Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg WOLFHARD WIMMENAUER Der Granit – 200 Jahre nach Goethe Originalbeitrag erschienen in: Jahrbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (1992), S. 34 - 36 Sonderdruck aus: Jahrbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften für 1992 Heidelberg 1993 34 Sitzungen 4. Herr Wimmenauer hält einen Vortrag „Der Granit – 200 Jahre nach Goethe" An Goethes Aufsätze und Entwürfe über den Granit anknüpfend, wird ein Überblick der heute herrschenden Anschauungen über die Herkunft und Bildungsweise des Granits gegeben. Der Darstellung liegt das neue plattentektonische Bild der Erde zugrunde. Danach gliedert sich die Erdkruste in: – Ozeanische Kruste: vorwiegend Basalt mit relativ dünner Sedimentauflage. – Kontinentale Kruste: „Grundgebirge" aus metamorphen Gesteinen und magmatischen Tiefengesteinen, besonders Graniten, darüber gebietsweise Sediment- und vulkanische Gesteine. – Beide Krustentypen werden von Gesteinen des Erdmantels unterlagert. Ozeanische und kontinentale Platten sind in Bewegung. Kollisionen, Über- und Unterschiebungen,Vereinigungen und Trennungen haben die heutige Konfiguration an der Peripherie der Erde erzeugt. Die Bezeichnung „Granit" umfaßt in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von Gesteinstypen, denen gemeinsam ist, daß Feldspäte und Quarz ihre mineralischen Hauptbestandteile sind. Dazu kommen fallweise Glimmer, Hornblende und weitere Minerale, die zusammen nicht mehr als etwa 20 (Y., ausnahmsweise auch bis 40 % der Gesteinsmasse ausmachen. Das Gefüge typischer Granite zeigt, im Gegensatz zu den schiefrigen oder lagigen Gefügen ähnlich zusammengesetzter Gneise, keine Orientierung; es ist „massig" und für das bloße Auge deutlich als kristallin erkennbar. Anders als bei Sediment- und vulkanischen Gesteinen ist die Entstehung von Granit nirgends unmittelbar zu beobachten. Sie findet offenbar in der Tiefe, unter kilometerdicker Bedeckung durch andere Gesteine, statt. Für die Bildungsweise und Herkunft der Granite sind vor allem folgende Befunde von Belang: – Vorkommen und Gestalt granitischer Gesteinskörper, – deren Verhältnis zu den angrenzenden Gesteinen, – das Vorkommen vulkanischer Gesteine mit der chemischen und teilweise auch der mineralischen Zusammensetzung von Granit sowie – experimentelle Untersuchungen. Granit und viele andere, vor allem metamorphe Gesteine bilden weithin als „Grundgebirge" die Unterlage von jüngeren Sedimentgesteinen. Die Verbandsverhältnisse lassen erkennen, daß der Granit durch Hebung der Erdkruste und Abtragung der überlagernden Gesteine freigelegt wurde. Die dabei sichtbar gewordenen Granitkörper haben verschiedene Größen und Gestalten. Als Beispiele seien genannt: – Plutone: kilometer- bis Zehner-Kilometer-große Körper, die sich oft zu mehreren zu noch größeren Einheiten, den Batholithen, gruppieren. – Stöcke und Gänge: kleinere, unregelmäßige bzw. plattenförmige Körper in Kilometerbis Zentimeter-Dimensionen. 8. Februar 1992 35 Die Kontakte von Plutonen, Stöcken und Gängen mit ihrem Rahmen lassen meist deutlich erkennen, daß die Granite in beweglichem Zustand in älteres und starreres Nebengestein eingedrungen sind. Die Grenzen zwischen Granit und Nebengestein sind meist recht scharf. Im tieferen Grundgebirge sind aber auch gemischte Gesteinsverbände, die Migmatite, verbreitet, in denen granitische und metamorphe Gesteinsanteile innig miteinander verwoben erscheinen. Für die Bildung der Granite durch Kristallisation einer Schmelze, des Magmas, sprechen vor allem die Beobachtung der Beweglichkeit der Granite gegenüber ihrem älteren Nebengestein und das Vorkommen vulkanischer Gesteine (Rhyolith, Obsidian und andere), die aus zur Erdoberfläche durchgebrochenem granitischem Magma entstanden sind. Viele Experimente bestätigen, daß granitisches Magma erst bei Temperaturen zwischen 900 und 650°C kristallisiert. Die besondere Zusammensetzung des Granits, die im Vorherrschen von Quarz und Feldspäten ihren Ausdruck findet, und die Beteiligung von Wasser an der Gesteinsschmelze bewirken diese, im Vergleich zu Basaltlaven recht niedrigen Temperaturen. Die experimentellen Befunde machen auch das Phänomen der Migmatite verständlich, die den Beginn der Granitbildung durch Aufschmelzung geeigneter Gesteine (meist metamorpher Sedimente) darbieten. Granit erscheint hier als Extrakt aus präexistentem Gestein, dessen Substanz wenigstens teilweise schon aus dem Zerfall älterer Granite stammt. Es wird in solchen Fällen ein Kreislauf der Gesteinssubstanzen sichtbar, dessen Anfänge in sehr frühen Phasen der geologischen Entwicklung liegen. Granite dieser Entstehung bilden sich besonders reichlich bei der Kollision zweier Kontinente. Andere, aber ebenfalls granitartige Magmen können auch aus der Teilschmelzung von Gesteinen der ozeanischen Kruste entstehen, wo diese unter kontinentale Kruste geschoben und tief versenkt wird. Auch solche Magmen sind als Extrakte zu qualifizieren. Ein dritter Modus der Bildung von Granitmagma ist als Fraktionierung eines basaltischen Magmas zu kennzeichnen. Bei der Kristallisation größerer Mengen basaltischer Schmelze kann es zur Ansammlung einer Restschmelze kommen, aus der granitisches Gestein kristallisiert. Im ozeanischen Bereich weniger ergiebig, scheint dieser Prozeß aber im Untergrund der kontinentalen Kruste bedeutsam zu sein. Granitisches Magma entsteht demnach aus verschiedenen Prozessen, von denen die Fraktionierung basaltischen Magmas der „ursprünglichste" ist. Der zweite geschilderte Prozeß setzt bereits die Existenz von Kontinenten, der erste sogar den Zyklus von Verwitterung, Abtragung und Wiederablagerung kontinentalen Gesteinsmaterials voraus. Allen so gebildeten Graniten ist gemeinsam, daß sie infolge ihrer gegenüber anderen Magmen und Gesteinen geringeren Dichte die Tendenz zum Aufsteigen in die oberen Niveaus der Erdkruste haben. Obwohl sie dort der Verwitterung und Abtragung verfallen, hat doch ihre Masse (und mit ihnen die der Kontinente) im Lauf der Erdgeschichte ständig zugenommen. Das Gesamtbild unseres Planeten ist dadurch entscheidend geprägt worden. Als „Extrakte" oder „Fraktionen" können die Granite nicht mehr im Sinne Goethes als Urgesteine gelten. Aber auch die Basalte und ihre Tiefenäquivalente, die in den bisherigen Ausführungen als das Ursprünglichere dargestellt wurden, sind ihrerseits wiederum Extrakte aus Gesteinen des Erdmantels, der ozeanische und kontinentale Kruste unterlagert. Die Mantelgesteine sind wesentlich magnesiumreicher und kieselsäureärmer als 36 Sitzungen Basalte und erst recht als Granite. Durch Teilschmelzung, die im Prinzip der in den Migmatiten der oberen Erdkruste erkannten ähnlich ist, entsteht aus ihnen basaltisches Magma, an dem sich dann die oben geschilderten weiteren Entwicklungen vollziehen. Chemisch und großenteils auch mineralisch sind die Gesteine des Erdmantels den Steinmeteoriten und wahrscheinlich auch der dominierenden Gesteinssubstanz im Inneren der erdnahen Planeten zunächst verwandt. In ihrer allgemeinen Stofflichkeit kommen also diese, den Planeten gewissermaßen gemeinsamen Gesteine am ehesten dem gesuchten „Urgestein" nahe. Im Inneren der Erde sind sie aber ständig Bewegungen unterworfen und erleben Änderungen der Druck- und Temperaturbedingungen, die ihren Mineralbestand und ihre Gefüge immer wieder umgestalten. Deshalb ist auf der immer noch lebendigen Erde kein Urgestein vollkommen erhalten geblieben.