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Praxishandbuch Influenza
verstehen, vorbeugen, erkennen und behandeln
Bearbeitet von
Georg Vogel
1. Auflage 2011. Taschenbuch. 136 S. Paperback
ISBN 978 3 13 145812 4
Format (B x L): 127 x 190 cm
Weitere Fachgebiete > Medizin > Klinische und Innere Medizin > Infektionskrankheiten
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9.1 Typische Symptome
9.1
39
Typische Symptome
Wenn über die Surveillance-Systeme bekannt ist, dass Influenza in der Region
auftritt, helfen folgende Grippe-Leitsymptome für eine erste Unterscheidung
zu anderen akuten respiratorischen Erkrankungen (ARE):
n plötzlicher Beginn (Sudden Onset) aus völligem Wohlbefinden heraus
n hohes Fieber (≥ 38,5 °C, rektal gemessen!)
n Frösteln, Schweißausbrüche
n schweres allgemeines Krankheitsgefühl
n Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Halsschmerzen
n trockener Reizhusten
Dieses grobe Raster lässt sich spätestens am zweiten Tag der Infektion, wenn
das klinische Bild komplett ausgebildet ist, mit charakteristischen Symptomen ergänzen:
n Der „Influenza-Physiognomie“ entspricht, dass der Patient verschnupft
und verheult aussieht; das Gesicht ist durch periorbitale Ödeme aufgedunsen. Die Lidränder sind aufgrund einer Konjunktivitis, die durch häufiges
Reiben noch verstärkt wird, krustig verklebt.
n Die Gesichtshaut kann lilarot, Schleimhäute und Lippen sogar zyanotisch
koloriert sein.
n Zur Allgemeinsymptomatik gehören auch Lustlosigkeit und fehlende Leistungsbereitschaft.
n Ebenso charakteristisch sind Laryngitis und Tracheitis mit einem quälenden, bellenden Husten und Heiserkeit bis zur vollständigen Aphonie.
n Mitunter erleiden die Patienten am Anfang einen Kreislaufkollaps.
n Oft bleibt eine postgrippale Asthenie (ständige, schwere Erschöpfung, bisweilen auch als Fatigue-Syndrom bezeichnet) über 2 – 3 Wochen, manchmal auch länger bestehen.
n Die Patienten sind sehr geräusch- und lichtempfindlich; bei ausgeprägter
Photophobie möchten sie sich in abgedunkelte Räume zurückziehen.
n Zu den gesteigerten Empfindlichkeiten gehört auch eine gegenüber Berührungen aufgrund diffuser Myalgien, die auch zu Bewegungsunlust führen.
n Die von den Augen ausgehenden Kopfschmerzen ziehen nach parieto-temporal und werden meist als stark und bohrend, gelegentlich als diffus und
dumpf empfunden.
n Nur bei akuten schweren Verläufen kann Schüttelfrost (wie bei einer bakteriellen Sepsis) vorkommen, dann steigt das Fieber schnell auf 41 °C an.
Ansonsten ist der subjektiv geschilderte Schüttelfrost ein Frösteln mit kontinuierlichem Fieber über 3 – 5 Tage (sogenannte Kontinua).
Vogel, Praxishandbuch Influenza (ISBN 9783131458124), © 2011 Georg Thieme Verlag KG
40
9 Klinik der Influenza
Vorsicht: Folgende typische Symptome können zunächst auf andere Erkrankungen hindeuten, was sich dann jedoch im kompletten klinischen Influenzabild bzw. bei näherer Untersuchung nicht bestätigt:
n Durch die Unlust zu essen und zu trinken sowie Nausea mit Erbrechen und
Durchfällen können gastroenterologische Störungen vermutet werden.
n Auf Meningismus könnten reflektorische Verspannungen der Nackenmuskulatur hinweisen. Allerdings können die Hirnhäute noch involviert werden,
vor allem infolge von Sekundärinfektionen im HNO‑Bereich.
n Die Muskelschmerzen sind stark lumbosakral im Gebiet des M. erector spinae ausgeprägt, was auf Bandscheibenschäden oder Nierenerkrankung hindeuten könnte.
Der Schweregrad pulmonaler Manifestationen der Influenza variiert von der
folgenlosen Abheilung bis hin zum foudroyanten Verlauf mit letalem Ausgang. Doch selbst beim anscheinend unkomplizierten Verlauf ist bei fast allen
Patienten die Lungenfunktion eingeschränkt, was auf eine Beteiligung der
kleinen Atemwege hinweist.
9.2
Klinische Befunde
Bei der Inspektion des Rachens wird die Pathophysiologie mit dem Entzündungsprozess deutlich sichtbar. Die sich rasch vermehrenden Viren lähmen
die Kapillaren und schon die Mundschleimhaut fällt durch verstärkte Blutfülle auf. In der Rachenschleimhaut erkennt man dann eine charakteristische
Gefäßzeichnung der gestörten Mikrozirkulation, die an eine Stase im Gefäß
erinnert. Dieser Zustand wird auch als sogenannte „flammende Röte“ bezeichnet. Um die ödematös vergrößerte Uvula, die bis zum Zungengrund reichen kann, ist ein livider rautenförmiger Rachenring zu sehen (Abb. 9.5). Auf
dem Integument zeigt sich ein transientes, kleinfleckiges, makulöses Exanthem. Nicht wenige Patienten haben das Gefühl, ihre Halslymphknoten seien
angeschwollen, doch das ist eher bei jüngeren Patienten der Fall. Auch die
Milz kann vergrößert sein. Weiterhin kann Tachypnoe mit Dyspnoe festgestellt werden und bei der Auskultation sind gelegentlich bereits Giemen und
Pfeifen hörbar. Die Lunge ist bei der initialen klinischen Untersuchung noch
subklinisch betroffen (alveolokapillärer Diffusionskoeffizient) und bei der
Herz-Kreislauf-Untersuchung fällt die Bradykardie auf, die nicht zum klinischen Bild und Fieber passt.
Vogel, Praxishandbuch Influenza (ISBN 9783131458124), © 2011 Georg Thieme Verlag KG
9.3
Klinik bei Kindern
41
Abb. 9.5 Inflammierter
Rachen mit den Zeichen
einer gestörten Mikrozirkulation (Quelle:
G. E. Vogel).
9.3
Klinik bei Kindern
Jeder wird verstehen, dass ich nach den Erlebnissen mit meinen eigenen Kindern und den daraus entstandenen Konsequenzen (s. Vorwort zur 1. Auflage)
den Zusammenhang von Kindern und Influenza sehr genau verfolge.
Die Situation wird unterschätzt und das ist gefährlich. Kinder gehören mit
Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Menschen in mittleren Jahren zu den
Personen, die am häufigsten an der Grippe erkranken, mehr noch, sie erkranken 3-mal häufiger als Erwachsene. Als Kleinkinder sind sie aufgrund ihres
noch nicht vollständig entwickelten Immunsystems besonders gefährdet,
später ist ihr Ansteckungsrisiko durch den Besuch von Tagesstätten, Kindergärten und Schulen deutlich erhöht. Infektionsraten von über 50 % bei Schulkindern sind nicht selten; es kommt auch vor, dass Kinder während einer gesamten Grippeepidemie am stärksten betroffen sind. Dennoch werden die
meisten Influenzainfektionen bei Kindern klinisch nicht diagnostiziert – trotz
wirksamer Schnelltests. So wird entsprechend einer US‑amerikanischen Studie ein Abstrich nur bei 28 % der hospitalisierten und 17 % der ambulant vorgestellten Kinder vorgenommen, bei denen dann Grippe labordiagnostisch
bestätigt wurde. Hinzu kommt, dass nur etwa 35 % der erkrankten Kinder innerhalb von 2 Tagen zum Arzt gebracht werden, genau die Zeit, in der die
antivirale Therapie am wichtigsten ist [1].
Abgesehen von den anstrengenden Krankheitsverläufen und den Komplikationen, die Kinder mitunter lebenslang beeinträchtigen können, birgt diese
Unterschätzung natürlich ein enorm hohes Verbreitungsrisiko. Schon bevor
es selbst Symptome zeigt, kann ein Kind, das aus der Schule kommt, zu Hause
Vogel, Praxishandbuch Influenza (ISBN 9783131458124), © 2011 Georg Thieme Verlag KG
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