Ingo Pawlita MEDIZIN-REPORT Priv.-Doz. Dr. Thomas Pfluger Die Rolle der Nuklearmedizin in der pädiatrischen Onkologie Die Nuklearmedizin nimmt mittlerweile eine wichtige Rolle bei der Diagnosesicherung und Verlaufsbeurteilung onkologischer Erkrankungen im Kindesalter ein und gewinnt im Rahmen der bildgebenden Diagnostik zunehmend an Bedeutung. Dieser Artikel soll einen Überblick geben über die Durchführung nuklearmedizinischer Untersuchungen und deren Einsatz in der pädiatrischen Onkologie. Was bedeutet Nuklearmedizin ? Nuklearmedizin ist die Anwendung radioaktiver Stoffe zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken an Patienten. Sie bedient sich hierbei radioaktiv markierter Arzneimittel (sog. Radiopharmaka), die in sehr geringen Mengen ein oder mehrere Radionuklide enthalten und ionisierende Strahlung spontan aussenden. Diese kann mit geeigneten Aufnahmegeräten (z.B. einer Gammakamera) zur Bildgebung verwendet werden. Radiopharmaka bestehen aus dem Radionuklid und einem organspezifischen Träger, der je nach Zielsetzung der Untersuchung gewählt wird. Die Radiopharmaka werden vom Körper ähnlich wie körpereigene Elemente verstoffwechselt. Sie werden aber in so geringer Menge verwendet, dass hierdurch keine Beeinflussung von Stoffwechselvorgängen stattfindet. In der nuklearmedizinischen Diagnostik kommen Radionuklide mit kurzer Halbwertszeit zur Verwendung, die hauptsächlich Gammastrahlung emittieren, eine elektromagnetische Wellenstrahlung, die bei radioaktiven Zerfällen im Körper freigesetzt wird und außerhalb des Körpers messbar ist. Dort wird sie mit speziellen Kameras aufgefangen und unter Zuhilfenahme elektronischer Verstärker und Zählgeräte in Bilder umgewandelt. Um eine möglichst genaue Darstellung der Verteilungsverhältnisse im Körper zu garantieren, sind dabei teilweise eine rotierende Kamera oder ein Ring von Detektoren im Einsatz. Bei der bildlichen Darstellung von Aktivitäts-Verteilungen spricht man von einem Szintigramm. Bild 1: Schematische Darstellung einer nuklearmedizinischen Untersuchung: Nach Injektion des Radiopharmakons wird die Gammastrahlung über ein Detektorsystem aufgenommen und kann nach der Bearbeitung am Bildschirm betrachtet werden. Was ist der Unterschied zwischen der Nuklearmedizin und der Radiologie? Radiologische Untersuchungsverfahren wie z.B. konventionelle Röntgendiagnostik, Computertomographie und Kernspintomographie erlauben die hochaufgelöste bildliche Darstellung der Körperstrukturen, oder mit anderen Worten die Darstellung der Morphologie des Körpers. Nuklearmedizinische Untersuchungen sind dagegen Funktionsuntersuchungen. Die große Stärke der Nuklearmedizin liegt in der Möglichkeit, funktionelle Vorgänge und Zusammenhänge im Körper darzustellen. Die Veränderung von Aktivitätsverteilungen in einem bestimmten Bereich des Körpers ist allerdings unspezifisch, so kann z.B. eine erhöhte Aktivität durch einen bösartigen Prozess, aber auch durch eine Entzündung oder Folgen einer Verletzung verursacht sein. Nur in Zusammenschau mit Krankengeschichte, Untersuchungsbefund und anderen Befunden ist eine effektive Beurteilung der nuklearmedizinischen Diagnostik möglich. Wichtig ist vor allen Dingen in vielen Fällen eine Korrelation mit der morphologischen Bildgebung. Bei der Entnahme von Gewebeproben hat dies besondere Bedeutung, da zum einen der exakte Zugangsweg nur mit der radiologischen Bildgebung (Morphologie) festgelegt werden kann und zum Anderen der aktivste Anteil einer Raumforderung nur mit nuklearmedizinischen Verfahren (Funktion) bestimmt werden kann. Wie werden nuklearmedizinische Untersuchungen durchgeführt? In aller Regel wird das Radiopharmakon über eine Vene in den Blutkreislauf des Patienten eingebracht. Nach einer bestimmten Wartezeit (5 Minuten bis 24 Stunden, je nach dem verwendeten Radiopharmakon), die zur Verstoffwechselung und Speicherung des Radiopharmakons in der Zielstruktur notwendig ist, werden die entsprechenden Szintigramme bzw. Aufnahmen angefertigt. Das Anfertigen der Aufnahmen selbst dauert zwischen 20 und 60 Minuten. Während dieser Zeit sollten die Kinder möglichst ruhig auf dem Untersuchungsgerät liegen bleiben. Durch spezielle Betreuung in kindernuklearmedizinischen Abteilungen können diese Untersuchungen jedoch in weit über 95% der Fälle ohne Narkose oder Sedierung durchgeführt werden. Nach der Untersuchung sind beim Umgang mit dem Patienten keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen zu beachten. MEDIZIN-REPORT Die Rolle der Nuklearmedizin in der pädiatrischen Onkologie Wie hoch ist die Strahlenexposition? Da es sich bei den verwendeten Radionukliden um radioaktive Stoffe handelt, entsteht durch eine nuklearmedizinische Untersuchung eine geringe Strahlenbelastung für das Kind. Diese ist aber im Vergleich mit der natürlichen Strahlenbelastung, der jeder Mensch ausgesetzt ist (in München ca. 3-4 mSv/Jahr) und der Belastung z.B. durch eine Computertomographie (5-25 mSv) als gering einzuschätzen. Durch den gezielten und begrenzten Einsatz von nuklearmedizinischen Untersuchungen sind nach heutigem Kenntnisstand keinerlei Folgeschäden für die Kinder zu befürchten. Bild 2: Strahlenexposition durch radiologische Diagnostik: Die nuklearmedizinischen Untersuchungen wie PET, Skelett- und MIBG-Szintigraphie im Vergleich zur natürlichen Strahlenexposition und der Exposition durch konventionelle radiologische Bildgebung . Was sind die Einsatzmöglichkeiten der Nuklearmedizin in der pädiatrischen Onkologie? Die Einsatzmöglichkeiten der Nuklearmedizin in der pädiatrischen Onkologie sind sehr vielfältig. Zum einen kann sie genutzt werden, um bei Tumorerkrankungen den aktivsten Teil eines Tumors auszumachen z.B. für die Entnahme einer Gewebeprobe und um weitere Absiedelungen eines Tumors zu finden (Staging). Eine sehr wichtige Funktion ist die Verlaufskontrolle, d.h. die Beurteilung des Ansprechens einer malignen Erkrankung auf Chemotherapie, Bestrahlung oder Operation. Im weiteren Verlauf ist es so auch möglich, Aussagen über das Wiederauftreten einer malignen Erkrankung oder die Aktivität eines eventuell vorhandenen Resttumors zu machen. In einzelnen Fällen werden Radiopharmaka auch therapeutisch eingesetzt. Welche Untersuchungsmethoden werden in der pädiatrischen Onkologie verwendet? Im folgenden sollen die für die pädiatrische Onkologie wichtigsten nuklearmedizinischen Untersuchungen, die Positronenemissionstomographie (PET), die Skelett- und die MIBG-Szintigraphie kurz zusammengefasst und erklärt werden. 1) Positronenemissionstomographie (PET) Die wichtigste nuklearmedizinische Untersuchung in der pädiatrischen Onkologie ist in letzter Zeit die Positronenemissionstomographie (PET). Hierbei werden Glucose-Moleküle mit 18Fluor radioaktiv markiert und zeigen dann im Körper an Stellen mit erhöhtem Zuckerstoffwechsel, wie im Bereich maligner Tumoren einen erhöhten Uptake (= Aufnahme). Durch die spezielle Eigenschaft der ausgesendeten Gammaquanten exakt im 180°-Winkel lässt sich der Zuckerstoffwechsel im gesamten Körper mit hoher Auflösung darstellen und somit auch die genaue Verteilung und Ausbreitung der malignen Tumorerkrankung. Bild 3: PET-Scanner: Bild eines Gerätes, das zur Erstellung einer Positronenemissionstomographie verwendet wird . Da für die Untersuchung Zuckermoleküle verwendet werden, müssen die Kinder vor der Untersuchung etwa sechs Stunden nüchtern sein. Die Untersuchung selbst dauert etwa 30-45 Minuten. Nach der Untersuchung werden die Bilder durch einen Computer rekonstruiert, d.h. eine dreidimensionale Darstellung des Körpers anhand der Verteilung des markierten Zuckers berechnet. Typischerweise findet sich bei Gesunden ein leicht erhöhter Uptake in Organen mit hohem Stoffwechsel z.B. in Gehirn, Herz und Leber. Im Bereich der Onkologie dient diese Untersuchung dazu, einen aktiven Tumor nachzuweisen, nach Metastasen (= Zweitabsiedelungen) von Tumoren zu suchen oder nach geeigneten Stellen für eine Biopsie (=Probenentnahme) zur Sicherung der Diagnose. Ganz wichtig ist die Positronenemissionstomographie bei der Verlaufskontrolle von malignen Erkrankungen unter Chemotherapie, nach Operation und Bestrahlung. Bild 4: Positronenemissionstomographie Normalbefund: Physiologisch vermehrter Uptake der Glucose in Gehirn, Herz, Nieren und Blase; diese Bereiche stellen sich deutlich dunkler dar als der restliche Körper. MEDIZIN-REPORT Die Rolle der Nuklearmedizin in der pädiatrischen Onkologie Bild 5: Positronenemissionstomographie Non-HodgkinLymphom: Darstellung eines Non-Hodgkin-Lymphoms im oberen Bereich des Brustkorbs mit deutlich erhöhtem Uptake von Glucose in diesem Bereich Bild 7: Skelettszintigraphie Normalbefund: Normalbefund einer Skelettszintigraphie mit normaler Verteilung des Radiopharmakons in der Frühphase (nach 3 Minuten), die die Durchblutung zeigt (2 Bilder links). Nach 3 Stunden normale Darstellung des Knochenstoffwechsels mit erhöhter Speicherung des Radiopharmakons v.a. im Bereich der Wachstumsfugen (2 Bilder rechts). Bedingt durch den erhöhten Knochenumbau in Skelettmetastasen können Mehrspeicherungen in der Skelettszintigraphie auf ein malignes Geschehen hindeuten, aber z.B. auch durch eine Entzündung oder eine Fraktur in diesem Bereich bedingt sein. In der Onkologie wird die Skelettszintigraphie bei Tumoren wie z.B. dem Neuroblastom durchgeführt, um nach Skelettmetastasen (Absiedelungen des Primärtumors im Bereich des Körperskelettes) zu suchen. 3) MIBG-Szintigraphie Bild 6: Positronenemissionstomographie Non-HodgkinLymphom: Darstellung eines Non-Hodgkin-Lymphoms mit Befall mehrerer Lymphknotenstationen (Bild links) mit im Verlauf deutlich abnehmendem Uptake der Glucose im Therapieverlauf (Bild rechts) 2) Skelett-Szintigraphie Für die Skelett-Szintigraphie werden radioaktiv markierte Phosphonate verwendet, die sich im Knochen abhängig von Durchblutung und Knochenstoffwechsel anreichern. Um die Untersuchung durchführen zu können, wird das Radiopharmakon in die Vene injiziert. Es werden direkt nach der Injektion (Durchblutung) und nach etwa drei Stunden (Knochenstoffwechsel) Aufnahmen des gesamten Körpers angefertigt. Eventuell kann es notwendig sein, sich bestimmte Körperareale genauer anzusehen, von denen man dann weitere Bilder in anderen Ebenen macht. Im gesunden Skelett stellen sich Bereiche mit höherer Beanspruchung oder mit physiologisch erhöhtem Knochenstoffwechsel wie z.B. die Wachstumsfugen bei Kindern vermehrt speichernd dar. Die dritte wichtige Untersuchung in der pädiatrischen Onkologie ist die MIBG-Szintigraphie. In diesem Fall wird ein mit 123-Iod radioaktiv markiertes Molekül benutzt, das dem im menschlichen Körper gebildeten Hormon Noradrenalin sehr ähnlich ist. Da vom kindlichen Neuroblastom (= Tumor, der von der Nebenniere oder von Teilen des autonomen Nervensystems ausgehen kann) vermehrt Noradrenalin verstoffwechselt wird, ist 123-I-MIBG zur Aktivitätsbestimmung dieser Tumoren besonders gut geeignet. Diese Untersuchung wird vor allem zur Unterscheidung des Neuroblastoms von anderen Tumoren (z.B. Wilms-Tumor) und zur Verlaufskontrolle (Unterscheidung zwischen aktivem und inaktivem Tumor) verwendet. Bild 8: Skelettszintigraphie Skelettmetastasen Wirbelsäule: Es zeigt sich eine deutliche Mehrspeicherung im Bereich mehrerer Wirbelkörper in diesem Fall als Zeichen für Skelettmetastasen im Bereich der Wirbelsäule bei einem Kind mit Neuroblastom MEDIZIN-REPORT Die Rolle der Nuklearmedizin in der pädiatrischen Onkologie Das Radiopharmakon reichert sich hierbei sowohl im Bereich des Primärtumors als auch im Bereich eventuell vorhandener Metastasen an. Um die Untersuchung durchzuführen, wird zunächst das Radiopharmakon in die Vene injiziert, die Aufnahmen selbst werden etwa 24 Stunden nach Injektion angefertigt. Wichtig ist es, dass bei den Patienten vor und nach der Injektion die Iodaufnahme in die Schilddrüse medikamentös blockiert wird. Bild 9: MIBG-Szintigraphie Normalbefund: Normalbefund einer MIBG-Szintigraphie bei einem Säugling mit leicht verstärkter Speicherung im Bereich beider Nebennieren, der Speicheldrüsen, von Leber, Darm und Blase. Bei einem gesunden Kind zeigt sich eine physiologische Speicherung im Bereich beider Nebennieren, ferner stellen sich z.B. die Speicheldrüsen, Leber und Darm etwas stärker speichernd dar. Bild 10: Bei einem Patienten mit (Verdacht auf) Neuroblastom geht es darum, den Primärtumor darzustellen und mögliche Metastasen, was eine entscheidende Bedeutung für die Stadieneinteilung und die Therapie der Erkrankung hat. MIBG-Szintigraphie Neuroblastom rechte Nebenniere: Deutlich erhöhte Speicherung im Bereich der rechten Nebenniere im Sinne eines Neuroblastoms der rechten Nebenniere. Unsere Abteilung Die Hauptabteilung der Nuklearmedizin der Innenstadtkliniken befindet sich in der Medizinischen Klinik in der Ziemssenstrasse. Hier finden die PET-Untersuchungen auch für Kinder statt. Andere nuklearmedizinische Untersuchungen für Kinder werden in speziellen Räumen im Dr. von Haunerschen Kinderspital durchgeführt. Neben den oben erwähnten MIBG- und Skelett-Szintigraphien sind dies Untersuchungen der Nierenfunktion, der ableitenden Harnwege oder der Magenentleerung. Bild 11: Wartezimmer der Nuklearmedizin im Dr. von Haunerschen Kinderspital: Hier können Kinder und Eltern die Zeit bis zum Beginn der Untersuchung verbringen. Bild 12: Untersuchungsraum der Nuklearmedizin im Dr. von Haunerschen Kinderspital: Die Kinder liegen hier für die Zeit der Aufnahmen, die mit der Gammakamera (hier links im Bild) gemacht werden und können DVDs und Videos ansehen.