1 Allgemeine Infektionslehre Grundlagen 1 Der Baum des Lebens basierend auf rRNA-Sequenzdaten Eukaryoten Mensch Homo sapiens Würmer Mensch Tiere Würmer Eubakterien Pilze vor ca. 2 Mrd. Jahren: Erwerb von Mitochondrien Archaebakterien Pflanzen Apicomplexa (Plasmodium, Toxoplasma) Kinetoplastida (Trypanosoma, Leishmania) Eubakterien (medizinisch relevant) vor ca. 2,5 – 3 Mrd. Jahren: Entstehung von Mikrotubuli und Nuclei vor 3,5 – 4 Mrd. Jahren: LUCA („last universal common ancestor”) letzter gemeinsamer Vorläufer Diplomaden (Giardia) Mensch Diplomaden gemeinsames genetisches Erbe Abb. 1.2 „Der Baum des Lebens“, basierend auf rRNA-Sequenzdaten. numerischen Taxonomie ausgewertet werden. In der medizinischen Diagnostik werden die meisten Erreger aber immer noch überwiegend anhand ihrer mikroskopisch erkennbaren morphologischen Eigenschaften und den in der Kultur zu prüfenden physiologischen Merkmalen identifiziert. Moderne molekularbiologische Methoden gewinnen aber auch hierfür immer mehr an Bedeutung. 1.2.4 Kolonisation und Infektion – endogene und exogene Infektion Haut und Schleimhäute des Menschen sind je nach anatomischer Region mit unterschiedlichen Mikroorganismen besiedelt bzw. kolonisiert (s. u.), die in der Regel keine oder nur wenige Virulenzfaktoren exprimieren und deshalb keine (= apathogen) oder nur eine geringe Pathogenität (= fakultativ pathogen) besitzen. Die Gesamtheit aller den Menschen besiedelnden Mikroorganismen ist allein mit ca. 1014 Bakterien weit größer, als der Mensch Zellen besitzt (1013 Zellen) und wird als Mikrobiom bezeichnet. Es wird davon ausgegangen, dass das Mikrobiom einerseits die Oberflächenorgane Haut und Schleimhaut vor obligat pathogenen Mikroorganismen schützt und dass andererseits die Stoffwechselleistungen des Mikrobioms auch großen Einfluss auf die Gesundheit des Menschen haben. 19 MERKE Kolonisation: Besiedlung ohne klinische Symptome Infektion: Invasion mit nachfolgender Abwehrreaktion und/oder Schädigung. Beim Immungesunden stellen die intakte Haut und Schleimhaut zusammen mit ihren Abwehrmechanismen (z. B. Komplement, Lysozym, dendritische Zellen, sekretorisches IgA) eine natürliche Barriere gegen das Eindringen von potenziellen Krankheitserregern dar. Ist die Integrität der Haut oder Schleimhaut gestört (z. B. durch einen venösen Dauerkatheter oder durch Mikrotraumen) oder ist die Funktionalität der Abwehrmechanismen gestört, können – vor allem fakultativ pathogene – Mikroorganismen der eigenen Flora in den Körper eindringen und sich lokal oder systemisch ausbreiten. Endogene Infektionen Die Infektion durch Mikroorganismen der körpereigenen Flora wird als endogene Infektion bezeichnet. Beispiele für endogene Infektionen: Die Einnahme von nierengängigen Antibiotika kann zur Vaginalmykose führen, weil die mit dem Urin ausgeschiedenen antibakteriellen Wirkstoffe das Gleichgewicht der Flora im Urogenitalbereich zugunsten von auf der Schleimhaut vorkommenden Sprosspilzen verschieben können. Bei einer perforierenden Appendizitis kann eine Peritonitis durch die im Darmlumen vorkommenden Bakterien entstehen. 20 1 Grundlagen 1 Allgemeine Infektionslehre Exogene Infektion Die exogene Infektion findet stets durch Erreger statt, die von außen (= exogen) auf den Körper einwirken. Dabei handelt es sich meistens um fakultativ oder obligat pathogene Erreger, die eine ganze Reihe von Virulenzfaktoren exprimieren und dadurch eine lokale Infektion an der Eintrittspforte oder eine systemische Infektion hervorrufen. Bei einer exogenen Infektion lässt sich die Inkubationszeit meistens gut bestimmen, da der Kontakt mit dem infektiösen Agens leichter zu ermitteln ist. Als Inkubationszeit wird die Zeitspanne von der Infektion bis zum Entstehen erster klinischer Symptome bezeichnet. Da Krankheitserreger sich durch ihre jeweils spezifische Inkubationszeit zum Teil voneinander unterscheiden lassen, wird der Kenntnis der jeweiligen Inkubationszeiten bei der Diagnosestellung ein großer Stellenwert beigemessen. Beispiele für exogene Infektionen: Pneumonie durch aerogene Infektion mit Influenzaviren Diarrhö durch orale Infektion mit Salmonellen. Zeichen einer Entzündung Die endogene und exogene Infektion kann von einer Kolonisation prinzipiell dadurch unterschieden werden, dass bei Infektionen in der Regel Zeichen einer Entzündung nachweisbar sind. Die fünf Kardinalzeichen einer Entzündung sind: lokaler oder systemischer Temperaturanstieg (= Calor) vermehrte lokale Durchblutung (= Rubor) Einwanderung von Makrophagen, Leukozyten und anderen Entzündungszellen an den Ort der Infektion mit daraus resultierender Schwellung (= Tumor) Schmerz (= Dolor) und eventuell eingeschränkte Funktion (= Functio laesa). 2 Praxistipp Prägen Sie sich die 5 Zeichen einer Entzündung ein: Calor Rubor Tumor Dolor Functio laesa. Diese fünf Kardinalzeichen der Inflammation finden sich aber nicht nur bei Infektionen, sondern auch bei Malignomen, sodass Letztere eine wichtige Differenzialdiagnose bei unklaren Entzündungsparametern darstellen. ACHTUNG Entzündungszeichen treten auch bei Malignomen auf! Neben Fieber und einer Leukozytose sind ein CRPAnstieg, ein Anstieg des Procalcitonins (PCT) sowie eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) weitere Entzündungsparameter, die auf eine bakterielle Infektion hinweisen. Mit Ausnahme des PCT können sie aber auch bei Malignomen nachweisbar sein. 1.2.5 Die Übertragungswege Die meisten Erreger dringen durch die natürlichen Körperöffnungen des Menschen in den Körper ein und führen dann in den anatomisch betroffenen Organen bzw. Körperregionen zur klinisch manifesten Infektionskrankheit. Wir unterscheiden folgende Übertragungswege: Übertragung über die Atemwege oder durch den Speichel führt zu Nasen-Rachen-Infektionen und Pneumonien. Diese Infektionen sind nur durch Atemschutzmasken wirksam zu verhindern. Fäkal-orale Übertragung führt zu Gastroenteritiden. Entsprechende Infektionskrankheiten können durch öffentliche Gesundheitskampagnen und Hygienemaßnahmen (Händewaschen!) kontrolliert werden. Übertragung durch Kontakt mit kontaminierten Gegenständen, Erde etc. führt zu vielfältigen Infektionskrankheiten, wie z. B. nosokomiale Infektionen im Krankenhaus, Tetanus. Erstere sollten durch krankenhaushygienische Maßnahmen unterbunden werden. Übertragung durch Geschlechtsverkehr führt zu Geschlechtskrankheiten, die durch den Gebrauch von Kondomen verhindert werden könnten. Durch Identifizierung und Therapie des/der Geschlechtspartner(s) kontrollierbar – was aber aufgrund von sozialen Komponenten oft unmöglich ist. Parenterale (akzidentelle) Übertragung, z. B. über die Blutbahn, führt meist zu systemischen Infektionen, wie z. B. HIV oder Kathetersepsis. Bei den folgenden Übertragungswegen sind entweder Vektoren (z. B. Gliederfüßer [Arthropoden] oder Schnecken, die den Erreger übergangsweise beherbergen) notwendig oder/und es handelt sich um Zoonosen mit tierischem Reservoir: Vektoren: • Der Erreger lebt in einem Zwischenwirt und gelangt z. B. bei Bilharziose bzw. Schistosomiasis durch die intakte Haut in den Endwirt Mensch. • Der Erreger wird durch einen stechenden oder beißenden Arthropoden durch die Haut übertragen und führt zu lokalen oder systemischen Infektionen (z. B. bei Borreliose, Leishmaniose, FSME, Malaria). 1 Allgemeine Infektionslehre Infektionsimmunologie – Abwehr von Krankheitserregern • verhinderbar durch Vektorkontrolle bzw. Expositionsprophylaxe (z. B. Repellenzien, imprägnierte Moskitonetze). Zoonosen: Die Übertragung erfolgt durch Kontakt mit Vertebraten oder Sekreten von Vertebraten (tierisches Reservoir) und führt z. B. zu Brucellose, Leptospirose, Hanta-Fieber, Tollwut, Lassa-Fieber und Toxoplasmose. Eine Übertragung von Zoonosen durch Vektoren erfolgt z. B. bei Pest und Gelbfieber. Bei der Pest ist die Ratte das tierische Reservoir, das den infektionstragenden Vektor (Floh) beherbergt. 1.3 Infektionsimmunologie – Abwehr von Krankheitserregern 1 Key Point Im Rahmen der Evolution des Menschen hat der Kontakt mit Mikroorganismen zur Entwicklung eines kompliziert anmutenden Abwehrsystems geführt. Es muss in der Lage sein, effektiv zwischen körperfremd und -eigen unterscheiden zu können und mit ganzen Armeen fremder Eindringlinge fertig zu werden. Man unterscheidet angeborene Abwehrmechanismen vom erworbenen Immunsystem. Beide Systeme sind in ihren Funktionen eng miteinander vernetzt und bestehen aus zellulären und humoralen (löslichen) Komponenten. In diesem Lehrbuch kann das komplexe Feld der Immunologie nur in begrenztem Umfang abgehandelt werden. Für weiterführende Informationen ziehen Sie bitte Lehrbücher der Biochemie/Immunologie hinzu. 1.3.1 Woran erkennt das Immunsystem Krankheitserreger? Eine effektive Immunabwehr muss gezielt zwischen körpereigenen Strukturen und mikrobiellen oder anderen fremden Aggressoren unterscheiden können, um selektiv nur die für den Menschen schädlichen Zellen zu bekämpfen. Das Ausbleiben einer Immunantwort gegen körpereigene Bestandteile wird als immunologische Toleranz (S. 30) bezeichnet. Diese muss erst erworben werden. Mikroorganismen bestehen aus den unterschiedlichsten biochemischen Molekülen. Sie können unter bestimmten Bedingungen als Antigene wirken und immunologische Abwehrreaktionen des Körpers auslösen. Solche Antigene werden dann auch als Immunogene bezeichnet. MERKE Neben den biologischen Molekülen (Protein-, Kohlenhydrat-, Lipid- oder Nukleinsäurestrukturen) können auch chemisch-synthetisierte Stoffe antigene Eigenschaften aufweisen. Die Erkennungsmechanismen der angeborenen Immunabwehr Im Laufe der Entwicklung der Lebensformen hat sich auf der Stufe der Eukaryonten zunächst ein früher als unspezifisch bezeichnetes Immunsystem entwickelt – die angeborene bzw. natürliche Immunabwehr. Sie erkennt einen mikrobiellen Erreger quasi sofort als fremd, ohne vorher Kontakt mit ihm gehabt zu haben und stellt eine schnelle Sofortantwort auf fremde Eindringlinge dar. Dafür ist es jedoch erforderlich, dass spezifische Strukturen als „fremd“ erkannt werden. In der Tat hat sich dabei entwicklungsgeschichtlich eine Mustererkennung durchgesetzt, die als PAMP (= pathogen-associated molecular pattern) bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um konservierte Strukturen, die zwar beim mikrobiellen Eindringling, nicht aber beim menschlichen oder tierischen Wirt vorkommen (außer in den Membranen intrazellulärer Organellen). Zu PAMPs gehören beispielsweise Zellwand- bzw. Zellmembranbestandteile von Bakterien oder Pilzen Hitzestressproteine (HSP) virale Nukleinsäuren (ss- oder dsRNA) oder CpGDNA. PAMPs werden von den sogenannten PRR (= PatternRecognition Rezeptoren) erkannt, welche bei vielen Immunzellen vorkommen. Die PRR lassen sich in mehrere Untergruppen einteilen: Lösliche PRRs: Hierzu gehören das Mannose-bindende Lektin (MBL), das an zuckerhaltige bakterielle Membranoberflächen bindet und dadurch eine Komplementaktivierung bewirkt. Oberflächen-PRRs: Die TOLL-like-Rezeptoren (TLR) sind die wichtigsten auf der Oberfläche von Immunzellen vorkommenden PRRs. Sie wurden erstmalig bei der Taufliege Drosophila als wichtiger Bestandteil eines Kontrollsystems von Schimmelpilzinfektionen entdeckt und spielen eine zentrale Rolle in der natürlichen Immunabwehr von Mensch und Tier. TLRs werden von antigenpräsentierenden Zellen (z. B. Makrophagen, dendritische Zellen) exprimiert. Die bisher bekannten TLRs reagieren selektiv mit verschiedenen PAMPs und bewirken dann als Signalübermittler durch Aktivierung bestimmter Gene eine verstärkte Produktion definierter Zytokine. Hierdurch wird die Aktivierung der erworbenen Immunabwehr eingeleitet und reguliert. Bisher sind 10 TLRs be- 21 1 22 1 Infektionsimmunologie – Abwehr von Krankheitserregern kannt, wovon z. B. TLR4 mit dem Lipopolysaccharid (LPS) gramnegativer Bakterien reagiert und dadurch eine wesentliche Rolle bei der Auslösung des septischen Schocks spielt. Intrazelluläre PRRs: Diese PRRs sind im Gegensatz zu den TLR im Zytoplasma von Immunzellen lokalisiert. Hierzu gehören die NOD-like Rezeptoren (NLR) und die RIG-I-like Rezeptoren (RLR), die nach Erkennung spezifischer Pathogene die Aktivierung der Immunzellen bewirken. Während NLR Bakterien erkennt, dienen RLR vor allem der Identifizierung von dsRNA-Viren. MERKE TOLL-like-Rezeptoren (TLR) sind eine wichtige Untergruppe der Pattern-Recognition-Rezeptoren (PRR) und erkennen bestimmte Bestandteile mikrobieller Erreger. Die Erkennung erfolgt anhand des sogenannten „pathogen-associated molecular pattern“ (PAMP). Die Erkennungsmechanismen der erworbenen Immunabwehr Die erworbene Immunabwehr (früher auch als spezifische Immunabwehr bezeichnet) hat sich in der Evolution später entwickelt als die angeborene Immunität. Sie baut ein immunologisches Gedächtnis (Memory) auf, das als schnelle Verteidigungsstrategie gegen einen Zweitangriff durch bereits bekannte Erreger dient. Bei der erworbenen Abwehr werden u. a. Antikörper und T-Zellen gebildet, die spezifisch mit bestimmten Regionen des Antigens reagieren. Diese vom Antikörper bzw. T-Zell-Rezeptor erkannten Regionen werden als Epitope bezeichnet und bestehen oft aus weniger als 10 Aminosäuren. Man unterscheidet zwischen linearen Epitopen (Primärstruktur des Proteins = hintereinander liegende Aminosäuren) und konformationellen bzw. strukturellen Epitopen. Letztere kommen dadurch zustande, dass aufgrund der Tertiärstruktur des Proteins Aminosäuren in eine räumliche Nähe zueinander gelangen, obwohl sie in der Primärstruktur nicht sequenziell nebeneinander liegen. MERKE Die erworbene Immunabwehr erkennt Fremdstrukturen über Rezeptoren (T-Zell-Rezeptoren = TCR, B-ZellRezeptoren = BCR), deren Gene somatisch rekombiniert sind. 1.3.2 Die Bausteine der Immunabwehr Die Abwehr fremder bzw. potenziell schädlicher Lebensformen setzt sich aus physikalischen, zellulären und löslichen Faktoren bzw. Mechanismen zusammen (Tab. 1.3). Diese werden im Folgenden erläutert. 1 Allgemeine Infektionslehre Tab. 1.3 Wichtige Abwehrsysteme des menschlichen Körpers. Abwehrsystem Beschreibung physikalische Abwehrmechanismen mechanische Barrieren: Haut und Schleimhaut Abtransport: Flimmerepithelien des oberen Respirationstraktes Peristaltik des Darms Harnblasenentleerung Verdrängung: Kontrolle potenziell pathogener Keime durch das Mikrobiom (Normalflora) pH-Veränderung der Vagina durch Laktobazillen zelluläre Abwehrfaktoren angeborene Immunität: Granulozyten Monozyten → Makrophagen Eine Sonderstellung nehmen NK-Zellen ein. humorale Abwehrfaktoren erworbene Immunität: T-Zellen B-Zellen angeborene Immunität: Lysozym im Speichel und in der Tränenflüssigkeit Salzsäure und Proteasen des Magens kurzkettige Fettsäuren im Schweiß Komplementsystem erworbene Immunität: Antikörper Physikalische Abwehrmechanismen Mechanische Barrieren Eine der Hauptfunktionen von Haut und Schleimhaut besteht in der Verhinderung des Eindringens potenziell pathogener Keime in tiefere Gewebeschichten. Die Wirkung dieser mechanischen Barriere wird unterstützt durch die nachfolgenden physikalischen Abwehrmechanismen, sowie durch die im Schweiß und im Schleimhautsekret enthaltenen antimikrobiell wirksamen Substanzen. MERKE Haut und Schleimhaut verhindern das Eindringen pathogener Keime in tiefere Gewebeschichten. Abtransport Der menschliche Körper verfügt über mehrere Strategien, um potenziell pathogenen Erregern trotz ihres Eindringens in Körperöffnungen (vor allem durch Mund, Nase und Harnröhre) eine Invasion ins Gewebe zu erschweren. Dazu zählt z. B. die synchrone Bewegung des Flimmerepithels im Nasopharynx und oberen Respirationstrakt, die eingedrungene Fremdkörper (z. B. Schmutzpartikel oder Mikroorganismen) nach außen transportiert, um die Lungenalveolen zu schützen. In den Gastrointestinaltrakt vorgedrungene Krankheitserreger werden mithilfe der Darmperistaltik möglichst rasch nach außen transportiert; in diesem Sinne ist sicher auch eine 1 Allgemeine Infektionslehre Infektionsimmunologie – Abwehr von Krankheitserregern Durchfallsymptomatik bei obligat pathogenen Darmerregern u. a. als Abwehrstrategie des Körpers anzusehen. Gleichermaßen bewirkt der Harnfluss im Sinne eines Spüleffekts einen Schutz vor einer retrograden Aszension uropathogener Keime über die Urethra. Verdrängung Die auf der Haut und der Schleimhaut anzutreffende Normalflora wird auch als Mikrobiom bezeichnet und stellt einen wichtigen Schutz dar, da sie die Kolonisierung mit potenziell pathogenen Keimen z. B. durch folgende Mechanismen unter Kontrolle hält (Kolonisierungsresistenz): Kompetition um Nahrungsstoffe Bildung mikrobizider Komponenten (Bacteriocine). Das Mikrobiom des Kolons nimmt außerdem eine probiotische Funktion wahr, weil es für die Produktion von Vitamin K und des Vitamin-B-Komplexes sowie für die Bildung kurzkettiger Fettsäuren von eminenter Bedeutung ist. Für die Entwicklung des mukosaassoziierten lymphatischen Immunsystems (MALT = Mucosa-Associated Lymphoid Tissue) ist ebenfalls die normale Darmflora notwendig. Schließlich sei auf die Veränderung der Vaginalflora im fortpflanzungsfähigen Alter verwiesen: In dieser Lebensphase besteht die Vaginalflora überwiegend aus Laktobazillen (Döderlein-Flora), die das unter Östrogeneinfluss in der Scheide gebildete Glykogen zu Milchsäure abbauen und dadurch ein saures Milieu (pH 4,0–4,5) schaffen. Dies stellt einen Schutz zur Abwehr aszendierender Infektionen während einer eventuellen Schwangerschaft dar. Die zellulären Abwehrfaktoren Die für die Immunabwehr bedeutsamen Zellen entstehen aus hämatopoetischen pluripotenten Stammzellen des Knochenmarks. Hierbei wird zwischen den myeloischen und den lymphatischen Stammzellen unterschieden. Zellen der angeborenen Immunabwehr Aus den myeloischen Stammzellen entstehen u. a. Granulozyten und Monozyten. Sie können den Erreger durch Phagozytose direkt zerstören oder durch die Produktion von Zytokinen oder Immunmodulatoren die Immunreaktion des Menschen beeinflussen. Das Inflammasom ist ein zytosolischer Proteinkomplex, der in Granulozyten und Makrophagen vorkommt und vor allem durch Pathogenbestandteile stimuliert wird. Dadurch wird letztendlich das Enzym Caspase-1 aktiviert, welches das proinflammatorische Zytokin Interleukin (IL)-1ß aktiviert und dadurch eine Entzündungsreaktion auslöst. Monozyten Sie machen 2–8 % der kernhaltigen Blutzellen aus und zirkulieren hier für ungefähr 24 Stunden. Danach wandern sie in das Gewebe ein, um je nach Antigenkontakt in dendritische Zellen oder in gewebsspezifische residente Makrophagen (antigenpräsentierende Zellen (S. 27)) zu differenzieren, wie z. B. Langerhans-Zellen der Haut Histiozyten des Bindegewebes Alveolarmakrophagen der Lunge Kupferzellen der Leber Mesangiumzellen der Niere oder Mikrogliazellen des Gehirns. Granulozyten Der Anteil der segmentkernigen Granulozyten im Blut liegt zwischen 60 und 70 %, wobei neutrophile Granulozyten den Großteil ausmachen. Nach Aktivierung durch Zytokine können sie aus den Blutgefäßen in das infizierte Gewebe einwandern. Ihre Funktion als professionelle Phagozyten der ersten Abwehrlinie üben sie dabei mithilfe der von ihnen gebildeten mikrobiziden Substanzen aus. Dazu gehören: reaktive Sauerstoffradikale (reaktive oxygene Intermediärprodukte = ROI) die stimulationsabhängig aus den Granula ausschüttbaren Enzyme Lysozym und Proteasen Defensine und Entzündungsmediatoren (z. B. Prostaglandine, Leukotriene und Interleukin-8) Sauerstoffabhängige mikrobizide Abwehrsysteme, wie z. B. Stickstoffoxidsynthetase (NOS), die NADPH-Oxidase, die Myeloperoxidase (MPO) und die Haber-Weiss-Reaktion (Abb. 1.3); die dabei entstehenden Verbindungen (Superoxid = O2–, Hydroxylradikal = OH•, Hypochlorid = OCl– und Stickstoffmonoxid = NO•) haben ein mikrobizides Potenzial und sind z. T. in weitere chemische Reaktionen eingebunden (s. Lehrbücher der Biochemie). NO-Synthetase Arginin NADPH + O2 H2O2 + CI− NADPH-Oxidase Myeloperoxidase Citrullin + NO˙ NADP + O2− + H+ OCI− + H2O Haber-Weiss-Reaktion: O2− + Fe3+ O2+ Fe2+ Fe2+ + H2O2 Abb. 1.3 OH˙+ OH− + Fe3+ Sauerstoffabhängige mikrobizide Abwehrsysteme. Erst vor wenigen Jahren wurden die NETs (= Neutrophil Extracellular Traps) entdeckt. Dabei handelt es sich um ein Netz von Chromatin und Histonen, das von neutrophilen Granulozyten explosionsartig freigesetzt wird, um mikrobielle Eindringlinge effektiv zu fangen und anschließend mithilfe weiterer Granulozytenproteine zu töten. γδ-T-Zellen Die auf der Schleimhaut vorkommenden γδ-T-Zellen stellen insofern eine Besonderheit 23 1