DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Hodentumoren ÜBERSICHTSAUFSÄTZE: Hermann Pennekamp und Jürgen Sökeland Hodentumoren Das Bild der leichten frühkindlichen Hirnschäden in der täglichen Praxis Das Auge bei metabolischen Störungen DIAGNOSTIK IN KÜRZE: Pseudosarkomatöse Fasziitis Fibro-Myo-Adenome Aus der Urologischen Klinik der Städtischen Kliniken Dortmund (Direktor Professor Dr. Jürgen Sökeland) Die Problematik der Behandlung der verschiedenen Hodentumoren wird aus klinischer Sicht dargestellt. Die einzelnen Formen der Hodentumoren haben einen charakteristischen Metastasierungsweg, der Behandlung liegt die Einteilung der Hodentumoren nach dem TNM-System zugrunde. Seminome, Teratokarzinome, Embryonalkarzinome und Chorionepitheliome unterliegen einem unterschiedlichen chirurgischen, strahlentherapeutischen und chemotherapeutischen Behandlungsplan. Die Prognose kann bei Früherkennung der Hodentumoren mit gezielter Aufklärung der Bevölkerung verbessert werden. FÜR SIE GELESEN: Angiographie und Pankreatographie in der Diagnose von Pankreaskarzinomen Akrosklerose bei Sarkoidose Der Hodentumor gehört zu den bösartigsten und prognostisch ungünstigsten Tumoren des Mannes. Die Ursachen für diese ungünstige Prognose sind: O völlig schmerzloser Beginn, O die hochgradige Bösartigkeit des embryonalen Gewebes, Von 100 000 Männern erkranken etwa zwei bis vier an Hodengeschwülsten. In der Bundesrepublik Deutschland werden etwa 2000 bis 3000 Männer im Jahr von diesem Leiden befallen. Fast alle testikulären Tumoren sind bösartig. • die sehr frühe Metastasierung und der ungünstige Metastasierungsweg über Samenstrang, paraaortale Lymphdrüsen bis hinauf zum Nierenhilus. Bei einer Querschnittanalyse des Jahres 1973 an 31 urologischen Kliniken zeigten bei insgesamt 324 Fällen bereits 60 Prozent eine Metastasierung vor Beginn der klinischen Behandlung. Die Anamnesedauer lag im Durchschnitt bei sechs Monaten. Aus den genannten Gründen ist das Krankheitsgeschehen für die Betroffenen oft von schicksalhaftem Verlauf. Es sind vorwiegend die Altersgruppen 20 bis 40, also Männer in der Zeit der stärksten biologischen Aktivität, befallen. Alle therapeutischen Möglichkeiten wie Semikastration, Lymphadenektomie — Ausräumung aller parailiakalen und paraaortalen Lymphdrüsen — und beim Seminom die Bestrahlung, hängen von der Frühdiagnose ab. DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT Heft 2 vom 8. Januar 1976 49 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Hodentumoren Die Gründe für die späte Erfassung der Hodentumoren sind: • das Fehlen jeglicher Schmerzsymptomati k, O die nur langsam fortschreitende Größenzunahme, O erziehungsbedingte Tabus der Gesellschaft gegenüber der Genitalsphäre, O mögliche Fehldiagnostik infolge differentialdiagnostischer Schwierigkeiten. 1970 wurden die Vorsorgeuntersuchungen auf Prostatakarzinom auf dem Deutschen Ärztetag in Stuttgart programmiert und 1972 gesetzlich verankert. Aus den hierbei gewonnenen Ergebnissen sowie aus den langjährigen Erfahrungen in der ärztlichen Fortbildung sind für die Frühdiagnose der Hodentumoren folgende Maßnahmen ratsam und zweckmäßig: • Gezielte Aufklärung der betreffenden Bevölkerungskreise durch Massenmedien. • Breitgestreute Fortbildung der erstbehandelnden Ärzte. Das Ziel dieser Aufklärungskampagne ist erreicht, wenn jeder Mann bei einer Hodenschwellung oder Verhärtung sofort den Hausarzt aufsucht und dieser so lange die Bösartigkeit des Befundes annimmt, bis das Gegenteil durch Freilegung und histologische Untersuchung bewiesen ist. Das fast ausschließliche Auftreten in der aktivsten Lebensphase mit erhöhter hormoneller Aktivität und die Neigung zur Tumorbildung im noch nicht vollständig deszendierten Hoden deuten gewisse ätiologische Zusammenhänge an. Dabei ist es wahrscheinlich nicht die abnormale Lage des Testis, die die Tumorentstehung begünstigt, sondern vielmehr die Fehlanlage des Keimdrüsengewebes. Die Beobachtung, daß Hoden auch nach der Orchidopexie zu Geschwulstbildungen neigen, spricht für diese Annahme. Die Tumorhäufigkeit dystoper Hoden beträgt etwa ein Prozent, beim Bauchhoden ist sie sogar mehr als doppelt so groß. In einem gewissen Prozentsatz wird aus einem Kausalitätsbedürfnis heraus ein Trauma der Hoden in der Anamnese angegeben. Dieses Ereignis ist aber lediglich als Anlaß zu werten, der den Patienten oder Tabelle 1: Einteilung der Hodentumoren nach Dixon und Moore O Seminome, rein O Embryonale Karzinome Teratome, rein*) a) mit unreifem, fötalem Gewebe b) mit nur reifem Gewebe O Teratome, kombiniert*) a) mit embryonalem Karzinom b) mit Chorionkarzinom c) mit embryonalem Karzinom und Chorionkarzinom • Chorionkarzinom*) a) rein b) kombiniert mit embryonalem Karzinom — Abbildung 1: Metastasierungsweg der Hodentumoren [ 50 Heft 2 vom 8. Januar 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT *) Sämtliche Tumoren der Gruppen 9-0 können einen Seminomanteil enthalten. Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Hodentumoren Ti: T2: T3: Ta: Hoden normal groß. Tumor weniger als V, des Organs Organ normal groß. Tumor größer als '/2 des Hodens Organ vergrößert, Tumor noch auf Hoden beschränkt Tumor wächst über Grenzen hinaus Abbildung 2: TNM-System bei Hodentumoren (siehe auch Tabelle 2) Tabelle 2: Einteilung der Hodentumoren nach dem TNM-Systeml To T2 T3 T4 = Kein Primärtumor nachweisbar = Hoden normal groß, Tumor weniger als 1 /2 des Organs = Organ normal groß, Tumor größer als 1 /2 des Hodens = Organ vergrößert, Tumor noch auf Hoden beschränkt = Tumor wächst über Grenzen hinaus Der Vorschlag der UICC sieht für einen Lymphknotenbefall folgende Einteilung vor: No = keine Lymphknoten Ni = paraaortale Lymphknoten N2 = inguinale Lymphknoten N3 = sonstiger Befall, nicht lokalisiert Die Metastasen wurden unterteilt in: Mo = keine Metastasen Mi = Fernmetastasen *) Siehe auch Abbildung 2. den Arzt erstmalig auf das Bestehen einer Vergrößerung des Hodens aufmerksam macht. Beweise für einen kausalen Zusammenhang zwischen Trauma und Hodentumor gibt es nicht. Fast alle Hodentumoren entwickeln sich aus der Keimzelle. Der häufigste Tumor ist mit 35 bis 40 Prozent das Seminom. Er weist rnakroskopisch eine einheitliche Struktur, Kapselbildung und fibrinöse Septierung auf. 30 Prozent aller Hodengeschwülste werden vom Embryonalzellkarzinom gebildet. Das Teratokarzinom stellt 25 Prozent aller Hodengeschwülste dar und enthält Anteile aller drei Keimblätter verschiedener Reifungsgrade. Eindeutige gut- DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 2 vom 8.,Januar 1976 51 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Hodentumoren artige Teratome sind sehr selten. Sie haben nur einen Anteil von wenigen Prozent an der Gesamtzahl der Hodentumoren. Mit dem Vorliegen eines Karzinoms ist immer zu rechnen, da sich Zellgruppen mit malignem Wachstum leicht dem Nachweis entziehen. Das Chorionkarzinom läßt sich in reiner Form nur in ein bis zwei Prozent aller Hodengeschwülste nachweisen. Es produziert Choriongonadotropin und läßt sich durch die sogenannten Schwangerschaftsteste im Serum oder Urin nachweisen. In Kombination mit anderen Geschwulsttypen, in sogenannten Mischformen, tritt es in etwa 20 Prozent aller Tumoren auf. In reiner Form tritt in der Regel nur das Seminom auf. Der Häufigkeitsgipfel der Erkankungen liegt beim Seminom im vierten, bei den anderen Tumoren im dritten Lebensjahrzehnt. Unter den malignen Hodentumoren hat das Seminom die geringste Bösartigkeit. Es folgen das Embryonalzellkarzinom, das Teratokarzinom und das äußerst maligne Chorionkarzinom. Verlauf und Prognose hängen stets vom bösartigsten Bestandteil ab (Tabelle 1). Metastasierung Die Metastasierung der bösartigen Hodentumoren erfolgt lymphogen. Eine Ausnahme bildet das Chorionkarzinom, das hämatogen metastasiert. Bei mehr als der Hälfte der malignen Hodentumoren ist die Absiedlung bereits eingetreten, wenn die Diagnose erfolgt. Die Tumorzellen gelangen über die Lymphbahnen entlang den Vasa spermatica zur ersten Lymphknotenstation des Retroperitonealraumes, die rechts im Bereich der Einmündung der Vena spermatica in die Vena cava, links im Gebiet der Vena renalis liegt. Von dort aus werden sekundär die aortalen und iliakalen Lymphknoten befallen. Nach kranial können sich die Metastasen durch das Mediastinum bis zur Einmündung des Ductus thoracicus in die linke 52 Vena subclavia ausbreiten. Durch Querverbindung zwischen den Lymphknoten kann auch die kon- Wichtigste diagnostische Maßnahme allerdings ist auch heute noch die Inspektion und vergleichende tralaterale Lymphknotenkette befallen sein. Palpation der Hoden (Abbildung 3). Ein Befall der inguinalen Lymphknoten tritt nur im Spätstadium auf, wenn der Hodentumor auf Nebenhoden oder Skrotum übergegangen ist oder vorangegangene Eingriffe an Hoden oder Leiste zu einem Anschluß der Lymphbahnen des Hodens an das inguinale System geführt haben (Abbildung 1). Um Therapie und Prognose international vergleichen zu können, wurde von der UICC (Union Internationale Contre le Cancer) zur Klassifikation der Tumoren das TNM-System vorgeschlagen, dem auch die Einteilung der Hodentumoren nach Tumorgröße (T), Lymphknotenbefall (N= Nodule) und Fernmetastasen (M) unterliegt (Tabelle 2 und Abbildung 2). Symptomatik Die Symptomatik der Hodentumoren wird durch eine derbe, meist schmerzlose Schwellung und ein Gefühl der Schwere des Organs gekennzeichnet. Der karzinomatöse Hoden ist hart. Mit der retroperitonealen Metastasierung kommt es zu Kreuzschmerzen. Das Auftreten vergrößerter Lymphknoten in der linken Supraklavikulargrube führt den Kranken zuweilen erstmals zum Arzt. Zwischen Beginn der Symptomatik und Einsetzen der Therapie verstreichen im Durchschnitt je nach Tumorart sechs bis neun Monate. Die Ergebnisse der Therapie zeigen, daß die Prognose der bösartigen Hodengeschwülste zur Zeit nur durch die Frühdiagnose entscheidend verbessert werden kann. Diagnose und Differentialdiagnose Die Diagnose der malignen Hodentumoren hat besonders in der Erkennung der Metastasen entscheidende Neuerungen erfahren. Heft 2 vom 8. Januar 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Die einseitige, glatte und derbe Vergrößerung kann bei einiger Übung von entzündlichen Erkrankungen des Nebenhodens abgegrenzt werden. Läßt sich palpatorisch eine Nebenhodenentzündung nicht eindeutig von einer Schwellung des Hodens abgrenzen, so kann die Reaktion des Patienten auf die Palpation Hinweise geben. Wird die Betastung als unangenehm, sogar als schmerzhaft angegeben, so deutet das mehr auf eine entzündliche Affektion des Nebenhodens hin. Eine Hodentorsion tritt im allgemeinen nur in der Pubertät auf. Eine Hydrozele läßt sich meist leicht von einem Hodentumor unterscheiden, zum Beispiel mit der Diaphainoskopie. Es muß jedoch daran gedacht werden, daß nicht selten relativ große Zysten in einem Hodentumor auftreten können oder der Tumor eine Begleithydrozele ausgelöst hat. Es kann aber auch eine Begleithydrozele vorliegen, die diaphainoskopisch nicht durchscheint, weil ihr Inhalt hämorrhagisch ist. Eine Varikozele läßt sich durch die Palpation des teigig-weichen Konvoluts bleistiftdicker Venen des Plexus pampiniformis abgrenzen. Die Venen entleeren sich im Liegen. Spermatozelen lassen sich als zystische flüssigkeitsgefüllte Gebilde durch Betasten deutlich vom Hoden unterscheiden. Ihre Punktion bringt den Nachweis von Samenzellen. Allein die Verdachtsdiagnose eines Hodentumors muß Anlaß zur Klinikeinweisung sein. Nur in der Klinik sind die Möglichkeiten gegeben, durch verschiedene diagnostische Methoden den Verdacht zu bestätigen und die Frage einer Metastasierung zu klären sowie deren Ausmaß zu erkennen. Auf keinen Fall sollte der Hausarzt in Zweifelsfällen eine akute oder chronische Epididymitis annehmen und durch Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Hodentumoren den Versuch einer antibiotischen Therapie wertvolle Zeit verlieren. Folgende Untersuchungsmethoden ermöglichen eine erschöpfende Diagnostik (Tabelle 3). Hodentumor Hydrozele 54 Heft 2 vom 8. Januar 1976 • Das Urogramm gibt Auskunft über die Ausscheidungsfunktion der Nieren und über die Abflußverhältnisse der Harnwege. Behinderungen des Harnflusses weisen auf eine prognostisch ungünstige Epididymitis Varikozele Kompression des Harnleiters durch retroperitoneale Lymphknotenmetastasen hin, wenn eine andere Verlegung der Harnwege mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Hodentorsion Spermatozele DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Abbildung 3: Differentialdiagnostik bei Hodentumoren Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Eine Lungenaufnahme wird zum Ausschluß von Metastasen angefertigt. ~ Die Lymphographie vermittelt einen Eindruck von den Lymphabflußbahnen und den Lymphknoten im Retroperitonealraum (Tabelle 4). ~ Verschlüsse der unteren Hohlvene lassen sich durch eine Kavographie aufzeigen. ~ Tumoren mit Choriongewebsanteilen führen durch die Produktion von Choriongonadotropinan zu einer positiven Schwangerschaftsreaktion. Diese Eig.enschaft haben auch ihre Metastasen. Ein pos itiver Schwangerschaftstest gibt daher postoperativ Hinweise darauf, ob die Geschwulst radikal beseitigt wurde, ein Rezidiv zeigt sich durch positive Reaktion nach vorheriger Normalisierung. ~ Kann auf Grund der Inspektion, der Palpation und der weiteren Untersuchungen die Diagnose eines Hodentumors nicht endgültig gesichert oder der Verdacht nicht entkräftet werden, sollte die Probefreilegung mit histologischer Sehnelischnittuntersuchung des entnommenen Gewebes erfolgen. Tabelle 3: Untersuchungsmethoden zur Diagnose von Hodentumoren Tabelle 4: Diagnostische Möglichkelten der Lymphographie 0 Uregramm und Die Lymphegraphie zeigt, ob - Lungen- aufnahme 0 Lymphknotenmetastasen vorhanden sind, f) Lymphangiographie f) die Metastasierung auf das erste Lymphknotengebiet beschränkt ist, 8 Kavographie 8 8 eine retroperitoneale Metastasierung in die iliakalen oder inguinalen Lymphknoten erfolgt ist und Hormondiagnostik 8 0 Lymphknotenmetastasen auf der Gegenseite vorliegen. Probefreilegung und Schnellschnitt Tabelle 5: ~ Symptomatik: Harte Hodengeschwülste, nicht schmerzhaft. Bei Metastasenbildung eventuell Kreuzschmerzen und vergrößerter supraklavikulärer Lymphknoten links. ~ Diagnostik: Palpation, Diaphainoskopie, Urogramm, Thoraxaufnahme, Lymphogramm, eventuell Kavographie, Freilegung mit eventueller Schnellschnittuntersuchung. ~ Therapie : Semikastration mit nachfolgender histologischer Un- tersuchung. Folg_etherapie I Seminome I Bestrahlung Teratokarzinom und Embryonalkarzinome Lymphadlnektomie --- Chorionkarzinome ZytoLI;ka I Bei Lymphknotenbefall Bestrahlung und Zytostatika Therapie Die Therapie der Seminome ist heute einheitlich. Es erfolgt nach der Semicastratio die inguinale, retroperitoneale und links supraklavikuläre Hochvoltbestrahlung. Eine Ausräumung der retroperitonealen Lymphknoten ist beim Seminom nicht erforderlich, da die Absiedlungen strahlensensibel sind. Auch isolierte Lungenmetastasen sind der Radiotherapie gut zugänglich. Erst bei diffuser Metastasierung in parenchymatöse Organe kommt die Chemotherapie zum Einsatz. Beim embryonalen Karzinom und Teratom sowie Mischtumoren ohne Chorionkarzinomanteile folgt auf die Semikastration die transperitoneale Lymphadenektomie der paraaortalen und parail iakalen Lymphknoten nach vorausgegangener Lymphangiographie. Kann bei der histologischen Untersuchung der Lymphknoten ein metastatischer Befall ausgeschlossen werden, wird der Patient regelmäßig kontrolliert und erst bei Anzeichen von Metastasen die Zytostatikatherapie begonnen. Eine retroperitoneale Bestrahlung zusätzlich zur Lymphadenektomie ergibt in diesen Fällen keine besseren Ergebnisse als die alleinige Lymphadenektomie. Bei Nachweis von retroperitonealen Metastasen kann eine zytostatische Therapie eingeleitet werden. Zusätzlich ist eine kleinfeldrige Bestrahlung der histologisch positiven Lymphknotenregion indiziert. Eine ausgedehnte retroperitoneale Bestrahlung sollte vermieden werden, da sich etwa 40 Prozent des Knochenmarks im Strahlenfeld befindet und die radiogene Suppression eine Dosisreduktion der notwendigen Zytostatikatherapie erforderlich machen kann. Eine Ausräumung der retroperitonealen Lymphknoten erübrigt sich beim Chorionzellkarzinom wegen seiner hämatogenen Metastasierung . Bei Chorionkarzinomen und Mischtumoren mit eherealen Anteilen, die wegen der frühzeitigen hämatogenen Metastasierung eine schlechte Prognose haben, sollte nach der Semikastration primär die I> Chemotherapie einsetzen. DEUTSCHES ARZTEBLA'IT Heft 2 vom 8.Januar 1976 55 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin IN KÜRZE Hodentumoren Chemotherapie In der Chemotherapie der Hodentumoren wird heute eine Kombination von chemotherapeutisch wirksamen Substanzen verwendet, die auf Grund ihrer unterschiedlichen Struktur einen differenten Angriffspunkt im Zellstoffwechsel haben und somit die verschiedenen Phasen des Zellzyklus unterschiedlich beeinflussen, wodurch der therapeutische Index durch Steigerung der Absterberate von Tumorzellen erhöht und die Resistenzentwicklung verzögert werden. Durch die unterschiedliche Toxizität der einzelnen Verbindungen kann ihre volle Dosis teilweise addiert werden. Zur Behandlung von Teratomen werden heute in der Reihenfolge ihrer Wirksamkeit zytostatische Antibiotika, Vinca-Alkaloide und Antimetaboliten verwandt. eine endgültige Heilung, die bei disseminierten metastasierenden Hodentumoren der Teratomklasse nach zusammenfassenden Statistiken höchstens fünf bis zehn Prozent beträgt. Für die Erreichung eines Therapieerfolges ist die Durchführung der Lymphadenektomie und ein möglichst frühes Stadium zum Zeitpunkt der Operation ebenso wichtig wie ein möglichst frühzeitiger Beginn der Chemotherapie, da jenseits einer sogenannten kritischen Tumormasse eine erfolgreiche Behandlung nicht mehr durchführbar ist. Die Heilungserfolge (Rezidivfreiheit über zwei Jahre) sind nach zusammenfassenden Statistiken für metastasierende Seminome mit 45 Prozent wesentlich günstiger. Prognose Alkylierende Zytostatika sind gegen Teratome weniger wirksam, nehmen aber in der Behandlung der Seminome eine führende Stellung ein. Folgende Kombinationen haben sich bewährt: • Bei Teratomen: Actinomycin D, Vinblastin (oder Vincristin), Arnethopterin, weniger Cyclophosphamid. • In der Behandlung metastasierender Seminome wird wegen der geringen Wirksamkeit auf Actinomycin D verzichtet. Die Chemotherapie setzt nach heutigen Erkenntnissen nach vorausgegangener Semikastration und retroperitonealer Lymphknotenausräumung erst bei Vorliegen von Metastasen ein. Die Wirksamkeit beschränkt sich, abgesehen von primär resistenten Fällen (27 Prozent), zumeist auf temporäre Tumorremissionen oder eine Verzögerung der Metastasenbildung. Die lebensverlängernde Wirkung dieser Substanzen steht daher im Vordergrund. Die Entwicklung einer sekundären Chemotherapieresistenz verhindert in den meisten Fällen 56 Bei Anwendung aller therapeutischen Möglichkeiten ergibt sich für das Seminom die günstigste Prognose. Die Fünfjahresheilung von 90 Prozent ist vor allem ein Erfolg der Strahlentherapie. Beim Embryonalzellkarzinom wird eine Fünfjahresheilung in 40 Prozent erreicht, beim Teratokarzinom ist die Prognose ähnlich. Die radikale Lymphknotenausräumung verbessert die Prognose auch bei Nachweis von Absiedlungen um 10 bis 20 Prozent. Männer mit ausgedehnter Metastasierung überleben zwei Jahre häufig nicht. Patienten mit Chorionzellkarzinomen mit positivem Choriongonadotropinnachweis erreichen nur ausnahmsweise die Zweijahresgrenze. Die meisten sterben innerhalb von Jahresfrist. Literatur beim Verfasser Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Jürgen Sökeland Städtische Krankenanstalten 46 Dortmund 1 Westfalendamm 403-407 Heft 2 vom 8. Januar 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Diagnostik Pseudosarkomatöse Fasziitis kann ein angiographisches Gefäßmuster aufweisen, das von dem eines Malignoms kaum zu unterscheiden ist. Auch bestimmte gutartige Tumoren, besonders solche des Skeletts wie Riesenzelltumoren, aneurysmatische Knochenzysten, Osteoplastome, Osteoidosteome und Morbus Paget können eine abnorme Vaskularisation aufweisen, die einer Gefäßneubildung bei malignen Tumoren täuschend ähnelt. Als malignitätsspezifisch einzig entscheidendes arteriographisches Kriterium gelten tumoreigene, neugebildete Gefäße, die letzten Endes auch für die Tumoranfärbung sowie für arteriovenöse Kurzschlüsse verantwortlich sind. Es sind Gefäße mit mehr oder weniger winkligem, jedenfalls unregelmäßigem, unberechenbarem Verlauf und starken Kaliberschwankungen oder verknäuelte und gewundene, manchmal korkenzieherartig geformte Gefäße in völlig regelloser Anordnung und Morphologie. he (Schmoller, Hj.: Münch. Wschr. 117 [1975] 985-990) med. Fibro-Myo-Adenome der paraurethralen Drüsen entwickeln 80 Prozent aller Männer zwischen 60 und 70 Jahren. Die Gewebsneubildungen mit überwiegend adenomatösem Anteil verdrängen das eigentliche Prostatagewebe, bis es kapselförmig das Adenom umgibt. Bei 30 bis 40 Prozent der Patienten führt das Adenom zu Miktionsbeschwerden. Die Größe des Adenoms ist dabei nicht immer ausschlaggebend; ohne besonderen Befund kann totale Harnverhaltung eintreten. Konservative Therapie ändert nichts an der pathologischen Gewebsneubildung; Frühoperation befreit hingegen den Patienten noch vor einer möglichen Nierenschädigung von seinem Leiden. Bei kleinem bis mittelgroßem Prostataadenom zeigt sich die transurethrale Elektroresektion anderen Operationsverfahren überlegen. he (Hertel, E.: Münch. med. Wschr. 117 [1975] 813-816)