Nierentumoren - Deutsches Ärzteblatt

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Aktuelle Medizin
ÜBERSICHTSAUFSATZ
KARZINOMSERIE:
Nierentumoren
Jürgen Sökeland
Aus der Urologischen Klinik
der Städtischen Kliniken Dortmund
(Direktor: Professor Dr. med. Jürgen Sökeland)
Der Anteil der Nierentumoren beim
Erwachsenen macht ein Prozent aller bösartigen Geschwülste des
Menschen aus. Männer erkranken
doppelt so häufig wie Frauen. Die
Ätiologie ist weithin unbekannt. Pathologisch-anatomisch werden zwei
verschiedene Formen unterschieden: das hypernephroide Karzinom
und das Adenokarzinom. Beide werden im angelsächsischen Schrifttum
als verschiedene Differenzierungsgrade eines Tumors aufgefaßt. Für
die Prognose der Nierentumoren
spielt die unterschiedliche histologische Differenzierung sowie das Stadium zunehmend eine Rolle. Für die
Therapie haben histologische Kriterien bislang keine Bedeutung.
Primäre regionale Lymphknoten liegen paraaortal und parakaval, die
sekundären Regionen innerhalb des
Beckens und des Mediastinums. Die
Nierentumoren lassen sich gut in
das international eingeführte TNMSystem eingliedern. Voraussetzung
sind folgende Untersuchungen:
Tabelle 1:
Diagnostische Maßnahmen
bei Nierentumoren
•
Allgemeinuntersuchung
Urogramm, Arteriographie, Lymphographie, Röntgenaufnahmen des
Thorax.
Symptomatik:
Das initiale Karzinom macht wegen
seiner Lage im Nierenparenchym
TO
Kein Primärtumor nachweisbar
T2
O Urin-Status
(;)
In der Diagnostik der Nierentumoren sind Urogramm, Angiographie sowie der Metastasenausschluß durch Thoraxaufnahme, Lymphographie
und Serumuntersuchungen
von entscheidender Bedeutung. Durch gezielte Diagnostik lassen sich die Tumoren
in das international eingeführte TNM-System eingliedern.
Therapeutisch ist die operative Entfernung mit Ausräumung der regionalen Lymphknoten die Methode der Wahl,
da die Geschwülste relativ
strahlenunempfindlich sind
und auch die zytostatische
Behandlung allein wenig Erfolg verspricht.
T1
Niere normal groß, geringe
Kelchdeformität
Serumuntersuchung:
BSG, Kreatinin usw.
(I) Abdomenübersicht
•
Urogramm bzw. Infusionsurogramm evtl. kombiniert
mit
Retropneumoperitoneum
•
Urethro-Zystoskopie
mit
retrograder Urographie
•
Angiographie,
phie
()
Szintigraphie, Nephrographie
O Ultraschall
T3
T2
Niere vergrößert, Raumforderung
gut beweglich
T3
Niere vergrößert, eingeschränkt
beweglich
Kavog raT4
Niere vergrößert, völlig fixiert
Abbildung 1: TNM-System bei Nierentumoren
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 9 vom 2. März 1978
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keine frühzeitigen Beschwerden.
Die Hämaturie ist wegen der Vielzahl
anderer pathogenetischer Faktoren,
— Nephrolithiasis, hämorrhagische
Zystitis, Pyelonephritis usw. — kein
Frühsymptom im engeren Sinne.
Trotzdem gilt: Jede Hämaturie ist so
lange tumorverdächtig, bis ein Tumor der Nieren und der ableitenden
Harnwege ausgeschlossen ist. Dar-
über hinaus muß auf unspezifische
Tumorzeichen geachtet werden.
Biochemische Veränderungen mit
Erhöhung der alkalischen Phosphatasen, Erhöhung der Bromsulfthaleinretention, eine Hypalbuminurie,
eine Erhöhung der a-Globulinfraktion sowie eine Erhöhung des
Quickwertes weisen auf das seltene
Stauffer-Syndrom hin.
Diagnostik:
Labordiagnostik:
BSG, Blutbild, Kreatinin und Urinstatus. Bei Metastasenverdacht
müssen die leberspezifischen Enzyme, die alkalische Phosphatase und
das Kalzium überprüft werden (siehe
Stauffer-Syndrom).
Tabelle 2: Symptomatik
•
Hämaturie
e
Druckgefühl im Nierenlager, Kreuzschmerzen
e
Tumor im Abdomen
•
Uncharakteristische
Zeichen:
Fieber unklarer Genese
BSG-Erhöhung
Polyglobulinämie
Varicocele links
Stauffersyndrom
Hypertonus
••
Tabelle 3: Behandlung
von Nierentumoren
A. Tumor-Vorbestrahlung
1500-2000 R Herddosis (innerhalb von 2 Tagen)
sofort
anschließend
B. Tumor-Nephrektomie
oder
thorakoabdominale
transperitoneale radikale Tumornephrektomie mit Lymphadenektomie und Adrenalektomie
C. Nachbestrahlung des Tumorbettes einschließlich der
Lymphabflußwege
3-4000 RHD (innerhalb von 3
Wochen)
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Abbildung 2: Basisdiagnostik bei Nierentumoren (Aus Alken/Sökeland, Urologie, Thieme-Verlag 1976, Seite 234) — Links oben: Abdomenübersicht -- Rechts
oben: Urogramm — Links unten: Ultraschallbild — Rechts unten: Angiogramm
Heft 9 vom 2. März 1978 DEUTSCHES ARZTEBLATT
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Röntgendiagnostik:
Basisuntersuchung ist das Urogramm, das gegebenenfalls durch
eine Urethrozystoskopie mit retrograder Sondierung (stumme Niere)
ergänzt wird. Die Angiographie erleichtert die Differentialdiagnose gegenüber einer Nierenzyste. Sie ist
zusätzlich entscheidend für die
präoperative Planung des Zugangsweges.
Die Kavographie läßt Tumoreinbrüche in die untere Hohlvene erkennen. Bei großen Tumoren oder
Lymphknotenpaketen wird die Kaya
komprimiert. Die Zöliakographie
kann bei Verdacht auf Lebermetastasen eingesetzt werden. Die Lymphographie hat nur eingeschränkten
Wert, da die regionalen Lymphknoten am Nierenstiel sich der Diagnose
entziehen können. Thorax- und Skelettaufnahmen dienen dem Nachweis von Metastasen.
Weitere
diagnostische Maßnahmen:
Die Nierenszintigraphie läßt Aussparungen im Parenchymbereich bei
Tumoren oder Zysten über 2 cm
Größe erkennen. Das Nephrogramm
gibt darüber hinaus einen Anhalt für
den seitengetrennten Funktionswert
der Nieren. Die Isotopenclearance
setzt sich zunehmend für eine genauere Funktionsanalyse durch. Die
Szintigraphie von Leber und Gehirn
gehört bei Metastasenverdacht zur
UltraRoutinediagnostik. Durch
schall kann die Tumorgröße bestimmt, die Differentialdiagnose gegenüber einer Zyste erhärtet werden. Im allgemeinen führt die Basisuntersuchung, das Urogramm, bereits zur Diagnose, das Angiogramm
und die Kavographie entscheiden
mit über Operabilität und Ausdehnung des Tumors.
Therapie:
Die Therapie der Wahl ist auch heute
immer noch die operative Entfernung des Tumors, da die Nierengeschwülste wenig strahlensensibel
Abbildung 3: Nierentumor — Urogramm: Kaudale Verdrängung der oberen
Kelchgruppe rechts — Angiogramm: Faustgroßer Nierentumor rechts mit irregulären Gefäßverläufen, arteriovenösen Kurzschlüssen
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Abbildung 4: Nierentumor rechts — Urogramm: Dezente Verdrängung und Abplattung der oberen Kelchgruppe — Angiogramm: Atypische korkenzieherartig gewundene Gefäße mit Kaliberschwankungen, arteriovenöse Kurzschlüsse, Blutseen.
Typische Veränderungen eines rechtsseitigen Nierentumors am oberen Pol
sind und durch Zytostatika nur mäßig beeinflußt werden. Der Zugangsweg soll den primären Gefäßverschluß sichern und die paraaortale
Lymphknotenausräumung ermöglichen. Die Niere wird mit entfernt, da
in zehn Prozent der Fälle Metastasen bestehen.
ziehungsweise ein langsameres
Wachstum beobachtet wurde. Solitäre Lungenmetastasen bilden keine
absolute Gegenindikation zur Operation. Sie können je nach Sitz und
nach Ausdehnung in einem späteren
Eingriff vom Thoraxchirurgen entfernt werden.
Neben
Interkostalschnitten,
die
nach transperitoneal ausgedehnt
werden, hat sich das intraperitoneale Vorgehen zunehmend durchgesetzt.
Bei Nierentumoren ohne regionale
Metastasierung beziehungsweise
bei radikaler Ausräumung aller Metastasen ist nach internationalen
Statistiken mit völliger Heilung zu
rechnen.
Bei großen Tumoren kann der transthorakale-intraperitoneale Zugang
übersichtlicher sein. Die Nierengefäße werden frühzeitig unterbunden,
um eine Tumorausschwemmung zu
vermeiden.
Auch bei Vorliegen von Fernmetastasen wird die Nephrektomie empfohlen, da eine Rückbildung be-
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Strahlentherapie:
Prä- und postoperative Bestrahlung:
Beide Bestrahlungsarten werden an
den meisten Kliniken routinemäßig
prophylaktisch durchgeführt, obwohl statistisch gesicherte Angaben
über den Wert dieser Maßnahmen
noch nicht vorliegen.
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Chemotherapie:
Bei den Nierentumoren, bei denen
eine operative Behandlung nicht
mehr möglich ist, wird als Therapieversuch eine spezielle Chemotherapie mit Gestagenen, zum Beispiel
Depostat 200 mg zweimal pro Woche i. m., oder anderen Progestagenen beschrieben. Diese GestagenBehandlung sollte sechs Wochen
durchgeführt werden. Ihr Wert ist
umstritten. Die übrige zytostatische
Therapie ist beim hypernephroiden
Karzinom meist wirkungslos; vereinzelte Erfolge wurden mit Vincristin
erreicht.
Ausblick:
Durch die Einführung moderner
Techniken ist die Diagnostik der
Nierentumoren so weit entwickelt,
daß auch initiale pathologische Ver-
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Nierentumoren
änderungen im Nierenparenchym
erfaßt werden können. Mit der Computer-Tomographie läßt sich wahrscheinlich noch eine weitere Verbesserung erreichen, doch sind diese Geräte wegen ihrer hohen Anschaffungs- und Unterhaltungskosten bisher nur an einzelne Großzentren gebunden. Eine Ballonokklusion der Nierenarterie über einen
transfemoral präoperativ eingelegten Katheter soll die Nephrektomie
erleichtern.
Bei inoperablen Nierentumoren mit
rezidivierender Hämaturie läßt sich
transarteriell der Tumor mit verschiedenen Substanzen embolisieren, so daß rezidivierende Hämaturien sistieren. Ausgedehnte Erfahrungen liegen jedoch noch nicht
vo r.
Berichte im internationalen Schrifttum über Strahlentherapie und Chemotherapie lassen sich nur bedingt
verwerten, da die einzelnen Kollektive nicht vergleichbar sind.
Zur Zeit laufen Langzeitstudien an
verschiedenen Kliniken, bei denen
die Ausgangssituation, Alter, genaue Malignitätsgradbestimmung
des Tumors mit oder ohne Metastasen sowie Art des Eingriffs und Art
der konservativen Behandlung genormt sind. Die Kollektive werden
dadurch vergleichbar.
Durch die Beteiligung mehrer Kliniken lassen sich größere Fallzahlen
mit einer besseren Signifikanz erreichen. Mit dem Endergebnis der Studien ist jedoch in absehbarer Zeit
nicht zu rechnen, da Überlebenszeit
beziehungsweise Heilung als objektivierbare Parameter erst nach mehreren Jahren beurteilt werden
können.
Literatur beim Verfasser
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med. Jürgen Sökeland
Direktor der Urologischen Klinik
der Städtischen Krankenanstalten
Westfalendamm 403-407
4600 Dortmund 1
FÜR SIE GELESEN
Licht- und LaserKoagulationstherapie bei
Retinopathia diabetica
Die steigende Zahl der Diabeteskranken hat besonders in den westlichen Ländern die Ophthalmologie
vor zunehmende Probleme gestellt.
Fälle schwerster Retinopathie und
dadurch bedingte Erblindungen
werden immer häufiger. Seit der
Einführung der Lichtkoagulation
durch Meyer-Schwickerath vor 20
Jahren und durch die Entwicklung
von Laserkoagulatoren ist es möglich geworden, pathologische Gefäßbildungen im Bereich der Netzhaut zu veröden. Da jede Koagulation Narben setzt, was Funktionseinbuße bedeutet und gewiß auch nicht
ohne Risiko ist, und weil es in vielen
Fällen trotz Behandlung letztlich zur
Erblindung kommt, sind in den letzten Jahren große statistische Untersuchungen über den Erfolg der Koagulationsbehandlung durchgeführt
worden.
In einem englischen Dreijahres-Interimsreport, der sich mit den Ergebnissen der Laserkoagulation in der
Behandlung der proliferativen, also
weiter fortgeschrittenen diabetischen Retinopathie beschäftigt,
wurde bei beiderseits gleichen Veränderungen nur ein Auge behandelt.
In vier Sitzungen wurden bis zu 3000
Laserherde in die mittlere Netzhautperipherie gesetzt. In 36 Prozent der
Fälle bildeten sich die Gefäßproliferationen auf der Papille ganz oder
fast ganz zurück, nur starke Gefäßneubildungen zeigten keine Rückbildungstendenz oder nahmen trotz
Behandlung sogar zu. Aber auch in
diesen schwersten Fällen wurde die
Sehkraftabnahme stark verlangsamt
und Erblindung hochsignifikant
verzögert.
Eine weitere, deutsch-schweizerische Arbeit beschäftigt sich mit den
Ergebnissen von einseitiger Lichtkoagulation. Während die behandelten Augen Rückbildung von intraund epiretinalen Proliferationen
zeigten, kam es in den nicht behandelten Partneraugän zu einer Zunahme der Veränderungen. Die Au-
toren fanden eine Besserung der
Sehschärfe nur in der Gruppe der
Patienten unter 60 Jahren, bei den
älteren Patienten wurde der Verlauf
der Makulopathie durch periphere
Lichtkoagulation nicht beeinflußt.
Auch in Fällen von proliferativer diabetischer Retinopathie erscheint
Licht- und Laserkoagulation empfehlenswert. Frühzeitige Behandlung ist wichtig, da im Spätstadium
auch durch Koagulation massive
Glaskörperblutung und Netzhautablösung oft nicht verhindert werden. Ts
Koerner, E., Schlegel, D., Koerner, U.: Diabetic
Retinopathy Study. Graefes Arch. Ophthal. 200
(1976) 99-111. Hercules, B. L., Gayed, 1.1.,
Lucas, S. B., u. Jeacock. J.: Peripheral retinal
ablation in the treatment of proliferative diabetic retinopathy. Brit. J. Ophthal. 61 (1977)
555-563
Befragung: Jugendliche
Schwangere
In Bayern hat sich zwischen 1950
und 1970 die Anzahl jugendlicher
Mütter verdreifacht und ist anschließend um ein Drittel zurückgegangen:
Ein Ergebnis der besseren Sexualaufklärung und Beratung über kontrazeptive Möglichkeiten. Jugendliche Schwangere haben häufig ein
niedrigeres Bildungsniveau und
auch einen unterdurchschnittlichen
Intelligenzquotienten. Man findet
bei ihnen dreimal so oft neurotische
Persönlichkeitseigenschaften wie
bei älteren. Schwangeren. Jüngere
Frauen halten weniger von Vorbereitungskursen zur Geburtserleichterung, insbesondere von der psychologischen Vorbereitung. Die durch
einen Fragebogen gewonnenen Daten bei jugendlichen Schwangeren
wurden mit denjenigen älterer
Schwangerer verglichen.
Aus dem Ergebnis werden Hinweise
für das ärztliche Verhalten unter der
Schwangerschaft und unter der Geburt gegenüber jugendlichen
Schwangeren gezogen.
MS
Wenderlein, J. M.: Die Schwangerschaft bei
Jugendlichen; Münchn. med. Wschr. 119
(1977) 1543-1546
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