Streitpunkt: PEG-Sonde

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ethik
PEG-sonde im Fokus
140.000 Menschen in
Deutschland erhalten
Nahrung und Flüssigkeiten auf künstlichem
Weg. Nicht immer zum
Wohle der Betroffenen.
Streitpunkt: PEG-Sonde
Ob und wie lange Menschen von der künstlichen Ernährung durch die perkutane
endoskopische Gastrostomie (PEG) profitieren, ist häufig umstritten. Ethische Fall­besprechungen unterstützen Pflegende und Mediziner bei komplexen Entscheidungen.
I
m Februar dieses Jahres starb Eluana
­modernen Medizin erheblich erweitert. Viele
Handeln oder Unterlassen entspricht, der
Englaro. Ihr Vater kämpfte zehn Jahre
Patienten, die etwa nach einem Schlaganfall
tötet nicht, sondern leistet straffreien Bei-
lang dafür, die künstliche Ernährung
langfristig oder vorübergehend nicht mehr
stand im Sterben.“ Wenn der Patient nicht
bei seiner Tochter einzustellen. Sie be-
selbst essen und trinken können, überleben
mehr einwilligungsfähig ist, müsse man sich
fand sich seit einem Unfall vor 17 Jahren im
allein durch diese Maßnahme. Etwa 140.000
an dem orientieren, was der Betroffene in
apallischen Syndrom. Ihrem Vater zufolge
Menschen in Deutschland haben laut Eibach
früheren Äußerungen oder in einer Pati-
hätte die Tochter noch kurze Zeit vor dem
und Zwirner eine PEG-Sonde. Umstritten ist
entenverfügung geäußert habe. Nach deut-
Unfall gesagt, dass sie lieber sterben wolle,
aber, ob sie wirklich immer indiziert ist und
schem Recht könne man daher im Fall von
als im Koma zu sein. Wenige Tage nachdem
die Situation der Betroffenen verbessert.
Eluana Englaro auf keinen Fall von Mord
die enterale Zufuhr durch eine PEG-Sonde
­Etwa 70 Prozent der Sondenträger leben in
oder aktiver Sterbehilfe sprechen. Denn auch
beendet wurde, verschied die 38-Jährige.
­Pflegeheimen. Davon haben 50 Prozent eine
der gesetzliche Vertreter, in diesem Fall ihr
Von Mord und aktiver Sterbehilfe sprachen
Vater, kann den Willen der Betroffenen
daraufhin italienische Bischöfe und Minis­
­ sychiatrische Erkrankung, am häufigsten
p
Demenz. Wer entscheidet in diesen Fällen
terpräsident Silvio Berlusconi. Viele Befür-
darüber, ob eine PEG-Sonde medizinisch
mehr in der Lage ist. Gleiches gelte auch für
worter hingegen sahen es eher so, dass
­indiziert ist? Und ab wann ist ein Abbruch
das Legen einer PEG-Sonde. Da es sich um
­Elu­ana Englaro nun endlich erlöst sei.
der künstlichen Ernährung legitim?
einen Eingriff in die körperliche Unversehrt-
Kehrseite moderner Medizin
Der Wille des Patienten zählt
Zustimmung des Patienten. Was formal ein-
Der Verzicht auf künstliche Ernährung bei
Werner Schell, Dozent für Pflegerecht und
fach und überschaubar klingt, fordert in der
Apallikern sorgt international immer wieder
Mitglied des CNE.expertenrats, stellt fest:
Praxis komplexe Entscheidungen, die Ärzte
für Schlagzeilen. Dies ist aber nur ein Aspekt
„Alle pflegerischen und medizinischen Maß-
jeden Tag treffen und ­Pflegende mittragen.
in der Debatte um die PEG-Sonde. Seit 1981
nahmen müssen sich immer am Patienten-
Und das ohne mediale Aufmerksamkeit und
hat dieser Eingriff die Möglichkeiten der
willen ausrichten. Wer diesem Willen durch
öffentliche internationale Diskurse.
durchsetzen, wenn sie selbst dazu nicht
heit des Menschen handelt, bedarf es der
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ethik
Medizinethische Grenzfälle
Fallbesprechung teilnehmen, praktisch sei
die psychosozialen Bedingungen auf: Es
Universitätsklinikum Frankfurt am Main.
das aber noch nie der Fall gewesen. Als
liege­ kein erklärter Wille etwa in Form ei-
Die 83-jährige Monika Graus* reagiert nach
­Timo Sauer die Anfrage wegen Frau Graus
ner Patientenverfügung vor, und mit ihrem
einer Reanimation weder auf Ansprache
erreicht, koordiniert er einen Termin für
gesetzlichen Betreuer hatte die Patientin
noch auf Schmerzreize. Sie befindet sich
eine Ethikberatung auf der Station. In so
­keinen Austausch darüber. Da Frau Graus
nach einem Hirnstamminfarkt im apal-
einem Fall sei es wichtig, sehr schnell einen
wegen des Korsakowsyndroms in einem
lischen Syndrom. Korsakowsyndrom und
geeigneten Raum zu finden, sagt der
Pflegeheim lebt, sei eine Rückverlegung
Leberzirrhose durch chronischen Alhokol­
Medizin­ethiker: „Weder Piepser noch das
­ohne PEG kaum möglich. Für die weitere
abusus sind Nebendiagnosen. Ihr Zustand
Klingeln des Telefons sollten die Diskussion
Therapie ergaben sich letztlich zwei Opti-
ist stabil, sie ist tracheotomiert und wird
stören.“
onen: künstliche Ernährung durch eine
über eine Magensonde ernährt. Bei der
Daneben habe sich bewährt, dass die
PEG-Sonde. Dies würde den ­ Zustand der
­Besprechung des Behandlungsteams geht
­k linischen Ethikberatungen nach einem
Patientin auf unbestimmte Zeit fortsetzen.
es hoch her: Die Pflegenden und Ärzte sind
Ein Verzicht auf die Sonde bedeute jedoch,
sich uneins, ob Frau Graus eine perkutane
strukturierten Schema ablaufen, ­damit die
Diskussion nicht überhitze oder ausufere.
endoskopische Gastrostomie (PEG) ­erhalten
Im Fall von Frau Graus stellte ­zunächst der
bis Wochen verstirbt.
soll. Sie beschließen, sich an das Klinische
behandelnde Oberarzt die medizinischen
Ethik-Komitee (KEK) zu wenden.
Aspekte dar. Anschließend schilderte die
Zwischen Fürsorge und Autonomie
Pflegende, dass Frau Graus zu keiner Kom-
Die Teilnehmer der Ethikberatung disku-
Moderieren und beraten
munikation mehr fähig und in nahezu allen
tierten ausführlich. Die Pflegende, die Frau
Timo Sauer, Pflegender und Philosoph, ist
ATLs eingeschränkt ist. Ein Mitarbeiter des
Graus noch von der Intensivstation kannte,
einer von drei wissenschaftlichen Mitarbei-
Sozialdienstes klärte die Runde dann über
argumentierte, dass die Lebensqualität der
tern, die am Senckenbergischen Institut für
Geschichte und Ethik der Medizin an der
Universität Frankfurt arbeiten. Sie organisieren ethische Fallbesprechungen auf den
Stationen und halten engen Kontakt zu den
etwa zwanzig restlichen Mitgliedern des
KEK. Überwiegend sind dies Pflegende und
Mediziner, die auch im Klinikum tätig sind.
Aber auch Theologen, Juristen, Sozialarbeiter und Medizinethiker gehören dazu. Ein
bis zwei Mitglieder des Komitees begleiten
Timo Sauer oder seine Kolleginnen jeweils
zu den ethischen Fallbesprechungen auf
Station. Die restlichen Teilnehmer sind
Ober- und Assistenzärzte und eine oder
mehrere ­Pflegende, die den Patienten gut
kennen. Auch Angehörige können an ­einer
dass die Patientin innerhalb weniger Tage
Patientin sehr gering sei. Vor allem wegen
»Völlig
­zweifelsfreie
indikationen
für die künstliche ernährung via peg
sind in der
­praxis eher
­selten.«
der zusätzlichen Erkrankungen. Deshalb
wäre eine Weiterbehandlung der Patientin
möglicherweise nicht in ihrem Sinne. Zwei
der behandelnden Ärzte hielten dagegen,
dass man derzeit nicht abschätzen könne,
ob es sich um einen vorübergehenden oder
um einen fortdauernden Zustand handelt.
„In ethischen Grenzsituationen wie dieser
prallen häufig mehrere medizinethische
Prinzipien aufeinander“, schildert Timo
Sauer. Einerseits das Fürsorgeprinzip oder
„Beneficence“, das zur indizierten medizinischen Behandlung verpflichtet. Andererseits das Nichtschadensprinzip oder „NonMaleficence“, das Interventionen verbietet,
die nicht mehr zum Guten des Patienten
sind. Und letztlich gilt es in jeder Situation,
die Autonomie des Patienten zu wahren. „In
diesem Spannungsfeld liegen dann die
natürlich ernähren
Zeit- und Personalknappheit rechtfertigen keine PEG-Sonde. Sie sollte
immer die letzte Alternative sein.
ethischen Fälle, die wir im Idealfall beratend unterstützen“, schildert Timo Sauer.
Da sich der Widerspruch bei Frau Graus
nicht auflösen ließ, beschloss die Runde,
noch einmal zusammenzukommen und die
­Patientin bis ­ dahin weiter über die naso­
gastrale Sonde zu ernähren. In der Zwischenzeit wolle man beobachten, wie sich
die Situation der ­Patientin verändert.
Automatismen vermeiden
„Völlig zweifelsfreie Indikationen für die
künstliche Ernährung via PEG sind eher
­selten“, erklärt der Medizinethiker, „etwa
bei vorübergehenden Schluckbeschwerden
nach Tumoroperationen oder bei neuro­
logischen ­Erkrankungen junger Menschen,
die wenig zusätzliche Begleiterkrankungen
haben.“ Immer wieder berichten ihm Mitarbeiter des Klinikums, dass die Sonde oft
automatisch gelegt werde, ohne vorher die
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*Name und Kontext von der Redaktion geändert
geäußerte Sorge, der Patient würde ver-
sagt Timo Sauer. Frau Graus wurde schließ-
hungern oder verdursten, ist daher in
lich mit nasogastraler Sonde zurück ins
­diesen Fällen falsch“, urteilt auch der Ex-
Pflegeheim verlegt. Dafür war jedoch ein
perte für Pflegerecht, Werner Schell. Wenn
intensives Gespräch zwischen dem Sozial-
Symptome wie Mundtrockenheit, Hunger
arbeiter der Klinik, dem Hausarzt und der
und Durst in der Sterbephase auftreten,
Heimleitung nötig. Die nächste Beratung
dann lassen sie sich durch eine sorgfältige
sollte vier Wochen später im Pflegeheim
Mundpflege, kleine Essens- und Flüssig­
erfolgen, Frau Graus verstarb jedoch wenige
keits­rationen oder Eisstückchen beheben.
Dies belegt eine amerikanische Studie von
Tage darauf.
1994, in der 32, überwiegend an Tumoren
Transparenz in Grauzonen
erkrankte Patienten palliativ versorgt wur-
„Wir können den Ärzten und Pflegenden die
den. Die durchschnittliche Lebens­erwartung
Verantwortung nicht abnehmen“, sagt der
lag bei drei Monaten, und die Betroffenen
Medizinethiker. Letztlich sind sie es, die die
­erhielten keine künstliche Ernährung. Nur
Entscheidung treffen müssen. Das klinische
ein Drittel der Teilnehmer litt zu ­Beginn der
Untersuchung an Hunger- oder Durstgefüh-
Ethik­komitee schafft den beteiligten Pfle-
len. Die restlichen zwei Drittel verspürten
Augenhöhe miteinander zu diskutieren, um
diese körperlichen Empfindungen nicht.
die wesentlichen Aspekte transparent zu
Durch pflegerische Maßnahmen ­ließen sich
machen. „Im klinischen Alltag können sich
die Symptome aller Patienten ­beseitigen.
die Berufsgruppen kaum darüber austau-
Im Zweifel für das Leben
mögliche Entscheidung für einen Patienten
Bei Sterbenden sieht auch die Bundesärzte-
ist“, resümiert ­Timo Sauer. Pflegende seien
kammer (BÄK) in ihren Richtlinien keine
häufig noch zu wenig in solche Entschei-
Alternativen zu reflektieren. Das sieht der
prinzipielle Indikation für die künstliche
dungen mit einbezogen. „Dabei kennen sie
Ethikexperte sehr kritisch. Genauso wie
Ernährung. Sie verlangt neben Zuwendung
die subjektive Situation des Patienten meist
wenn falsch verstandene Fürsorge durch
und dem Lindern der Schmerzen „ein Stil-
am besten“, sagt der Medizinethiker.
Aussagen wie „Wollen Sie den Menschen
len von Hunger und Durst“. Für Menschen
In ethischen Fallbesprechungen haben
denn verhungern oder verdursten lassen?“
im apallischen Syndrom jedoch, wie Eluana
sie die Möglichkeit, ihren Standpunkt zu
die PEG-Sonde begründen. Denn dieser
Englaro oder Frau Graus, ist die „lebenser-
vertreten. „Viele Pflegende sind in den
häufig geäußerte Vorwurf ist beispielsweise
haltende Therapie einschließlich der künst-
­Beratungen aber leider viel zu schüchtern“,
bei Sterbenden nicht begründet. So ist der
lichen Ernährung“ laut Grundsatz III BÄK
sagt Timo Sauer, „weil die Situation einfach
reduzierte Nährstoff- und Flüssigkeits­
geboten. Denn im Gegensatz zu Sterbenden
fremd für sie ist.“ Mediziner hingegen seien
bedarf in dieser Phase ein physiologischer
können Menschen im apallischen Syndrom
es gewohnt, zu referieren und Fälle darzu-
Prozess. Die künstliche Ernährung verbes-
noch sehr lange mit künstlicher Ernährung
stellen, da müsse er den Redefluss mitunter
ethische grenzsituationen diskutieren
Wenn unklar ist, ob die künstliche Ernährung
die Situation des Patienten verbessert, sollte das
­Behandlungsteam Ethikberatungen nutzen.
sert die Situation des Patienten dabei nachweislich nicht. Im Gegenteil: Der Organismus des Sterbenden ist nicht in der Lage,
das Angebot an zugeführter Nahrung zu
verarbeiten und kann mit Übelkeit, Erbrechen oder Durchfällen reagieren. Printz
­beschrieb schon 1992, dass die durch den
Abbau des Körperfettes und Dehydration
freigesetzten Ketone sogar euphorisierend
und sedierend wirken. „Die immer wieder
CNE.Aktion
Verlosung
PEG – Ja oder Nein?
Dieser Frage geht Christian Kolb in
seinem Buch „Nahrungsverweigerung
bei Demenzkranken“ nach. Gewinnen
Sie drei Exemplare
unter www.­
thieme.de/cne/­
aktion. Das Stichwort lautet: „PEG“.
Einsendeschluss:
15.8.2009
genden und Ärzten jedoch den Raum, auf
schen, was ihrer ­ Meinung nach die best-
»dass sterbende­
ohne eine
Peg-sonde an
­hunger oder
durst leiden,
ist falsch.«
überleben. Jedoch könne „bei fortgeschrit-
eher beschränken. Nach den ethischen Fallbesprechungen sagen ihm viele Pflegende
und Ärzte, dass sie nie zuvor so konstruktiv
miteinander über Patienten kommuniziert
hätten. Der Medizinethiker ist daher überzeugt, dass sich die sinnvollste Entscheidung für einen Patienten im „interdisziplinären Diskurs“ findet. Auch in ethischen
Grenzfragen zur künstlichen Ernährung
durch eine PEG-Sonde. Thomas Koch
CNE.INFO
tener Krankheit (...) auch bei diesen Patienten ­ eine Änderung des Therapiezieles
und die Unterlassung lebenserhaltender
Maßnahmen in Betracht kommen“. Immer
abhängig vom Patientenwillen.
Wann ein Mensch sich in der Sterbe­phase
befindet oder wie weit fortgeschritten eine
Krankheit ist, ist im Einzelfall schwer zu
entscheiden. Nicht ohne Grund endete die
Diskussion bei Frau Graus im Widerspruch.
„Aber auch wenn es keine Einigung gibt,
brauchen wir nach einer Ethikberatung
­eine Ad-hoc-Lösung für den Übergang“,
CNE.fortbildung 3/09
Lesen Sie mehr zum professionellen,
pflegerischen Umgang mit Sonden in
Lerneinheit 10 „Pflege von Menschen
mit Sonden und Drainagen“.
CNE.online
Lesen Sie auch das ausführliche Interview mit dem Lehrer für Pflegerecht
und CNE-Experten Werner Schell unter:
www.thieme.de/cne/­magazin
03|2009
CNE . magazin
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