WENN MIGRANTEN/INNEN ZU PATIENTEN/INNEN WERDEN Anregungen und Impulse für den Pflegealltag Impressum: Qualitätsprojekt der Pflegedirektion 2006 Projektleiterin Emanuela Pattis Redaktion: KrankenpflegerInnen Krankenhaus Brixen - Sonja Eichbichler - Anna Oberhollenzer - Simeon Pfattner - Anni Pürgstaller - Monika Silbernagl - Irene Töll Unterstützung und Mithilfe: Frau Dr. Rukhsana Kausar; Pakistan; Volontärsärztin Medizin Krankenhaus Brixen Korrekturleserin Frau Erna Stockner Santifaller Auszug aus dem Deontologischen Kodex für KrankenpflegerInnen Art. 2: Ethische Grundsätze des Krankenpflegeberufs 2.2 Zu den wichtigsten Pflichten des/der Krankenpflegers/in gehört die Achtung der Menschenrechte und der ethischen Grundsätze des Krankenpflegeberufs 2.4 Der/die Krankenpfleger/in nimmt Rücksicht auf die religiösen, ideologischen und ethischen Werte sowie auf die Kultur und das Geschlecht eines jeden Menschen Genfer Deklaration des Weltärztebundes Die Genfer Deklaration wurde im September 1948 auf der 2. Generalversammlung des Weltärztebundes in Genf, Schweiz verabschiedet. Sie soll eine zeitgemäße Version des Eid des Hippokrates darstellen und wurde mehrfach revidiert (1968, 1983, 1994, 2005 und 2006 Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand: Ich gelobe feierlich mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen; Ich werde meinen Lehrern die Achtung und Dankbarkeit erweisen, die ihnen gebührt; Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben; Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein; Ich werde die mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wahren; Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten; Meine Kolleginnen und Kollegen sollen meine Schwestern und Brüder sein; Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale Stellung; Ich werde jedem Menschenleben von seinem Beginn an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden; Dies alles verspreche ich feierlich, frei und auf meine Ehre. Vorwort Vorwort der Pflegedirektion Der Anteil an PatientenInnen aus anderen Kulturkreisen hat im Sanitätsbezirkes Brixen stark zugenommen. Die KrankenpflegerInnen und PflegehelferInnen unseres Sanitätsbetriebes kennen die kulturellen Unterschiede zu wenig. Deshalb gibt es auch oft Schwierigkeiten und Unsicherheiten in der Betreuung der PatientenInnen und deren Angehörigen. Vor allem in den Bereichen Intimsphäre, Geburt, Ernährung und Sterben gibt es große Informationsdefizite; in der Folge werden dann auch unbewusst „Fehler“ gemacht, und es kann zu Spannungen bei PatientenInnen, Angehörigen und dem Pflegepersonal kommen. Auf Initiative der Pflegedirektion wurden 2004 und 2005 einige Fortbildungsveranstaltungen zum Thema „Transkultureller Pflege“ organisiert. Diese Veranstaltungen waren gut besucht und wurden auch gut angenommen, konnten aber nicht den ganzen „Wissensdurst“ der direkt an der Pflege beteiligten MitarbeiterInnen stillen. Deshalb nun der Versuch, mit dieser Broschüre auf die sehr vielen Fragen zur Betreuung und Pflege von MigrantenInnen Antworten zu geben. Die Broschüre dient allen MitarbeiterInnen des Sanitätsbetriebes Brixen als Unterstützung und als kleines Nachschlagewerk und ist kein Ersatz für umfassende und wissenschaftliche Lektüre zur Transkulturellen Pflege. Jenen MitarbeiterInnen, die an dieser Broschüre beteiligt waren ein großes Lob und herzlichen Dank für die umfassende, klare und einfache Darstellung der einzelnen Themenbereiche. Emanuela Pattis Pflegedirektion Sanitätsbezirk Brixen Vorwort des Sanitätskoordinators Der Umgang mit Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichen Lebensgeschichten und unterschiedlichen individuellen und soziokulturellen Prägungen ist nicht einfach. Konflikte bleiben daher nicht aus, ihre Abwesenheit würde in einem so heterogen geprägten Lebensraum sogar verwundern. Um mit Spannungen, Ungereimtheiten und manchmal bedrohlich erscheinenden Fremdheiten umzugehen, bedarf es einer fortwährenden Reflexion. Die Migration ist ein Phänomen mit vielschichtigen Ursachen, dessen Bedeutung in Zukunft noch deutlich zunehmen wird. Es zu ignorieren und sich nicht entsprechend darauf einzustellen wäre ein fataler Fehler. Das Gesundheitswesen ganz allgemein, die Abteilungen und Dienste aber letztlich jeder/jede einzelne MitarbeiterIn werden von dieser Entwicklung nicht ausgespart. Im Gegenteil, wenn es um das sensible Thema des eigenen Wohlbefindens geht, gewinnen die sprachlichen und kulturellen Unterschiede massiv an Relevanz. Die Konfrontation mit Fremden bedeutet eine Bereicherung für unser Wissen über die Welt, aber auch eine Auseinandersetzung mit den eigenen soziokulturellen Prägungen, ihren Beschränkungen und ihren Relativitäten. Die Frage nach der Gültigkeit unserer kulturell und individuell geformten Vorstellung von Gesundheit, Krankheit, Geburt und Tod wird aufgeworfen. Letztlich sind wir dazu aufgefordert, die Ursachen für Probleme mit Migrantinnen und Migranten nicht in der kulturellen Fremdheit der Patienten zu vermuten, sondern in der grundsätzlichen Schwierigkeit, kulturelle Faktoren im Umgang mit diesen Menschen mit zu berücksichtigen. Die vorliegende Broschüre kann das Problem allgemein und in den Gesundheitseinrichtungen im besonderen sicherlich nicht erschöpfend behandeln. Sie stellt aber einen einfachen Leitfaden dar, welcher anhand von konkreten Beispielen in die Thematik einführt und praktische Lösungsansätze aufzeigt. Sie ist ein wichtiger Mosaikstein auf dem Weg zu einer besseren und angepassteren Betreuung unserer ausländischen Patientinnen und Patienten. Ich möchte der Pflegedirektion für die Initiative und allen, die bei der Entstehung dieser Broschüre mitgearbeitet haben, meine Anerkennung und meinen Dank aussprechen. Den Lesern aber wünsche ich viel Offenheit und Toleranz, damit die Migration nicht als Bedrohung sondern einfach auch als Chance gesehen werden kann. Der Sanitätskoordinator Dr. Karl Lintner INHALTSANGABE Beweggründe der VerfasserInnen Seite 8 Was bedeutet Transkulturelle Pflege? Seite 11 2.1 Magisch – religiöse Kausalitätstheorie Seite 12 2.2 Der Böse Blick Seite 13 Die Pflegeanamnese im Migrationskontext Seite 14 Seite 15 3 3.1 Fragen, die sich Pflegende beim Eintrittsgespräch mit MigrantenInnen stellen sollten Das Händeschütteln Seite 16 Die Kommunikation Seite 17 5.1 Fallbeispiel 5.2 Schwierigkeiten im Krankenhausalltag 5.3 Vorschläge für Problemlösungen Seite 18 5.4 Die Dolmetschertätigkeit Medizinisch – therapeutische Maßnahmen Seite 19 6.1 Fallbeispiel 6.2 Abtreibung Seite 20 6.3 Beschneidung Seite 21 6.4 Künstliche Befruchtung Seite 22 6.5 Sterilisation 6.6 Verhütungsmittel Essen und Trinken Seite 23 7.1 Fallbeispiel 1 7.2 Fallbeispiel 2 7.3 Das Fasten im Monat Ramadan Krankenhausbesuche und Schmerzäußerungen Seite 24 Seite 25 8.1. Fallbeispiel Die Rituelle Reinheit Seite 26 Die muslimische Frau im Krankenhaus Seite 27 Seite 28 10.5 Intimsphäre und Schamgefühl Seite 29 10.6 Schwangerschaft und Geburt Seite 30 Seite 31 Seite 32 Seite 33 Seite 34 Seite 35 Seite 36 12. Kinder mit Behinderung Seite 37 13. Tod und Sterben Seite 38 Seite 40 Seite 41 Seite 42 10.1 Fallbeispiel 10.2 Fallbeispiel 10.3 Die Bekleidung 10.4 Die Körperbehaarung 10.6.1 Fallbeispiel 10.6.2 Die Bedeutung von Schwangerschaft und Geburt 10.6.3 Das Wissen über den Vorgang bei Befruchtung und Schwangerschaft 10.6.4 Maßnahmen der Frau sofort nach der Geburt und in den darauffolgenden Tagen 10.6.5 Maßnahmen am Kind unmittelbar nach der Geburt 10.6.6 Die Waschung des Neugeborenen 10.6.7 Das Stillen 10.6.8 Die Stillpositionen und das Stillwissen 10.6 9 Die Besonderheiten beim Stillen 10.6.10 Folgerungen für die Pflege Migrationskinder 11.1 Fallbeispiel Persönliche Anregungen von KollegenInnen, die eine transkulturelle Pflegefortbildung absolviert haben Anregungen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen dem Personal und muslimischen Patienten/Innen von Frau Dr. Rukhsana Kausar, Volontariatsärztin Medizin Krankenhaus Brixen 16 Literaturverzeichnis 1.1 Beweggründe zum Verfassen der Broschüre aus der Sicht der/s Autorinnen/Autors Stetiges Ansteigen der Zahl ausländischen Patienten (stärkere Konfrontation mit dem Thema) Hilflosigkeit Unverständnis (nicht nur auf verbaler Ebene) Sensibilisierung der MitarbeiterInnen Zusätzliche Herausforderung für die Pflege Unvorhergesehene Probleme und Änderungen in der Pflege Krankenhausalltag wird internationaler Mehr Hintergrundwissen erforderlich, um optimale Pflege zu gewährleisten Mehr Offenheit und Interesse seitens der Pflegepersonen (größere Bereicherung auch für sie selbst) Ausländer (Moslem) ist nicht gleich Ausländer (Moslem) Auf Anregung von der Pflegedienstleiterin Frau Emanuela Pattis haben wir unser Wissen und mehrere Erfahrungen zusammengetragen und daraus eine Informationsbroschüre für die MitarbeiterInnen des Sanitätsbetriebes Brixen verfasst. Dies sind die Gründe, die uns dazu bewogen haben, Fallbeispiele darzulegen und Hilfestellungen auszuarbeiten. Wie können wir Pflegende, Hebammen und alle im Gesundheitsbereich Tätigen auf die gesundheitsbezogenen Bedürfnisse und Lebenswelten von MigrantenInnen situations- und kontextgerecht eingehen? Wie können wir unsere transkulturelle Kompetenz erhöhen? Welche Themen und Probleme stehen in der Arbeit mit MigrantenInnen im Mittelpunkt? Wir haben uns Gedanken zu diesen Fragen gemacht und versucht anhand von Fallbeispielen, die jeder in ähnlicher Form vom eigenen Pflegealltag her kennt, verschiedene Probleme aufzuzeigen und Erklärungen sowie evtl. Lösungsmöglichkeiten zu geben. Es sollen keine Rezepte sein, sondern Tipps und Anregungen, um Missverständnisse zu vermeiden und die Verständigung zwischen Patienten anderer Kulturen und uns Pflegenden bzw. Hebammen zu erleichtern. Unsere Pflicht als Krankenpfleger/Innen ist es, das Wohl eines jeden Menschen/Klienten, unabhängig von dessen Nationalität, Religion und Kultur, an die erste Stelle zu setzen. Dies ist im deontologischen Kodex Art. 2.4. verankert: Sonja Eichbichler; Krankenpflegerin; Anästhesie, Krankenhaus Brixen „Im Zuge meiner Ausbildung zur diplomierten Krankenpflegerin, verbrachte ich eines meiner letzten Praktika auf der Gynäkologie im Brixner Krankenhaus. Dort wurde ich intensiv mit der Ausländerfrage konfrontiert, da muslimische Patientinnen zum Alltag dieser Station gehören. Ich konnte mir ein vages Bild von deren Bedürfnissen und Wünschen machen. Außerdem verfasste ich meine Diplomarbeit zum Thema „Die Wochenbettpflege der muslimischen Frau und die Pflege des Neugeborenen. Eine Hilfe zum besseren Verständnis muslimischer Patientinnen“. Die fremden Sprachen, die Unterschiede in der äußeren Erscheinung und in den Lebensgewohnheiten, die uns fremden Religionsausübungen und die sozialen Hintergründe andersgläubiger Mitmenschen erfordern vom Krankenpflegepersonal immer mehr Hintergrundwissen und Informationen, um ihnen eine optimale Begleitung und Betreuung gewährleisten zu können. Durch diese Broschüre möchten wir helfen Vorurteile und Missverständnisse abzubauen und eine Brücke zwischen den Kulturen schaffen. Anna Oberhollenzer; Krankenpflegerin; Abteilung Rehabilitation, Krankenhaus Brixen „Meine Begegnung mit den ROMA vor ca. 9 Jahren führte mich in die Fachbibliothek der OEW. Ungefähr seit dieser Zeit arbeite ich als ehrenamtliche Mitarbeiterin in der „Organisation für eine Solidarische Welt – OEW“ mit. Ein persönliches Erlebnis hat mich in meinen Anschauungen sehr geprägt: Alle sitzen in einem Kreis zusammen. In der Mitte war ein Tisch mit vielen Gegenständen. Jede/r von uns hatte nun die Aufgabe alles so zu zeichnen wie es sich repräsentierte. Jede/r zeichnete die Dinge so, wie sie aus ihrem/seinem Blickwinkel zu sehen waren“. Simeon Pfattner, Krankenpfleger; Erste Hilfe ,Krankenhaus Brixen Ich bin in einer multikulturellen Großfamilie aufgewachsen, in der ständig Menschen aus anderen Ländern und Kontinenten, jedoch alle katholischer Konfession, mitlebten. Daraus entstand sehr früh ein Interesse an „Anderen“. Erste Kontakte mit andersgläubigen, muslimischen, „Wanderhändlern“ vor ca. 15 – 20 Jahren. Wohngemeinschaft im Kolpinghaus während eines Praktikums in Sterzing, mit Moslems aus Pakistan, Marokko, Tunesien. Viele diskussionsreiche Abende in der Gemeinschaftsküche. Konfrontation mit muslimischen PatientenInnen im Krankenhaus während der Praktika. 2001 schrieb ich meine Diplomarbeit zum Thema „Sterben und Tod im Islam“ Heute arbeite ich in der Ersten Hilfe und bin mehr denn je mit muslimischen PatientenInnen konfrontiert. Anni Pürgstaller; Krankenpflegerin; Gyn./Geburtshilfe, Krankenhaus Brixen In meiner täglichen Arbeit arbeite ich sehr oft mit muslimischen Patientinnen. In ihren Herkunftsländern sind sie eingebettet in ein großes Netz von sozialen Beziehungen, durch das sie sowohl bei Schwangerschaft und Geburt, als auch bei Krankheit große Hilfe erfahren. Diese Unterstützung vermissen sie sehr oft in einem fremden Land mit einem anderen Kulturkreis. Deshalb habe ich großes Verständnis mit muslimischen Patientinnen und möchte dazu beitragen, dass sie sich bei uns wohl fühlen. Aus diesem Grund besuchte ich eine viertägige Fortbildung über „Transkulturelle Pflege“; Referentin war Frau Dr. Christine Binder. Monika Silbernagl; Hebamme; Krankenhaus Brixen „In meiner täglichen Arbeit als Hebamme kenne ich die Herausforderungen in der Arbeit mit muslimischen Patientinnen und deren Ehepartnern und Angehörigen. Ich setze mich für die Integration der MigrantenInnen in unserer Gesellschaft ein. Ich interessiere mich für ihre Sitten und Gebräuche. Ich habe Kontakte geknüpft, habe mich eingelesen, damit ich die Kulturunterschiede besser verstehen kann um Barrieren abzubauen. Irene Töll; Kinderkrankenpflegerin; Pädiatrie, Krankenhaus Brixen „Bei der Pflege und Betreuung von MigrantenInnen – Kindern und deren Eltern – bin ich häufig mit diversen Schwierigkeiten konfrontiert. Oftmals sind es Missverständnisse auf beiden Seiten. Ein besseres „sich verstehen“ ist mir ein besonderes Anliegen. Aus diesem Grund besuchte ich eine viertägige Fortbildung über „Transkulturelle Pflege“; Referentin war Frau Dr. Christine Binder. „Eine ernstgenommene transkulturelle Perspektive muss zunächst an jedem Einzelnen ansetzen. Das Hinterfragen des Eigenen gilt als Voraussetzung für das Verstehen des Anderen. Eine transkulturelle Pflegekompetenz beinhaltet dementsprechend eine wohlwollende Neugier für das Erkennen des Eigenen, das Verstehen des Anderen bzw. Fremden und die Bereitschaft zur Um- und Neuorientierung pflegerischer Handlungen und Verhaltensmuster. Transkulturelle Kompetenz bezieht sich auf eine bestimmte Form, das aktuelle Wissen zu interpretieren, zu hinterfragen und nötigenfalls neu zu ordnen. Transkulturelle Kompetenz beschreibt eine neue Qualität, die das eigene Tun und Denken reflektiert“. 2. WAS BEDEUTET TRANSKULTURELLE PFLEGE? Die Krankenpflege in einem Land ist geprägt durch ihr kulturelles Umfeld und durch den sozialen Hintergrund der Pflegenden. Schon innerhalb der eigenen Kultur kann es zu schicht-spezifischen Missverständnissen und Kommunikationsstörungen kommen. Wir neigen außerdem alle dazu, interkulturelle Missverständnisse nicht als solche zu erkennen. Sie werden oft als Mangel an gutem Benehmen oder gar als Charakterfehler des Anderen interpretiert. Dabei bedarf es lediglich der notwendigen Informationen über eine Kultur, um dies zu verhindern. Es gibt kulturell bedingt unterschiedliche traditionelle Konzepte für die Ursache einer Krankheit und das Verhalten der Kranken und seiner Umwelt. Trotzdem ist der Mensch nicht nur auf seine kulturelle Identität reduziert. Der Mensch wird auch geprägt durch seine Religion, soziale Schicht, Herkunft, Bildung, sein Geschlecht usw. Hier entsteht ein sehr individuelles Gefüge, das in kein kulturelles Schema passt. Ausländische Mitbürger können besonderen gesundheitlichen Belastungen unterliegen, wenn sie z.B. hier leben und arbeiten. Häufig werden psychosomatische Erkrankungen wie Magengeschwüre, Kopfschmerzen etc. festgestellt. Bedingt durch die Sprachbarriere sowie missverständliche Äußerungen und Erwartungen, z.B. für unsere Kultur übertriebene Schmerzäußerungen, werden Fehldiagnosen gestellt. Weiterhin verläuft die Therapie oft anders, als die ausländischen Patienten/Innen sich das vorgestellt haben, und sie sind unzufrieden, was für den Heilungsprozess nicht förderlich ist. M. Leininger fordert daher einige kulturelle Besonderheiten zu kennen, um konkrete Maßnahmen in der Pflege einleiten zu können.* * Zitat aus PTP Domanigg Dagmar 2.2 Magisch - religiöse Kausalitätstheorie Islam bedeutet Frieden und Unterordnung zum Willen Gottes (Allah). Moslems glauben an einen Gott (Allah) und den letzten Boten – Mohamed. Für gläubige Muslime sind Alltag und Religion unauflöslich miteinander verbunden. Tages- und Jahresrhythmus werden von Gebeten und religiösen Festen bestimmt. Für alle Lebenslagen hält der Koran eine Sure bereit: Gebete für die Gesundheit, vorbeugend oder während der Erkrankung zu sprechen, gegen Ängste, bei Streitigkeiten usw. Religiosität ist lebendiger Teil des Alltagslebens. Gesundheit ist der größte Segen den Gott den Menschen gibt. Moslems empfangen eine Krankheit mit Geduld und Gebeten, sie werden jedoch auch angeregt Behandlung und Pflege zu suchen. Der Islam sieht die Krankheit als einen unnatürlichen Zustand, der bestimmte Organe des Körpers befällt. Nicht gebildete und unwissende Menschen glauben, dass Krankheit als eine Bestrafung durch Allah zu sehen ist. Laut dem Koran ist eine Krankheit aber nicht die Bestrafung vom Himmel durch den Zorn Gottes, sondern eher eine Prüfung, als Ablass für die begangenen Sünden. Eine Muslime, die befragt wurde, warum sie glaube, dass genau sie ein behindertes Kind habe, antwortete: „Ich habe mich oft gefragt, ob ich in meinem Leben Fehler gemacht habe, ob ich eine schlechte Muslime sei, ob ich eine große Sünde begangen habe, aber ich habe keine Antwort gefunden.“ Eine andere Frau fühlt sich aufgrund einer Abtreibung, die sie vor der Geburt ihrer Tochter hat vornehmen lassen, schuldig und schließt die Möglichkeit nicht aus, dass die Behinderung ihrer Tochter letztlich eine Strafe Allahs sei. 2.3 DER BÖSE BLICK / EL NAZAR / AYIN HARSCHA / IL MALOCCHIO Die Angst vor dem Bösen Blick ist uralt und weltweit in den meisten Kulturen zu finden. Interessant ist die Tatsache, dass sich dieses Phänomen in den verschiedensten Kulturkreisen oft ähnlich entwickelt hat, auch wenn diese räumlich in keinerlei Verbindung stehen. Der Böse Blick ist eine Art Fluch, mit dem ein Kind, ein Nutztier, die Ernte usw. von jemandem belegt wird. Er kann in einem Lob stecken oder darin, dass jemand voller Neid angeschaut wird. Zahlreiche Rituale wurden entwickelt, um die Wirkung des Bösen Blicks aufzuheben. Ein gelobtes Kind wird sofort mit Speichel oder Schmutz eingerieben. Lob oder Begeisterung über das schöne Kind werden energisch zurückgewiesen. Ein dicker, schwarzer mit Kajal gezogener Lichtstrich ist auch schon beim Neugeborenen als Schutzmechanismus zu verstehen. In manchen Gegenden Indiens und Pakistans kennt man dieses Anmalen auch bei Erwachsenen. Dieser Brauch ist nicht an eine Religion gebunden. Mittlerweile kennen viele von uns das Amulett mit dem Augensymbol, das den bösen Blick fernhalten soll. Meistens ist es aus Türkis oder aus blauem Glas. Es wird jährlich millionenfach in den unterschiedlichsten Ausführungen verkauft. Man nennt es das „Auge der Fatima“. Ein anderes bekanntes Zeichen ist das „Auge des Horus“ aus dem alten Ägypten. Es soll die Erde und all ihre Bewohner schützen, indem es böse Absichten abwendet. Es soll dem Menschen Orientierung und Hilfe geben, sein Ziel zu erreichen. Auch mit Koransuren besprochene oder beschriftete Bändchen, Stoffe oder Papierröllchen sind Zeichen für Schutz und Hilfe. Sie können beim Kind liegen, an der Kleidung befestigt sein oder in kleinen Schmuckdöschen direkt am Körper getragen werden. Niemals sollen wir Pflegenden diese schützenden Objekte ungefragt entfernen. Denken wird an die Bedeutung, die wir einem Schutzengelanhänger beimessen, den wir unserem Kind schenken, oder an ein Kreuzchen, das wir vielleicht selber tragen! Der Böse Blick hat eine große volksmedizinische Bedeutung. Nicht nur bei der Pflege von MigrantenInnen können wir in Berührung mit deren Ängsten kommen. 3. PFLEGEANAMNESE IM MIGRATIONSKONTEXT Das Pflegeanamnesegespräch soll dem Pflegenden und dem Patienten dazu dienen, sich gegenseitig kennen zu lernen und eine Beziehung aufzubauen. Für die Herstellung einer Beziehung zu den PatientenInnen sind eine bewusste Zuwendung, ein grundsätzliches Interesse an ihrer Lebenswelt und ein bestimmtes Basiswissen unerlässlich. Sehr oft wird schon beim Pflegeanamnesegespräch die Gelegenheit verpasst, einerseits für die Pflege wichtige Informationen aufzunehmen, andererseits erste Schritte zu einer Vertrauensbeziehung einzuleiten. Dies hängt neben kommunikativen Barrieren auch mit Unsicherheiten und mangelnden Kenntnissen seitens der Pflegenden zusammen. Standards für Migrantenanamnesen sind nicht möglich. Die derzeit verwendeten Pflegeanamneseblätter beinhalten bereits fast alle Fragen, die für ein konstruktives Pflegeanamnesegespräch nötig sind. Bei MigrantInnen bedarf es noch einiger zusätzlicher Fragen : - Lebensgeschichte: Aus welchem Land stammt der/die PatientIn? - Kommunikation: Muttersprache; Sprachverständnis (Lesen und Schreiben); Wunsch nach einem Dolmetscher - Religion: religiöse Zugehörigkeit - Ernährung: Essensgewohnheiten: z.B. kein Schweinefleisch oder überhaupt kein Fleisch - Schmerz: Information und Demonstration der VAS-Skala 3.1 Fragen, die sich Pflegende beim Eintrittsgespräch mit MigrantenInnen stellen sollten Im Rahmen der Anwendung des Pflegeprozesses ist zunächst die Pflegeanamnese durchzuführen, wobei neben krankheitsbezogenen Fragen auch pflegezentrierte Informationen zu soziokulturellen, lebensgeschichtlichen Einflüssen zum Tragen kommen. Indem das Gesundheits- und Krankheitsverständnis von PatientenInnen eruiert wird, setzt man einen Schritt zur Verwirklichung des Konzepts "Empowerment“ zugunsten von Personen gesellschaftlicher Randgruppen, als welche Migranten/Innen leider immer noch bezeichnet werden. „Empowerment“ beinhaltet die Unterstützung des Selbstbewusstseins eines Menschen durch die Wertschätzung seiner Fähigkeiten und individuellen Ressourcen. Kann ich eine gute Transkulturelle Pflegeanamnese in der mir zur Verfügung stehenden Zeit überhaupt durchführen? Welche der anwesenden Personen soll ich in das Pflegeanamnesegespräch einbeziehen und wie gehe ich dabei vor? Versteht der/die PatientIn den Sinn und Zweck meiner Fragen? Wie kann ich verhindern, dass sich Vorurteile und stereotype Bilder zwischen die PatientInnen und mich schieben? Wo liegen meine eigenen Grenzen in der Beziehungsgestaltung? Genügt es, wenn eine zusätzlich anwesende Person das Gespräch übersetzt oder muss ich eine/n DolmetscherIn organisieren? Welche Themenbereiche muss ich dringend ansprechen, welche Fragen kann ich zu einem späteren Zeitpunkt klären? Welche Informationen muss ich dem/der PatientIn geben, damit er/sie sich sicher fühlt? 4. DAS HÄNDESCHÜTTELN In unserer Gesellschaft gilt das Händeschütteln als Bestandteil einer Begegnung. Um so komplizierter und unverständlicher erscheint uns die Tatsache, dass bei den Moslems, vor allem zwischen den Geschlechtern, das Händeschütteln nicht üblich ist. Muslime sollten mit fremden Menschen anderen Geschlechts keinen Körperkontakt haben. Männer dürfen sich gegenseitig berühren, einander die Hand schütteln oder sich küssen. Auch Frauen dürfen dies tun, nur nicht in der Öffentlichkeit. Ein Mann würde sich aber nie herablassen, einer Muslimin seine Hand zu reichen. Diese Geste wäre ihm viel zu intim. Sofort würde der Verdacht aufkommen, dass zwischen den beiden ein engeres Verhältnis besteht und das hätte fatale Auswirkungen - vor allem für die Frau. Man kann sich also vorstellen, welche Schwierigkeiten diese Tatsache für einen Moslem in der westlichen Welt mit sich bringt. So wie es MigrantInnen in ihrem Heimatland verboten ist, einem Mann die Hand zu reichen, gilt dieses Verbot auch für Nicht – Moslems. Geschieht dies trotzdem, dann nur aus Höflichkeit. Diese Geste ist ihnen aber höchst unangenehm und peinlich, vor allem aber Ehefrauen, deren Ehemänner anwesend sind. Deshalb sollten es KrankenpflegerInnen und Ärzte/Innen möglichst vermeiden, andersgeschlechtlichen Moslems die Hand zu reichen. 5. DIE KOMMUNIKATION 5.1 Fallbeispiel Ein Patient hat Magenkrebs im Endstadium. Er kommt auf die Abteilung, um einen palliativen Eingriff vornehmen zu lassen. Im Anschluss an die Operation entscheidet der zuständige Arzt, erneut eine Chemotherapie zu verabreichen. Der Arzt geht davon aus, dass der Patient sicher nichts dagegen habe, da er schon mehrere Male auf der Abteilung eine Chemotherapie erhalten hat. Der Patient wünscht sich jedoch, in sein Herkunftsland zurückzukehren, damit er noch einmal seine Familienangehörigen sehen kann. Er möchte auch lieber dort sterben. Er weiß jedoch nicht, ob das möglich ist und wie er die Rückkehr organisieren soll. Auch kann er sich kaum verständigen. Ein paar Monate später stirbt der Patient; er ist nicht mehr in sein Herkunftsland zurückgekehrt. 5.2 Schwierigkeiten im Krankenhausalltag Es kann festgestellt werden, dass es in der medizinischen und pflegerischen Tätigkeit im Krankenhausalltag um drei große Bereiche von Schwierigkeiten geht: - Die sprachliche Verständigung, z.B. bei Aufnahmegesprächen, bei Aufklärungen vor Operationen oder bei der Betreuung während der Geburt usw. - Eine “andere“ Einstellung zum Körper, zur Krankheit und zur Pflege, z.B. beim Umgang mit Schmerzen oder der Intimsphäre usw. - Die Zugehörigkeit eines Großteils der MigrantInnen zur sozialen Unterschicht, d.h. sie verfügen über eine mangelnde bzw. keine schulische Ausbildung. Der Aufbau einer Beziehung ist von einer stützenden und angstfreien Atmosphäre im Krankenhaus abhängig. Um diese zu gewährleisten, braucht es die Kommunikation, die nicht nur verbaler Natur ist. Offenheit, Anteilnahme und Mitgefühl werden durch Blicke und Gesten vermittelt. Mit MigrantenInnen zu kommunizieren, stellt viele Pflegende erst einmal vor große Probleme. Wenn das Gegenüber nicht dieselbe Sprache wie die Pflegenden spricht, bedeutet das meist auch eine gewaltige Einschränkung. Erstaunlicherweise wird aber oft vergessen, dass es MigrantenInnen ebenso ergeht, nur dass ihre Position wesentlich schlechter ist. Sie sind nämlich von den Pflegenden abhängig, denn erst durch die Kommunikation bekommen sie wichtige Informationen über Gesundheit und Krankheit, über Heilungsprozesse und präventive Maßnahmen. So kann es beispielsweise vorkommen, dass MigrantInnen nicht erfahren, wo sich die Toilette befindet, wann die Essenszeiten sind oder wie der Telefonapparat funktioniert. Die Kommunikation wird durch die Unkenntnis der Sprache erschwert oder bleibt oft aus. Dies führt dazu, dass sich MigrantInnen nicht verstanden fühlen was wiederum zu Verhaltensweisen führt, die eine hochgradige Ratlosigkeit bei Pflegenden und Ärzten auslösen. Als Folge davon wird oft “über die PatientInnen hinweg“ gehandelt. 5.3 Vorschläge für Problemlösungen: Zeigen und Demonstrieren: Es ist wichtig, den PatientenInnen Örtlichkeiten wie WC, Duschen oder Aufenthaltsräume zu zeigen. Auch die Bedienung des Telefons und des Fernsehapparats kann demonstriert werden. Bildertafeln: Dabei handelt es sich um Tafeln, die mehrere kleine Felder mit Zeichnungen enthalten, z.B.: Toilette, Essen, Wasserglas usw. Auf diese Bilder können Pflegende deuten, um sich verständlich zu machen. Dolometer: Sie beinhalten eine Skala, die von “Keine Schmerzen“ bis “Unerträgliche Schmerzen“ reicht. Mit Hilfe eines Schiebers kann der/die Patient/In die Schmerzstärke, die er/sie empfindet, ausdrücken (VAS – Skala). Optimal wäre der Einsatz von Dolmetschern, wobei es auch hier Vor – und Nachteile gibt. 5.4 Die Dolmetschertätigkeit: Mit DolmetscherInnen zusammenzuarbeiten bietet Chancen, ergibt aber auch Schwierigkeiten. Ist ein/e DolmetscherIn beim Gespräch zugegen, wird die Gesprächssituation grundlegend verändert. Vor allem im Bereich der Gynäkologie und Geburtshilfe kann die Anwesenheit einer dritten Person als störend empfunden werden und die Herstellung einer vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre beeinträchtigen. Besonders wegen des ausgeprägten Schamgefühls der Musliminnen wäre eine Frau als Dolmetscherin erwünscht. Andererseits kann erst die Dolmetschertätigkeit eine Vertrauensbasis schaffen und eine angepasste Pflege erleichtern. In Ausnahmefällen können Familienangehörige oder Freunde des/der PatientenIn die Rolle eines Übersetzers übernehmen. Dadurch leidet aber die Privacy noch mehr, als wenn eine fremde Person dolmetscht. Noch problematischer wird die Situation, wenn Kindern die Dolmetscherfunktion übertragen wird – vor allem im Bereich der Gynäkologie und Geburtshilfe. Für das Kind ist das Sexualleben seiner Eltern ein Tabuthema. Es wird nicht über sexuelle Vorgänge aufgeklärt. Durch das Dolmetschen wird es aber in Dinge eingeweiht, die den Eltern und auch dem Kind selbst höchst unangenehm und peinlich sind. Das Kind kann traumatisiert und verstört werden. Aus diesem Grund sollte man auf keinen Fall Kinder als Dolmetscher einsetzen. Der Sanitätsbetrieb Brixen hat seit 01.06.05 mit der Sozialgenossenschaft MOSAIK eine Vereinbarung getroffen, interkulturelle Vermittler zu Verfügung zu stellen. Mit deren Hilfe soll die Kommunikation zwischen dem ärztlichen und nichtärztlichen Personal und den ausländischen Patienten verbessert werden. Jede Abteilung hat ein Rundschreiben erhalten, in dem wichtige Informationen sowie die Telefonnummer, unter der die Vermittlerinnen zu erreichen sind, aufscheinen. 6. MEDIZINISCH – THERAPEUTISCHE MASSNAHMEN 6.1 Fallbeispiel: Eine Ärztin informiert eine Patientin über weitere Behandlungsmöglichkeiten. Die Patientin fällt gemeinsam mit der Ärztin eine Entscheidung über den nächsten Behandlungsschritt. Einige Tage später bemerkt die Ärztin, dass die Patientin sich nicht an die getroffenen Abmachungen hält. Infolgedessen hält sie die Patientin für nicht kooperativ. Die Patientin hat jedoch die weiteren Behandlungsmöglichkeiten mit ihrer Familie besprochen; diese hat dann eine andere Entscheidung getroffen, die für die Patientin verbindlicher ist als das Gespräch mit der Ärztin. Daher hält sie sich nicht an die Abmachung. Für Muslime gilt: Alle notwendigen Operationen (z.B.: Kaiserschnitt) dürfen aus islamischer Sicht durchgeführt werden Bluttransfusionen sind erlaubt Medikamentöse und mechanische Reanimation ist erlaubt 6.2 Die Abtreibung: Sie wird grundsätzlich abgelehnt, da man im Islam hohe Achtung vor dem Leben hat. Allah sagt: „Du sollst deine Kinder nicht aus Furcht vor Armut töten; wir sorgen für sie und dich. Die Tötung der Kinder ist ein großer Fehler.“ In folgenden Situationen darf nach islamischer Gesetzgebung eine Abtreibung dennoch durchgeführt werden: 1. Bei einer Schwangerschaft unter 40 Tagen: Der Fötus besitzt in diesem Stadium laut dem Koran noch keine Seele. Die Abtreibung ist erlaubt, wenn die Mutter gesundheitliche Probleme hat. 2. Bei der Schwangerschaft zwischen 40 und 120 Tagen: Entsprechend Hadith* kommen nach 120 Tagen die Engel den Fötus „besuchen“ und geben ihm seinen Geist ein. Dies passiert mit den ersten Bewegungen des Babys. Eine Entscheidung zur Abtreibung muss, die klinische Indikation berücksichtigend, im Rahmen der islamischen Gesetzgebung gewissenhaft und verantwortungsvoll abgewogen und von einem muslimischen Arzt durchgeführt werden. Falls dieser nicht verfügbar ist, kann diese Bedingung im Sinne einer Notsituation umgangen werden. 3. Bei einer Schwangerschaft nach mehr als 120 Tagen: Eine Abtreibung ist nur erlaubt, wenn eine Aufrechterhaltung der Schwangerschaft das Leben der Mutter bedrohen würde. In diesem Fall wird das Leben der Mutter über das des Kindes gestellt. Im Allgemeinen muss gesagt werden, dass eine Abtreibung nicht damit begründet werden darf, dass ein weiteres Kind die Mutter unter psychosozialen Druck setzen würde, (im Gegensatz zum italienischen Gesetz). * Der Begriff „Hadtih“(arabisch: Mitteilung, Erzählung, Bericht“) steht für überlieferte Nachrichten im Islam sowohl profanen als auch religiösen Charakters. Im islamisch-religiösen Gebrauch bezeichnet der Begriff die Überlieferungen über Mohammed über seine Anweisungen, nachahmenswerte Handlungen, Billigungen von Handlungen Dritter, Empfehlungen und vor allen Dingen Verbote und religiös-moralische Warnungen, die im Koran als solche nicht enthalten sind. Die Summe dieser Überlieferungen mit ihrem normativen Charakter bilden die Sunna des Propheten und sind somit Teil der religiösen Gesetze im Islam; sie ist nach dem Koran die zweite Quelle der islamischen Jurisprudenz (Figh) Aus. „Wikipedia“ 6.3 Die Beschneidung: In der islamischen Welt stellt die Beschneidung einen Übergangsritus dar, durch den ein Individuum aus einem sozialen Status in einen anderen übertritt. Dies hat zur Folge, dass dem Beschnittenen neue Aufgaben und soziale Aktivitäten anvertraut werden. Der Hauptgrund aber für eine rituelle Beschneidung ist die Hygiene Der Islam verbietet die weibliche Beschneidung und jede andere Art der genitalen Verstümmelung die der Frau die Fähigkeit nehmen, ihre Sexualität auszuüben. Die Beschneidung der Frau ist vor allem eine afrikanische Tradition. Dort, wo sie praktiziert wird, geschieht dies weitgehend unabhängig von deren Religionszugehörigkeit. Dennoch wird sie oft fälschlicherweise als “islamische Sitte“ betrachtet. Liegt der Wunsch nach einer Beschneidung eines muslimischen Jungen vor, wird diese im Brixner Krankenhaus im Operationssaal vorgenommen. 6.4 Die Künstliche Befruchtung: Voraussetzung für eine künstliche Befruchtung ist die Gewissheit, dass der Samen/das Ovum vom eigenen Ehepartner stammt. Außerdem müssen Mann und Frau verheiratet sein. Die künstliche Befruchtung ist nicht erlaubt, wenn eine dritte Person miteinbezogen wird, sei es über eine Samen- bzw. Eizellspende, über das Einsetzen eines fremden Embryos oder über das Austragen des Kindes durch eine Leihmutter. Die Abstammung des Kindes muss klar erkenntlich sein. 6.5 Die Sterilisation Eine Sterilisation oder ggf. eine Vasektomie ist nur dann erlaubt, wenn eine erneute Schwangerschaft ein bedrohliches Risiko für die Gesundheit und das Leben der Mutter darstellt. Es müssen gewissenhafte Untersuchungen vorgenommen werden; es darf auch keine anderen Möglichkeiten zur Kontrazeption geben, bevor einer Sterilisation zugestimmt wird. Gegen Familienplanung spricht nichts. 6.6 Verhütungsmittel: Verhütungsmittel, die eine Befruchtung der Eizelle verhindern, sind erlaubt. Einige Gelehrte sind der Meinung, dass die Verwendung von Verhütungsmitteln, um dauerhaft kinderlos zu bleiben, nicht erlaubt sei. Keine Kinder zu bekommen sollte eine vorübergehende Situation sein, die während schwieriger Zeiten wie Studium o.ä. erlaubt ist, jedoch immer nur zeitlich begrenzt bleiben muss. 7. ESSEN UND TRINKEN 7.1 Fallbeispiel Auf dem Patientenblatt in der Kategorie “Religion“ steht “Moslem“, deswegen streichen Pflegende das Fleisch von den Essenskarten. Der Patient ist erstaunt, dass er kein Fleisch erhält. Er lebt schon seit 20 Jahren in Italien und ist nicht praktizierender Moslem und isst heute problemlos nicht geschächtetes Fleisch. 7.2 Fallbeispiel Ein Patient aus Indien erhält nach einer großen Operation Aufbaukost nach dem Schema: Schleim, Haferbrei und Kompott. Er isst nur zögernd und erbricht nach jeder Mahlzeit. Die Darmfunktion wird erneut überprüft und der Patient auf Nahrungskarenz gesetzt. Nach 2 Tagen erhält er wiederum Brei und Kompott. Der Patient erbricht wieder. Die Pflegende erfährt, dass er diese Art von Nahrung noch nie zu sich genommen hat. Die neue Aufbaukost mit Trockenreis und Kompott isst der Patient mit großen Appetit und erbricht nicht mehr. Grundsätzlich ist der Genuss von Wein, anderen alkoholischen Getränken, alkoholhaltigen Speisen und Schweinefleisch verboten. Der Verzehr von Kalb, Ziege, Rind, Schaf und Geflügel ist erlaubt, wenn sie nach islamischem Ritus geschlachtet (geschächtet) wurden. Als Alternative zu den Menüs mit Fleisch, kann den muslimischen Patienten/Innen das fleischlose Menü angeboten werden. Bei PatientenInnen, die parenteral ernährt werden, könnte es vorkommen, dass Bedenken zur Sondennahrung geäußert werden. Ein Blick auf den Beipackzettel oder ein Gespräch mit einem/r ErnährungsberaterIn könnte diese beseitigen. Laut Frau Dr. Klara Vigl, der Verantwortlichen für Diät und klinischer Ernährung des Sanitätsbetriebes Brixen, sind Nährstoffe wie Kohlenhydrate und Eiweiße in der parenteralen Ernährung chemisch hergestellt, die Fette werden aus Pflanzenölen (Sojaöl oder Olivenöl) gewonnen. In der künstlichen Ernährung werden keine tierischen Produkte verarbeitet. 7.3 Das FASTEN im Monat Ramadan: Das FASTEN im Monat Ramadan ist einer der Pfeiler des islamischen Glaubens. Laut Koran lernt ein Moslem durch das FASTEN die Selbstbeherrschung. Für jeden Moslem ist das 30- tägige FASTEN im Monat Ramadan verpflichtend. Zusätzlich zum Fasten von Wasser und Nahrung, sollte nicht geraucht werden. Auch der Geschlechtsverkehr wäre während der Fastenzeit zu unterlassen. Vermehrt anzustreben wären Taten der Nächstenliebe, das Gebet sollte vertieft und der Koran gelesen werden. Entsprechend den Gesetzen des Islam sind Kinder unter 12 Jahren, Kranke, Reisende, Menstruierende und Wöchnerinnen vom Fasten ausgenommen. Es kann aber trotzdem vorkommen, dass Patienten während des Ramadan auch im Krankenhaus fasten wollen. Wenn von ärztlicher Seite kein Einwand dagegen besteht, ist zu beachten, dass auch die Einnahme von Medikamenten erst nach Sonnenuntergang erfolgen kann. 8. KRANKENHAUSBESUCHE UND SCHMERZÄUSSERUNGEN 8.1 Fallbeispiel Ein Patient wird wegen seiner chronischen Rückenbeschwerden in das Spital eingewiesen. Die Pflegende beobachtet, dass der Patient seine Schmerzen immer dann expressiv äußert, wenn seine Familienangehörigen zu Besuch kommen. Kaum sind diese jedoch nach Hause gegangen, kann er recht gut mit seinen Schmerzen umgehen. Die Pflegende ärgert sich darüber, dass der Patient vor seinen Angehörigen so ein “Theater“ macht. Eine Kollegin, welche aus dem gleichen Herkunftsland wie der Patient stammt, erklärt ihr, dass dieses Verhalten bei ihnen normal sei. Der Patient dürfe seine Schmerzen der Familie offen mitteilen, das würde bei ihnen nicht als Gejammer betrachtet. Durch diese Schmerzäußerungen würde er auch die entsprechende Zuwendung erhalten. Die Krankenhausbesuche sind sehr wichtig für muslimische Menschen. Sie sind für die Besucher eine soziale und religiöse Pflicht. Der Familie des Kranken wird sowohl im diagnostischen Bereich als auch im Heilungsprozess eine besondere Rolle zugeschrieben. Deshalb ist die Zahl der Besucher oft sehr hoch und die Besuchszeit von langer Dauer. Wird dies zum Problem für die Mitpatienten, sollte sich das Pflegepersonal höflich, aber bestimmt um die Einhaltung der Besuchsregeln bemühen. DIE RITUELLE REINHEIT: Was wir Christen nur schwer nachvollziehen können, ist die Vorstellung von ritueller Reinheit bei Moslems. Hierbei geht es nicht um das Bedürfnis nach Hygiene, sondern es geht um die Vorbereitung auf die Begegnung mit Gott im Gebet. Zum Ritualgebet gehört daher der Zustand ritueller Reinheit, der durch die Waschungen erreicht wird. Da die äußere Reinheit die innere Reinheit symbolisiert, sind die Muslime bemüht, alle Unreinheiten zu vermeiden. Die Muslime unterscheiden zwischen folgenden Waschungen: Die „rituelle“ Ganzwaschung: Sie umfasst, wie die Bezeichnung schon sagt, den ganzen Körper Diese Waschung wird nach sexueller Betätigung, am Ende der Menstruation, nach dem Wochenbett (40 Tage nach der Entbindung) und vor der Teilnahme am Freitagsgebet vollzogen. Die „rituelle“ Teilwaschung: Sie umfasst Hände und Unterarme, Mund und Zähne, Nase, Gesicht, Ohren, ein Streichen über den ganzen Kopf und das Waschen der Füße bis zu den Knöcheln. So bereitet man sich innerlich auf das Gebet vor. Eine Teilwaschung ist nötig, wenn man mit unreinen Stoffen in Berührung gekommen ist. Nach dem Schlaf, nach dem Gang auf die Toilette, nach der Berührung einer Person des anderen Geschlechts oder nach der Berührung eines Leichnams. Muslime waschen sich nur unter fließendem Wasser, ein Waschlappen ist ihnen fremd. Sie empfinden diesen als unhygienisch . Bei Patientinnen, die im Bett gewaschen werden müssen, sollte die Intimpflege daher nur unter Verwendung eines Kruges vorgenommen werden. Im Allgemeinen wird am Körper zwischen der reinen (rechten) und der unreinen (linken) Seite unterschieden. So ist z.B die rechte Hand dem Akt des Essens vorbehalten, auch das Stillen des Neugeborenen beginnt immer an der rechten Brust. Die linke Hand hingegen verwendet man nur für die Reinigung des Gesäßes nach dem Toilettengang. 10. DIE MUSLIMISCHE FRAU IM KRANKENHAUS 10.1. Fallbeispiel Wegen einer Sepsis durch eine infizierte Wunde wurde ein vierjähriges Mädchen mit hohem Fieber nachts in eine Kinderabteilung eingewiesen. Nach Versorgung der Wunde wurde das Mädchen zur intravenösen Antibiotikabehandlung einige Tage stationär aufgenommen. Der Vater (Mutter deutscher Herkunft, Vater Türke) wollte als Begleitperson ebenfalls aufgenommen werden. Auf der Kinderstation trafen die Eltern auf die Pflegenden, welche ein Begleitbett in ein Doppelzimmer stellten. Im Zimmer lag schon eine libanesische Frau mit ihrem Kind. Der Vater des Mädchens bat das Pflegepersonal um ein anderes Zimmer, da er nicht mit der libanesischen Frau im selben Zimmer schlafen wollte. Das Pflegepersonal lehnte die Bitte des Vaters mit der Begründung ab, dass es nur ein freies Zimmer gebe, dieses jedoch für eine eventuelle Notaufnahme während der Nacht frei bleiben müsse. Der Vater, der über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügte, erklärte der Schwester, warum es für ihn als Türken nicht möglich sei, mit einer ebenfalls islamischen Frau eine Nacht gemeinsam in einem Zimmer zu verbringen. Das Pflegepersonal bekundete sein Verständnis, betonte jedoch erneut, dass die Abteilung sehr ausgelastet sei und es daher keine andere Möglichkeit gebe. Nachdem sich der Vater weigerte, in diesem Zimmer zu übernachten, wurde die Vereinbarung getroffen, dass er im Einzelzimmer schlafen könne, dieses bei einer Notaufnahme jedoch wieder räumen müsse. Damit erklärte sich der Vater einverstanden. Am nächsten Tag bedankte sich die libanesische Frau bei der Mutter des Mädchens dafür, dass deren Ehemann darauf bestanden habe, in ein anderes Zimmer verlegt zu werden. Für sie wäre es schlimm gewesen, wenn der Mann mit ihr im selben Zimmer übernachtet hätte. 10.2 Fallbeispiel Zwei Patientinnen aus dem gleichen Herkunftsland werden auf der Abteilung aufgenommen. Die Pflegende beschließt, aus folgenden Gründen die beiden Frauen in das gleiche Zimmer zu legen: Beide Frauen würden vermutlich sehr viel Besuch bekommen, so dass sich andere Mitpatientinnen gestört fühlen könnten. Die betreffenden Frauen wären sicher froh, wenn sie mit jemanden in ihrer Muttersprache sprechen können. Zudem wäre es auch für die Pflegende bequemer, da eine der beiden Frauen recht gut deutsch spricht und somit als Dolmetscherin einspringen kann. In den folgenden Tagen beobachten die Pflegenden , dass die PatientenInnen nicht miteinander sprechen, sie schauen sich nicht einmal an. Die beiden Frauen stammen zwar aus dem gleichen Herkunftsland, aber sie gehören einander verfeindeten Gruppen an. Sie haben auch nicht dieselbe Muttersprache. 10.3 Die Bekleidung Die Kleidervorschriften sind im Koran und in der Sunna festgehalten, beruhen zum Großteil jedoch auch auf gesellschaftlichen Traditionen. Für Frauen gilt in der Regel, dass sie sich zur Gänze mit einem weiten Hemd oder Kleid über einer faltenreichen Puderhose bedecken, nur Gesicht und Hände bleiben frei. In den meisten islamischen Ländern ist es üblich, dass Frauen ein Kopftuch tragen. Die Frau ist auch im Krankenhaus dazu verpflichtet, ihre Haare zu bedecken und sich angemessen zu kleiden. Enge durchsichtige Kleidung und Flügelhemden sollen deshalb vermieden werden. Es gibt aber auch Frauen, die sich nicht verhüllen. Dies hängt jedoch sehr von der Toleranz des jeweiligen Ehepartners ab. Intimzonen dürfen nicht durch enge Kleidung betont werden. Im Allgemeinen fällt es Musliminnen schwer, sich zu entblößen. Daher ist es wichtig, dass Pflegende behutsam mit deren Intimsphäre umgehen. 10.4 Die Körperbehaarung Das orientalische Schönheitsideal besagt, dass eine Frau einen glatten, völlig haarlosen Körper besitzen soll. Auch die Haare im Schambereich und in den Achselhöhlen müssen sorgfältig rasiert und entfernt werden. Ob alt oder jung, reich oder arm, es ist für Frauen eine Ehrensache, korrekt enthaart zu sein. Dies kann man vor allem bei der täglichen Pflege muslimischer Patientinnen beobachten. Zu den weitere Hygienevorschriften gehören das Kürzen des Schnurrbartes und das Schneiden der Fingernägel. 10.5 Die Intimsphäre und das Schamgefühl: Ein Problem könnte sich auch ergeben, wenn sich muslimische PatientInnen mit Einheimischen ein Zimmer teilen müssen. Es ist möglich, dass sich muslimische Patientinnen für das Verhalten andersgläubiger Personen vor allem vor ihren Besuchern schämen (z.B. Stillen in Anwesenheit von Männern). Andererseits kann man nicht davon ausgehen, dass sich alle Moslems miteinander gut verstehen. Es ist hier anzunehmen, dass die Patienten zwar aus dem gleichen Herkunftsland stammen, jedoch nicht die selbe Muttersprache sprechen und verfeindeten Gruppen angehören. Durch die Krankenhausroutine leidet die Intimsphäre der Patienten oft stark. Ganz besondere Probleme gibt es für muslimische Patientinnen beim Gynäkologen. Für derartige Untersuchungen wäre es ratsam, eine Ärztin zur Verfügung zu stellen. Doch dies ist nicht immer möglich. Für solche Fälle könnte man die Anwesenheit einer weiblichen Verwandten bei der Untersuchung zulassen. Die Angst davor, dass etwas Unsittliches zwischen der Frau und dem nicht – blutsverwandten Mann/Arzt vorfallen könnte, ist zu groß. Wenn ein Mann und eine Frau sich gegenüberstehen, sollen sie sich nicht länger als notwendig in die Augen sehen. Frauen sollen ihren Blick senken und ihr Antlitz schützen. Ihre Schönheit soll nicht offen (außer vor ihrem Vater, Ehemann, Söhnen und Brüdern) gezeigt werden. Auch bei Informationsgesprächen mit muslimischen Patientinnen kann es vorkommen, dass wichtige Informationen über körperliche Befindlichkeiten nicht oder nur verschlüsselt vermittelt werden. Man erhält keine oder nur unzureichende Auskünfte, wenn die Intimsphäre der einzelnen Person betroffen und die Schamgrenze überschritten ist. Gerade Pflegepersonen und ÄrzteInnen müssen diese Schwierigkeiten in der Kommunikation und der Intimsphäre berücksichtigen, damit Wichtiges nicht übersehen wird. 10.6 Schwangerschaft und Geburtshilfe 10.6.1 Fallbeispiel Eine Frau kommt in Begleitung ihres Ehemannes ins Spital, um zu gebären. Die Hebamme bittet auch den Mann in den Kreißsaal. Für das Paar ist dies eigenartig. In deren Herkunftsland gilt die Geburt als reine Frauensache. Niemand wagt es aber, zu widersprechen, denn man möchte nicht unangenehm auffallen. Der Mann fühlt sich sehr unwohl, die Frau ist gestresst und kann sich nicht richtig entspannen 10.6.2 Die Bedeutung von Schwangerschaft und Geburt Das primäre Anliegen bei der Eheschließung ist der Wunsch nach Kindern, die den Fortbestand der Familie garantieren sollen, zum Unterhalt der Familie beitragen, und die Altersversorgung der Eltern übernehmen. Jungen tragen so bald wie möglich zum Familieneinkommen bei. Für die betagten Eltern sorgt aber der älteste Sohn, der normalerweise mit seiner Familie in deren Haus wohnt. Staatliche Fürsorge und Altersheime kennt man in der islamischen Welt1 nicht. Kinder gelten als Quelle von Stolz und Ansehen, vor allem für die Mutter, deren Stellung mit der Geburt jedes Kindes – vor allem der eines Jungen – steigt. Der Koran hat die Schwangerschaft zu einem Zeichen der Auferstehung gemacht. Gott kann den Menschen aus dem Grab hervorholen, wie er ihm aus dem Mutterschoß hervorholt.2 Die Geburt eines Kindes im ersten Ehejahr gilt als “Zeichen Allahs“. Eine Frau, die Fruchtbarkeit und “baraka“ in sich trägt, gilt während ihrer Schwangerschaft als besonders schutzbedürftig. Sie hat eine Reihe von Ritualen und Tabus zu beachten, um sich selbst und das ungeborene Kind nicht zu gefährden. Für Moslems gelten Essensvorschriften, welche vor allem von schwangeren Frauen streng befolgt werden sollten. Es gibt Speisen, deren Verzehr zu bestimmten Uhr- und Jahreszeiten erlaubt bzw. verboten ist. Die Zeit der Schwangerschaft und Geburt sowie des Wochenbett wird als sogenannter “kalter Zustand“ bezeichnet. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Frauen warme Speisen zu sich nehmen. 1 2 www.islaminstitut.de/publikationen/artikel/familie.html “Fremde Welt Islam. Einblicke in eine Weltreligion“, Anton Schall, Seite 30 10.6.3 Das Wissen über den Vorgang bei Befruchtung und der Schwangerschaft Wegen mangelnder schulischer Ausbildung und fehlender Sexualerziehung wissen die meisten Moslems nicht, was im Körper eines Menschen vorgeht, damit es zu einer Schwangerschaft kommt. Dieses Thema ist Tabu, deshalb wird darüber auch nicht gesprochen. Es herrscht die allgemeine Vorstellung, dass “alles vom Blut ausgeht“. Die betreuenden ÄrztInnen, PflegerInnen und Hebammen setzen oft bestimmte Basiskenntnisse voraus, die aber sehr oft nicht vorhanden sind. Durch die weltweite Verbreitung des Islam hat sich eine multikulturelle Gesellschaft entwickelt. Obwohl sie alle dieselbe Religion haben, wird diese nicht von allen gleich gelebt. Ausschlaggebend dafür ist unter anderem die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht: es gibt die arme Bevölkerung, die Mittelschicht und die reiche Gesellschaftsschicht. Aufgrund der sozialen Unterschiede haben die Menschen verschiedene Lebenserfahrungen und Gewohnheiten. Reiche Musliminnen gebären z.B. in ihrer Heimat genau wie wir in einem Krankenhaus. Die Geburt eines Kindes gibt immer Anlass zur Freude für die gesamte Familie. Sie ist ein segenreiches Ereignis und gilt natürlich als besonderes Glück für die Mutter. Die soziale Stellung der Frau und ihr Status innerhalb der Großfamilie hängt nämlich von der Zahl der Kinder ab, die sie zur Welt bringt.3 Der Kinderwunsch ist in der muslimischen Gesellschaft sehr ausgeprägt. Der Koran und auch der Prophet ermuntern dazu, Kinder zu zeugen. Schwangerschaft und Geburt sind Bereiche, in die der Ehemann selten miteinbezogen wird. Deshalb werden die Gebärenden in ihren Heimatländern von verwandten Frauen begleitet. Die Männer nehmen an der Geburt nicht teil. Es ist allerdings zu beobachten, dass Frauen, die schon längere Zeit in Südtirol leben, mit der Zeit ihre Gewohnheiten ändern, und den Mann mit in den Kreißsaal nehmen. 10.6.4 Maßnahmen der Frau sofort nach der GEBURT und in den darauffolgenden Tagen Im Allgemeinen ist bei Frauen verschiedener Ethnien die Abneigung gegen Blut, Schleim und alles, was mit der Geburt zusammenhängt, verbreitet. Blut, auch jenes, welches aus Wunden austritt, wird im Islam als unrein betrachtet.4 Deshalb wird nach Möglichkeit der Kontakt damit vermieden. So ist es für eine islamische Frau unvorstellbar, ihr Kind unmittelbar nach der Geburt zu sich zu nehmen.5 3 “Die Welt der Liebe im Islam. Eine Enzyklopädie. Erotik, Schönheit und Sexualität in der arabischen Welt, in Persien und der Türkei“, Malek Chebel, Seite 238 4 www.islam.ch/medpflege.cfm 5 “Professionelle Transkulturelle Pflege“, Dagmar Domenig, Seite 363 Erst nachdem das Neugeborene von Blut, Schleim und anderen Körperflüssigkeiten gereinigt ist, nimmt es die Mutter zu sich. Eine muslimische Frau, die gerade entbunden hat, steht im Mittelpunkt des Interesses. Man sorgt für sie, verwöhnt sie, erfüllt ihr jeden Wunsch, widmet ihr Zeit. Je mehr sie klagt, jammert und leidet, desto mehr schenkt man ihr Beachtung und desto mehr sorgt man sich um sie. Auch der Ehemann behandelt sie voller Achtung, Zuvorkommenheit und Zuwendung.6 10.6.5 Maßnahmen am Kind unmittelbar nach der Geburt Unmittelbar nach der Durchtrennung der Nabelschnur wird das Neugeborene mit den Grundelementen des Islam in Verbindung gebracht. In das linke Ohr wird jedem Neugeborenen der “Adhan“ (Gebetsruf), in das rechte Ohr die “Iqamah“ (Ankündigung des Beginns des Gebetsgottesdienstes) geflüstert. Problematisch wird es, wenn die Geburt durch einen Kaiserschnitt erfolgt und der Vater nicht dabei sein kann oder wenn das Kind unmittelbar nach der Geburt eine Behandlung benötigt. In diesem Fall wäre es für die Eltern sehr erleichternd, das Kind sobald als möglich sehen zu dürfen, damit sie dieser islamischen Pflicht nachkommen können. Nachdem das Kind die beiden Gebete vernommen hat, bekommt es einen Tropfen Honig, Zucker oder Butter in den Mund. Diesen angenehmen Geschmack soll das Kind mit dem Gebet verbinden und somit eine positive Einstellung zur Religion entwickeln. Außerdem sollen diese Geschmacksrichtungen gewisse Charaktereigenschaften beeinflussen und dem Kind zur Entwicklung einer positiven Persönlichkeit verhelfen. 10.6.6 Die Waschung des Neugeborenen Sofort nach der Geburt soll das Kind gewaschen werden, um es von den unreinen Flüssigkeiten (Blut etc. ) zu reinigen. Erst danach gilt es als sauberes Geschöpf. Meistens möchte eine muslimische Mutter erst zu diesem Zeitpunkt ihr Baby in den Arm nehmen.7 Am 7. Tag nach der Geburt wird die „Aqeeqah“ durchgeführt. 1. „Aqeeqah“ ( das Schlachten eines Schafes im Namen des Kindes) 2. Das Rasieren der Kopfhaare am 6. oder 7. Tag nach der Geburt, und das Aufwiegen des Haares in Gold oder Silber – (wird häufig als Spende für Arme verwendet) 3. Namengebung des Kindes 4. Beschneidung des Kindes 10.6.7 Das Stillen 6 7 “Menschen islamischen Glaubens individuell pflegen“, Sieglinde al Mutawaly, Seite 42 “Fremde Religionen in der Pflege“, Maria Flühler, Seite 62 Im Zusammenhang mit der mütterlichen Zuwendung wird auch dem Stillen des Kindes besondere Wichtigkeit beigemessen. Im Koran wird im Allgemeinen eine Stillzeit von zwei Jahren angegeben.8 Wird eine Mutter vor vollendeter Stillzeit wieder schwanger, muss sie das Stillen beenden. Die Wichtigkeit des Stillens, kommt auch darin zum Ausdruck, dass im Falle einer Scheidung der Mann verpflichtet ist, seine Ehefrau bis zur Entwöhnung des Kindes zu versorgen: “Und die Mütter stillen ihre Kinder zwei volle Jahre. (Das gilt) für die, die das Stillen vollenden wollen. Und es obliegt dem, dem das Kind geboren wurde, für ihre (Mütter) Nahrung und Kleidung auf gütige Weise Sorge zu tragen. Von keiner Seele soll etwas gefordert werden über das hinaus, was sie zu leisten vermag. Einer Mutter soll nicht wegen ihres Kindes Schaden zugefügt werden…“9 Im Gegensatz zu unseren Gewohnheiten wird im Islam schon sehr früh zugefüttert. Das Kind bekommt z.B. Fruchtsäfte, Tee und schon ab dem dritten Monat Weizenkleiebrei oder andere Breie. Manchmal verweigert das Kind wegen des Beifütterns die Brust und die Frau stillt dann ab. 10.6.8 Die Stillpositionen und das Stillwissen Das Kind wird meist im Wiegengriff oder im Liegen gestillt. Bewusstes Wechseln der Stillpositionen ist nicht bekannt.10 Mit dem Stillen beginnt man immer auf der rechten Seite, weil diese als die reine gilt. Nach der rechten wird dem Kind immer die linke Seite gegeben. 10.6.9 Die Besonderheiten beim Stillen - Bei den meisten islamischen Frauen ist es üblich, dass die erste Milch, das Kolostrum, das laut westlichen Erkenntnissen sehr wichtig und nährreich für das Kind ist, ausgestreift und somit den Neugeborenen vorenthalten wird. Laut islamischer Überlegung ist die erste Milch unrein und schadet dem Kind. Viele Frauen betrachten das Kolostrum als unrein – wegen seiner Farbe, und sie glauben dass es einen schädigenden Einfluss auf das Kind haben wird. Beim Stillen der Kinder ist im Normalfall der Vater – nicht blutsverwandte Männer sind ohnehin ausgeschlossen – nicht anwesend, denn vielfach glaubt man, dass unter männlichen Blicken der Milchfluss versiegt. Auch männlichen Kindern, die in die Pubertät kommen, ist die Anwesenheit während des Stillens untersagt. - Emigrierte Frauen haben sich zum Teil schon an den westlichen Standard angepasst. Sie halten bestimmte Vorschriften nicht mehr so streng ein wie die Frauen in ihrem Heimatland. Auch in den 8 9 10 www.teblig.de/bildung/erziehung/72-80.htm Sure 2, Vers 233 www.frauen-kinderklinik-linz.at/media/kultur.pdf größeren islamischen Städten haben westliche Gepflogenheiten immer mehr Einfluss auf das Stillverhalten der Frauen. 10.6.10. Folgerungen für die Pflege: - Da muslimische Frauen eine Abneigung gegen Blut und andere Körperflüssigkeiten haben, sollte man darauf verzichten, das Neugeborene sofort auf den Bauch der Mutter zu legen. Nach der Waschung des Kindes ist die Mutter gerne bereit, es zu sich zu nehmen. Wie schon erwähnt, bringt man einer muslimischen Frau umso mehr Respekt und Fürsorge entgegen, je mehr sie nach außen hin leidet. Deshalb jammert und klagt sie besonders während der Besuchszeiten. Als KrankenpflegerIn sollte man sich davon überzeugen, nichts übersehen zu haben, was den Zustand der Patientin betrifft, man sollte Verständnis zeigen und ihr die Genugtuung und das Wohlgefühl gönnen, im Mittelpunkt zu stehen. Da in den Heimatländern die Familie der jungen Mutter von weiblichen Verwandten unterstützt und umsorgt wird, kann es sich eine muslimische Frau leisten, 40 Tage nur zu ruhen. Für MigrantenInnen aber, die für ihre Familie sorgen müssen, da ihre Männer einer Arbeit nachgehen und die Kinder alleine zu Hause sind, ist der Krankenhausaufenthalt eine Last, weil immer die Sorge um die Kinder besteht. Auch das Alleinsein nach der Geburt stellt für die muslimische Frau eine große Belastung dar. Sie weiß von ihrer Tradition her, dass ihr eigentlich das Recht auf Unterstützung von Seiten der weiblichen Verwandten zusteht. Da dies aber fern ihrer Heimat nicht möglich ist, verlangen Frauen oft, dass ihre Männer zu Hause bleiben und sich um sie kümmern. Diese Männer geraten in Konflikt mit ihren Arbeitgebern. Ist es Männern nicht möglich, sich um ihre Frauen zu kümmern, müssen oft ältere Geschwister diese Rolle übernehmen. Die oft noch sehr jungen Kinder sind dabei total überfordert. Die Frauen leiden unter der Einsamkeit und der Sehnsucht. Manche entscheiden sich deshalb, mit ihrem oft erst wenige Monate alten Säugling in ihr Heimatland zurückzukehren. Die Säuglinge, die diese Umstellung – Hitze, Staub, Insekten – nicht gewohnt sind, erkranken dann häufig. Ist eine muslimische Frau nicht in der Lage, sich nach der Geburt selbständig zu bewegen und muss sie vom Pflegepersonal gewaschen werden, sollte man darauf achten, dass diese Tätigkeiten mit fließendem Wasser aus einem Krug vorgenommen wird und zwar auf jedem Fall von einer Pflegerin. Waschlappen kennen und benutzen muslimische Frauen nicht – sie sind für sie unhygienisch. 11. Migrationskinder 11.1. Fallbeispiel In die Kinderabteilung kommt ein Migrationskind in Begleitung seiner Eltern zur Beschneidung (aufgrund einer medizinischen Indikation). Sofort nach der Operation erscheint eine größere Anzahl von Verwandten in festlicher Aufmachung. Das kleine Zimmer wird zu einem Festplatz umfunktioniert. Bei den Pflegenden stößt dies auf Unverständnis, zumal sich häufig noch andere Patienten im Zimmer befinden; ganz abgesehen von den geltenden Regeln der Besuchszeiten. Nachdem das Abteilungspersonal über die rituelle Bedeutung der Beschneidung informiert ist und ein Austausch über die entstandenen Irritationen ermöglicht wird, kann eine Lösung des Konflikts gefunden werden. Beide Parteien- Pflegende, sowie Eltern bzw. Angehörige - versuchen Kompromisse zu finden: Migrationskinder werden nach der Beschneidung in Einzelzimmer verlegt, die etwas abgeschieden sind, so dass die zahlreichen Besucher niemanden stören. Eltern werden ersucht, die Anzahl der Besucher etwas einzuschränken bzw. nur mehr die engsten Verwandten einzuladen. Die Zahl der Kinder aus Migrationsfamilien ist in deutschsprachigen Ländern in den letzten Jahren stark angestiegen. Kinder und Jugendliche wachsen in mehreren Lebenswelten auf: Familien, Schule, Kinderspielplätze. Solche Lebenswelten haben ihre eigenen Regeln und Handlungsmuster. Stimmen deren Ziele, Werte und Normen nicht überein, sind Heranwachsende auf sich alleine gestellt bzw. sie geraten in Konflikt. Insbesondere Migrationskinder sind darauf angewiesen geeignete Strategien im Umgang mit Widersprüchen zu erlernen, wenn sie die Autonomie der eigenen Lebenspraxis wollen. Die gesellschaftliche Integration von Migrationskindern gelingt, wenn sich das Kind in die eigene Familie integrieren kann und wenn sich die Eltern dieser Kinder in die Dorfgemeinschaft oder in das Stadtleben integrieren. Die Pflege und Behandlung von Kindern mit Migrationshintergrund setzt nicht nur persönlichen Einsatz und Neugier, sondern vor allem transkulturelle Handlungskompetenz voraus. Diese Kinder kennen nicht mehr die Kultur ihres Herkunftslandes. In der Folge können vielfältige Spannungsfelder entstehen, die es den Fachleuten im Pflegebereich erschweren ihren Auftrag professionell zu erfüllen. Für die Pflege der Migrationskinder muss man das Vertrauen der Eltern gewinnen. Es geht also primär darum, die kontextuellen Aspekte der Lebenswelten mit zu berücksichtigen, mit den Eltern zusammenzuarbeiten und die vorhandenen Ressourcen und Strategien der MigrantInnen selbst einzubeziehen. 12. Kinder mit Behinderung Laut dem Koran sind auch Kinder mit einer Behinderung als Geschenk Gottes zu betrachten. Ein körperlich oder geistig behindertes Kind sollte nicht als Strafe für eine Sünde empfunden werden, sondern als Prüfung. Man sollte Gott dankbar dafür sein, dass er nicht noch etwas Schlimmeres eintreten ließ.11 Im täglichen Leben aber wird ein Kind mit Behinderung tatsächlich als Strafe empfunden. Man nimmt an, dass irgendein Familienmitglied (das kann z.B. auch der Urgroßvater sein) etwas Schlechtes oder Verbotenes getan habe und dass diese kranken Kinder die Bestrafung dafür seien. Sie werden im Haus behalten und gehen nicht an die Öffentlichkeit; man spricht nicht über sie. Es gibt nicht viele Kinder mit Behinderung, da diese oft sterben, weil es an den notwendigen medizinischen Versorgungen fehlt. 11 “Kleines Lexikon Islam; Christen begegnen Muslimen“, Monika und Udo Tworuschka, Seite 49 13. TOD UND STERBEN 1. Moslems betrachten den Tod als eine Reise zu Gott. Laut dem Koran hat jede Seele den Vorgeschmack des Todes und Gott prüft jeden auf „Gut und Übel“. 2. Wie uns die Realität der letzten Jahre gezeigt hat, kommen PatientenInnen islamischen Glaubens nicht nur zur Genesung ins Krankenhaus. Mittlerweile sind auch die ersten PatientenInnen im Krankenhaus verstorben. Wie aber soll sich das Krankenhauspersonal in einer solchen Situation verhalten; was ist angebracht , was nicht? Umgang mit Sterbenden islamischer Konfession Wenn es irgendwie möglich ist, sollten islamische PatientenInnen in Einzelzimmern untergebracht werden. Sehr tolerant zeigt man sich , wenn man Bildnisse anderer Religionen aus dem Zimmer entfernt. Dies soll keine Verleumdung des eigenen Glaubens bedeuten, sondern ist als Geste der Toleranz und des Respekts dem Andersgläubigen gegenüber zu sehen. Der gläubige Moslem erkennt ja Jesus als Propheten an, jedoch macht er sich keine Bildnisse von Gott und dem Propheten. Es ist ratsam, einige Verwandte bzw. bekannte Gleichgläubige zu verständigen, damit diese mit dem Sterbenden beten können. Wenn vorhanden, sollte ein Koran auf das Nachtkästchen gelegt werden. Falls kein gläubiger Moslem anwesend ist, kann einem/r sterbenden islamischen PatientenIn auch ein Andersgläubiger beistehen. Dieser sollte ihm Mut machen und ihn nicht alleine lassen. Eine große Rolle spielt bei den Moslems auch die Reinheit. Ein/e Patient/In der/die selbst nicht mehr in der Lage ist seine Körperausscheidungen zu kontrollieren, sollte stets sauber gewaschen werden, und zwar möglichst von gleichgeschlechtlichen Personen. Sterbende sollten mit dem Kopf in Richtung Mekka gedreht werden. In unserem Falle entspricht das einer südöstlichen Ausrichtung. Maßnahmen nach dem Tod: Nach dem Tod werden dem Verstorbenen die Augen von einem nahen Verwandten geschlossen. Danach erfolgt eine rituelle Waschung des Leichnams, möglichst mit fließendem Wasser (evtl. könnte man auch abgekühltes gekochtes Wasser benutzen). Dann wird der Leichnam in Baumwolltücher gehüllt und für die Bestattung hergerichtet. Nach dem Ableben besuchen meist sehr viele Verwandte und Bekannte den Verstorbenen, um von ihm Abschied zu nehmen. Der Platz - und Zeitaufwand dafür sollte einkalkuliert werden. Islamische Glaubensangehörige dürfen niemals eingeäschert werden; da der Leichnam möglichst unversehrt bestattet werden muss. Die Beisetzung des Toten sollte möglichst bald erfolgen. 14. PERSÖNLICHE ANREGUNGEN VON KOLLEGEN/INNEN, DIE EINE TRANSKULTURELLE PFLEGEFORTBILDUNG ABSOLVIERT HABEN Was nehme ich als besondere Anregung mit in meinen Alltag? - Jeder Mensch hat seine ganz persönliche Kultur, egal aus welchem Land er stammt und welcher Konfession er/sie angehört. - Es ist mir bewusst, dass ich jedem Patienten/jeder Patientin individuell begegnen muss und jede/r individuell gepflegt werden soll. Dabei kommen mir meine Erfahrungen mit Migranten zugute. - Es braucht mehr Spontaneität und Mut zum Fragen: Wo liegt das Problem? Was ist mein Anteil daran? Messe ich mit meinen Wertvorstellungen? - Bei der Begegnung mit MigrantenInnen geht es immer um eine zwischenmenschliche Beziehung mit einem Wechsel von Geben und Nehmen. Auch ich bringe meine Biographie mit. - Transkulturelle Pflege bedeutet, jedem Menschen in wertschätzender Haltung und mit zurückhaltender Neugier zu begegnen und sich zu freuen, ihn kennen zu lernen (unter Berücksichtigung der eigenen und seiner Biographie) - Manchmal ist es ratsam zuerst einen Schritt zurückzutreten, Luft zu holen und ein Problem unbefangen zu betrachten. - Für die Arbeit mit MigrantenInnen ist es wichtig, offene Sinne zu haben, eine gesunde Neugierde mitzubringen und sich notwendige Kenntnisse über deren Kultur anzueignen. 15 „Anregungen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen dem Personal und muslimischen PatientenInnen“ Frau Dr. Rukhsana Kausar, Krankenhaus Brixen: • Respekt vor Sittsamkeit und Privatleben • Ideal wäre geschächtetes Fleisch zur Verfügung zu stellen • Den Familienangehörigen erlauben eigene Nahrungsmittel mitbringen zu können – falls es dafür aus medizinischer Sicht keine Einschränkungen gibt • Beten lassen • Den Patienten über seine Rechte informieren und ihn anregen sein eigenes Leben zu leben • Genügend Zeit widmen um über Untersuchungen, Verfahren und Behandlungsmethoden aufzuklären – (Sprachproblem) • Nicht auf eine Autopsie oder auf eine Organspende bestehen • Untersuchungen bei Frauen wenn möglich immer in Anwesenheit von einer Ärztin durchführen lassen (manche Untersuchungen könnten auch durchgeführt werden, wenn die Frau z.B. ein offenes Hemd trägt) • Die Möglichkeit, die Versorgung eines Verstorbenen so durchführen zu können, wie es Sitte und Ritus vorsehen. Abschließend ist zu sagen, dass die Pflege eines jeden Menschen, auch aus anderer Kultur und Religion, Verständnis voraussetzt. Sie soll nicht mechanisch, unpersönlich und funktionell orientiert sein. Verstehen heißt „verstehen können“ und „verstehen wollen“ . Ersteres beinhaltet die Bereitschaft, empathisch auf das Gegenüber zuzugehen. Linderung bzw. Heilung können nur erzielt werden, wenn man eine Möglichkeit findet, die Einstellungen, die dem Leben und den Wünschen der Patienten zu Grunde liegen, in den Pflegehandlungen zu berücksichtigen. 16 Literaturverzeichnis Abdullah Salim Muhammad, Islam – Muslimische Identität und Wege zum Gespräch, Patmos Verlag, 2002 Alban S., M. M. Leininger, C. L. Reynolds, Multikulturelle Pflege, Urban & Fischer, München, Jena, 2000 Al Mutawaly Sieglinde, Menschen islamischen Glaubens individuell pflegen, Brigitte Kunz Verlag, 1996 Bowker John, La morte nelle religioni Ebraismo, Cristianesimo, Islam. Induismo, Buddismo, Edizioni San Paolo, Cinisello Balsamo (Milano), 1996 Braden Ingeburg, Glauben, Leben, Pflegen im Judentum, Christentum und Islam, Lambertus – Verlag, Freiburg im Breisgau, 1992 Domenig Dagmar (Hrsg.), Professionelle Transkulturelle Pflege, Verlag Hans Huber, 2001 Elger Ralf, Islam, Fischer Taschenbuch Verlag, 2002 Flühler Maria, Fremde Religionen in der Pflege, Manava Verlag und Vertrieb, Christoph Peter Baumann, 2001 Hadayatullah Hübsch, Frauen im Islam. 55Fragen und Antworten, Betzel Verlag Gmbh, 1997 Jos Arets u.a., Professionelle Pflege, Fähigkeiten und Fertigkeiten, Hans Huber Verlag, Bern, 1999 Kellenhauser E. und S. Schewior-Popp, Ausländische Patienten besser verstehen, Georg Thieme Verlag Stuttgart, New York, 1999 Diplomarbeit Simeon Pfattner, Krankenpfleger; „Tod und Sterben im Islam“ Diplomarbeit Sonja Eichbichler, Krankenpflegerin; „Die Wochenbettpflege der muslimischen Frau und die Pflege des Neugeborenen. 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