Sinnvolle Massentierhaltung Forscher führen Asthma, Typ

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Mikrobiom: Sinnvolle Massentierhaltung
Forscher führen Asthma, Typ-1-Diabetes oder Allergien auf genetische Risiken und
Umwelteinflüsse zurück. Viele Arbeiten zeigen, wie wichtig das Darmmikrobiom in
diesem Kontext ist. Statt spät zu behandeln, lohnt es sich, bakterielle Mitbewohner
von der Wiege bis zur Bahre zu behüten.
Eine Wohngemeinschaft der besonderen Art: In unserem Darm tummeln sich zehn
bis 100 Billionen Bakterien, schätzen Wissenschaftler. Beim MetaHIT-Projekt
(Metaenomics oft the Human Intestinal Tract) fanden sie mehr als 1.000
unterschiedliche Spezies mit 3,3 Millionen Genen. Welche Bedeutung dieses
Mikrobiom tatsächlich hat, zeigt sich immer deutlicher. Ein Überblick.
Diabetes eingedämmt
Ramnik J. Xavier, Cambridge, fand heraus, dass sich das Mikrobiom von Säuglingen
ändert, weit bevor es zu Typ-1-Diabetes kommt. Zusammen mit Kollegen rekrutierte
er im Rahmen derDIABIMMUNE-Studie 33 Kleinkinder aus Finnland und Estland, um
regionale Unterschiede zu erklären. Alle Probanden hatten Risikofaktoren für Typ-1Diabetes.
Rund zwölf Monate vor Ausbruch der Autoimmunerkrankung verringerte sich die
Alpha-Diversität um 25 Prozent. Wissenschaftler verstehen darunter ein statistisches
Maß für die Artenvielfalt in eng umgrenzten Gebieten. Bakterien mit vermutlich
protektivem Einfluss verschwanden zu Gunsten von Keimen, die Xavier als
„potenziell gefährlich“ bezeichnet. Sie führen vermehrt zu Entzündungen. Das
Metabolom, sprich die gesamte Stoffwechselleistung aller Bakterien, änderte sich
dabei nicht. Die Forscher halten jetzt nicht nur Stuhlanalysen für möglich. Sie
schreiben, Risikopatienten könnten vielleicht von Stuhltransplantationen profitieren,
um nicht an Typ-1-Diabetes zu erkranken. Momentan setzen Ärzte das Verfahren vor
allem bei Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhöen ein.
Die Alternative: Erhalten Kinder in den ersten 27 Tagen ihres Lebens Probiotika,
haben sie einstatistisch signifikant geringeres Risiko, Insel-Autoantikörper zu
entwickeln. Das fand Ulla Uusitalo, Tampa, zusammen mit Kollegen des TEDDYKonsortiums (The Environmental Determinants of Diabetes in the Young) heraus.
Darm schützt Lunge
Kleine Patienten leiden nicht nur an Stoffwechselerkrankungen. Atopien kommen
weitaus häufiger vor. Marie-Claire Arrieta aus Vancouver untersuchte Stuhlproben
von 319 Säuglingen. Sie verfolgte das Wohlergehen ihrer kleinen Probanden über
drei Jahre hinweg. Kindern, die später an Asthma erkrankten, fehlten FLVRBakterien, also Faecalibacterium, Lachnospira, Veillonella und Rothia. Im
Umkehrschluss wollte Arrieta wissen, ob diese Keime schützende Eigenschaften
haben.
Übertrug Arrieta Stuhl von asthmagefährdeten Kindern in den Darm steriler,
neugeborener Mäuse, kam es zu folgendem Effekt: Reizten Forscher deren
Atemwege, traten tatsächlich entzündliche Reaktionen auf. Bekamen Tiere jedoch
FLVR-Bakterien, blieben asthmaähnliche Symptome aus. Das könnte an
Stoffwechselprodukten wie kurzkettigen Fettsäuren liegen, spekulieren die Autoren.
Sie schlagen weitere Studien vor, um die Bedeutung verschiedener Keime
einzuschätzen.
Kleine Moleküle mit Biss
Kurzkettige Fettsäuren spielen auch eine Rolle, um schwere Graft-versus-HostReaktionen nach allogenen Stammzelltransplantationen abzumildern. Nathan D.
Mathewson aus Ann Arbor, Michigan wollte in erster Linie schwere
Darmschädigungen vermeiden. Gab er Mäusen nach einer allogenen
Stammzelltransplantation per Magensonde Butyrat oder Bakterien, die Butyrat
produzierten, kam es zu deutlich geringeren unerwünschten Reaktionen. Mathewson
führt seine Beobachtung auf zwei Mechanismen zurück: Einerseits wirkt das Molekül
als Energiequelle für Epithelzellen. Andererseits hemmt es Histon-Deacetylasen.
Diese Enzyme regeln nicht nur Transkriptionsprozesse. Sie steuern auch den
Zellzyklus inklusive Untergang von Darmepithel. Nach seinem Erfolg bei Nagern
plant Mathewson jetzt klinische Studien. Er will versuchen, Butyrat-produzierende
Bakterien im menschlichen Darm mit Stärkederivaten zu „füttern“, die wir nicht
aufschließen können.
Mal gut, mal schlecht
Darmbakterien haben aber nicht nur – wie die genannten Studien erahnen lassen –
wünschenswerte Effekte, sondern führen auch zur Verschlimmerung bestimmter
Erkrankungen. Das hat folgenden Hintergrund: Kurz nach der Geburt besiedeln
Bakterien unseren Darm, und das Immunsystem entwickelt über regulatorische TZellen eine gewisse Toleranz. Diese Spezies spielen älteren Arbeiten zufolge auch
bei Schlaganfällen eine zentrale Rolle. Bei transgenen Mäusen, deren Immunsystem
keine regulatorischen T-Helferzellen besitzt, fällt die Schädigung nach einem
Schlaganfall um 75 Prozent geringer als beim Wildtyp.
Corinne Benakis aus New York ging jetzt der Frage nach, ob pharmakologische
Interventionenmöglich sind – und kam zu einer differenzierteren Sichtweise. Sie
behandelte Nager zwei Wochen lang mit Amoxicillin und Clavulansäure.
Anschließend simulierte Benakis einen Schlaganfall, indem sie Hirnarterien
blockierte. Tatsächlich fiel die Schädigung um 60 Prozent geringer aus als bei der
Kontrollgruppe. Im Darm fanden Wissenschaftler nach der Antibiotikagabe mehr
regulatorische T-Zellen. Gleichzeitig gab es weniger gamma-delta-T-Zellen: ein
Zelltyp, der laut Benakis sogar die weichen Hirnhäute erreicht. Die klinische
Relevanz ist noch unklar. Rein spekulativ könnten Menschen mit hohem
Schlaganfallrisiko von einer Antibiotikaprophylaxe profitieren.
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