001_034_BIOsp_0107.qxd 24 31.01.2007 11:28 Uhr Seite 24 WISSENSCHAFT Ökologie pathogener Bakterien Die Rhizosphäre als Reservoir für fakultativ pathogene Bakterien GABRIELE BERG 1 , LEO EBERL 2 UND ANTON HARTMANN 3 1 INSTITUT FÜR UMWELTBIOTECHNOLOGIE, TU GRAZ, ÖSTERREICH 2 MIKROBIOLOGIE, UNIVERSITÄT ZÜRICH, SCHWEIZ 3 ABTEILUNG MIKROBEN-PFL ANZEN-INTERAKTIONEN, GSF – FORSCHUNGSZENTRUM FÜR UMWELT UND GESUNDHEIT, NEUHERBERG Die Mehrzahl bakterieller Infektionen in Europa und Nordamerika wird durch fakultativ pathogene Mikroorganismen ausgelöst. In den letzten Jahren nahm die Bedeutung dieser Erregergruppe dramatisch zu: Allein in Deutschland wird jährlich eine Million Infektionen registriert, von denen rund 40.000 tödlich enden. ó Was sind fakultativ Pathogene, die auch häufig als opportunistische Erreger bezeichnet werden? Es handelt sich um Mikroorganismen, die normalerweise apathogen und harmlos sind, aber unter bestimmten Vorraussetzungen (etwa bei immunsupprimierten Patienten oder abwehrschwachen Personen) Infektionen verursachen, ohne die KochHenleschen Postulate zu erfüllen[1]. Ihr natürliches Reservoir kann die autochthone Mikroflora des Menschen sein, aber auch in der Umwelt finden sich zahlreiche potenzielle Habitate. Eines hiervon ist die Rhizosphäre, welche die Pflanzenwurzel und den umgebenden Boden umfasst[2]. Im Gegensatz zu vielen anderen terrestrischen Habitaten zeichnet sich die Rhizosphäre durch einen hohen Nährstoffgehalt aus. Dieser resultiert hauptsächlich aus der Exsudation der Pflanze, die etwa 30 Prozent des photosynthetisch gebundenen Kohlenstoffs über die Wurzel wieder abgibt[3]. Dabei handelt es sich um einen reichhaltigen Cocktail, der unter anderem aus organischen Säuren, Zuckern, Aminosäuren, Vitaminen und polymeren Kohlenstoffen besteht. Die daraus folgende höhere mikrobielle Abundanz und Aktivität in der Rhizosphäre wird auch als Rhizosphäreneffekt bezeichnet. Die Bewohner der Rhizosphäre erfüllen wichtige ökolo- gische Funktionen. Sie sind beispielsweise maßgeblich an den Nährstoffzyklen beteiligt und beeinflussen Pflanzenwachstum und -gesundheit. Die Rhizosphäre ist aber auch ein Ort, wo vielfältige Interaktionen stattfinden – zwischen den Mikroorganismen, mit der Pflanze, aber auch mit Fraßfeinden, sodass dieses Habitat mit antagonistischen Bakterien angereichert ist. Welche Bakterien mit potenziell pathogenen Eigenschaften besiedeln die Rhizosphäre? Die Zusammensetzung der Mikroorganismen in der Rhizosphäre ist pflanzen- und bodenspezifisch. Jedoch aus der Gruppe der antagonistischen Mikroorganismen mit anti-eukaryotischen Eigenschaften rekrutieren sich viele fakultative Pathogene. Dazu zählen Bakterien von 27 Gattungen beziehungsweise 36 Spezies[2]. Beispiele sind bekannte nosokomiale Bakterien wie Pseudomonas aeruginosa, Serratia marcescens, Burkholderia cepacia, Stenotrophomonas maltophilia und Staphylococcus spp., die abundante Rhizosphärenbewohner sind. Andere Spezies sind als Verursacher von Haut und Wundinfektionen (Bacillus cereus, Proteus vulgaris, Pseudomonas spp.) oder von Harnwegsentzündungen (P. vulgaris, B. cepacia) beschrieben. Spezies wie B. cepacia, P. aeruginosa lösen bei Patienten mit cystischer Fibrose fatale Infektionen aus. Obwohl diese Befunde Hinweise auf das Vorkommen opportunistischer Pathogene in der Rhizosphäre liefern, ist über ihre Virulenz wenig bekannt. Da Letztere zumeist eine stammspezifische Eigenschaft ist und nicht mit der taxonomischen Einordnung korreliert, ist hier eine individuelle Untersuchung und Bewertung notwendig. Welche Eigenschaften befähigen Rhizosphärenbakterien zur Humanpathogenität? ˚ Abb. 1: Potenzielle Mechanismen von Rhizobakterien für die Besiedlung von Eukaryoten und eine antagonistische/pathogene Aktivität. Rhizobakterien besitzen vielfältige Mechanismen, um die Pflanzenwurzel zu besiedeln und mit anderen Organismen zu interagieren[3]. Die zugrunde liegenden Mechanismen BIOspektrum | 01.07 | 13. Jahrgang 001_034_BIOsp_0107.qxd 31.01.2007 11:28 Uhr Seite 25 25 sind in Abbildung 1 dargestellt. Die Interaktion beginnt mit der Adhärenz an die Pflanzengewebe, bei der es oftmals zu einer spezifischen Anheftung mit mikrobiellen Haftfaktoren kommt. Zu den Faktoren, die diese Kompetenz vermitteln, zählen Fimbrien, Polysaccharide sowie die Fähigkeit zur Biofilmbildung. Antagonistische Aktivitäten bei der Wechselwirkung mit Konkurrenten und Fraßfeinden werden über eine Vielzahl von Mechanismen vermittelt, zu denen 1) Antibiose, 2) Konkurrenz um Raum, Nährstoffe und Spurenelemente sowie 3) Parasitismus und Lyse zählen. Einen wichtigen Faktor stellt die Produktion von Antibiotika dar. Es ist daher nicht verwunderlich, dass ein hoher Anteil der Rhizobakterien Antibiotika produziert, und diese auch in der Rhizosphäre nachgewiesen wurden[3]. Allerdings sind auch Resistenzmechanismen gegen Antibiotika sehr verbreitet und Ursache für das Vorkommen vieler multiresistenter Bakterien. Eine hohe Rate horizontalen Gentransfers wurde für Rhizosphärenbewohner nachgewiesen: So können Gene verantwortlich für Produktion und Resistenz von Antibiotika innerhalb der Populationen ausgetauscht werden. Pathogenität wird in verschiedenen Schritten vermittelt; hierzu gehören Erkennung, Ädhärenz, Invasion, Besiedlung und Wachstum sowie Produktion von Toxinen und Virulenzfaktoren. Die Prozesse der Interaktion humanpathogener Bakterien zeigen teilweise Ähnlichkeiten mit den Pathogenitätsmechanismen pflanzenpathogener Bakterien, aber auch mit denen antagonistischer Rhizobakterien. Einige dieser Faktoren sind offensichtlich generell für die Interaktion von Bakterien mit Eukaryoten von Bedeutung. Ein wichtiges Kriterium für die Humanpathogenität eines Bakteriums stellt die Fähigkeit bei 37 °C zu wachsen dar. Allerdings können auch nicht-pathogene Rhizobakterien bei 37 °C wachsen [Berg, unpubl.]. Einige Rhizobakterien verfügen über die Fähigkeit, das interne (angeborene) Immunsystem der Pflanze zu stimulieren und somit systemische Resistenz zu induzieren. Diese Fähigkeit wurde auch für humanpathogene Bakterien gefunden, die künstlich in der Rhizosphäre etabliert wurden. Ein weiterer Mechanismus, der für die positive Interaktion mit der Pflanze verantwortlich sein kann, ist die Bildung von Phytohormonen. Klinische Stenotrophomonas-Isolate waren wie die Rhizosphärenisolate in der Lage, Indol-3-Essigsäure zu produzieren; allerdings in einer vergleichsweise geringen Menge. BIOspektrum | 01.07 | 13. Jahrgang Ein Problem bei der Identifikation der beteiligten Virulenzfaktoren ist das Fehlen geeigneter Infektionsmodelle, da fakultativ pathogene Bakterien oft in Standard-Tiermodellen keine oder nur geringfügige Pathogenität aufweisen. Jedoch konnten alternative Modellorganismen, wie der Schleimpilz Dictyostelium discoideum und der Nematode Caenorhabditis elegans, mit Erfolg eingesetzt werden. Interessante, detailliert untersuchte Bakterienspezies mit ambivalenten (sowohl pathogenen als auch vorteilhaften) Eigenschaften sind P. aeruginosa, B. cepacia und Ochrobactrum anthropi (siehe Lit. in [2]). Insgesamt erwiesen sich klinische Isolate gegenüber jenen aus der Rhizosphäre als nicht unterscheidbar. Auch die Regulation der antagonistischen/pathogenen Eigenschaften über Zwei-Komponenten- oder „Quorum-Sensing“Systeme weisen Ähnlichkeiten zueinander auf. Die Mechanismen der Bakterien-Eukaryoten-Interaktion sind oftmals sehr ähnlich. Pathogenität muss jedoch immer im Zusammenhang mit dem Wirt gesehen werden. Wirtswechsel ist deshalb ein wichtiger Schritt bei der Entstehung von pathogenen Interaktionen. So ist zu erklären, dass Bakterien der Gattungen Burkholderia, Enterobacter, Herbaspirillum, Ochrobactrum, Pseudomonas, Ralstonia, Staphylococcus und Stenotrophomonas einerseits eine positive Interaktion mit der Pflanze, aber auch eine pathogene mit dem Menschen eingehen können. Auf der anderen Seite verfügen Bakterien über zahlreiche Mechanismen wie chromosomale Strukturveränderungen, Mutationen und Rekombinationen, aber auch Verlust oder Aufnahme von Genen, die zu einer veränderten Interaktion führen können[4]. Vergleichende bioinformatische Untersuchungen der Genomsequenzen von apathogenen Rhizobakterien mit entsprechend eng verwandten fakultativen Pathogenen könnten weitere wichtige Aufschlüsse geben. Biotechnologische Relevanz Bedingt durch ihre vielseitigen Fähigkeiten haben Rhizosphärenbakterien eine hohe biotechnologische Relevanz. Während ihrer Nutzung als Antibiotika- oder Enzymproduzenten wenige Probleme entgegenstehen, ist eine Nutzung im biologischen Pflanzenschutz als Antagonisten zu bodenbürtigen Pathogenen oder zur Sanierung von Böden im Rahmen der biologischen Bodensanierung vorab sicherheitstechnisch zu beurteilen. In der Entwicklung derartiger Methoden liegt ein Forschungsbedarf, der in einem derzeitigen EU- Programm für biologische Pflanzenschutzmittel diskutiert wird (Rebeca = Regulation of Biocontrol Agents; http://www.rebecanet.de). Infektionen vermeiden und behandeln Bedingt durch den medizinischen Forschritt steigt die Gruppe der Risikopatienten für fakultative Pathogene. Deshalb ist dringender Bedarf in der Entwicklung neuer Therapien, Wirkstoffe und epidemiologischer Modelle für diese Bakterien gegeben. Hierfür ist das detaillierte Verständnis der Pathogenitätsmechanismen und ihrer Regulation notwendig, um auch potenziell neue Targets für ihre Bekämpfung zu ermitteln. Ferner ist die genaue Kenntnis des Reservoirs Rhizosphäre sowie der Übertragungswege von Bedeutung. Letztendlich sind die Vermeidung von Infektionen sowie eine sichere biotechnologische Nutzung von Bakterien aus der Rhizosphäre das Ziel. ó Literatur [1] Hacker, J., Heeseman, J. (2000): Molekulare Infektionsbiologie. Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg, Berlin, 307 p. [2] Berg, G., Eberl, L., Hartmann, A. (2005): The rhizosphere as a reservoir for opportunistic human pathogenic bacteria. Environ Microbiol 7: 1673–1685. [3] Whipps, J. (2001): Microbial interactions and biocontrol in the rhizosphere. J Exper Bot 52: 487–511. [4] Hacker, J., Carniel, E. (2001): Ecological fitness, genomic islands and bacterial pathogenicity. EMBO reports 2: 376–381. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Gabriele Berg Technische Universität Graz Institut für Umweltbiotechnologie Petersgasse 12 A-8010 Graz [email protected] AUTORIN Gabriele Berg Jahrgang 1963; 1981–1986 Biologiestudium in Rostock; 1986– 1987 Forschungsstudium Mykologie in Greifswald; 1991–1995 Promotion an der Universität Rostock; 1996–2002 Wissenschaftliche Mitarbeiterin/Assistentin und Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Molekulare Physiologie und Biotechnologie der Universität Rostock; 2001 Habilitation; 2003–2005 Heisenberg-Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seit 2005 Professorin für Umweltbiotechnologie an der TU Graz.