Der HIV-Resistenz auf der Spur

Werbung
Diagnostik im Dialog • Ausgabe 45 • 12/2014 | HIV-Resistenz | Medizin
Der HIV-Resistenz auf der Spur
Dipl. Biotech. Anja Seffner, Dr. rer. nat. Michael Weizenegger und Dr. med. Jan Bartel,
MVZ Labor Dr. Limbach und Kollegen, Heidelberg
fotolia/ivan kmit
Unter dem Selektionsdruck eingenommener
Medikamente können
sich resistente HIVMutanten entwickeln.
Retroviren wie das HI-Virus besitzen keine
Proof-Reading-Aktivität in ihren Replikationssystemen, d. h. falsch eingebaute Nukleotide werden nicht entfernt. Mutationen sind
häufig und so entstehen permanent Gemische
aus genetisch unterschiedlichen Viren. Unter
dem Selektionsdruck eingenommener Medikamente bilden sich resistente Mutanten. Das
Ziel der Therapie ist daher, die Replikation der
Viren zu unterdrücken. Der Erfolg lässt sich
über den quantitativen Nachweis der HIVRNA kontrollieren. Kommt es unter Therapie
zum erneuten Anstieg der Viruslast, hilft die
Sequenzierung der Viren-RNA bei der Frage,
ob sich resistente Mutanten gebildet haben
und gegebenenfalls ein Medikamentenwechsel angezeigt ist. Bei dieser wichtigen Diagnostik ist das „Next Generation Sequencing“
(NGS) mit seiner höheren Sensitivität der traditionellen Sanger-Methode überlegen.
In Deutschland leben aktuell etwa 80 000
Menschen mit einer HIV-Infektion. Davon
befinden sich ca. 50 000 in einer antiviralen
Therapie.1 Seit Beginn der Epidemie sind weltweit mehr als 30 Millionen Menschen an den
Folgen einer AIDS-Erkrankung gestorben.2
HI-Viren können sich nur innerhalb einer
Wirtszelle vermehren. Die Infektion der
humanen Zellen geschieht durch Anlagerung von Virushüllproteinen an die CD4Rezeptoren von T-Helferzellen. Zwei Chemokin-Rezeptoren (CCR5 oder CXCR4)
unterstützen als Co-Rezeptoren den Eintritt des Virus in die Zelle. Sie überführen
die viralen Hüllproteine in eine für die
Membranfusion günstige Konformation.
Die eingeschleuste Virus-RNA wird von
der Reversen Transkriptase in DNA umgeschrieben und anschließend von der viralen
Integrase in das humane Genom im Zellkern
integriert.
Behandlung von HIV-Infektionen
Die Behandlung der HIV-Infektion erfolgt
mithilfe einer „Hochaktiven antiretroviralen Therapie“ (HAART). Ihr Ziel: die vollständige Hemmung der Virusreplikation
und somit die Senkung der Viruslast unter
die diagnostische Nachweisgrenze.
Das erste, für die HIV-Behandlung zugelassene, antivirale Medikament kam Ende der
1980er Jahre auf den Markt. Allerdings entwi-
ckelten die Patienten unter dieser Monotherapie schnell Resistenzen. Inzwischen wird mit
einer Kombination aus mehreren anti-retroviralen Wirkstoffen behandelt, um den Prozess des Viruseintritts und der Virusvermehrung zu hemmen. Anhand ihres Angriffsortes
im viralen Replikationszyklus werden folgende Medikamentenklassen unterschieden:
OProteasehemmer
OReverse-Transkriptase- (RT-) Hemmer
mit einer weiteren Unterteilung in Nukleosidische (NRTI) und Nicht-Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer
(NNRTI)
OIntegrasehemmer
OEntry Inhibitoren, die den Eintritt der
Viren in die humanen Zellen blockieren.
Etablierte Therapieregimes kombinieren
zwei NNRTI mit jeweils einem Proteasehemmer oder einem NRTI.3 Seit einiger
Zeit kommen zusätzlich Kombinationen mit
Integrasehemmern und Entry-Inhibitoren
zum Einsatz. Je effektiver die Hemmung der
Virusreplikation gelingt, umso besser kann
sich das Immunsystem erholen und die Progression zu AIDS verlangsamt werden.
13
Medizin | HIV-Resistenz | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 45 • 12/2014
Roche
Next Generation Sequencing
detektiert sensitiv medikamentenresistente Virusvarianten.
Das ermöglicht frühzeitige
Therapieanpassungen bzw. optimiert das initiale Therapieregime.
Die Replikation des Virusgenoms ist keiner Korrektur durch eine Exonuklease
unterworfen. Damit wird der Einbau eines
nicht-komplementären Nukleotids nicht
korrigiert. Nach den Ergebnissen verschiedener Studien liegt alleine die Fehlerrate
der RT bei etwa 3x10-5. Pro Replikation des
10-kB-Virusgenoms ergeben sich somit ca.
0,3 Nukleotidaustausche.4 Dabei entstehen
mehrheitlich „defekte“, nicht vermehrungsfähige Viren.
Resistenzen können entstehen, wenn die
Konzentration der Medikamente am Wirkort zu niedrig ist. Eine Ursache hierfür
kann die mangelnde Adhärenz des Patienten bei der Medikamenteneinnahme sein.
Auf molekularer Ebene sind Punktmutationen in den Genen der viralen Replikationsenzyme für die Resistenzen verantwortlich. Dadurch kann sich die Konformation
der Enzyme ändern. Als Folge versagt die
therapeutische Wirksamkeit der Medikamente und die HI-Viruslast im Blut steigt
an. Je länger dann mit geringerer antiviraler
Wirkung therapiert wird, desto mehr kann
sich diese Virus-Variante genetisch anpassen
(kompensatorische Mutationen) und in der
Gesamtpopulation ausbreiten. Werden bei
14
zwei aufeinanderfolgenden Viruslastbestimmungen Viren im Blut nachgewiesen, wird
dies als „virologisches Therapieversagen“
bezeichnet (Abb. 1).3
Die Wirkstoffklassen unterscheiden sich in
ihrem Vermögen, Resistenzen zu provozieren. Während bei einigen NNRTI eine einzelne gezielte Virus-Mutation für den Verlust
der therapeutischen Wirksamkeit ausreicht,
zeigen die Proteaseinhibitoren eine höhere
genetische Barriere. Sie werden erst dann
unwirksam, wenn ein Virus gleichzeitig mehrere Resistenzmutationen aufweist.
Goldstandard zur Identifizierung der für das
Therapieversagen verantwortlichen Gensequenzen ist bislang die Sanger-Sequenzierung. Hierbei werden allerdings Virusgemische sequenziert. Dadurch lassen sich
nur Virusvarianten mit einem Anteil
von mindestens 20 % an der Gesamtpopulation erfassen. Hier bieten die neuen
NGS-Techniken, z. B. auf dem GS Junior
Resistenzbildung bei HIV
Medikamenten-sensitive HI-Viren
Resistente Viren
Resistenztestung
HIV-Resistenzen können übertragen oder
erworben werden. In Deutschland beträgt
die Neuinfektionsrate mit bereits resistenten Viren etwa 10 %.5 Die Leitlinien der
Deutsch-Österreichischen AIDS-Gesellschaft (Stand Mai 2014) enthalten daher
folgende Empfehlungen für den Zeitpunkt
einer genotypischen Resistenztestung:
Oprimäre oder kürzliche Infektion
Ochronische Infektion, vor Therapiebeginn
Ovor Therapiewechsel
Oin oder nach einer Therapiepause
Obei umfangreicher antiretroviraler Vorbehandlung, nach Therapieversagen.
Therapiebeginn
Viruslast
Medikamentenresistenzen
Nachweisgrenze
Zeit
Abb. 1: Resistenzentwicklung im Krankheitsverlauf. Mit Beginn der Therapie fällt die
Viruslast ab, da Medikamenten-sensitive Viren
verschwinden. Im Therapieverlauf können sich
resistente Viren ausbreiten und die Viruslast
wieder steigen lassen.
Diagnostik im Dialog • Ausgabe 45 • 12/2014 | HIV-Resistenz | Medizin
System, deutliche Vorteile. Mithilfe der
klonalen Amplifizierung und hochparallelen Sequenzierung wird für jedes einzelne
Virus der Population eine Sequenz erzeugt.
Theoretisch können damit alle vorhandenen Varianten und Minoritäten (bis hin
zu einem einzigen Virusgenom) detektiert
werden. Ein eventueller Resistenznachweis
gelingt somit wesentlich früher. Für NNRTI
wurde gezeigt, dass auch Virus-Minoritäten
unterhalb der Detektionsgrenze der Sangersequenzierung klinische Relevanz haben
können.6
Das sehr kompakte GS Junior System produziert im Schnitt circa 100 000 Sequenzen
gleichzeitig, sodass mehrere Proben parallel
mit mehrfach tausendfacher „Abdeckung“
sequenziert werden können. Jeder Probe
wird während der vorbereitenden PCRSchritte eine spezifische Barcodesequenz
angehängt. Auf dieser Basis werden die
generierten Sequenzen nach Proben sortiert
und gegen eine Referenz aligniert. So lassen sich Unterschiede zum Wildtyp-Genom
finden. Um technische Artefakte zu eliminieren, fordert die Analysesoftware sowohl
die Bestätigung einer Mutation durch eine
Mindestanzahl von Einzelsequenzen als auch
das Auftreten der Mutation in beiden komplementären Strängen. Zuletzt bringt der
Abgleich der gefundenen Mutationen mit
einer Datenbank die Klassifizierung in resistenzrelevante und andere Co-Mutationen.
Die behandelnden Ärzte erhalten einen
Befund, der die nachgewiesenen Mutationen auflistet und nach ihrer Resistenzrelevanz klassifiziert. Zusätzlich enthält der
Befund Informationen, welche Medikamente diese Resistenzmutation beeinflusst
und welche Medikamente alternativ zur
Verfügung stehen.
Fazit
Die Forschung setzt NGS seit mehreren Jahren extensiv ein. In Diagnostiklaboratorien
steht die Technologie noch am Anfang ihrer
Anwendung. Doch auch hier wird das NGS
für immer mehr Indikationen entdeckt.
Im Falle der HIV-Infektion detektiert die
Methode der ultratiefen DNA-Sequenzierung medikamentenresistente Virusvarianten in therapieerfahrenen Patienten früher
und mit höherer Sensitivität. Das ermöglicht frühzeitige Therapieanpassungen. Im
Falle von behandlungsnaiven Patienten lässt
sich die initiale Wahl des Therapieregimes
verbessern.
Literatur
1Epidemiologisches Bulletin, Robert Koch-Institut: Ausgabe 11. Nov 2013 / Nr. 45
2http://www.unaids.org/en/media/unaids/contentassets/
documents/document/2011/20110204_HLM_Brochure_
en.pdf
3Deutsch-Österreichische Leitlinien zur antiretroviralen
Therapie der HIV-Infektion (Stand Mai 2014)
4Boyer J et al.: Proc. Natl. Acad. Sci. USA (1992); 89:6919–
6923
5Knyphausen F et al.: PloS ONE 9(5): e95956. Doi:10.1371/
journal.pone.0095956
6Simen et al.: JID 2009; 199:693–701
Das MVZ Labor Dr. Limbach & Kollegen in Heidelberg ist ein führender
Anbieter laboratoriumsmedizinischer
Diagnostik.
1979 gegründet, betreuen mehr als
50 Ärzte und Naturwissenschaftler am
Standort Heidelberg mit ihren Mitarbeitern Krankenhäuser und niedergelassene Kollegen in den Fachbereichen.
OMikrobiologie
OImmunologie
OInfektionsepidemiologie
OTransfusionsmedizin
OAnalytische Chemie
OHygiene
OUmweltmedizin
Das MVZ Dr. Limbach und Kollegen
ist Teil der „Limbach Gruppe“ mit
30 Standorten deutschlandweit. Damit
kann eine bundesweite, dezentralisierte
Diagnostik der Maximalversorgung
angeboten werden.
Korrespondenzadressen
Anja Seffner
Leiterin Sequencing
Unit Labor Limbach
[email protected]
Dr. rer. nat. Michael
Weizenegger
Leiter PCR-Diagnostik /
Molekulare Genetik
Dr. med. Jan Bartel
Ärztlicher Leiter
Abteilung für
Immunologie,
Infektionsserologie
und Genetik
Medizinisches Versorgungszentrum, Labor Dr. Limbach und Kollegen, Im Breitspiel 15, 69126 Heidelberg
15
Herunterladen