Osteosarkom des Oberkiefers - Ruhr

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Zahnmedizin
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Osteosarkom des Oberkiefers
Differentialdiagnose knöcherner
Auftreibungen der Kiefer
Marcus Oliver Klein, Martin Kunkel
Fotos: Klein
Abbildung 1:
Klinischer Aspekt der
Läsion. Es imponiert
eine knochenharte,
kugelförmige Auftreibung im rechten oberen Vestibulum.
(Der zentrale Gewebedefekt ist durch die
Biopsie bedingt).
Der enossale Anteil
des Tumors hat den
Zahn 11 nach medial
und caudal verdrängt.
Ein 34-jähriger Patient stellte sich mit einer
knochenharten, schmerzlosen Raumforderung im Bereich des rechten oberen Vestibulums vor. Erstmalig war dem Patienten
einen Monat zuvor eine kleine Auftreibung
apikal des Zahnes 11 aufgefallen. Im Folgenden kam es neben einer sehr schnellen
Größenprogredienz des Befundes zu einer
Verdrängung des Zahnes 11 nach caudal.
Die klinische Untersuchung zeigte vestibulär in Regio 13 bis 21 einen etwa 1,5 cm
x 3 cm großen, rundlichen exophytisch
wachsenden knochenharten Tumor mit
deutlicher Gefäßzeichnung (Abbildung 1).
Der Zahn 11 war elongiert und wies einen
Lockerungsgrad von II auf, reagierte jedoch, gleich den restlichen Zähnen, sensibel. Es boten sich keine Zeichen einer Entzündung. Bei bis auf die Zahnelongation
unauffälliger konventioneller Röntgendiagnostik (Abbildung 2) zeigte sich im CT
eine nach vestibulär und palatinal über
die Alveolarfortsatzkontur hinausreichende, knochendichte Raumforderung mit
unscharfer Abgrenzung gegen die umgebenden Weich- und Hartgewebe (Abbildung 3).
Eine Probeexzision erbrachte die Diagnose
eines Osteosarkoms des Oberkiefers. Das
weitere Tumorstaging ergab keine Hin-
weise auf eine Metastasierung. Therapeutisch erfolgte eine Resektion des vorderen
Oberkiefersegmentes von Regio 13 bis 22
mit Sicherheitsabstand in Allgemeinnarkose. Die histologische Aufarbeitung des
Resektates (Abbildung 4) zeigte die typische Morphologie eines osteoblastischen
Osteosarkoms. Charakteristisch ist hierbei
die Bildung von Osteoid durch spindelförmige aber auch irregulär geformte Sarkomzellen [Neville, 2002]. Teilweise finden sich
diese Osteoidbildungen auch auf den Residuen des durch den Tumor destruierten
ortsständigen Knochens (Abbildung 5 A, B).
In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor,
die diagnostische Schwierigkeiten aufgeworfen haben. Die Falldarstellungen
sollen den differentialdiagnostischen
Blick unserer Leser schulen.
Die operative Therapie wurde durch eine
adjuvante Chemotherapie ergänzt. Im kurzzeitigen Verlauf ergab sich bislang kein Hinweis auf eine Generalisierung.
Diskussion:
Im Gegensatz zu den häufigen palatinalen
Tori, die harmlose Exostosen darstellen,
sind vestibuläre knochenharte Auftreibungen des vorderen Oberkiefers bei jungen
Patienten ausgesprochen selten. Isolierte
Zahnverdrängungen
beziehungsweise
Zahnlockerungen, wie in dem hier vorgestellten Fall gesehen, kommen zwar auch
durchaus häufig bei entwicklungsbedingten oder entzündlichen Zysten vor, die dabei beobachteten Knochenauftreibungen
imponieren jedoch in der Regel als weich
und leicht komprimierbar. Darüber hinaus
ist der radiologische Befund in der Regel pathognomonisch. Primäre Knochentumoren
(Osteome, Osteoblastome) aber auch
odontogene hartgewebsbildende Tumoren
sind in dieser Region selten. Ebenso ist die
Wachstumsgeschwindigkeit dieser Entitäten im allgemeinen sehr gering. Demgegenüber ist die rasche Progredienz einer
Abbildung 2: Die Panoramaschichtaufnahme zeigt lediglich eine unscharfe Osteolyse apikal des
Zahnes 12, die aber in keiner Weise der Bedeutung des Befundes entspricht
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Abbildung 3: Die CT-Aufnahme zeigt die unscharfe, unregelmäßig dichte Läsion, die sowohl die vestibuläre als auch die palatinale
Kontur des Alveolarkamms durchbrochen hat.
Osteosarkome des Kieferknochens sind mit
einem Anteil von etwa sechs bis acht Prozent aller Osteosarkome vergleichsweise
selten und unterscheiden sich von peripheren Osteosarkomen der Extremitäten sowohl durch ihr klinisches Verhalten als auch
durch das Prädilektionsalter [Chindia,
2001]. Der Altersgipfel der Kieferosteosarkome liegt mit 33 Jahren deutlich über dem
von juvenilen Osteosarkomen der langen
Röhrenknochen. Eine primäre (pulmonale)
Metastasierung wird seltener beobachtet
als bei peripheren Tumoren. Ober- und Unterkiefer sind in etwa gleich häufig betroffen. Therapeutisch steht die lokal radikale
Resektion im Vordergrund, denn die Vollständigkeit der initialen Resektion ist bislang der wichtigste Prognosefaktor. Der
Stellenwert der adjuvanten oder neoadjuvanten Chemotherapie ist für die Kiefersar-
Fazit für die Praxis
■ Hinter neu aufgetretenen, isolierten
Zahnlockerungen kann sich die Destruktion des Parodontalapparates durch einen malignen Tumor verbergen.
■ Enossale Malignome können sich einer konventionellen Bildgebung mittels
OPG weitgehend entziehen. Die als „typisch“ angegebene Röntgenmorphologie (Spikulae) ist leider nur selten zu beobachten.
■ Die Therapie der Kieferosteosarkome
erfolgt primär chirurgisch. Eine adjuvante oder neoadjuvante Chemotherapie erscheint vielversprechend, der Stellenwert kann aber derzeit noch nicht abschließend bewertet werden.
Untersuchung dar. Außerdem sollten isolierte Zahnlockerungen ohne eindeutige
occlusale oder parodontale Ursachen immer als Alarmsignal betrachtet werden.
Abbildung 4: Resektat des Osteosarkoms.
Über dem knöchernen Befund imponiert die
hier deutlich erkennbare pathologische
Gefäßzeichnung.
knochenharten Läsion aber auch die spontane, nicht durch eine Parodontopathie erklärte Zahnlockerung/Elongation beziehungsweise die daraus resultierende Okklusionsstörung ein Alarmsignal, das umgehend einer bioptischen Klärung bedarf. Nativ-radiologisch können diskrete Erweiterungen des PA-Spaltes aber auch ausgedehnte Knochendestruktionen beobachtet
werden. Die als „typisch“ beschriebenen
knöchernen Spikulae sind nicht bei allen
Tumoren anzutreffen [Nakayama et al.,
2005]. Eine ergänzende Bildgebung mittels
CT ist obligat.
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Abbildung 5: Histologische Aspekt des Tumors. Die Teilabbildung A zeigt, neben den spindelzelligen oder polymorphen Sarkomzellen, die typischen nodulären Osteoidbildungen, die in der Masson-Goldner Färbung hellgrün hervorgehoben sind. In der Teilabbildung B wird die Osteoidablagerung (grün) auf einem residualen Knochenfragment (rot) des destruierten ortsständigen Knochens erkennbar. (Färbung Masson-Goldner: Originalvergrößerung 400x)
kome bislang nicht abschließend bewertet,
es existieren aber konkrete Hinweise für
eine verbesserte Überlebenswahrscheinlichkeit bei kombinierten Therapiekonzepten [Patel et al., 2002]. Für die Therapie der
Kieferosteosarkome liegt eine Leitlinienempfehlung der Deutschen Gesellschaft für
Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie vor
[AWMF-Leitlinienregister: Nr. 007/085].
Für die Praxis weist dieser Fall auf die differentialdiagnostische Bedeutung knöcherner Auftreibungen der Kieferregion hin.
Jede Wachstumstendenz stellt hier eine
zwingende Indikation zur histologischen
Dr. Marcus Oliver Klein
Priv.-Doz. Dr. Dr. Martin Kunkel
Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität
Augustusplatz 2, 55131 Mainz
E-Mail: [email protected]
Das histologische Präparat wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Hansen, Institut für Pathologie der Johannes Gutenberg-Universität
(Direktor: Prof. Dr. Kirkpatrick) zur Verfügung
gestellt.
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