Ungewöhnliche Stoffe in Nahrungsmitteln 38 2.10. Kartoffeln (Erdäpfel) - Tomaten (Paradeiser): Solanin Die Kartoffel ist eine Pflanze aus der Familie der Nachtschattengewächse12) mit einer essbaren, stärkereichen Knolle. Sie wird in den meisten Ländern der gemäßigten Klimazonen angebaut und ist dort eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel. Sie entwickelt sich aus einer unterirdischen Sprossknolle, die mehrere sog. “schlafende Augen” (Knospen) besitzt. Aus diesen treiben die bis zu einen Meter langen, reich beblätterten Triebe, die dem Boden aufliegen oder aufrecht wachsen. Als Frucht bilden die Pflanzen eine vielsamige, etwa kirschgroße Beere. Die Kartoffel stammt ursprünglich aus Peru. Zu Beginn des 16. Jhds. wurde die Kartoffel von spanischen Entdeckern nach Europa gebracht. Nachdem man sie zunächst als Zierpflanze hielt, verwendete man sie ab dem 17. Jhd. als Nahrungsmittel, zunächst jedoch nur für die adeligen Schichten. Insbesondere während und nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde sie zum Grundnahrungsmittel für die breite Bevölkerung. Frisch geerntete Kartoffeln enthalten etwa 78 % Wasser, 18 % Stärke, 2,2 % Protein, 1 % Mineralstoffe, 0,1 % Fett und mehrere Vitamine. Ungefähr 75 % des Trockengewichts sind Kohlenhydrate. Kartoffeln dienen nicht nur der menschlichen Ernährung, sie sind auch ein wichtiges Viehfutter. Außerdem dienen sie als Stärkequelle für die Herstellung verschiedener Produkte, etwa von alkoholischen Getränken wie Wodka oder von Klebstoffen. 12) Nachtschattengewächse: große, fast weltweit (Schwerpunkt Südamerika) vorkommende Familie von Blütenpflanzen, die ungefähr 2 600 Arten umfasst. Die meisten Arten sind krautig. Zu dieser Familie zählen viele Nutz- und Zierpflanzen, darunter Kartoffel, Tomate, Paprika, Tabak u.a. Alle Nachtschattengewächse enthalten giftige Alkaloide, die chemisch hauptsächlich drei verschiedenen Typen angehören: Tropanalkaloide finden sich etwa in der Tollkirsche, dem Stechapfel und im Bilsenkraut, Pyridinalkaloide im Tabak und Steroidalkaloide in mehreren Nachtschatten-Arten (z.B. Kartoffeln). Solanin: Alle oberirdischen Teile der Kartoffel – nicht jedoch die Knollen – enthalten das giftige Alkaloidglycosid Solanin, das für die gesamte Gattung der Nachtschattengewächse charakteristisch ist und auch in unreifen Beeren, im Bittersüßen und Schwarzen Nachtschatten zu finden ist. Ungewöhnliche Stoffe in Nahrungsmitteln 39 Der normale Solanin-Gehalt von 0,002 – 0,01 % der Knollen ist unschädlich, doch sind bereits Konzentrationen von 0,02 % nicht unbedenklich. Beim Kochen der Kartoffeln tritt das Gift zwar teilweise in die Kochflüssigkeit über, da es jedoch nicht zerstört wird, sollte das Kochwasser auf keinen Fall verwendet werden. Eine Lebensmittelvergiftung durch Solanin äußert sich in einem galligen, kratzenden Geschmack und Brennen im Hals, ferner in Reizungen der Verdauungsorgane (Magenbeschwerden, Darmentzündungen, Nierenreizungen bzw. -entzündungen), Ekzeme, Gliederschmerzen, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Hämolyse (Auflösung von roten Blutkörperchen), Störungen von Kreislauf und Atmung und Schädigungen des Zentralnervensystems (erst Lähmungen und Krämpfe, dann Tod durch Atemlähmung). Die Gefahren von Vergiftungen bestehen hauptsächlich beim Genuss von unreifen, grünen oder von alten, auskeimenden Kartoffeln, bei denen der Solanin-Gehalt bisweilen auf 0,05 % ansteigt. Die giftige Dosis liegt bei 25 mg, die Aufnahme von 400 mg dieses Stoffes führt zum Tod. Solanin, ein Steroidalkaloid: Als Steroide bezeichnet man eine sehr umfangreiche Gruppe von natürlich vorkommenden und synthetischen Verbindungen, denen das Gerüst des partiell (teilweise) hydrierten Cyclopenta[ ]phenanthrens zugrunde liegt. Gonan (Steran): = total hydriertes (Perhydro...) Cyclopenta[ ]phenanthren Die wichtigsten Steroid-Verbindungen sind Gallensäuren, Saponine, Vitamin D (Calciferole), Nebennierenhormone (Corticosteroide), Herzglykoside (Digitalis-Glykoside), Krötengifte und Sexualhormone. Als die Tomate im 16. Jhd. von Mexiko und Peru nach Europa gelangte, galt sie zunächst als giftig und man zog sie deshalb nur als Zierpflanze. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts avancierte sie zu einem essbaren Gemüse. In alten Kochbüchern findet man mitunter noch Rezepte, bei denen die Verwendung grüner Tomaten zur Herstellung von Konfitüre oder zum Einlegen angegeben wird. Ungewöhnliche Stoffe in Nahrungsmitteln 40 In grünen unreifen Tomaten ist, ebenso wie in den grünen Stellen der Kartoffeln, das giftige Solanin enthalten. Unreife Tomaten können bis zu 30 mg Solanin pro 100 g Frischmasse enthalten. Bei der Verarbeitung der Früchte zu Konfitüre verringert sich der prozentuale Solaningehalt aufgrund des Verdünnungseffektes um rund 35 %. Durch die Verwendung geschälter grüner Tomaten kann der Giftstoffgehalt um weitere 10 % gesenkt werden. Konservierte grüne Tomaten enthalten jedoch immer noch beachtliche Mengen an Solanin. Weitaus bedenklicher sind die süß-sauer eingelegten Tomaten. Sie weisen noch ~ 90 % des Solanin-Ausgangswertes auf. Vor dem Verzehr roher sowie haltbar gemachter grüner Tomaten muss aufgrund der gesundheitlichen Bedenken somit abgeraten werden. Aber auch Kartoffeln, die ganz grün sind oder größere grüne Stellen aufweisen, sollten nicht mehr gegessen werden. Bei kleineren grünen Stellen genügt es, diese großzügig wegzuschneiden. Grüne Tomaten sind somit alles in allem sehr ungesund, aber gegen saftige rote Tomaten ist absolut nichts einzuwenden: Der sekundäre Pflanzenstoff Lycopin, der ihnen ihre intensive rote Farbe verleiht, schützt die Tomaten gegen die UV-Strahlung der Sonne und tut auch uns gut: In einer Studie unter der Leitung Prof. Gerhard Rechkemmer von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung in Karlsruhe hat sich Lycopin nicht nur als Radikalfänger (Antioxidans) bewährt, sondern auch die Funktion des Immunsystems unterstützt. Interessanterweise sind Tomatenprodukte wie Tomatenmark, -soße oder Ketchup wirksamer als die rohe Frucht selbst, denn durch das Erhitzen werden die Zellhüllen aufgebrochen und damit Lycopin schneller freigesetzt. Tomaten enthalten auch den Stimmungsmacher Tyramin, der sich beim Reifen aus der Aminosäure Tyrosin bildet. Die Vitalstoffe der Tomate schützen daher nicht nur unsere Gesundheit, sie sind auch das ideale Mittel gegen schlechte Laune und Stimmungsschwankungen.