzt werden. (n → ∞) mit einer kann zu einem stochastischen Prozess in r log(St /S0 ) Dieser Prozess ist dann eine sogenannte geometrische Brownsche Bewegung mit Drift St ist lognormalverteilt mit Erwartungswert t(r − 36 σ 2 /2) und Varianz tσ 2 von Schätzung der Volatilität unter Verwendung • der historischen Werte des Aktienkurses • der an der Börse notierten Preise ähnlicher Optionen S Schätzung der Volatilität aus historischen Aktienkursen kurse <- read.csv("table.csv") attach(kurse) ## Aktienpreisprozess plot(Close) lines(Close) ## log-Returns n <- length(Close) R <- log(Close[2:n]/Close[1:(n-1)]) plot(R) lines(R) ## Schätzung der Volatilität sqrt(var(R)*n) q() Dann: Berechnung des Preises eines europäischen Calls über einen Optionspreisrechner, z.B. http://www.numa.com/derivs/ref/calculat/option/calc-opa.htm von Numa Fi- nancial Systems 3.5 Bewertung amerikanischer Optionen Bewertung amerikanischer Optionen Betrachte ein allgemeines Mehrperioden-Marktmodell. Der Besitzer einer amerikanischen Option kann diese zu jedem Zeitpunkt f (St ) oder allgemeiner t ∈ {0, 1, . . . , T } ausüben und erhält die Geldsumme ft . Gesucht: Selbstnanzierende Handelsstrategie zess Vϕ ϕ, so dass für den dazugehörigen Wertpro- gilt: Vϕ (0) = x (Startkapital) Vϕ (t) ≥ ft ∀t ∈ {0, 1, . . . , T } Ein solches Portfolio heiÿt minimal, falls es eine Stoppzeit τ : Ω → {0, 1, . . . , T } gibt mit Vϕ (τ ) = fτ Problem: Existenz und (gegebenenfalls) Konstruktion einer solchen Stoppzeit Annahme: Das Marktmodell (Ω, F, F, P ) ist vollständig und äquivalente Martingalmaÿ. Dann gilt für jede Hedging-Strategie ϕ, dass Mt = Ṽϕ (t) = β(t)Vϕ (t) 37 P∗ ist das eindeutige zu P ein P ∗ -Martingal ist. Also folgt mit Satz 2.10, dass für jede Stoppzeit τ ∈ T0,T M0 = Vϕ (0) = E ∗ (Ṽϕ (τ )) Da aus den Annahmen über ϕ Vϕ (τ ) ≥ f τ folgt, dass für jede Stoppzeit gelten muss, erhalten wir für das Startkapital x ≥ sup E ∗ (β(τ )fτ ) τ ∈T0,T Sei jetzt τ∗ eine Stoppzeit mit Vϕ (τ ∗ ) = fτ ∗ . Dann ist die Handelsstrategie ϕ minimal und es gilt x = E ∗ (β(τ ∗ )fτ ∗ ) = sup E ∗ (β(τ )fτ ) τ ∈T0,T Diese Relation (erstes Gleichheitszeichen) ist also eine notwendige Bedingung für die Existenz einer minimalen Handelsstrategie. Wir werden zeigen, dass dies zugleich auch eine hinreichende Bedingung darstellt. Der Preis x heiÿt rationaler Preis einer amerikanischen Option. Berechnung des Optionspreises Zum Zeitpunkt T ist der Wert ZT der Option gleich dem Pay-O der Option: ZT := fT Zum Zeitpunkt trag fT −1 T −1 kann der Besitzer der Option diese entweder ausüben und den Geldbe- einstreichen oder die Option bis zum Verfallsdatum behalten, wobei im letzteren Falle der Betrag βT−1−1 E ∗ (βT fT | FT −1 ) abgesichert werden muss. Also hat die Option zum Zeitpunkt T den Wert ZT −1 := max{fT −1 , βT−1−1 E ∗ (βT fT | FT −1 )} Mittels Rückwärtsinduktion zeigt man, dass zum Zeitpunkt t ∈ {1, . . . , T } der folgende Wert abgesichert werden muss: −1 ∗ Zt−1 = max{ft−1 , βt−1 E (βt Zt | Ft−1 )} oder mit f˜t := βt ft diskontiert auf den Zeitpunkt t=0: Z̃t−1 = max{f˜t−1 , E ∗ (Z̃t | Ft−1 )} Also ist (Z̃t )t∈{0,...,T } die Snell-Einhüllende von (f˜t )t∈{0,...,T } Nach Satz 2.12 gilt, dass Z̃t = sup E ∗ (f˜τ | Ft ) τ ∈Tt,T und die Stoppzeit τt∗ := min{s ≥ t : Z̃s = f˜s } optimal ist und dass Z̃t = E ∗ (f˜τt∗ | Ft ) Speziell kann im Fall t=0 die Stoppzeit τ0∗ := min{s ≥ 0 : Z̃s = f˜s } und x = Z̃0 = E ∗ (f˜τ0∗ ) = sup E ∗ (f˜τ0 ) τ0 ∈T0,T 38 verwendet werden ist der rationale Preis der amerikanischen Option. Konstruktion des Hedging-Portfolios Da Z̃ tingal ein Supermartingal ist, existieren nach dem Zerlegungssatz 2.14 von Doob ein Mar- M̃ Ã und ein wachsender vorhersagbarer Prozess mit Z̃ = M̃ − Ã Setze Mt := M̃t /βt und At := Ãt /βt . Da der zugrundeliegende Finanzmarkt vollständig ist, existiert eine selbstnanzierende Handelsstrategie ϕ mit M̃t = Ṽϕ (t) (Betrachte den Positiv- und den Negativteil von MT jeweils als ein Derivat.) Dann Zt := Z̃t /βt = Vϕ (t) − At Damit ist der Zeichner der Option in der Lage, sich perfekt zu hedgen: Durch den Verkauf Z0 = Vϕ (0) kann er unter Verwendung der Handelsstrategie ϕ zu jedem Zeitpunkt t ein Kapital Vϕ (t) erwirtschaften, welches gröÿer oder gleich Zt ist, und damit auch gröÿer oder gleich dem zum Zeitpunkt t eventuell fälligen Pay-O ft . der Option zum Preis von Aus Sicht des Käufers der Option ist die punktes von elementarem Interesse: Ermittlung des optimalen Ausübungszeit- Der Ausübungszeitpunkt ist aus der Menge der Stoppzeiten auszuwählen. Es ist nicht sinnvoll, die Option zu einem Zeitpunkt Verkauf der Option ihr Wert nur ft Zt t mit Zt > ft auszuüben, da durch den erlöst werden kann, wohingegen die Ausübung der Option erbringt. Für einen optimalen Ausübungspunkt τ gilt also Zτ = fτ Andererseits ist es auch nicht sinnvoll, die Option nach dem Zeitpunkt τmax := inf{t : At+1 6= 0} (= inf{t : Ãt+1 6= 0}) auszuüben, da ein Verkauf der Option zum Zeitpunkt τmax und Anlage des Erlöses gemäÿ ϕ ein für alle nachfolgenden Zeitpunkte τmax +1, τmax +2, . . . , T Z. Stoppzeiten τ mit τ ≤ τmax , dass der Handelsstrategie gröÿeres Kapital Vϕ Dann gilt für alle strikt einbringt als der Verkauf der Option zu ihrem Wert (Z̃tτ )t = (Z̃τ ∧t )t ein Martingal bzgl. P∗ ist. Damit sind nach Satz 2.13 optimale Ausübungszeiten auch optimale Stoppzeiten für die Folge (f˜t )t∈{0,1,...,T } . Daraus folgt: Verwendet der Zeichner der Option die oben konstruierte Handelsstrategie ϕ zum Hedgen und übt der Käufer der Option diese zu einer nicht optimalen Stoppzeit aus, so gilt risikolosen Zτ > fτ oder Aτ > 0. In beiden Fällen Gewinn Vϕ (τ ) − fτ = Zτ + Aτ − fτ > 0. Bewertung eines amerikanischen Puts im CRR-Modell Teile das Zeitintervall [0, T ] Risikofreie Zinsrate im N Teilintervalle Intervall ∆ sei ρ in der Länge Die zugehörige stetige Zinsrate berechnet sich aus: 1 + ρ = er∆ 39 τ macht der Zeichner der Option einen ∆ Wähle u und d gemäÿ u = eσ √ ∆ und d = e−σ √ ∆ Das risikoneutrale W-Maÿ für die dazugehörigen Einperioden-Modelle berechnet sich aus √ 1+r−d er∆ − e−σ ∆ √ p = = √ u−d eσ ∆ − e−σ ∆ ∗ Die Aktie mit Startwert S(0) ist nach i Schritten aufwärts und j Schritten abwärts S(0)ui dj Einheiten wert. Es gibt dann N +1 mögliche Preise und 2N mögliche Pfade durch das Baumdiagramm. Aus rechen- und nanztechnischen Gründen wird N häug in der Gröÿenordnung von 30 gewählt. Wie in der dynamischen Optimierung (Richard Bellman), wird eine Rückwärtsrekursion gewählt, um sowohl die Preise als auch die optimale Ausübungsstrategie zu ermitteln: 1. Zeichne das Baumdiagramm, beginnend mit dem Startwert (Zeitpunkt 0) und den N +1 Endwerten (Zeitpunkt (wie in der Einführung zu den CRR-Modellen). (i, j), der nach i S(0)ui dj = S(0)ui−j 2. Trage am Knoten wird, den Preis N) Aufwärts- und j Abwärtsbewegungen erreicht ein. 3. Trage an den Endknoten unter die Endpreise die Pay-Os A fi,j = max{K − S(0)ui dj , 0} ein. 4. Angenommen, die Werte der Option liegen an den Knoten bereits vor. Wird die Option am Knoten (i, j) (i + 1, j) und (i, j + 1) nicht ausgeübt, muss der Betrag A A fi,j = e−r∆ p∗ fi+1,j + (1 − p∗ )fi,j+1 abgesichert werden. Wird die Option am Knoten (i, j) aber ausgeübt, so ist der Wert (K − S(0)ui dj )+ abzusichern. Der Wert des amerikanischen Puts im Knoten (i, j) ist nun das Maxi- mum dieser beiden Werte: A fi,j = max{fi,j , K − S(0)ui dj } 5. Der Wert PA (0) des amerikanischen Puts zum Zeitpunkt 0 ist dann am linken Wur- zelkonten abzulesen: f0,0 . 6. Bendet man sich an einem inneren Knoten (i, j), so ist es rational, die Option vorzeitig auszuüben (early exercise), falls die Ausübung der Option einen höheren Erlös bietet als der Verkauf der Option um den Wert 40 fi,j . 132.25 t=0: Options−Wert: 2.18 Hedging−Portfolio: Anteile Aktie = −0.48 Anteile Bond= 50.18 0 115 0 100 0 103.5 ● 0 2 2.18 90 ● ● ● ● ● Aktienwert Early Exercise Pay−Off Hedge−Wert 12 3.82 81 21 Bewertung einer Amerikanische Put−Option mit K=102 und r=10% 41 4 Stochastische Prozesse in stetiger Zeit Dieses Kapitel der Vorlesung orientiert sich teilweise an dem Buch • Sondermann D. Introduction to Stochastic Calculus for Finance A New Didactic Approach. Springer 2006. 4.1 Grundbegrie (Ω, F, P ) mit Filtration F = (Ft )t≥0 X = (Xt )t≥0 (Ω, F, P ). Ein stochastischer Prozess fallsvariablen auf Der Prozess X heiÿt (zur Filtration Xt ∀ t1 , . . . , tn ∈ [0, ∞). [0, ∞) ist eine Familie von Zu- adaptiert, falls F) t≥0 Seien mit Indexbereich ist Der Zufallsvektor Ft -messbar (Xt1 , . . . , Xtn ) besitzt Werte in Rn . Durch PX1 ,...,Xtn (B) := P ((Xt1 , . . . , Xtn ) ∈ B) , B ∈ B n wird eine endlich dimensionale Verteilung von sionalen Verteilungen von X X deniert. Die Menge aller endlich dimen- erfüllen die folgenden Konsistenzbedingungen von Kolmogo- rov: • Für jede Permutation (s1 , . . . , sn ) von (t1 , . . . , tn ) gilt PXt1 ,...,Xt (At1 × . . . × Atn ) = PXs1 ,...,Xsn (As1 × . . . × Asn ) (Ati ∈ B 1 ) n • Für jedes A ∈ B n−1 gilt PXt1 ,...,Xtn (A × R) = PXt1 ,...,Xtn−1 (A) Man kann auch folgende Umkehrung zeigen: K von endlich dimensionalen Verteilungen existiert ein Q auf (R[0,∞) , B(R[0,∞) )), dessen Menge der endlich dimensionalen Familie K umfasst. Zu jeder konsistenten Familie Wahrscheinlichkeitsmaÿ Randverteilungen die Sei ω ∈ Ω. Die Abbildung ( [0, ∞) → R X.(ω) : t 7→ Xt (ω) heiÿt Trajektorie oder Pfad von Die Zufallsvariable τ X. mit Werten in ∀ t≥0 [0, ∞] heiÿt Stoppzeit, falls [τ ≤ t] = {ω ∈ Ω : τ (ω) ≤ t} ∈ Ft In der Theorie der Stochastischen Prozesse in stetiger Zeit treten u.a. folgende Probleme auf: • Pfadregularität • überabzählbare Operationen wie supt∈[0,1] Xt 42 4.2 Klassen von Prozessen Martingale. Ein adaptierter stochastischer Prozess X mit E(|Xt |) < ∞ für alle t≥0 ist ein • Submartingal, falls ∀ t > s =⇒ E(Xt | Fs ) ≥ Xs ∀ t > s =⇒ E(Xt | Fs ) ≤ Xs ∀ t > s =⇒ E(Xt | Fs ) = Xs t,s≥0 • Supermartingal, falls t,s≥0 • Martingal, falls t,s≥0 Beispiele: (Standard-) Brownsche Bewegung, kompensierter Poisson-Prozess. Semimartingale. Prozesse, welche sich aus einem vorhersagbaren und einem vollständig unvorhersagbaren Teil modelliert durch ein Martingal zusammensetzen. Formale Denition später. Markov-Prozesse. Ein adaptierter stochastischer Prozess für jede beschränkte messbare Funktion f :R→R X heiÿt Markov-Prozess, falls gilt E(f (Xt+s ) | Ft ) = E(f (Xt+s ) | Xt ) ∀ t,s>0 Intuitive Deutung: Zukünftige Werte von X hängen nur von der Gegenwart, nicht jedoch von der Vergangenheit ab. Gilt obige Eigenschaft auch dann noch, wenn die deterministische Zeit zeit τ ersetzt wird, so heiÿt X Diusionen. Eine Diusion ist ein starker Markov-Prozess X für alle t≥0 und alle x∈R t durch eine Stopp- starker Markov-Prozess. mit stetigen Pfaden, für den die folgenden Grenzwerte existieren: 1 E(Xt+h − Xt | Xt = x) h→0 h 1 σ 2 (t, x) := lim E (Xt+h − Xt )2 | Xt = x h→0 h µ(t, x) := lim µ(t, x) heiÿt Drift von X , σ 2 (t, x) heiÿt Diusionskoezient von X. Beispiele: Brownsche Bewegung, Lösungen stochastischer Dierenzialgleichungen. Punktprozesse und Poisson-Prozesse. Punktprozesse sind stochastische Prozesse, de- ren Realisierungen nicht Pfade, sondern Zählmaÿe sind. Seien z.B. τ0 < τ1 < . . . die zufälligen Zeitpunkte von gewissen Ereignissen. Der dazugehörige Punktprozess (Nt )t≥0 ist gegeben durch Nt := sup{n | τn ≤ t}, t ≥ 0 43 Abbildung 2: R. Brown, L. Bachelier, A. Einstein und N. Wiener Die Zufallsvariable Nt t an. Y1 , Y2 , . . . unabhängige exp(λ)-verteilte ZVn gibt die Anzahl der Ereignisse bis zum Zeitpunkt Poisson-Prozesse sind spezielle Punktprozesse: τn := n X Yj j=1 τn ist also die Zeit bis zum n-ten Ereignis und Yn ist die Wartezeit zwischen den Ereignissen zu den Zeitpunkten τn−1 und τn . Nt := sup{n | τn ≤ t} deniert dann einen Poisson-Prozess mit Rate λ > 0. Eigenschaften: k • P (Nt = k) = e−λt (λt) k! , k ∈ N0 , t ≥ 0 • ∀ ∀ s<t u>0 Nt+u − Nt • Nt+u − Nt ∼ π(λu) • unabhängig von Ns (stationäre Zuwächse) Der sog. kompensierte Poisson-Prozess speziell gilt (unabhängige Zuwächse) M mit Mt := Nt − λt ist ein Martingal; ENt = λt Man kann zeigen, dass jeder stochastische Prozess (Nt ) mit Werten von Nt in N0 , der die ersten drei obigen Eigenschaften erfüllt, ein Poisson-Prozess ist. Stochastische Prozesse mit unabhängigen und stationären Zuwächsen heiÿen Lévy-Prozesse. 4.3 Brownsche Bewegung • 1830 Robert Brown (17731858), schottischer Botaniker • 1900 Louis Bachelier (18701946) • 1905 Albert Einstein (18791955) • 1923 Norbert Wiener (18941964) Denition 4.1. Ein stochastischer Prozess W = (Wt )t≥0 auf (Ω, F, P ) sierte 1-dimensionale Brownsche Bewegung oder Wiener-Prozess, falls • W0 = 0 P -f.s. 44 heiÿt standardi- • W hat unabhängige Zuwächse: Wt+u − Wt ∀ ∀ s<t u≥0 • W ist unabhängig von Ws hat stationäre normalverteilte Zuwächse: ∀ t,u≥0 • W Wt+u − Wt ∼ N (0, u) hat stetige Pfade Bemerkungen zu Denition 4.1: • Wt = Wt − W0 ∼ N (0, t) • cov(Wt , Ws ) = min{s, t}, ∀ t>s da cov(Wt , Ws ) = E(Wt Ws ) = E((Wt − Ws )Ws ) + E(Ws2 ) = E(Wt − Ws )E(Ws ) + s = s Denition 4.2. Prozess in Wt = d Eine standardisierte Brownsche Bewegung in R ist ein d-dimensionaler (Wt1 , . . . , Wtd ) mit unabhängigen standardisierten Brownschen Bewegungen R. Satz 4.1. Der in Denition 4.1 (und 4.2) denierte Prozess existiert. Behauptung 4.1. Seien W = (Wt )t≥0 eine standardisierte Brownsche Ft := σ(Ws : s ≤ F = (Ft )t≥0 . t). Dann sind (Wt )t≥0 und (Wt2 Nachfolgend legen wir das endliche Zeitintervall Denition 4.3. − t)t≥0 [0, T ] Bewegung und Martingale bzgl. der Filtration für unser Modell zugrunde. t0 = 0 < t1 < . . . < tn = T deniert eine Partition τ := {t0 , . . . , tn } von [0, T ]; |τ | := sup{|ti −ti−1 | : 1 ≤ i ≤ n} heiÿt Feinheitsgrad von τ . Die Menge der Zeitpunkte Denition 4.4. Die Totalvariation der Funktion X : [0, T ] → R ist deniert durch ( Var(X) := sup ) X |X(ti ) − X(ti−1 )| : τ ist eine Partition von [0, T ] ti ∈τ Falls Var(X) < ∞, Bemerkung. sagt man, Die Variation einer Zufallsvariablen Y X sei von endlicher Variation. Var(f ) einer Funktion darf nicht mit der Varianz var(Y ) verwechselt werden. Denition 4.5. Sei X : [0, T ] → R eine Funktion und (τn ) eine Folge von Partitionen [0, T ] mit |τn | → 0 für n → ∞. Die quadratische Variation von X über dem [0, t] ≤ [0, T ] entlang der Partition τn ist deniert durch X Vt2 (X, τn ) := (X(ti ) − X(ti−1 ))2 des Intervalls Intervall f ti ∈τn ∪{t}, ti ≤t 45 Existiert hXit := lim Vt2 (X, τn ) für alle t ∈ [0, T ], und ist dieser Grenzwert unabhängig n→∞ von der speziellen Wahl der Partitionenfolge [0, T ] die dadurch auf Behauptung 4.2. die quadratische Korollar 4.1. denierte Funktion (τn ), für die ein Grenzwert existiert so heiÿt t 7→ hXit quadratische Variation hXi von X . X : [0, T ] → R stetig und von endlicher Variation hXit = 0 für alle t ∈ [0, T ]. Ist (erster) Variation, so ist X : [0, T ] → R stetig und ist die quadratische Variation t 7→ hXit wachsend, so ist X auf jedem Intervall [a, b] ⊆ [0, T ] von unendlicher Ist streng monoton Totalvariation. Behauptung 4.3. Sei X : [0, T ] → R stetig mit stetigem quadratischer Variation. Ferner A : [0, T ] → R stetig und von endlicher Totalvariation. X(t) + A(t) denierte Funktion Y : [0, T ] → R von stetiger hY it = hXit für alle t ∈ [0, T ]. sei Dann ist die durch Y (t) := quadratischer Variation mit Also ist die quadratische Variation eines stetigen Semimartingals gleich der quadratischen Variation des Martingalanteils. Satz 4.2. Für alle t ∈ [0, T ] gilt: E Vt2 (W, τn ) − t für jede Folge von Partitionen Korollar 4.2. τn 2 →0 des Intervalls (n → ∞) [0, T ] mit limn |τn | = 0. τn von [0, T ] Es gibt eine Folge von Partitionen mit limn |τn | = 0 so, dass P -f.s. ∀ t∈[0,T ] Lemma 4.1. X : [0, T ] → R lim Vt2 (W, τn ) = t n stetig mit stetiger quadratischer Variation, g : [0, T ] → R messbar und beschränkt. Dann gilt: X lim n→∞ 2 Z g(ti−1 )(Xti − Xti−1 ) = t g(s) dhXis 0 ti ∈τn ∪{t}, ti ≤t Eine Kombination von Satz 4.2 und Korollar 4.2 liefert Korollar 4.3. Fast alle Pfade der Brownschen Bewegung sind von unendlicher Totalva- riation. Zusammenfassung: Die Brownsche Bewegung ist ein Martingal mit stetigen Pfaden und quadratischer Variation hW it = t P -f.s. Es gilt jedoch auch umgekehrt Satz 4.3. (Charakterisierung der Brownschen Bewegung von Lévy). quadratisch integrierbares Martingal mit stetigen Pfaden, dann ist M eine Brownsche Bewegung. 46 M0 = 0 und hM it = t Ist M ein für alle t, 4.4 Das Itô-Integral F :R→R und X : R+ → R C 1 -Funktionen seien (d.h. stetig dierenzierbar). Dann gilt nach dem Hauptsatz der Dierenzial- und Integralrechnng Zt F (X(t)) − F (X(0)) = 0 Zt 0 0 0 Die Voraussetzung, dass X eine F 0 (Xs ) dXs F (X(s))X (s) ds = C 1 -Funktion ist, kann auf stetige Funktionen X mit end- licher Totalvariation abgeschwächt werden, wie nachfolgend gezeigt wird. Behauptung 4.4. X : [0, T ] → R eine C 1 -Funktion. Sei (τn ) F : R → R limn |τn | = 0. stetig und von endlicher Totalvariation, eine Folge von Partitionen von [0, T ] mit Dann existiert X lim n→∞ Zt 0 F (Xti−1 )(Xti − Xti−1 ) =: ti ∈τn ∪{t},ti ≤t F 0 (Xs ) dXs 0 und es gilt Zt F (Xt ) − F (X0 ) = F 0 (Xs ) dXs 0 Diese Behauptung ist ein Spezialfall der Itô-Formel (Satz 4.4). X : [0, T ] → R hXi = (hXit )t∈[0,T ] . Bis auf Weiteres sei Variation immer eine stetige Funktion mit stetiger quadratischer Dies gilt z.B. für die Pfade der Brownschen Bewegung W (Korollar 4.2) und allgemeiner für die Pfade jedes stetigen Semimartingals mit stetiger quadratischer Variation. t 7→ hXit monoton wachsend in t, ist das Integral g : [0, T ] → R im Riemann-Stieltjes-Sinne deniert. Da Da t 7→ hXit 0 g(s) dhXis für jede stetige Funktion stetig ist, ist dieses Integral eine stetige Funktion der oberen Grenze Satz 4.4 (Itô-Formel). X : [0, T ] → R F :R→R Rt t. stetig mit stetiger quadratischer Variation hXi. C 2 -Funktion. eine Dann gilt Z F (Xt ) − F (X0 ) = ∀ t∈[0,T ] 0 t 1 F (Xs ) dXs + 2 0 Z t F 00 (Xs ) dhXis 0 wobei der Grenzwert Z t X F 0 (Xs ) dXs := lim n→∞ 0 ti ∈τn ∪{t},ti ≤t für jede zu der quadratischen Variation Intervalls [0, T ] Das Integral Rt 0 mit limn |τn | = 0 F 0 (Xs ) dXs Bemerkungen. F 0 (Xti−1 )(Xti − Xti−1 ) hXi führenden Folge (τn ) existiert (gemäÿ Denition 4.5). heiÿt Itô-Integral. 47 von Partitionen des Rt X von endlicher Totalvariation, verschwindet der Korrekturterm 21 0 F 00 (Xs ) dhXis (da hXi ≡ 0 nach Behauptung 4.2). Dies liefert die klassische Behauptung 4.4. 1) Ist 2) Kurzform der Itô-Formel: 1 dF (Xt ) = F 0 (Xt ) dXt + F 00 (Xt ) dhXit 2 3) Man beachte, dass in den Summen, deren Grenzwerte das Itô-Integral liefern, der Integrand 4) Sei X F 0 (Xs ) am linken Intervallende von [ti−1 , ti ] ausgewertet wird. jetzt allgemeiner ein stochastischer Prozess (hinge also zusätlich noch vom Zu- W fall ab), dessen Pfade die einer Brownschen Bewegung sind. Dann kann in Satz 4.4 zur Denition des Itô-Integrals die nach Korollar 4.2 existierende pfadunabhängige Folge von Partitionen verwendet werden. Der Grenzwert ist bis auf eine P -Nullmenge eindeutig. 5) Die hier gewählte pfadweise Denition des Itô-Integrals geht auf Hans Föllmer (1981) zurück. Allgemeinere Integranden der Form Ys anstelle von F 0 (Xs ) werden in der sto- chastischen Analysis behandelt. Solche allgemeinere Integranden tauchen in unserer Vorlesung Finanzmathematik jedoch nicht auf. Beispiele • F (x) = xn . Mit Itô-Formel Xtn − X0n t Z Xsn−1 dXs =n 0 kurz: dXtn = nXtn−1 dXt + Ist X n(n − 1) + 2 t Z =2 Xsn−2 dhXis 0 n(n − 1) n−2 Xt dhXit 2 W speziell der Pfad einer Brownschen Bewegung Wt2 t Z mit W0 = 0, t Z dhW is Ws dWs + 0 0 t Z =2 Ws dWs + t 0 Also Z t 0 • F (x) = ex . 1 t Ws dWs = Wt2 − 2 2 Mit Itô-Formel Xt e X0 −e Z = t Xs e 0 oder kurz 1 dXs + 2 Z t eXs dhXs is 0 1 deXt = eXt dXt + eXt dhXit 2 48 so gilt Speziell für X=W folgt t Z 1 t Ws e dhW is =1+ e dWs + 2 0 0 Z Z t 1 t Ws e ds =1+ eWs dWs + 2 0 0 Z t 1 Wt e − e0 =1+ eWs dWs + 2 0 Z eWt Also Ws t Z 1 Wt e −1 2 eWs dWs = 0 Behauptung 4.5. F (Xt ) Sei F : R → R C 1- eine Funktion. Dann bestitzt die Funktion t 7→ die quadratische Variation t Z 2 F 0 (Xs ) dhXis 0 Korollar 4.4. Für jedes f ∈ C 1 (R) ist das Itô-Integral t Z It := f (Xs ) dXs 0 wohldeniert und besitzt die quadratische Variation t Z f 2 (Xs ) dhXis hIit = 0 Beispiel. Für X=W gilt Wt2 Z t = 2Ws dWs + t 0 Mit It := Rt 0 2Ws dWs folgt Z 2 hW it = hIit = t 4Ws2 ds 0 Bisher haben wir nur analytische Eigenschaften des Integrators M ein Martingal C 1 -Funktion. Sei verwendet. mit stetigen Pfaden und stetiger quadratischer Variation und Frage: Überträgt sich die Martingal-Eigenschaft des Integrators Zt I = It := f (Ms ) dMs ∀ n auf das Itô-Integral ? heiÿt lokales Martingal, falls es Stoppzeiten gibt mit ∀ eine t≥0 Denition 4.6. Ein stochastischer Prozess M ω∈Ω M f 0 T1 ≤ T2 ≤ . . . X lim Tn (ω) = ∞ n→∞ (MTn ∧t )t≥0 ist ein Martingal 49 Klar: Jedes Martingal ist ein lokales Martingal. Die Umkehrung ist jedoch falsch! Satz 4.5. Variation Sei M hM i, ein lokales Martingal mit stetigen Pfaden und stetiger quadratischer f ∈ C 1 (R). Dann gilt ferner Zt f (Ms ) dMs It := 0 Behauptung 4.6. Sei M ist ein lokales Martingal t≥0 ein lokales Martingal mit stetigen Pfaden und M0 = 0. Äquiva- lent sind: (i) (ii) M ist ein Martingal mit (i) oder (ii) für alle t≥0 EhM it < ∞ ∀ t≥0 Im Falle von EMt2 < ∞ gilt ∀ t≥0 EMt2 = EhM it Behauptung 4.7. lokales Martingal mit stetigen Pfaden und quadratischer Variation Dann gilt Sei M ein hM it = 0 f.s. (t ≥ 0). ∀ t≥0 Korollar 4.5. Sei M Mt = M0 f.s. ein lokales Martingal mit stetigen Pfaden von endlicher Totalvaria- tion. Dann gilt ∀ t≥0 Mt = M0 f.s. Bemerkung: Mit Kor. 4.5 können wir zeigen, dass bei stetigen lokalen Martingalen (mit stetigem quadratischem Variationsprozess) der quadratische Variationsprozess in Def. 4.5 f.s. unabhängig von der Wahl der Partitionenfolge (τn ) Denition 4.7. Ein Xt = Mt + At tingal M X stochastischer Prozess und einem adaptierten Prozess A mit ist. mit einem lokalen Mar- mit linksseitig stetigen Pfaden von endlicher Totalvariation heiÿt Semimartingal. Bemerkungen. 1) Die linksseitige Stetigkeit von der Werte As , s < t, A hat zur Folge, dass der Wert von At bei Kenntnis vorhergesagt werden kann. 2) Die Zerlegung eines Semimartingals X in einen Martingalanteil und einen Anteil von endlicher Totalvariation ist eindeutig (bis auf additive Konstanten). Ist so ist auch M (und somit A) X A stetig, stetig. A als vorhersagbar angenommen, A adaptiert ist und die Pfade von A 3) In der allgemeinen Theorie der Semimartingale wird was etwas schwächer ist als die Forderung, dass linksseitig stetig sind. 50 Denition 4.8. |τn | → 0. X und Y seien stetige Funktionen mit stetiger quadratischer Variation entlang der Folge (τn ). Existieren die Grenzwerte und zwar unabhängig von der speziellen Wahl von (τn ) X (Xti − Xti−1 )(Yti − Yti−1 ), ∀ hX, Y it := lim Sei (τn ) eine Folge von Partitionen des Intervalls n→∞ t≥0 so heiÿt hX, Y i := (hX, Y it )t≥0 Satz 4.6. hX, Y it [0, T ] mit ti ∈τn ,ti ≤t Kovariation von existiert genau dann, wenn X Y. und hX + Y it existiert. In diesem Fall gilt die Polarisationsgleichung hX, Y it = 1 (hX + Y it − hXit − hY it ) 2 Bemerkungen. 1) X stetige Funktion mit stetiger Variation hXi, A stetige Funktion mit endlicher Totalvariation. Dann gilt hX + Ait = hXit und damit hX, Ait = 0 2) Für zwei unabhängige Brownsche Bewegungen ∀ t≥0 3) X B (1) und gilt hB (1) , B (2) it = 0 stetige Funktion mit stetiger quadratischer Variation, Zt Yt := B (2) f, g ∈ C 1 (R), Zt f (Xs ) dXs , Zt := 0 g(Xs ) dXs 0 Dann gilt Zt hY, Zit = f (Xs )g(Xs ) dhXis 0 Dies folgt aus der Polarisationsgleichung und Zt hY + Zit = (f + g)2 (Xs ) dhXis 0 Zt = hY it + hZit + 2 f (Xs )g(Xs ) dhXis 0 Satz 4.7 (d-dimensionale Itô-Formel). Sei X = (X 1 , . . . , X d ) : [0, T ] → Rd stetigen Kovariationen ( hX k it , hX , X it = 1 k l k l 2 hX + X it − hX it − hX it , k l 51 k=l falls k 6= l falls stetig mit Ferner sei F ∈ C 2 (Rd , R). Dann gilt F (Xt ) − F (X0 ) d Zt d Zt X X ∂ ∂2 1 = F (Xs ) dXsi + F (Xs ) dhX i , X j is ∂xi 2 ∂xi ∂xj i=1 0 i,j=1 0 In Kurzform: dF (Xt ) = d X Fxi (Xt ) dXti + i=1 d 1 X Fxi ,xj (Xt ) dhX i , X j it 2 i,j=1 Beispiel. Sei W = (W 1 , . . . , W d ) eine d-dimensionale Brownsche Bewegung. Also ( t, hW k , W l it = 0, falls falls k=l k 6= l Mit obiger Itô-Formel F (Wt ) − F (W0 ) = d Z X t d Fxi (Ws ) dWsi Zt Fxi ,xi (Ws ) ds i=1 0 i=1 0 Korollar 4.6 1X + 2 X und Y stetige hX, Y i. Dann gilt (Itôsche Produktformel). Seien quadratischer (Ko-)Variation hXi, hY i bzw. Zt Xt Yt = X0 Y0 + Funktionen mit stetiger Zt Ys dXs + hX, Y it Xs dYs + 0 0 Kurzschreibweise: d(XY )t = Xt dYt + Yt dXt + dhX, Y it Korollar 4.7 (Itô-Formel für zeitabhängige Funktionen). Sei X stetiger quadratischer Variation hXi und F : (t, x) 7→ F (t, x) mit eine stetige Funktion mit F ∈ C 1,2 . Dann gilt F (t, Xt ) Zt = F (0, X0 ) + Zt Ft (s, Xs ) ds + 0 Kurzschreibweise: 1 Fx (s, Xs ) dXs + 2 0 Zt Fxx (s, Xs ) dhXis 0 1 dFt = Ft dt + Fx dXt + Fxx dhXit 2 Beispiel. W Brownsche Bewegung, S0 > 0 Startwert, µ ∈ R, σ > 0 52 Konstanten Der durch 1 2 St = S0 exp σWt + µ − σ t , t ≥ 0 2 denierte stochastische Prozess S heiÿt geometrische Brownsche Bewegung. Herleitung einer Itô-Integralgleichung für S: Xt = σWt 1 2 Yt = µ− σ t 2 hXit = σ 2 t und hY it = hX, Y it = 0 Für F (x, y) := S0 exp(x + y) gilt Fx = Fy = Fxx = F Wegen St = F (Xt , Yt ) folgt Klar: Zt Zt 1 F (Xs , Ys ) dYs + 2 F (Xs , Ys ) dXs + St = S0 + = S0 + Zt F (Xs , Ys )σ dWs + 0 F (Xs , Ys ) dhXis 0 0 0 Zt Zt 1 F (Xs , Ys ) µ − σ 2 2 0 + 1 2 Zt F (Xs , Ys )σ 2 ds 0 Zt = S0 + Zt σSs dWs + µSs ds 0 0 In Kurzform: dSt = µSt dt + σSt dWt Falls µ = 0, ist Zt St = S0 + σSs dWs 0 nach Satz 4.4 ein lokales Martingal. Wegen Zt EhSit = E σ 2 Ss2 dhW is 0 2 Zt =σ E Ss2 ds 0 für alle t ≥ 0, ist S nach Behauptung 4.6 =σ 2 Zt ESs2 ds < ∞ 0 sogar ein Martingal. 53 ds Abbildung 3: Kiyoshi Itô (19152008), Wolfgang Döblin (19151940) 54 5 Zeitstetige Finanzmärkte Marktmodell M • WR (Ω, F, P ) • Filtration F von aufsteigenden in F enthaltenen σ -Algebren mit F0 = {∅, Ω} und FT = F • d+1 Finanzgüter mit Preisprozessen S0 , S1 , . . . , Sd , welche zu F adaptiert und streng positiv seien Weitere technische Regularitätsvoraussetzungen (abhängig z.B. davon, wie allgemein das stochastische Integral sein soll und was man beweisen will): • F ist • F0 • F P -vollständig enthält alle P -Nullmengen ist rechtsstetig, d.h. Ft = ∀ t∈[0,T ] • S0 , S 1 , . . . , S d \ Fs s>t sind stetige Semimartingale S = (St )t∈[0,T ]) in Prozess A mit (lokal) Zur Erinnerung: Per denitionem lässt sich ein stetiges Semimartingal ein stetiges (lokales) Martingal M und einen stetigen adaptierten beschränkter Variation zerlegen. H = (Ht )t∈[0,T ] Ein vorhersagbarer Prozess ist ein stochastischer Prozess H : Ω × [0, T ] → R, welcher messbar ist bezüglich der vorhersagbaren σ -Algebra, welche von den adaptierten Prozessen mit linksseitig stetigen Pfaden erzeugt wird. Denition 5.1. Ein Numéraire ist ein Preisprozess Xt > 0 ∀ X = (Xt )t∈[0,T ] mit P − f.s. t∈[0,T ] Denition 5.2. Der Rd+1 -wertige stochastische Prozess ϕ ist eine Handelsstrategie oder dynamisches Portfolio, falls ϕ(t) = (ϕ0 (t), . . . , ϕd (t)) , t ∈ [0, T ] ein vorhersagbarer lokal beschränkter Prozess ist. Unter diesen Bedingungen existiert das stochastische Integral ϕi (t) ϕi (t) bezeichnet die Anteile des Finanzgutes i Denition 5.3 Vϕ = (Vϕ (t))t∈[0,T ] des Portfolios Vϕ (t) := hϕ(t), S(t)i = d X i=0 55 0 hϕ(u), dS(u)i. im Portfolio zum Zeitpunkt basiert auf der Information, welche vor dem Zeitpunkt (i) Der Wertprozess Rt ϕ t t. erhältlich ist. ist gegeben durch ϕi (t)Si (t), t ∈ [0, T ] Gϕ = (Gϕ (t))t∈[0,T ] ist gegeben durch Z t d Z t X Gϕ (t) := hϕ(u), dS(u)i = ϕi (u) dSi (u) (ii) Der Zuwachsprozess 0 (iii) Die Handelsstrategie ϕ i=0 0 heiÿt selbstnanzierend, falls Vϕ (t) = Vϕ (0) + Gϕ (t) ∀ t∈[0,T ] Behauptung 5.1. Ein selbstnanzierendes Portfolio bleibt nach einem Wechsel des Numéraires X selbstnanzierend. Sei S0 der risikolose Bond. S̃ := 1, SS01 , . . . , SSd0 Diskontierter Preisprozess: Diskontierter Wertprozess: d Ṽϕ := X Vϕ = ϕ0 + ϕi S̃i S0 i=1 G̃ϕ : Diskontierter Zuwachsprozess G̃ϕ (t) := d Z X i=1 Behauptung 5.2. ϕ t t ∈ [0, T ] ϕi (u) dS̃i (u), 0 ist genau dann selbstnanzierend, wenn Ṽϕ (t) = Ṽϕ (0) + G̃ϕ (t) ∀ t∈[0,T ] Es gilt Vϕ (t) ≥ 0 genau dann, wenn Denition 5.4. Eine Ṽϕ (t) ≥ 0. selbstnanzierende Handelsstrategie ermöglicht Arbitrage, falls Vϕ (0) = 0 P (Vϕ (T ) ≥ 0) = 1 P (Vϕ (T ) > 0) > 0 Denition 5.5. Das auf (Ω, F) denierte Wahrscheinlichkeitsmaÿ Q wird (stark) äquivalentes Martingalmaÿ genannt, falls Martingal (Martingal) bzgl. Die Menge der zu P Q Q∼P und der diskontierte Preisprozess äquivalenten Martingalmaÿe werde mit Denition 5.6. Eine S̃ ein lokales ist. selbstnanzierende Handelsstrategie ϕ P bezeichnet. heiÿt zahm (tame), falls Vϕ (t) ≥ 0 ∀ t∈[0,T ] Die Menge der zahmen Handelsstrategien werde mit Behauptung 5.3. Sei ϕ ∈ Φ. Dann ist Ṽϕ Φ bezeichnet. unter jedem Q∈P ein nichtnegatives lokales Martingal und ein Supermartingal. Satz 5.1. Existiert ein zu P Handelsstrategie aus Φ, äquivalentes Martingalmaÿ (d.h. P= 6 ∅), dann existiert keine welche Arbitrage ermöglicht. Bemerkung. Um in zeitstetigen Märkten eine auch hinreichende Bedingung für die Existenz eines äquivalenten Martingalmaÿes zu nden, muss der Begri der Arbitragefreiheit noch verschärft werden. 56 5.1 Risikoneutrale Bewertung Annahme: Im Weiteren exisitiere immer ein zu S̃ unter welchem der diskontierte Preisprozess Nach Satz 5.1 ndet man dann in P stark äquivalentes Martingalmaÿ P ∗, ein Martingal ist. Φ keine Handelsstrategie, welche in X mit M Arbitrage er- möglicht. Im Folgenden werden nur Derivate X ∈ L1 (F, P ∗ ) S0 (T ) betrachtet. Denition 5.7. Eine selbstnanzierende Handelsstrategie diskontierte Zuwachsprozess G̃ϕ ϕ heiÿt P ∗ -zulässig, falls der mit Z t hϕ(u), dS̃(u)i G̃ϕ (t) = 0 P ∗ -Martingal ein ist. Die Menge dieser Handelsstrategien wird mit Es wird nicht vorausgesetzt, dass eine Satz 5.2. Eine P ∗ -zulässige Φ(P ∗ ) P ∗ -zulässige bezeichnet. Handelsstrategie auch zahm ist. Handelsstrategie ermöglicht keine Arbitrage in M. Existieren keine Arbitrage-Möglichkeiten, so kann das Problem der Bewertung und des Hedgings von Derivaten auf die Existenz das Derivat replizierender selbstnanzierender Handelsstrategien zurückgeführt werden. Denition 5.8. (i) Eine Derivat X heiÿt erreichbar, falls es eine P ∗ -zulässige Handelsstrategie ϕ gibt mit Vϕ (T ) = X In diesem Fall wird (ii) Der Finanzmarkt ϕ M die das Derivat X replizierende Handelsstrategie genannt. heiÿt vollständig, falls jedes Derivat erreichbar ist. Bemerkungen. • Erreichbarkeit und Vollständigkeit hängen von der betrachteten Klasse von Handelsstrategien ab! • Erreichbarkeit und Vollständigkeit hängen nicht von der Wahl des Numéraires ab. • Die Eigenschaft einer Handelsstrategie, ein Derivat zu replizieren, bleibt bei einem Wechsel des Numéraires erhalten. X erreichbar, kann es durch ein Portfolio ϕ ∈ Φ(P ∗ ) repliziert Preisprozess ΠX = (ΠX (t))t∈[0,T ] des Derivates muss deshalb gelten Ist das Derivat den ΠX (t) = Vϕ (t) 57 werden. Für Satz 5.3. ΠX Der sogenannte arbitragefreie Preisprozess jedes erreichbaren Derivates X ist gegeben durch die Formel der risikoneutralen Bewertung ΠX (t) = S0 (t) EP ∗ ∀ t∈[0,T ] X | Ft S0 (T ) Was passiert, wenn es zwei verschiedene Portfolios gibt, die Korollar 5.1. Für zwei das Derivat X X replizierende Portfolios replizieren? ϕ und ψ gilt Vϕ (t) = Vψ (t) ∀ t∈[0,T ] Für Fragen der Bewertung ist es hinreichend, ein stark äquivalentes Martingalmaÿ zu nden. Aus der Sicht des Risikomanagements ist es jedoch wichtig, das das Derivat replizierende Portfolio zu nden. Lemma 5.2 Das denierte X/S0 (T ) sei P ∗ -integrierbar. X | Ft M (t) = EP ∗ S0 (T ) diskontierte Derivat P ∗ -Martingal Besitzt das durch eine Integral-Darstellung M (t) = x + d Z X i=1 t ϕi (u) dS̃i (u), 0 mit vorhersagbaren und lokal beschränkten Prozessen ϕ1 , . . . , ϕ d , so ist X erreichbar. Den folgenden Vollständigkeitssatz werden wir nicht beweisen: Satz 5.4. Ist das starke Martingalmaÿ P ∗ M, dann ist M das einzige Martingalmaÿ für den Finanzmarkt vollständig in dem eingeschränkten Sinne, dass jedes Derivat X mit X ∈ L1 (F, P ∗ ) S0 (T ) erreichbar ist. Im Beweis wird ein sogenannter Martingaldarstellungssatz benötigt. 5.2 Das Black-Scholes-Modell Es gibt verschiedene Möglichkeiten den Preisprozesses S der risikobehafteten Anlage zu modellieren Bachelier (1900): Brownsche Bewegung mit Drift µ und Volatilität σ St = S0 + σWt + µt µ ∈ R, σ > 0 und einer Standard-BB W bzgl. P . St ∼ N (S0 + µt, σ 2 t) wird St < 0 mit Wahrscheinlichkeit 1 mit Konstanten Wegen Nach Itô ist dieser Prozess Lösung der stochastischen Dierenzialgleichung dSt = µ dt + σ dWt 58 Samuelson (1965): Geometrische Brownsche Bewegung mit Drift µ und Volatilität σ 1 St = S0 exp σWt + (µ − σ 2 )t 2 Hier St > 0 1 mit Wahrscheinlichkeit Nach Itô ist dieser Prozess Lösung der stochastischen Dierenzialgleichung dSt = St (µ dt + σ dWt ) oder dSt = µ dt + σ dWt St Für die GBB gilt: St+h St d.h. ist lognormalverteilt St+h log ∼N St 1 (µ − σ 2 )h, σ 2 h 2 da für den sog. log-Return St+h σ2 log = log St+h − log St = σ(Wt+h − Wt ) + µ − h St 2 gilt und damit N ((µ − σ2 2 2 )h, σ h)-verteilt ist. Das Verhältnis zweier aufeinanderfolgender Preise ist also lognormalverteilt. Ferner: Die log-Returns zu sich nicht überlappenden Zeitintervallen sind stochastisch unabhängig. Wird die geometrische Brownsche Bewegung zur Modellierung des Preisprozesses der risikobehafteten Anlage gewählt, so spricht man auch von einem Black-Scholes-Modell. Warum wird die geometrische Brownsche Bewegung häug zur Modellierung des Aktienpreisprozesses verwendet? • (Häug) gute Übereinstimmung mit empirischen Daten • GBB führt zu expliziten Bewertungsformeln für viele Derivate • Wenn der wahre Preisprozess von der GBB nicht zu sehr abweicht, liefern die auf dem BS-Modell beruhenden Hedging-Strategien gute Ergebnisse • das BS-Modell ist arbitragefrei und vollständig Marktmodell M: • WR (Ω, F, P ) • Bond B mit Filtration F (wie oben) mit Preisprozess Bt = B0 exp(rt), mit stetigem Zinssatz r>0 und Startkapital 59 t ∈ [0, T ] B0 = 1. • Aktie σ, S mit Aktienpreisprozess einer geometrische BB mit Trend µ und Volatilität d.h. 1 2 St = S0 exp σWt + (µ − σ )t , 2 t ∈ [0, T ] Wähle den Bond als Numéraire Diskontierter Preisprozess der Aktie σ2 St S̃t = = S0 exp σWt + (µ − r − )t Bt 2 Mit Itô dS̃t = S̃t ((µ − r) dt + σ dWt ) Falls µ 6= r ist (S̃t ) kein Martingal bzgl. PROBLEM: Gibt es ein zu P P. Q äquivalentes Maÿ so, dass der diskontierte Preisprozess (S̃t )0≤t≤T ein Martingal bzgl. Q ist? (S̃t )0≤t≤T ist ein Q-Martingal ⇐⇒ σWt + (µ − r)t ist bzgl. Q eine BB ohne Drift µ−r t ist bzgl. Q eine Standard BB ⇐⇒ Wt + σ } | {z =:γ Betrachte bzgl. P die BB mit Drift γ W̃t := Wt + γt, Gesucht ist ein W-Maÿ Q, unter welchem 0≤t≤T (W̃t )0≤t≤T eine BB mit Drift 0. Vorbetrachtung: X sei N (0, σ 2 )-verteilt bezüglich P . 2 X̃ := X + µ, also ist X̃ ist N (µ, σ )-verteilt Die ZV Q sei deniert durch Q := exp −µX− 12 µ2 σ2 Z Q(A) = exp A Dann ist X̃ unter unter dem W-Maÿ bezüglich · P, P. d.h. −µX − 21 µ2 σ2 ! dP für alle A∈F Q N (0, σ 2 )-verteilt. Begründung: Q(X̃ ≤ a) = EQ 1[X̃≤a] Z = 1[X+µ≤a] exp ! −µX − 21 µ2 dP σ2 Ω ! Z −µx − 12 µ2 1 x2 √ = 1[x+µ≤a] exp exp − 2 dx σ2 2σ 2πσ R Z 1 (x + µ)2 dx = 1[x+µ≤a] √ exp − 2σ 2 2πσ R Z x̃2 1 = exp − 2 dx̃ 1[x̃≤a] √ 2σ 2πσ R Z a 2 1 x̃ √ = exp − 2 dx̃ 2σ 2πσ −∞ 60 Q ist (W̃t )0≤t≤T eine BB mit Drift 0? Der Einfachheit halber sei T = 1. i Diskretisiere das Intervall [0, 1] durch ti := n für i = 0, . . . , n. Setze ∆t := 1/n. Frage: Unter welchem W-Maÿ j n W̃ j = W j + γ n n = j X =: i=1 j X W i − W i−1 + γ∆t n n (Xi + γ∆t) =: i=1 Unter P i j X X̃i i=1 Xi unter P N (0, ∆t)-verteilt. X̃i N(γ∆t, ∆t)-verteilt. −γ∆tXi − 12 (γ∆t)2 · P = exp −γXi − 12 γ 2 ∆t · P Qi := exp ∆t Für festes Unter ist die Zufallsvariable ist ist X̃i N (0, ∆t)-verteilt. Wir zeigen: Durch 1 Q := E(−γW1 ) · P = exp −γW1 − γ 2 · P 2 wird ein W-Maÿ deniert, unter welchem (X̃1 , . . . , X̃n ) dieselbe Verteilung besitzt wie (X1 , . . . , Xn ) unter P (X̃1 , . . . , X̃n ) besitzt unter P die Verteilung N (0, ∆t) ⊗ . . . ⊗ N (0, ∆t). Für festes n und beliebige a1 , . . . , an ∈ R gilt dann: 1 2 Q(X̃1 ≤ a1 , . . . , X̃n ≤ an ) = EP 1[X̃1 ≤a1 ,...,X̃n ≤an ] exp −γW1 − γ 2 ! n Y 1 2 = EP 1[X̃i ≤ai ] exp −γXi − γ ∆t 2 i=1 n Y 1 2 = EP 1[X̃i ≤ai ] exp −γXi − γ ∆t 2 Klar: = i=1 n Y EP 1[Xi ≤ai ] (Mit Vorbetrachtung) i=1 = P (X1 ≤ a1 , . . . , Xn ≤ an ) (W̃0 , W̃∆t , . . . , W̃1 ) unter Q mit der gemeinsamen Verteilung von (W0 , W∆t , . . . , W1 ) unter P überein. Der folgende Satz behauptet, dass dies nicht nur für die endlichdimensionalen Randverteilungen von W̃ und W gilt, Also stimmen die gemeinsame Verteilung von sondern auch für die Prozesse selber gilt: Satz von Girsanov Standard-BB bzgl. P (für Brownsche Bewegungen mit konstantem Drift). Ist und W̃ W̃t = Wt + γt, eine Brownsche Bewegung mit Driftrate γ ∈ R, dann ist W̃ eine Standard-BB bzgl. Z ∀ eine t ∈ [0, T ], (ohne Drift!), wobei A∈FT W mit QT (A) := E(1A MT ) = MT dP A 61 QT 1.0 0.5 Y 0.0 −0.5 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 t Abbildung 4: Pfade einer geometrischen Brownschen Bewegung, die unter dem der Simulation zugrunde gelegten W-Maÿ eine Drift besitzt. Unter dem äquivalenten Martingalmaÿ wird die Drift zu Null. Dies entspricht einer Neubewertung der Pfade gemäÿ der Girsanov-Dichte, angedeutet durch die Farbtemperatur. und ein Martingal 1 Mt := E(−γWt ) := exp(−γWt − γ 2 t), 2 M bzgl. P darstellt. t ∈ [0, T ] Bemerkung. Man kann zeigen, dass dieses Martingalmaÿ das einzige äquivalente Martingalmaÿ ist! Anwendung des Satzes von Girsanov auf unser Ausgangsproblem: W̃t = Wt + ist bzgl. QT µ−r t, σ t ∈ [0, T ], mit µ−r 1 QT (A) := exp − WT − σ 2 A Z ∀ A∈FT µ−r σ 2 ! T dP eine Standard-BB. Also ist ein σ2 S̃t = S̃0 exp σWt + µ − r − t , 2 QT -Martingal Satz 5.5. Im also eine geometrische BB t ∈ [0, T ], ohne Drift bzgl. QT ! Black-Scholes-Modell mit Bond-Preisprozess Bt = B0 exp(rt), t ∈ [0, T ] (B0 = 1, r > 0) und Aktien-Preisprozess 1 2 St = S0 exp σWt + µ − σ t , 2 62 t ∈ [0, T ] (S0 > 0, µ ∈ R, σ > 0) ist das W-Maÿ QT mit P -Dichte dQT 1 2 = MT := exp −γWT − γ T dP 2 ein äquivalentes Martingalmaÿ. Das Black-Scholes-Modell ist also (nach Satz 5.2) arbitragefrei bezüglich den Handelsstrategien. P -Dynamik von S : dSt = St (µ dt + σ dWt ) P -Dynamik von S̃ : dS̃t = S̃t ((µ − r) dt + σ dWt ) Wegen dW̃t = Q-Dynamik µ−r σ von dt + dWt folgt: S: dSt = St (r dt + σ dW̃t ) Q-Dynamik von S̃ : dS̃t = S̃t (0 dt + σ dW̃t ) Unter Q wird die Drift µ der Aktie zur Zinsrate r! 5.3 Black-Scholes mittels risikoneutraler Bewertung X = (ST − K)+ europäischen Call-Option zum Zeitpunkt t = 0 C0 = EQ e−rT (ST − K)+ = EQ e−rT ST 1[ST >K] − e−rT KQ(ST > K) Payo der europäischen Call-Option Wert der =: I1 + I2 wobei Q Zu Term das nach Satz 5.5 spezizierte äquivalente Martingalmaÿ ist. I2 : Mit 1 St = S0 exp σWt + (µ − σ 2 )t 2 µ−r t Wt = W̃t − σ folgt Q(ST > K) = Q(log ST > log K) σ2 = Q(σWT + (µ − )T > log K − log S0 ) 2 2 σ = Q σ W̃T + r − T > log K − log S0 2 ! 2 log K − log S0 − (r − σ2 )T σ W̃T √ > √ =Q σ T σ T 63 QT -zulässigen W̃ Da √ T T ∼ N (0, 1) unter Q, folgt log K − log S0 − (r − σ 2 /2)T √ Q(ST > K) = Φ − σ T log(S0 /K) + (r − σ 2 /2)T √ =Φ σ T Zu Term I1 : Es gilt −rT e σ2 ST = S0 exp σWT + (µ − r − )T 2 2 σ = S0 exp σ W̃T − T 2 =: S0 MT Denition eines neuen Maÿes Q̂ mittels dQ̂ dQ = MT Damit EQ e−rT ST 1[ST >K] = S0 EQ MT 1[ST >K] = S0 EQ̂ (1[ST >K] ) = S0 Q̂(ST > K) = S0 Q̂(log ST > log K) Mit Satz von Girsanov: Ŵt := W̃t − σt, t ∈ [0, T ] Q̂ eine BB ohne Drift! σ W̃T = σ ŴT + σ 2 T ist unter Wegen I = Q̂(log ST > log K) σ2 )T > log K) 2 σ2 = Q̂(log S0 + σ W̃T + (r − )T > log K) 2 σ2 = Q̂(log S0 + σ ŴT + (r + )T > log K) 2 ! 2 − log SK0 − (r + σ2 )T σ ŴT √ > √ = Q̂ σ T σ T | {z } = Q̂(log S0 + σWT + (µ − ∼N (0,1) =Φ log SK0 + (r + √ σ T σ2 2 )T ! Also: Satz 5.6. Der arbitragefreie Preis des europäischen Calls mit Ausübungspreis K zeitende T im Black-Scholes-Modell mit Volatilität σ und stetiger Zinsrate durch ∀ C(t) = St Φ(d1 ) − e−r(T −t) KΦ(d2 ) t∈[0,T ] mit d1 = log St /K + (r + 21 σ 2 )(T − t) √ σ T −t 64 und √ d2 = d1 − σ T − t r und Lauf- ist gegeben Vollständigkeit des klassischen Black-Scholes Modells Zur Konstruktion eines Hedging-Portfolios benötigen wir den folgenden Satz 5.7 (Martingal-Darstellungssatz) Sei F = (Ft )t∈[0,T ] die von der Brownschen W = (Wt )t∈[0,T ] erzeugte vollständige Filtration und M = (Mt )t∈[0,t] ein zu 2 dieser Filtration adaptiertes Martingal mit E(MT ) < ∞. Dann gibt es einen (bis auf Bewegung Modikation) eindeutig bestimmten vorhersagbaren adaptierten Prozess mit T Z Hs2 ds E H = (Ht )t∈[0,T ] <∞ 0 so dass für alle t ∈ [0, T ] gilt: t Z Mt = M0 + Hs dWs f.s. 0 Wir wissen bereits, dass der klassische BS-Markt ein eindeutiges zu ∗ Maÿ P mit P äquivalentes Martingal- γ2 dP ∗ = e−γWT − 2 T dP γ = (µ − r)/σ (Marktpreis des Risikos). 1 L (P ), dann gilt auch X ∈ L1 (P ∗ ), also existiert das besitzt, wobei Sei X∈ Mt = EP ∗ (e−rT X | Ft ), P ∗ -Martingal t ∈ [0, T ] Unter Verwendung des Martingal-Darstellungssatzes 5.7 folgt, dass es einen adaptierten vorhersagbaren Prozess H = (Ht )t∈[0,T ] P∗ gibt, so dass unter t Z Mt = M0 + Hs dW̃s f.s. 0 Da für die P ∗ -Dynamik von S̃ dS̃t = S̃t σ dW̃t gilt, folgt t Z Mt = M0 + ϕ1 (s) dS̃s f.s. 0 wobei ϕ1 (t) := Ht σ S̃t Mit ϕ0 (t) := Mt − ϕ1 (t)S̃t = Mt − wird (ϕ(t))t∈[0,T ] = (ϕ0 (t), ϕ1 (t))t∈[0,T ] , Ht σ zu einer seibstnanziererenden (vorhersagbaren lokalbeschränkten) Handelsstrategie, welche e−rT X repliziert. Also: X ist erreichbar Da X beliebig aus L1 (P ), ist der klassische BS-Markt vollständig. Damit ist zwar die Existenz einer selbstnanzierenden replizierenden Handelsstrategie gesichert, ihre explizite Konstruktion aber noch oen! Unter Verwendung des Martingaldarstellungssatzes konnten wir zeigen, dass ein vorhersagbarer Prozess ϕ existiert, so dass EP ∗ (e−rT X | Ft ) = V0 + Z t ϕ1 (s)σ S̃s dW̃s 0 65 f.s. (t ∈ [0, T ]) Wäre das Integral auf der rechten Seite ein gewöhnliches Riemann-Integral, könnte durch Dierentation dieser Integralgleichung nach ϕ1 (t) = t ϕ1 bestimmt werden: 1 d −rT e EP ∗ (X | Ft ) σ S̃t dt Unter Verwendung der Malliavin-Ableitungsoperators Dt kann gezeigt werden, dass 1 −rT e EP ∗ (Dt X | Ft ) σ S̃t ϕ1 (t) = 5.4 Zur Black-Scholes-Formel mittels einer No-Arbitrage-Bewertung Wir betrachten wieder das Marktmodell • WR (Ω, F, P ) • Bond B mit Filtration M: (wie oben) F mit Preisprozess Bt = B0 exp(rt), mit stetigem Zinssatz • Aktie σ, S r>0 und Startkapital t ∈ [0, T ] B0 = 1. mit Aktienpreisprozess einer geometrische BB mit Trend µ und Volatilität d.h. 1 2 St = S0 exp σWt + (µ − σ )t , 2 und ein Portfolio und ψt (ϕ, ψ) = (ϕt , ψt )t∈[0,T ] , t ∈ [0, T ] welches zum Zeitpunkt t ϕt Einheiten der Aktie Einheiten im Bond beinhaltet Wert des Portfolios zum Zeitpunkt t: V (t, St ) := Vt = ψt Bt + ϕt St Im Folgenden betrachten wir der Einfachheit halber nur Derivate der Form X = h(ST ) (die europäische Call-Option ist von diesem Typ). Satz 5.8. Sei V : [0, T ] × R+ → R eine stetige Funktion, welche die PDG 1 Vt (t, s) + σ 2 s2 Vss (t, s) + rsVs (t, s) = rV (t, s), 2 (t, s) ∈ [0, T ) × R+ löst. (ϕ, ψ) mit ϕ(t, St ) = ϕt = Vs (t, St ) und Wertprozess V (t, St ) ∈ [0, T ]) selbstnanzierend. Erfüllt V die Randbedingung V (T, ST ) = h(ST ), ist (ϕ, ψ) eine das Derivat X replizierende Handelsstrategie. Der faire Wert des Derivats X ist V (t, St ) (t ∈ [0, T ]). + Payo der europäischen Call-Option: h(ST ) = (ST − K) Dann ist die Handelsstrategie (t Bestimmung der dazugehörigen Lösung der PDG in Satz 5.8: Lemma 5.3. Seien τ (t) = σ 2 (T − t) z(t, s) = log s − ( 12 σ 2 − r)(T − t). Die Funktion u(t, z) : [0, T ] × R → R löse die Wärmeleitungsgleichung ut = z + Anfangsbedingung u(0, z) = (e − K) . und Dann löst C(t, s) := e−r(T −t) u(τ (t), z(t, s)) 66 1 2 uzz mit das Randwertproblem für den Preis des europäischen Calls. Satz 5.9. Der arbitragefreie Preis des europäischen Calls mit Ausübungspreis K zeitende T im Black-Scholes-Modell mit Volatilität σ und stetiger Zinsrate r und Lauf- ist gegeben durch C(t) = St Φ(d1 ) − e−r(T −t) KΦ(d2 ) ∀ t∈[0,T ] mit d1 = log St /K + (r + 21 σ 2 )(T − t) √ σ T −t √ d2 = d1 − σ T − t und Das dazugehörige Hedge-Portfolio besteht aus • ϕt = ∂ ∂s C(t) = Φ(d1 ) ∈ (0, 1) Einheiten der Aktie und • ψt = (C(t) − Φ(d1 )St )/ert = −e−rt KΦ(d2 ) < 0 Einheiten des Bonds 5.5 Die Feynman-Kac-Formel Die Feynman-Kac-Formel stellt die Lösung einer partiellen Dierentialgleichung in Form einer bedingten Erwartung dar. Satz 5.10 (Feynman-Kac-Formel) Seien µ : R → R und σ : R → (0, ∞) zwei Lipschitzstetige Funktionen, F die Lösung der PDG 1 Ft + µ(x)Fx + σ 2 (x)Fxx = 0 2 mit Randbedingung F (T, x) = h(x), wobei h ∈ C02 . Dann besitzt F die Darstellung F (t, x) = E(h(XT )|Xt = x), wobei X die stochastische Dierentialgleichung dXu = µ(Xu )du + σ(Xu )dWu mit Anfangsbedingung Wir betrachten einen Xt = x Bond B (t ≤ u ≤ T ) löst (W Standard-BB bzgl. und eine Aktie S, P ). die sich gemäÿ dBt = rBt dt dSt = µSt dt + σSt dWt entwickeln. Unter dem risikoneutralen Maÿ P∗ genügt der Aktienpreisprozess der SDG dSt = rSt dt + σSt dW̃t W̃ bzgl. P ∗ eine Standard-BB. µ(s) = rs und σ(s) = σs hat diese wobei Mit SDG die Form der SDG in der Feynman-Kac- Formel. Sei jetzt X Ferner löse ein Derivat der Form F : [t, T ] × R → R X = h(ST ). die PDG 1 Fs + µ(s)Fs + σ 2 (s)Fss = 0 2 67 mit Randbedingung F (T, s) = e−rT h(s). Mit der Formel für die risikoneutrale Bewertung von Derivaten folgt ΠX (t) = ert E ∗ (e−rT X|Ft ) = ert F (t, St ) Unter Verwendung der Tatsache, dass durch Mt := F (t, St ) ein P ∗ -Martingal deniert wird, zeigen wir, dass durch ϕ0 (t) := F (t, St ) − Fs (t, St )St ϕ1 (t) := Fs (t, St )Bt ein das Derivat X replizierendes Portfolio ϕ = (ϕ0 , ϕ1 ) gegeben ist. 5.6 Risikokennziern im Black-Scholes-Modell Hedgeratio oder Delta: ∆ := Interpretation des Wertes Ct ∂C = . . . = Φ(d1 ) ∈ (0, 1) ∂s eines europäischen Calls als Portfolios bestehend aus heiten der zugrundeliegenden Aktie und ψt Einheiten des Bonds (short!) Ct = Φ(d1 ) ·St + (−Ke−r(T −t) Φ(d2 )) ·1 | {z } | {z } (ϕt , ψt ) Hedgeratio Kassa-Hedge =:ϕt ∈(0,1) =:ψt ∈(−∞,0) Portfolio zur Duplizierung des europäischen Calls Gamma-Faktor: γ := 1 ∂2C √ = ... = φ(d1 ) ∂S 2 S σ T −t {z } |t monoton wachsend in S >0 =⇒ mit steigendem Aktienkurs wächst die Hedgeratio Theta-Faktor ∂C σ −σ(T −t) √ Θ := = . . . = −Ke Φ(d2 ) + rΦ(d2 ) < 0 ∂t 2 T −t =⇒ Wert des europäischen Calls ist wachsend in der Restlaufzeit (T Rho-Faktor ρ := =⇒ ∂C = . . . = (T − t)Ke−r(T −t) Φ(d2 ) > 0 ∂r Wert des Calls steigt mit wachsendem Zins Omega- oder auch Vega-Faktor ω := =⇒ √ ∂C = . . . = T − t St φ(d1 ) > 0 ∂σ Wert des europäischen Calls steigt mit wachsender Volatilität 68 − t) ϕt Ein- 5.7 Hedging-Strategien Beispiel: Europäischer Call t 6 Wochen 26 Wochen Restlaufzeit τ = T − t 20 Wochen = 0.3846 Stetiger Jahreszins r 5% p.a. Jahresvolatilität σ 20% aktueller Aktienkurs St 98 e Ausübungspreis K 100 e 5 Bank verkauft europäischen Call auf 10 Aktien Aktueller ZP Laufzeit T a für (≈) Wert nach Black-Scholes Risikoprämie 6.0 · 105 e 4.8 · 105 e 1.2 · 105 e Wir betrachten im Folgenden verschiedene Risikomanagementstrategien 1. Ungedeckte Position (naked position): Nichts tun Falls ST = 120 e entstehen für die Bank Kosten in Höhe von 105 · (ST − K)+ = 2 · 106 e 6 · 105 e | {z } 20 Euro Falls ST ≤ 100 e beträgt der Gewinn der Bank 6 · 105 e 2. Gedeckte Position (covered position) Nach Verkauf der Option zum Zeitpunkt 105 · 98 e = 9.8 · ST > K , Lieferung t kauft die Bank sofort 105 Falls der Aktien zum Zeitpunkt T zum Preis von 105 · 100 e = 107 e Dieser Betrag wird abgezinst auf den Zeitpunkt t und beträgt dann ≈ 9.8 · 106 Der Gewinn der Bank beträgt in diesem Fall also ≈ 6 · 105 e Falls Aktien zum Preis von 106 e ST ≤ K , z.B. ST = 80 e, entsteht ein Kursverlust in Höhe von 105 · 18 e = 106 · 1.8 e 6 · 105 e Ergo: Die beiden Strategien 1 und 2 sind unbefriedigend! Nach Black-Scholes entstehen im Mittel Kosten von 3. Stop-Loss-Strategie St0 > K Verkauf der Aktien sobald St0 < K =⇒ Kosten entstehen nur, falls S0 > K =⇒ Kosten für Stop-Loss-Hedgen: Kauf der Aktien sobald − K, 0) {z } max(S0 | <C(S0 ,T )! Arbitrage-Möglichkeit? 69 4.8 · 105 e • Transaktionskosten nicht berücksichtigt • Zinsverluste durch Kapitalbindung • Verluste durch Einkaufspreis K +δ und Verkaufspreis K −δ für ein δ>0 4. Delta-Hedgen Mache Wert des Portfolios unempndlich gegen kleine Schwankungen der zugrundeliegenden Aktie innerhalb kleiner Zeitintervalle Kaufe ∆t: ∂C ∂S |{z} ∆C ≈ ∆S · Anteile an Aktie Delta-/Hedgeratio Beispiel: Bank verkaufe europäischen Call auf Ferner sei 2000 Aktien zum Preis von ∆ = 0.4 Zum Hedgen kauft die Bank 1 e =⇒ ∆ · 2000 = 800 Aktien 800 e 1 Aktie: ∆C = ∆ · ∆S = 0.4 e Wertsteigerung aller Calls 0.4 e · 2000 = 800 e ( = Also nimmt die Bank eine sog. ∆-neutrale Position ein. Aktie steigt um =⇒ =⇒ C = 10 e/Aktie Wert des Portfolios steigt um Wertsteigerung des Calls auf Verlust für die Bank) 5. Dynamisches Hedgen Umstrukturierung des Portfolios gemäÿ der die Option duzplizierenden Handelsstrategie Probleme: • Transaktionskosten • Dierenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis der Aktien 6. Verfeinerung des Delta-Hedgens ∆C = (S + ∆S, t + ∆t) − C(S, t) ∂C 1 ∂2C ∂C ·∆t + = ·∆S + ∆S 2 +0(∆t) 2 |{z} ∂S ∂t 2 ∂S |{z} |{z} | {z } ∼∆t ∆ Θ Zeitverfall Also Γ 1 ∆C ≈ ∆ · ∆S + Θ · ∆t + Γ · ∆S 2 2 Liegt beim Verkäufer der Call-Option ein bereits ∆-neutrales Portfolio vor, so kann dieses durch Kauf oder Verkauf von Derivaten auch Γ-neutral gemacht werden (Aktien oder Terminkontrakte sind dazu nicht geeignet, da diese ein konstantes ∆ besitzen, also Γ = 0). 5.8 Schätzung der Volatilität • aus historischen Daten Probleme: log-Returns sind nicht unabhängig Volatilität zeitlich nicht konstant 70 • mittels impliziter (implizierter) Volatilität Beobachtung: implizite Volatilität hängt vom Strike K und der Restlaufzeit τ = T −t ab (bei demselben Underlying). Die Wahrscheinlichkeit von Börsencrashs wie 1987 ist bei Annahme des BS-Modells praktisch gleich Null =⇒ linke Tails (Flanken) der rechtsschiefen Lognormalverteilung zu dünn Die tatsächlich höher liegende Wahrscheinlichkeit eines Crashs wird durch eine Erhöhung der angenommenen Volatility in der Bewertung von Optionen mit niedrigem Strike Markt vorgenommen 71 K vom 6 Spezielle Derivate Beispiele für spezielle Derivate: • Aktien-, Devisen-, Rohsto- und Energiederivate • Zinsderivate • Kreditderivate • Realoptionen 6.1 Kreditderivate Das Risiko, dass eine Einzelperson, eine Firma oder ein Staat einen Kredit nicht wie vereinbart zurückzahlt, wird als Kreditrisiko bezeichnet. Kreditderivate dienen zur Absicherung dieses Risikos. • Ausfallwahrscheinlichkeit (probability of default, P D): Wahrscheinlichkeit, dass ein Kredit oder eine Anleihe nicht wie vereinbart zurückgezahlt wird • Verlustquote (loss given default, LGD): prozentualer Verlust gemessen am gesamten Kreditvolumen, den ein Kreditgeber verliert, wenn der Schuldner ausfällt. • Erlösquote (recovery rate, RR): 1 − LGD • Nominal (N ): Nominalbetrag, z.B. die Kreditsumme oder eine frei vereinbarte Gröÿe 6.2 Credit Default Swaps Das am häugsten gehandelte Kreditderivat ist der Credit Default Swap (CDS). Denition. Ein Credit Default Swap ist ein Vertrag zwischen zwei Parteien A und B , dass A an B eine Zahlung in Höhe von Verlustquote · Nominalbetrag (= LGD · N ) τ innerhalb eines Zeitraumes [0, T ] A regelmäÿig einen festen Betrag s bezahlt, falls bei Partei C zu einem zufälligen Zeitpunkt ein Kreditereignis auftritt. Im Gegenzug zahlt B an (Prämie). • A: Sicherungsverkäufer (protection seller), z.B. Versicherung • B: Sicherungskäufer (protection buyer), z.B. Bank, Spekulant • C: Referenzaddresse (reference entity), z.B. Firma oder Staat • τ: zufälliger Zeitpunkt des Kreditereignisses (credit event), z.B. Verzug oder Ausfall der Zins- oder Tilgungszahlungen, Insolvenz T Laufzeitende des CDS 0 = t0 < t1 < . . . < tn = T Die Prämienzahlung s vorgegebene Zeitpunkte bei einem CDS wird in der Regel in Basispunkten angegeben (Viel- fache von hundertstel Prozent, bezogen auf den vereinbarten Nominalbetrag 72 N) und dann über die Laufzeit des CDS bis zum (zufälligen) Ausfallzeitpunkt ginnend mit s bezieht sich dabei auf die gewählte Zeiteinheit (typischerweise 1 Jahr). Bei einer viertel- Tritt das Kreditereignis s regelmäÿig gezahlt (be- t1 ). jährlichen Zahlweise muss B τ τ A also N s/4 Geldeinheiten an B leisten. zwischen zwei Zeitpunkten auf, so bezahlt der Sicherungskäufer noch die anteilige Prämie (accrued premium) τ −ti−1 ti −ti−1 s an den Sicherungsverkäufer A. wird auch CDS-Spread genannt. Der oben denierte CDS ist ein single name CDS, da er sich nur auf eine Referenzadresse stützt. Es gibt auch multi name CDS, die auf einem Pool von Referenzadressen basieren, z.B. die Collateralized Debt Obligation (CDO) oder die Index-CDS. Ähnlich einem Zinsswap, bei dem feste Zinszahlungen mit variablen Zinszahlungen getauscht werden, weist ein CDS zwei Zahlungsströme auf: • den Premium Leg, der bis zum Kreditereignis • den Protection Leg, der, falls das Kreditereignis τ feste Zahlungen garantiert, und τ zum Verfallsdatum T eingetreten ist, eine Zahlung in einer von der zufallsabhängigen Verlustquote abgeleiteten Höhe garantiert. Zur Bewertung eines CDS gehen wir davon aus, dass der Werteprozess S der Referenz- adresse C (z.B. Unternehmenswert) bekannt ist und diese Werte wie eine Aktie handelbar sind. Man könnte z.B. im einfachsten Fall davon ausgehen, dass dieser Werteprozess einer geometrischen Brownschen Bewegung folgt. Weiter gehen wir davon aus, dass ein Tagesgeldkonto mit möglicherweise zeitabhängiger stochastischer Zinsrate r verfügbar ist. Unter geeigneten Voraussetzungen an diesen Werteprozess kann angenommen werden, dass dieser Markt arbitragefrei und vollständig ist. Desweiteren nehmen wir an, dass die zugrundeliegende Filtration die von der zufälligen Zeit τ erzeugte σ -Algebra enthält. Unter gewissen Voraussetzungen kann dann angenommen werden, dass ein zum zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsmaÿ P äquivalentes W-Maÿ P∗ existiert, unter dem der abgezinste Werteprozess der Referenzadresse C ein Martingal ist. Für den nächsten Satz verwenden wir: ∆i := ti − ti−1 ∆(ti−1 , u) := u − ti−1 und S(t, u) := P ∗ (τ > u | Ft ) die bedingte Wahrscheinlichkeit ist, dass bis geben die bis zum Zeitpunkt t u kein Kreditereignis stattgefunden hat, ge- verfügbare Information. 73 6.3 Bewertung des CDS Satz 6.1. Der zum Zeitpunkt t ∈ [0, T ] gültige Wert eines CDS mit Nominal N , bekannter Recovery Rate RR, s und Fälligkeit in T , τ > t bezieht, lautet aus CDS-Spread mit zufälligem Ausfallzeitpunkt der sich auf eine Referenzadresse Sicht des Sicherungsnehmers VCDS (t) = VProtection (t) − VPremium (t), t ∈ [0, T ] wobei VProtection (t) = N (1 − RR) VPremium (t) = N s n X T Z Z exp − 0 rv dv (−dS(t, u)) t Z ∆i exp − ti rv dv S(t, ti ) t i=1 + Ns u n X Laufzeit rv dv (−dS(t, u)) t i=1 VCDS (t) = 0 für einen festen [t, T ] fairen CDS-Spread sfair . Löst man u Z ∆(ti−1 , u) exp − Zeitpunkt t nach s auf, erhält man den für die Die obigen Integrale werden in der Praxis mittels numerischer Integration approximiert. Im Intensitätsmodell wird der zufällige Ausfallzeitpunkt variable τ als exponentialverteilte Zufalls- Z t S(0, t) = P (τ > t) = exp − h(s) ds ∗ 0 mit einer integrierbaren nichtnegativen deterministischen Funktion h (Intensitätsfunktion, Hazardrate) modelliert. In der Praxis wird zur Bestimmung der Hazardrate h angenommen, dass h zwischen den am Markt notierten Spreads stückweise konstant ist. Unter Verwendung der laufzeitabhängigen Zinsraten kann daraus Im Fall h(s) = λ > 0 h geschätzt werden (Bootstrapping). gilt S(0, t) = e−λt r, eine konstante Hazardh(s) = λ, eine feste Erlösquote RR und eine zeitstetige Prämienzahlung (∆i → 0) Nimmt man eine konstante laufzeitunabhängige stetige Zinsrate funktion an, so ergibt sich die als credit triangle bezeichnete Formel: λ= sfair 1 − RR 74 7 Literatur Zur Einstimmung: • Adelmeyer M, Warmuth E. Finanzmathematik für Einsteiger Eine Einführung für Studierende, Schüler und Lehrer. 2. Au., Vieweg 2004. Lehrbücher, Monographien und Originalarbeiten zur Finanzmathematik (insbesondere zur Bewertung von Derivaten) • Bingham NH, Kiesel R. Risk-Neutral Valuation Pricing and Hedging of Financial Derivatives. 2nd ed. Springer 2004. • Delbaen F, Schachermayer W. The Mathematics of Arbitrage. Springer 2006. • Di Nunno G, Øksendal B, Proske F. Malliavin Calculus for Lévy Processes with Applications to Finance. Springer 2009. • Elliot RJ, Kopp PE. Mathematics of Financial Markets. 2nd ed. Springer 2005. • Franke J, Härdle W, Hafner C. Einführung in die Statistik der Finanzmärkte. Springer 2001. • Hausmann W, Diener K, Käsler J. Derivate, Arbitrage und Portfolio-Selection Stochastische Finanzmarktmodelle und ihre Anwendungen. Vieweg 2002. • Harrison JM, Pliska SR. Martingales and Stochastic Integrals in the Theory of Continuous Trading. Stochastic Processes and their Applications 11, 1981, pp 215226. • Hull JC. Optionen, Futures und andere Derivative. 7th ed. Pearson Studium 2009. • Hull JC. Fundamentals of Futures and Options Markets. 4th ed. Prentice Hall 2001. • Hunt PJ, Kennedy JE. Financial Derivatives in Theory and Practice. Rev. ed. Wiley 2005. • Irle A. Finanzmathematik: die Bewertung von Derivaten. 2. Au., Vieweg+Teubner 2003. • Jeanblanc M, Yor M, Chesney M. Mathematical Methods for Financial Markets. Springer 2009. • Korn R, Korn E. Optionsbewertung und Portfolio-Optimierung. Vieweg 1999. • Lamberton D, Lapeyre B. Stochastic Calculus Applied to Finance. Chapman and Hall 1996 • Musiela M, Rutkowski M. Martingale Methods in Financial Modelling: Theory and Applications, Springer 1997. • Reitz S. Mathematik in der modernen Finanzwelt: Derivate, Portfoliomodelle und Ratingverfahren. Vieweg+Teubner 2010. • Sandmann K. Einführung in die Stochastik der Finanzmärkte. Springer 1999. • Shiryaev AN. Essentials of Stochastic Finance. World Scientic 2000. 75 • Shreve SE. Stochastic Calculus for Finance I The Binomial Asset Pricing Model. Springer 2004. • Shreve SE. Stochastic Calculus for Finance II Continuous-Time Models. Springer 2004. • Sondermann D. Introduction to Stochastic Calculus for Finance A New Didactic Approach. Springer 2006. • Wilmott, P. Howison S, Dewynne, J. The Mathematics of Financial Derivatives: A Student Introduction. Cambridge 1997. • Wilmott P, Dewynne J, Howison S. Option Pricing: Mathematical Models and Computation. Oxford Financial Press 1997. Eine gut lesbare Einführung in die Theorie der Stochastischen Prozesse • Brzezniak Z, Zastawniak T. Basic Stochastic Processes. Springer 1999. Lehrbücher und Monographien zu Stochastischen Dierenzialgleichungen und zur Stochastischen Analysis auf mittlerem Niveau • Arnold L. Stochastische Dierentialgleichungen. Oldenbourg 1973. • Durrett R. Stochastic Calculus A Practical Introduction. CRC Press 1996. • Gard, TC. Introduction to Stochastic Dierential Equations. Marcel Dekker 1988. • Klebaner FC. Introduction to Stochastic Calculus with Applications. 2nd ed. Imperial College Press 2005. • Øksendal B. Stochastic Dierential Equations: An Introduction with Applications. 6th ed. Springer 2005. Anspruchsvolle Theorie zur Stochastischen Analysis • Karatzas I, Shreve SE. Brownian Motion and Stochastic Calculus. Springer 1999. • Malliavin P. Stochastic Analysis. Springer 1997. • Protter P. Stochastic Integration and Dierential Equations: A New Approach. 2nd ed. Springer 2004. • Revuz D, Yor M. Continuous Martingales and Brownian Motion, Springer 1999. • Rogers LCG, Williams D. Diusions, Markov Processes and Martingales. Vol 1 and 2. 2nd edition. Cambridge Mathematical Library 2000 76