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Geschichte
„Aber Jordan war der Erste“
Zur Erinnerung an Pascual Jordan (1902–1980)
Jürgen Ehlers und Engelbert Schücking
Vor hundert Jahren, am 18. Oktober 1902, wurde Pascual Jordan
geboren. Dieser Artikel soll an
diesen zu Unrecht fast vergessenen Mitbegründer der Quantenmechanik und der Quantenfeldtheorie erinnern.
D
ie Quantenfeldtheorie und
die Einsteinsche Theorie der
Schwerkraft bilden die
Grundlage der Physik. Die ersten
Grundsteine des Gebäudes der
Quantenfeldtheorie legte der
23jährige Pascual Jordan in den
beiden mit Max Born bzw. Max
Born und Werner Heisenberg verfassten Arbeiten, in denen die
Grundgesetze der Quantenmechanik formuliert wurden [1]. Schon
darin behauptete Jordan, dass Feldgrößen ebenso wie Teilchengrößen
der von Heisenberg eingeführten
fundamentalen „kinematischen Umdeutung“ in nichtkommutative Variablen zu unterwerfen seien und
stellte damit die Verbindung zum
Planckschen Strahlungsgesetz und
zu den Einsteinschen Lichtquanten
her. Seinen anfangs von den Kollegen skeptisch beurteilten Gedanken, den Feldbegriff anstelle des
Teilchenbegriffs als grundlegend zu
betrachten, führte Jordan in den
Jahren 1927/28 in Arbeiten mit
Oskar Klein, Eugen Wigner und
Wolfgang Pauli aus.
Der Wissenschaftshistoriker Tian
Yu Cao schreibt [2]: 1) „In der
(semi-) klassischen Theorie waren
Teilchen wegen ihrer dauerhaften
Existenz fundamental verschieden
von den Energiequanten des Feldes,
die erzeugt und absorbiert werden
konnten. In Jordans Quantentheorie, wo Realität sowohl Teilchen
wie Welle war, konnten Teilchen erzeugt und absorbiert werden, genau
so wie die Quanten des Wellenfeldes, und die Felder konnten sich
auch in diskreter Form zeigen. Auf
diese Weise wurde wohl das Rätsel
der Welle-Teilchen-Dualität von
Jordan statt von Dirac gelöst.“
Ernst Wilhelm Pascual Jordan
wurde am 18. Oktober 1902 in
Hannover als Sohn des Kunstmalers Ernst Pascual Jordan geboren.
© 2002 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
Pascual Jordan Ende der Vierzigerjahre
Sein ungewöhnlicher Vorname Pascual geht auf seinen spanischen Urgroßvater väterlicherseits zurück,
der seine Heimat beim Aufstand
Spaniens gegen Napoleon verlassen
hatte, 1814 in britische Dienste getreten und so schließlich nach Hannover, dem Stammland der damaligen englischen Könige, gelangt war.
Pascual Jordan begann sein Studium 1921 an der TH Hannover,
ging aber schon im Frühjahr 1922
nach Göttingen, um dort Physik,
Mathematik und Zoologie zu studieren. Dort wirkten die hervorragenden Forscher und Lehrer Max
Born, James Franck, David Hilbert
und Richard Courant, die hochbegabte Schüler wie Werner Heisenberg, Friedrich Hund, John von
Neumann und Wolfgang Pauli
anzogen. Jordan entwickelte sich
schnell vom Studenten zu einem
selbstständigen, einfallsreichen Mitarbeiter. Er wurde 1924 promoviert
und arbeitete in der Physik mit
Born und Franck zusammen, in der
Mathematik half er Richard Courant beim Abfassen des bekannten
„Courant-Hilbert“ [3].
Den theoretischen Physikern
stellte sich damals die Aufgabe, aus
vielen Einzeltatsachen und speziellen, erratenen theoretischen Ansätzen unter dem Leitgedanken des
Bohrschen Korrespondenzprinzips
zu einem systematischen Verständnis der atomaren Phänomene
1617-9439/02/1111-71 $17.50+50/0
durchzudringen. Das gelang in den
für die Physik ereignisreichen Jahren 1925–27. Gestützt auf die von
dem 24jährigen Werner Heisenberg
in einer bahnbrechenden Arbeit im
Frühjahr 1925 formulierten Ansätze, bei denen das Ziel die Beschreibung der Atomvorgänge durch beobachtbare Größen statt durch fiktive Elektronenbahnen war, gelang
es Born und Jordan in zweimonatiger hektischer Arbeit, zunächst für
Systeme mit nur einem Freiheitsgrad ein konsistentes, die klassische
Mechanik Newtons ersetzendes
System von Quantengesetzen aufzustellen. Dessen Kern war die (zuvor von Born vermutete) „kanonische Vertauschungsregel“
pq – qp = h/2pi
für Ort q und Impuls p. Während
andere Gesetze der klassischen Mechanik formal ungeändert in die
neue Theorie übernommen werden
konnten, erwies sich die Vertauschungsregel als die radikal neue
Relation, die das Verhalten der Atome zu erschließen ermöglichte.
Durch diese und nur diese „verschärfte Quantenbedingung“ geht
das Plancksche Wirkungsquantum
in die Quantenmechanik ein.
Nach abermals zweimonatiger
Arbeit stellten Heisenberg, Born
und Jordan die allgemeinen Gesetze
der „Matrizenmechanik“ auf. Diese
berühmte „Dreimännerarbeit“ bildete zusammen mit den Arbeiten
Paul Diracs, Erwin Schrödingers,
Wolfgang Paulis, der Bornschen
statistischen Deutung der Wellenfunktion, deren Verallgemeinerung
in der statistischen Transformationstheorie von Dirac und Jordan
(1927) und schließlich der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation
Dpi Dqj ‰ 1/4p h di j die Grundlage
der Quantenmechanik.
Die kanonische Vertauschungsrelation wurde, wohl wegen des
Klangs pq, so sehr mit Jordan verknüpft, dass Pauli eine Postkarte an
Jordan adressierte mit „pq – qp Jordan“.
Welche – wie schon eingangs erwähnt – grundlegende Bedeutung
Jordan dem Feldbegriff beimaß,
Physik Journal
1 (2002) Nr. 11
1) Übersetzung von
E. Schücking
Prof. Dr. Jürgen
Ehlers, Max-PlanckInstitut für Gravitationsphysik, Am
Mühlenberg 1, 14476
Golm bei Potsdam;
Prof. Dr. Engelbert
Schücking, Department of Physics,
New York University, 4 Washington
Place, New York, NY
10003, USA;
Beide Autoren sind
Schüler Jordans
71
Geschichte
2) Max Born schreibt dazu: „Bezüglich der von
uns vorgeschlagenen Anwendung von Matrizen
auf Felder fanden wir
nicht das geringste Echo.
Einige bedeutende Physiker (z. B. der Russe
Frenkel) betrachteten
unseren Vorschlag als
leichten Anfall von Verrücktheit. Dies änderte
sich erst einige Jahre
später, als Dirac diese
Idee, wahrscheinlich unabhängig von uns, mit
großem Erfolg aufgriff.“
[4]
72
lässt sich mit einem Zitat aus einem
autobiografischen Aufsatz Jordans
belegen: „In der Dreimännerarbeit
war auch eine Betrachtung enthalten, welche über den Kreis der
Quantenmechanik hinausweisend
auf das Problem der Lichtquanten
und damit auf das Thema einer
Quanten-Elektrodynamik zielte.
Einstein hatte als Begründung des
Lichtquantenbegriffs ausgeführt,
dass die Schwankungserscheinungen in der räumlichen Verteilung
Planckscher Strahlungsenergie rein
thermodynamisch aus dem Planckschen Gesetz berechnet werden
können; sie sind danach aber
größer als wellentheoretisch aufgrund von Interferenz-Schwebungen zu berechnen wäre. Es wurde
nun in der fraglichen Arbeit gezeigt
(und dieser Umstand war mir immer besonders verheißungsvoll erschienen), dass auch die Berechnung der Interferenzschwebungen
die volle Größe der Schwankungen
ergibt, wenn man das schwingende
Kontinuum nach der Quantenmechanik behandelt; diese lieferte also
ganz von selbst ohne Notwendigkeit zusätzlicher Hypothesen [und
ohne Thermodynamik] die Aufklärung des Lichtquantenrätsels. Jedoch zeigte sich hernach, dass verschiedene Freunde diesen Punkt
der Dreimännerarbeit mit Zweifeln
betrachteten, ihn irgendwie (mit
Argumenten, die später aufgegeben
worden sind), als noch nicht überzeugend ansehend.“2)
Nach seiner Habilitation 1927 in
Göttingen ging Jordan für ein halbes Jahr zu Niels Bohr nach Kopenhagen und löste dann Wolfgang
Pauli, der ein Ordinariat in Zürich
annahm, als Assistent von Wilhelm
Lenz in Hamburg ab. In dieser Zeit
entstanden die eingangs erwähnten,
grundlegenden Arbeiten mit Klein,
Pauli und Wigner, in denen Jordans
These vom Quantenfeld als Träger
der Teilchen- und Welleneigenschaften als durchführbar erwiesen
wurde, und zwar sowohl für Boseals auch für Fermi-Felder mit
(nichtrelativistischer) Wechselwirkung. Jordan und Wigner führten
die Anti-Vertauschungsregeln für
Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren von Fermionen ein und gaben damit dem Pauli-Prinzip seine
feldtheoretische Fassung. Jordan
und Pauli formulierten erstmals das
quantisierte elektromagnetische
Feld in relativistisch-kovarianter
Weise.
Von 1929 bis 1944 war Jordan in
Physik Journal
1 (2002) Nr. 11
Rostock tätig, seit 1935 als Ordinarius. Dort heiratete er die aus einer
Juristenfamilie stammende Herta
Stahl; aus dieser Ehe gingen die
Söhne Pascual und Michael hervor.
In Rostock fand Jordan jedoch keine Ansprechpartner für die weitere
Entwicklung der Quantenelektrodynamik. Er arbeitete u. a. an einer
Neutrinotheorie des Lichtes, verfasste mit Max Born die Elementare
Quantenmechanik [5] sowie die
erste systematische Darstellung der
Quantenstatistik [6] und gab in Anschauliche Quantentheorie [7] eine
Gesamtschau seiner Auffassung der
Quantenphysik mit einem Ausblick
auf Grundfragen der Biologie, die
ihn zunehmend beschäftigten.
Im Zweiten Weltkrieg war Jordan
zeitweise als Meteorologe bei der
Luftwaffe tätig, später im Raketenzentrum Peenemünde. 1944 wurde
er Nachfolger Max von Laues als
Direktor des Instituts für Theoretische Physik der Universität Berlin.
Nach Kriegsende lebte Jordan
mit seiner Familie zunächst in Göttingen und entging einer Internierung durch die Allierten. Allerdings
griff die US-Militärpolizei, wie
Robert Jungk („Heller als tausend
Sonnen“) in einer amüsanten Episode berichtet, noch Monate nach
dem Waffenstillstand in Bremen einen vermeintlichen „Atomforscher“
auf und brachte ihn trotz seiner
verzweifelten Beteuerungen, er sei
Schneider, in die USA. Dort fragte
man ihn vergeblich nach seinen
Kenntnissen aus, bis er schließlich
durch Hosenreparaturen mit Nadel
und Garn seine Bewacher von seinem Beruf überzeugen konnte –
sein Name war Jordan.
Erst 1947 erhielt Jordan mit entschiedener Befürwortung von Wilhelm Lenz eine Professur in Hamburg. Damit kam er, zunächst als
Gastprofessor, an seine letzte und
längste Wirkungsstätte. Nach seiner
Entnazifizierung wurde eine Ernennung Jordans zum Ordinarius möglich, erfolgte aber erst 1953. Dabei
half Paulis Empfehlung: „Auf eine
Persönlichkeit wie Jordan kann die
Bundesrepublik nicht verzichten.“
Von den Quanten zur
Gravitation
Jordan wandte sich seit etwa
1940 der Allgemeinen Relativitätstheorie, der Einsteinschen Theorie
der Gravitation, zu. Es entsprach
seinem Streben nach einer Gesamtschau, sich nach seinen Beiträgen
zum Verständnis der Materie im
Kleinen nun Fragen zuzuwenden,
die der Welt im Großen, also der
Sterne und Galaxien und der Kosmologie gelten. Dabei mag mitgespielt haben, dass in der Allgemeinen Relativitätstheorie erstmals eine in allen Theorien der Physik
benötigte Grundstruktur, die Metrik
der Raumzeit, von einem starren,
vorgegebenen Feld in ein dynamisches, mit der Materie in Wechselwirkung stehendes Feld verwandelt
wurde. Dies entsprach einigen
Grundgedanken des Wiener Physiker-Philosophen Ernst Mach, die
Jordan schon vor dem Studium
beeindruckt hatten.
Jordans Interesse an der Allgemeinen Relativitätstheorie wurde geweckt durch eine gewagte kosmologische Hypothese, die Dirac 1937 in
Nature veröffentlicht hatte. Danach
ließen sich einige sehr große dimensionslose Zahlen durch die Annahme deuten, dass die Stärke der Gravitation im umgekehrten Verhältnis
zum Weltalter abnimmt und die
Masse der Welt proportional zum
Quadrat der Zeit anwächst.
Im Gegensatz zu vielen Kollegen
war Jordan von Diracs Idee angetan. Er wurde darin bestärkt, als er
1944 erkannte, dass zumindest die
Hypothese einer veränderlichen
Stärke der Gravitation sich in mathematisch naheliegender Weise ergibt, wenn man die Einstein-Maxwellsche Theorie der gekoppelten
Gravitations- und elektromagnetischen Felder zunächst in eine zur
projektiven Geometrie analoge
Form bringt und dann eine vom
Standpunkt der entstehenden Theorie aus künstlich erscheinende, einschränkende Bedingung weglässt.
Um diese Theorie auszuarbeiten,
sah Jordan sich veranlasst, zunächst
die Einsteinsche Theorie einfacher
als bis dahin üblich darzustellen,
wobei ihm sein Verständnis für die
axiomatische Richtung der modernen Algebra zugute kam. Er
schreibt dazu im Vorwort der 1952
erschienenen ersten Auflage seines
Buches „Schwerkraft und Weltall“:
„Ich gebe eine in mancher Hinsicht
veränderte und (wie ich glaube)
vereinfachte Darstellung der Riemann-Einsteinschen Theorie. Ohne
diese Vereinfachung wäre die Erweiterung zur neuen Theorie nicht
möglich gewesen. Ich glaube, damit
eine notwendige und dringliche
Aufgabe in Angriff genommen zu
haben; und ich hoffe, dass die mathematische Darstellungsweise ein
wenig von jenem Stil mathemati-
Geschichte
schen Denkens verrät, der mir im
Studium in der Person Richard
Courants unvergesslich entgegengetreten ist – mit seiner Forderung,
Beweise nicht durch Rechnen, sondern durch Verstehen zu erreichen.
Und ich hoffe auch, dass die physikalische Denkweise des Buches ein
wenig vom Geiste meines Lehrers
Max Born widerspiegelt, dessen Gedankenklarheit mir zum unerreichten Vorbild geworden ist. Endlich
möchte ich wünschen, dem Leser
etwas die tiefe Freude übertragen
zu können, die mich bei der Ausarbeitung des Buches erfüllte im
Nacherleben der herrlichen Gedanken Riemanns und Einsteins.“
Pauli, der eine Zeit lang an Jordans
Theorie interessiert war und selbst
etwas dazu beitrug, fand 1955
während der Berner Konferenz
über Relativitätstheorie eine andere
Erklärung für Jordans Interesse an
der Hypothese der Massenzunahme. Er meinte, darin äußere sich
„reiner Antropomorphismus“.
In den 50er und 60er Jahren verwandte Jordan viel Mühe und Fantasie darauf, in Erscheinungen der
Erdoberfläche und in einer Reihe
astrophysikalischer Tatsachen Hinweise für eine langsame Abnahme
der Stärke der Gravitation zu finden, wobei er den Wert der relativen Änderungsrate von G als zwischen 10–10 und 10–9 pro Jahr liegend schätzte. Diese Bemühungen
waren nicht erfolgreich. Aus späteren Messungen der Bewegungen der
inneren Planeten sowie des Systems
Erde/Mond und des Doppelpulsars
PSR 1913+16 ergab sich eine obere
Schranke von weniger als 10–11,
sodass es sich beim jetzigen Stand
dieser Fragen nicht lohnt, auf die
Theorie der veränderlichen Gravitationsstärke einzugehen. (Als offen
zu beurteilen ist allerdings die allgemeinere Frage nach der gravitativen Rolle von Skalarfeldern, wie sie
in Jordans und verwandten SkalarTensor-Theorien vorkommen.)
Neubeginn der Gravitationsphysik nach dem Krieg
Als wichtig und weiterführend
erwies sich dagegen Jordans Weitblick. In der Nachkriegszeit, als in
Deutschland die Allgemeine Relativitätstheorie fast vergessen war, erkannte Jordan die Bedeutung dieser
Theorie für die künftige Grundlagenforschung und setzte in Hamburg ein Seminar in Gang, das eine
ganze Reihe begabter junger Leute
anzog. Jordan und seinen Mitarbei-
tern in diesem Seminar ist zu verdanken, dass die Wiederbelebung
der Einsteinschen Gravitationstheorie in den 50er Jahren nicht
nur in Syracuse, Princeton, Paris,
London, Dublin, Leningrad und
Warschau stattfand, sondern auch
in Hamburg. Dabei erwiesen sich
Jordans viele außeruniversitären
Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten als sehr hilfreich. Er
war u. a. Johanniter und Rotarier
und verstand es, als Mitglied und
zeitweilig als Präsident der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz seinen jungen Mitarbeitern hoch willkommene und
stetige, wenn auch karge, finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Ähnliche Hilfe, aber vor allem
Kontakte mit amerikanischen Wissenschaftlern, gewährleistete Jordans Forschungsvertrag mit dem
Air Research And Development
Command, United States Airforce.
Der durch die Flick-Stiftung unter
der Ägide von Jordan und dem ehemaligen Einstein-Assistenten Peter
Gabriel Bergmann ermöglichte Austausch junger Wissenschaftler zwischen Hamburg und Syracuse führte zu besonders ergebnisreicher
Zusammenarbeit. Dazu Jordan in
einem Aufsatz über die physikalische Forschung an der Universität
Hamburg: „Die so gewonnenen
Kontakte waren besonders wertvoll
aufgrund der Tatsache, dass die
Forschungen in dieser Einsteinschen Theorie in der Nachkriegszeit
im Ausland einen in der Bundesrepublik nicht parallelisierten Aufschwung genommen haben, sowohl
in Richtung erheblicher Steigerung
theoretischer Arbeit als auch in der
Vorbereitung neuartiger empirischer Tests mit großem Aufwand an
Radar-Methoden, Radar-Astronomie und Satelliten-Technik.“ – Mit
seiner Freude an Geselligkeit und
Gastfreundschaft förderte Jordan –
bei aller Förmlichkeit der eleganten
Gesellschaften in seiner schönen
Wohnung in der Isestraße – ein
Gemeinschaftsgefühl, das viele Arbeitskollegen und ihre jungen Familien zu Freunden werden ließ.
Die wissenschaftlichen Verdienste Jordans wurden 1942 durch die
Verleihung der Max-Planck-Medaille der Deutschen Physikalischen
Gesellschaft, 1955 durch die CarlFriedrich-Gauß-Medaille der
Braunschweiger Wissenschaftlichen
Gesellschaft und 1967 durch den
Preis der Gravity Research Foundation der USA gewürdigt. 1929
schlug Albert Einstein vor, einen
Nobelpreis für Physik gemeinsam
an Heisenberg, Born und Jordan zu
vergeben, und 1979 setzte sich Eugen Wigner in ähnlicher Weise für
Jordan ein. In beiden Fällen entschied sich die Schwedische Akademie der Wissenschaften anders.
Im Schatten von Born und
Heisenberg
Warum ist Pascual Jordan, den
Silvan Schweber in seiner Geschichte der Quantenelektodynamik „den unbesungenen Helden der
Quantenmechanik“ nennt, kaum
mehr bekannt, während Heisenberg, Dirac, Born und Schrödinger
in der Geschichte der Physik stets
genannt werden?
Beigetragen hat dazu sicherlich
Jordans Sprechhemmung. Das war
für jemanden, der akademischer
Lehrer werden wollte, ein schwerer
Nachteil. Als Jordan sich 1926 in
Göttingen habilitieren wollte, wurde das Problem akut. Professor James Franck, der mit dem 23-jährigen Jordan das Buch „Anregung
von Quantensprüngen durch Stöße“
[8] verfasst hatte, informierte Jordan, dass Niels Bohr Geld gespendet hätte, um Jordan von seinem
Leiden heilen zu lassen. Jordan
folgte dem Rat von Wilhelm Lenz
und konsultierte Alfred Adler in
Wien, den Begründer der Individualpsychologie. Er nutzte seinen dortigen Aufenthalt, um einen Vortrag
Erwin Schrödingers über dessen gerade entwickelte Wellenmechanik
anzuhören und in der Diskussion
Schrödingers Interpretation aus
Göttinger Sicht zu kritisieren.
Ausschlaggebend dafür, dass ihm
die historische Anerkennung als
Physiker versagt blieb, war aber
vielleicht Jordans politische Aktivität. Vor Hitlers Machtergreifung
1933 war Jordan Mitglied der rechten Deutschnationalen Volkspartei
Physik Journal
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Pascual Jordan
1955 im Gespräch
mit Wolfgang Pauli
(rechts), in der
Mitte Günther
Ludwig
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Geschichte
und schrieb für die erzkonservative
Zeitschrift Deutsches Volkstum unter dem Decknamen Domeyer. Dass
er 1933 SA-Mann wurde und der
Partei beitrat, die zahlreiche seiner
jüngeren Kollegen und seine verehrten Göttinger Lehrer Courant,
Franck und Born aus dem Lande
trieb, schadete seinem Ruf in der
internationalen Gemeinschaft der
Physiker. Er mochte wohl, wie
manch Deutschnationaler, gehofft
haben, die Nazibewegung von innen her beeinflussen zu können.
Er versuchte auf seine Weise, den
Nazis Einsteinsche Physik und positivistische Philosophie als Waffen
gegen bolschewistischen Materialismus zu verkaufen. Bieberbachs
Pascual Jordan im
Jahre 1979, ein
Jahr vor seinem
Tod (Foto: Friedemann Simon)
3) Richard Kuhn
(1900 – 1967), österreichischer Chemiker und
Chemie-Nobelpreisträger
1938
74
„Deutsche Mathematik“ erledigte er
mit dem Spruch: „Die Unterschiede
zwischen deutscher und französischer Mathematik sind nicht
wesentlicher, als die zwischen
deutschen und französischen
Maschinengewehren“. Zu Jordans
politischen Äußerungen bemerkte
Pauli anlässlich eines Empfangs
in der Hamburger Universität:
„Richard Kuhn 3) hatte keine Entschuldigung dafür, dass er ein Nazi
war. Aber der Herr Jordan, der hatte eine. Der war Professor in Rostock.“
Nach dem Krieg trat Jordan, ein
Bewunderer Konrad Adenauers, für
die Bewaffnung der Bundeswehr
mit Kernwaffen ein, in Opposition
zum Göttinger Manifest 1957. Auch
das trug zur Entfremdung Jordans
zu manchen seiner Kollegen bei.
Trotz seiner militanten politischen Ansichten war Pascual Jordan persönlich ein liebenswürdiger,
bescheidener Mensch, dessen wissenschaftliches Werk unverdientermaßen in den Schatten von Born
und Heisenberg geriet. Der MathePhysik Journal
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matiker und Wissenschaftshistoriker Bartel van der Waerden hat das
zum Beispiel an der wichtigen Arbeit von Born und Jordan analysiert, die unmittelbar auf Heisenbergs erste Arbeit zur Quantenmechanik folgte. Van der Waerden
schreibt: „Die Hauptideen in der
Born-Jordan Arbeit sind
왘 Interpretation von Heisenbergs
symbolischer Multiplikation als
Matrix Multiplikation,
왘 Die Formel für pq – qp,
왘 Jordans Beweis dieser Formel,
basierend auf der Berechnung der
Ableitung von pq – qp nach der
Zeit,
왘 Beweis der Erhaltung der Energie nach derselben Methode,
왘 Beweis der Bohrschen Frequenzbedingung,
왘 Quantisierung des elektromagnetischen Feldes, indem man seine
Komponenten als Matrizen betrachtet,
왘 Basierend auf dieser Quantisierung Rechtfertigung der Heisenbergschen Annahme, dass die Quadrate der Absolutwerte der Matrixelemente, die die elektrischen
Momente eines Atoms repräsentieren, die Übergangswahrscheinlichkeiten bestimmen.“ [9]
Von diesen fundamentalen Ideen
stammen die ersten beiden von Born
und die letzten fünf von Jordan.
Die Tatsache, dass die FermiDirac-Statistik nicht nach Jordan
benannt ist, beruht auch nur auf
einem unglücklichen Zufall. Max
Born sagte einmal: „Ich hasse Jordans Politik, aber ich kann nie wieder gut machen, was ich ihm angetan habe. Im Dezember 1925 ging
ich nach Amerika, um Vorlesungen
am MIT zu halten. Jordan gab mir
eine Arbeit zur Veröffentlichung in
der Zeitschrift für Physik. Ich fand
keine Zeit sie zu lesen, steckte sie
in meinen Koffer und vergaß die
ganze Geschichte. Als ich dann ein
halbes Jahr später nach Deutschland zurück kam und auspackte,
fand ich die Arbeit auf dem Boden
des Koffers. Sie enthielt, was man
jetzt die Fermi-Dirac-Statistik
nennt. In der Zwischenzeit war sie
von Enrico Fermi und unabhängig
von Paul Dirac entdeckt worden.
Aber Jordan war der Erste.“ Dazu
befragt, lachte Jordan und stotterte
seine Bestätigung. In seinem Buch
Statistische Mechanik auf quantentheoretischer Grundlage [6] erwähnt Jordan in diesem Zusammenhang weder Fermi noch Dirac
oder sich selbst; er nannte sein Gei-
steskind die „Pauli-Statistik“.
Paradoxerweise ist der Name
Jordan nicht mit der kanonischen
Vertauschungsrelation, aber doch
wenigstens mit der Algebra bleibend verknüpft. Anders als die
meisten Physiker hat Jordan die
Mathematik nicht nur als ein unentbehrliches Hilfsmittel der Physik, sondern auch als ein selbstständiges Gedankengebäude abstrakter
Strukturen bewundert und durch
eigene Ideen, vor allem zur Algebra, bereichert. Seine mit John von
Neumann und Eugen Wigner ausgeführte Arbeit über potenzassoziative Algebren, die aus Überlegungen
zur Axiomatik der Quantentheorie
hervorging, hat zu der umfangreichen Theorie der Jordan-Algebren
geführt.
Neben seiner Forschungstätigkeit
hat Jordan in zahlreichen Büchern
und glänzenden Vorträgen viele
junge Menschen an die Physik und
wohl oft auch an das Studium herangeführt und in weiten Kreisen
Verständnis für die Naturwissenschaften und ihre Bedeutung für die
Kultur der Gegenwart geweckt.
Pascual Jordan verstarb nach
längerer Krankheit am 31. Juli 1980
im 77. Lebensjahr in Hamburg.
*
Wir danken den Söhnen Pascual
Jordans und ihren Familien für Informationen über Jordans Leben
und Anita Ehlers für deren Vermittlung.
Literatur
[1] M. Born, P. Jordan, Z. f. Phys. 34,
S. 479 (1925); M. Born, W. Heisenberg, P. Jordan, Z. f. Phys. 35, S.
557 (1926)
[2] T. Y. Cao, Conceptual Development
of Twentieth Century Field Theories, Cambridge University Press,
Cambridge 1997, S. 172
[3] R. Courant, D. Hilbert, Methoden
der mathematischen Physik I u. II,
Springer, Berlin 1924 u. 1937 (4.
Aufl. 1993)
[4] M. Born, Mein Leben, Nymphenburger Verlagshandlung, München
1975, S. 301
[5] M. Born, P. Jordan, Elementare
Quantenmechanik, Springer, Berlin
1930
[6] P. Jordan, Statistische Mechanik
auf quantentheoretischer Grundlage, Vieweg, Braunschweig 1933
[7] P. Jordan, Anschauliche Quantentheorie, Springer, Berlin 1936
[8] J. Franck, P. Jordan, Anregung von
Quantensprüngen durch Stöße,
Springer, Berlin 1926
[9] B. L. van der Waerden (Hrsg.),
Sources of Quantum Mechanics,
Dover, New York, 1968, S. 98
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