ZUSAMMENFASSUNG 5 Zusammenfassung Die in dieser Arbeit verwendete Methode der in vitro Differenzierung von ES-Zellen und die nachfolgende Aufreinigung der aus ES-Zellen hervorgegangenen Neurone stellt ein wichtiges Werkzeug zur Analyse von früh embryonal lethalen Deletionsmutationen dar, die ansonsten keine Möglichkeit zur Untersuchung neuronaler Strukturen bieten. Es konnte in Vorarbeiten gezeigt werden, dass die aus der in vitro Differenzierung hervorgegangenen Neurone typische, exzitatorische Synapsen ausbilden und gut mit primärkultivierten cortikalen Neuronen der Maus vergleichbar sind (Jüngling et al., 2003). Mittels dieser Methode konnten in dieser Arbeit erstmals die homozygoten N- und E-Cadherindeletionsmutanten bezüglich Synaptogeneseprozessen und synaptischer Transmission untersucht werden. Die Analyse von N-Cadherin -/- Neuronen in homotypen Kulturen zeigte, dass die Synapsenbildung an sich auch in Abwesenheit des synaptischen Adhäsionsmoleküls NCadherin abläuft. Mit zwei unterschiedlichen Methoden (Immuncytochemischer Nachweis von Synapsin I und FM4-64 Färbungen) konnte deutlich gemacht werden, dass die Synapsendichte auf den Dendriten der N-Cadherin -/- Neurone nicht verändert ist. Dies läßt den Schluß zu, dass die initiale Synaptogenese auch über N-Cadherin-unabhängige Mechanismen, die sowohl andere klassische Cadherine als auch andere Adhäsionsmoleküle oder diffusible Faktoren beinhalten können, gesteuert werden kann. Analysen der funktionellen Transmitterfreisetzungseigenschaften mittels aktivitätsabhängiger Aufnahme des Farbstoffs FM4-64 und mittels elektrophysiologischer Ableitungen zeigten Veränderungen der FM4-64 Freisetzungskinetiken und eine deutliche „paired-pulse“ Depression, sowie eine ausgeprägte synaptische Depression während hochfrequenter Stimulationen. Dies deutet darauf hin, dass in Abwesenheit von N-Cadherin eine deutliche Störung der Kurzzeitplastizität an exzitatorischen Synapsen vorliegt. Da die Kurzzeitplastizität eine Art Gedächtnis des Aktivitätslevels einer Synapse darstellt, hat eine Veränderung dieser Aktivitätsintegration Folgen für die Informationsweiterleitung an nachgeschaltete Neurone. Durch die massive „paired-pulse“ Depression und die vorzeitige Depletion des RRPs an N-Cadherin -/- Synapsen sinkt die Wahrscheinlichkeit Aktionspotential-kodierte Informationen innerhalb eines Netzwerkes an nachgeschaltete Ziele weiterzugeben. Desweiteren zeigten N-Cadherin defiziente Neurone in langen Aktivitätsphasen einen Verlust der synchronen Transmitterfreisetzung an exzitatorischen Synapsen. Eine derart drastische Änderung der Freisetzungskinetik spricht für eine dramatische Veränderung der präsynaptischen Struktur. Insgesamt deuten beide Befunde darauf hin, dass an N-Cadherin -/- Synapsen die Bereitstellung fusionskompetenter Vesikel in 119 ZUSAMMENFASSUNG Phasen erhöhter Aktivität deutlich reduziert ist. N-Cadherin scheint also die Struktur junger glutamaterger Synapsen zu stabilisieren und eine koordinierte Transmission zu gewährleisten. Analysen der synaptischen Transmission an glutamatergen Synapsen in chimären Kulturen zwischen N-Cadherin -/- Neuronen und EGFP-coWT Neuronen zeigten, dass zur effektiven Stabilisierung der präsynaptischen Struktur eine homophile, transsynaptische Interaktion von prä- und postsynaptisch exprimierten N-Cadherinmolekülen notwendig ist. Der postsynaptische Verlust von N-Cadherin induziert in N-Cadherin exprimierenden Präsynapsen vergleichbare Veränderungen der Transmissionseigenschaften, wie sie in homotypen N-Cadherin -/- Kulturen beobachtet werden konnten. Die Analyse der synaptischen Transmission an glutamatergen Synapsen in E-Cadherin -/Neuronen in homotypen Kulturen zeigte, dass E-Cadherin ebenfalls eine, wenn auch weniger stark ausgeprägte, stabilisierende Funktion bei der Transmitterfreisetzung zukommt. Obwohl in der Literatur an hippocampalen Neuronen ein unterschiedliches Expressionsmuster von Nund E-Cadherin an Synapsen gezeigt wird und auf Grund dieser Daten eine Funktion von ECadherin an glutamatergen Synapsen eher unwahrscheinlich erschien, konnte in dieser Arbeit jedoch gezeigt werden, dass deutliche Unterschiede zwischen E-Cadherin defizienten und entsprechenden Kontrollen bezüglich der Transmissionseigenschaften an glutamatergen Synapsen vorliegen. Die zusätzliche Analyse chimärer Kulturen unterschiedlicher Genotypen ergab Hinweise auf einen auf der N-Cadherinexpression basierenden Mechanismus zur selektiven Synapsenbildung zwischen Neuronen mit unterschiedlicher Cadherinausstattung. In zwei unabhängigen Experimentreihen kam es zwischen präsynaptischen N-Cadherin -/- Neuronen und postsynaptischen N-Cadherin +/+ Neuronen (EGFP-coWT Neuronen bzw. E-Cadherin -/Neuronen) zu einer funktionell sehr ineffektiven Innervation der Zielneuronen, während es in allen anderen Kombinationen zu einer wesentlich effektiveren Innervation kam. Aus diesen Ergebnissen ergibt sich die Hypothese, dass die Innervation einer Zielzelle oder eines ganzen „Zielareals“ eher durch die Proteinausstattung des Zielareals als durch die Proteinausstattung des einwachsenden Axons determiniert wird. Abhängig von der Cadherinexpression läßt das Zielneuron demnach eine Synapsenbildung zu und wird nicht durch das Axon auserwählt. Insgesamt zeigt diese Arbeit, dass Cadherine eine wichtige Rolle bei der selektiven Verschaltung innerhalb kleinerer Netzwerke übernehmen. Es ist wahrscheinlich, dass sich diese Erkenntnisse auch auf größere Strukturen des ZNS übertragen lassen. Desweiteren 120 ZUSAMMENFASSUNG werden junge glutamaterge Synapsen durch N-Cadherin stabilisiert, was eine effektive, koordinierte Informationsweitergabe innerhalb von neuronalen Netzwerken gewährleistet. Neben vielen Erkenntnissen zur N-Cadherinfunktion hat diese Arbeit auch eine Reihe neuer Fragen aufgeworfen, die weitergehende Detailanalysen erfordern. In an diese Arbeit angeschlossene Experimente sollten die Auswirkungen der unterschiedlichen Cadherinexpression in chimären Kulturen bezüglich spezifischer Verschaltungsmuster analysiert werden. Die Auswirkungen der N-Cadherin Defizienz in einem Teil der Neurone auf Phänomene wie „feedback-inhibition“ oder rekurrente Erregung und die damit einhergehende Änderung von Aktivitätsmustern bedürfen einer eingehenden Untersuchung. 121