Stoppschilder gegen die Zügellosigkeit? Leitlinien der Medienethik

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Prof. Dr. Christian Schicha
(www.schicha.net)
Stoppschilder gegen die Zügellosigkeit?
Leitlinien der Medienethik
Vortrag auf der Tagung
Schreckensbilder Verroht unsere Bildberichterstattung?
am 10.12.2011
in der
Akademie für politische Bildung in Tutzing
Gliederung
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Leitlinien der Ethik
Aufgaben der Medienkommunikation
Reflexionsprozesse
Steuerungsprozesse
Bildberichterstattung
Techniken der Bildbearbeitung
Literatur
1. Leitlinien der Ethik
Was ist Ethik?
• Ethik ist Terminus für moralisch oder sittlich richtiges
Handeln oder Unterlassen
• Einschränkung menschlicher Bedürfnisse
• Unabhängigkeit der Bewertung und Interessen
• Keine Berufung auf politische oder religiöse
Autoritäten
• Handlungsethik versus Regelethik
• Ethische Aussagen sind begründungsbedürftig
1. Leitlinien der Ethik
Moralbegründung
• Emotionsloser Zustand
• Klare Begrifflichkeit
• Umfassende Kenntnis
• Urteil muss Vergleichen stand halten
• Prinzip der Allgemeingültigkeit
• Werte und Normen sind wandelbar und orientieren
sich an gesellschaftlichen Vorstellungen
1. Leitlinien der Ethik
Gesellschaftliche Funktionen der Moral
• Verhaltensorientierung und Erwartungssicherheit
• Soziales Vertrauen und Angstminderung
• Gewaltfreier Konfliktbewältigung
• Kooperationen
1. Leitlinien der Ethik
Ein Moralphilosoph, der etwas taugt:
• predigt nicht Moral, sondern analysiert sie
• ist ein Spezialist dafür, moralische Überzeugungen
explizit zu formulieren
• ist darauf trainiert, moralische Dissense zu
strukturieren
• weiß, dass es in moralischen Kontexten
Fragenverbote und Reflexionstabus gibt, aber er
akzeptiert sie nicht
• wird immer dann unangenehm, wenn in die Kiste
schmutziger Tricks gegriffen wird:
• ist gegen die moralische Diskreditierung
Andersdenkender und Zuständigkeitsanmaßen
(Rainer Hegselmann)
1. Leitlinien der Ethik
Ideale Ebene
keine menschlichen Schwächen, Macht- und Herrschaftseinflüsse
sozio-kulturelle und politische Rahmenbedingungen
faktische Verhältnisse, unter denen Individuen agieren
Interessen
Präferenzen der Akteure in einem moralischen Entscheidungsfindungsprozess
„Menschlichen Unvollkommenheiten“
Zeitpräferenz, Willensschwäche, Ungeduld, egoistische Motive, etc.
2. Aufgaben der Medienkommunikation
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Beobachtung und Analyse von Defiziten
Reflexion
Steuerung
Sensibilisierung
Verantwortungszuschreibung
Aufzeigen von Defiziten bei:
Medienangeboten, Programminhalten und
Mediennutzung
• Darlegen von Qualitätskriterien
• Einordnung moralischer Angemessenheit
2. Aufgaben der Medienkommunikation
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Informationsfunktion (Nachrichtenvermittlung)
Bereitstellung relevanter Themen (Agenda-Setting)
Bildungsfunktion (Vermittlung von Werten)
Sozialisationsfunktion (Erziehung)
Integrationsfunktion (Suchen gemeinsamer Ziele)
Meinungsbildung
Artikulationsfunktion (aller gesellschaftlicher Kräfte)
Kritik- und Kontrollfunktion
2. Aufgaben der Medienkommunikation
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Wahre Berichterstattung
Wahrhaftige Berichterstattung
Herstellung von Öffentlichkeit
Gründliche Recherche
Relevanz
Aktualität
Präzision
Unparteilichkeit
Ausgewogenheit
2. Aufgaben der Medienkommunikation
• Achtung vor der Würde und Intimsphäre Achtung vor
Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit
• Förderung der menschlichen Ideale wie Wahrheit,
Toleranz, Gerechtigkeit und Freiheit
• Achtung vor Glauben, religiösen und
weltanschaulichen Überzeugungen
• Achtung vor der Meinung anderer und
Minderheitenschutz
• Verbot von Sendungen, die Vorurteile oder
Herabsetzungen schüren gegen Einzelne oder
Gruppen wegen ihrer Rasse, ihres Volkstums oder
ihrer politischen Überzeugung
2. Aufgaben der Medienkommunikation
• Grundsatz umfassender Berichterstattung
• Wahrheitstreue der Berichterstattung nach Inhalt, Stil
und Wiedergabe
• Sachlichkeit, Unabhängigkeit und Überparteilichkeit
der Berichterstattung
• Gründliche Prüfung von Inhalt, Herkunft und
Wahrheit der zur Veröffentlichung bestimmten
Berichte
• Trennung von Nachricht und Kommentar
• Kennzeichnung von Quellen
• Ausgewogene, faire und angemessene
Berichterstattung
2. Aufgaben der Medienkommunikation
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Transparenz
Sachlichkeit
Ausgewogenheit
Vielfalt
Seriosität
Glaubwürdigkeit
Professionalität
Rechtmäßigkeit
Informativität
Verständlichkeit
2. Aufgaben der Medienkommunikation
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Maßstabsgerechtigkeit (Repräsentativität)
Vollständigkeit
Relevanz
Neutralität
Faktentreue
Reduktion von Komplexität
Originalität
Recherche
Fairneß
Ethik
2. Spannungsfelder
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Rentabilität
Markt- und Zielgruppenorientierung
Konkurrenz
Zeitdruck
Erfolgsdruck
Organisationsroutinen
Redaktionsmanagement
„Redaktionelle Linie“
2. Ebenen ethischer Verantwortung
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Individualethik:
Verantwortung des einzelnen Journalisten
Professionsethik:
Standesethik der Berufsverbände (z.B. Presserat)
Institutionsethik:
Verantwortung des Medienunternehmens:
Gesetzgeber, Verleger, Medieneigner
Publikumsethik:
Modell des mündigen Rezipienten
2. Ebenen ethischer Verantwortung
• Metaethische Ebene:
• Diskussion über grundlegende Prinzipien (z.B.
Verantwortung) in Talkshows
• Medienpolitische Ebene:
• Organisation von Mediensystemen und
Rahmenbedingungen (z. B. Telefonüberwachung)
• Berufsbezogene Ebene:
Vermittlung vom ethischer Kompetenz bei der
Berufsausbildung
3. Reflexionsprozesse
• Begründung von medienethischen Prinzipien
• Kritische Analyse medialer Formen (z.B. Gewalt und
Pornographie)
• Kritische Analyse technischer Vermittlungswege
sowie institutioneller, ökonomischer und sozialer
Strukturen und Prozesse innerhalb des
Mediensystems
4. Steuerungsprozesse
• Integrierendes, legitimierendes und motivbildendes
Element
• Formulierung von Satzungen, Geschäftsgrundlagen
und Programmgrundsätzen
• Entwicklung von Normen zur Sorgfaltspflicht, zum
Diskriminierungsverbot, zur Einhaltung der
Menschenwürde
• Festlegung von Pressekodizeß mit ethischen
Leitlinien
5. Bildberichterstattung
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Bild schlägt Wort
Text-Bild-Schere
Priorität bei der Selektion von Reizen
Momentaufnahmen
Assoziative Logik
Horizonterweiterung
Verlust des Urvertrauens in den Abbildcharakter des
Bildes durch digitale Technologien
5. Bildberichterstattung
„Während die Wortnachricht erst durch den
‚Verdauungstrakt‘ der kognitiven
Informationsverarbeitung gehen muss, nehmen wie
die Bildnachricht gleich intravenös auf“
(Winfried Schulz)
5. Bildberichterstattung
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Informationsfunktion (zum Text)
Erlebnisfunktion (Augenzeugenillusion)
Emotionalisierungsfunktion (Gefühle)
Dekorierende Funktion (Attraktivitätssteigerung)
Repräsentative Funktion (Hauptpersonen)
Erläuterungsfunktion (Veranschaulichung)
Organisierende Funktion (Gebrauchsanweisung)
5. Bildberichterstattung
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Symbolische Politikinszenierungen
Ritualisierung
Personalisierung
Schlüsselbilder
Gestellte Szenen
Pseudoereignisse
Standardsituationen
5. Bildberichterstattung
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Erläuterungsbild (z.B. Arbeitslosenstatistik)
Demonstrationsbild (z.B. Brandenburger Tor)
Darstellungsbild (z.B. Vertragsunterzeichnung)
Aktionsbild (z.B. Kriegshandlungen)
Personenbild (z.B. Staatschef)
Beziehungsbild (z.B. Talkshow, Doppelmoderation)
Beweisbild (z.B. Rost an einer Brücke)
Schockbild (z.B. Tote)
Affektbild (z.B. Emotionen)
6. Techniken der Bildbearbeitung
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Löschen oder Einfügen von Bildelementen
Strategische Wahl des Aufnahmestandpunktes
Veränderung von Helligkeit, Schärfe, Kontrast
Falsche Beschriftung
Ästhetisierung
Fotokombinationen
Fotomontage
Retusche
Digitale Bildbearbeitung
6. Techniken der Bildbearbeitung
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Materialfälschung:
Bewusste Veränderung von Fotos und Filmen
Kontextfälschung:
Das Bild wird in einen anderen zeitlichen, räumlichen
oder semantischen Kontext gestellt
6. Techniken der Bildbearbeitung
• Pressekodex (Ziffer 2) des Deutschen Presserates
• „Zur Veröffentlichung bestimmte Nachrichten und
Informationen in Wort und Bild sind mit der nach den
Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren
Wahrheitsgehalt zu prüfen. Ihr Sinn darf durch
Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder
entstellt noch verfälscht werden.[...] So sind [...]
symbolische Illustrationen [...], Fotomontagen oder
sonstige Veränderungen deutlich wahrnehmbar in
Bildlegende bzw. Bezugstext als solche erkennbar zu
machen.“
6. Techniken der Bildbearbeitung
• Kennzeichnung: Foto [M]: Autor/ ggf. Agentur
• Bund Freischaffender Foto-Designer (BFF),
Bundesverband der Pressebild-Agenturen und
Bildarchive (BVPA), Centralverband Deutscher
Berufsphotographen (CV), DJV
• Momorandum zur Kennzeichnung [M] für
modifizierten Bildern mit dokumentarischem Gehalt
Kennzeichnung, wenn
• Personen oder Gegenstände hinzugefügt und/oder
entfernt werden,
• verschiedene Bildelemente oder Bilder zu einem
neuen Bild zusammengefügt werden,
• maßstäbliche und farbliche, inhaltsbezogene
Veränderungen durchgeführt werden
6. Techniken der Bildbearbeitung
• Kennzeichnung: Agentur Tony Store
• Digital Composite (DC):
• Bilder, bei denen eine Komponente verschoben,
entfernt oder hinzugefügt wurde
• Digital Enhancement (DE):
Bilder, bei denen wesentlich Elemente verändert
wurden
• Colour Enhancement (CE):
• Bilder, bei denen Farben wesentlich verändert
wurden
7. Literatur
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Birnbacher, Dieter (2003): Analytische Einführung in die Ethik,
Berlin
Dierks, Michael (1997): Schlagbilder. Zur politischen
Ikonographie der Gegenwart. Frankfurt am Main
Ludes, Peter (2001): Multimedia und Multi-Moderne:
Schlüsselbilder. Wiesbaden
Schicha, Christian (2007): Manipulierte Fotos oder ein neues
Gesicht für Angela Merkel. In: Dietz, Simone/Skrandies, Timo
(Hrsg): Mediale Markierungen. Studien zur Anatomie
medienkultureller Praktiken. Bielefeld, S. 155-182
Schicha, Christian / Brosda, Carsten (Hrsg.) (2010): Handbuch
Medienethik. Wiesbaden
Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
(Hrsg.) (1998): X für U. Bilder, die lügen. Bonn
Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik 1/2006,
Schwerpunkt „Bildethik“
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