Mechanische Schwingungen

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Kapitel 8
Mechanische Schwingungen
Schwingungen materieller Objekte können zu hörbaren Tönen führen, sie können so subtil
sein wie die Bewegung der Atome in einem Schwingquarz, oder so groß wie ein Erdbeben. In
ausgedehnten Medien breiten sich Schwingungen als Wellen aus. Zwei physikalische Gründe gibt es für das Auftreten mechanischer Schwingungen, die Trägheit und die Stabilität
materieller Objekte. Stört man diese Stabilität dann treten Bindungskräfte auf, die das
Gleichgewicht wieder herstellen, siehe Bild auf Seite 75.
8.1
Freier ungedämpfter Oszillator
Massepunkt an Feder, Hooksches Gesetz für die rücktreibende Kraft
F =
ks y
Aus der Bewegungsgleichung mit y = z
m ÿ =
z0
ks y
erhalten wir mit der Abkürzung !02 = ks /m (!0 ist
die Eigenfrequenz) die Schwingungsgleichung
für den harmonischen Oszillator:
ÿ + !02 y = 0 .
(8.1)
y>0
ksHz0-zL
m
z0
z
0
y<0
-mg
Eine allgemeine Lösung ist
(8.2)
y(t) = C1 cos !0 t + C2 sin !0 t
bzw. mit C1 = A cos ' und C2 =
A sin '
(8.3)
y(t) = A cos (!0 t + ')
Das Argument der Kosinusfunktion (!0 t + ') bestimmt den momentanen Wert der Auslenkung y(t). In unserem Beispiel kann man den Zeitnullpunkt so legen, dass die Phase ' gleich
Null wird.
Nach einer Schwingungsdauer, T = 2⇡/!0 wird derselbe Wert von y(t) erreicht.
83
84
KAPITEL 8. MECHANISCHE SCHWINGUNGEN
8.2
Freier gedämpfter Oszillator
Wenn das Federpendel in einer Flüssigkeit schwingt kommt
zur Federkraft F = ks y noch eine Reibungskraft dazu,
z.B. die Stokesche Reibung,
FR =
Mit
6⇡ ⌘ r v .
ÿ + !02 y + 2 ẏ = 0 .
(8.4)
t
c ei
p
!02
2
t
+ c⇤ e
i
p
!02
2
t
z0
z
m
Dabei ist !0 die Eigenfrequenz des ungedämpften Federpendels. Eine allgemeine Lösung für (8.4) ist
y(t) = e
y>0
ksHz0-zL
= 3 ⇡ ⌘ r / m ist die Bewegungsgleichung
0
y<0
-mg
(8.5)
.
1
Die Größe ⌧ =
stellt die charakteristische Dämpfungszeit dar. Das zeitliche Schwingungsverhalten hängt von dem Verhältnis !0 / ab. Für schwache Dämpfung < !0 sind
die Wurzelausdrücke in den Exponenten reell, und es gilt
t
cos (! t + ') ,
(8.6)
p
2 kleiner ist als die der ungedämpften Schwingung.
wobei die Kreisfrequenz ! = !02
Die Frequenzverschiebung wächst mit steigender Dämpfung.
p
2 imaginär. Wir führen die reele Größe
Bei starker
Dämpfung ( > !0 ) ist !02
p
2
2
↵=
!0 ein und erhalten mit den Anfangsbedingungen y(t) = 0 und ẏ(t) = v0 ist die
allgemeine Lösung
y(t) = A e
y(t) =
v0
e
2↵
t
e↵ t
e
↵t
(8.7)
.
Diese Schwingung besteht aus einer einzigen Auslenkung, die dann gegen Null kriecht.
schwache Dämpfung
g=1
w0 = 5
v0 = 10
1
y@tD
aperiodischer Grenzfall
g=5
w0 = 5
v0 = 10
0.5
y@tD
starke Dämpfung
g = 25
w0 = 5
v0 = 10
0.15
y@tD
0
0
1
t HsL
2
0.
schwache Dämpfung
10
8
6
4
y'@tD 2
0
-2
-4
-6
g=1
w0 = 5
v0 = 10
0
1
t HsL
2
0
1
t HsL
2
0.
0
aperiodischer Grenzfall
10
8
6
y'@tD 4
2
0
g=5
w0 = 5
v0 = 10
0
1
t HsL
2
1
t HsL
2
starke Dämpfung
10
8
6
y'@tD
4
2
0
g = 20
w0 = 5
v0 = 10
0
1
t HsL
2
Der aperiodische Grenzfall besteht für ↵ = 0, er stellt die schnellstmögliche Abnahme
einer Störung dar. Für ↵ ! 0 geht Gleichung (8.7) über in y(t) = 2v0 t exp[ t].
8.3. ERZWUNGENE SCHWINGUNGEN
8.3
85
Erzwungene Schwingungen
Eine periodische externe Kraft mit der Amplitude F0 und der Frequenz !e treibt die Bewegung des gedämpften harmonischen Oszillators. In diesem Fall ist die Bewegungsgleichung
inhomogen,
F0
cos !e t .
m
ÿ + !02 y + 2 ẏ =
¨2
(8.8)
Eine allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist
w0
mit einer Amplitude A, die von der externen Frequenz
abhängt
F0 /m
2
!e2 ) + 4
we
(8.9)
y(t) = A cos (!e t + ')
A= q
(!02
F0 Æ
z0
z
m
(8.10)
.
2 !2
e
und einer Phasenverschiebung ', die ebenfalls von der externen Frequenz abhängt:
⇤
⇥
' = arctan 2 !e /(!02 !e2 ) .
(8.11)
Gleichung (8.9) beschreibt den sogenannten stationären Fall, der Oszillator schwingt mit
der Erregerfrequenz !e verschoben in seiner Phase um '. Dieser Fall gilt für Zeiten, die
1
sehr viel länger sind als die charakteristische Dämpfungszeit, t
. Die Amplitude der
erzwungenen Schwingung (8.10) hängt ab von
• der Amplitude der äußeren Kraftwirkung F0 /m, von der Dämpfung
hältnis Erregerfrequenz zu Eigenfrequenz, !e /!0 .
und vom Ver-
p
• Das Amplitudenmaximum liegt bei der Resonanzfrequenz !e = !r = !02 2
Maximum verschiebt sich mit steigender Dämpfung zu kleineren Frequenzen.
2.
Das
• Die Phase des bewegten Objektes (8.11) ist verzögert gegenüber der der Erregerschwingung. Die Phasenverzögerung ist frequenzabhängig. Die Schwingung ist in Phase mit
der Erregerschwingung bei kleinen Erregerfrequenzen. Sie ist gegenphasig für !e !0 .
Ohne Dämpfung erfolgt ein sprunghafter Wechsel der Phase um ⇡ bei Resonanz.
3
3
w0 =1
F0 ê m
w0 =1
g=0.1
g=0.25
2
A
g=0.5
0
0
1
we êw0
g=1
j
g=1
1
2
g=0.5
1
2
0
g=0.25
g=0.1
0
1
we êw0
2
Die Bewegung ist komplizierter während des Einschwingens. Im Einschwingvorgang
sind Bewegungen mit der Eigenfrequenz noch sichtbar, siehe die folgenden Bilder. Die
86
KAPITEL 8. MECHANISCHE SCHWINGUNGEN
Dämpfung wurde immer mit 2 = 0.1 angenommen, die Eigenfrequenz mit !0 = 1. Die
Erregerschwingung rot gezeichnet, die Bewegung des getriebenen Oszillators in schwarz. Die
Frequenz der Erregerschwingung verändert sich von !e = 0.1 (erstes Bild) bis !e = 2 (letztes
Bild). Die Periode der Eigenschwingung ist durch die Gitterlinien eingezeichnet.
1.0
1.0
0.5
0.0
-0.5
0.0
-0.5
20
40
60
80
-1.5
100
Zeit
y¢¢ HtL + 0.1 y¢ HtL + yHtL á cosH0.8 tL
0
20
40
60
80
100
0
y¢¢ HtL + 0.1 y¢ HtL + yHtL á cosHtL
10
Amplitude
2
0
-2
-4
20
40
60
80
100
20
40
60
80
100
Zeit
y¢¢ HtL + 0.1 y¢ HtL + yHtL á cosH2 tL
1.0
5
0
-5
0.5
0.0
-0.5
-1.0
-10
0
y¢¢ HtL + 0.1 y¢ HtL + yHtL á cosH0.4 tL
1.5
1.0
0.5
0.0
-0.5
-1.0
-1.5
Zeit
Amplitude
0
Amplitude
0.5
-1.0
-1.0
4
Amplitude
y¢¢ HtL + 0.1 y¢ HtL + yHtL á cosH0.2 tL
1.5
Amplitude
Amplitude
y¢¢ HtL + 0.1 y¢ HtL + yHtL á cosH0.1 tL
1.5
0
20
40
Zeit
60
80
100
0
20
Zeit
40
60
80
100
Zeit
Die Erregung beginnt schlagartig (cos !e t). Der Einschwingvorgang mit der Eigenfrequenz
ist bei kleinem ⌦ am deutlichsten sichtbar (erstes und zweites Bild). Die Resonanzüberhöhung ist im vierten und fünften Bild ersichtlich. Die gegenphasige Bewegung zeigt sich bei
hohen Erregerfrequenzen im letzten Bild.
Einschwingvorgang, Resonanz und Phasenschub beim getriebenen Schlitten.
8.4
Parametrischer Oszillator
Wenn sich die Länge eines Fadenpendels periodisch mit der externen Frequenz !e ändert,
`(t)
=
`0 + r cos (!e t + )
=
`0 [1 +
r
cos (!e t + )] (8.12)
we
j0
{0
dann ändern sich auch die Eigenschaften des
Oszillators periodisch.
Für das Fadenpendel mit kleiner Auslenkung
hatten wir (Seite 69), jetzt mit Dämpfung
'¨ + 2 '˙ + !02 ' = 0 ,
(8.13)
p
wobei !0 = g/`0 war. Ändert sich die Fadenlänge periodisch haben
p wir eine nichtlineare
Differentialgleichung mit `(t) aus (8.12) und der Definition ⌦(t) = g/`(t),
'¨ + 2 '˙ + ⌦2 (t) ' = 0 .
(8.14)
⇥
2
⇤
Für kleine Werte von
schreiben wir für (8.12) ⌦2 (t) ⇡ !0 1 2 cos (!e t + ) . In dieser
linearen Näherung ergibt sich eine Matthieusche Differentialgleichung. Die Kontrollparameter !e , bestimmen die Bereiche für stabile Trajektorien des Oszillators. Die Energiezufuhr
durch die von äußen erwirkte Längenänderung wird optimal, wenn die treibende Frequenz
8.5. GEKOPPELTE OSZILLATOREN
87
!e das Doppelte der Eigenfrequenz !0 des Pendels ist. Die Bilder zeigen die Pendeltrajektorie (schwarz) und die Pendelänge (rot) für !e = 2!0 und für !e = !0 .
j¢¢ HtL + 0.02 j¢ HtL + jHtL H1 - 0.2 cosH2 tLL á 0.
j¢¢ HtL + 0.02 j¢ HtL + jHtL H1 - 0.2 cosH2 tLL á 0.
1
0
0
-1
-2
0
20
40
60
80
jHtL Amplitude
1
Länge des Pendels
jHtL Amplitude
2
1
0
-1
-2
100
Länge des Pendels
2
0
20
40
60
80
100
Zeit
Zeit
Beispiele : Quadrupol-Massenspektrometer, optisch parametrischer Oszillator.
Parametrisch getriebenes Fadenpendel.
8.5
Gekoppelte Oszillatoren
Am Beispiel zweier Massepunkte und drei Federn. Die Auslenkung jeder Masse hängt auch
von der Stellung der anderen Masse ab. Für die Bewegungsgleichungen erhält man ein gekoppeltes System zweier Differentialgleichungen. Mit den drei Federkonstanten k1 , k2 und
k12 ergibt sich für die beiden Massen
k
k12
m
z1
k
m
z2
mz̈1
=
k z1 + k12 (z2
z1 )
(8.15)
mz̈2
=
k z2
z1 )
(8.16)
k12 (z2
wobei z1 und z2 die Auslenkung der beiden Massen von ihrer jeweiligen Ruhelage angibt.
Unter gewissen Anfangsbedingungen führen die beiden Massen harmonische Schwingungen
aus. Diese nennt man Normalschwingungen (Eigenschwingungen). Gleichungen für Normalschwingungen erhalten wir durch Addition und Subtraktion von (8.15) und (8.16).
m(z̈1 + z̈2 )
=
k (z1 + z2 )
m(z̈1
=
(k + 2k12 ) (z1
z̈2 )
(8.17)
z2 )
(8.18)
Dabei entstehen entkoppelte Gleichungen in neuen Koordinaten. + = (z1 +z2 )/2 beschreibt
die Bewegung des Schwerpunktes beider Massen,
= (z1 z2 ) die Kompression der Feder
zwischen beiden Massen.
p
2
¨ + + !+
mit
!+ = k/m
(8.19)
+ = 0
p
2
¨ +!
= 0
mit
! = (k + k12 )/m
(8.20)
Demonstrationsbeispiel: zwei Pendel, die mit einer Feder gekoppelt sind: parallele Schwingung (in Phase) und antiparallel (gegenphasig). Ebenso: Energieaustausch zwischen Beiden
in Form von Schwebungen.
Normalmoden, Schwebung gekoppelter Pendel.
Verallgemeinerung: Ein gekoppeltes und entlang einer Geraden oszillierendes System mit N
Massen hat genau N unabhängige Eigenschwingungen. Die allgemeine Bewegung des gekoppelten Systems ist eine Superposition dieser Eigenschwingungen. Bei äußerer Anregung mit
einer Frequenz nahe einer Eigenschwingung tritt diese mit großer Amplitude auf.
Bei einem mehratomigen Molekül: Jedes der N Atome hat 3 Freiheitsgrade der Bewegung.
88
KAPITEL 8. MECHANISCHE SCHWINGUNGEN
Ein N -atomiges Molekül hat also insgesamt 3N Freiheitsgrade (FHG). Davon drei für die
Translation des Schwerpunktes und 3 für Rotation des Systems um den Schwerpunkt. Somit
bleiben 3N 6 FHG übrig für Schwingungen.
Für ein lineares Molekül gibt es nur zwei FG
Ν
der Rotation und deshalb bleiben in diesem
Ν1
Fall 3N-5 FHG für Schwingungen.
Ν
Das Bild zeigt für CO2 und H2 O die sym!
Ν2
metrische Streckschwingung ⌫1 , die (für CO2
zweifach entartete) Biegeschwingung ⌫2 und
Ν
die asymmetrische Streckschwingung ⌫3 .
Ν3
1
2
3
Normalschwingungen eines freien Systems sind so definiert, dass bei Bewegung entlang einer Normalschwingungskoordinate der Schwerpunkt des Systems in Ruhe bleibt und keine
Rotation des Objektes auftritt.
8.6
Überlagerung von Schwingungen
In der Natur treten reine harmonische Schwingungen nur selten auf. Meist hat man es mit
Überlagerungen zu tun.
Die Überlagerung zweier Schwingungen gleicher Frequenz:
#a1
x1 (t)
=
a1 cos (! t + '1 )
x2 (t)
=
a2 cos (! t + '2 )
0
cos (!t + 'i ) = cos !t cos 'i
!a1
!Π
sin !t sin 'i
x(t) = x1 (t) + x2 (t) = C cos (! t + ') .
Dabei ist
2Π
x2 !t"
0
$2
!a2
!Π
Π
0
2Π
x!t"
#c
a1 sin '1 + a2 sin '2
a1 cos '1 + a2 cos '2
und die Amplitude
q
C = a21 + a22 + 2a1 a2 cos ('1
Π
0
#a2
eine Schwingung gleicher Frequenz mit einer Phasenverschiebung
tan ' =
x1 !t"
$1
ergibt mit dem Additionstheorem
0
$
!c
!Π
'2 ) .
und a1 = a2 = 1 ergibt sich

p
x(t) = x1 (t) + x2 (t) = 2(1 + cos ) cos !t
Π
0
Für '1 = 0, '2 =
arctan
✓
sin
1 + cos
◆
.
2Π
8.6. ÜBERLAGERUNG VON SCHWINGUNGEN
89
Eine Überlagerung zweier Schwingungen mit unterschiedlicher Frequenz
ergibt Schwebungen:
x1 (t)
x2 (t)
=
=
a cos (!1 t)
a cos (!2 t)
x1 !t" # cos Ω1 t
1
0
"1
x1 (t) + x2 (t) ergibt die Schwebung
✓
◆
✓
◆
!1 !2
!1 + !2
x(t) = 2a cos
t cos
t
2
2
0
Π
0
Π
1
2Π
3Π
4Π
2Π
3Π
4Π
2Π
x!t"
3Π
x2 !t" # cos Ω2 t
0
Wenn !1 !2 klein ist, kann man die mittlere Frequenz
!
¯ = (!1 + !2 )/2 einführen und diese Gleichung wie folgt
interpretieren: Schwingungen mit der Frequenz !
¯ und einer
Amplitude, die langsam mit der Einhüllenden
◆
✓
!1 !2
E(t) = 2a cos
t
2
"1
2
E
0
"2
moduliert ist (Schwebung).
0
Π
4Π
Schwebung zweier Stimmgabeln mit Mikrophon.
Die zweidimensionale Überlagerung von Schwingungen ergibt Lissajous-Figuren.
Zwei lineare, zueinander senkrechte Schwingungen gleicher Frequenz ergeben Bahnkurven
in Form einer Ellipse, deren Form von der relativen Phase zwischen beiden Schwingungen
abhängt. Für verschiedene Frequenzen ergeben sich ebenfalls geschlossene Kurven, wenn ein
rationales Frequenzverhältnis vorliegt. Für !1 > !2 schließt sich die Bahn nach einer Zeit
t = T2 = 2⇡/!2 . Liegt ein nichtrationales Verhältnis von Frequenzen vor, so schließt sich die
Bahn nicht (Beispiel in der letzten Bildzeile).
%#0
%#45
%#90
%#135
%#180
%#0
%#45
%#90
%#135
%#180
%#0
%#45
%#90
%#135
%#180
%#0
%#45
%#90
%#135
%#180
t#2Π
t#4Π
t#6Π
t#8Π
t#10Π
Ω1
"""""""""" # 1!1
Ω2
Ω1
"""""""""" # 1!2
Ω2
Ω1
"""""""""" # 1!3
Ω2
Ω1
"""""""""" # 1!4
Ω2
Ω1
"""""""""" # 1.6129
Ω2
90
KAPITEL 8. MECHANISCHE SCHWINGUNGEN
8.7
Fourier-Analyse
Bei einer Überlagerung von Schwingungen mit rationalen Frequenzverhältnissen ergibt
sich eine periodische Schwingung mit einer Periode des größten gemeinsamen Teilers aller
beteiligten Frequenzen. In den folgenden Bilder überlagern wir zu cos ! t
g.g. Teiler = 1ê5
g.g. Teiler = 1ê7
g.g. Teiler = 1ê1
2
2
2
1
1
1
0
0
0
-1
-1
-1
-2
-2
0
2
4
6
8
im Bild links mit cos 45 ! t,
in Bildmitte mit cos 27 ! t,
im Bild rechts mit cos 2! t.
-2
0
2
time
4
6
8
0
2
4
time
6
8
time
Umgekehrt lässt sich jede periodische Funktion f (t) = f (t + T ) immer in eine Summe
von Sinus- oder Cosinus-Funktionen zerlegen, deren Frequenzen ganzzahlige Vielfache einer
Grundfrequenz sind
f (t) = a0 +
1
X
(8.21)
an cos (n!1 t + 'n ) .
n=1
Dabei nennt man an cos !1 t die Grundschwingung und die Terme mit n > 1 Oberschwingungen (in der Akustik: Grundton und Obertöne).
Das Bild zeigt die Überlagerung der Grundschwingung sin !t mit 7 ungeradzahligen harmonischen Frequenzen, die jeweils mit der Amplitude 1/(2n 1) gewichtet sind
m
X
1
sin [(2n 1)!t]sinH11
. t wL +
fsinHt
(t)wL=
+ sinH3 t wL2n
+ sinH5 t 1
wL + sinH7 t wL + sinH9 t wL +
n=1
1
1
1
1
1
1
3
5
7
9
11
13
1.0
2.00
1.00
0.50
0.5
f@tD
(8.22)
sinH13 t wL
0.0
f@wD 0.20
0.10
0.05
-0.5
-1.0
-2
-1
0
Zeit
1
0.02
0
2
2
4
6 8 10 12 14
harmonische
Die Überlagerung (8.22) ist einer Rechteckschwingung ähnlich. Je mehr Frequenzen in der
Summe (8.22) berücksichtigt werden umso schärfer werden die Kanten des Rechtecks. Das
diskrete Frequenzspektrum f (!) dazu ist rechts gezeigt.
Das nächste Bild zeigt die Überlagerung von 7 geradzahligen harmonischen Frequenzen,
jeweils gewichtet mit der Amplitude 1/(2n) sind
m
X
1
f (t)
=
sin [2n!t] .
sinH2 t wL + sinH4
t wL + sinH6 t wL + sinH8 t wL +
2n
n=1
1
1
1
1
1
2
4
6
8
10
sinH10 t wL +
1
12
1.0
0.0
(8.23)
sinH14 t wL
f@wD 0.20
0.10
0.05
-0.5
-1.0
-2
1
14
2.00
1.00
0.50
0.5
f@tD
sinH12 t wL +
-1
0
Zeit
1
2
0.02
0
2
4
6 8 10 12 14
harmonische
8.7. FOURIER-ANALYSE
91
So wie man durch geeignete Überlagerung von Sinus (oder Cosinus) Funktionen beliebige periodische Funktionen erzeugen kann, gelingt es umgekehrt eine beliebige periodische
Funktion in Sinus (oder Cosinus) Funktionen zu zerlegen. Die Zerlegung einer periodischen
Funktion in ihre harmonischen Anteile heißt Fourier-Zerlegung oder Fourier-Analyse.
Ist die Ausgangsfunktion nicht periodisch sondern ein einmaliges Ereignis, wie z.B. ein Donnerschlag oder eine rechteckförmige Stufe, dann gelingt die Fourier-Transformation auch,
allerdings genügt dann nicht eine Summe von diskreten Frequenzen wie in Gleichung
8.22. Im Falle eines zeitlich begrenzten Ereignisses braucht man eine kontinuierliche Verteilung von Frequenzen zur Darstellung.
Die Fourier-Transformation schafft eine Verbindung zwischen der Verteilung einer Größe
x und der Verteilung der inversen Größe 1/x. Zum Beispiel die Verbindung zwischen Frequenz und Zeit: f (t) und f (!) = f (2⇡⌫). Die zeitliche Form der Größe f (t) wird abgebildet
in das Spektrum von Frequenzen f (!), die überlagert werden müssen um die Größe f (t)
darzustellen,
Z 1
1
f (t) ei!t dt ,
(8.24)
f (!) = p
2⇡
1
Z 1
1
f (t) = p
f (!) e i!t d! .
(8.25)
2⇡
1
Diskrete Datensätze erlauben eine diskrete Fourier Transformierte. Wenn eine Funktion
f (t) durch N Datenpunkte gegeben ist, nimmt man an, dass jeder der Datenpunkte f (k)
(k läuft von 0 bis N 1) eine Summe periodischer Funktionen mit den Amplituden f (n)
darstellt,
N
X1
f (k) =
f (n) ei2⇡kn/N .
(8.26)
n=0
Dabei ist f (n) die diskrete Fourier Transformierte von f (k). Die folgenden Beispiele (gedämpfte Schwingung der Eigenfrequenz !0 = 5 bei unterschiedlicher Dämpfung, siehe Seite 84) zeigen reelle analytische Funktionen f (t), die wir in diskreten Zeitabständen von
t = 1/20 s an N = 301 Punkten aufsammeln (nur 100 Punkte sind gezeigt). Diese blau gezeigten Punkte bilden den diskreten Datensatz f (k) den wir transformieren. Der Datensatz
f (n) (Real und Imaginärteil) ist representativ für die Funktion f (!), er gibt die diskreten
Fourier Amplituden bei den Frequenzen !n = 2⇡n/(N t).
kô
0
20
40
kô
60
80
100
g = 0.2
w0 = 5
v0 = 10
1
fHtL
fHkL
0
0
20
40
kô
60
80
100
g=1
w0 = 5
v0 = 10
1
fHtL
fHkL
0
0
20
40
0
0
1
2
60
80
100
g=5
w0 = 5
v0 = 10
fHtL
fHkL
-1
0
1
2
t HsL
3
4
5
0
1
2
nô
0
10
4
5
nô
20
30
0
10
fHwL
fHnL
2
30
0
0.0
-0.5
0
5
frequency w
10
3
4
5
0
10
20
30
0.4
0.3
fHwL
0.2
fHnL
0.1
0.0
0.5
-2
t HsL
nô
20
1.0
4
fHwL
fHnL
t HsL
3
0
5
frequency w
10
0
5
frequency w
10
92
KAPITEL 8. MECHANISCHE SCHWINGUNGEN
Die gedämpfte Schwingung ist nicht harmonisch, die Bandbreite der Frequenzverteilung
steigt mit zunehmender Dämpfung an, das Maximum der Fourier-Transformierten f (!)
wandert zu kleiner Frequenzen.
Beispiel: Analyse des Einschwingvorgangs bei erzwungener Schwingung:
Wir untersuchen die erzwungene Schwingung (siehe Seite 85) der Eigenfrequenz !0 = 1 bei
einer Dämpfung = 0.03 und einer externen Anregung bei !e = 1/4. Die Einschwingvorgang ist nicht harmonisch, zwei diskrete Schwingungen sind ersichtlich, die Eigenfrequenz
und die viermal langsamere treibende Frequenz. Die diskrete Fourier-Transformierte zeigt
die Beiträge beider Frequenzen. Real und Imaginärteil der Fourier Transfomierten spiegeln
die Phasenbeziehung zwischen beiden Schwingungen wieder.
0
50
100
time
150
20
15
10
5
0
-5
Im@fHwLD
1.5
1.0
0.5
0.0
-0.5
-1.0
-1.5
-2.0
Abs@fHwLD
Re@fHwLD
fHtL=yHtL
t
y¢¢ HtL + 0.03 y¢ HtL + yHtL á cosK O
4
0. 0.25 0.5 0.75 1. 1.25 1.5
frequency w
200
Die Fourier Transformierte f (!) im Bild oben zeigt auch einen Beitrag bei der Frequenz
! = 0. Dieser Beitrag spiegelt den Offset des mittleren Signals f (t) von der Nulllinie wieder.
Zur Verdeutlichung zeigen wir dieses Beispiel nochmals, jetzt aber ist f (t) = y(t) + 1/2 und
entsprechend ist der Beitrag bei der Frequenz Null auch größer (und positiv).
0
50
100
time
150
200
20
15
10
5
0
-5
Im@fHwLD
2.0
1.5
1.0
0.5
0.0
-0.5
-1.0
-1.5
Abs@fHwLD
Re@fHwLD
fHtL=yHtL+1ê2
t
y¢¢ HtL + 0.03 y¢ HtL + yHtL á cosK O
4
0. 0.25 0.5 0.75 1. 1.25 1.5
frequency w
Experiment : Fourieranalyse der Töne von Stimmgabeln und Pfeifen.
Kapitel 9
Gase
Gase lassen sich beliebig expandieren, und bei Einwirken eines äußeren Druckes auch nahezu
beliebig komprimieren. Bei Atmosphärendruck ist die Dichte von Gasen etwa 3 Größenordnungen kleiner als die der Festkörper (Atomabstand im Gas ⇡ 10 mal größer als im Festkörper). Die kinetische Energie der Gasteilchen ist größer als die potentielle Energie ihrer
Anziehung zueinander.
9.1
Makroskopische Betrachtung
Ein beweglicher Kolben verändert das Volumen der Gasmenge
bei konstanter Temperatur, T = const. Man beobachtet das
Gesetz von Boyle-Mariotte,
p V = const
F
(9.1)
p
V
Durch Differenzieren von V = const./p nach p erhalten wir
dV
=
dp
const
=
p2
V
.
p
(9.2)
3
Daraus ergibt sich ein Maß für die Kompressibilität eines
Gases
2
=
1 dV
1
=
V dp
p
m2
[] =
N
(9.3)
Ein Gas lässt sich umso leichter komprimieren, je kleiner sein
Druck ist ( > 0).
pµ
1
V
p
1
0
0
1
2
3
V
Experiment mit Kolben zur Kompression.
In einem abgeschlossenen Gefäß ist die Masse konstant. Also ist die Dichte invers proportional zum Volumen.
M
V =
(9.4)
⇢
So lässt sich das Gesetz von Boyle-Mariotte auch schreiben als
p
= const.
⇢
93
(9.5)
94
KAPITEL 9. GASE
1 Torr
1 kPa
1 phys. Atm
1 phys. Atm
1 techn. Atm
1 bar
1 mb
Druckdefinition:
[p] =
N
= Pascal
m2
Normaldruck = 1 Phys. Atm.
=
=
=
=
=
=
=
Druckmessgeräte:
Torricelli: Quecksilbermanometer zur Luftdruckbestimmung,
p0 = Hg Dampfdruck (⇡ 10 3 mb)
1 mm Hg
7.6 Torr
760 Torr
101.3 kPa
98.1 kPa
105 Pa
0.76 Torr
p0
p
h
p
p0 = ⇢Hg g h
Dosenbarometer, Kapazitäts-, Wärmeleitungs-Manometer,
Quarzbalance, Ionisationsröhre.
9.2
Luftdruck und barometrische Höhenformel
Beim Aufstieg um die Höhe
der Druck um p ab,
p=
⇢g
h > 0 in einer Atmosphäre oder in einer Flüssigkeit nimmt
(9.6)
h.
Dabei ist ⇢ die Dichte des Gases (der Flüssigkeit). In einer Flüssigkeit kann die Dichte als
unabhängig von der Höhe der Flüssigkeitssäule angenommen werden. Das führt zu einer
linearen Zunahme des Druckes mit der Tiefe (siehe Seite 78). Bei einem Gas müssen wir
berücksichtigen, dass sich die Dichte mit dem Druck ändert.
Für konstante Temperatur haben wir aus Gl. (9.5)
p
p
p0
=
= const. ! ⇢ = ⇢0
⇢
⇢0
p0
(9.7)
wobei wir mit p0 und ⇢0 den Druck und die Dichte auf der Erdoberfläche, bei h = 0,
bezeichnen. Setzen wir diesen Ausdruck in Gl. (9.6) ein
dp =
p
⇢0
g dh
p0
und integrieren dp/p =
ln p =
(9.8)
⇢0
p0
g dh mit dem Ergebnis
⇢0
gh + C,
p0
dann erhalten wir mit der Randbedingung p(h = 0) = p0


⇢0 g h
h
p = p0 exp
= p0 exp
.
p0
H
(9.9)
(9.10)
Mit den Werten für Luft p0 = 101.3 kPa, ⇢0 = 1.24 kg/m3 ergibt sich für die Skalenhöhe
H ⇡ 8.4 km. Analog gilt für die Dichte


⇢0 g h
h
⇢ = ⇢0 exp
= ⇢0 exp
.
(9.11)
p0
H
9.3. KINETISCHE GASTHEORIE
95
In einer isothermen Atmosphäre nimmt der Luftdruck exponentiell mit der Höhe ab.
Über die Höhe H fällt der Druck auf 1/e ab. (Im inkompressiblen Wasser nimmt der Druck
linear mit der Tiefe zu, siehe (7.3))
Ein Resultat von (9.11) ist dass die Lufthülle der Erde keine scharfe Grenze hat. In der realen Atmosphäre muss berücksichtigt werden, dass sich die Temperatur mit der Höhe ändert.
100
Mesopause
100
barometrische
80
Höhenformel
60
40
Höhe HkmL
Höhe HkmL
80
reale
Atmosphäre
60
Stratopause
40
Stratosphäre
20
20
0
100
9.3
Mesosphäre
101
102 103 104
Druck HPaL
105
0
Tropopause
Troposphäre
-50
Temperatur H0 CL
0
50
Kinetische Gastheorie
Boltzmann, Clausius und Maxwell führten die Eigenschaften eines Gases auf die Bewegung
der Gasatome und deren Wechselwirkung untereinander zurück.
Modell eines idealen Gases:
Starre Kugeln als Massepunkte mit der Masse m haben statistisch verteilte Geschwindigkeiten. Energie- und Impulssatz kontrollieren Stöße untereinander und mit der Wand.
Das Eigenvolumen der Gasatome wird vernachlässigt.
Beispiel: Helium bei 1 bar und 300 K hat Teilchendichte n = 2.4 ⇥ 1019 cm 3 , der mittlere Abstand zwischen zwei He Atomen ist ⇡ 30 Å, die Atomgröße von He liegt bei ⇡ 1 Å= 0.1 pm.
Grundgleichungen:
Mit Dichte n bezeichnen wir die Zahl der Atome (Moleküle) pro Volumeneinheit. Die gesamte
Teilchenzahl im Volumen V ist N . Damit ist
n = N/V .
(9.12)
Die Massendichte im Volumen V ist (m ist die Masse eines einzelnen Teilchens)
⇢=
Nm
.
V
(9.13)
Moleküle der Geschwindigkeitsklasse |vx | fliegen in Richtung der positiven x-Achse durch
eine Fläche A mit der Rate (Einheit: s 1 )
R=
1
n vx A .
2
(9.14)
Der Faktor 1/2 berücksichtigt, dass die Hälfte der Moleküle in Richtung x und die andere
in Richtung +x fliegt. Ist die Fläche A Teil einer Wand, die das Gas begrenzt, dann ist dies
96
KAPITEL 9. GASE
die Rate, mit der Moleküle an die Wand stoßen. Jedes Molekül überträgt beim elastischen
Stoß auf die Wand den Impuls | p~|
(9.15)
| p~| = 2m vx .
Damit ist die Kraft auf die Fläche A gleich
F = R | p~| = n m vx2 A ,
(9.16)
und der Druck p auf die Wand
p=
F
= n m vx2 .
A
(9.17)
Moleküle haben statistisch verteilte Geschwindigkeiten. Im Gleichgewicht sind die Geschwindigkeitsvektoren isotrop verteilt. Wir definieren die Anzahl der Moleküle mit Geschwindigkeitskomponenten zwischen vx und vx + dvx :
(9.18)
N (vx ) dvx .
Die gesamte Teilchenzahl N sei bekannt, deshalb ist
Z 1
N=
N (vx ) dvx .
(9.19)
1
Da v 2 = vx2 + vy2 + vz2 ist, interpretieren wir isotrope Verteilung als
hvx2 i = hvy2 i = hvz2 i =
1 2
hv i .
3
(9.20)
Der Druck, den Moleküle auf eine Wand in der y z Ebene ausüben, beträgt
p = n m vx2 =
1
n m hv 2 i .
3
(9.21)
Diese Gleichung schreiben wir um
p=
2 1
2
n m hv 2 i = n hEkin i .
3 2
3
(9.22)
wobei wir die mittlere kinetische Energie hEkin i der Teilchen einführten
(ab jetzt ist K für die Temperatureinheit Kelvin reserviert)
hEkin i =
1
m hv 2 i .
2
(9.23)
Mit der Moleküldichte n = N/V ergibt sich
pV =
2
N hEkin i .
3
(9.24)
Rüttelmaschine bewegt Stahlkugeln, Druck is proportional zur Bewegungsenergie.
Experimente zeigen: Das Produkt p V , die Konstante im Gesetz von Boyle-Mariotte (9.1),
hängt nur von Temperatur ab. Also hängt die mittlere kinetische Energie von der Temperatur
9.3. KINETISCHE GASTHEORIE
97
ab. Dies führt zur Definition der absoluten Temperatur T / hEkin i. Diese wird in der
Einheit Kelvin angegeben.
3
1
k T = m hv 2 i = hEkin i
2
2
(9.25)
wobei k = 1.38 ⇥ 1023 J/K die Boltzmann Konstante ist. Aus (9.24) und (9.25) erhalten
wir die sogenannte ideale Gasgleichung
(9.26)
pV = N kT .
Mit der Definition der Gasdichte n = N/V schreibt sich die ideale Gasgleichung als
(9.27)
p = nkT .
Nach Einführung der Molzahl µ = N/Av wobei Av = 6 ⇥ 1023 mol
Moleküle pro Mol ist und Definition der allgemeinen Gaskonstante
R = k Av = 8 J mol
1
K
1
die Anzahl der
1
(9.28)
schreibt sich die ideale Gasgleichung als
(9.29)
pV = µRT .
Gleichverteilungssatz:
In einem Gas, das für genügend lange Zeit bei konstanter Temperatur gehalten wird (thermodynamisches Gleichgewicht), verteilt sich die Energie durch Stöße derart, dass die mittlere Energie jedes Teilchens
hEi = f
1
kT
2
(9.30)
beträgt, wobei f die Anzahl der Freiheitsgrade des Teilchens ist. Für ein atomares Gas ist
f = 3, die drei Freiheitsgrade der Translation.
Zur Berechnung von hv 2 i benötigen wir eine Verteilungsfunktion der Molekülgeschwindigkeiten. Im thermodynamischen Gleichgewicht gilt die Maxwell-Boltzmann Geschwindigkeitsverteilung. Für eine Komponente des Geschwindigkeitsvektors gilt
r

m
m vx2
f (vx ) =
exp
(9.31)
2⇡ k T
2kT
eine um vx = 0 symmetrische Gaußverteilung, die auf
1 normiert ist. Mit dieser Normierung ergibt sich die
Bedeutung der Verteilungsfunktion. f (vx ) gibt uns die
Wahrscheinlichkeit ein Atom im Geschwindigkeitsintervall zwischen vx und vx + dx zu finden. Diese Form der
Verteilung gilt für alle drei Komponenten vx , vy und vz .
Die Wahrscheinlichkeit, ein Molekül bei einer Geschwindigkeit v = {vx , vy , vz } anzutreffen, ist proportional dem
Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten:

⇣ m ⌘3/2
m v2
f (v) =
exp
.
2⇡ k T
2kT
0.4
0.3
fHvx L 0.2
dvx
0.1
0.0
-4 -2
0
vx
2
4
(9.32)
98
KAPITEL 9. GASE
Die Spitzen aller Geschwindigkeitsvektoren ~v mit einer Länge zwischen v und v + dv füllen
eine Kugelschale mit dem Volumen 4⇡v 2 dv. (Ein großer Geschwindigkeitsbetrag hat ein höheres statistisches Gewicht). Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit Teilchen pro Volumeneinheit
mit Geschwindigkeitsbeträgen zwischen v und v + dv zu finden
n(v) dv = f (v) n 4⇡ v 2 dv .
(9.33)
Dabei gibt n(v) dv die Dichte im Geschwindigkeitsintervall dv an. Die Verteilung der Dichte
für Teilchen mit dem Betrag der Geschwindigkeit v ist damit

⇣ m ⌘3/2
m v2
2
dv .
(9.34)
4⇡ v exp
n(v) dv = n
2⇡ k T
2kT
Gleichung 9.34 gibt die Wahrscheinlichkeitsdichte an Teilchen im Geschwindigkeitsintervall
zwischen v und v + v zu finden. Das Integral über die Verteilung ergibt den Wert n, die
Dichte aller Teilchen.
Z 1
n(v) dv = n .
0
.003
T=300 K
Kr
.003
100 K
N2
Ar
nHvL
.002
nHvL
N2
.001
.002
300 K
.001
He
0
0
200
400
v
600
0
800
0
200
400
v
600
800
Die wahrscheinlichste Geschwindigkeit kennzeichnet den Wert, an dem die Verteilungsfunktion ein Maximum einnimmt. Dies ist der Fall bei
p
vw = 2 k T /m .
(9.35)
Erwartungswerte (Momente) einer Verteilungsfunktion berechnen sich als
Z
1 1
i
hv i =
n(v) v i dvx .
(9.36)
n 0
So ist die mittlere Geschwindigkeit
p
hvi = 8 k T /⇡m ,
N2 , T = 300 K, p = 1 bar:
Xv2 \
nHvL
.001
(9.37)
0
0
und das mittlere Geschwindigkeitsquadrat
hv 2 i = 3 k T /m .
vw Xv\
.002
200
400
(9.38)
⇢=
1.24
kg/m3
m=
28 ⇥ 1.67
10
27
n=
1019
cm
3
2.6 ⇥
600
800 1000
v
kg
p
vw =
420
m/s
hvi =
475
m/s
=
515
m/s
hv 2 i
9.3. KINETISCHE GASTHEORIE
99
Aufbau einer Verteilungsfunktion der Geschwindigkeit von Stahlkugeln, welche die
Rüttelmaschine durch eine kleine Öffnung verlassen.
Stoßquerschnitt
Harte Kugeln mit den Radien rA und rB haben den Stoßquerschnitt = ⇡(rA +rB )2 . Wir
betrachten ein Volumen der Fläche F und Dicke x, gefüllt mit Teilchen der Sorte B und
der Dichte n.
Jetzt betrachten wir N Teilchen der Sorte A die auf die Fläche F treffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teilchen der Sorte A über die Strecke x einen Stoß mit einem Teilchen
B erleidet ist gleich der Summe aller Querschnittsflächen die das Teilchen A im Volumen
V = F x vorfindet im Verhältnis zur Eintrittsfläche F ,
n
xF
⌃
=
=n
F
F
Die gesamte Zahl der Teilchen der Sorte A, die einen Stoß
erleiden ist N -mal so groß. Demnach ist der Bruchteil der
Teilchen der Sorte A, die einen Stoß erleiden gleich
dN
=
N
n
Dx
x.
F
A
x.
Durch Integration erhalten wir das Schwächungsgesetz
für den Strom von Teilchen A die im Volumen keinen Stoß
erlitten haben,
N (x) = N (0) exp [ n x] = N (0) exp [ x/ ] .
Teilchen B
(9.39)
Diese Gleichung definiert die mittlere freie Weglänge . Über diese Strecke hat nur der
Bruchteil 1/e der Teilchen keinen Stoß erlitten.
= (n )
1
.
(9.40)
Daraus definiert sich auch die mittlere Zeit zwischen zwei Stößen
⌧=
1
.
n hvi
(9.41)
Die Dichte bei Atmosphärendruck ist n ⇡ 2.4 ⇥ 1019 cm 3 , ein typischer elastischer Querschnitt
⇡ 4 Å2 . Damit ist die mittlere freie Weglänge etwa 1 µm und die mittlere Zeit
zwischen zwei Stößen 2 ns. Also erleidet jedes Molekül der Luft etwa 5 ⇥ 108 Stöße pro Sekunde. Das folgende Bild versucht die stochastische Bewegung eines Gasmoleküls nach 50,
100, 150 und 200 Stößen zu zeigen. Eine isotrope Winkelverteilung bei Stoß ist angenommen.
Das ist die sogenannte Brownsche Bewegung.
100
9.4
KAPITEL 9. GASE
Transportprozesse in Gasen
Die freie Beweglichkeit der Gasatome erlaubt den raschen Transport von Masse, Energie und
Impuls im Gasvolumen. Dabei spielen die makroskopische Gasströmung und die statistische
Bewegung einzelner Moleküle eine Rolle.
Knudsenzelle:
Eine Öffnung mit dem Durchmesser 2r trennt ein Gebiet mit der Gasdichte n von einem
evakuierten Bereich. Für > 2r tritt aus der Zelle ein Molekularstrahl aus. Die räumliche
Dichteverteilung im Vakuumbereich, unmittelbar hinter der Öffnung, ist eine Cosinus Verteilung (dN/d⌦ / cos✓). Die aus der Zelle ausströmende Menge von Atomen ist r2 ⇡ n hvi / 4.
n hvi / 4 ist die Teilchenstromdichte, die in einem Gas im thermodynamischen Gleichgewicht durch eine beliebige Querschnittsfläche tritt. Bei geeigneten Öffnungen erhält man für
⌧ 2r Überschall-Düsenstrahlen.
Diffusion:
Nettotransport von Teilchen aus einem Raum höherer Konzentration auf Grund eines Konzentrationsgradienten. Der Ausgleich eines anfänglich stufenförmigen Konzentrationsprofils
(t = 0) wird hier zu verschiedenen Zeitpunkten dargestellt. Da der Konzentrationsgradient,
dc/dx, im Übergangsbereich mit zunehmender Zeit immer kleiner wird, erfolgt der Ausgleich
zunehmend langsamer.
Diese Gesetzmäßigkeit wurde empirisch vom Mediziner Adolf Fick 1855 als eine Stromdichte
der Konzentration formuliert. Man beobachtet diese Gesetzmäßigkeit auch in Flüssigkeiten
(Osmose).
Auf Grund eines Gradienten in der Konzentration c (Einheit Teilchen pro m3 ) entlang der
x-Richtung ergibt sich als Stromdichte der Konzentration (Fick’sches Gesetz)
jx =
D
dc
dx

Teilchen
.
m2 s
(9.42)
In Gasen hängt die Diffusionskonstante D vom Stoßquerschnitt, von der Dichte, der Masse
und der Temperatur ab,
1
D=
3
1
hvi =
3n
r
8k T
⇡m

m2
s
.
(9.43)
Die Diffusionskonstante ist spezifisch für jedes Molekül und seine Umgebung. Helium Atome
in N2 Gas verhalten sich anders als Helium Atome in Helium Gas. Als zweites empirisches
Gesetz zur Diffusion entwickelte Fick ein Gesetz der Erhaltung der Masse
c=
t
d jx
dx
)
@c
=
@t
@ jx
.
@x
(9.44)
9.4. TRANSPORTPROZESSE IN GASEN
101
Wenn wir für jx aus Gl. (9.42) einsetzen ergibt
sich die Diffusionsgleichung
@c
@2c
=D 2.
@t
@x
1
(9.45)
In Worten bedeutet die Diffusionsgleichung: Die
Krümmung des Konzentrationsprofils kontrolliert
Größe und Vorzeichen der zeitlichen Änderung
der Konzentration. Erst 50 Jahre später gelang
es Albert Einstein diese Gesetze streng aus der
Thermodynamik herzuleiten.
c
0.5
5
0.1
0.01
t=0
0
-1
1
-0.5
0.5
1
x
Wärmeleitung in Gasen
Ursache für die Wärmeleitung in Gasen ist der Energietransfer bei Stößen, entweder zwischen
Gasatomen oder zwischen Gasatomen und Wänden. Wir betrachten zwei Metallplatten der
Fläche A bei unterschiedlicher Temperatur:
Fall 1) Die freie Weglänge ist größer als der Plattenabstand. Moleküle, welche die Platte 1
bei der Temperatur T1 verlassen, haben die mittlere Energie E1 = f2 k T1 .
Ein Flächenelement verliert durch die wegfliegenden MoleT2
küle pro Zeiteinheit die Energie:
x
dW1
=
dt
dN1
E1
dt
und es gewinnt die Energie
dW2
dN2
T1
=
E2
dt
dt
durch die Teilchen N2 , die von der Platte 2 kommen. Im stationären Fall ist
dN1
dN2
1
=
= n hvi A .
dt
dt
4
Damit ist der Energiefluss pro Zeiteinheit
dW
dW2
dW1
1
f
=
+
= n hvi A k (T2 T1 ) .
dt
dt
dt
4
2
Die Wärmeleitung (= Energieflussdichte pro Zeiteinheit) ist bei kleinem Druck vom
Druck abhängig (Basis für das Wärmeleitungsmanometer). Moleküle haben wegen des
größeren Wertes von f eine größere thermische Leitfähigkeit.
Fall 2) Die mittlere freie Weglänge ist klein gegen den Plattenabstand.
In diesem Fall wird die Energie wird nicht mehr im freien
T2
Flug übertragen. Jetzt entsteht im Gas ein Gradient der
Temperatur, der Proportionalitätsfaktor ist nahezu unabhängig vom Druck,
dW
dT
/
.
dt
dx
T1
Experiment zur Druckabhängigkeit der Wärmeleitung.
x
DT
Dx
102
9.5
KAPITEL 9. GASE
Vakuumphysik
Ein wichtiger Teil der experimentellen und angewandten Physik, Herstellung dünner Schichten, integrierter Schaltkreise, Gefriertrocknung... Thema: Totaldruck - Partialdruck.
Bei Vorhandensein einer flüssigen Phase im Volumen ist das beste erreichbare Vakuum durch
den Sättigungsdampfdruck einer verbleibenden Flüssigkeit bestimmt. Dies gilt nicht für
die letzten Flüssigkeitsschichten, die an einer Wand kleben bleiben. Für diese gilt das Gleichgewicht eines Sättigungsdampfdrucks nicht. Ihre Stabilität wird wesentlich von der Wechselwirkung der Flüssigkeitsmoleküle mit der Wand kontrolliert. Zu ihrer Entfernung müssen
die Wände von Vakuumgefäßen über lange Zeit bei hohen Temperaturen ausgeheizt werden.
Ein typischer Wert liegt bei 300 C für zehn Stunden.
Bereiche
atmosphärisch
Grob-Vakuum
Fein-Vakuum
Hoch-V.
Ultrahoch-V.
Labor-Rekord
interstellar
p
1000
1
10 3
10 7
< 10 7
⇡ 10 13
105
102
10 1
10 5
mbar
Pa
n
2.4⇥1019
2.4⇥1016
2.4⇥1013
2.4⇥109
< 109
103
1 100
cm 3
1 µm
1 mm
1m
10 km
horse head nebula www.nasa.gov/images
Wandbelegung:
1 m3 Volumen bei 2 ⇥ 10 3 mbar enthält etwa 2 ⇥ 1019 Moleküle. Auf der Innenwand (6 m2 )
sitzen bei monomolekularer Bedeckung etwa gleich viele Moleküle.
Hat man durch sehr starkes Erhitzen eine atomar saubere Wand erzeugt, bedingt die
Wandstoßrate der im Volumen verbleibenden Gasatome, nhvi/4, eine schnelle Wiederbedeckung, z.B. beträgt die Bedeckungszeit zur Bildung einer monomolekularen Schicht bei
10 6 mbar nur 3 Sekunden.
Vakuum-Erzeugung
Mechanische Pumpen (Drehschieber, Wälzkolben, Turbomolekular)
Diffusionspumpen, Kühlfalle,
Ad- und Absorptionspumpen, Zeolith (1 cm3 hat Oberfläche eines Fußballfeldes)
Kryopumpe, Ionengetterpumpe, Ti-Sublimationspumpe.
9.6
Erdatmosphäre
Die Masse der Erdatmosphäre beträgt etwa 6 ⇥ 1018 kg. Im Vergleich dazu ist die Erdmasse
6⇥1024 kg. 75% der Masse der Erdatmosphäre liegen in der Troposphäre (siehe Seite 95). Die
Konzentration der typischen atmosphärischen Gase ändert sich bis in etwa 100 km Höhe nicht
wesentlich. Auch die Edelgase kommen in wohldefinierten Mengen vor. Die relativ geringen
Anteile von Wasser, Kohlendioxid und Wasserstoff zeigen eine starke räumliche und zeitliche
Variabilität,1 ein Hinweis, dass die betreffende Komponente eine geringe Aufenthaltsdauer
in der Atmosphäre hat und dass stark variable Quellen oder Senken des Gases vorliegen.
Die extreme Variabilität der Wasserkonzentration hängt auch damit zusammen, dass sein
Phasenübergang zu Eis im Temperaturbereich der Troposphäre liegt.
1 Die
Konzentration von Wasser schwankt über mehrere Größenordnungen.
9.6. ERDATMOSPHÄRE
Gas
Stickstoff
Sauerstoff
Argon
Wasser
Kohlenstoffdioxid
Neon
Helium
Methan
Krypton
Wasserstoff
Xenon
N2
O2
A
H2 O
CO2
Ne
He
CH4
Kr
H2
Xe
103
Konzentration
78 %
21 %
0.9 %
0.4%⇤
390 ppm (280 ppm)
18 ppm
5 ppm
1.8 ppm (0.7 ppm)
1.14 ppm
0.6 ppm
0.1 ppm
Aufenthaltsdauer
10 d
4y
⇡ 2 ⇥ 106 y
⇡ 10 y
-
⇤
in Erdnähe etwa 1-4 %.
Die in Klammer angegebenen Werte für CO2 und CH4 beziehen sich auf die Zeit vor 1900.
Über geologische Zeiträume hat sich die Konzentration von O2 wesentlich geändert.
In der Troposphäre erfolgt starke Konvektion durch Erwärmung der Erdoberfläche durch
die Sonne. Diese Variation dämpft sich in etwa 10 km Höhe aus (Tropopause). Eine horizontale Bewegung der Gase in der Tropopause erfolgt im Wesentlichen durch turbulente
Konvektion, auf Grund unterschiedlicher Erwärmung verschiedener Erdteile bzw. auf Grund
der Erdrotation.
In der Stratosphäre ist die direkte Erwärmung der Gase durch Absorption der Sonnenstrahlung der temperaturbestimmende Schritt. Diffusion spielt in der Tropopause eine nur
untergeordnete Rolle, sie ist aber der wichtigste Mechanismus der Bewegung in den oberen
Schichten der Atmosphäre.
Atmosphärisches Wasser: Mengenmäßig liegt in der Atmosphäre nur etwa ein Bruchteil
von 10 5 des Wassers in den Ozeanen vor. Der jährliche Wasser Umsatz durch die Atmosphäre ist etwa 50 mal höher als die eigentliche Menge von H2 O Dampf in der Atmosphäre.
Im Mittel verdampfen etwa 1 m Wassertiefe pro Jahr über die gesamte Erdoberfläche.
Wärmehaushalt der Erde
Die Energiezufuhr und -abfuhr von der Erde wird
im Wesentlichen durch elektromagnetische Strahlung
geregelt. Tatsächlich fallen auf die Erde etwa 1400
W/m2 Sonnenintensität ein. Etwa 30 % gehen durch
Absorption in der Atmosphäre verloren. Geothermische Energiequellen spielen nur eine sehr kleine Rolle.
Sonne
Radioaktivität
Verbrennung
Gezeitenreibung
1400
0.06
0.02
0.005
W/m2
104
KAPITEL 9. GASE
Spektrale Verteilung der Sonneneinstrahlung
Die gesamte einfallende Sonnenstrahlungsenergie ES , integriert über alle Wellenlängen liegt
bei etwa 1400 W/m2 . Das Albedo ⇡ 0.7 gibt den Bruchteil der reflektierten Energie an.
Die Netto absorbierte Energie ist also (1
)ES . Die von der Erde abgestrahlte Energie
nennen wir EE . Damit ist die Netto Strahlungsheizung
S = (1
)ES
EE .
Damit die Erde auf konstanter Temperatur bleibt muss gelten hSi = 0.
Also muss gelten: (1
)ES = EE . Woher kommt EE ? Etwa 99 % der Masse der Erdatmosphäre sind N2 und O2 . Diese homonuklearen Moleküle sind inaktiv für Absorption und
Emission von Infrarotstrahlung (IR). Allein der geringe Anteil von Spurengasen in der Atmosphäre bestimmt die atmosphärische Absorption und Emission, besonders H2 O, CO2 und
O3 . Ozon absorbiert sowohl im UV, als auch sichtbaren und IR Bereich. Deshalb bedeutet
eine Verringerung der Ozonkonzentration auch eine verstärkte Wärmeabstrahlung der Erde
und damit ein Abkühlen. Die IR-aktiven Gase in der Atmosphäre verhindern eine zu starke
Abkühlung. Das ist der Grünhauseffekt. Ohne diese Spurengase in der Atmosphäre wäre die
Erde erheblich kälter.
Thermische Emission der Erde
aus dem Mittelmeerraum (oben), und aus der
Antarktis (unten) im Bereich 400 - 1500 cm 1 .
Die Fensterbereiche bei 700 und 1100 cm 1 sind
auf verstärkte Absorption/Emission von CO2
bzw. O3 zurückzuführen. Die strichlierten Linien geben die Strahlungsverteilung des schwarzen
Körpers.
media.photobucket.com
noaa.gov
Ozonhaushalt
Figure 3: Thermal emission spectra ofT(Earth
measured by the IRIS Michelson
C)
instrument on the Nimbus 4 spacecraft Shown also are the
Die Ozonschicht in der Stratosphäre ist aminterferometer
Äquaradiances of blackbodies at several temperatures. (a) Sahara region (b)
tor am dünnsten, an den Polen dichter und
liegt
Mediterranean;
(c) Antarctic.
im Bereich zwischen 20 und 40 km über der
T
O
Erdoberfläche. Die Menge von Ozon in einer atmosphärischen Säule über dem Erdboden (mit
dem Querschnitt von 1 cm2 ) wird in DobsonEinheiten (DU) angegeben. In den Tropen liegt
der Wert bei etwa 270 DU, sonst höher.a
-80
-60
o
-40
-20
0
Boulder, CO
02 Jan 1997
height (km)
30
3
20
10
0
0
a Komprimiert
man eine Ozonsäule bei 270 DU auf
1 bar wäre sie etwa 3 mm dick. 1 DU= 2.7 ⇥ 1016 cm 2 .
5
10
15
O3 partial pressure (mPa)
Der photochemische Weg zu Ozon führt über die Reaktionen
O2 + h⌫
O + O2 + M
! O+O
! O3 + M +
E
Figure 3.2: A typical winter ozone profile in middle latitudes (Boulder, CO,
USA, 2 Jan 1997). The heavy curve shows the profile
of ozone partial pressure
(9.46)
(mPa), the light curve temperature (C), vs. altitude up to about 33km. The
(9.47)
dashed horizontal line shows the approximate position
of the tropopause. [Balloon data, courtesy of NOAA Climate Monitoring and Diagnostics Laboratory
die
positive Reaktionswärme ist.
(http://www.cmdl.noaa.gov).]
wobei M ein dritter Stoßpartner und E
Der Wert von E aus dieser Reaktion und aus ähnlichen photochemischen Prozessen ist
9.6. ERDATMOSPHÄRE
105
Ursache für den Temperaturanstieg in der Stratosphäre. Der wichtige Wellenlängenbereich,
in dem diese Reaktion beginnt, liegt unterhalb von 240 nm. Obwohl in Erdnähe Ozon
gesundheits-gefährdend ist, liegt die wichtige Rolle von Ozon in der Stratosphäre in der
Absorption der UV-Strahlung im Bereich von 240-320 nm. Obwohl bei dieser Absorption
das Ozon vernichtet wird (Photodissoziation) kann es auf Grund von Reaktion (9.47) diesen
Zyklus ohne Verlust durchmachen, denn
O3 + h⌫
O + O2 + M
! O2 + O
! O3 + M +
(9.48)
E
wobei aber als Konkurrenzprozess die Reaktion
O3 + O ! O2 + O 2
(9.49)
und der elektronische Zustand in dem der atomare Sauerstoff O vorliegt wesentlich sind.
Die Reaktionen (9.46)-(9.49) heißen Chapman Reaktionen. Ihre Raten hängen stark von der
Höhe ab und sind so für die Schichtbildung verantwortlich.
Ozonloch
Über die vergangenen 25 Jahre beobachtet man (besonders in der Antarktis) einen starken
Einbruch der Ozonkonzentration. Dieser wird den sogenannten CFCs (ChloroFluoroCarbons, freons) aber auch bromhältigen Substanzen und einem vermehrten Input von NOx aus
Flugzeugen zugeschrieben. Nahezu alles Chlor und etwa die Hälfte des Broms in der Stratosphäre geht auf menschliche Aktivitäten zurück.
Über dem Südpol hat die Ozonkonzentration seit 1960 um etwa 60 % abgenommen, sonst beträgt die Abnahme im Mittel nur einige Prozent.2 Die verstärkte Wirkung über dem Südpol
wird auf die Bildung sehr kalter polarer stratosphärischer Eiswolken (PSCs) zurückgeführt,
in denen HNO3 (Salpetersäure) gelöst ist. Bei der Photodissoziation von CFCs in der Stratosphäre entstehen HCl und ClONO2 , aus diesen entsteht auf den Eiswolken HNO3 . Bei
dieser Reaktion entsteht auch Cl2 . Dieses wird durch Sonnenlicht photodissoziiert
Cl2 + h⌫ ! Cl + Cl
(9.50)
und nimmt katalytisch an der Ozon Vernichtung teil, wobei Netto folgender Zyklus abläuft
Cl + O3
ClO + O3
! ClO + O2
! Cl + 2O2
(9.51)
Dieser Zyklus läuft bei niedriger Temperatur besonders gut ab und beginnt im Frühjahr,
wenn das Sonnenlicht, das über den Winter gebildete Cl2 , in Reaktion (9.50) in atomares
Chlor umwandelt.3
2 Der
TOMS-Satellit (Total Ozone Mapping Spectrometer) evaluiert seit 1989 die globale Ozonkonzentration über die Menge des von der Erde zurückgestreuten Sonnenlichtes.
3 1996 erhielten Molina, Rowland und Crutzen den Nobelpreis für Chemie. Das Zitat dazu: They have
all made pioneering contributions to explaining how ozone is formed and decomposes through chemical
processes in the atmosphere. Most importantly they have in this way shown how sensitive the ozone layer
is to the influence of anthropogenic emissions of certain compounds. The thin ozone layer has proved to
be an Achilles heel that may be seriously injured by apparently moderate changes in the composition of
the atmosphere. By explaining the chemical mechanisms that affect the thickness of the ozone layer the
three researchers have contributed to our salvation from a global environmental problem that could have
catastrophic consequences.
106
KAPITEL 9. GASE
Lebensdauer von CFCs in der Atmosphäre
Als Beispiel zerlegen wir ein altes Kühlschrankaggregat in Freiburg. Dabei wird das Kühlmittel Freon (CCl3 F) freisetzt. Innerhalb eines Jahres findet man die Freiburger Freon Moleküle
überall in der Troposphäre auf der Nordhalbkugel. Innerhalb einiger Jahre diffundiert ein
kleiner Teil davon in die Stratosphäre. Erst dort finden das Freon Molekül das notwendige
UV-Licht um in seine Bestandteile aufgebrochen zu werden. Jedes einzelne Chlor Atom kann
dann in der Reaktionskette (9.51) in kurzer Zeit viele Ozon-Moleküle vernichten. Hin und
wieder findet es über eine Reaktion mit Methan zu HCl. Ein kleiner Bruchteil der HClMoleküle gelangt über Diffusion zurück in die Troposphäre (dort ist ja die Konzentration
von HCl kleiner) und wird dort im Regen ausgewaschen. Typisch dauert es etwa 100 Jahre,
bis das Chlor Atom aus dem Freiburger Freon Molekül wieder auf die Erde zurückkehrt.
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