WGT Philippinen 2017_Geschichte - Deutsch

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Philippinen
Geschichte
fdf
Wechselvolle Kolonialgeschichte(n) – windungsreiche
Identitätssuche
Eine Notiz vorab oder Die Inseln, die sie mein(t)en
Rainer Werning & Mary Lou U. Hardillo
„Philippinen“? Philippinen! – Was nach einem westeuropäischen Thronfolger
benannt wurde, war ein spanisches Konstrukt, das nach annähernd 350-jähriger
Herrschaft von der aufstrebenden Weltmacht USA fünf Jahrzehnte lang gemäß
ihrem Ebenbilde modelliert wurde. Zwischendurch mussten die Filipinos – von
US-Politikern „kleine braune Brüder“ genannt – eine knapp dreijährige Tyrannei der
Kaiserlich-Japanischen Truppen erdulden.
70 Jahre nach Gründung der Dritten Philippinischen Republik am 4. Juli 1946 sind
die Filipinos noch immer mit Problemen konfrontiert, die dem Großteil der Menschen ein Leben in Selbstbestimmung und Würde – fernab von Armut, Korruption
und Gewalt – vorenthält. Unterdrückung, Revolten und bewaffneter Widerstand
sind eine Konstante in der Geschichte des Inselreichs. Aber ebenso auch vielfältige
Entwürfe, das alltägliche (Über-)Leben mit Witz, List und Humor zu meistern.
Spaniens Außenposten im Fernen
Osten (1571-1898)
Lange vor Ankunft der westlichen „global players“ des 16. Jahrhunderts, den
Seemächten Spanien und Portugal,
unterhielten jene Inseln, die später nach
dem spanischen Thronfolger und König
Philipp II. benannt und als „Philippinen“
in das iberische Imperium eingegliedert
wurden, rege Handelskontakte mit
China, Japan, Kontinentalsüdostasien
Beziehungen zwischen chinesischen Händlern und
und dem westindischen Gujarat. Aus
den Einwohnern der philippinischen Inseln
dem Nahen und Mittleren Orient
© Liwag-Kotte
gelangten in West-Ost-Richtung arabische Geistliche und Handelsreisende via Gujarat, Malakka und Sumatra in den
Süden der „Philippinen“, wo auf Jolo und im Kernland Mindanaos, in Maguindanao,
der Islam Fuß fasste und erste muslimische Sultanate entstanden.
Gewürzmanie mit Kreuz und Schwert
Zuvörderst war es der Run auf Gewürze, der neben Spaniern und Portugiesen auch
reiche Kaufmannsgilden in anderen Teilen Europas dazu bewog, Schiffsexpeditionen
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zu finanzieren. In diesem Sinne waren die Anfänge des westlichen Kolonialismus auf
den „Philippinen“ buchstäblich „gepfeffert“. Die Gewürzsuche überzeugte auch
die herrschende Elite Spaniens, die schließlich, durch die in Augsburg ansässige
Fugger-Familie finanziell unterstützt, eine Mannschaft von Seeleuten unter Vertrag nahm. Diese sollte unter der Leitung eines portugiesischen Kapitäns und
Navigators Segel setzen, um die legendären Gewürze zu finden. Die Taten dieses
Mannes, dessen spanischer Name Ferdinand Magellan war und dessen Leben ausgerechnet auf den „Philippinen" endete, hat der Schriftsteller Stefan Zweig in seiner 1938 erstmals erschienenen Novelle „Magellan – Der Mann und seine Tat“
einfühlsam beschrieben.
Die spanischen Konquistadoren, die ab
1521 als erste Europäer in das Land
kamen, trafen auf keinen organisierten
Widerstand. Der insulare Charakter
des Landes ermöglichte es ihnen, ihren
Einfluss über den Großteil der Inseln
auszuweiten und schrittweise zu festigen. Die sozialen und politischen Einheiten, die sie vorfanden, waren aus 30
bis 100 Familienverbänden bestehende
Gemeinschaften – sogenannte BaranDort, wo im Jahr 1521 die erste katholische Messe
gay – was wörtlich übersetzt „Bootslaauf den Philippinen abgehalten wurde, ließ Ferdinand Magellan ein Kreuz aufstellen. © Aline Jung
dung“ heißt. Benannt nach den Auslegerbooten, mit denen Siedler aus dem
heutigen Malaysia und Indonesien angelandet waren. In diesen Barangay, so
jedenfalls ist von spanischen Historiografen überliefert, genossen Frauen eigenständige Rechte und waren als Priesterinnen, Heilerinnen und mit religiösen Ritualen betraute Personen – „babaylan“ in den Visayas oder „catalonan“ unter den
Tagalog – gesellschaftlich hochgeachtet.
Zurückdrängen der „Moros“
Den seit 1380 in Süd-Nord-Richtung bis zum heutigen Manila an Einfluss gewonnenen Islam vermochten die spanischen Kolonialherren, die 1571 Manila zum Hauptsitz ihrer Regentschaft über die Inseln erkoren hatten, nie vollständig zurückzudrängen. Vor allem Mindanao und die weiter südlich gelegene Sulu-See waren und
blieben bis zirka 1900 eine Domäne mit überwiegend muslimischer Bevölkerung.
Dort waren mit den Sultanaten von Jolo und Maguindanao streng hierarchisch
gegliederte Gesellschaften entstanden, die mit den Nachbarregionen regen Handel
trieben und auch waffentechnisch so ausgerüstet waren, dass sie militärischem
Druck der Spanier trotzen konnten. Diese schimpften die Muslime im Süden des
Archipels verächtlich „Moros“ (Mauren, Mohren) – in Anlehnung an die Zeit der
Conquista.
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Manila war seit 1571 die prunkvolle Zitadelle kastilischer Macht und Grandezza.
Dort residierten die Generalgouverneure, mit Ordern versehen von der Zentralregierung, die über den langen Seeweg des in Mexiko beheimateten Vizekönigs ihre
Adressaten in Südostasien erreichte. Durch die Encomienda und geschickte Einbeziehung der indigenen Eliten (datu) hatten die Spanier ein ausgeklügeltes System
der Kontrolle und Beherrschung entwickelt, das, trotz immer wieder aufflackernder
Revolten, die gesamte Kolonialepoche überdauerte. Die einzige ernsthafte Bedrohung der spanischen Herrschaft zwischen 1571 und deren Ende im Jahre 1898 stellten Soldaten des zwischenzeitlich erstarkten britischen Empire dar.
Während des interkontinental geführten Siebenjährigen Krieges (1756-63) gelang
britischen Truppen – unterstützt von indischen Sepoys – der Coup, Manila von 1762
bis 1764 zu besetzen. Eine herbe Schlappe für das stolze Spanien. Und gleichzeitig
eine günstige Gelegenheit für rebellische Ilokanos im Norden der Hauptinsel Luzon,
in kalkuliertem Zweckbündnis mit Briten Front gegen die Spanier zu machen. Das
allerdings schlug fehl, weil die Briten keine Unterstützungstruppe schickten. Doch
die Märtyrer von damals – allen voran Diego und Gabriela Silang – sind bis heute
vielen Filipinos in liebevoller Erinnerung. Schließlich zeigten sie die Verwundbarkeit
der Kolonialherren und vermittelten einen Vorgeschmack auf den später siegreichen Kampf gegen die Spanier.
Am 19. März 1731 wurde María Josefa Gabriela
Cariño Silang, kurz Gabriela Silang, in Santa,
einer Ortschaft in der nordphilippinischen Provinz Ilocos Sur, geboren. Historiker betrachten
sie als erste Filipina, die während der spanischen
Kolonialherrschaft eine Revolte gegen die verhassten Besatzer anführte. Als aktives Mitglied
der Aufständischen unter Diego Silang, ihrem
Ehemann, übernahm sie nach dessen Tod vier
Monate lang die Führung der Gruppe, die für die
Befreiung der Provinz Ilocos von der spanischen
Gewaltherrschaft zu den Waffen gegriffen hatte,
bis man auch sie gefangen nahm und die gerade
mal 32-Jährige am 20. September 1763 in der
Stadt Vigan hängte. Gabriela Silang galt als
ebenso resolute wie furchtlose und kühne Frau,
Skulptur von Gabriela Silang
© F. Marquardt
die auch die Kunst des Reitens beherrschte. Kein
Wunder, dass sich in Erinnerung an und Rückbesinnung auf diese mutige Frau das im Frühjahr 1984 entstandene philippinische
Frauennetzwerk den Namen GABRIELA gab. Übrigens ganz im Einklang mit der
närrischen Vorliebe der Filipinos für Akronyme: Das Wort steht nämlich für
General Assembly Binding Women for Reforms, Integrity, Equality, Leadership
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and Action. Frei ins Deutsche übertragen: Generalversammlung von Frauen, verbunden im Geiste von Reformen, Integrität, Gleichberechtigung, Führung und Tatkraft. Die Benediktinerschwester Mary John Mananzan, Direktorin des Institute of
Women's Studies am St. Scholastica College in Manila und zeitweilig nationale
Vorsitzende von GABRIELA, schrieb einmal: „Wir haben eine kollektive und subversive Erinnerung an unsere equality – Gleichberechtigung. Dies ist keine westliche,
sondern unsere eigene Tradition, die wir aus der Vergangenheit zurückbringen, in
die Zukunft transportieren und zu neuem Leben erwecken wollen.“
Encomienda und Galeonenhandel
Die Encomienda war ein Rechtstitel, der einem Encomendero – einer Person des
Vertrauens oder einer Persönlichkeit mit hervorragenden Verdiensten oder auch
Mönchsorden – mit der Maßgabe verliehen wurde, ein bestimmtes Gebiet nach
eigenem Gusto zu beherrschen. Dies konnte relativ milde verlaufen, doch in der
Regel wurde die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten tributär geschröpft und
mittels der ihr eingetrichterten neuen Religion auf unbedingten Gehorsam und ein
verheißungsvolles Leben im Jenseits eingeschworen. Darüber hinaus war die Masse
der Bevölkerung zu zeitweiligem Frondienst verpflichtet und hatte einen Teil ihrer
landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu niedrig angesetzten Preisen an die Kolonialverwaltung abzuführen.
Es waren vor allem die Encomenderos
in Gestalt von Mönchen und/oder
Mönchsorden, die wegen ihrer ausbeuterischen Praktiken – mitunter erbittert
– bekämpft wurden. Und ebenso harsch
schlugen sie ihrerseits gegen ihre Widersacher zurück. Vor allem der aus vergleichsweise gutsituierten Verhältnissen
stammende Freiheitskämpfer und Arzt,
der später unter der US-amerikanischen
Besatzung zum Nationalhelden der Filipinos erkorene Dr. José Rizal, bekam
das am eigenen Leib zu spüren. In seiIm heutigen Rizal-Park erinnert eine Skulptur an die
nen Schriften „Noli me tangere“ und „El
Hinrichtung des späteren Nationalhelden José Rizal
am 30. Dezember 1896 durch philippinische SoldaFilibusterismo“ hatte Rizal mit spitzer
ten der spanischen Kolonialregierung. © WGT e.V.
Feder die Unterdrückung und das
bigotte Gebaren des Klerus gegeißelt. Doch auch in seinem Falle erwies sich das
Schwert letztlich als mächtiger denn die Feder. Die konstruierte Anklage, Rizal sei
der eigentliche Kopf und Rädelsführer einer umstürzlerischen Verschwörung gewesen, kostete dem Mann das Leben. Am 30. Dezember 1896 ließ die spanische Kolonialbehörde das gerade einmal 35-jährige Jungtalent erschießen.
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Dabei hatte sich Rizal zeit seines Lebens lediglich für die Vertretung seiner Heimat in
der spanischen Nationalversammlung eingesetzt. Strikt hatte er dafür plädiert,
Unabhängigkeit nur mit friedlichen Mitteln anzustreben. Für ihn war ein grundlegender Wandel nur von oben, nicht aber mit revolutionärer Waffengewalt von
unten denkbar. Einen solchen Weg verfolgte seit 1896 indes mit Andres Bonifacio ein
aus ärmlichen Verhältnissen stammender, sich autodidaktisch weitergebildeter Lagerarbeiter und Führer des Geheimbundes Katipunan. Ein Akronym, das in vollständiger
Übersetzung „Oberster, altehrwürdiger Rat der Söhne der Heimat“ bedeutete.
Die Tragik Bonifacios lag in seiner Klassenherkunft begründet. Er wurde von Gesinnungsgenossen, die eine höhere Bildung als er genossen hatten, ausgebootet und
innerhalb der eigenen Organisation des Verrats geziehen und hingerichtet. So war
es dem selbsternannten Katipunan-„Supremo“ Emilio Aguinaldo vorbehalten, am
12. Juni 1898 die Unabhängigkeit von Spanien zu verkünden. Dass dieser Revolutionär der ersten Stunde wenig später unter den Schutzmantel der „allmächtigen und
wohlwollenden Vereinigten Staaten von Amerika“ schlüpfte und sich der neuen
Kolonialmacht andiente, war bezeichnend für das Verhalten des Gros der philippinischen Elite gegenüber ausländischen Herren.
So bedeutsam das Encomienda-System für die interne Verwaltung war, so notwendig war die Sicherung der „Nabelschnur“, die pazifische Seeroute nach Mexiko, wo
bis 1821 der spanische Vizekönig residierte. Im mexikanischen Acapulco setzten
Galeonen ihre Segel gen Westen, um Manila mit allem zum Unterhalt der Kolonie
Notwendigen zu versorgen. Dann nahmen die Schiffe Kurs auf südchinesische
Städte, um dort gegen begehrtes mexikanisches Silber Luxusgüter wie Seide und
Porzellan an Bord zu nehmen. In umgekehrter Richtung fand diese kostbare
Fracht mit Manila als Zwischenstopp über Mexiko und den Atlantik im „Mutterland“ Spanien ihre Endabnehmer.
Fanal von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“
Der Vorsprung der Dampf- vor der Segelschifffahrt und vor allem die Eröffnung des
Suezkanals (1869) trugen zu spektakulären Steigerungen des Handelsvolumens bei.
Haupthandelsprodukte und äußerst begehrt waren Zucker, Kaffee, Tabak und
Abaka (auch als Manilahanf bekannt). Letzteres war als Grundmaterial für Seile und
Tauwerk rege nachgefragt. Die Eingliederung der Philippinen in den Weltmarkt
hatte weitreichende Folgen: Nicht nur verkürzte sich drastisch die Reisezeit zwischen dem „Mutterland“ und dessen Kolonie. Auch eine wachsende Zahl von Ilustrados, gebildeter und reformfreudiger Filipinos – darunter der erwähnte Dr. Rizal –,
vermochte in größerer Zahl und häufiger als jemals zuvor nach Spanien und in
andere europäische Länder zu reisen.
Mit dem brisanten Nebeneffekt, dass eine sozial brodelnde und aufrührerische
Grundstimmung in den Philippinen buchstäblich mit den Idealen der europäischen
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Aufklärung, des Liberalismus sowie der Französischen Revolution „munitioniert“ wurden. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!" – das war allen herrschenden Eliten weltweit ein Gräuel. Die Erhebung rebellischer Filipinos war lediglich eine Frage der Zeit.
1896 war es soweit, dass offen der Spanisch-Philippinische Krieg begann, dessen Ende
1898 auch dem einst blühenden spanischen Imperium den Todesstoß versetzte. Was
als spanisches Erbe blieb, war eine Mischung aus zutiefst Profanem und Religiösem –
Katholizismus, Fiestas, Machismo, Großgrundbesitz und spanische Familiennamen,
während Spanisch nur von einer dünnen Oberschicht gesprochen wurde.
Große weite Welt – Vermächtnisse der USA (1898-1946)
„Geradewegs hinter den Philippinen liegen Chinas schier unermessliche
Märkte. Wir werden unseren Teil in der Mission unserer von Gott geschützten Rasse bei der Zivilisierung der Erde beitragen. Wo werden wir die
Abnehmer unserer Produkte finden? Die Philippinen geben uns einen
Stützpunkt am Tor zum Osten.“
Der aus dem US-Bundesstaat Indiana stammende republikanische Senator Albert
Jeremiah Beveridge am 9. Januar 1900 in einer Rede vor dem US-Kongress.
Bis Ende des 19. Jahrhunderts waren amerikanische Siedler bis an die Westküste
vorgedrungen. Seit etwa 1890 wurde es laut um den Stillen Ozean. Die Weite dieses
größten Weltmeeres beflügelte zunehmend hitzigere Debatten: Sollten die Amerikaner dieses Meer – mit Berufung auf den Herrn – zur amerikanischen See machen?
Diese Streitfrage spaltete die Vereinigten Staaten in sogenannte „Isolationisten“ und „Interventionisten“ oder auch
„Imperialisten“. Erstere meinten, die
USA genügten sich selbst und ihr Territorium stelle einen ausreichend großen
Binnenmarkt dar. Die Befürworter eines
Imperialismus hingegen wollten im
Wettstreit mit den europäischen Kolonialmächten ja nicht zu kurz kommen.
Der einzige Konkurrent der aufstrebenden Vereinigten Staaten war Spanien, das sich seit dem 16. Jahrhundert
in Südamerika, in der Karibik und in
den Philippinen als Kolonialmacht festgesetzt hatte. Um 1900 jedoch war
Spaniens
Imperium
beträchtlich
geschrumpft, frühere Kolonien wie
Emilio Aguinaldo verkündete am 12. Juni 1898 vom
Balkon seines Hauses in Cavite die Unabhängigkeit
der Philippinen. © Aline Jung
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Mexiko und Argentinien längst unabhängig. Glühende Imperialisten wie der
erwähnte Senator Beveridge, die letztlich in Washington obsiegten und den Ton
angaben, interessierte nicht, dass der philippinische General und damalige Revolutionär Emilio Aguinaldo bereits am 12. Juni 1898 die erste Republik Asiens ausgerufen
hatte. Pech für die Filipinos; die Unabhängigkeit war kurzlebig, weil sie im Ausland
keine Unterstützung fand. Die Fernostflotte der U.S. Navy hatte Wochen zuvor binnen weniger Stunden am 1. Mai 1898 die maroden spanischen Kriegsschiffe in der
Manila-Bucht außer Gefecht gesetzt. Doch erst Ende Juni betraten US-amerikanische GIs philippinischen Boden – ein unabhängiges Land. Auf der Friedenskonferenz in Paris wurde im Dezember 1898 vereinbart, dass Washington den Spaniern
als Trostpreis für den Verlust der Philippinen 20 Millionen Dollar zahlte.
„Wohlwollende Assimilierung“
Zur sogenannten „wohlwollenden Assimilierung“ gehörte, dass die neuen Besatzer
auf den Philippinen das amerikanische Englisch als Amtssprache im Bildungs-,
Geschäfts- und Verwaltungsbereich durchsetzten und willfährigen „kleinen braunen Brüdern“ das Studium in den USA ermöglichten. Außerdem bauten die
US-Militärs dort die größten Flotten- und Luftwaffenstützpunkte außerhalb der
Vereinigten Staaten auf.
Die amerikanischen Militärs betraten im Sommer 1898 ein unabhängiges Land. Die
Bevölkerung leistete auch den neuen Kolonialherren erbitterten Widerstand. Um
diesen zu brechen, begannen amerikanische Truppen mit der sogenannten „Befriedung“ der Inseln: Die Folge war der Amerikanisch-Philippinische Krieg. Er begann
Anfang Februar 1899 und endete nach offizieller Geschichtsschreibung am 4. Juli
1902. Im Süden indes, in der Sulu-See und auf der Insel Mindanao, deren Bevölkerung vorwiegend muslimisch war und die die Spanier abschätzig „Moros“ genannt
hatten, dauerte die „Befriedung“ bis 1916.
Während des Amerikanisch-Philippinischen Krieges erprobte die Kolonialmacht
neue Methoden der „Aufstandsbekämpfung“, die in späteren Kriegen in Korea,
Vietnam, Laos und Kambodscha „verfeinert“ wurden – von Nahrungsmittelblockaden bis hin zum „strategic hamletting“, der Errichtung „strategischer Weiler“. Ziel
war es, die Zivilbevölkerung von potenziellen „Aufrührern“ zu trennen.
Im Mutterland selbst war diese Art der Außenpolitik heftig umstritten. Scharfe Proteste gegen den Krieg in den Philippinen hagelte es seitens der Antiimperialistischen Liga der Vereinigten Staaten von Amerika1. Deren Vizepräsident, der Schriftsteller Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain schrieb im New York Herald:
1Die in Opposition zum US-Kolonialismus gegründete Anti-Imperialist League hatte etwa 30.000 Mitglieder. Zu ihren prominentesten Vertretern zählten neben Mark Twain (1835-1910) auch Jane Addams
(1860-1935; Sozialreformerin, Pazifistin, Friedensnobelpreisträgerin 1931), Carl Schurz (1829-1906; Politiker, Senator 1869-1875), William James (1842-1910; Psychologe und Philosoph), Samuel Gompers
(1850-1924; Gewerkschaftsführer) sowie Andrew Carnegie (1835-1919; Industrieller).
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„Sehr sorgfältig habe ich den Vertrag von Paris gelesen und ich erkannte,
dass wir keineswegs beabsichtigen, die Philippinen zu befreien, sondern
deren Bevölkerung zu unterwerfen. Wir gingen dorthin, um zu erobern,
nicht um zu erlösen. Wie ich es sehe, sollte es unsere Freude und unsere
Pflicht sein, die Bevölkerung zu befreien und sie ihre eigenen Probleme auf
ihre eigene Art lösen zu lassen. Ich bin dagegen, dass der Adler seine Krallen auf ein anderes Land setzt.“
Commonwealth als Zwischenstadium
Zunächst von einer US-Militärregierung verwaltet, ging Washington später dazu über,
an die Spitze der Exekutive auf den Inseln einen Gouverneur zu stellen. Die legislative,
mit begrenzten Befugnissen ausgestattete Versammlung wurde mit Filipinos besetzt,
die im Geiste der Kolonialmacht erzogen worden waren und sich deren Idealen mehr
als den sozialen Forderungen ihrer eigenen Landsleute nach Land und Reis verpflichtet fühlten. Zu diesen Führungspersönlichkeiten zählten Manuel L. Quezon und Sergio
Osmeña von der Nationalistischen Partei. Quasi als Lohn für deren Ergebenheit fasste
Washington den Entschluss, den Philippinen Mitte der 1930er Jahre einen Commonwealth-Status und ihnen nach einer Übergangszeit von zehn Jahren die Unabhängigkeit zu gewähren. Keine andere imperiale Macht hatte jemals eine derart konkrete
Roadmap für die Unabhängigkeit eine ihrer Kolonien verkündet.
Erster Präsident des Commonwealth wurde Manuel L. Quezon, sein Stellvertreter
war Sergio Osmeña. Die Philippinen genossen nunmehr weitgehend innere Autonomie, allerdings mussten die in Manila verabschiedeten Gesetze weiterhin vom Weißen Haus und dem US-Senat gebilligt werden. Auch behielten die USA die Kontrolle
über sämtliche wichtigen Industrien der Inseln und kontrollierten nach wie vor den
Handel mit solchen Exportprodukten wie Zucker, Hanf und Kopra. Der amerikanische Hochkommissar hatte derweil die Oberaufsicht über Finanzen, Verteidigung
und internationale Beziehungen.
Ein großes soziales Problem blieben auch während der Commonwealth-Ära extrem
ungleiche Boden- und Besitzverhältnisse und daraus resultierende Armut der überwiegend bäuerlichen Bevölkerung. Was den Tagelöhnern, landwirtschaftlichen Arbeitern und Kleinbauern unter den Nägeln brannte, waren Pachtraten, die in einigen
Regionen des Landes Abgaben von bis zu 75 Prozent ihrer durchschnittlichen Ernteerträge vorsahen. Wenngleich die Commonwealth-Regierung unter Präsident Quezon
die politische Brisanz dieser Probleme erkannte und Ende der 1930er Jahre eine
umfassende Sozialreform ankündigte, blieben tatsächliche Veränderungen aus.
Die Folge: Widerstand und Protest gegen die Regierung radikalisierten sich. Im Jahr
1938, als sich die Sozialistische Partei mit der Kommunistischen Partei (PKP) vereinigt hatte, verband die PKP die soziale Forderung nach einer Land- und Agrarreform
mit dem politischen Appell, die Landesverteidigung zu stärken, um gegen einen
potenziellen japanischen Angriff gewappnet zu sein.
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Wie die Briten in Singapur, so hielt sich auch der US-Generalstab in den Philippinen
unter dem Oberbefehl von Douglas MacArthur für unbesiegbar. MacArthur hatte
die in der Bucht von Manila gelegene Insel Corregidor mehrfach als „unbezwingbare Festung“ gepriesen. Beide irrten gewaltig.
Japanisches Intermezzo und „unabhängig“ mit Tokios Segen (1941-45)
In einer Zangenbewegung landeten
bereits einen Tag nach dem Angriff auf
Pearl Harbor, am 8. Dezember 1941,
Truppen der Kaiserlich-Japanischen
Armee auf Mindanao und in Nordluzon. Wenig später fielen die ersten
Bomben auf Manila, das am 2. Januar
1942 eingenommen wurde. Von hier
aus eröffneten die japanischen VerDas Denkmal in Manilas Altstadt erinnert an die
bände ihre Offensive gegen die beiden
über 100.000 Männer, Frauen und Kinder, die 1945
letzten Bastionen der USAFFE – die
während des Befreiungskampfes der von den
Japanern besetzten Stadt ihr Leben verloren.
Festungsinsel Corregidor in der Manila
© WGT e.V.
Bucht und den Bergdschungel auf der
Bataan-Halbinsel. Auf Corregidor und Bataan erlitten die USAFFE hohe Verluste,
während sich Präsident Quezon und General MacArthur nach Australien abgesetzt
hatten. Der Kapitulation der philippinisch-amerikanischen Truppen am 9. April
1942, dem sogenannten „Fall von Bataan“, folgte der Todesmarsch von 76.000
Kriegsgefangenen, darunter etwa 10.000 US-Soldaten, ins über 100 Kilometer entfernt gelegene Camp O'Donell und andere japanische Konzentrationslager in und
um Capas in der Provinz Tarlac.
Ebenfalls im Zentrum der Insel Luzon, der traditionellen Reiskammer des Landes,
und unweit von Capas entfernt hatte sich fast zeitgleich mit dem „Fall von Bataan“,
am 29. März 1942, eine bewaffnete Formation gebildet, die sowohl während des
Krieges als auch im ersten Nachkriegsjahrzehnt von sich reden machte – die auf
Initiative der Kommunistischen Partei gegründete Antijapanische Volksarmee (kurz:
Hukbalahap beziehungsweise Huk). Ihre Ziele: bewaffneter Widerstand gegen die
japanischen Besatzer; Kampf für die Unabhängigkeit des Landes und die Umwälzung der ungleichen Boden- und Besitzverhältnisse.
Im Namen des Volkes – die Hukbalahap
Eine der ersten Maßnahmen der Hukbalahap bestand darin, die Bevölkerung in
ihren Operationsgebieten zu bewaffnen. So entstanden auf lokaler Ebene Vereinte
Barrio-Verteidigungskorps als Form kollektiver Selbstverteidigung. Da zahlreiche
Grundbesitzer wegen der Kriegswirren ihren Grund und Boden verlassen hatten und
nach Manila geflüchtet waren, gelang es den Huks vielerorts reibungslos, diese Lände34
Ideen und Informationen
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reien Pachtbauern zu überlassen oder gemeinschaftlich zu bewirtschaften. Wo diese
populäre Maßnahme nicht möglich war, setzten sich bewaffnete Huk-Verbände
zumindest für die Senkung exorbitanter Pachtabgaben und Wucherpraktiken ein. Ein
weiterer Schritt der Guerilla bestand darin, die politischen und Verwaltungsstrukturen
auf dem Lande umzukrempeln und eine effektive Gegenregierung zu bilden.
Geschätzte Kollaborateure – geknechtete Kollaborateure
Es gab auch Kräfte in der Gesellschaft, die strikt antiamerikanisch, gleichzeitig aber
betont projapanisch eingestellt waren. Deren Führer hatten früher die Amerikaner
als aufständische Offiziere beziehungsweise als Mitglieder sozialrevolutionärer
Bewegungen bekämpft. Um sie scharten sich paramilitärische Freiwilligenverbände
wie Bisig-Bakal ng Tagala (Eiserner Arm der Tagalen). Nach dem Krieg wurden die
Überlebenden und Sympathisanten dieser Organisationen öffentlich geächtet oder
als Kollaborateure ins Gefängnis geworfen. Kollaborateure aus den Reihen der politischen und christlichen Elite hingegen wurden mit Glacéhandschuhen behandelt
und nahezu ausnahmslos amnestiert.
Anstelle existierender politischer Parteien schufen die japanischen Militärbehörden
Anfang Dezember 1942 die Einheitsbewegung Kapisanan sa Paglilingkod sa Bagong
Pilipinas (kurz: Kalibapi), die Gesellschaft im Dienste für die Neuen Philippinen.
Diese unterstand der direkten Kontrolle der japanischen Militärverwaltung und
wurde von ihr genutzt, um die Philippinen in die „Unabhängigkeit“ zu entlassen. Im
Juni 1943 verkündete die Kalibapi, die wesentlich auf Manila beschränkt blieb, die
Gründung der Vorbereitungskommission für die Philippinische Unabhängigkeit mit
Dr. José P. Laurel als Präsidenten. Diese Kommission erarbeitete eine neue Verfassung, die Anfang September von einer Nationalversammlung ratifiziert wurde.
Deren Generalversammlung wählte dann Ende desselben Monats Laurel zum Präsidenten der neuen Republik der Philippinen und Benigno S. Aquino (den Großvater
des am 30. Juni 2016 nach sechs Jahren aus dem Amt geschiedenen Präsidenten
Benigno S. Aquino III.) zu ihrem Sprecher.
Offiziell blieb Laurel Präsident von Japans Gnaden vom 14. Oktober 1943 bis zum
15. August 1945, als er von seinem japanischen Exil aus die japanische Besatzung für
beendet erklärte. Wie kein anderer politischer Clan auf den Inseln verkörperten die
Laurels bedingungsloses Paktieren mit den jeweils Mächtigeren. Unter den Spaniern
waren sie zu Ehren gelangt, die US-Amerikaner hofierten sie ebenso ungeniert wie
die neuen japanischen Kolonialherren. Um sodann wieder ihre Herzen im Takte mit
den transpazifischen Siegern schlagen zu lassen. Trotz Laurels Kollaboration mit
Japan zeigten die Sieger Erbarmen. Und trotz des Laurel zur Last gelegten Hochverrats wurde ihm kein Haar gekrümmt. Im Gegenteil: 1951 zog er erneut in den Senat
der mittlerweile auch von den USA unabhängig gewordenen Dritten Republik der
Philippinen ein.
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Als General Douglas MacArthur sein früheres Versprechen „Ich werde zurückkehren“ wahrmachte und nach großen japanischen Verlusten im Pazifik sowie im
östlichen Teil der Philippinen am 20. Oktober 1944 in Begleitung von Sergio
Osmeña, dem Nachfolger des im August 1944 im US-Exil verstorbenen Präsidenten
Manuel Quezon, auf der Insel Leyte an Land ging, betrat er ein verwüstetes Land.
Zerstörung Manilas – Entwaffnung der Guerilla
Von allen Kriegshauptstädten während des Zweiten Weltkriegs hatte nur Warschau
höhere Schäden als Manila erlitten. Um die Jahreswende 1944/45 rückte der Krieg
immer näher an die Hauptstadt. Es dauerte fast den gesamten Februar 1945, bis nach
äußerst verlustreichen Straßen- und Häusergefechten die Entscheidungsschlacht in
der Nähe des alten spanischen Stadtzentrums Intramuros ausgefochten wurde. Was
später als „Befreiung“ Manilas gepriesen wurde, war ein Gemetzel, in dessen Verlauf
binnen weniger Tage etwa 100.000 Zivilisten ihr Leben verloren hatten.
Während des Krieges waren nicht weniger als 260.000 Filipinos in unterschiedlichen
Guerillaorganisationen aktiv. Ein noch größerer Teil der Bevölkerung hatte sich
heimlich im antijapanischen Untergrund engagiert. Die mit Abstand größte und
bedeutendste Guerillaorganisation war die Hukbalahap unter der Führung von Luis
Taruc. Etwa 30.000 Huk-Kämpfer kontrollierten auf dem Höhepunkt der Kampfhandlungen den größten Teil der Insel Luzon.
Umso größer war das Entsetzen der Huks, als der erste Befehl des USAFFE-Chefs
MacArthur nach der verlustreichen Einnahme Manilas und noch vor der Kapitulation Japans an ihre Adresse gerichtet war: die Waffen unverzüglich zu strecken.
Andernfalls galten sie als „gesetzlos“ und wurden wie „Banditen“ behandelt. Nur
vereinzelt erhielten Huk-Kämpfer eine Anerkennung für ihre Dienste oder die
Chance, sich in die regulären philippinischen Streitkräfte zu integrieren. USAFFEVeteranen hingegen wurden Jobs in der philippinischen Militärpolizei angeboten,
ausgerechnet jenem Teil der philippinischen Sicherheitskräfte, der von den Japanern zur Kontrolle des Hinterlandes eingesetzt worden war. Ein Dauerkonflikt zwischen den alt-neuen Machthabern und der Guerilla war programmiert. Folgerichtig
benannte sich die Hukbalahap Ende der 1940er Jahre um in Volksbefreiungsarmee
(kurz: HMB), die seitdem die Regierung und US-Truppen auf den Inseln bekämpfte.
Jenseits des Sternenbanners – 1946 gewährt Washington die langersehnte
Unabhängigkeit
Im Gegensatz zur harschen Behandlung der nationalistischen Partisanen wurden die
Wohlhabenden und Mitglieder der herrschenden Elite von MacArthurs Stab glimpflich behandelt. Auf solche Kräfte stützte sich die US-Politik, um mit ihnen nicht nur
die Commonwealth-Regierung wieder herzustellen, sondern das Land in die Unabhängigkeit zu führen. Allerdings eine beschränkte Unabhängigkeit; gleichzeitig
wahrte Washington durch ein Bündel bilateraler Verträge und Abmachungen seine
grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen. Das
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gelang schon deshalb geschmeidig, weil der verschlagene und mit einem mächtigen
Ego ausgestattete MacArthur alles für seinen politischen Darling Manuel Roxas in
die Waagschale geworfen hatte.
Roxas, vor dem Krieg Politiker und ehemaliger Brigadegeneral in der Armee, war während der japanischen Okkupation ein hochrangiges Mitglied des Marionettenregimes.
Ihm oblag unter anderem die Aufgabe, die japanischen Truppen mit Reis zu versorgen. Nach dem Krieg wurde Roxas zunächst zusammen mit weiteren etwa 5.000 Kollaborateuren von US-Militärs gefangengenommen, um schon bald auf Anweisung von
Präsident Osmeña und General MacArthur wieder auf freien Fuß gesetzt zu werden.
So war in des Generals Sicht das Stützen von Roxas ein cleverer Schachzug: Letzterer
war wegen seiner dubiosen Vergangenheit jederzeit erpress- und manipulierbar.
Kriegsveteranen und Bürger zweiter Klasse
„Ich, [Name], schwöre feierlich, den Vereinigten Staaten von Amerika vollauf Vertrauen zu schenken und ihnen Gefolgschaft zu leisten (…) dass ich ihnen ehrenwert und treu gegen alle ihre Feinde dienen werde (…) die Befehle (…) des Präsidenten der Vereinigten Staaten und der mir übergebenen Offiziere befolge (…)
und mich gemäß der Richtlinien und Konventionen des Kriegsrechts verhalte“.
Solche und ähnliche Treueide hatten über eine Viertel Million Filipinos vor und
nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor geleistet und damit ihr Schicksal an
das der US-Streitkräfte gekoppelt. Im Gegenzug für diese Loyalität, zu der US-Präsident Franklin D. Roosevelt die Filipinos nachdrücklich aufgefordert hatte, stellte die
Regierung in Washington den philippinischen Soldaten nach Kriegsende dieselbe
Behandlung wie die ihrer amerikanischen Waffengefährten in Aussicht. Doch
bereits im Februar 1946 wurde im US-Kongress der Rescission Act (Aufhebungsvertrag) verabschiedet und von Präsident Harry S. Truman unterzeichnet, der genau
das Gegenteil beinhaltete.
Nicht nur die Kriegsveteranen wurden betrogen und zu Bürgern zweiter Klasse
degradiert. Auch das ebenfalls von US-Präsident Roosevelt im August 1943 abgegebene Versprechen, die Philippinen in den Genuss einer vollen Entschädigung der
angerichteten Kriegsschäden kommen zu lassen, wurde nie eingehalten. Stattdessen konnten sich die USA auf ihnen von der neuen Regierung in Manila
gewährte „parity rights“, also Gleichheitsklauseln, verlassen – ein David-Goliath-Verhältnis. Außerdem wurden Amerikanern in den Philippinen ein Freihandel mit den
USA für acht Jahre garantiert, während die Peso-Dollar-Parität von 2 zu 1 festgesetzt
wurde und eine Änderung des Wechselkurses nur mit US-Zustimmung erfolgen
konnte. In Roxas’ Amtszeit fiel auch die Entscheidung, den USA den Unterhalt und
Ausbau militärischer Stützpunkte – darunter Clark Air Field und Subic Naval Base – zu
gestatten und ihnen dafür ausreichend Land auf der Basis eines 99 Jahre währenden
Pachtvertrags zur Verfügung zu stellen.
Ideen und Informationen37
Philippinen
Geschichte
fdf
Als in den Philippinen zehn Monate nach
der Kapitulation Japans das Sternenbanner eingeholt wurde und sich das Land
für die endgültige Unabhängigkeit am 4.
Juli 19462 rüstete, saßen alte Politiker in
neuen Sätteln und gaben Großgrundbesitzer und wohlhabende Geschäftsleute
wie vor dem Krieg erneut den Ton in
Verwaltung, Wirtschaft und Politik an.
Die knapp fünf Jahrzehnte US-amerikanischer Herrschaft hinterließen weitaus
nachhaltigere Spuren als die nahezu 350
Jahre währende Kolonialära der Spanier.
Ein flächendeckendes Grundschulsystem
wurde eingeführt und das amerikanische
Englisch als Unterrichtsmedium in SchuDer US-amerikanische Soldatenfriedhof mit
Gedenkstätte in der Nähe der Stadt Makati ist der
len, Colleges und Universitäten verangrößte Friedhof für amerikanische Gefallene in der
kert. Und ungleich stärker als unter den
Region. © Liwag-Kotte
Spaniern mussten die Filipinos als „kleine
braune Brüder" erleben, wie die USA in sämtliche Poren ihres gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens eindrangen und eine gefügige, ihren Interessen
dienende lokale Elite heranzogen.
Die Nachkriegsära (1946-1965)
Das erste Jahrzehnt der jungen Republik war gekennzeichnet durch politische
Unruhen und Guerillaaktivitäten. Die Huk-Bewegung hatte sich in Volksbefreiungsarmee umbenannt und strebte eine volksdemokratische Ordnung an. Erst
Mitte der 1950er Jahre gelang es im Rahmen koordinierter philippinisch-amerikanischer Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen (Counterinsurgency) unter Führung
des CIA-Verbindungsmanns Edward G. Lansdale, den Huks das Rückgrat zu brechen und sie militärisch zu besiegen. Gleichzeitig fanden größere Umsiedlungsprogramme statt, wobei Huk-Kombattanten im Falle ihrer Kapitulation der Besitz
von ein bis zwei Hektar regierungseigenen Bodens auf der südlichen Insel Mindanao in Aussicht gestellt wurde. Mindanao galt zu der Zeit als „Land der Verheißung", und die Insel erlebte nach den 1930er Jahren den zweiten größeren Schub
zuwandernder (christlicher) Siedler aus Luzon und der Visaya-Inselgruppe.
Die ungebrochen enge Zusammenarbeit zwischen Manila und Washington in
(außen-)politischen und militärischen Belangen währte bis zu Beginn der 1990er
Jahre. Mit dem Fall der Berliner Mauer, dem Auseinanderbrechen der Sowjet2Bezeichnend für den neokolonialen Status des Landes war, dass ausgerechnet dessen Unabhängigkeitstag mit dem US-amerikanischen zusammenfiel. Erst Mitte der 1960er Jahre erklärte die Regierung unter
Diosdado Macapagal den 12. Juni zum Nationalfeiertag – den Tag, an dem Emilio Aguinaldo 1898 die
Unabhängigkeit ausgerufen hatte. Der 4. Juli wird heute schlicht als Tag der Republik begangen.
38
Ideen und Informationen
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union sowie der Räumung der einst von Moskau kontrollierten Militärbasis in Cam
Ranh Bay (Vietnam) entfiel aus Sicht Washingtons die Notwendigkeit, in den Philippinen fortgesetzt eigene militärische Stützpunkte zu unterhalten.
Marcos – Kriegsrecht – „People Power“ (1965-1986)
Widerstand, Protest und bewaffnete Konflikte brachen Ende der 1960er Jahre
erneut aus. Auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges bewies Manila einmal mehr
Vasallentreue gegenüber Washington und entsandte ein eigenes Kontingent zur
Unterstützung des „großen Bruders“ nach Südvietnam. Um die zwischenzeitlich
auf maoistischer Grundlage neuformierte Kommunistische Partei (CPP) und ihre
Guerilla der Neuen Volksarmee (NPA) sowie die im Süden für staatliche Eigenständigkeit kämpfende Moro Nationale Befreiungsfront (MNLF) und die zahlreichen Privatarmeen einflussreicher Politiker und Geschäftsleute auszuschalten,
verhängte der seit Ende 1965 amtierende Präsident Ferdinand E. Marcos am 21.
September 1972 landesweit das Kriegsrecht.
Innenpolitisch bedeutete dieser drakonische Schritt, dass das Parlament aufgelöst
und die Medien an die Leine gelegt wurden. Bürgerliche Oppositionelle wurden
weggesperrt, andere Widerständige erschossen. Der Präsident regierte fortan mit
Dekreten und Exekutivordern. Den erbittertsten Widerstand leisteten lange die
NPA und MNLF. Mit Letzterer konnte Marcos allerdings am 23. Dezember 1976 ein
Friedensabkommen unterzeichnen, nachdem im Süden des Landes – vor allem
auf der Insel Jolo – die Jahre davor offener Bürgerkrieg geherrscht hatte.
Außenpolitisch regte sich kaum Protest, weil im ideologisch aufgeheizten Klima der
West-Ost-Blockkonfrontation Stabilität und Ordnung höher veranschlagt wurden
als die Wahrung von Menschenrechten. In den USA ging zudem die Sorge um, dass
mit dem Fall von Vietnam die Nachbarstaaten wie Dominosteine umkippen und
kommunistisch würden. Neben den Philippinen herrschte auch in Südkorea Kriegsrecht. Und in Indonesien hatte Ex-General Suharto seit 1965 von einem Putsch profitiert, dessen hunderttausende Opfer bis heute als „Kommunisten“ geächtet sind.
„Wir lieben Ihr Festhalten an demokratischen Prinzipien und am demokratischen Prozess und werden Sie nicht in Isolation zurücklassen.“
US-Vizepräsident George H. W. Bush am 30. Juni 1981 anlässlich eines Toasts auf
seinen Gastgeber Präsident Marcos in Manila – zit. nach: „Philippines: Together
Again“ in TIME Magazine vom 13. Juli 1981.
Mord im Morgengrauen
Die Wende erfolgte, als Marcos’ größter politischer Herausforderer, der frühere
Senator Benigno „Ninoy“ Aquino, bei seiner Rückkehr aus zeitweiligem US-amerikanischen Exil am 21. August 1983 erschossen wurde – an hellichtem Tage, als er
gerade dem auf Manilas Flughafen gelandeten Jet entstiegen war. Es war dies ein
Ideen und Informationen39
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Geschichte
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Tabubruch gemäß dem Motto „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“. Der
Aquino-Mord elektrisierte die Mittelschicht und Teile der Oberschicht. Bis zum
Sturz von Marcos in den bewegten wie bewegenden Tagen vom 22. bis zum 25.
Februar 1986 verging kaum ein Tag, an dem nicht Demonstrationen oder Protestmärsche gegen den Diktator stattfanden.
In jenen turbulenten Tagen besiegelte die sogenannte „People Power“ oder „Rosenkranz-Revolution“ das jähe Ende der Marcos-Herrschaft. Manilas damaliger Erzbischof, Jaime Kardinal Sin, hatte über den Radiosender Radio Veritas die Gläubigen
aufgerufen, gegen den Diktator meuternde Offiziere zu unterstützen. Etwa zwei Millionen Menschen bewegten sich in Richtung von Manilas Hauptschlagader, der Epifanio
de los Santos Avenue (EDSA), wo sich die Meuterer um Verteidigungsminister Juan
Ponce Enrile und Fidel V. Ramos, dem Vizechef der Constabulary (des Vorläufers der
heutigen Nationalpolizei), verschanzt hielten. Die Szenen glichen einer gigantischen
Open Air-Liturgie, wo Scharen von Gläubiger jeglichen Autoverkehr und potenzielles
Anrollen von Panzern blockierten und Nonnen wie Priester den Meuterern, deren
Zahl von Stunde zu Stunde anschwoll, Blumenkränze umhängten.
Regierungswechsel als gigantische Open Air-Liturgie
Zu People Power zählte eine vitale Zivilgesellschaft – darunter die einflussreiche
Katholische Bischofskonferenz des Landes unter Führung von Kardinal Sin. Mit Juan
Ponce Enrile und Fidel V. Ramos hatten zwei langjährige Marcos-Gefolgsleute dem
Diktator die Treue aufgekündigt, die seinem Regime zuvor als bedingungslose
Kriegsrechtsverwalter und Korsettstangen gedient hatten.
Marcos stürzte, weil das Ineinanderfließen zumindest dreier gewichtiger Faktoren –
People Power, die Revolte eines bedeutsamen Teils der Streitkräfte beziehungsweise
die buchstäblich fünf vor Zwölf vollzogene Abkehr hochrangiger Militärs vom Präsidenten sowie ein gewieftes Krisenmanagement seitens der ehemaligen Kolonialmacht USA – sein Regime letztlich unterhöhlte. Washington hatte aus früheren Erfahrungen in Laos,
Nikaragua und Iran gelernt, Despoten nicht länger
mehr bis zur bitteren Neige zu unterstützen. Bereits
vor Marcos' Fall hatten das amerikanische Außen- und
Verteidigungsministerium Signale nach Manila ausgesandt, dass dort Reformen überfällig seien.
Von Aquino zu Aquino (1986-2016)
Marcos' Familie und eine Schar ihr treu ergebener
Gefolgsleute wurden in der Nacht vom 25. auf den 26.
Februar von der US-Luftwaffe ins Exil auf Hawaii ausgeflogen. Die Witwe des 1983 erschossenen Marcos-Rivalen, Corazon C. Aquino, beerbte den Diktator.
„Cory“, wie Frau Aquino im Volksmund liebevoll
40
Corazon Aquino
© Siebert
Ideen und Informationen
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genannt wurde, war überschwänglich als Hoffnungsträgerin eines demokratischen
Wandels gefeiert worden. Doch während ihrer Amtszeit, die im Sommer 1992 endete,
blieben die meisten der von ihr angekündigten Reformvorhaben unvollendet.
Tragisch war der unter ihrer Obhut vollzogene Rechtsschwenk, paramilitärischen Vigilante-Gruppen (Bürgerwehren) ein staatliches Gütesiegel aufzudrücken und sie als
„Verkörperung von People Power“ zu huldigen. Sie überlebte nur mehrere Putschversuche seitens des Militärs dank ihres Generalstabschefs und späteren Verteidigungministers Fidel V. Ramos. Dieser hatte sich stets schützend vor die Präsidentin gestellt
und eigentlich hinter den Kulissen die Strippen gezogen. Es entsprach nachgerade
klassischer Dankesschuld (utang na loob), dass Ramos als Aquinos „Thronfolger“ auserkoren wurde und von 1992 bis 1998 selbst als Präsident amtierte.
Geläuterter General – geschasster Präsident – gehasste Präsidentin
Einmalig in der Geschichte des Landes, musste Ramos' Nachfolger, der früher außerordentlich populäre Schauspieler Joseph E. Estrada, nach nur zweieinhalb Jahren seiner insgesamt sechsjährigen Amtszeit im Januar 2001 seinen Dienst quittieren. Estrada, der zuvor als Vizepräsident und gleichzeitig als oberster Verbrechens- und
Korruptionsbekämpfer amtiert hatte, strauchelte ausgerechnet über zahlreiche Korruptionsaffären. Er wurde deshalb rechtskräftig verurteilt, doch bereits wenig später
von seiner Nachfolgerin, Gloria Macapagal-Arroyo, amnestiert und rehabilitiert.
Die Amtszeit Frau Arroyos (2001-2010), in der allein über 1.200 außergerichtliche
Hinrichtungen unaufgeklärt blieben, war für viele in- wie ausländische Analysten
eine verlorene Dekade. Nach Marcos avancierte sie zum meistgehassten Präsidenten. Erst Ende Juli 2016 wurde Frau Arroyo nach mehrjähriger privilegierter Spitalshaft auf freien Fuß gesetzt, nachdem mehrere gegen sie angestrengte Rechtsverfahren letztinstanzlich vom Obersten Gerichtshof des Landes mangels Beweisen
abgeschmettert wurden.
Vergelbter Traum
Am 30. Juni 2010 beerbte Benigno „Noynoy" S. Aquino III., einziger Sohn der ein
Jahr zuvor gestorbenen Expräsidentin Corazon C. Aquino, Frau Arroyo. Mit großen
Vorschusslorbeeren trat er sein Amt an und verkündete, stets „den geraden Weg“
zu gehen. Den Wählern und Menschen im Lande machte er Mut und versicherte
ihnen bei seinen ersten öffentlichen Auftritten immer wieder: „Ihr seid mein Boss“.
Eine rhetorische Figur, die sich mit zunehmender Verweildauer Aquinos im Amt
verschliss. Ab Mitte seiner Amtszeit im Sommer 2013 verlor der Präsident, der vorzugsweise im gelben T-Shirt seiner regierenden Liberalen Partei auftrat, zunehmend
an Glaubwürdigkeit und trudelte von einer Krise in die nächste. Korruptionsaffären
und Bestechungsskandale häuften sich, das Krisen- und Katastrophenmanagement
– vor allem bei dem verheerenden Taifun Haiyan (lokal als Yolanda bekannt) im
November 2013 – geriet mächtig unter Beschuss und kleinere wie größere Massaker
blieben aufgrund qualvoll langsam mahlender Justizmühlen ebenfalls unaufgeklärt.
Ideen und Informationen41
Philippinen
Geschichte
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Dann kam der „schwarze Sonntag“ des
25. Januar 2015: Einer in den frühen
Morgenstunden desaströs verlaufenen
Antiterror-Kommandoaktion von Eliteeinheiten der Philippinischen Nationalpolizei in Mamasapano in der südlichen
Provinz Maguindanao fielen allein 44
Polizisten zum Opfer. Dieser „Vorfall“
erhitzte die Gemüter dermaßen, dass
der am 27. März 2014 international
gepriesene Abschluss eines FriedensverTrauerbeflaggung in Mamasapano Anfang 2015
trages mit der Moro Islamischen Befrei
© WGT e.V.
ungsfront (MILF) nicht umgesetzt werden konnte. Dessen Kernstück nämlich, das Bangsamoro Grundgesetz, fand aufgrund
einer hochgepeitschten islamophoben Stimmung schlicht kein notwendiges Quorum.
Unruhiger Süden
So bleibt bis heute ein Frieden in Südostasiens ältester Konfliktregion ein frommer
Wunsch. Schlimmer noch: Immer unverhohlener agieren der dschihadistische IS
(Islamischer Staat) und Gesinnungsgenossen der Abu Sayyaf im Süden des Landes.
Gründungsmitglieder der Abu Sayyaf hatten einst als Mujahedin in Afghanistan
gegen die sowjetischen Besatzungstruppen gekämpft. Trotz mehrerer Großoffensiven philippinischer Eliteeinheiten und US-Spezialkräfte in der Region gelang es
nicht, die auf Kidnapping und Lösegelderpressung spezialisierte Abu Sayyaf aufzureiben. In Deutschland stand sie im Sommer 2000 wochenlang im Zentrum medialer
Aufmerksamkeit, als neben der Göttinger Familie Wallert auch andere westliche
Geiseln von der Abu Sayyaf gekidnappt und erst nach Zahlung hoher Lösegelder
wieder auf freien Fuß gesetzt worden waren.
Bittere Enttäuschung, Wut, Zynismus und Frustration waren während des Wahlkampfs im Frühjahr 2016 allerorten vernehmbar. Ein idealer Nährboden für viele
Unzufriedene, Aquino und seine Liberale Partei an den Urnen gnadenlos abzustrafen und das Heil in einem „Messias mit Maschinenpistole“ zu suchen – dem langjähriger Bürgermeister von Davao City, Rodrigo R. Duterte.
„Alle, die meine Order befolgen und (Drogenhändler und andere Kriminelle)
exekutieren, können sich auf mich und mich allein berufen. (…) In Ausübung
der Pflicht und gemäß eures Mandats genießt ihr meine hundertprozentige
Unterstützung. Ich werde es nicht zulassen, dass ihr dafür ins Gefängnis
kommt. Ich werde eher der Erste sein, der hinter Gittern landet.“
Der seit dem 30. Juni 2016 amtierende Präsident Rodrigo R. Duterte anlässlich einer
Rede vor Angehörigen der Streitkräfte und Nationalpolizei in Zamboanga City – zit.
nach: The Philippine Daily Inquirer (Manila) vom 21. Juli 2016.
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Ideen und Informationen
Philippinen
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Dunkler Auftakt einer angeblichen Lichtgestalt (2016-?)
Am 4. Juli 2016 gedachten die Filipinos der Unabhängigkeit vor 70 Jahren. Doch
auch nach sieben Dekaden harrt eine Fülle von Problemen dringlich einer Lösung:
grassierende Armut und Gewalt; Landflucht und interne Kolonisierung; Korruption
und Bestechung; Durchsetzung einer den Namen verdienenden Land- und Agrarreform; Beilegung bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen
und muslimischen Rebellengruppen und der kommunistischen Guerilla der Neuen
Volksarmee; eine dauerhafte Friedenslösung im Süden des Landes; ungesühnte
Morde; Ende einer im In- wie Ausland wiederholt attackierten Kultur der Straffreiheit, interne Machtkämpfe zwischen widerstreitenden politischen Clans und Familiendynastien sowie mitunter aufbrechende innermilitärische Reibereien.
Der am 30. Juni vereidigte 16. Präsident der Philippinen, Rodrigo R. Duterte, den
seine Freunde kurz „Rody“ oder „Digong“ nennen, ist mit dem Credo angetreten,
vor allem Korruption, Kriminalität und das Drogenproblem im Lande binnen weniger Monate „auszumerzen“. Eines ist schon jetzt gewiss: Er ist die mit Abstand schillerndste und kontroverseste Person, die jemals in den Malacañang-Palast zu Manila
einzog. Für seine Fangemeinde ist „Rody“ der verkörperte Heilsbringer – darüber
hinaus der erste Präsident, der aus Mindanao stammt. Er geriert sich als volksnaher
Tribun und zelebriert gern Machoallüren, indem er gelobt, die Bastionen des verhassten „imperialen Manila“ zu schleifen.
Für seine Gegner und Kritiker ist Duterte hingegen ein „Soziopath“ und „unmanierliches Großmaul“. Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen
werfen dem neuen Präsidenten vor, Todesschwadronen während seiner langjährigen Zeit als Bürgermeister von Davao zumindest toleriert, wenn nicht gar tatkräftig
selbst unterstützt zu haben.
Jedenfalls ist das Tempo beängstigend, mit dem seit Dutertes haushohem Wahlsieg
am 9. Mai 2016 außergerichtliche Hinrichtungen durchgeführt wurden. Die Opfer
waren bislang tatsächliche oder vermeintliche Drogendealer, allesamt „kleine
Fische“, über deren Leichen meist ein Pappschild mit der Aufschrift „Ich bin ein Pusher“ gelegt wurde. Bis Ende Juli (der Fertigstellung dieses Texts) sind bereits über
298 solcher Opfer zu beklagen3. Sollte sich eine gängige Kultur der Straffreiheit mit
einer staatlich gegängelten und gleichzeitig abgesegneten „Kultur des Exekutierens“
verschränken, ramponiert dies zutiefst das Image eines farbenprächtigen, lebensfrohen Landes und seiner politischen Führung.
3Diese Zahl stammt von der Philippinischen Polizei PNP selbst, andere Quellen sprechen von über 400
Toten.
Ideen und Informationen43
Philippinen
Geschichte
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Mary Lou U. Hardillo ist Ethnologin, Publizistin, Dolmetscherin, Übersetzerin,
interkulturelle Trainerin und Philippinen-Dozentin an der Akademie für Internationale Zusammenarbeit (AIZ) in Bad Honnef. Sie war Vorsitzende von BABAYLAN, einem europaweiten Netzwerk sozialpolitisch engagierter Filipinas, und ist
langjährige Vorsitzende des Philippine Women's Forum Germany e.V.
Dr. Rainer Werning, Sozialwissenschaftler und Publizist mit dem Schwerpunkt
Südost- und Ostasien, befasst sich intensiv mit den Philippinen seit 1970 und
verbrachte dort lange Zeit zu Studienzwecken und für Recherchen. Er ist Autor
zahlreicher Publikationen zum Thema sowie Philippinen- und Korea-Dozent an
der AIZ (Bad Honnef) und war in den vergangenen Jahren u.a. Lehrbeauftragter
an den Universitäten Bonn und Osnabrück.
Literaturhinweise und Links:
• Stefan Zweig (1983): Magellan – Der Mann und seine Tat. Frankfurt a.M. (25. Aufl.)
• Bernhard Dahm (1988): José Rizal: Der Nationalheld der Filipinos. Göttingen
• Rainer Werning & Mary Lou U. Hardillo (Hg./1991): Philippinen – Paradies in Aufruhr. Berlin
• Stefan Rohde-Enslin (1992): Östlich des Horizonts – Deutsche Philippinenforschung im 19.
Jahrhundert. Münster
• Mary Lou U. Hardillo (Hg./2000): TransEuroExpress – Filipinas in Europe (Deutsch, Englisch &
Tagalog). Unkel/Bad Honnef
• Rainer Werning (2010): Programmierter Dauerkonflikt? Die Suche nach einem tragfähigen
Frieden in den Südphilippinen, in: Internationales Asienforum Vol. 41, No. 3-4, S. 303-322.
Freiburg i. Br.; http://crossasia-journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/iaf/article/view/17
• Rainer Werning (2011): Krone, Kreuz und Krieger – Europäische Vermächtnisse in den Philippinen (dtsch./engl.). Essen
• Peter Priskil (Hg./2014): Der unbekannte Mark Twain – Schriften gegen den Imperialismus.
Freiburg i.Br.
• Niklas Reese & Rainer Werning (Hg./2014): Handbuch Philippinen – Gesellschaft, Politik,
Wirtschaft, Kultur. Angermünde (5. Aufl.)
• Rheinisches JournalistInnenbüro/Recherche International (Hg./2014): ‚Unsere Opfer zählen
nicht' – Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg. Bonn (5. Aufl. & Lizenzausgabe) – darin vor
allem das Asien-Kapitel.
• https://www.liportal.de/philippinen.html
• http://dp-freunde.de/comm/
• http://pinayskaleidoscope.blogspot.de/2010/07/wunschkinder-status-und-rolle.html
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