Geschichte „Aber Jordan war der Erste“ Zur Erinnerung an Pascual Jordan (1902–1980) Jürgen Ehlers und Engelbert Schücking Vor hundert Jahren, am 18. Oktober 1902, wurde Pascual Jordan geboren. Dieser Artikel soll an diesen zu Unrecht fast vergessenen Mitbegründer der Quantenmechanik und der Quantenfeldtheorie erinnern. D ie Quantenfeldtheorie und die Einsteinsche Theorie der Schwerkraft bilden die Grundlage der Physik. Die ersten Grundsteine des Gebäudes der Quantenfeldtheorie legte der 23jährige Pascual Jordan in den beiden mit Max Born bzw. Max Born und Werner Heisenberg verfassten Arbeiten, in denen die Grundgesetze der Quantenmechanik formuliert wurden [1]. Schon darin behauptete Jordan, dass Feldgrößen ebenso wie Teilchengrößen der von Heisenberg eingeführten fundamentalen „kinematischen Umdeutung“ in nichtkommutative Variablen zu unterwerfen seien und stellte damit die Verbindung zum Planckschen Strahlungsgesetz und zu den Einsteinschen Lichtquanten her. Seinen anfangs von den Kollegen skeptisch beurteilten Gedanken, den Feldbegriff anstelle des Teilchenbegriffs als grundlegend zu betrachten, führte Jordan in den Jahren 1927/28 in Arbeiten mit Oskar Klein, Eugen Wigner und Wolfgang Pauli aus. Der Wissenschaftshistoriker Tian Yu Cao schreibt [2]: 1) „In der (semi-) klassischen Theorie waren Teilchen wegen ihrer dauerhaften Existenz fundamental verschieden von den Energiequanten des Feldes, die erzeugt und absorbiert werden konnten. In Jordans Quantentheorie, wo Realität sowohl Teilchen wie Welle war, konnten Teilchen erzeugt und absorbiert werden, genau so wie die Quanten des Wellenfeldes, und die Felder konnten sich auch in diskreter Form zeigen. Auf diese Weise wurde wohl das Rätsel der Welle-Teilchen-Dualität von Jordan statt von Dirac gelöst.“ Ernst Wilhelm Pascual Jordan wurde am 18. Oktober 1902 in Hannover als Sohn des Kunstmalers Ernst Pascual Jordan geboren. © 2002 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Pascual Jordan Ende der Vierzigerjahre Sein ungewöhnlicher Vorname Pascual geht auf seinen spanischen Urgroßvater väterlicherseits zurück, der seine Heimat beim Aufstand Spaniens gegen Napoleon verlassen hatte, 1814 in britische Dienste getreten und so schließlich nach Hannover, dem Stammland der damaligen englischen Könige, gelangt war. Pascual Jordan begann sein Studium 1921 an der TH Hannover, ging aber schon im Frühjahr 1922 nach Göttingen, um dort Physik, Mathematik und Zoologie zu studieren. Dort wirkten die hervorragenden Forscher und Lehrer Max Born, James Franck, David Hilbert und Richard Courant, die hochbegabte Schüler wie Werner Heisenberg, Friedrich Hund, John von Neumann und Wolfgang Pauli anzogen. Jordan entwickelte sich schnell vom Studenten zu einem selbstständigen, einfallsreichen Mitarbeiter. Er wurde 1924 promoviert und arbeitete in der Physik mit Born und Franck zusammen, in der Mathematik half er Richard Courant beim Abfassen des bekannten „Courant-Hilbert“ [3]. Den theoretischen Physikern stellte sich damals die Aufgabe, aus vielen Einzeltatsachen und speziellen, erratenen theoretischen Ansätzen unter dem Leitgedanken des Bohrschen Korrespondenzprinzips zu einem systematischen Verständnis der atomaren Phänomene 1617-9439/02/1111-71 $17.50+50/0 durchzudringen. Das gelang in den für die Physik ereignisreichen Jahren 1925–27. Gestützt auf die von dem 24jährigen Werner Heisenberg in einer bahnbrechenden Arbeit im Frühjahr 1925 formulierten Ansätze, bei denen das Ziel die Beschreibung der Atomvorgänge durch beobachtbare Größen statt durch fiktive Elektronenbahnen war, gelang es Born und Jordan in zweimonatiger hektischer Arbeit, zunächst für Systeme mit nur einem Freiheitsgrad ein konsistentes, die klassische Mechanik Newtons ersetzendes System von Quantengesetzen aufzustellen. Dessen Kern war die (zuvor von Born vermutete) „kanonische Vertauschungsregel“ pq – qp = h/2pi für Ort q und Impuls p. Während andere Gesetze der klassischen Mechanik formal ungeändert in die neue Theorie übernommen werden konnten, erwies sich die Vertauschungsregel als die radikal neue Relation, die das Verhalten der Atome zu erschließen ermöglichte. Durch diese und nur diese „verschärfte Quantenbedingung“ geht das Plancksche Wirkungsquantum in die Quantenmechanik ein. Nach abermals zweimonatiger Arbeit stellten Heisenberg, Born und Jordan die allgemeinen Gesetze der „Matrizenmechanik“ auf. Diese berühmte „Dreimännerarbeit“ bildete zusammen mit den Arbeiten Paul Diracs, Erwin Schrödingers, Wolfgang Paulis, der Bornschen statistischen Deutung der Wellenfunktion, deren Verallgemeinerung in der statistischen Transformationstheorie von Dirac und Jordan (1927) und schließlich der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation Dpi Dqj ‰ 1/4p h di j die Grundlage der Quantenmechanik. Die kanonische Vertauschungsrelation wurde, wohl wegen des Klangs pq, so sehr mit Jordan verknüpft, dass Pauli eine Postkarte an Jordan adressierte mit „pq – qp Jordan“. Welche – wie schon eingangs erwähnt – grundlegende Bedeutung Jordan dem Feldbegriff beimaß, Physik Journal 1 (2002) Nr. 11 1) Übersetzung von E. Schücking Prof. Dr. Jürgen Ehlers, Max-PlanckInstitut für Gravitationsphysik, Am Mühlenberg 1, 14476 Golm bei Potsdam; Prof. Dr. Engelbert Schücking, Department of Physics, New York University, 4 Washington Place, New York, NY 10003, USA; Beide Autoren sind Schüler Jordans 71 Geschichte 2) Max Born schreibt dazu: „Bezüglich der von uns vorgeschlagenen Anwendung von Matrizen auf Felder fanden wir nicht das geringste Echo. Einige bedeutende Physiker (z. B. der Russe Frenkel) betrachteten unseren Vorschlag als leichten Anfall von Verrücktheit. Dies änderte sich erst einige Jahre später, als Dirac diese Idee, wahrscheinlich unabhängig von uns, mit großem Erfolg aufgriff.“ [4] 72 lässt sich mit einem Zitat aus einem autobiografischen Aufsatz Jordans belegen: „In der Dreimännerarbeit war auch eine Betrachtung enthalten, welche über den Kreis der Quantenmechanik hinausweisend auf das Problem der Lichtquanten und damit auf das Thema einer Quanten-Elektrodynamik zielte. Einstein hatte als Begründung des Lichtquantenbegriffs ausgeführt, dass die Schwankungserscheinungen in der räumlichen Verteilung Planckscher Strahlungsenergie rein thermodynamisch aus dem Planckschen Gesetz berechnet werden können; sie sind danach aber größer als wellentheoretisch aufgrund von Interferenz-Schwebungen zu berechnen wäre. Es wurde nun in der fraglichen Arbeit gezeigt (und dieser Umstand war mir immer besonders verheißungsvoll erschienen), dass auch die Berechnung der Interferenzschwebungen die volle Größe der Schwankungen ergibt, wenn man das schwingende Kontinuum nach der Quantenmechanik behandelt; diese lieferte also ganz von selbst ohne Notwendigkeit zusätzlicher Hypothesen [und ohne Thermodynamik] die Aufklärung des Lichtquantenrätsels. Jedoch zeigte sich hernach, dass verschiedene Freunde diesen Punkt der Dreimännerarbeit mit Zweifeln betrachteten, ihn irgendwie (mit Argumenten, die später aufgegeben worden sind), als noch nicht überzeugend ansehend.“2) Nach seiner Habilitation 1927 in Göttingen ging Jordan für ein halbes Jahr zu Niels Bohr nach Kopenhagen und löste dann Wolfgang Pauli, der ein Ordinariat in Zürich annahm, als Assistent von Wilhelm Lenz in Hamburg ab. In dieser Zeit entstanden die eingangs erwähnten, grundlegenden Arbeiten mit Klein, Pauli und Wigner, in denen Jordans These vom Quantenfeld als Träger der Teilchen- und Welleneigenschaften als durchführbar erwiesen wurde, und zwar sowohl für Boseals auch für Fermi-Felder mit (nichtrelativistischer) Wechselwirkung. Jordan und Wigner führten die Anti-Vertauschungsregeln für Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren von Fermionen ein und gaben damit dem Pauli-Prinzip seine feldtheoretische Fassung. Jordan und Pauli formulierten erstmals das quantisierte elektromagnetische Feld in relativistisch-kovarianter Weise. Von 1929 bis 1944 war Jordan in Physik Journal 1 (2002) Nr. 11 Rostock tätig, seit 1935 als Ordinarius. Dort heiratete er die aus einer Juristenfamilie stammende Herta Stahl; aus dieser Ehe gingen die Söhne Pascual und Michael hervor. In Rostock fand Jordan jedoch keine Ansprechpartner für die weitere Entwicklung der Quantenelektrodynamik. Er arbeitete u. a. an einer Neutrinotheorie des Lichtes, verfasste mit Max Born die Elementare Quantenmechanik [5] sowie die erste systematische Darstellung der Quantenstatistik [6] und gab in Anschauliche Quantentheorie [7] eine Gesamtschau seiner Auffassung der Quantenphysik mit einem Ausblick auf Grundfragen der Biologie, die ihn zunehmend beschäftigten. Im Zweiten Weltkrieg war Jordan zeitweise als Meteorologe bei der Luftwaffe tätig, später im Raketenzentrum Peenemünde. 1944 wurde er Nachfolger Max von Laues als Direktor des Instituts für Theoretische Physik der Universität Berlin. Nach Kriegsende lebte Jordan mit seiner Familie zunächst in Göttingen und entging einer Internierung durch die Allierten. Allerdings griff die US-Militärpolizei, wie Robert Jungk („Heller als tausend Sonnen“) in einer amüsanten Episode berichtet, noch Monate nach dem Waffenstillstand in Bremen einen vermeintlichen „Atomforscher“ auf und brachte ihn trotz seiner verzweifelten Beteuerungen, er sei Schneider, in die USA. Dort fragte man ihn vergeblich nach seinen Kenntnissen aus, bis er schließlich durch Hosenreparaturen mit Nadel und Garn seine Bewacher von seinem Beruf überzeugen konnte – sein Name war Jordan. Erst 1947 erhielt Jordan mit entschiedener Befürwortung von Wilhelm Lenz eine Professur in Hamburg. Damit kam er, zunächst als Gastprofessor, an seine letzte und längste Wirkungsstätte. Nach seiner Entnazifizierung wurde eine Ernennung Jordans zum Ordinarius möglich, erfolgte aber erst 1953. Dabei half Paulis Empfehlung: „Auf eine Persönlichkeit wie Jordan kann die Bundesrepublik nicht verzichten.“ Von den Quanten zur Gravitation Jordan wandte sich seit etwa 1940 der Allgemeinen Relativitätstheorie, der Einsteinschen Theorie der Gravitation, zu. Es entsprach seinem Streben nach einer Gesamtschau, sich nach seinen Beiträgen zum Verständnis der Materie im Kleinen nun Fragen zuzuwenden, die der Welt im Großen, also der Sterne und Galaxien und der Kosmologie gelten. Dabei mag mitgespielt haben, dass in der Allgemeinen Relativitätstheorie erstmals eine in allen Theorien der Physik benötigte Grundstruktur, die Metrik der Raumzeit, von einem starren, vorgegebenen Feld in ein dynamisches, mit der Materie in Wechselwirkung stehendes Feld verwandelt wurde. Dies entsprach einigen Grundgedanken des Wiener Physiker-Philosophen Ernst Mach, die Jordan schon vor dem Studium beeindruckt hatten. Jordans Interesse an der Allgemeinen Relativitätstheorie wurde geweckt durch eine gewagte kosmologische Hypothese, die Dirac 1937 in Nature veröffentlicht hatte. Danach ließen sich einige sehr große dimensionslose Zahlen durch die Annahme deuten, dass die Stärke der Gravitation im umgekehrten Verhältnis zum Weltalter abnimmt und die Masse der Welt proportional zum Quadrat der Zeit anwächst. Im Gegensatz zu vielen Kollegen war Jordan von Diracs Idee angetan. Er wurde darin bestärkt, als er 1944 erkannte, dass zumindest die Hypothese einer veränderlichen Stärke der Gravitation sich in mathematisch naheliegender Weise ergibt, wenn man die Einstein-Maxwellsche Theorie der gekoppelten Gravitations- und elektromagnetischen Felder zunächst in eine zur projektiven Geometrie analoge Form bringt und dann eine vom Standpunkt der entstehenden Theorie aus künstlich erscheinende, einschränkende Bedingung weglässt. Um diese Theorie auszuarbeiten, sah Jordan sich veranlasst, zunächst die Einsteinsche Theorie einfacher als bis dahin üblich darzustellen, wobei ihm sein Verständnis für die axiomatische Richtung der modernen Algebra zugute kam. Er schreibt dazu im Vorwort der 1952 erschienenen ersten Auflage seines Buches „Schwerkraft und Weltall“: „Ich gebe eine in mancher Hinsicht veränderte und (wie ich glaube) vereinfachte Darstellung der Riemann-Einsteinschen Theorie. Ohne diese Vereinfachung wäre die Erweiterung zur neuen Theorie nicht möglich gewesen. Ich glaube, damit eine notwendige und dringliche Aufgabe in Angriff genommen zu haben; und ich hoffe, dass die mathematische Darstellungsweise ein wenig von jenem Stil mathemati- Geschichte schen Denkens verrät, der mir im Studium in der Person Richard Courants unvergesslich entgegengetreten ist – mit seiner Forderung, Beweise nicht durch Rechnen, sondern durch Verstehen zu erreichen. Und ich hoffe auch, dass die physikalische Denkweise des Buches ein wenig vom Geiste meines Lehrers Max Born widerspiegelt, dessen Gedankenklarheit mir zum unerreichten Vorbild geworden ist. Endlich möchte ich wünschen, dem Leser etwas die tiefe Freude übertragen zu können, die mich bei der Ausarbeitung des Buches erfüllte im Nacherleben der herrlichen Gedanken Riemanns und Einsteins.“ Pauli, der eine Zeit lang an Jordans Theorie interessiert war und selbst etwas dazu beitrug, fand 1955 während der Berner Konferenz über Relativitätstheorie eine andere Erklärung für Jordans Interesse an der Hypothese der Massenzunahme. Er meinte, darin äußere sich „reiner Antropomorphismus“. In den 50er und 60er Jahren verwandte Jordan viel Mühe und Fantasie darauf, in Erscheinungen der Erdoberfläche und in einer Reihe astrophysikalischer Tatsachen Hinweise für eine langsame Abnahme der Stärke der Gravitation zu finden, wobei er den Wert der relativen Änderungsrate von G als zwischen 10–10 und 10–9 pro Jahr liegend schätzte. Diese Bemühungen waren nicht erfolgreich. Aus späteren Messungen der Bewegungen der inneren Planeten sowie des Systems Erde/Mond und des Doppelpulsars PSR 1913+16 ergab sich eine obere Schranke von weniger als 10–11, sodass es sich beim jetzigen Stand dieser Fragen nicht lohnt, auf die Theorie der veränderlichen Gravitationsstärke einzugehen. (Als offen zu beurteilen ist allerdings die allgemeinere Frage nach der gravitativen Rolle von Skalarfeldern, wie sie in Jordans und verwandten SkalarTensor-Theorien vorkommen.) Neubeginn der Gravitationsphysik nach dem Krieg Als wichtig und weiterführend erwies sich dagegen Jordans Weitblick. In der Nachkriegszeit, als in Deutschland die Allgemeine Relativitätstheorie fast vergessen war, erkannte Jordan die Bedeutung dieser Theorie für die künftige Grundlagenforschung und setzte in Hamburg ein Seminar in Gang, das eine ganze Reihe begabter junger Leute anzog. Jordan und seinen Mitarbei- tern in diesem Seminar ist zu verdanken, dass die Wiederbelebung der Einsteinschen Gravitationstheorie in den 50er Jahren nicht nur in Syracuse, Princeton, Paris, London, Dublin, Leningrad und Warschau stattfand, sondern auch in Hamburg. Dabei erwiesen sich Jordans viele außeruniversitären Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten als sehr hilfreich. Er war u. a. Johanniter und Rotarier und verstand es, als Mitglied und zeitweilig als Präsident der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz seinen jungen Mitarbeitern hoch willkommene und stetige, wenn auch karge, finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Ähnliche Hilfe, aber vor allem Kontakte mit amerikanischen Wissenschaftlern, gewährleistete Jordans Forschungsvertrag mit dem Air Research And Development Command, United States Airforce. Der durch die Flick-Stiftung unter der Ägide von Jordan und dem ehemaligen Einstein-Assistenten Peter Gabriel Bergmann ermöglichte Austausch junger Wissenschaftler zwischen Hamburg und Syracuse führte zu besonders ergebnisreicher Zusammenarbeit. Dazu Jordan in einem Aufsatz über die physikalische Forschung an der Universität Hamburg: „Die so gewonnenen Kontakte waren besonders wertvoll aufgrund der Tatsache, dass die Forschungen in dieser Einsteinschen Theorie in der Nachkriegszeit im Ausland einen in der Bundesrepublik nicht parallelisierten Aufschwung genommen haben, sowohl in Richtung erheblicher Steigerung theoretischer Arbeit als auch in der Vorbereitung neuartiger empirischer Tests mit großem Aufwand an Radar-Methoden, Radar-Astronomie und Satelliten-Technik.“ – Mit seiner Freude an Geselligkeit und Gastfreundschaft förderte Jordan – bei aller Förmlichkeit der eleganten Gesellschaften in seiner schönen Wohnung in der Isestraße – ein Gemeinschaftsgefühl, das viele Arbeitskollegen und ihre jungen Familien zu Freunden werden ließ. Die wissenschaftlichen Verdienste Jordans wurden 1942 durch die Verleihung der Max-Planck-Medaille der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, 1955 durch die CarlFriedrich-Gauß-Medaille der Braunschweiger Wissenschaftlichen Gesellschaft und 1967 durch den Preis der Gravity Research Foundation der USA gewürdigt. 1929 schlug Albert Einstein vor, einen Nobelpreis für Physik gemeinsam an Heisenberg, Born und Jordan zu vergeben, und 1979 setzte sich Eugen Wigner in ähnlicher Weise für Jordan ein. In beiden Fällen entschied sich die Schwedische Akademie der Wissenschaften anders. Im Schatten von Born und Heisenberg Warum ist Pascual Jordan, den Silvan Schweber in seiner Geschichte der Quantenelektodynamik „den unbesungenen Helden der Quantenmechanik“ nennt, kaum mehr bekannt, während Heisenberg, Dirac, Born und Schrödinger in der Geschichte der Physik stets genannt werden? Beigetragen hat dazu sicherlich Jordans Sprechhemmung. Das war für jemanden, der akademischer Lehrer werden wollte, ein schwerer Nachteil. Als Jordan sich 1926 in Göttingen habilitieren wollte, wurde das Problem akut. Professor James Franck, der mit dem 23-jährigen Jordan das Buch „Anregung von Quantensprüngen durch Stöße“ [8] verfasst hatte, informierte Jordan, dass Niels Bohr Geld gespendet hätte, um Jordan von seinem Leiden heilen zu lassen. Jordan folgte dem Rat von Wilhelm Lenz und konsultierte Alfred Adler in Wien, den Begründer der Individualpsychologie. Er nutzte seinen dortigen Aufenthalt, um einen Vortrag Erwin Schrödingers über dessen gerade entwickelte Wellenmechanik anzuhören und in der Diskussion Schrödingers Interpretation aus Göttinger Sicht zu kritisieren. Ausschlaggebend dafür, dass ihm die historische Anerkennung als Physiker versagt blieb, war aber vielleicht Jordans politische Aktivität. Vor Hitlers Machtergreifung 1933 war Jordan Mitglied der rechten Deutschnationalen Volkspartei Physik Journal 1 (2002) Nr. 11 Pascual Jordan 1955 im Gespräch mit Wolfgang Pauli (rechts), in der Mitte Günther Ludwig 73 Geschichte und schrieb für die erzkonservative Zeitschrift Deutsches Volkstum unter dem Decknamen Domeyer. Dass er 1933 SA-Mann wurde und der Partei beitrat, die zahlreiche seiner jüngeren Kollegen und seine verehrten Göttinger Lehrer Courant, Franck und Born aus dem Lande trieb, schadete seinem Ruf in der internationalen Gemeinschaft der Physiker. Er mochte wohl, wie manch Deutschnationaler, gehofft haben, die Nazibewegung von innen her beeinflussen zu können. Er versuchte auf seine Weise, den Nazis Einsteinsche Physik und positivistische Philosophie als Waffen gegen bolschewistischen Materialismus zu verkaufen. Bieberbachs Pascual Jordan im Jahre 1979, ein Jahr vor seinem Tod (Foto: Friedemann Simon) 3) Richard Kuhn (1900 – 1967), österreichischer Chemiker und Chemie-Nobelpreisträger 1938 74 „Deutsche Mathematik“ erledigte er mit dem Spruch: „Die Unterschiede zwischen deutscher und französischer Mathematik sind nicht wesentlicher, als die zwischen deutschen und französischen Maschinengewehren“. Zu Jordans politischen Äußerungen bemerkte Pauli anlässlich eines Empfangs in der Hamburger Universität: „Richard Kuhn 3) hatte keine Entschuldigung dafür, dass er ein Nazi war. Aber der Herr Jordan, der hatte eine. Der war Professor in Rostock.“ Nach dem Krieg trat Jordan, ein Bewunderer Konrad Adenauers, für die Bewaffnung der Bundeswehr mit Kernwaffen ein, in Opposition zum Göttinger Manifest 1957. Auch das trug zur Entfremdung Jordans zu manchen seiner Kollegen bei. Trotz seiner militanten politischen Ansichten war Pascual Jordan persönlich ein liebenswürdiger, bescheidener Mensch, dessen wissenschaftliches Werk unverdientermaßen in den Schatten von Born und Heisenberg geriet. Der MathePhysik Journal 1 (2002) Nr. 11 matiker und Wissenschaftshistoriker Bartel van der Waerden hat das zum Beispiel an der wichtigen Arbeit von Born und Jordan analysiert, die unmittelbar auf Heisenbergs erste Arbeit zur Quantenmechanik folgte. Van der Waerden schreibt: „Die Hauptideen in der Born-Jordan Arbeit sind 왘 Interpretation von Heisenbergs symbolischer Multiplikation als Matrix Multiplikation, 왘 Die Formel für pq – qp, 왘 Jordans Beweis dieser Formel, basierend auf der Berechnung der Ableitung von pq – qp nach der Zeit, 왘 Beweis der Erhaltung der Energie nach derselben Methode, 왘 Beweis der Bohrschen Frequenzbedingung, 왘 Quantisierung des elektromagnetischen Feldes, indem man seine Komponenten als Matrizen betrachtet, 왘 Basierend auf dieser Quantisierung Rechtfertigung der Heisenbergschen Annahme, dass die Quadrate der Absolutwerte der Matrixelemente, die die elektrischen Momente eines Atoms repräsentieren, die Übergangswahrscheinlichkeiten bestimmen.“ [9] Von diesen fundamentalen Ideen stammen die ersten beiden von Born und die letzten fünf von Jordan. Die Tatsache, dass die FermiDirac-Statistik nicht nach Jordan benannt ist, beruht auch nur auf einem unglücklichen Zufall. Max Born sagte einmal: „Ich hasse Jordans Politik, aber ich kann nie wieder gut machen, was ich ihm angetan habe. Im Dezember 1925 ging ich nach Amerika, um Vorlesungen am MIT zu halten. Jordan gab mir eine Arbeit zur Veröffentlichung in der Zeitschrift für Physik. Ich fand keine Zeit sie zu lesen, steckte sie in meinen Koffer und vergaß die ganze Geschichte. Als ich dann ein halbes Jahr später nach Deutschland zurück kam und auspackte, fand ich die Arbeit auf dem Boden des Koffers. Sie enthielt, was man jetzt die Fermi-Dirac-Statistik nennt. In der Zwischenzeit war sie von Enrico Fermi und unabhängig von Paul Dirac entdeckt worden. Aber Jordan war der Erste.“ Dazu befragt, lachte Jordan und stotterte seine Bestätigung. In seinem Buch Statistische Mechanik auf quantentheoretischer Grundlage [6] erwähnt Jordan in diesem Zusammenhang weder Fermi noch Dirac oder sich selbst; er nannte sein Gei- steskind die „Pauli-Statistik“. Paradoxerweise ist der Name Jordan nicht mit der kanonischen Vertauschungsrelation, aber doch wenigstens mit der Algebra bleibend verknüpft. Anders als die meisten Physiker hat Jordan die Mathematik nicht nur als ein unentbehrliches Hilfsmittel der Physik, sondern auch als ein selbstständiges Gedankengebäude abstrakter Strukturen bewundert und durch eigene Ideen, vor allem zur Algebra, bereichert. Seine mit John von Neumann und Eugen Wigner ausgeführte Arbeit über potenzassoziative Algebren, die aus Überlegungen zur Axiomatik der Quantentheorie hervorging, hat zu der umfangreichen Theorie der Jordan-Algebren geführt. Neben seiner Forschungstätigkeit hat Jordan in zahlreichen Büchern und glänzenden Vorträgen viele junge Menschen an die Physik und wohl oft auch an das Studium herangeführt und in weiten Kreisen Verständnis für die Naturwissenschaften und ihre Bedeutung für die Kultur der Gegenwart geweckt. Pascual Jordan verstarb nach längerer Krankheit am 31. Juli 1980 im 77. Lebensjahr in Hamburg. * Wir danken den Söhnen Pascual Jordans und ihren Familien für Informationen über Jordans Leben und Anita Ehlers für deren Vermittlung. Literatur [1] M. Born, P. Jordan, Z. f. Phys. 34, S. 479 (1925); M. Born, W. Heisenberg, P. Jordan, Z. f. Phys. 35, S. 557 (1926) [2] T. Y. Cao, Conceptual Development of Twentieth Century Field Theories, Cambridge University Press, Cambridge 1997, S. 172 [3] R. Courant, D. Hilbert, Methoden der mathematischen Physik I u. II, Springer, Berlin 1924 u. 1937 (4. Aufl. 1993) [4] M. Born, Mein Leben, Nymphenburger Verlagshandlung, München 1975, S. 301 [5] M. Born, P. Jordan, Elementare Quantenmechanik, Springer, Berlin 1930 [6] P. Jordan, Statistische Mechanik auf quantentheoretischer Grundlage, Vieweg, Braunschweig 1933 [7] P. Jordan, Anschauliche Quantentheorie, Springer, Berlin 1936 [8] J. Franck, P. Jordan, Anregung von Quantensprüngen durch Stöße, Springer, Berlin 1926 [9] B. L. van der Waerden (Hrsg.), Sources of Quantum Mechanics, Dover, New York, 1968, S. 98