als pdf - Westdeutsches Tumorzentrum

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WTZJournal_0214_flyeralarm_Layout 1 11.07.14 13:16 Seite 1
02•2014
ISSN 1869-5892 | 4,- €
www.wtz-essen.de
journal
Journal des Westdeutschen Tumorzentrums
WTZ Essen
4
Erhaltend heilen
Interdisziplinäre Ansätze zur augenerhaltenden
Therapie des einseitigen Retinoblastoms
8
„Man muss heute informierter sein,
um Präsentationen kritisch bewerten
zu können“
Professor Dr. Martin Schuler zur
ASCO-Jahrestagung 2014 und zur
personalisierten Medizin
10
Kurz und knapp
Dr. Jan Dürig und Dr. Anja Welt zu Pomalidomid
und Trastuzumab Emtansin
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Oraler Tyrosinkinase-Hemmer
Erstlinien-Therapie für Patienten mit
m
fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom
Zweitlinien-Therapie für Patienten
mit ausgewählten Subtypen eines
fortgeschrittenen Weichteilsarkoms*
Weitere Informationen über das Arzneimittel:
Dosierung und Art der Anwendung: 800 mg einmal täglich. Dosisanpassungen und weitere Informationen siehe Fachinformation. Pazopanib sollte auf nüchternen Magen, entweder
mindestens eine Stunde vor oder mindestens zwei Stunden nach einer Mahlzeit eingenommen werden. Votrient® Filmtabletten müssen unzerkaut eingenommen und dürfen nicht
zerbrochen oder zerkleinert werden. Weitere Warnhinweise laut Fachinformation: Leberschädigung, Hypertonie, Posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom (PRES)/Reversibles
posteriores Leukoenzephalopathie-Syndrom (RPLS), Kardiale Dysfunktion, Herzinsuffizienz, QT-Verlängerung und Torsade de Pointes, Arterielle oder venöse thrombotische Ereignisse,
Thrombotische Mikroangiopathie, Hämorrhagische Ereignisse, Gastrointestinale Perforationen und Fisteln, Hypothyreose, Proteinurie, Pneumothorax, Infektionen. VEGF-Inhibitoren
können Wundheilungsstörungen auslösen. Nicht bei Kindern unter 2 Jahren und nicht in Kombination mit Pemetrexed oder Lapatinib einsetzen. Informationen zu Schwangerschaft und
zu Wechselwirkungen siehe Fachinformation. Weitere Informationen siehe Fachinformation. Nebenwirkungsmeldungen richten Sie bitte ggf. an die GSK-Hotline: 0800-1223355
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Wirkstoff: Pazopanib. Zusammensetzung: Jede 200 mg Filmtablette enthält 200 mg Pazopanib, jede 400 mg Filmtablette enthält 400 mg Pazopanib (als Pazopanibhydrochlorid) entspr.
200 bzw. 400 mg Pazopanib. Sonst. Best.: Magnesiumstearat, Mikrokristalline Cellulose, Povidon (K30), Carboxymethylstärke-Natrium (Typ A), Hypromellose, Macrogol 400, Polysorbat
80, Titandioxid (E171), bei 200 mg Tabletten zusätzlich Eisen(III)-oxid (E172). Anwendungsgebiete: Fortgeschrittenes/metastasiertes Nierenzellkarzinom und ausgewählte Subtypen
eines fortgeschrittenen Weichteilsarkoms (s. Fachinformation). Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Nicht empfohlen für
Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung. Nebenwirkungen: Sehr häufig: Bluthochdruck, Durchfall, Übelkeit oder Erbrechen, Magenschmerzen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust,
Geschmacksstörungen oder-verlust, Entzündungen im Mund, Kopfschmerzen, Kraftlosigkeit, Fatigue, Farbveränderungen der Haare, ungewöhnlicher Haarausfall oder Ausdünnung
der Haare, Verlust von Hautpigment, Hautausschlag, Palmar-plantares Erythrodysästhesie-Syndrom, Anstieg von Leberenzymen, Thrombozytopenie, Neutropenie, Leukopenie. Häufig:
Verdauungsstörungen, Blähbauch, Blähungen, Nasenbluten, Mundtrockenheit, Zahnfleischinfektion, Schwäche-und Müdigkeitsgefühl, abnormale Schläfrigkeit, Schlafstörungen,
Thromboembolie, Herzattacken, Herzversagen, Blutungen im Mund, Mastdarm oder in der Lunge, Schwindel, verschwommenes Sehen, Hitzewallungen, Ödeme, Periphere sensorische
Neuropathie, Hauterkrankungen, Hautrötung, Juckreiz, trockene Haut, Parästhesie, Kältegefühl mit Schüttelfrost, übermäßiges Schwitzen, Flüssigkeitsmangel, Muskel-, Gelenks-, Sehnenoder Brustschmerzen, Muskelkrämpfe, Tumorschmerzen, Heiserkeit, Kurzatmigkeit, Husten, Bluthusten, Schluckauf, Pneumothorax, Unterfunktion der Schilddrüse, Leberfunktionsstörung,
Hepatotoxizität, Proteinurie, Erhöhung von Bilirubin, Lipase, Kreatinin, sonstige Laborwertveränderungen. Gelegentlich: Schlaganfall, Mini-Schlaganfall, Herzinfarkt, Herzfunktionsstörung,
Lungenembolie, schwere Blutungen im Verdauungssystem (wie Magen, Speiseröhre und Darm) oder in den Nieren, der Vagina oder im Gehirn, QT-Verlängerung, Bradykardie,
Magen-oder Darmperforation, Darmfisteln, starke oder unregelmäßige Monatsblutung, hypertensive Krise, Pankreatitis, Hepatitis, Leberschädigung oder-versagen, Gelbsucht,
Bauchfellentzündung, Geschwüre im Mund, Schnupfen, schwarze, teerartige Stühle, Blut im Stuhl, entzündliche oder juckende Hautausschläge, häufiger Stuhlgang, Photosensibilisierung,
verringerte Empfindung oder Sensitivität, besonders der Haut, Infektionen, mit oder ohne Neutropenie, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie, sonstige Laborwertveränderungen. Selten:
Posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom (PRES)/Reversibles posteriores Leukoenzephalopathie-Syndrom (RPLS), thrombotische Mikroangiopathie (einschließlich thrombotischthrombozytopenische Purpura und hämolytisch-urämisches Syndrom). Verschreibungspflichtig. Stand: Juli 2013 GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG, 80700 München.
08/2013
*(Aus
*
(Aus der Zulassungsstudie ausgeschlossen waren adipozytische
Sarkome, GIST und verschiedene seltene Subtypen, s. Fachinformation)
Sarko
8/23/2013 12:48:12 PM
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editorial
Liebe Leserin,
lieber Leser,
das Westdeutsche Tumorzentrum ist – nach Zahl der Patienten – nicht
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Schwerpunkt
Erhaltend heilen
Interdisziplinäre Ansätze zur
augenerhaltenden Therapie
des einseitigen Retinoblastoms
Petra Temming, Norbert Bornfeld
und Dietmar Lohmann
8
Interview
„Man muss heute informierter
sein, um Präsentationen kritisch
bewerten zu können“
Professor Martin Schuler zur
ASCO-Jahrestagung 2014 und
zur personalisierten Medizin
nur das größte Comprehensive Cancer Center der Republik; hier sind auch
große Zentren für relativ seltene Erkrankungen beheimatet, die deshalb von
Patienten aus einem sehr großen Einzugsbereich genutzt werden. Die Klinik
für Augenheilkunde ist eines dieser Zentren. Im Schwerpunktbeitrag der
vorliegenden Ausgabe berichten Norbert Bornfeld und seine Ko-Autoren
deshalb über die Entwicklungen zum heutigen Standard in der Therapie des
Retinoblastoms. Den Ruf als Exzellenzzentrum begründet hat Gerhard
Meyer-Schwickerath in den 1960-er Jahren. Seither ist nicht nur die klinische
Arbeit immer interdisziplinärer geworden, auch geforscht wird im Verbund
mit Strahlenheilkunde, pädiatrischer Onkologie, diagnostischer und inter-
3
ventioneller Radiologie sowie der Humangenetik.
10
Während die Arbeit der Retinoblastom-Experten eher abseits des onkologischen Mainstreams stattfindet, ist die ASCO-Jahrestagung seit Jahrzehnten
Kurz und knapp
Pomalidomid (Imnovid®)
PD Dr. Jan Dürig
Trastuzumab Emtansin (Kadcyla®)
Dr. Anja Welt
das weltweit am meisten beachtete Forum für die gesamte klinische Onkologie. Martin Schuler, Direktor der Inneren Klinik (Tumorforschung) erläutert
im Interview, wie man sich den dort präsentierten Erkenntnissen nähern
sollte. Gleichzeitig macht er Appetit auf das ASCO-Sonderheft des WTZ-Journals, das im September erscheinen wird.
7
Alle Behandlungsprogramme
im Überblick
Impressum
Mit dieser Ausgabe verabschieden wir uns in den Sommer und in die Ferienzeit. Wir wünschen Ihnen erholsame Tage, frei von Alltagszwängen und mit
vielen anregenden Erfahrungen. Wenn Sie uns – nach ganz entspannter
Lektüre – Rückmeldung geben wollen zum WTZ-Journal, dann freuen wir
uns über eine E-Mail an [email protected].
WTZ-Journal
ISSN: 1869-5892; © 2014 by Westdeutsches Tumorzentrum Essen
und LUKON-Verlagsgesellschaft mbH, München
Redaktion
PD Dr. med. Andreas Hüttmann (Redaktionsleitung, verantwortlich); Prof. Dr. med. Dirk Schadendorf; Günter Löffelmann,
Tina Schreck (CvD), Ludger Wahlers (089-820 737-0;
[email protected]), Anschrift wie Verlag
Anzeigen
Manfred Just (089-820 737-0; M. [email protected]),
Anschrift wie Verlag
Herausgeber
Direktorium Westdeutsches Tumorzentrum Essen WTZ,
vertreten durch Prof. Dr. med. Dirk Schadendorf
Hufelandstraße 55, 45122 Essen, www.wtz-essen.de
Verlag
LUKON Verlagsgesellschaft mbH; Landsberger Straße 480 a,
81241 MünchenFon: 089-820 737-0, Fax: 089-820 737-17
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Das WTZ-Journal erscheint viermal jährlich zum Einzelpreis
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Herzlichst Ihre
Gestaltung und Illustration: Charlotte Schmitz, 42781 Haan
Dirk Schadendorf
Andreas Hüttmann
Geschäftsführender
Direktor des WTZ
Redaktionsleiter des WTZ-Journals
Bildnachweis
Alle Grafiken und Illustrationen: Charlotte Schmitz, Haan.
Titel und Seite 4: Chlorophylle (Fotolia BildNr. 1685512);
Seite 4 Mitte: Norbert Bornfeld, Essen; Seite 6 oben:
Wyntter, istockphoto LP Grafik 11737951, Alberta, Canada;
Seite 6 unten: Universitätsklinikum Essen.
Druck: flyeralarm, Würzburg; Printed in Germany
Urheber- und Verlagsrecht
Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und
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Auflage 2.000 Exemplare
8/23/2013 12:48:12 PM
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heilen
Interdisziplinäre Ansätze zur augenerhaltenden
Therapie des einseitigen Retinoblastoms
Petra Temming, Norbert Bornfeld und Dietmar Lohmann
Klinik für Erkrankungen des hinteren Augenabschnitts
Das Retinoblastom ist ein bösartiger Augentumor des Kindesalters. Es entsteht aus Zellen, die sich normalerweise zu lichtempfindlichen Rezeptorzellen der Netzhaut entwickeln. Da
diese Entwicklung schon im frühen Kindesalter abgeschlossen
ist, tritt der Tumor vor allem in den ersten beiden Lebensjahren
auf. Jedes Jahr erkranken weltweit etwa 9.000, in Deutschland
etwa 40 Kinder [1]. Auch heute noch ist die Entfernung des befallenen Auges Goldstandard in der Therapie. Eine verbesserte
Früherkennung, der kliniknahe Einsatz molekulargenetischer
Untersuchungen sowie die augennahe Verabreichung von Medikamenten sind vielversprechende Ansätze in der Erkennung
und Behandlung dieser Krankheit.
Die wirksame Früherkennung eines Retinoblastoms ist für den
Erhalt des Sehvermögens elementar [2], denn augenerhaltend
kann nur behandelt werden, wenn der Tumor noch eindeutig
aufs Auge beschränkt und möglichst klein ist. In Deutschland
ist das mittlere Diagnosealter in den letzten 35 Jahren deutlich
gesunken. Bei Auftreten der Erkrankung sind die meisten Kinder
zu jung, um über ein eingeschränktes Sehen zu berichten, daher
müssen äußere Anzeichen auffallen, um die Erkrankung zu entdecken. Ungefähr dies Hälfte aller Patientinnen und Patienten
mit Retinoblastom wird durch einen weißen Pupillenreflex im
Auge erkannt. Dieser ist häufig auf Blitzlichtfotografien statt
des Rote-Augen-Reflexes sichtbar und wird als Leukokorie bezeichnet (Abbildung 1).
Abbildung 1: Ein Kind mit einer weißen Reflexion in der Pupille.
Diese sogenannte Leukokorie ist das häufigste Symptom eines
Retinoblastoms.
Das zweithäufigste Zeichen eines Retinoblastoms ist die Fehlstellung eines Auges („Schielen“). Leukokorie und Schielen werden
bei Säuglingen und Kleinkindern allerdings vielfach nicht bemerkt
oder als nicht bedrohlich bewertet. Ein frühes Screening durch
Kinder- und Augenärzte sowie die Vermittlung von Information
für Eltern betroffener Kinder ist daher ein zentrales Anliegen
für die erfolgreiche Behandlung des Retinoblastoms. In einem
wissenschaftlichen Projekt werden am Universitätsklinikum
Essen gezielt der Diagnoseweg und auftretende Verzögerungen
erfasst, um die Früherkennung in Deutschland zu verbessern.
Humangenetik
Bei den meisten Kindern mit Retinoblastom tritt die Erkrankung
in Bezug auf die Familie isoliert auf, das heißt es ist kein an
diesem Tumor erkrankter Angehöriger bekannt. Schon 1821 aber
wurde beschrieben, dass Retinoblastome familiär gehäuft auf-
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treten können. Mit zunehmender Verbesserung der Prognose
erreichten ab dem 20. Jahrhundert immer mehr Patientinnen
und Patienten das Erwachsenenalter, und es zeigte sich, dass
das Retinoblastom autosomal dominant vererbt sein kann.
Das erbliche Retinoblastom wird durch Mutationen im Retinoblastomgen (RB) verursacht. In normalen Körperzellen gibt es
zwei Kopien dieses Gens. Bei Patienten mit erblichem Retinoblastom ist eine Kopie dieses Gens mutiert und dadurch funktionsuntüchtig. Diese Mutation ist entweder von einem erkrankten
Elternteil ererbt oder in einer Keimzelle neu aufgetreten. Zur Tumorbildung kommt es, wenn auch die andere Kopie dieses Gens
durch eine weitere Mutation inaktiviert wird. Da ein solcher
zweiter Mutationsschritt unabhängig in mehreren Vorläuferzellen
auftreten kann, entwickeln sich meist mehrere Tumorherde, die
sich auf beide Augen verteilen. Daher zeigen die meisten Patienten
mit familiärem Retinoblastom eine beidseitige Erkrankung.
Auch bei Patienten mit isoliert beidseitiger Erkrankung liegt
eine erbliche Form des Retinoblastoms vor, denn sie tragen in
ihren normalen Körperzellen ein mutiertes Retinoblastomgen.
Nahezu 60 Prozent der Kinder mit Retinoblastom sind nur einseitig erkrankt und die Erkrankung ist isoliert aufgetreten. Die
meisten dieser Kinder (90 %) tragen keine ererbte oder neu aufgetretene Keimbahnmutation im RB-Gen, aber auch bei diesen
Kindern sind Mutationen im Retinoblastomgen für die Tumorentwicklung verantwortlich. Im Unterschied zum familiären Retinoblastom tritt bei diesen Kindern die erste Mutation erst im
Laufe des eigenen Lebens auf, manchmal schon in der Embryonalzeit. In diesem Fall wird die Mutation an alle Zellen weitergegeben,
die von der mutierten embryonalen Zelle abstammen (Mutationsmosaik). Die genaue Abgrenzung der Krankheitsformen ist
in Abbildung 2 erläutert.
Keimzellen
normale Körperzellen
Tumorzellen
Erbliches Retinoblastom
RB
RB
RB
RB
RB
RB
RB
RB
RB
RB
RB
RB
RB
RB
Mutationsmosaik
RB
RB
Nicht-erbliches Retinoblastom
RB
RB
Abbildung 2: Genetische Grundlagen des Retinoblastoms. In den
Tumorzellen sind beide Kopien des Retinoblastomgens (RB) durch
Mutationen inaktiviert. Bei Patienten mit erblichem Retinoblastom
ist eine Kopie bereits in einer der beiden Keimzellen mutiert. Bei
Patienten mit Mutationsmosaik findet die Inaktivierung einer
Kopie des Retinoblastomgens während der Embryonalphase statt.
Es gibt normale Körperzellen mit und ohne mutiertes Retinoblastomgen. Bei Patienten mit nicht erblichem Retinoblastom tragen
die Körperzellen normale Retinoblastomgene. Die Mutationen, die
zur Inaktivierung in den Tumorzellen führen, sind auf den Tumor
beschränkt.
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Durch molekulargenetische Untersuchungen kann bei den meisten Kindern die genaue genetische Ursache des Retinoblastoms
bestimmt werden. So lassen sich unter Patienten mit einseitiger
Erkrankung diejenigen mit der erblichen Form der Erkrankung
erkennen. Dazu müssen die erste und die zweite RB-Genmutation
im Tumor bestimmt und dann normale Körperzellen – zum Beispiel in einer Blutprobe – gezielt auf diese Mutationen untersucht
werden.
Eine Tumorprobe kann nur bei einer operativen Entfernung des
Auges gewonnen werden. Aufgrund der Bemühungen um frühe
Diagnose und alternative Therapie kann diese immer öfter vermieden werden. Um dennoch die genetische Ursache der Erkrankung bei möglichst vielen Kindern zu klären, entwickeln wir
in einem aktuellen Forschungsprojekt Methoden, die einen Mutationsnachweis auch dann ermöglichen, wenn, wie bei einem
Mutationsmosaik, der Anteil der genetischen Veränderung in
der untersuchten Probe gering ist. Hierbei kommen neue Sequenzierungsverfahren zum Einsatz, die parallele Analysen von tausenden Sequenzen ermöglichen (next generation sequencing).
Unsere ersten Ergebnisse zeigen, dass der Anteil von Patientinnen
und Patienten mit einem Mutationsmosaik bislang unterschätzt
wurde.
Therapie
Die Entfernung des Auges wird schon seit dem 19. Jahrhundert
zur Behandlung des Retinoblastoms durchgeführt und gilt bis
heute als der Goldstandard für die fortgeschrittene Erkrankung.
In der Geschichte der augenerhaltenden Therapien spielt die
Bestrahlung eine entscheidende Rolle. Schon 1903 wurde über
den ersten erfolgreichen Einsatz von Röntgenstrahlen zur Therapie
des Retinoblastoms berichtet [3]. In den folgenden Jahrzehnten
konnte die Strahlentherapie wesentlich verbessert und die Nebenwirkungen im Bereich des Auges vermindert werden. Als
schwere Langzeitnebenwirkung treten jedoch bei Kindern mit
beidseitigem Retinoblastom gehäuft bösartige Tumoren im Bestrahlungsgebiet auf [4] und die behandelnden Ärzte müssen
diese Langzeitfolgen bei jedem einzelnen Kind gegenüber dem
therapeutischen Nutzen abwägen.
Chemotherapie als augenerhaltende Therapie
für das unilaterale Retinoblastom
Die nächste bahnbrechende Veränderung in der Behandlung des
Retinoblastoms brachte Mitte der 1990er Jahre der Einsatz der
Chemotherapie. Heute ersetzt sie fast vollständig die Bestrahlung
in der Erstbehandlung. Die Chemotherapie schrumpft den Tumor
im Auge und der Resttumor kann dann unter Vollnarkose durch
Vereisung oder Photokoagulation vernichtet werden.
Bei der gegen das Retinoblastom eingesetzten Chemotherapie
kommen vier Medikamente zum Einsatz. Leider hat auch diese
Therapie Nebenwirkungen. Übelkeit und Unwohlsein können
durch vorbeugende Medikamente gut gelindert werden, aber
ein erhöhtes Infektionsrisiko und Blutarmut in den Wochen nach
der Therapie erfordern engmaschige Kontrollen an einem spezialisierten Zentrum für krebskranke Kinder. Da die Kinder ihr
ganzes Leben noch vor sich haben, gilt die große Sorge der behandelnden Ärzte den Langzeitfolgen. Erst Jahre nach Einführung
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Von James Wardrop über Gerhard MeyerSchwickerath bis zur Klinischen Forschergruppe Ophtalmologische Onkologie und
Genetik.
Seit der Erstbeschreibung des Retinoblastoms durch den
schottischen Chirurgen und Ophthalmologen James
Wardrop zu Anfang des 19. Jahrhunderts hat sich in
Diagnostik und Therapie Einiges getan.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts lag
die Überlebensrate der erkrankten Kinder bei lediglich 17 Prozent. Fortschritte
in Diagnostik und OP-Technik – vor
allem in Narkose und Wundinfektionsprophylaxe – verbesserten im 20. Jahrhundert die Prognose entscheidend, sodass heute in
Deutschland mehr als 95 Prozent der erkrankten Kinder
überleben, wenn sie Zugang zu adäquater medizinischer
Versorgung haben.
Im Gegensatz zu anderen Tumorerkrankungen im Kindesalter, die fast immer eine systemische Behandlung
mit Chemotherapie erfordern, können die meisten an
Retinoblastom erkrankten Kinder durch die Entfernung
des Auges geheilt werden. Bei vier von zehn erkrankten
Kindern tritt das Retinoblastom jedoch nicht nur in
einem, sondern gleichzeitig in beiden Augen auf. Kliniker
und Wissenschaftler streben daher nach Möglichkeiten,
den Tumor zu beseitigen und gleichzeitig das Auge zu
erhalten.
Eine besondere Bedeutung kam hier schon früh der Bestrahlung zu, die jedoch schwerwiegende Langzeitschäden
verursachen kann. In der Mitte des 20.
Jahrhunderts entwickelte Gerhard
Meyer-Schwickerath in Deutschland
die Photokoagulation, eine seinerzeit
völlig neue Methode zur Behandlung
intraokularer Veränderungen, die auf
der Hitzewirkung eines durch die Pupille in das Auge eingebrachten fokussierten Lichtstrahls
beruht. Die Photokoagulation wurde sehr erfolgreich zur
Behandlung des Retinoblastoms eingesetzt. Nachdem
Meyer-Schwickerath 1963 die Leitung der Augenklinik in
Essen übernommen hatte, wurde Essen zum nationalen
Zentrum für die Behandlung des Retinoblastoms. In diesem Zentrum steht den Patientinnen und Patienten mit
Retinoblastom auch heute noch das gesamte Spektrum
moderner interdisziplinärer Therapie zur Verfügung. Die
beteiligten Fachrichtungen Augenheilkunde, Strahlenheilkunde, pädiatrische Onkologie, diagnostische und
interventionelle Radiologie sowie die Humangenetik kooperieren auch auf wissenschaftlicher Ebene als Klinische
Forschergruppe Ophthalmologische Onkologie und Genetik. Vor dem Hintergrund der bereits heute sehr guten
Überlebensraten besteht das gemeinsame Ziel darin,
langfristig das betroffene Auge zu erhalten, das Sehvermögen zu verbessern und Langzeitschäden zu vermeiden.
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der Chemotherapie fürs Retinoblastom können wir diese abschätzen.
Durch sorgfältige Nachverfolgung wurden bei einigen Kindern Hörschäden festgestellt, und auch die Chemotherapie kann das Risiko für
das Auftreten von späteren Krebserkrankungen erhöhen, allerdings
in einem geringeren Maße als die Bestrahlung. Daher muss aus den
verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten für jedes Kind mit einem
Retinoblastom die individuell passende Therapie ausgewählt werden.
Das klinische Register RB-Registry
Diese bestmögliche Therapie muss nicht nur an das Alter und die körperlichen Voraussetzungen des Kindes angepasst sein, sondern hängt
auch von den Ergebnissen der genetischen Untersuchungen sowie
von Lage und Größe des Tumors ab. Die Wahl der passenden Therapie
für jedes einzelne Kind soll durch die Auswertung der Daten, die im
klinischen Register gesammelt werden, unterstützt werden. Dieses
klinische Register wird von der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie
und Hämatologie (GPOH) unterstützt und am Universitätsklinikum
Essen koordiniert. Zunächst wurden in Zusammenarbeit aller beteiligten
Disziplinen Leitlinien für die risikoadaptierte Diagnostik und Behandlung
des Retinoblastoms in Deutschland und Österreich geschaffen (Abbildung 3). Die systematische Erfassung der Heilungserfolge und aller
Nebenwirkungen soll die Wahl der geeigneten Therapie, die Nachsorge
und die Beratung der Eltern verbessern. Aufbauend auf diesen Ergebnissen können neue Therapien und Medikamente untersucht und
wissenschaftliche Begleitprojekte unterstützt werden.
Lokale Gabe von
chemotherapeutischen Medikamenten
Seitdem die Wirksamkeit von Chemotherapie auf Retinoblastome im
Auge nachgewiesen wurde, bemühen sich Ärzte und Wissenschaftler
um neue Verabreichungsformen, welche die lokale Chemotherapeutika-Konzentration im Auge erhöhen. Im Rahmen von klinischen Studien
werden Medikamente mit unterschiedlichen Erfolgen und Nebenwirkungen direkt in die Augenhöhle oder in den Glaskörper verabreicht.
In besonderen Fällen wird die Chemotherapie auch direkt in das Blutgefäß, das die Netzhaut versorgt, gespritzt.
Die Arbeitsgruppe von Kaneko setzte diese Technik in Japan bereits
seit 1990 erfolgreich ein [5], aber weltweite Aufmerksamkeit erlangte
diese intraarterielle Chemotherapie erst 2008, als Abramson und
andere in New York das Verfahren modernisierten und damit beachtenswerte Heilungsraten erreichten [6]. Heute findet die Technik in
26 Ländern vor allem nach Versagen der Standardtherapie zum Augenerhalt Verwendung. Da durch den breiten Einsatz dieser erfolgversprechenden Methode mittlerweile auch Nebenwirkungen bekannt
werden [7, 8], ist der Einsatz in einigen internationalen Zentren umstritten. Zudem bestehen Bedenken, dass eine beginnende Ausbreitung
des Retinoblastoms bei augenerhaltender Therapie übersehen werden
kann. Die neuen Therapieverfahren müssen deshalb systematisch in
klinischen multizentrischen Studien evaluiert werden, um den Nutzen
und die Nebenwirkungen mit den etablierten Behandlungsformen
zu vergleichen.
Gezielte Chemotherapie beim Retinoblastom
Neben der Anpassung der Verabreichungsform könnte die Entwicklung
neuer, gezielt wirkender Medikamente zu besseren Behandlungsergebnissen beitragen. Die Inaktivierung beider Kopien des Retinoblas-
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Kleine Tumoren
Mittelgroße
Tumoren
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Fokale Therapie
Photokoagulation
Chemotherapie
Bestrahlung
Fortgeschrittene
Tumoren
Kryotherapie
Brachytherapie
Enukleation
Abbildung 3: Verfügbare Behandlungsmöglichkeiten in Abhängigkeit von Größe und Lokalisation des Tumors im Auge. Als fokale
Behandlungen gelten die Photokoagulation mittels Laser, die Kryotherapie des Tumors und die Brachytherapie, also die lokale Bestrahlung der Tumorregion.
tomgens steht am Beginn der Entwicklung aller Retinoblastome
[9]. Es kommen in der weiteren Entwicklung dieser Tumoren jedoch noch andere genetische Veränderungen hinzu. Diese betreffen oft das Chromosom 1 [10], Chromosom 6 [11] und Chromosom 16 [12]. Wie genau diese chromosomalen Veränderungen
das Wachstum des Tumors beeinflussen ist jedoch weitgehend
unbekannt.
Die Verfügbarkeit von Hochdurchsatz-Analyseverfahren eröffnet
neue Möglichkeiten zur Identifikation von Kandidaten für die
gezielte medikamentöse Therapie. Unter Nutzung dieser Technologien untersuchte die Arbeitsgruppe von Michael Dyer genomweite genetische Veränderungen und Unterschiede in Aktivitätsmerkmalen von Genen. Sie identifizierten die so genannte
Spleen tyrosine kinase (SYK) als mögliches Ziel [13]. Ihre Ergebnisse
deuten darauf hin, dass es beim Retinoblastom vorwiegend auf
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den Zustand von Aktivitätsmerkmalen (epigenetische Veränderungen) ankommt. Die weitere Aufklärung dieser Zusammenhänge wird das Verständnis der Tumorentstehung des Retinoblastoms verbessern und kann zur Entdeckung weiterer Kandidatengene mit therapeutischer Relevanz führen.
Schlussfolgerungen und Ausblicke
Es existieren also vielversprechende Ansätze in Diagnostik und
Therapie, die den Erhalt von Augen und Sehvermögen ermöglichen. Dazu gehören die Verbesserung der Früherkennung und
der kliniknahe Einsatz von molekulargenetischen Untersuchungen.
Große Erwartungen knüpfen sich an die Entwicklung neuer operativer Techniken zur augennahen Gabe von Chemotherapie.
Eine systematische Nachsorge muss die Heilungserfolge, die
Nebenwirkungen und den Einfluss einer zeitlich intensiven
augenerhaltenden Therapie auf die Lebensqualität im Vergleich
zum Verlust eines Auges erfassen. Vor allem darf der zunehmende
Einsatz von augenerhaltenden Therapien keinesfalls zu einem
Anstieg der metastasierten Retinoblastome und damit zu einem
Anstieg der Sterblichkeit führen. Die Verbesserung von Diagnostik
und Behandlung des Retinoblastoms ist weiterhin eine große
Herausforderung, der sich Ärzte und Wissenschaftler zusammen
mit den Patienten und ihren Familien und mit Unterstützung
von vielen Seiten stellen.
Literatur auf Anfrage.
Schreiben Sie eine E-Mail an [email protected]
Diesen Beitrag haben wir – redaktionell leicht bearbeitet – mit
freundlicher Genehmigung aus der Schriftenreihe UNIKATE,
Ausgabe 42, übernommen (https:// www.uni-due.de/ unikate).
Alle Behandlungsprogramme im Überblick
Programm 1:
Tumorerkrankungen des Magen-Darm-Traktes
(Westdeutsches Magen-Darm-Zentrum)
Kontakt: Dr. S. Kasper
Innere Klinik (Tumorforschung)
Telefon: 0201-723-2039
Mail: [email protected]
Programm 2:
Tumorerkrankungen der Lunge und der
Thoraxorgane (Lungenkrebszentrum am
Westdeutschen Tumorzentrum)
Kontakt: Dr. W. Eberhardt
Innere Klinik (Tumorforschung)
Telefon: 0201-723-3131
Mail: [email protected]
Programm 3:
Hämatologische Onkologie
(Leukämien, Lymphome und Myelome)
Kontakt: Prof. Dr. U. Dührsen
Klinik für Hämatologie
Telefon: 0201-723-2417
Mail: [email protected]
Programm 4:
Gynäkologische Tumoren
Kontakt: Prof. Dr. R. Kimmig, Klinik für
Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Telefon: 0201-723-2441
Mail: [email protected]
Programm 5:
Neuroonkologie
Kontakt: Prof. Dr. U. Sure
Klinik für Neurochirurgie
Telefon: 0201-723-2804
Mail: [email protected]
Programm 6:
Urologische Tumoren
Kontakt: Prof. Dr. Dr. h. c. H. Rübben
Klinik für Urologie
Telefon: 0201-723-3211
Mail: [email protected]
Programm 7:
Pädiatrische Hämatologie/Onkologie
Kontakt:
komm. Prof. Dr. B. Kremens
Zentrum für Kinder und Jugendmedizin,
Klinik für Kinderheilkunde III
Telefon: 0201-723-2503
E-Mail: [email protected]
Programm 8:
Hauttumoren
Kontakt: Prof. Dr. D. Schadendorf
Klinik für Dermatologie
Telefon: 0201-723-2430
Mail: [email protected]
Programm 9:
Endokrine Tumoren
Kontakt: Prof. Dr. Dr. D. Führer-Sakel
Klinik für Endokrinologie und Zentrallabor,
Bereich Forschung und Lehre
Telefon: 0201-723-2821
Mail: [email protected]
Programm 10:
Kopf-/Hals-Tumoren
Kontakt: Prof. Dr. S. Lang
Klinik für HNO-Heilkunde
Telefon: 0201-723-2481
Mail: [email protected]
Programm 11:
Augentumoren
Kontakt: Prof. Dr. K.-P. Steuhl
Zentrum für Augenheilkunde
Erkrankungen des vorderen Augenabschnitts
Telefon: 0201-723-2375
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. N. Bornfeld
Zentrum für Augenheilkunde
Erkrankungen des hinteren Augenabschnitts
Telefon: 0201-723-3568
E-Mail: [email protected]
Programm 12:
Knochen- und Weichteiltumoren
Kontakt: Prof. Dr. S. Bauer
Innere Klinik (Tumorforschung)
Telefon: 0201-723-2112
E-Mail: [email protected]
Programm 13:
Knochenmarktransplantation
Kontakt: Prof. Dr. D. W. Beelen
Klinik für Knochenmarktransplantation
Telefon: 0201-723-3136
Mail: [email protected]
Programm 14:
Primäre Tumoren der Leber
(Lebertumor-Centrum am WTZ)
Kontakt: Prof. Dr. G. Gerken, Klinik
für Innere Medizin, Gastroenterologie
und Hepatologie
Telefon: 0201-723-3611
Mail: [email protected]
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„Man muss heute informierter sein,
um Präsentationen
kritisch bewerten zu können.“
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Professor Dr. Martin Schuler
zur ASCO-Jahrestagung 2014 und zur personalisierten Medizin
Vor ziemlich genau vier Jahren haben wir
an dieser Stelle mit Professor Martin Schuler über die Entwicklungen in der personalisierten Medizin gesprochen. Kurz nach
der ASCO-Jahrestagung 2014 haben wir
den Direktor der Inneren Klinik (Tumorforschung) wieder gebeten, zu aktuellen
Entwicklungen Stellung zu beziehen.
Läuft man angesichts von 25 000 Teilnehmern bei der ASCO-Jahrestagung nicht Gefahr, einem bloßen Hype zu erliegen? Wie
soll man sich da orientieren können?
Sie haben richtigerweise von 25 000 Teilnehmern gesprochen, es waren ja auch
schon mal 32 000. Ich habe den Eindruck,
dass die Tagungen ein wenig kleiner werden. Das hat mit den verschärften Transparenzbedingungen zu tun, die dazu führen, dass man nicht mehr mal eben auf
Kosten der pharmazeutischen Industrie
nach Chicago fliegen kann. Mit den zurückgehenden Teilnehmer-Zahlen ist es
für die Organisatoren aus meiner Sicht
immer wichtiger geworden, die Wissenschaftlichkeit der Tagung aufrechtzuerhalten, ohne sie in den Dienst von Marketing oder Lobbyarbeit zu stellen.
Was meinen Sie konkret?
Speziell in diesem Jahr war deutlich spürbar, dass mit den großen Plenarsitzungen
auch politische Signale gesetzt werden
sollten. Denn dort wurden ausgesprochen
viele staatlich geförderte Programme präsentiert. Nationale Forschungspolitik ist
wichtig, sie darf aber keinen höheren Stellenwert haben als die Qualität der Forschung. Die muss letzten Endes entscheidend sein.
Fühlen oder fühlten Sie sich manipuliert?
(lacht) Nein, ich persönlich nicht. Aber man
muss heute informierter sein als früher,
um kritisch bewerten zu können, was man
da präsentiert bekommt. Bei aller Begeisterung für positive Studienergebnisse muss
man sich fragen: Nutzt das meinen Patienten?
Dann lassen Sie uns konkreter werden: Welche Erkenntnisse werden den Nutzen für
Patienten mit NSCLC erhöhen?
Ganz sicher die zur Wirksamkeit von Afatinib bei Lungenkrebspatienten, bei denen
eine bestimmte aktivierende EGFR-Mutation festgestellt wurde.
Die ist doch auch Voraussetzung für die
Wirkung von Gefitinib und Erlotinib.
Ja, das war auch der Stand des Wissens
bei unserem Gespräch vor vier Jahren. Wir
wussten damals, dass eine aktivierende
EGFR-Mutation – die bei etwas 10 bis 15
Prozent der Patienten mit NSCLC auftritt
– Voraussetzung ist für die Wirkung dieser
beiden Tyrosinkinase-Inhibitoren. Heute
ist klar, dass es unterschiedliche Arten dieser aktivierenden Mutationen gibt. Drei
große Gruppen unterscheidet man: Etwa
die Hälfte der Patienten mit aktivierender
Mutation haben eine Deletion im Exon 19
des Tumorgenoms. Bei etwa 40 Prozent
kommt es zu einer Mutation im Exon 21,
die zu einem Aminosäureaustausch führt,
und bei den restlichen 10 Prozent handelt
es sich um seltene Mutationen in verschiedenen Exonen.
Und was hat das nun mit Afatinib zu tun?
Patienten mit einer Deletion im Exon 19
sprechen auf die Erstlinientherapie mit
Afatinib besonders gut an. Das sind Ergebnisse einer in Chicago präsentierten
gepoolten Analyse der LUX-Lung-3- und
der LUX-Lung-6-Studie. Die Patienten erhielten entweder Afatinib oder eine platinhaltige Chemotherapie. In der Gruppe der
Afatinib-Behandelten war das mittlere Ge-
samtüberleben um nahezu zwölf Monate
verlängert. Und das bei fortgeschrittenem
nicht kleinzelligem Lungenkrebs.
Das heißt die personalisierte Therapie wird
immer kleinteiliger?
Ja, das Prinzip der biomarkergestützten
Behandlung hat sich weiter bestätigt. Die
Gruppen werden zwar kleiner, die erreichbaren Effekte aber auch größer. Ein weiteres
Beispiel in dieser Richtung ist der ALK-Inhibitor Crizotinib.
Über den haben wir zumindest ansatzweise
auch vor vier Jahren schon geredet.
Bei etwa 2 Prozent der NSCLC-Patienten
finden sich innerhalb des Gens, das für die
anaplastische Lymphomkinase (ALK) kodiert, Translokationen. Bei Patienten mit
diesen ALK-Translokationen wirkt Crizotinib
besonders gut und ist deshalb mittlerweile
zugelassen für die Rezidivbehandlung. Bei
der ASCO-Jahrestagung konnte nun erstmalig gezeigt, werden, dass Crizotinib im
Vergleich zur Chemotherapie in der Erstbehandlung zu einer deutlich verbesserten
Krankheitskontrolle führt. Daten zum Gesamtüberleben gibt es noch nicht. Angesichts der sich abzeichnenden guten Ergebnisse ist aber zu erwarten, dass Crizotinib auch zur Erstlinienbehandlung zugelassen wird.
Ist Crizotinib der einzige ALK-Inhibitor?
Nein, in den USA ist mittlerweile bereits
Ceritinib zugelassen, das ein noch potenterer und spezifischer wirksamer ALK-Inhibitor ist. Ceritinib wirkt auch noch bei
vielen Patienten, bei denen Crizotinib nicht
mehr wirkt. Das ist das Ergebnis einer
Phase-I-Studie mit etwa 250 Patienten, an
der wir auch teilgenommen haben. Die
FDA hat Ceritinib wie gesagt in einem beschleunigten Verfahren bereits zugelassen,
bei der europäischen EMA ist die Zulassung
beantragt. Patienten aus Europa, bei denen
Crizotinib nicht mehr wirkt, können sich
an wenigen Zentren an einem Ceritinib-
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Zugangsprogramm beteiligen – auch am
Westdeutschen Tumorzentrum in Essen.
Auch die vom malignen Melanom bekannten B-RAF-Mutationen scheinen beim Lungenkrebs eine Rolle zu spielen.
Ja, bei etwa 3 bis 3,5 Prozent der Patienten
ist eine B-RAF-Mutation nachweisbar, und
es gibt erste Hinweise, dass Dabrafenib,
das für die Melanombehandlung letztes
Jahr zugelassen wurde, auch hier wirksam
ist. Entsprechende Studien laufen aber
noch.
Lassen Sie uns über die Entwicklungen beim
Mammakarzinom reden. Vor vier Jahren
galten die PARP-Inhibitoren als große Hoffnung, beispielsweise für Frauen mit tripelnegativem Mammakarzinom. Da ist Ernüchterung eingekehrt, oder?
Das muss man im Zusammenhang sehen.
Ganz viel zur Ernüchterung beigetragen
hat Iniparib, die Substanz, bei der sich im
Nachhinein herausstellte, dass sie gar kein
PARP-Inhibitor ist. Aber das Prinzip ist nach
wie vor genial: Bei Patientinnen mit BRCA1- und -2-Mutationen im Tumorgenom
haben Tumorzellen bereits einen Defekt,
der die – normalerweise unproblematische
– Reparatur von Einzelstrang-DNS erschwert. PARP-Inhibitoren blockieren ein
zweites Reparatursystem, wodurch Einzelstrangbrüche und – nach der nächsten
Zellteilung – auch Doppelstrangbrüche
nicht mehr repariert werden können. Konsequenz: Die Tumorzelle stirbt ab.
Das ist die faszinierende Theorie. Gibt es
klinische Ergebnisse?
Nicht in Bezug auf das Mammakarzinom,
aber für das Ovarialkarzinom wurden dazu
auf der ASCO-Jahrestagung gute Daten
präsentiert. In der Zweitlinienbehandlung
von Patientinnen, die grundsätzlich platinsensibel waren, ließ sich die Erkrankung
vergleichsweise gut auch mit einer PARPMonotherapie kontrollieren. Man darf auf
die weitere Entwicklung gespannt sein.
Bei all den Fortschritten in der Therapie von
Patientinnen mit Mammakarzinom spielt
auch in der personalisierten Therapie das
Thema Resistenz eine Rolle. Gab es dazu
etwas Neues?
Wichtig ist in diesem Zusammenhang,
dass der mTOR-Inhibitor Everolimus eine
Resistenz gegenüber antihormoneller Therapie überwinden kann. Dazu gibt es ja
mittlerweile auch eine Zulassung. In Chicago wurde in diesem Jahr außerdem ein
vielversprechender Inhibitor der Phospha-
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tidylinositol-3-Kinase, also ein PI3K-Inhibitor
vorgestellt. Buparlisib befindet sich noch
in früher klinischer Entwicklung und kann
offenbar Resistenzen antihormoneller Therapeutika, aber auch die von Trastuzumab
und Everolimus überwinden. Es werden
vielversprechende Remissionen und Krankheitsstabilisierungen gesehen. Ich bin sicher, da kommt in den nächsten Jahren
noch mehr.
Bei unserem ASCO-Schnelldurchlauf kommen wir nun zu den gastrointestinalen Tumoren. Was gab es dort Neues?
Es gibt kaum etwas über neue Substanzen
zu berichten; vielmehr wurde klar, dass
nicht mehr nur K-RAS allein, sondern auch
N-RAS für die Prädiktion der Wirkung von
EGFR-Antikörpern wichtig ist. K-RAS-Mutationen im Kodon 12 oder 13 sind negative
Prädiktoren für die Anti-EGFR-Therapie mit
Cetuximab oder Panitumumab. Das wussten wir auch schon vor vier Jahren. Dann
hat man sich das restliche K-RAS-Gen und
auch das N-RAS-Gen angeschaut – und
nun wissen wir, dass Mutationen dort
ebenfalls negative Prädiktoren sind. Wenn
man alle bislang bekannten K-RAS- und
N-RAS-Mutationen zusammen nimmt,
dann kommen wir auf mehr als 50 Prozent
aller Patienten mit kolorektalem Karzinom.
Und bei denen macht eine Behandlung
mit Anti-EGFR-Antikörpern wie Cetuximab
und Panitumumab keinen Sinn. Diese Erkenntnisse haben die Zulassungsbehörden
in Europa auch berücksichtigt: Vor einer
medikamentösen Behandlung müssen Pathologen nun zunächst den gesamten KRAS- und N-RAS-Status prüfen.
Umgekehrt heißt das aber, dass nun auch
Patienten – eben solche mit Wildtyp-RAS
– identifizierbar sind, bei denen eine AntiEGFR-Strategie besonders erfolgversprechend ist.
So ist es. Und in der deutschen FIRE-3- und
in der US-amerikanischen PEAK-Studie ist
geprüft worden, ob diese Anti-EGFR- oder
möglicherweise eine Anti-VEGF-Strategie
in Kombination mit Chemotherapie besonders wirksam ist. Die FIRE-3-Studie hat
eine FOLFIRI-Chemotherapie kombiniert
mit Cetuximab oder Bevacizumab, und
das selbstverständlich ausschließlich bei
Patienten mit Wildtyp-RAS-Tumoren. Es
stellte sich heraus, dass die Anti-EGFR-Strategie tatsächlich erfolgreicher ist: Die Kombination mit Cetuximab führt gegenüber
der Kombination mit Bevacizumab zu
einem Überlebensvorteil. Die US-amerikanische PEAK-Studie kommt zu einem
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ähnlichen Ergebnis: In dieser Phase-II-Studie
mit etwa 250 Patienten erwies sich die
Kombination Panitumumab plus FOLFOX
gegenüber Bevacizumab plus FOLFOX als
wirksamer.
Das sind jetzt aber keine Daten vom diesjährigen ASCO?
Nein, aber vor diesem Hintergrund wurde
bei der ASCO-Jahrestagung die riesige
CALGB/SWOG-80405-Studie mit über
1 000 Patienten präsentiert. Auch hier
wurde die Kombination der – frei wählbaren – Chemotherapie mit Cetuximab einerseits und Bevacizumab andererseits
untersucht. Auf den ersten Blick ergab sich
hinsichtlich des Gesamtüberlebens – eben
anders als bei FIRE-3 und PEAK – kein signifikanter Unterschied. Man muss allerdings genauer hinschauen, dann sieht
man, dass in dieser Auswertung nur nach
K-RAS-Mutationen in den Kodons 12 und
13 unterschieden wurde. Das heißt K-RASMutationen in Kodon 61 und alle N-RASMutationen wurden gar nicht berücksichtigt. Ich will nicht prophetisch klingen, aber
es kann erwartet werden, dass sich, wenn
man diese Mutationen heraussortiert, auch
in dieser großen Studie ein Vorteil für die
Anti-EGFR-Strategie ergeben wird. Ich rechne damit, dass wir diese Analyse auf einem
der nächsten großen Kongresse präsentiert
bekommen.
Diese Erkenntnis dürfte sich dem „einfachen“
ASCO-Jahrestagungsbesucher nicht von allein erschlossen haben.
Das mag sein; deshalb ist es wichtig, sich
bei der Beurteilung von Daten auf mehrere
Quellen zu stützen. Als Westdeutsches Tumorzentrum haben wir da sicher den Auftrag, Fort- und Weiterbildung so zu organisieren, dass die entsprechenden Erkenntnisse sicher in der klinischen Praxis ankommen. Deshalb machen wir beispielsweise Jahr für Jahr kurz nach der ASCOJahrestagung eine Veranstaltung, bei der
wir die Highlights von den jeweiligen Experten ihres Fachs verständlich präsentieren
lassen.
Und mit Unterstützung dieser Experten
wird das WTZ-Journal im September eine
Schwerpunktausgabe zur ASCO-Jahrestagung herausbringen. Dafür, Herr Professor
Schuler, und für dieses Gespräch danke ich
Ihnen herzlich.
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kurz knapp
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Pomalidomid (Imnovid®)
Seit Anfang August 2013 ist der Immunmodulator Pomalidomid in Europa in Kombination mit Dexamethason zur Behandlung von Patienten mit Multiplem Myelom zugelassen. Pomalidomid kommt
bei erwachsenen Patienten zum Einsatz, die sich mindestens zwei vorausgegangenen Therapien, unter
anderem mit Lenalidomid und Bortezomib, unterzogen haben, und deren Erkrankung sich dennoch
verschlimmert hat.
Unser Experte PD Dr. Jan Dürig leitet im WTZ das Behandlungsprogramm Multiples Myelom. Er ist
Oberarzt in der Klinik für Hämatologie und porträtiert das Präparat.
1. Wie wirkt Pomalidomid?
Pomalidomid ist ein neuartiger Immunmodulator (IMiD), dessen chemische
Struktur eine große Ähnlichkeit zur klinisch bereits gut etablierten Vorläufersubstanz Lenalidomid aufweist [1]. In
präklinischen Studien konnte eine verbesserte Anti-Myelom-Wirksamkeit dieses Präparats im Vergleich zu Thalidomid
und Lenalidomid gezeigt werden [2]. Der
komplexe molekulare Wirkmechanismus
konnte bislang trotz intensiver Forschungsbemühungen noch nicht abschließend geklärt werden. Aus klinischer
Sicht ist bedeutsam, dass sich der therapeutische Effekt von Pomalidomid
durch die kombinierte Anwendung mit
Dexamethason deutlich steigern lässt [3].
2. Wie groß ist der zu erwartende
Nutzen für Patienten?
In der kürzlich von Miguel et al. in Lancet
Oncology [4] publizierten zulassungsbegründenden offenen multizentrischen
Phase-III-Studie wurde die Wirksamkeit
von Pomalidomid in einer täglichen Dosierung von 4 mg (Tag 1 bis 21, alle 28
Tage) in Kombination mit niedrig dosiertem Dexamethason (LoDex; 40mg/die;
Tag 1, 8, 15 und 22, n=302) mit einer Monotherapie mit hoch dosiertem Dexamethason (HiDex; 40 mg/die; Tage 1-4, 9-12
und 17-20, n=153) in der Drittlinienbehandlung des Multiplen Myeloms verglichen. Bei Patienten >75 Jahren wurde
die Dexamethasondosis in beiden Armen
aufgrund des in Vorarbeiten beobachteten gesteigerten Infektionsrisikos halbiert. Die Behandlung wurde kontinuierlich bis zum Progress der Grunder-
krankung durchgeführt. Die Auswertung
der Studie nach einer medianen Beobachtungszeit von 10 Monaten zeigte
einen signifikanten Vorteil der Kombinationstherapie mit Pom/LoDex hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens
und des Gesamtüberlebens gegenüber
der bisherigen Standardtherapie mit
HiDex. Die Behandlung im experimentellen Arm der Studie wurde von der
Mehrzahl der Patienten gut vertragen.
Als wesentliche Grad-3/4-Nebenwirkungen wurden eine Neutropenie (48% vs.
16% Pom/LoDex vs. HiDex) und eine Anämie (33% vs. 37%) beobachtet, die in vergleichbarer Ausprägung auch bei einer
Behandlung mit Len/Dex auftritt. Interessanterweise war das vermehrte Auftreten von Neutropenien im Pom/LoDexArm nicht mit einer erhöhten Infektionsrate assoziiert. Eine Subgruppenanalyse
ergab eine vergleichbare Wirksamkeit
von Pom/LoDex in allen untersuchten
Gruppen inklusive Patienten mit zytogenetischen Hochrisikoveränderungen
und Refraktärität gegenüber einer Vorbehandlung mit Lenalidomid bzw. Lenalidomid und Bortezomib.
3. Welche Besonderheiten sind bei der
Therapie mit Pomalidomid zu beachten?
Die Auflagen für Verordnung von
IMiDs sind zu befolgen, Pomalidomid
kann nur mit Hilfe eines Sonderrezeptes
(T-Rezept) verordnet werden.
In Analogie zum Vorgehen bei der Behandlung mit Lenalidomid ist die strikte
Einhaltung eines Schwangerschaftsverhütungsprogramms zu beachten und
entsprechend zu dokumentieren.
Wichtige Unterlagen zur Einleitung
einer Therapie mit Pomalidomid (Entscheidungsbaum für Therapiebeginn,
Checklisten für Patientenerklärung, Einverständniserklärung, Therapiepass u. a.)
können unter [email protected] angefordert werden.
Bezüglich der Details von Anwendung,
Begleittherapie (memo Antikoagulation)
und Aspekten der Dosisanpassung wird
auf die Angaben in der Fachinformation
verwiesen
4. Wie hoch sind die Therapiekosten?
Laut Roter Liste betragen die Kosten monatlich nahezu 13 000 Euro.
Zusammenfassende Kurzbewertung
Die kombinierte Gabe von Pomalidomid und LoDex ist eine wichtige
neue Option für die Drittlinienbehandlung des MM. Ein Vorteil ist die
orale Applikation des Medikaments
und die gute Verträglichkeit. Das
therapeutische Ansprechen bei Patienten mit einer Refraktärität für
eine vorangegangene Behandlung
mit Lenalidomid (+/- Bortezomib)
unterstreicht den innovativen Charakter und klinischen Wert dieser
Substanz. Die im Rahmen der Zulassungsstudie beobachtete Verbesserung des PFS um 2 Monate im Vergleich zur HiDex Standardtherapie
(4,0 vs. 1,9 Monate) ist allerdings als
moderat einzuschätzen.
Literatur auf Anfrage.
Schreiben Sie eine E-Mail an [email protected]
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Trastuzumab Emtansin (Kadcyla®)
Mitte November 2013 ist das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Trastuzumab-Emtansin in Europa zur
Behandlung von Patientinnen mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs zugelassen
worden. Das Präparat kommt bei Patientinnen zum Einsatz, deren Karzinom HER2-positiv ist und die
zuvor bereits Trastuzumab (Herceptin®) und ein Taxan erhalten haben.
Unsere Expertin Dr. Anja Welt ist Oberärztin an der Inneren Klinik (Tumorforschung) am Universitätsklinikum Essen. Als Spezialistin für das fortgeschrittene Mammakarzinom porträtiert sie für uns
Trastuzumab-Emtansin.
1. Wie wirkt Trastuzumab-Emtansin?
Der monoklonale Antikörper Trastuzumab ist bei Patientinnen mit HER2-positiven Tumoren bereits seit Jahren erfolgreich im Einsatz. Er bindet am HER2Rezeptor, der sich vermehrt an der Oberfläche der Brustkrebszellen finden kann.
So aktiviert Trastuzumab Zellen des Immunsystems, die dann die Krebszellen
besser erkennen und abtöten können.
Weiterhin wird eine unerwünschte Aktivierung der Tumorzelle, also ihre Teilung
und damit das Wachstum des Tumors
verhindert. Ein Nachweis des vermehrt
vorhandenen HER2-Rezeptors findet sich
bei knapp einem Viertel aller Brustkrebserkrankungen. Diese Frauen kommen für
die Therapie in Frage, bei anderen ist sie
nicht wirksam. Bei Kadcyla® ist nun an
den bekannten Antikörper ein Chemotherapeutikum (Emtansin) gebunden
worden, welches erst dann wirksam wird,
wenn es in die Krebszelle inkorporiert
wird. Emtansin bindet in der Zelle dann
Tubulin, ein Zellprotein, das für die Zellteilung wichtig ist. Durch die Bindung an
Tubulin in den Krebszellen stoppt Emtansin (DM1) die Bildung dieses „inneren
Skeletts“ der Zelle und verhindert so Zellteilung und damit das Tumorwachstum.
2. Wie groß ist der zu erwartende Nutzen für die Patientinnen?
Das Medikament stellt eine echte Innovation dar, sodass es bei Präsentation der
entscheidenden Daten beim Amerikanischen Krebskongress 2012 mit den von
Paul Ehrlich visionär vorhergesagten
magic bullets verglichen wurde. Die EMILIA-Studie verglich die Wirkung von Kadcyla® mit der ansonsten üblicherweise
nach Vorbehandlung zum Einsatz kommenden Kombination von Capecitabin
(Xeloda®) und Lapatinib (Tyverb®). Dabei
konnte verglichen zur Standardtherapie
sowohl eine knapp 6-monatige Verlängerung des krankheitsfreien Überlebens
als auch eine statistisch signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens um
gut drei Monate erreicht werden. Diese
Ergebnisse haben in der Fachwelt für Aufsehen gesorgt, weil sich derart deutliche
Unterschiede im Vergleich zu einer ebenfalls wirksamen Therapie selten nur durch
eine Studie herausarbeiten lassen
3. Gibt es Patientengruppen, bei denen
das Präparat besonders gut wirkt?
In der Studie wurden nur Patientinnen
mit Kadcyla® behandelt, deren Tumoren
eine deutliche Überexpression des HER2Rezeptors aufwies. Dies wird durch den
Pathologen getestet, der hierfür entweder
Gewebe des ursprünglichen Mammakarzinoms oder aber aus einer Metastase
an archiviertem Tumormaterial verwenden kann. Diese Testung kann mit konventionellen Methoden oder aber – sofern
nötig – mit molekulargenetischen Untersuchungen (FISH/CISH) erfolgen.
4. Was müssen verabreichende Ärzte
besonders beachten?
Eine wie oben beschriebene HER2-Testung muss vorliegen und es sollte eine
Behandlung mit einem Taxan (z. B. Paclitaxel oder Docetaxel) und dem Antikörper
Trastuzumab (Herceptin®) bereits erfolgt
sein. Es sollte außerdem keine stark verschlechterte Leberfunktion bestehen.
5. Welche unerwünschten Nebenwirkungen sind zu erwarten?
Zu nennen ist eine Erhöhung der Leberwerte, speziell der Enzyme GOT und GPT,
wobei dies meist „nur“ bei der Bluttestung auffällt, ohne dass sich für die Patientin hieraus Nachteile ergeben. Ebenfalls möglich ist eine Verminderung der
Thrombozyten, welche ebenfalls bei
regelmäßigen Blutbildkontrollen erfasst
wird.
6. Wie lange muss das Präparat angewandt werden?
Kadcyla® wird so lange angewandt, wie
sich eine Besserung der Brustkrebserkrankung oder zumindest eine Stabilisierung des Verlaufs nachweisen lässt.
Erst wenn eine Verschlechterung (z. B.
Größenzunahme von Metastasen im
Ultraschall oder Computertomogramm)
oder aber inakzeptable Nebenwirkungen
auftreten, soll die Behandlung beendet
werden.
7. Wie hoch sind die Therapiekosten?
Die Therapiekosten betragen pro Anwendung, die alle 3 Wochen erfolgt, etwa
6 500 Euro.
Zusammenfassende Kurzbewertung
Das neuartige Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Kadcyla® stellt eine echte Innovation für Patientinnen mit fortgeschrittenem HER2-positivem Mammakarzinom
dar, was unser Behandlungsspektrum
deutlich erweitert. Obwohl die Therapie
sehr wirksam ist und sogar ein relevanter
Überlebensvorteil nachweisbar war, wird
die Substanz gut vertragen und löst üblicherweise keinen Haarausfall aus. Für
20-25% der Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs kommt diese Behandlung nach Vortherapie mit Herceptin®
und einem Taxan in Frage.
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Der neue BRAF-Inhibitor
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Dabrafenib ist angezeigt zur Monotherapie von erwachsenen Patienten mit BRAFV600-Mutation-positivem nicht-resezierbarem oder metastasiertem Melanom1
Tafinlar® verlängert signifikant das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) auf 6,9 Monate1
TAFINLAR®
Monate (Median)
Hazard Ratio (95% KI)
DTIC
6,9
2,7
(95% KI; 5,2; 9,0)
(95% KI; 1,5; 3,2)
0,37
(95% KI; 0,24; 0,58) p<0,0001
6.9
Monate
Medianes PFS mit Tafinlar
Datenschnitt 25. Juni 2012
Für eine vollständige Auflistung der Kontraindikationen, Warnhinweise und Nebenwirkungen siehe Fachinformation.
Wirkstoff: Dabrafenib Zusammensetzung: Eine 50 mg-bzw. 75 mg-Hartkapsel enthält Dabrafenibmesilat,
entsprechend 50 mg bzw. 75 mg Dabrafenib. Sonstige Bestandteile: Mikrokristalline Cellulose, Magnesiumstearat,
kolloidales Siliciumdioxid, Eisen(III)-oxid (E172), Titandioxid (E171), Hypromellose (E464), Eisen(III)-oxid-hydroxid
(E172), Schellack, Propylenglykol. Anwendungsgebiete: Monotherapie von erwachsenen Patienten mit BRAF-V600Mutation-positivem nicht-resezierbarem oder metastasiertem Melanom. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit
gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Nebenwirkungen: Sehr häufig: Hyperkeratose,
Hautausschlag, Papillom, palmar-plantares Erythrodysästhesie-Syndrom, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen,
Durchfall, verminderter Appetit, Schüttelfrost, Fatigue, Asthenie, Pyrexie, Arthralgie, Myalgie, Schmerzen in
den Extremitäten, Husten, Haarausfall. Häufig: Verstopfung, grippeartige Erkrankung, Hypophosphatämie,
Hyperglykämie, LVEF-Verringerung, Hautveränderungen (Plattenepithelkarzinom, seborrhoische/aktinische
Keratose, Akrochordon, Basalzellkarzinom, trockene Haut, Pruritus, Hautläsion, Erythem). Gelegentlich: Uveitis,
Pankreatitis, Pannikulitis, Überempfindlichkeit, neue Melanome, Nierenversagen, Nephritis, Herzrhythmusstörungen.
Warnhinweise: Arzneimittel für Kinder unzugänglich aufbewahren. Behältnis enthält Trockenmittel, nicht entfernen
oder verzehren. Verschreibungspflichtig. Stand: September 2013. GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG, 80700 München.
www.glaxosmithkline.de
Weitere Informationen über das Arzneimittel: Dosierung und Art der Anwendung: Die empfohlene Dosis
von Dabrafenib beträgt 150 mg (zwei 75 mg-Kapseln) zweimal täglich (entsprechend einer Tagesgesamtdosis
von 300 mg). Dabrafenib sollte mindestens eine Stunde vor oder mindestens zwei Stunden nach einer
Mahlzeit eingenommen werden, mit einem Abstand von ungefähr 12 Stunden zwischen beiden Dosen. Weitere
Warnhinweise laut Fachinformation: Pyrexie, kutanes Plattenepithelkarzinom, neue primäre Melanome, nichtkutane sekundäre/rezidivierende maligne Erkrankungen, Nierenversagen, Uveitis, Pankreatitis, QT-Verlängerung.
Vorsicht bei gleichzeitiger Gabe von Medikamenten, die CYP2C8 oder CYP3A4 beeinflussen, Substrate von
bestimmten metabolisierenden Enzymen oder Transportproteinen sind oder den pH-Wert des Magens erhöhen,
oder bei gleichzeitiger Gabe von Warfarin oder Digoxin.
Weitere Informationen siehe Fachinformation. Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung.
Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer Erkenntnisse über die Sicherheit. Angehörige von
Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung dem Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte, Abt. Pharmakovigilanz, Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, D-53175 Bonn,
Website: www.bfarm.de zu melden.
DE/MEK/0001/14 (1) 04/2014
Tafinlar®
Quelle:
1
Fachinformation Tafinlar®, Stand Februar 2014.
Tafinlar_Advert_210x297+3_GRM-2014-5478_D1_updated.indd 1
6/2/2014 7:11:16 PM
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