Originalveröffentlichung in: E. Greber e. al. (Hg.), Materialität und Medialität von Schrift, Bielefeld 2002, S. 51-71 Manfred Krebernik Von Zählsymbolen zur Keilschrift Die Keilschrift wurde gegen Ende des IV. Jahrtausends v. Chr. erfun­ den und war die wichtigste S chrift vor dem S iegeszug des Alphabets in der ersten Hälfte des I. Jahrtausends v. Chr. Ihr Verbreitungsgebiet reichte v o m persischen Golf bis zur Levante, von Anatolien bis Ägyp­ ten. Uber 3000 Jahre lang diente sie zur Wiedergabe ganz unterschied­ licher S prachen, von denen hier nur die bedeutendsten in chronologi­ scher Folge genannt seien: S umerisch, Akkadisch (= Babylonisch-As­ syrisch), Elamisch, Hurritisch, Hethitisch und das mit dem Hurriti­ schen verwandte Urartäisch. Ihre Entzifferung gelang um die Mitte des 19. Jahrhunderts, etwas später als die der ägyptischen S chrift. Ich möchte zunächst Ursprünge und Entwicklung der Keilschrift skizzie­ ren und dann einige allgemeine Aspekte der S chriftentwicklung im Vorderen Orient aufzeigen. Um 9000 v. Chr. setzte im Vorderen Orient das Neolithikum ein, der Mensch ging aufgrund geeigneter klimatischer und ökologischer Bedingungen zu einer seßhaften Lebensweise über, die auf der Dome­ stizierung von Pflanzen und später Tieren beruhte. Die ersten festen S iedlungen entstanden in Gegenden, in denen Regenfeldbau möglich war. Mit den technischen Errungenschaften der neolithischen Lebens­ weise ausgestattet, wagte man sich schließlich auch in das nieder­ schlagsarme, sumpfige S chwemmland im S üden des heutigen Irak vor und schuf dort künstliche Bewässerungssysteme. Diese trugen ent­ scheidend zur Entfaltung einer Urbanen Kultur bei, der sogenannten Uruk-Kultur, die gegen Ende des IV. Jt.s v. Chr. zu überregionaler Bedeutung gelangte. Der kulturelle Aufschwung manifestiert sich in hierarchisch strukturierten S iedlungsnetzen, in Architektur und Bild­ kunst, insbesondere aber in der Erfindung der Schrift. Zu den Neuerungen, welche die Neolithisierung mit sich brachte, ge­ hören neben der Keramik, dem S tempel- und später Rollsiegel auch klei­ ne, in vielfältigen Formen auftretende Tonobjekte, die oft eine Durch­ bohrung aufweisen, durch die sie aufgefädelt werden konnten (Abb. 1). Diesen sogenannten „tokens" hat die amerikanische Archäologin D . S chmandt-Besserat zahlreiche Untersuchungen gewidmet (zusam­ menfassend S chmandt-Besserat 1992). S ie gelangte zu dem S chluß, daß Manfred Knbernik 52 Ä m 35.1. Tokens, Tello, Iraq. Courtesy Musee du Louvre, Departement des Antiquites Orientales. 35.2. Cones, Tello, Iraq. Courtesy Musee du Louvre, Departement des Antiquites Orientales. 35.3. Disk, Tello, Iraq. Courtesy Musee du Louvre, Departement des Antiquites Orientales. 35.4. Ov oids. Tello, Iraq. Courtesy Musee du Louvre, Departement des Antiquites Orientales. Abb. 1: Zählsymbole (nach Schmandt-Besserat 1992, 72). Von Zählsymbolen %ur Keilschrift 53 es sich um Zählmarken, die verschiedene Wirtschaf tsgüter (bzw. deren Quantitäten) symbolisierten, handelt. Mehrf ach sind Zählsymbole im Inneren von Tonbullen bezeugt, deren Oberf läche den Symbolen ent­ sprechende Abdrücke auf weisen und gesiegelt sein kann (Abb. 2). q am • ••• Abb. 2: Gesiegelte und mit Abdrücken versehene Tonbulle, Zählsymbole (nach Nissen/Damerow/Englund 1990, 49). 54 Manfred Krebernik Manche „tokens" ähneln auf verblüffende Weise späteren Keilsc hriftzei­ c hen und wurden daher von Sc hmandt-Besserat als deren Vorbilder gedeutet. Dies ist besonders in Fällen ansc heinend „abstrakter" Keil­ sc hriftzeic hen plausibel, für die man analog zu sinnverwandten Zeic hen einen konkreten Bildinhalt erwarten würde. So besteht etwa das Keil­ sc hriftzeic hen für „Sc haf aus einem Kreis (der sic h zu einem Rec htec k weiterentwic kelte) mit eingesc hriebenem Kreuz, während andere Tiere zumeist durc h ihre spezifisc hen Köpfe repräsentiert wurden („Hund", „Sc hwein", „Esel" u.a.). Nun existiert aber ein Zählsymbol in Gestalt einer Münze mit eingeritztem Kreuz (vgl. Abb. 1, zweite Reihe links), das dem Zeichen für „Schaf zugrundeliegen könnte. Neben „tokens" und Tonbullen treten am Vorabend der Sc hrifterfin­ dung auc h Tontäfelc hen mit regelmäßigen Eindrüc ken, die offenbar Zahlen darstellen, in Erscheinung (Abb. 3). 81. Tablet provi ded with a ruled margin, Godrn Tepe IGd. 73-286). Iran Courtesy T, Cuyler Young. Jr. 82. fablet boari ng two deep ci rcular markings and seal i mpressi ons, Susa ISb 2312), Iran. Courtesy Musee du Louvre, Departement des Amiquites Ori entales. 83. Tablet with three large wedges. one sli allow circular. and four deep circular markings, Susa fSb 2313), Iran Courtesy Musee du Louvre. Departement des Antiquites Ori entales. Abb. 3: Zählentafeln, z.T. gesiegelt (nach Schmandt-Besserat 1992,134). Von Zählsymbolen ^ur Keilschrift Zähl symbol e, Tonbul l en und 55 Zahl entäfel chen dokumentierten wirt­ schaftl iche Transaktionen i m weitesten Sinne. D i e Fundorte l etzterer befinden sich i m A u s Strahlungsgebiet der späten Uruk-Kul tur, das v o n Südmesopotamien bis nach Anatol ien, Syrien und Unterägypten reichte. A u s der namengebenden Stadt Uruk sel bst stammen die bisl ang äl testen Keil schriftfunde (Abb. 4). • **» > • H M Abb. 4: Archaische Wirtschaftstexte aus Uruk (nach Englund 1994, Tf. II). Manfred Krebernik 56 Dazu stimmt die spätere Überlieferung: Nach einem wohl gegen Ende des III. J t s v. Chr. entstandenen sumerischen Epos erfand ein legendärer Herrscher von U ruk namens Enmerkar die Schrift, als er eine Botschaft an seinen Gegenspieler, den Herrscher von Aratta (im Südosten des heutigen Iran) auf einer Tontafel aufzeichnete und so dem Boten das Memorieren des schwierigen Wortlauts ersparte. In Wirklichkeit wurde die Schrift, wie wir heute wissen, allerdings nicht zum Zwecke der Kor­ respondenz erfunden, sondern, in direkter Fortsetzung von Siegeln, Zählmarken und Zahlentafeln, um die Administration einer zunehmend komplexen Wirtschaft zu bewältigen. A n den ökonomischen Entste­ hungshintergrund erinnert die Tatsache, daß in älterer Zeit die Getreidegöttin Nisaba als Patronin der Schrift galt (sie wurde im II. Jt. von dem Schreibergott Nabium, jünger Nabu, verdrängt). W P*r3 .Überschrift" Funktion der Tafel) •/• - — • • • • \ca • Jj aa -o a ¥ • D•ta •r„ fe^^Ssl IXlXx DO Ü • • t, I-: • D O , C LOO M J D a Kennzeichnung der Aufseher männliche Arbeitskräfte Arbeitskräfte: 8 Anzahl der unterstellten Arbeitskräfte BB CO :: :: 147 B m * 44 p IP P :> t 50 + 112 5')1 a Z hlzeichen des proto-ela mischen Dezima lsystems: D • CO 1 > 10 • 100 Abb. 5: Protoelamischer Wirtschaftstext (nach Nissen/Damerow/Englund 1990,117). Von Zählsymbolen %ur Keilschrift 57 Begünstigt durch Wa sserstra ßen sowie wirtscha ftliche und wohl a uch politische Verflechtungen, breitete sich die Keilschrift schon sehr früh na ch Nordmesopota mien a us. Im südöstlich bena chba rten Ela m da ge­ gen kreierte man na ch mesopota mischem Vorbild eine eigene, die „protoela mische", Schrift (Abb. 5), deren kursive Weiterentwicklung („ela mische Strichschrift") ma n jedoch noch im III. Jt. wieder a ufga b, um sta tt ihrer die mesopotamische Keilschrift zu benutzen. Da ß zwischen dem zeitlich bena chba rten Auftreten der Schrift in Südmesopota mien und in Ägypten ein innerer Zusa mmenha ng besteht, ist a priori nicht unwa hrscheinlich. Die im Deta il noch ungeklärte Fra ge erla ngte jüngst durch die Publika tion der bisla ng ältesten ägyptischen Schriftzeugnisse a us der Nekropole von Abydos (Dreyer 1998; Abb. 6) neue Aktualität. Auch in Ägypten diente die Schrift zuerst a dministra tiven Zwecken. Die kurzen Za hlena nga ben und Vermerke wirken im Vergleich mit dem Abb. 6: Prädynastische Schriftfunde a us Ägypten (Umm el-Qa a b) (na ch Dreyer 1998,117; 122). 58 Manfred Krebernik Formenspektrum der archaischen Texte aus Uruk etwas schlichter. Das mag aber daran liegen, daß nur zufällig überwiegend Stücke derselben Gattung (Etiketten mit Quantitäts- und Herkunftsangaben) gefunden wurden. Im U nterschied zu Mesopotamien, wo sich in den frühesten Schriftdokumenten Personennamen nicht sicher identifizieren lassen und vielleicht auch gar nicht festgehalten sind (Funktionsbezeichnungen statt Personennamen), sind in Ägypten neben Orts- auch Herrschernamen erkenntlich. A u f einigen Keramikscherben haben sich ferner Zeichen erhalten, die keinen Bezug zu späteren Hieroglyphen haben und vom Ausgräber mit der protoelamischen Schrift in Verbindung gebracht wur­ den (Dreyer 1998, 181). Archäologisch lassen sich ebenfalls mesopotamische und elamische Einflüsse im prädynastischen Ägypten nachweisen. Es wird daher meist angenommen, daß der Impuls zur Schrifterfindung von Mesopotamien ausging. Allerdings klaffen für die fragliche Periode die in der Ägyptologie bzw. Altorientalistik diskutierten chronologischen Ansätze noch auseinander. 3>5> V wmm a p UÄJ vs* X fc/t'vM «ffr'ftj. Abb. 7: Schriftartige Zeichen des südosteurop. Neolithikums: Tärtäria (Rumänien) (nach Winn 1981, 370). 59 Von Zählsymbolen tqir Keilschrift A n dieser Stelle sei ein kurzer Seitenblick auf das neolithische Südosteu­ ropa gestattet. 1961 wurden im rumänischen Tärtäria drei Tonobjekte mit Zeichen gefunden, die der frühen Keilschrift ähneln (Abb. 7). Der Ton ist lokaler Herkunft, dem Fundkontext nach sollten die S tücke ins V. oder IV. Jt. gehören, also älter sein als die mesopotamische Keilschrift. r z A Abb. 8: S chriftartige Zeichen des südosteurop. Neolithikums: Gradesnica (Bulgarien) (nach Winn 1981, 211). Nun gibt es um 4000 v. Chr. in Südosteuropa, insbesondere im Gebiet der Vinca-Kultur, auch andere Objekte mit schriftähnlichen Zeichen (Abb. 8), an die man die Tärtäria-Stücke anzuschließen versuchte (Winn 1981). Inwieweit es sich dabei tatsächlich um Zeichensysteme handelt, ist fraglich, vielfach sind fließende Übergänge zwischen „Zeichen" und Dekormustern zu beobachten. Trotz partikulärer Übereinstimmungen mit den abstrakten „Zeichen" der Vinca-Kultur heben sich die TärtäriaFunde von den Vergleichsstücken ab: Die einzelnen Zeichen sind deut­ lich isoliert und haben z.T. bildhaften Charakter; möglicherweise sind Zahl- und andere Zeichen zu unterscheiden. S ie bleiben vorderhand ein ungelöstes Rätsel. Die Entzifferung der ältesten Keilschrifttexte ist in den letzten 20 Jah­ ren entscheidend vorangetrieben worden. Dies ist vor allem der E D V gestützten Aufnahme und Analyse des gesamten Textcorpus zu verdan­ ken, die im Rahmen eines Berliner Forschungsprojekts von den Alt- Manfred Krebernik 60 Orientalisten H J . Nissen und R.K. Englund und dem Mathematiker P . D a m e r o w d u r c h g e f ü h r t w u r d e n ( z u s a m m e n f a s s e n d E n g l u n d 1998). D i e ca. 5 0 0 0 a r c h a i s c h e n T e x t e l a s s e n s i c h i n h a l t l i c h i n a d m i n i s t r a t i v e u n d „ l e x i k a l i s c h e " einteilen. E r s t e r e w e i s e n v i e l f ä l t i g e T y p e n a u f u n d ü b e r ­ w i e g e n z a h l e n m ä ß i g bei w e i t e m (was n i c h t n u r für die A n f ä n g e der K e i l ­ s c h r i f t k u l t u r u m 3 2 0 0 v . C h r . , s o n d e r n f ü r all i h r e E p o c h e n gilt). „ L e x i ­ kalische" T e x t e (Abb. 9) dienten primär der Schreiberausbüdung. In Listen w u r d e n Zeichen, W ö r t e r u n d Phrasen nach formalen oder inhalt­ lichen K r i t e r i e n z u s a m m e n g e s t e l l t u n d später a u c h übersetzt u n d erläu­ tert. I m L a u f e d e r Z e i t b r a c h t e d i e s e G a t t u n g u m f a n g r e i c h e , n a c h k o n t e m ­ porärem Verständnis „wissenschaftliche" K o m p e n d i e n hervor. Z u ihnen zählen z.B. s c h o n u m 2300 v. Chr. zweisprachige Wortlisten mit Aus­ s p r a c h e g l o s s e n , seit A n f a n g d e s I I . J t . s a u c h g r a m m a t i s c h e P a r a d i g m e n . I m Überfluß vorhandene Ressourcen Mesopotamiens sind L e h m S c h i l f — u n d s o ist es n i c h t v e r w u n d e r l i c h , d a ß b e i d e z u r und materiellen G r u n d l a g e der Literalität w u r d e n . Bereits für die Z ä h l s y m b o l e , Bullen u n d Z a h l e n t a f e l n hatte m a n sich des T o n s bedient, u n d das änderte sich a u c h n i c h t , als m a n d i f f e r e n z i e r t e r e I n f o r m a t i o n e n mittels des neuge­ s c h a f f e n e n Z e i c h e n s y s t e m s a u f T o n t a f e l n festhielt. Z w a r w u r d e n auch andere Materialien, v o r allem Stein, beschrieben, d o c h blieb die T o n t a f e l das g e w ö h n l i c h e M e d i u m . D i e Z e i c h e n w u r d e n m i t e i n e m spitzen R o h r ­ griffel in d e n feuchten T o n geritzt, b e s t i m m t e Zeichen und Zeichen­ elemente — i n s b e s o n d e r e Z a h l z e i c h e n — m i t d e m r u n d e n G r i f f e l e n d e (ur­ sprünglich mit verschiedenen, distinktiven D u r c h m e s s e r n ) in den Ton eingetieft. I m allgemeinen brannte m a n die T a f e l n nicht, der d u r c h L u f t ­ t r o c k n u n g erzielte H ä r t e g r a d reichte f ü r die K o n s e r v i e r u n g aus. I m V e r ­ lauf des I I I . Jt.s änderte sich die Schreibtechnik. D i e o f t gekrümmten Linien ebenso wie runde u n d halbrunde Griffeleindrücke wurden durch einzelne, m i t der kantigen Griffelspitze erzeugte, keilförmige Eindrücke ersetzt, a u f unterschiedliche G r i f f e l g r ö ß e n verzichtete m a n . E s das charakteristische Aussehen einer „Keilschrift" (so die entstand modernen europäischen Bezeichnungen) oder auch „Nagelschrift" (so z.B. i m A r a ­ bischen u n d Georgischen). D i e K e i l - oder N a g e l förmigkeit der Z e i c h e n ­ elemente wurde von den Mesopotamiern selbst als Proprium ihrer Schrift e m p f u n d e n u n d auf anderen M e d i e n — wie etwa Steininschriften o d e r W a n d g e m ä l d e n — n a c h g e a h m t . I n der zweiten H ä l f t e des III. Jt.s bildeten sich allmählich kursive Z e i c h e n f o r m e n heraus, die sich i m II. J t . a u c h lokal i m m e r stärker u n t e r s c h i e d e n . E i n e weitere w i c h t i g e V e r ä n d e ­ r u n g , d i e A n f a n g d e s TL J t . s z u m A b s c h l u ß k a m , b e t r i f f t d i e S c h r i f t r i c h - 61 Von Zählsymbolen %ur Keilschrift i ii C*§ C S F3 0 o iii o / S ) Efc > vi - H & rv 1 j c? C3>> 1 //' fei £=|_ Hü -^jj Cs<] •TA t^PTfJl ] i-rfflffl f is r., cfi ja, C3> = | ^| rs"6? /OO c*3 Eh % O D «O l en-ioib CüüüJ v i—•••f~BHB es i a i~fat^i e ^ s a ^ffia-' jpk es i~3 <Mjm i — i—> 1? m H E i—, !. /S) L J 'i Ij t Ii l| ^ CS E3 | 3 - 3 D tr>i<S— ET o(7 A "CHlu t c v ^* SS t^SgjäP^i*" c=-Wr^S E^^ffi!™— PflTÜIt C s < -Er S o g - ED= i cjkiK^l N tn ^ t>m-WZ', -^=^W/ <a_^ ^ ffl f r fd \—> i—L K^V1 l -1 I — i r g - c T p 1 /vfl r (>y r>(7 ^ fh '-^v^^ IJ^ l^..ijtar<| ^i-^ 1h § £ oWr^» « cs ES> t— r ^ i / n i-^" '- •^dPffl^ •-^mr v^u /v n .-,=1 fSfB— iO— E I x*r nn V^^,- £^3 r-/|^ffl/x Cs HIIIII —i!— MI M es u O r S ^ a ^ O $ es Ca | i r ! > : zä^-1 i—> n=h£ i—SOftf uya (- CS = —=T ,—_-H £3 t j ( . ^m(1 ^1 Ea ^ _ _ i ^ > i 1— (J?j fj Wfirm2^ CS fl ^1 CS . S e i W ii f-^Di Og§— KC) * - =HT D E L <l 1 E> jgsp BT) k W r~j> — E s « .^ —i -\ n c -W tT^Q - m s ^h" ""wwti t v i dCk ra j| f— r 1=5 s t^Wt— Sil o g p l [ijs 1 0 c-p)— CCa c s g g g , s - i B u1 —i—^ ' 1 1 - =r c? E 3cH 4, EJ Pmj > L-1—-p ! V IT D § - p Cs v D ^ «^fTo C-Wr [ P"?^"^ ~äi£=:.i -«n^J na ffi....i Ennn V," f—— mTnTll pmm K öäüü — Srpj1 BIHHH Bai n , , sSö^L H-l --NLIX-^ Abb. 9: Archaische Beamterüiste (Rekonstruktion, nach Englund/Nissen 1993, Tf. 2; 38). tung: Wohl bedingt durch die ambivalente Schräglage der Tafel in der Hand des Schreibers kippte die Orientierung um 90 G rad nach links, wie man an den bildhaften Zeichen erkennen kann. Aus linksläufigen Bän- 62 Manfred Krebernik dem, die in Fächer unterteilt waren, wurden so rechtsläufige Kolumnen und Z eilen. Die Z eichenanordnung innerhalb der einzelnen Fächer, die im wesentlichen inhaltlichen bzw. syntaktischen Einheiten entsprechen, war anfangs relativ frei, erst um die Mitte des III. Jt.s stellte sich eine der Lesefolge entsprechende Z eichenanordnung ein. Unter formalen Gesichtspunkten lassen sich die Keilschriftzeichen zunächst in einfache und zusammengesetzte einteilen. Daneben gibt es einen dritten Typus, der dadurch entsteht, daß einfache Z eichen ganz oder partiell „schraffiert" werden. So wurde beispielsweise das Z eichen für „Mund" von dem Z eichen für „ K o p f differenziert, indem man die Mundpartie durch Schraffur hervorhob. Ähnlich unterscheiden sich die Z eichen für „Hand (mit Arm)" und „Arm, Seite" (Armpartie schraffiert). Inhaltlich kann man ebenfalls drei Typen unterscheiden: Abbildungen primärer Objekte (Körperteile, Pflanzen, Gebäude, Gefäße etc.), Abbil­ dungen von Z ählmarken (die ja bereits Z eichencharakter besitzen) und abstrakt-symbolhafte Zeichen (darunter besonders die Z ahlzeichen). Die bildhaften Zeichen sind aufgrund der Schreibtechnik bereits von Anfang ziemlich schematisch und entwickeln sich in diese Richtung weiter. Zwischen Bildinhalt und Bedeutung bestehen vielerlei Beziehungen. Im einfachsten Falle wird das Gemeinte ganz abgebildet, wie z.B. ein „Vogel" oder ein „Fisch". Häufig sind pars-pro-toto-Darstellungen: Tierköpfe für die entsprechenden Tiere, ein Kanal für „Wasser", die Genitalien für „Frau" bzw. „Mann". Verbale Begriffe (auch nomina actoris) werden oft mittels in die Tätigkeit involvierter Konkreta darge­ stellt, also etwa „gehen" und „stehen" durch einen Fuß, „pflügen" und „Pflüger" durch das Zeichen für „Pflug", „viel sein, wimmeln" durch das Z eichen für „Schaf, „Aufseher" durch das Zeichen für „Stab". Beispiele anderer assoziativer Darstellungen: Eine aufgehende Sonne steht für „Tag" und „Z eit", spezifische Gefäße stehen für „Bier" bzw. „Milch", die Göttin Inanna wird durch ihr Emblem repräsentiert. Manche Begrif­ fe werden akkumulativ, durch die Kombination zweier assoziierter O b ­ jekte, dargestellt: „ K o p f + „Gerstegefäß" = „Speise, essen"; „Sonne" + „Fuß" (für „gehen") = „herauskommen"; „Stab" (für .Aufseher") + „Schaf = „Schafhirt"; „Vogel" + „Ei" = „hervorbringen"; die Maßein­ heiten für „Malz" bestehen aus den üblichen abstrakten Z ahlzeichen, an denen ein Keim angedeutet ist. Typisch für die archaischen Texte ist die Koexistenz einer Vielzahl objektspezifischer Z ahl- und Maßsysteme, denen numerisch eine K o m ­ bination aus Sexagesimal- und Dezimalsystem zugrundeliegt. Die Anzahl Von Zählsymbolen ^ur Keilschrift 63 der Maßsysteme wurde später erheblich reduziert. Cha ra kteristisch für die a rcha ischen Wirtscha ftstexte sind desweiteren hiera rchisch geglie­ derte, ta bellena rtige Forma te (Abb. 10), die später zugunsten linea rer Textgesta ltung zurücktra ten. Sc In eibt otilci müßte heiBen • = 10 (notiert im Bisejcagesimalsystem) JS» = Kennzeichen eines Getreidepro dukts (Backware?) durch die ; enthaltene Gerstenmenge ßl = 1/3 m \ ß l = Menge des für 10 ß | erforderlichen Gerstenschrots m£XS> ips L^S ^ ^üL • ri s » • r — B 2 x 6 0 = 120 (notiert im S exagesimalsystem) Krüge einer anderen Biersorte D® Menge des erforderlichen GerstenschroLs B *R=5 Menge des erforderlichen Malzes = 20 (notiert im Bisexagesimal S ystem) 1^1 = Getreideprodukt I^5l E5 = 1/4 W i = 1/20 KJ> = Menge des fUr 20 erforderlichen GerstenschroLs 1 irr BF = 60 (notiert im Bisesagesimal * ^ S ystem) J^l [g| = O 1/6^ = 1/30D - Menge des für 60 ß T l >tt erforderlichen Gersienschrots |H}^5^ = 1.200 + 5 x 1 2 0 = 1 . 8 0 0 (notiert im Bisexagesimalsystein) = Getreideprodukt (Ration?) = große c(Jj/ = Getreideprodukt 1^5^ Menge des erforderlichen Gerstenschrots = Krüge einer bestimmten Biersorte = Menge des erforderlichen Gerstensclirots = Menge des erforderlichen Malzes Abb. 10: Archaischer Wirtschaftstext a us Uruk: Brot- und Bierproduktion (na ch Nissen/Damerow/Englund 1990, 72). Die a rcha ischen Wirtscha ftstexte sind im großen und ga nzen una bhängig von der zugrundeliegenden Spra che interpretierba r. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen ergeben sich a us dem Formula r, da s gewisserma ßen die Synta x des Dokuments da rstellt. Der Text a ls ga nzer ist nicht a ls eineindeutige Abbildung zusa mmenhängender Rede konzi- Manfred Krebernik 64 piert. E r kann unterschiedlich verbalisiert oder paraphrasiert werden. Einzelne Zeichen repäsentierten w o h l v o n A n f a n g a n verschiedene, sinnverwa ndte Wörter, wie dies später für die meisten Zeichen belegt ist: beispielsweise steht ein K o p f mit Schra ffur der Mundpa rtie für „ M u n d " , „ Z a h n " , „ W o r t " , „ S t i m m e " u n d „sprechen". D i e älteste sicher identifizierba re Keilschriftspra che ist da s Sumeri­ sche, eine Erga tivspra che mit ha uptsächlich a gglutinierender M o r p h o l o ­ gie. Genetisch konnte da s Sumerische bisla ng mit keiner a nderen Spra ­ che verknüpft werden. Deutlich tritt es uns erst einige Ja hrhunderte später entgegen, na chdem sich da s Schriftsystem z u einer kombinierten W o r t - u n d La utschrift entwickelt ha tte. D i e phonogra phische K o m p o ­ nente beruht a uf H o m o p h o n i e oder H o m o i o p h o n i e , a lso d e m G l e i c h ­ oder Ähnlichkla ng, v o n Wörtern. Beispielsweise la uteten die sumerischen W ö r t e r für „ K n o b l a u c h " u n d „ g e b e n " gleich (oder ähnlich), u n d so verfiel m a n da ra uf, da s Piktogra mm für „ K n o b l a u c h " zu benutzen, u m da s W o r t „ g e b e n " zu schreiben. In a na loger Weise schrieb m a n die W ö r t e r ti „sich nähern" u n d til „ l e b e n " mit d e m Piktogra mm für ti „Pfeil", oder sar „schreiben" mit d e m Piktogra mm für sar „Beet". 1 O b da s Sumerische schon den ältesten Texten zugrundeliegt, ist u m ­ stritten. Eindeutige Hinweise a uf die Spra che der ältesten Schriftdenk­ mäler k ö n n e n H o m ( o i ) o p h o n e liefern, da diese, zuma l in größerer A n ­ za hl, spra chspezifisch sind. So dürfte es ka um eine Spra che a ußer d e m D e u t s c h e n geben, in der s o w o h l „ T o n " (Lehm) u n d „ T o n " (Scha ll) a ls a uch „ m e h r " u n d „ M e e r " h o m o p h o n sind. Einige dera rtige Indizien m a chen es sehr wa hrscheinlich, da ß die Spra che der Schrifterfinder in der T a t da s Sumerische wa r. Beispielsweise findet sich in der a rcha ischen Bea mtenliste inmitten v o n Titeln, die mit d e m Zeichen G A L gebildet sind, die Zeichengruppe N U N . M E (Abb. 9, K o l . i, Z . 15). Ersteres ist na ch Ausweis späterer T e x t e sumerisch gal „ g r o ß " zu lesen, letztere abgal (Priestertitel). Mit großer Wa hrscheinlichkeit wa ren die Ausdrücke in der a rcha ischen Liste durch pa rtielle H o m o p h o n i e , nämlich den B e ­ st a ndteil gal, miteina nder verknüpft u n d somit sumerisch zu lesen. E N . M E . G I in derselben Liste (Kol. iv, Z . 3) ist na ch Ausweis späterer T e x t e engi^ zu lesen u n d bezeichnet eine A r t „ K o c h " . Da sselbe gilt für E N . M E . M U mit Lesung endub in der nächsten Zeile. O f f e n b a r sind die Hier und im folgenden gelten folgende Umschriftkonventionen: Spra chliche Ausdrücke (phonologische Ebene) sind kursiv gesetzt (Morpheme gegebe­ nenfa lls durch = getrennt), tra nsliterierte Gra pheme (Schriftebene) fett (zu einem Wort gehörige Gra pheme durch Punkt oder Bindestrich getrennt). Von Zählsy mbolen s(_ur Keilschrift 65 Bestandteile E N und G l lautlich z u interpretieren. W ä h r e n d en ein selb ­ ständiges, mit sumerisch en „ H e r r " identisches Wortglied sein könnte (engis^ u n d endub also mit en- geb ildete K o m p o s i t a ) , dürfte G l als b loßer Lautindikator gi fungieren. D a s Zeichen stellt ein Schilfrohr dar, u n d dieses heißt i m Sumerischen gi. Wieder weist eine partielle H o m o p h o n i e , nämlich zwischen W ö r t e r n für „ K o c h " u n d „Schilfrohr", auf das Sume­ rische. Voraussetzung ist, daß die späteren Lesungen v o n NUN.ME b zw. E N . M E . G I auch für die archaischen T e x t e zutreffen, was wieder­ u m durch jeweils partiell h o m o p h o n e K o n t e x t e gestützt wird. D i e H o m ( o i ) o p h o n i e Heß sich auch unterhalb der W o r t e b e n e nut­ zen, i n d e m m a n nämlich silb ische Wortb estandteile isolierte u n d mit­ tels der Z e i c h e n für h o m ( o i ) o p h o n e W ö r t e r schrie b . N a c h sogenannten „ R eb u s p r i n z i p " würde m a n etwa das deutsche diesem Wort „ Z w e i f e l " in die Silb en %wei u n d fei zerlegen u n d durch P i k t o g r a m m e für „ z w e i " u n d „ F e l l " darstellen. U m die Mitte des III. Jt.s b ildete sich auf diese W e i s e ein b eschränktes Repertoire v o n Z e i c h e n heraus, die losgelöst v o n ihrer W o r t b e d e u t u n g als Silb enzeichen geb räuchlich waren. Sie dienten in erster Linie zur Schreib ung grammatischer M o r ­ p h e m e , w ä h r e n d die W o r t b a s e n nach wie v o r durch L o g o g r a m m e dar­ gestellt wurden. U m b eispielsweise die v o n sumerisch äug „sagen" ab geleitete F o r m dug=a „gesagt" darzustellen, komb inierte m a n das W o r t z e i c h e n D U G 4 „ s a g e n " mit d e m Syllab ogramm ga, das als L o g o ­ g r a m m „ M i l c h " b edeutet: D U G t - g a . N e b e n der logographischen u n d der syllab ographischen Funktion b il­ dete sich v o n A n f a n g an eine dritte Zeichenfunktion heraus, nämlich die determinierende: M a n b enutzte gewisse L o g o g r a m m e , u m die Bedeu­ tungsklasse eines Wortes anzuzeigen u n d damit auf die richtige Lesung hinzuweisen (ohne die Klassenzeichen selb st mit auszusprechen). Bei­ spielsweise markierte m a n Götternamen mit d e m vorangestellten Z e i ­ chen für „ G o t t " , Bezeichnungen v o n B ä u m e n u n d Holzgegenständen mit d e m vorangestellten Zeichen für „ H o l z " , V o g e l - und Fischnamen durch das nachgestellte Zeichen für „ V o g e l " b zw. „Fisch". D a s u m die Mitte des III. Jt.s erreichte Entwicklungsstadium der K e i l ­ schrift reichte zur Wiedergab e zusammenhängender sumerischer T e x t e aus, da das System gut mit der Struktur dieser Sprache harmonierte. Seine Mängel lagen in der n o c h unterentwickelten phonographischen K o m p o n e n t e : Setzt m a n voraus, daß das Sumerische mindestens die Silb entypen (C)v, vC, u n d CvC (C = K o n s o n a n t , v = V o k a l ) b esaß, so hätte es schon einer sehr h o h e n A n z a h l v o n Syllab ogrammen b edurft, Manfred Krebernik 66 u m alle sumerischen W ö r t e r vollständig wiedergeben zu können. T a t ­ sächlich konnten aber viele W örter wegen des beschränkten Syllabogramminventars nur u n v o l l k o m m e n dargestellt werden. Dies betrifft v o r allem geschlossenen Silben. So konnte m a n die V e r b a l f o r m munandug „er sagte i h m " nur m u - n a - D U G 4 schreiben, da für die Silbe nan kein Syllab o g r a m m zur V e r f ü g u n g stand. A u c h wurden längst nicht alle existieren­ den Zeichen für monosyllabische W ö r t e r als Syllabogramme benutzt. Muttersprachler konnten diesen Nachteil durch ihre Sprachkompetenz wettmachen. N u n lebten aber in engem K o n t a k t mit den Sumerern auch anderssprachige Ethnien wie die semitischen Akkader i m nördlichen Zweistromland. So dürfte sich v o n A n f a n g an die Notwendigkeit erge­ ben haben, nicht nur sumerische W ö r t e r u n d N a m e n z u schreiben, son­ dern auch fremde. D e r semitische Sprachtypus unterscheidet sich stark v o m sumeri­ schen: D i e Morphologie ist flektierend, w o b e i neben Prä- und Suffixen wortinterne Veränderungen eine entscheidende Rolle spielen. So bildet das akkadische V e r b u m für „setzen" u.a. die F o r m e n sakänum „setzen", üakkan „er setzt", nistakan „wir haben gesetzt", taskun „ d u setztest", suknam „setze her!", ustaskinü „sie ließen setzen", lissakin „es werde ge­ setzt!". U m einen zusammenhängenden akkadischen T e x t adäquat zu verschriften, ist eine voll ausgeprägte Lautschrift unabdingbar. D i e V e r ­ v o l l k o m m n u n g der phonographischen Schreibweise erfolgte in mehreren Schritten. Bereits u m die Mitte des III. Jt.s k a m m a n auf die Idee, ge­ schlossene Silben durch zwei Syllabogramme auszudrücken, u n d zwar durch C v - v C oder C v - C v (letzteres mit redundantem V o k a l des zweiten Zeichens), also beispielsweise si-il oder si-li für gesprochenes sil. D i e zweite, ambivalente M e t h o d e wurde bald wieder aufgegeben. D e r näch­ ste Schritt bestand in der K o m p l e t t i e r u n g der elementaren Syllabo- grammtypen C v und vC. Diese erfolgte w o h l u m 2300 v. Chr. unter Sargon v o n A k k a d e , d e m Begründer des ersten altorientalischen G r o ß ­ reichs. Z w e i der letzten Bausteine des Syllabars sind bezeichnenderweise akkadischen Ursprungs: der Silbenwert el des sumerischen L o g o g r a m m s S I K I L „rein" leitet sich v o n akkadisch ellum „rein" ab, u n d der Silben­ wert id des sumerischen L o g o g r a m m s A „ A r m " v o n akkadisch idum , A r m " . D a das Akkadische wie die anderen älteren semitischen Sprachen nur Silben der T y p e n Cv u n d CvC besitzt, k o n n t e n n u n i m Prinzip alle akkadischen W ö r t e r vollständig wiedergegeben werden. Allerdings blie­ ben Ungenauigkeiten bestehen: Zunächst differenzierte m a n weder i m Silbenanlaut n o c h i m Silbenauslaut zwischen stimmhaften, stimmlosen 67 Von Zählsymbolen syr Keilschrift u n d glottaüsierten K o n s o n a n t e n , das S yllabogramm da konnte also da, ta oder ta meinen. I m II. Jt. wurde das S yllabar in dieser Hinsicht differen­ ziert bzw. erweitert. Bei konsonantisch auslautenden S yllabogrammen wurde die Mehrdeutigkeit jedoch nie beseitigt: id konnte also immer für id, it u n d it stehen. D i e neuen Errungenschaften der syllabischen S chreibweise wurden für das S umerische nur bedingt herangezogen, i m großen u n d ganzen blieb m a n der traditionellen K o m b i n a t i o n aus W o r t - u n d S ilbenschrift treu. E i n G r u n d hierfür war w o h l die bereits jahrhundertealte sumerische S chreibtradition. H i n z u k o m m t , daß das S umerische offenbar viele H o ­ m o p h o n e (oder H o m o i o p h o n e , die evd. durch nicht darstellbare T ö n e oder Vokalquantitäten unterschieden waren) besaß. A l s das S umerische etwa z u Beginn des II. Jt.s als gesprochene S prache erlosch, wurde es als S chul-, Literatur- u n d Kultsprache weitergepflegt, wobei die „ p o s t u m e " Tradition auch das alte S chriftsystem konservierte. I m Akkadischen setzte sich hingegen die syllabische S chreibweise weitgehend durch, wenngleich m a n daneben auf die logographische nicht verzichtete; sie n a h m in späterer Zeit wieder zu und überwog sogar in bestimmten „akademischen" Textgattungen. Charakteristisch für das ausgebildete Keilschriftsystem sind Multifunktionalität und Polyvalenz der G r a p h e m e : E i n gegebenes Zeichen kann als L o g o g r a m m , Determinativ oder S yllabogramm fungieren, u n d die meisten Zeichen besitzen mehrere W o r t - u n d / o d e r S ilbenwerte. A l s L o g o g r a m m e und selten als S yllabogramme treten auch G r a p h e m g r u p ­ pen auf. Freilich sind nur bei wenigen Zeichen alle drei Funktionen zu­ gleich üblich, u n d die gebräuchlichen S ilbenwerte unterscheiden sich nach Zeit und Ort. Beispielsweise hat das Zeichen A N (ursprünglich P i k t o g r a m m eines S terns) folgende Funktionen bzw. Lesungen: 1. A l s L o g o g r a m m steht es für die sumerischen Wörter an „ H i m m e l " u n d digir „ G o t t " sowie deren akkadische Äquivalente samü bzw. ilum. 2. A l s Determinativ steht es v o r Götternamen. 3. A l s S yllabogramm hat es die W e r t e an u n d 11 (letzterer nur einge­ schränkt gebräuchlich). Z u r Illustration des ausgebildeten Keilschriftsystems m ö g e n zwei T e x t ­ p r o b e n dienen ( A b b . I I a , H b ) . D i e erste ist eine sumerische Bauinschrift des S tadtfürsten G u d e a v o n Lagas (ca. 2100 v. Chr.), die zweite stammt aus der gegen 1750 v. Chr. verfaßten akkadischen Gesetzessammlung des K ö n i g s H a m m u r a p i v o n Babylon. Beide Texte sind in Keilschrift, Transliteration u n d Transkription gegeben. 68 Manfred Krebernik fjgjMggflg teg g fjjj I^Of 1 rigg-jg/ 4< TO^fi fet "NIN-GlS-ZI-da nin-§i$-zid=a Nin-giäzida, DIGIR-ra-ni digir=ani=[r] seinem Gott, GÜ-DE-a gu-de=a h at G u d e a , ENSKPA.TE.SD ensi(k) der Stadtfiirst LAGAS(SlR.BURXA)'" laga3a=(k) LÜE-NINNU lu "NIN-GIR-SÜ-ka nin-g~irsu=k=a(k) des N i n - G i r s u in-DÜ-a i-=n—du=a={e) erbaut h at, e sein "Haus v o n Girsu" £ 6 f R-SÜ kl -ka-ni mu-na-DÜ e-ninnu girsu~k-ani der das "E-ninnu" mu=na=[nj=du erbaut. W e n n ein Burger ggMio g! sum-ma a-wi-lum Summa awilum NtG-GUR„ DIGIR makkür ilim <ra ICF^T g — uE-GAL ü HK jLjl v o n LagaS, ekallim i§-ri-iq üriq a-wi-lum su-ü awilum id-da-ak iddäk Besitztum eines Gottes oder des Palastes gestoh len h at, Sil w i r d dieser Bürger getötet Abb. I I a und IIb: In der Transliteration stehen Logogramme in Kapitäl­ chen, Detenninative sind hochgestellt. In der Transkription des Sumeri­ schen sind grammatische Morpheme durch doppelten Bindestrich abge­ trennt; in runden Klammern stehende Laute fallen aus lautgesetzlichen Gründen weg, in eckigen Klammern stehende werden in der Orthographie nicht berücksichtigt. Die sumerisch-akkadische Keilschrift wurde auf mehrere Nachbarspra­ chen übertragen, dabei aber nur geringfügig modifiziert. Im Laufe des I. Jt.s wurde das Akkadische und damit auch die Keilschrift zunehmend vom alphabetisch geschriebenen Aramäischen verdrängt. Der jüngste datierte Keilschrifttext stammt aus dem Jahre 74/75 n.Chr. A m Ende unserer Skizze des Keilschriftsystems sei ein Phänomen er­ wähnt, das man zu einem der Schwerpunkte von „Schrift und Bild in Bewegung", nämlich den Buchstaben-Spielen, in Beziehung setzen kann. Es findet sich in den ältesten keilschriftlichen Literaturdenkmälern, die etwa ins 26. Jh. v. Chr. datieren. Viele sumerische Texte mythologischen Inhalts bedienen sich eines allographischen Systems, das darin besteht, daß bestimmte Z eichen ungeachtet ihrer Funktion im jeweiligen Kontext durch ein anderes ersetzt werden. Dies geschieht jedoch nicht konse- Von Zählsymbolen Keilschrift 69 quent, und es kann vorkommen, daß in ein- und demselben Wort nor­ ma le und UD.GAL.NUN-Orthogra phie - so die moderne Bezeichnung für da s a llogra phische System — miteina nder wechseln. Wenn zwei oder mehrere Handschriften derselben Komposition existieren, variieren diese oft hinsichtlich der Zeichenwa hl. Ma n zögert a us diesen Gründen, von Kryptogra phie zu sprechen. Die Rela tion zwischen norma len und UD.GAL.NUN-Zeichen ist in keiner Richtung eindeutig, d.h. für ein Zeichen können mehrere Allogra mme eintreten, und ein Allogra mm ka nn für mehrere norma le Zeichen stehen. Zwischen Norma lzeichen und Allogramm ist gewöhnlich eine Beziehung auf graphischer, la utlicher oder inha ltlicher Ebene feststellba r. Da s UD.GAL.NUN-System wa r offenba r eine ephemere Erscheinung der frühdyna stischen Zeit. Aus der a nschließenden Akka de-Zeit ist uns nur noch ein Schultext überliefert, der Personennamen in U D . G A L . N U N - und norma ler Gra phie eina nder gegenüberstellt. Abschließend nun zu einigen übergeordneten Aspekten der Schrift­ entwicklung im Vorderen Orient. Unter Schrift verstehen wir im la nd­ läufigen Sinne ein visuelles Zeichensystem zur Kodierung von gespro­ chener Spra che. In Hinblick a uf die ältesten Schriftzeugnisse des a us­ gehenden IV. Jt.s möchte ma n eher von einem Zeichensystem zur Speicherung wirtscha ftlich releva nter Da ten (Qua ntitäten, Wirtscha fts­ güter, Funktionäre, Transaktionen) sprechen. Ma n kann nun den Fortgang der altorientalischen Schriftgeschichte als Annäherung von Gra phem- und Phonemebene betra chten. A m Beginn stehen Dokumente, die keine kontinuierliche Rede da rstellten und sinn­ gemäß auf verschiedene Weise verbalisiert werden konnten. Da s Bedürf­ nis, zusa mmenhängende Rede a ufzuzeichnen, ma g a ber ein Grund für die Weiterentwicklung des Schriftsystems gewesen sein. Die Schrifterfindung selbst setzt bereits da s Bewußtsein vora us, da ß spra chliche Äuße­ rungen sich in konkrete, wiederkehrende Einheiten, nämlich Wörter zerlegen la ssen (wa s nicht für a lle Spra chtypen gleich selbstverständlich ist). Geeignet für eine Wortschrift sind in erster Linie Spra chen mit un­ veränderlichen Wörtern oder Wortba sen, wa s für da s Sumerische weit­ gehend zutrifft. Unterha lb der Wortebene Kegende Einheiten sind Silbe und Phonem. Im Fa lle der Keilschrift führte der Weg vom Wort 2ur Silbe. Vora ussetzung für eine solche Entwicklung wa r wiederum ein geeigneter Spra chtypus: Die Spra che mußte eine größere Anzahl Wörter entha lten, deren Silben gleichzeitig Hom(oi)ophone monosylla bischer Wörter wa ren. Mit großer Wa hrscheinlichkeit wird eine solche Spra che 70 Manfred Krebernik keine allzu komplexen Silbenstrukturen besitzen. Beide Bedingungen trafen offenbar auf das Sumerische zu. Verdächtig erscheint a llerdings der uns vom Schriftsystem suggerierte Umsta nd, daß das Sumerische und das Akkadische a ls genetisch wie auch typologisch völlig verschiedene Spra chen gena u dieselbe Silbenstruktur (und denselben Voka lbesta nd) besessen ha ben sollten. Und in der Ta t deuten gewisse Schreibvarianten und „unorthogra phische" Schreibungen da ra uf hin, da ß es im Sumerischen z.B. a uch Doppelkonsona nz im A n ­ la ut ga b. Die La utgesta lt des Sumerischen ist uns freilich nur indirekt über da s Akka dische zugänglich, von dessen Phonologie wir wegen des differenzierten Sylla ba rs und a ufgrund der Kenntnis verwa ndter semiti­ scher Sprachen eine genauere Vorstellung ha ben. Mit den schon in sumerischer Zeit hera usgebildeten Sylla bogra mmtypen Cv, vC und CvC ließ sich idea lerweise nur eine Spra che da rstellen, die wie das Akkadische gena u diese Silbentypen kennt. Spra chen wie da s Deutsche, wo Konsona ntencluster im Silbena n- und -a usla ut möglich und soga r kombinierba r sind — es können da nn bis zu sieben sein wie etwa in „Herbststrauß" - sind mit keilschriftlichen Mitteln nur unzuläng­ lich da rstellba r. Ausgehend vom Akka dischen wäre ma n a lso ka um a uf eine Silbenschrift verfa llen, da es fa st keine monosylla bischen Wörter gibt — zumindest keine konkreten, leicht durch Piktogra mme oder Sym­ bole darstellbaren Substa ntive. Glücklicherweise liegt uns ein Beispiel für die Schriftentwicklung a uf der Grundla ge einer dem Akka dischen strukturverwa ndten Spra che vor, nämlich der ägyptischen. Im Ägyptischen bringt die Flexion wie in den semitischen Spra chen wortinterne Veränderungen mit sich, während die Konsona nten sta bil bleiben. Konsequenterweise ha t der Schritt unter die Wortebene da her in Ägypten zur konsona ntischen Wurzel und a ls Spe­ zia lfa ll zu einem vollständigen Sa tz von Zeichen für konsona ntische Phoneme geführt. Ebenso wie im Sumerischen die a nsa tzweise vorha n­ dene sylla bische Orthogra phie nicht ra dika l durchgeführt wurde, blieb ma n auch in Ägypten dem tra ditionellen gemischten Schriftsystem treu. Die Idee der konsona ntischen Phonemschreibweise wurde jedoch in der ersten Hälfte des II. Jt.s a uf der bena chba rten Sina i-Ha lbinsel in semitischem Milieu a ufgegriffen und führte zur Alpha betschrift. Alpha ­ bet- und Keilschrift begegneten sich in Syrien-Pa lästina . Ein Kind dieser Begegnung ist das im 14. und 13. Jh. gebräuchliche ugaritische Keila lpha ­ bet, dessen Gra pheme äußerlich na ch dem Vorbild der Keilschrift ge­ sta ltet sind, jedoch Konsona nten da rstellen; lediglich drei na ch keil- Von Zählsymbolen ^ur Keilschrift 71 schriftlichen Vorbildern geschaffene Zeichen stehen für die Silben 7 u n d 'u. Bereits in der ugaritischen Orthographie gibt es Ansätze zur Vokalschreibung (das Zeichen für den Halbvokaljy steht bisweilen w o h l für i). Dieser W e g wurde in jüngeren semitischen Alphabeten weiterver­ folgt. Radikal durchgeführt wurde der Ansatz aber erst, nachdem das A l p h a b e t v o n den Griechen ü b e r n o m m e n worden war. A l s Fazit ergibt sich, daß für die Schrifterfindung u n d -entwicklung i m V o r d e r e n O r i e n t folgende Faktoren u n d Z u s a m m e n h ä n g e bestim­ m e n d waren: 1. I m Z u g e der Neolithisierung entstandene Technologien u n d Wirt­ schaftsformen. 2. D i e damit zusammenhängende Herausbildung arithmetischer Begriff­ lichkeit. 3. D i e Existenz v o n Sprachen, die strukturell günstige Voraussetzungen für die Entwicklung v o n P h o n o g r a m m e n aus L o g o g r a m m e n boten, i m vorgegebenen Kulturraum. 4. E n g e K o n t a k t e zwischen unterschiedlichen Sprachen. 5. E i n e u.a. daraus resultierende Abstraktionsfähigkeit i m U m g a n g mit Sprache. 6. A d a p t a t i o n u n d Weiterentwicklung des Schriftsystems in neuem Sprachmilieu. Zitierte Literatur: Günter Dreyer. U mm el-Qaab I. Das prädynastische Königsgrab U -j und seine frühen Schrift^eugnisse. M ainz: von Zabern, 1998. Robert K . Englund. Archaic Administrative Textsfrom U ruk (= Archaische Texte aus U ruk, 5). Berlin: Gebr. Mann, 1994. Robert K . Englund. „Texts from the Late Uruk Period." Mesopotamien. SpäturukZeit und Frühdynastische Zeit (Orbis Biblicus et Orientalis 160/1). Hg. P. Attinger, M . Wäfler. Freiburg (Schweiz), Göttingen: Univ.-Verl., 1998. 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