PHONIATRIE Teil 3: Schluckstörungen Sprach-/Sprechstörungen Prof. Dr. Michael Fuchs Sektion Phoniatrie und Audiologie Vorlesungsreihe HNO-Heilkunde für Humanmediziner Dysphagie Normaler Schluckakt vitale Notwendigkeit Lebensqualität soziale Integration Dysphagie Schlucken: • Primärfunktion 580 – 2000 x / Tag • 50 Muskelgruppen • 5 Hirnnervenpaare (V, VII,X, IX, XII) • 4 Cervikalnerven • zentrale Steuerung über Schluckzentrum im Hirnstamm und höhere suprabulbäre und kortikale Zentren 1 Phasen des Schluckaktes: • • • • orale Vorbereitungsphase orale Phase pharyngeale Phase oesophageale Phase individuell 1 – 1,5 s 1s 8 – 20 s Verschlussebenen Zunge aryepiglottische Falten Taschenfalten Stimmlippen Dysphagie-Diagnostik ausführliche DysphagieAnamnese und allgemeine klinische Untersuchung der am Schluckakt beteiligten Organe Fiberoptic endoscopic evaluation of swallowing disorders (FEES) Röntgenvideographie der Schluckfunktion bei Aufnahme von Kontrastmittel/Nahrung 2 Videoendoskopische Diagnostik FEES: • • • • • • • • Beobachtung des Schluckvorganges transnasal (flexibel) und transoral (starr) möglich Videodokumentation aufrechte Körperhaltung keine Lokalanästhesie der Nase Verwendung von Lebensmittelfarbe Leerschlucken flüssige, dünnbreiige, breiige und feste Konsistenzen Z.n. supraglottischer KK-Teilresektion: 3 Ursachen für Dysphagien • • • • • Strukturveränderungen Sensibilitätsstörungen Motilitätsstörungen Tracheotomie und Langzeitintubation Radiatio Indirekte Symptome: • Gewichtsabnahme, Exzikose • vermehrte Verschleimung, Räusperzwang, Fremdkörpergefühl, verstärktes Husten • unklare Temperaturerhöhung • gehäufte Infekte • Erhöhung der Blutsenkungsgeschwindigkeit • Entzündungszeichen im Blutbild • pathologische Thorax- und Bronchoskopiebefunde • Beeinträchtigung der Lungenfunktion als Zeichen des gestörten Schutzes der Atemwege Störungen der oralen Phase: • oraler Nahrungsmittelaustritt (Drooling) • Retention von Nahrung oder Speichel in Mundrachen • verlängerte orale Transitzeit • verzögerte oder aufgehobene Auslösung des Schluckaktes 4 Störungen der pharyngealen Phase: • nasales Regurgitieren • Ablaufen des Bolus vor Auslösen des Schluckreflexes: – in den Pharynx = Leaking – in den noch geöffneten Larynx = prädeglutitive Aspiration • Penetration - bis zur Supraglottis • Aspiration - bis subglottisch = intradeglutitive Aspiration Störungen der pharyngealen Phase: • Retention (Vallecula, Rec. piriformis) • Überlaufen von Bolus in Glottis und Subglottis = postdeglutitive Aspiration • eingeschränkte oder fehlende Elevation von Hyoid und Larynx Störungen der pharyngealen Phase: • Sensibilitätsstörungen des Hypopharynx/Larynx • Störung Schutzreflexauslösung • fehlender relektorischer und intendierter Hustenstoß cave: silent aspiration ! • gurgelige Stimme und Atmung 5 Folgen der Dysphagie Aspiration Malnutrition Pneumonie Gewichtsverlust Aspiration – Schweregrade: 0 I II III IV keine Aspiration gelegentliche Aspiration bei erhaltenem Hustenreflex permanente Aspiration bei erhaltenem Hustenreflex oder gelegentliche Aspiration ohne Hustenreflex mit gutem willkürlichen Abhusten permanente Aspiration ohne Hustenreflex mit gutem willkürlichen Abhusten permanente Aspiration ohne Hustenreflex ohne willkürliches Abhusten 6 Verhalten bei Aspiration: • Aspirationsgrade I und II: konservative Maßnahmen (Diät, funktionelle Schlucktherapie, Refluxprophylaxe) • Aspirationsgrade III und IV: keine orale Nahrungsaufnahme Tracheotomie, geblockte Kanüle PEG/PEJ Therapie: • Keine Schluckversuche oder logopädische Therapie ohne vorherige Dysphagiediagnostik! Schluckversuch trotz Warnsymptome ist wie Laufen bei Frakturverdacht. Therapie (Übersicht): • Sofortmaßnahmen • Behandlung der Grundkrankheit • konservative Behandlung von Passagehindernissen • medikamentöse Behandlung • funktionelle Therapie • chirurgische Intervention 7 Therapie: Sofortmaßnahmen Aspiration 3. und 4. Grades • absolutes Verbot der oralen Nahrungszufuhr • nasogastrale Sonde oder • perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) • ggf. Tracheotomie Absaugung, Kanüle • Sekretmanagement • Thorax-Röntgenkontrolle • Blutbild, BSR, Körpertemperaturmessung • evtl. Bronchoskopie Sekret- und Speichelmanagement Mehr Sekret Hydratation Weniger Sekret Scopoderm (bis zu drei Pflaster gleichzeitig) HME Booster „Frische Luft“ Inhalationen Weniger Flüssigkeit Zusatz von Mukolyticum Belladonna Orales Mukolyticum Botoxinjektion in große Speicheldrüsen Therapie: Sofortmaßnahmen Aspiration 3. und 4. Grades • Antibiotikatherapie • Sanierung der oberen Luftwege (Broncholavage) • Magensaftneutralisierung 8 Therapie: Grunderkrankung folgt der jeweiligen Ätiologie • konservative Behandlung von Passagehindernissen • zum Beispiel nach Stenosen nach Operationen und/oder Bestrahlung • Bougierung des Pharynx / des Ösophagus Therapie: medikamentös • insbesondere für Motilitätsstörungen des Ösophagus • Calciumantagonisten hypermobiler Ösophagus, Achalasie • Botulinumtoxin Spasmus oberer Ösophagussphinkter (Achalasie) • Domperidon, Cisaprid hypomobiler Ösophagus • Antazida, H2-Rezeptoren-Blocker, Protonenpumpenblocker Reflux • Scopoderm-Pflaster zur Speichelreduktion Therapie: Übungsbehandlung kompensatorische Therapie: • Haltungsänderungen (Kopfposition) • Kompensationsmanöver • diätetische Maßnahmen • Platzierung der Nahrung • Hilfsmittel 9 Therapie: Beispiel Haltungsänderungen • Vorbeugen des Kopfes verengt Eingang der Luftwege. Zungengrund und Epiglottis nach hinten verhindert zu frühes Nach-hinten-Gleiten des Bolus • Kopfneigung nach hinten fördert Bolustransport • Kopfrotation zur kranken Seite verschließt Rec. piriformis dieser Seite, Bolustransport über andere Seite • Kopfkippung bevorzugter Transport auf unten liegender Seite (Schwerkraft) Therapie: Beispiel Kompensationsmanöver • effortful swallow posteriore Zungenbewegung verstärkt • Mendelsohn-Manöver willkürliche lange Hebung des Zungenbeins • supraglottisches Schlucken Larynxverschluss auf Glottisebene vor und während des Schluckens, willkürliches Atemanhalten, Nachräuspern und Nachschlucken vor dem nächsten Weiteratmen • super-supraglottisches Schlucken zusätzlicher supraglottischer Verschluss durch Pressen Therapie: Beispiel dietätische Maßnahmen • flüssigere Nahrung: bei Störungen • der Kaubewegung • der lingualen Funktion • der pharyngealen Peristaltik • des pharyngoösophagealen Sphinkters • breiige Nahrung: bei • verspäteter Auslösung des Schluckreflexes • unvollständigem Larynxverschluss • cave: Bolusgröße, Temperatur, Geschmack, Geruch 10 Therapie: Beispiel Hilfsmittel • Strohhalm • Becher mit Nasenkerbe beim Schlucken in Anteflexion • Schnabeltasse • Besteck mit dicken Griffen, Teller mit rutschfestem Boden Therapie: Beispiel chirurgische Maßnahmen • Maßnahmen zur Erleichterung der Boluspassage: • Myotomie des oberen Sphinkters • chirurgische Versorgung des unteren Sphinkters • Laryngohyoidomentopexie Larynxelevation und Pharynxerweiterung Therapie: Beispiel chirurgische Maßnahmen • Maßnahmen zur Aspirationsverhinderung: • Verbesserung des Glottisschlusses • Medianverlagerung der Stimmlippen Thyreoplastik Typ I, Kollagen • Verlagerung der Epiglottis nach dorsal (Epiglottoarypexie) 11 Funktionelle Rehabilitation beginnt bei onkologischen Patienten präoperativ Kanülenmanagement Übersicht Sprach- und Sprechstörungen • • • • • • • verzögerte Sprachentwicklung Dyslalien (entw.-bed. Artikulation) Näseln ( nasaler Klanganteil) Dysglossien ( periphere Sprechorgane) Redeflussstörungen Dysarthrien (neurale der Sprechbewegung) Sprechapraxie ( Programmierung von Sprechbewegungen) • Dysphasien ( eines bereits erworbenen sprachfunktionalen Systems) • neurotische und psychotische Störungen der Sprache 12 Dyslalie • Stammeln, Entwicklungsstörung der Lautbildung • Entwicklungsstammeln: • 3.-4. Lbj., physiologisch, Stammelfehler nach Abschluss des 4. Lbj. Logopädie, Korrektur • vor Einschulung • multifaktorielles kausales Bedingungsgefüge • Perzeption, Kognition, Expression • Einteilung: • isoliert, partiell, multipel, universell • inkonstant/konstant; inkonsequent/konsequent Dysglossien • Störungen der Aussprache infolge organischer Veränderungen an peripheren Sprechorganen • labiale Dysglossien • Spalten, Fazialisparese, Operationsfolgen, Verletzungen • dentale Dysglossien • Sigmatismus, Zahnstellungs-/Bissanomalien, Zahnverluste • linguale Dysglossien • angeboren (Makro-/Mikroglossie), • erworben (OP-Folgen, Verletzungen, Verbrühungen, Verätzungen) Übersicht Sprach- und Sprechstörungen • • • • • • • verzögerte Sprachentwicklung Dyslalien (entw.-bed. Artikulation) Näseln ( nasaler Klanganteil) Dysglossien ( periphere Sprechorgane) Redeflussstörungen Dysarthrien (neurale der Sprechbewegung) Dysarthrie Bsp1.WAV Sprechapraxie ( Programmierung von Sprechbewegungen) Dysphasie Bsp1.WAV • Dysphasien ( eines bereits erworbenen Aphasie Bsp1.WAV sprachfunktionalen Systems) • neurotische und psychotische Störungen der Sprache 13