Wissenschaft intern 733 Von Menschen und Läusen: Leopoldina International Symposium „Parasitism, Commensalism, Symbiosis – Common Themes, Different Outcome“ Christoph Schoen Biozentrum, Lehrstuhl für Mikrobiologie, Universität Würzburg Als die amerikanische Evolutionsbiologin Lynn Margulis vor über 30 Jahren erstmals die Endosymbiontenhypothese vorstellte, der zufolge Zellorganellen wie Mitochondrien und Chloroplasten aus bakteriellen Vorläufern entstanden seien, stieß diese unter den Wissenschaftlern auf große Skepsis. Dass sich dies in der Zwischenzeit grundlegend geändert hat, beweist das Thema des Symposiums, welches anlässlich des 350. Geburtstags der Deutschen Akademie Naturforscher Leopoldina sowie des 600. Geburtstags der Universität Würzburg vom 24. bis 26. Juli im Biozentrum der Universität stattfand. Die Tagung umfasste ein breites Spektrum von Themen, wobei einmal mehr die enorme Bedeutung der Genomforschung für die biomedizinische Forschung deutlich wurde (siehe auch BIOspektrum 4/2002, S. 404). Bemerkenswerter Weise sind Bakterien, die zum wechselseitigen Nutzen in Zellen höherer Organismen leben (Endosymbionten), im Pflanzenreich und bei wirbellosen Tieren weit verbreitet, bei Säugern hingegen nie beobachtet worden. Ein Modellsystem, anhand dessen sich viele Aspekte dieser ganz besonderen Beziehung eingehender untersuchen lassen, ist zum Beispiel die Endosymbiose des Bakteriums Buchnera aphidicola mit der Blattlaus Acyrthosiphon pisum, wobei der Endosymbiont die Wirtszelle mit essentiellen Aminosäuren versorgt, dafür andere von dieser erhält. Diese Symbiose geht wahrscheinlich auf eine Infektion des Ahnen der Blattlaus mit einem Vorläufer der heutigen Buchnera-Arten vor etwa 200–250 Millionen Jahren zurück. Durch Weitergabe der Bakterien über Eier und Embryo an alle Blattlausnachkommen kam es zu einer Koevolution, ja sogar zu einer parallelen Artenbildung (Kospeziation) von Wirt und Endosymbiont. Dabei wurde das bakterielle Genom auf das Notwendigste reduziert – in diesem Fall auf nur noch 640.000 Basenpaare – und hat sich offenbar in den letzten 50 Millionen Jahren kaum mehr verändert. BIOspektrum · 6/02 · 8. Jahrgang Elektronenmikroskopische Aufnahme von Myzetozyten (Myz, auch Bacteriozyten genannt) aus dem Mitteldarm der Ameise Camponotus rufipens, die große Mengen des endosymbiotischen Bakteriums Blochmannia rufipens enthalten. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von R. Gross (Würzburg). Bei dem Symposium kamen noch andere Beispiele für Genomreduktionen und Verknüpfungen von Stoffwechselleistungen (Synthropie und auch „metabolic interdependence“) bei Bakterien zur Sprache. So sind beim entwicklungsgeschichtlich jungen Pesterreger Yersinia pestis zahlreiche Gene zwar noch vorhanden, aber inaktiviert (Pseudogene). Im Allgemeinen gilt eine Besiedlung mit zwei Endosymbiontenarten als schädlich für den sie beherbergenden Wirt. Um so erstaunlicher ist die „menage à trois“ des Meeressedimente bewohnenden Borstenwurmes Olavius algarvensis mit einem sulfatreduzierenden Bakterium als sekundärem Endosymbionten, der einem weiteren, primären Endosymbionten Sulfid zur autotrophen Fixierung von Kohlendioxid zur Verfügung stellt, wovon wiederum auch der Wirt profitiert. Auf diese Weise sind Wurm und Bakterien unabhängig von externen Sulfidquellen, ein Vorteil bei der Besiedlung neuer Habitate. Zahlreiche bakterielle Krankheitserreger von Mensch und Tier benutzen eine Art molekularer Injektionsnadel, Typ III-Sekretionsssytem genannt, um Proteine in ihre eukaryontische Zielzelle hinein zu bringen, welche diese blitzschnell für die Zwecke des Bakteriums umprogrammieren. Erstaunlicherweise finden sich die gleichen Mechanismen auch bei Pflanzenpathogenen und Symbionten von Insekten. Gute Wirtsmodelle sind wichtig für die Aufklärung bakterieller Infektionsvorgänge. Neuerdings werden hierfür außer Amöben, als Modell für phagozytische Säugerzellen, sogar der Wurm Caenorhabditis elegans und die Taufliege Drosophila eingesetzt. Dass das Studium bakterieller Endosymbionten nicht nur von akademischen Interesse ist, zeigt das Beispiel des Nematoden Onchocerca volvulus, Parasit des Menschen und Erreger der Flussblindheit. Bakterielle Endosymbionten der Gattung Wolbachia sind für die Fertilität und Embryogenese dieses Wurmes essentiell, tragen aber auch direkt zur Entstehung der Onchocercose und der damit einhergehenden Erblindung bei. Die Kombination eines Wurmmittels mit einem geeigneten Antibiotikum, das die Bakterien eliminiert, stellt somit einen völlig neuartigen und vielversprechenden Ansatz in der Therapie der Flussblindheit dar. Die Genomforschung hält immer neue Überraschungen bereit: Rickettsia prowazekii, ein obligat intrazelluläres Bakterium und Verursacher des klassischen Fleckfiebers des Menschen, ist den Mitochondrien – ihrerseits Endprodukt einer Jahrmilliarden dauernden Entwicklung hin zu einem ultimativen Endosymbionten – der auf Genomebene am nächsten verwandte Mikroorganismus! Ausführliche Zusammenfassungen aller Vorträge werden in einem Tagungsband aus der Reihe „Nova Acta Leopoldina“ zu finden sein, Programm und Abstracts schon jetzt unter www.biozentrum.uni-wuerzburg/microbiology/symposium.html. Organisiert wurde die international hochkarätig besetzte Tagung von Roy Gross, Werner Goebel, Matthias Frosch, Jörg Hacker, Ute Hentschel, Michael Steinert und Volker ter Meulen von den verschiedenen infektiologisch ausgerichteten Instituten der Universität Würzburg sowie von Markus Riederer vom botanischen Institut. Der Evolutionsgedanke war das einigende Band in der Vielfalt und Komplexität der untersuchten Systeme. Um es mit den Worten des Evolutionsgenetikers Theodosius Dobzhansky zu sagen: „Nothing in biology makes sense except in the light of evolution“. Korrespondenzadresse: Dr. Christoph Schoen Biozentrum – Mikrobiologie Am Hubland D-97074 Würzburg Tel.: 0931 – 888 4408 Fax: 0931 – 888 4402 [email protected]