Leseprobe

Werbung
Erkrankungen des Hirnstamms
Klinik - Diagnostik - Therapie
Bearbeitet von
Peter P. Urban
1. Auflage 2008. Buch. 351 S. Hardcover
ISBN 978 3 7945 2478 5
Format (B x L): 21 x 28 cm
Weitere Fachgebiete > Medizin > Klinische und Innere Medizin > Neurologie,
Neuropathologie, Klinische Neurowissenschaft
Zu Inhaltsverzeichnis
schnell und portofrei erhältlich bei
Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.
Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm
durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr
als 8 Millionen Produkte.
56 2 Apparative Diagnostik der Hirnstammläsionen
2.2.2 B-Bild-Sonographie des Hirnstamms
Die transkranielle B-Bild-Sonographie des Hirnstamms ist bei
bestimmten neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen
sinnvoll, da sie – besser als die konventionelle MRT – spezifische
Veränderungen der Substantia nigra und der Mittelhirnraphe
nachweisen kann. Wegweisend war die Entdeckung charakteristischer Befunde bei der Parkinson-Krankheit und bei der
Depression (Becker et al. 1995a, 1995b); seither wurden diese
Befunde repliziert und klinische Anwendungen definiert.
Prinzip und Technik
Es kommt ein optimiertes Ultraschallsystem mit einem »PhasedArray«-Sektorschallkopf (1,6–2,5 MHz) zur Anwendung. Prinzipiell kann die gleiche Sonde wie bei der Farbduplexsonographie verwendet werden; verschiedene Hersteller haben jedoch
für die B-Bild-Sonographie spezielle Schallköpfe mit höherer
Auflösung entwickelt. In der Regel werden als Geräteparameter
eine Bildtiefe von 14–16 cm und ein dynamischer Bereich mit
45–50 dB gewählt.
Die Untersuchung erfolgt unter Verwendung des temporalen
Knochenfensters in axialer Schnittführung, wobei der Schallkopf präaurikulär parallel zur Orbito-Meatal-Ebene platziert
wird. Trotz Optimierung der Bildparameter (unter anderem
Bildhelligkeit, time gain compensation) ist bei 5–10 % der Patienten die Hirnstammbeurteilung aufgrund eines insuffizienten Schallfensters nicht oder nur eingeschränkt möglich. Bei
der Untersuchung muss berücksichtigt werden, dass die axiale
Bildauflösung besser ist als die laterale. Tissue harmonic imaging (THI-Modus) kann die Auflösung verbessern, ist allerdings
noch stärker vom der Güte des Schallfensters abhängig und bislang nicht ausreichend in Studien evaluiert.
Im axialen Schnittbild stellt sich das Mesencephalon als
schmetterlingsförmige hypoechogene Struktur dar, die von den
Abb. 2.2-3 Sonogramm des Gehirns. a) Axiale Schnittführung auf
Höhe des Mittelhirns. Der kontralaterale Schädelknochen ist am unteren
Bildrand als helle Struktur gut erkennbar. Im Zentrum des Bildes stellt
sich das Mesencephalon als schmetterlingsförmige, hypoechogene
Struktur dar, die von den stark echogenen basalen Zisternen umgeben
ist. Innerhalb des Mittelhirnquerschnitts sind mit angehobener Echo-
stark echogenen basalen Zisternen umgeben ist (Abb. 2.2-3). In
dieser Ebene wird die Echogenität der meist fleckförmig oder
als zartes Band erkennbaren ipsilateralen Substantia nigra, des
ipsilateralen Nucleus ruber und der medianen Hirnstammraphe beurteilt. Als Hyperechogenität wird eine abnorm erhöhte
Intensität bzw. Fläche des Schallechos im Vergleich zum Normalbefund bezeichnet. Die Graduierung der Echogenität kann
semiquantitativ nach dem visuellen Eindruck oder – insbesondere bei der Substantia nigra – quantitativ durch planimetrische Messung echogener Areale erfolgen (Abb. 2.2-4). Da planimetrische Messungen geräte- und schallkopfabhängig sind,
müssen Referenzwerte für jedes Ultraschallsystem gesondert
an größeren Normalkollektiven ermittelt werden. Eine deutliche Substantia-nigra-Hyperechogenität liegt bei Messwerten
oberhalb der 90%-Perzentile der Normalpopulation vor, eine
moderate Substantia-nigra-Hyperechogenität bei Messwerten
oberhalb der 75%-Perzentile (Berg et al. 2001a). Bei Verwendung des Ultraschallsystems Siemens Sonoline Elegra werden
Substantia-nigra-Flächen kleiner als 0,20 cm2 als normal klassifiziert, Flächen zwischen 0,20 und 0,25 cm2 als moderat und ab
0,25 cm2 als deutlich hyperechogen. Die Echogenität der medianen Raphe wird semiquantitativ bewertet (Becker et al. 1995b).
Im Normalfall kommt die Raphe als durchgängige linienförmige
Struktur zur Darstellung (Abb. 2.2-5). Die Echogenität gilt als
mäßig reduziert, wenn die Raphe noch erkennbar, aber schwach
echogen bzw. unterbrochen ist, und als deutlich reduziert, wenn
die Raphe – trotz guter Darstellbarkeit des Nucleus ruber – nicht
vom umgebenden Mittelhirnparenchym abgrenzbar ist.
Klinischer Einsatz
Frühdiagnostik der idiopathischen Parkinson-Krankheit
Circa 95 % der Patienten mit idiopathischer Parkinson-Krankheit weisen eine Hyperechogenität der Substantia nigra auf,
die bei 73–79 % deutlich und bei ca. 20 % moderat ausgeprägt
genität die Substantia nigra beidseits (ipsilateral: Pfeil 1), der Nucleus
ruber beidseits (ipsilateral: Pfeil 2), die mediane Hirnstammraphe (Pfeil
3) sowie der Aquädukt (Pfeil 4) erkennbar. b) Schematische Darstellung
von (a); 1 = ipsilaterale Substantia nigra, 2 = ipsilateraler Nucleus ruber,
3 = Hirnstammraphe, 4 = Aquädukt.
2.2 Ultraschalldiagnostik 57
Abb. 2.2-4 Substantia nigra im axialen Sonogramm des Mittelhirns.
a) Normalbefund: Die Substantia nigra stellt sich als zart echogene
bandförmige bzw. fleckförmige Struktur dar (Pfeile). Gut erkennbar ist
auch das Grenzecho des Nucleus ruber beidseits (Pfeilspitzen). b) Abnormer Befund: Die Substantia nigra ist beidseits deutlich hyperecho-
gen (Pfeile). Die Beurteilung und planimetrische Messung des Flächeninhalts erfolgt stets ipsilateral. Hier ist die ipsilaterale Substantia nigra
für die Messung mit dem Cursor umfahren worden. Der Nucleus ruber
ist beidseits abgrenzbar (Pfeilspitzen). c) Schemazeichnung zu (b): SN =
Substantia nigra, NR = Nucleus ruber, R = Raphe.
Abb. 2.2-5 Hirnstammraphe im axialen Sonogramm des Mittelhirns.
a) Abnormer Befund: trotz guter Visualisierung des Nucleus ruber beidseits (Pfeile) ist die Hirnstammraphe (Pfeilspitze) nicht erkennbar; es
liegt eine deutlich reduzierte Raphe-Echogenität vor. b) Normalbefund:
Die Mittelhirnraphe (Pfeilspitze) ist als deutlich echogene, linienförmi-
ge, durchgängige Struktur darstellbar (Pfeil: Nucleus ruber). c) Schemazeichnung zu (b): NR = Nucleus ruber, R = Raphe. Der Bildeinsatz
rechts oben zeigt zur leichteren Orientierung ein korrespondierendes
MRT-Bild.
ist (Berg et al. 2001b; Walter et al. 2006a). Für die klinischen
Subtypen (akinetisch-rigider Typ, Äquivalenz-Typ, Tremordominanz-Typ) konnten keine signifikanten Unterschiede der
Substantia-nigra-Echogenität gefunden werden. Die größere
Substantia-nigra-Echogenität zeigt sich überwiegend kontralateral zur klinisch stärker betroffenen Seite. Sie bleibt im
Krankheitsverlauf stabil; eine deutlichere Ausprägung korreliert mit früherem Beginn und langsamerer Progression der
Parkinson-Krankheit (Schweitzer et al. 2006). Ursache der Substantia-nigra-Hyperechogenität ist wahrscheinlich eine (genetisch bedingte?) vermehrte Ablagerung von Eisen in abnormen
Proteinbindungen. Für eine genetische Ursache spricht die erhöhte Frequenz dieses Befunds bei Angehörigen von ParkinsonPatienten.
Eine deutliche Substantia-nigra-Hyperechogenität liegt auch
bei etwa 10 % der erwachsenen Normalpopulation vor, mit ähnlicher Häufigkeit in allen Altersdekaden bis zum 80. Lebensjahr
(Berg et al. 1999b). Dieser Befund korreliert bei ca. 30-Jährigen
in PET-Studien mit einer pathologisch reduzierten 18F-DopaAufnahme in Nucleus caudatus und Putamen, mit dem gehäuften Auftreten eines Parkinsonismus nach Gabe hochpotenter
Neuroleptika und, bei über 60-Jährigen ohne extrapyramidalmotorische Vorerkrankung, mit einer motorischen Verlangsamung im Vergleich zu Personen mit normaler Echogenität der
Substantia-nigra (Berg et al. 2001a). Diese Befunde legen nahe,
dass die Substantia-nigra-Hyperechogenität eine Minderfunktion des nigrostriatalen dopaminergen Systems bereits Jahre bis
Jahrzehnte vor der möglichen Manifestation einer ParkinsonKrankheit reflektiert. In prospektiven Studien wird derzeit der
58 2 Apparative Diagnostik der Hirnstammläsionen
Tab. 2.2-3 Typische sonographische Befunde der Substantia nigra (SN), des Nucleus lentiformis und des 3. Ventrikels bei Normalpersonen über
60 Jahren sowie Patienten mit unterschiedlichen Krankheitsbildern.
Syndrom
SN hyperechogen,
wenigstens einseitig
Normalsituation
SN hyperechogen,
beidseitig
Nucleus lentiformis
hyperechogen
3. Ventrikel dilatiert
(> 10 mm)
+
(+)
+
(+)
+++
+
+
(+)
Multisystematrophie
(+)
–
+++
–
progressive supranukleäre
Blickparese
+
–
+++
+++
kortikobasale Degeneration
+++
+++
+++
–
Lewy-Körperchen-Demenz
+++
+++
+
(+)
idiopathische ParkinsonKrankheit
Häufigkeiten der abnormen Befunde in den bisherigen Studien: – = bisher bei keinem Fall gefunden; (+) = sehr selten; + = wenig auftretend; ++ = häufig;
+++ = fast immer nachweisbar
Wert der Hirnstammsonographie für die Vorhersage einer späteren Parkinson-Krankheit untersucht.
Differenzialdiagnostik der Parkinson-Syndrome
Die Hirnstammsonographie unterstützt die Diskriminierung
von idiopathischer Parkinson-Krankheit und atypischen Parkinson-Syndromen (Walter et al. 2003, 2004a). Eine normale Substantia-nigra-Echogenität grenzt die Multisystematrophie von
der Parkinson-Krankheit mit über 90%iger Spezifität ab. Eine
beidseits deutliche Hyperechogenität grenzt die kortikobasale
Degeneration von der progressiven supranukleären Blickparese
ab. Die Diagnosesicherheit wird durch die Sonographie weiterer
Strukturen (Nucleus lentiformis, 3. Ventrikel) erhöht. Tabelle
2.2-3 zeigt die charakteristischen Befundkonstellationen.
Diagnostik affektiver Störungen
Eine reduzierte Echogenität der Mittelhirnraphe fand sich
gehäuft bei unipolarer Depression und bei mit einer Parkinson-Krankheit assoziierten Depression (Becker et al. 1995b;
Berg et al. 1999a). Die reduzierte Raphe-Echogenität korrelierte
mit einer Signalalteration im MRT in der Region des Nucleus
raphes posterior und wurde als Ausdruck einer Störung des
zentralen serotonergen Systems diskutiert. Depressive Patienten mit reduzierter Raphe-Echogenität sprachen in einer Pilotstudie besser auf eine Therapie mit selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern an als Patienten mit normaler RapheEchogenität (Walter et al. 2006b). Ob die Sonographie der
Hirnstammraphe ein geeignetes Instrument zur Therapieentscheidung bei depressiven Störungen ist, wird derzeit in Studien
untersucht.
2.3
Elektrophysiologische Diagnostik
2.3.1 Blinkreflex
Jürgen Marx
Der Blinkreflex hat sich seit seiner ersten elektromyographischen Registrierung durch Kugelberg im Jahr 1952 zu dem am
weitesten verbreiteten elektrophysiologischen Test der Hirnstammfunktion entwickelt (Hopf 1994). Er ermöglicht eine
quantitative Beurteilung der verschiedenen Abschnitte des
Lidschlussreflexes. Nach unilateraler Stimulation der sensiblen trigeminalen Afferenzen sind im Oberflächen-EMG des
M. orbicularis oculi in der Regel zwei aufeinander folgende
Reflexantworten abzuleiten: eine frühe Komponente (R1), die
üblicherweise nur ipsilateral zu beobachten ist und eine späte
Komponente, die ipsi- (R2) und kontralateral (R2c) zum Reizort
abgeleitet werden kann (Abb. 2.3-1). Während die R1-Komponente kein klinisches Korrelat besitzt, entspricht die R2-Komponente dem sichtbaren Augenschluss durch Kontraktion des
M. orbicularis oculi. Zusätzlich kann bei stärkerer Stimulation
in Größenordnungen der 5- bis 6-fachen sensiblen Schwelle inkonstant auch eine dritte Reflexantwort ipsi- und kontralateral
registriert werden (Rossi et al. 1989), die jedoch aufgrund ihrer
deutlich schlechteren Reproduzierbarkeit keinen Eingang in die
klinische Routinediagnostik gefunden hat.
Anatomische und physiologische Grundlagen
Die periphere Afferenz des Blinkreflexes stellen sensible nozizeptive Anteile des N. supraorbitalis des ersten Trigeminusastes
dar. Die gemeinsame Efferenz aller Antwortkomponenten ist
der N. facialis. Nach verschiedenen topographischen MappingUntersuchungen erstreckt sich der zentrale Verlauf für die frühe
R1-Komponente nach Eintritt der trigeminalen Afferenzen vom
Herunterladen