WTZJournal_0214_flyeralarm_Layout 1 11.07.14 13:16 Seite 1 02•2014 ISSN 1869-5892 | 4,- € www.wtz-essen.de journal Journal des Westdeutschen Tumorzentrums WTZ Essen 4 Erhaltend heilen Interdisziplinäre Ansätze zur augenerhaltenden Therapie des einseitigen Retinoblastoms 8 „Man muss heute informierter sein, um Präsentationen kritisch bewerten zu können“ Professor Dr. Martin Schuler zur ASCO-Jahrestagung 2014 und zur personalisierten Medizin 10 Kurz und knapp Dr. Jan Dürig und Dr. Anja Welt zu Pomalidomid und Trastuzumab Emtansin WTZJournal_0214_flyeralarm_Layout 1 11.07.14 13:17 Seite 2 Oraler Tyrosinkinase-Hemmer Erstlinien-Therapie für Patienten mit m fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom Zweitlinien-Therapie für Patienten mit ausgewählten Subtypen eines fortgeschrittenen Weichteilsarkoms* Weitere Informationen über das Arzneimittel: Dosierung und Art der Anwendung: 800 mg einmal täglich. Dosisanpassungen und weitere Informationen siehe Fachinformation. Pazopanib sollte auf nüchternen Magen, entweder mindestens eine Stunde vor oder mindestens zwei Stunden nach einer Mahlzeit eingenommen werden. Votrient® Filmtabletten müssen unzerkaut eingenommen und dürfen nicht zerbrochen oder zerkleinert werden. Weitere Warnhinweise laut Fachinformation: Leberschädigung, Hypertonie, Posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom (PRES)/Reversibles posteriores Leukoenzephalopathie-Syndrom (RPLS), Kardiale Dysfunktion, Herzinsuffizienz, QT-Verlängerung und Torsade de Pointes, Arterielle oder venöse thrombotische Ereignisse, Thrombotische Mikroangiopathie, Hämorrhagische Ereignisse, Gastrointestinale Perforationen und Fisteln, Hypothyreose, Proteinurie, Pneumothorax, Infektionen. VEGF-Inhibitoren können Wundheilungsstörungen auslösen. Nicht bei Kindern unter 2 Jahren und nicht in Kombination mit Pemetrexed oder Lapatinib einsetzen. Informationen zu Schwangerschaft und zu Wechselwirkungen siehe Fachinformation. Weitere Informationen siehe Fachinformation. Nebenwirkungsmeldungen richten Sie bitte ggf. an die GSK-Hotline: 0800-1223355 Votrient_Advert_210x297+5_GRM-2013-4448_D1.indd 1 DE/PAZ/0056/12(2) Votrient® 200 mg/400 mg Filmtabletten Wirkstoff: Pazopanib. Zusammensetzung: Jede 200 mg Filmtablette enthält 200 mg Pazopanib, jede 400 mg Filmtablette enthält 400 mg Pazopanib (als Pazopanibhydrochlorid) entspr. 200 bzw. 400 mg Pazopanib. Sonst. Best.: Magnesiumstearat, Mikrokristalline Cellulose, Povidon (K30), Carboxymethylstärke-Natrium (Typ A), Hypromellose, Macrogol 400, Polysorbat 80, Titandioxid (E171), bei 200 mg Tabletten zusätzlich Eisen(III)-oxid (E172). Anwendungsgebiete: Fortgeschrittenes/metastasiertes Nierenzellkarzinom und ausgewählte Subtypen eines fortgeschrittenen Weichteilsarkoms (s. Fachinformation). Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Nicht empfohlen für Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung. Nebenwirkungen: Sehr häufig: Bluthochdruck, Durchfall, Übelkeit oder Erbrechen, Magenschmerzen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Geschmacksstörungen oder-verlust, Entzündungen im Mund, Kopfschmerzen, Kraftlosigkeit, Fatigue, Farbveränderungen der Haare, ungewöhnlicher Haarausfall oder Ausdünnung der Haare, Verlust von Hautpigment, Hautausschlag, Palmar-plantares Erythrodysästhesie-Syndrom, Anstieg von Leberenzymen, Thrombozytopenie, Neutropenie, Leukopenie. Häufig: Verdauungsstörungen, Blähbauch, Blähungen, Nasenbluten, Mundtrockenheit, Zahnfleischinfektion, Schwäche-und Müdigkeitsgefühl, abnormale Schläfrigkeit, Schlafstörungen, Thromboembolie, Herzattacken, Herzversagen, Blutungen im Mund, Mastdarm oder in der Lunge, Schwindel, verschwommenes Sehen, Hitzewallungen, Ödeme, Periphere sensorische Neuropathie, Hauterkrankungen, Hautrötung, Juckreiz, trockene Haut, Parästhesie, Kältegefühl mit Schüttelfrost, übermäßiges Schwitzen, Flüssigkeitsmangel, Muskel-, Gelenks-, Sehnenoder Brustschmerzen, Muskelkrämpfe, Tumorschmerzen, Heiserkeit, Kurzatmigkeit, Husten, Bluthusten, Schluckauf, Pneumothorax, Unterfunktion der Schilddrüse, Leberfunktionsstörung, Hepatotoxizität, Proteinurie, Erhöhung von Bilirubin, Lipase, Kreatinin, sonstige Laborwertveränderungen. Gelegentlich: Schlaganfall, Mini-Schlaganfall, Herzinfarkt, Herzfunktionsstörung, Lungenembolie, schwere Blutungen im Verdauungssystem (wie Magen, Speiseröhre und Darm) oder in den Nieren, der Vagina oder im Gehirn, QT-Verlängerung, Bradykardie, Magen-oder Darmperforation, Darmfisteln, starke oder unregelmäßige Monatsblutung, hypertensive Krise, Pankreatitis, Hepatitis, Leberschädigung oder-versagen, Gelbsucht, Bauchfellentzündung, Geschwüre im Mund, Schnupfen, schwarze, teerartige Stühle, Blut im Stuhl, entzündliche oder juckende Hautausschläge, häufiger Stuhlgang, Photosensibilisierung, verringerte Empfindung oder Sensitivität, besonders der Haut, Infektionen, mit oder ohne Neutropenie, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie, sonstige Laborwertveränderungen. Selten: Posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom (PRES)/Reversibles posteriores Leukoenzephalopathie-Syndrom (RPLS), thrombotische Mikroangiopathie (einschließlich thrombotischthrombozytopenische Purpura und hämolytisch-urämisches Syndrom). Verschreibungspflichtig. Stand: Juli 2013 GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG, 80700 München. 08/2013 *(Aus * (Aus der Zulassungsstudie ausgeschlossen waren adipozytische Sarkome, GIST und verschiedene seltene Subtypen, s. Fachinformation) Sarko 8/23/2013 12:48:12 PM WTZJournal_0214_flyeralarm_Layout 1 11.07.14 13:17 Seite 3 editorial Liebe Leserin, lieber Leser, das Westdeutsche Tumorzentrum ist – nach Zahl der Patienten – nicht 4 Schwerpunkt Erhaltend heilen Interdisziplinäre Ansätze zur augenerhaltenden Therapie des einseitigen Retinoblastoms Petra Temming, Norbert Bornfeld und Dietmar Lohmann 8 Interview „Man muss heute informierter sein, um Präsentationen kritisch bewerten zu können“ Professor Martin Schuler zur ASCO-Jahrestagung 2014 und zur personalisierten Medizin nur das größte Comprehensive Cancer Center der Republik; hier sind auch große Zentren für relativ seltene Erkrankungen beheimatet, die deshalb von Patienten aus einem sehr großen Einzugsbereich genutzt werden. Die Klinik für Augenheilkunde ist eines dieser Zentren. Im Schwerpunktbeitrag der vorliegenden Ausgabe berichten Norbert Bornfeld und seine Ko-Autoren deshalb über die Entwicklungen zum heutigen Standard in der Therapie des Retinoblastoms. Den Ruf als Exzellenzzentrum begründet hat Gerhard Meyer-Schwickerath in den 1960-er Jahren. Seither ist nicht nur die klinische Arbeit immer interdisziplinärer geworden, auch geforscht wird im Verbund mit Strahlenheilkunde, pädiatrischer Onkologie, diagnostischer und inter- 3 ventioneller Radiologie sowie der Humangenetik. 10 Während die Arbeit der Retinoblastom-Experten eher abseits des onkologischen Mainstreams stattfindet, ist die ASCO-Jahrestagung seit Jahrzehnten Kurz und knapp Pomalidomid (Imnovid®) PD Dr. Jan Dürig Trastuzumab Emtansin (Kadcyla®) Dr. Anja Welt das weltweit am meisten beachtete Forum für die gesamte klinische Onkologie. Martin Schuler, Direktor der Inneren Klinik (Tumorforschung) erläutert im Interview, wie man sich den dort präsentierten Erkenntnissen nähern sollte. Gleichzeitig macht er Appetit auf das ASCO-Sonderheft des WTZ-Journals, das im September erscheinen wird. 7 Alle Behandlungsprogramme im Überblick Impressum Mit dieser Ausgabe verabschieden wir uns in den Sommer und in die Ferienzeit. Wir wünschen Ihnen erholsame Tage, frei von Alltagszwängen und mit vielen anregenden Erfahrungen. Wenn Sie uns – nach ganz entspannter Lektüre – Rückmeldung geben wollen zum WTZ-Journal, dann freuen wir uns über eine E-Mail an [email protected]. WTZ-Journal ISSN: 1869-5892; © 2014 by Westdeutsches Tumorzentrum Essen und LUKON-Verlagsgesellschaft mbH, München Redaktion PD Dr. med. Andreas Hüttmann (Redaktionsleitung, verantwortlich); Prof. Dr. med. Dirk Schadendorf; Günter Löffelmann, Tina Schreck (CvD), Ludger Wahlers (089-820 737-0; [email protected]), Anschrift wie Verlag Anzeigen Manfred Just (089-820 737-0; M. [email protected]), Anschrift wie Verlag Herausgeber Direktorium Westdeutsches Tumorzentrum Essen WTZ, vertreten durch Prof. Dr. med. Dirk Schadendorf Hufelandstraße 55, 45122 Essen, www.wtz-essen.de Verlag LUKON Verlagsgesellschaft mbH; Landsberger Straße 480 a, 81241 MünchenFon: 089-820 737-0, Fax: 089-820 737-17 E-Mail: [email protected], www.lukon-verlag.de Abonnement Das WTZ-Journal erscheint viermal jährlich zum Einzelpreis von 4,00 €. Der Preis für ein Jahresabonnement beträgt 15,00 €. Die genannten Preise verstehen sich zuzüglich Versandkosten: Inland 3,00 €; Ausland: 12,00 €. Die Bezugsdauer beträgt ein Jahr. Der Bezug verlängert sich automatisch um ein weiteres Jahr, wenn das Abonnement nicht spätestens sechs Wochen vor Ablauf des Bezugsjahres schriftlich gekündigt wird. Für Mitglieder des Westdeutschen Tumorzentrums (WTZ) ist der Bezug des WTZ-Journals im Mitgliedsbeitrag bereits enthalten. Herzlichst Ihre Gestaltung und Illustration: Charlotte Schmitz, 42781 Haan Dirk Schadendorf Andreas Hüttmann Geschäftsführender Direktor des WTZ Redaktionsleiter des WTZ-Journals Bildnachweis Alle Grafiken und Illustrationen: Charlotte Schmitz, Haan. Titel und Seite 4: Chlorophylle (Fotolia BildNr. 1685512); Seite 4 Mitte: Norbert Bornfeld, Essen; Seite 6 oben: Wyntter, istockphoto LP Grafik 11737951, Alberta, Canada; Seite 6 unten: Universitätsklinikum Essen. Druck: flyeralarm, Würzburg; Printed in Germany Urheber- und Verlagsrecht Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Annahme des Manuskripts gehen das Recht zur Veröffentlichung sowie die Rechte zur Übersetzung, zur Vergabe von Nachdruckrechten, zur elektronischen Speicherung in Datenbanken, zur Herstellung von Sonderdrucken, Fotokopien und Mikrokopien an den Verlag über. Jede Verwertung außerhalb der durch das Urheberrechtsgesetz festgelegten Grenzen ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. In der unaufgeforderten Zusendung von Beiträgen und Informationen an den Verlag liegt das jederzeit widerrufliche Einverständnis, die zugesandten Beiträge beziehungsweise Informationen in Datenbanken einzustellen, die vom Verlag oder Dritten geführt werden. Auflage 2.000 Exemplare 8/23/2013 12:48:12 PM WTZJournal_0214_flyeralarm_Layout 1 11.07.14 13:17 Seite 4 s c h w e r p u n k t w t z - j o u r n a l 2 · 2 0 1 4 · 6 . J g 4 heilen Interdisziplinäre Ansätze zur augenerhaltenden Therapie des einseitigen Retinoblastoms Petra Temming, Norbert Bornfeld und Dietmar Lohmann Klinik für Erkrankungen des hinteren Augenabschnitts Das Retinoblastom ist ein bösartiger Augentumor des Kindesalters. Es entsteht aus Zellen, die sich normalerweise zu lichtempfindlichen Rezeptorzellen der Netzhaut entwickeln. Da diese Entwicklung schon im frühen Kindesalter abgeschlossen ist, tritt der Tumor vor allem in den ersten beiden Lebensjahren auf. Jedes Jahr erkranken weltweit etwa 9.000, in Deutschland etwa 40 Kinder [1]. Auch heute noch ist die Entfernung des befallenen Auges Goldstandard in der Therapie. Eine verbesserte Früherkennung, der kliniknahe Einsatz molekulargenetischer Untersuchungen sowie die augennahe Verabreichung von Medikamenten sind vielversprechende Ansätze in der Erkennung und Behandlung dieser Krankheit. Die wirksame Früherkennung eines Retinoblastoms ist für den Erhalt des Sehvermögens elementar [2], denn augenerhaltend kann nur behandelt werden, wenn der Tumor noch eindeutig aufs Auge beschränkt und möglichst klein ist. In Deutschland ist das mittlere Diagnosealter in den letzten 35 Jahren deutlich gesunken. Bei Auftreten der Erkrankung sind die meisten Kinder zu jung, um über ein eingeschränktes Sehen zu berichten, daher müssen äußere Anzeichen auffallen, um die Erkrankung zu entdecken. Ungefähr dies Hälfte aller Patientinnen und Patienten mit Retinoblastom wird durch einen weißen Pupillenreflex im Auge erkannt. Dieser ist häufig auf Blitzlichtfotografien statt des Rote-Augen-Reflexes sichtbar und wird als Leukokorie bezeichnet (Abbildung 1). Abbildung 1: Ein Kind mit einer weißen Reflexion in der Pupille. Diese sogenannte Leukokorie ist das häufigste Symptom eines Retinoblastoms. Das zweithäufigste Zeichen eines Retinoblastoms ist die Fehlstellung eines Auges („Schielen“). Leukokorie und Schielen werden bei Säuglingen und Kleinkindern allerdings vielfach nicht bemerkt oder als nicht bedrohlich bewertet. Ein frühes Screening durch Kinder- und Augenärzte sowie die Vermittlung von Information für Eltern betroffener Kinder ist daher ein zentrales Anliegen für die erfolgreiche Behandlung des Retinoblastoms. In einem wissenschaftlichen Projekt werden am Universitätsklinikum Essen gezielt der Diagnoseweg und auftretende Verzögerungen erfasst, um die Früherkennung in Deutschland zu verbessern. Humangenetik Bei den meisten Kindern mit Retinoblastom tritt die Erkrankung in Bezug auf die Familie isoliert auf, das heißt es ist kein an diesem Tumor erkrankter Angehöriger bekannt. Schon 1821 aber wurde beschrieben, dass Retinoblastome familiär gehäuft auf- WTZJournal_0214_flyeralarm_Layout 1 11.07.14 13:17 Seite 5 s c h w e r p u n k t w t z - j o u r n a l treten können. Mit zunehmender Verbesserung der Prognose erreichten ab dem 20. Jahrhundert immer mehr Patientinnen und Patienten das Erwachsenenalter, und es zeigte sich, dass das Retinoblastom autosomal dominant vererbt sein kann. Das erbliche Retinoblastom wird durch Mutationen im Retinoblastomgen (RB) verursacht. In normalen Körperzellen gibt es zwei Kopien dieses Gens. Bei Patienten mit erblichem Retinoblastom ist eine Kopie dieses Gens mutiert und dadurch funktionsuntüchtig. Diese Mutation ist entweder von einem erkrankten Elternteil ererbt oder in einer Keimzelle neu aufgetreten. Zur Tumorbildung kommt es, wenn auch die andere Kopie dieses Gens durch eine weitere Mutation inaktiviert wird. Da ein solcher zweiter Mutationsschritt unabhängig in mehreren Vorläuferzellen auftreten kann, entwickeln sich meist mehrere Tumorherde, die sich auf beide Augen verteilen. Daher zeigen die meisten Patienten mit familiärem Retinoblastom eine beidseitige Erkrankung. Auch bei Patienten mit isoliert beidseitiger Erkrankung liegt eine erbliche Form des Retinoblastoms vor, denn sie tragen in ihren normalen Körperzellen ein mutiertes Retinoblastomgen. Nahezu 60 Prozent der Kinder mit Retinoblastom sind nur einseitig erkrankt und die Erkrankung ist isoliert aufgetreten. Die meisten dieser Kinder (90 %) tragen keine ererbte oder neu aufgetretene Keimbahnmutation im RB-Gen, aber auch bei diesen Kindern sind Mutationen im Retinoblastomgen für die Tumorentwicklung verantwortlich. Im Unterschied zum familiären Retinoblastom tritt bei diesen Kindern die erste Mutation erst im Laufe des eigenen Lebens auf, manchmal schon in der Embryonalzeit. In diesem Fall wird die Mutation an alle Zellen weitergegeben, die von der mutierten embryonalen Zelle abstammen (Mutationsmosaik). Die genaue Abgrenzung der Krankheitsformen ist in Abbildung 2 erläutert. Keimzellen normale Körperzellen Tumorzellen Erbliches Retinoblastom RB RB RB RB RB RB RB RB RB RB RB RB RB RB Mutationsmosaik RB RB Nicht-erbliches Retinoblastom RB RB Abbildung 2: Genetische Grundlagen des Retinoblastoms. In den Tumorzellen sind beide Kopien des Retinoblastomgens (RB) durch Mutationen inaktiviert. Bei Patienten mit erblichem Retinoblastom ist eine Kopie bereits in einer der beiden Keimzellen mutiert. Bei Patienten mit Mutationsmosaik findet die Inaktivierung einer Kopie des Retinoblastomgens während der Embryonalphase statt. Es gibt normale Körperzellen mit und ohne mutiertes Retinoblastomgen. Bei Patienten mit nicht erblichem Retinoblastom tragen die Körperzellen normale Retinoblastomgene. Die Mutationen, die zur Inaktivierung in den Tumorzellen führen, sind auf den Tumor beschränkt. 2 · 2 0 1 4 · 6 . J g Durch molekulargenetische Untersuchungen kann bei den meisten Kindern die genaue genetische Ursache des Retinoblastoms bestimmt werden. So lassen sich unter Patienten mit einseitiger Erkrankung diejenigen mit der erblichen Form der Erkrankung erkennen. Dazu müssen die erste und die zweite RB-Genmutation im Tumor bestimmt und dann normale Körperzellen – zum Beispiel in einer Blutprobe – gezielt auf diese Mutationen untersucht werden. Eine Tumorprobe kann nur bei einer operativen Entfernung des Auges gewonnen werden. Aufgrund der Bemühungen um frühe Diagnose und alternative Therapie kann diese immer öfter vermieden werden. Um dennoch die genetische Ursache der Erkrankung bei möglichst vielen Kindern zu klären, entwickeln wir in einem aktuellen Forschungsprojekt Methoden, die einen Mutationsnachweis auch dann ermöglichen, wenn, wie bei einem Mutationsmosaik, der Anteil der genetischen Veränderung in der untersuchten Probe gering ist. Hierbei kommen neue Sequenzierungsverfahren zum Einsatz, die parallele Analysen von tausenden Sequenzen ermöglichen (next generation sequencing). Unsere ersten Ergebnisse zeigen, dass der Anteil von Patientinnen und Patienten mit einem Mutationsmosaik bislang unterschätzt wurde. Therapie Die Entfernung des Auges wird schon seit dem 19. Jahrhundert zur Behandlung des Retinoblastoms durchgeführt und gilt bis heute als der Goldstandard für die fortgeschrittene Erkrankung. In der Geschichte der augenerhaltenden Therapien spielt die Bestrahlung eine entscheidende Rolle. Schon 1903 wurde über den ersten erfolgreichen Einsatz von Röntgenstrahlen zur Therapie des Retinoblastoms berichtet [3]. In den folgenden Jahrzehnten konnte die Strahlentherapie wesentlich verbessert und die Nebenwirkungen im Bereich des Auges vermindert werden. Als schwere Langzeitnebenwirkung treten jedoch bei Kindern mit beidseitigem Retinoblastom gehäuft bösartige Tumoren im Bestrahlungsgebiet auf [4] und die behandelnden Ärzte müssen diese Langzeitfolgen bei jedem einzelnen Kind gegenüber dem therapeutischen Nutzen abwägen. Chemotherapie als augenerhaltende Therapie für das unilaterale Retinoblastom Die nächste bahnbrechende Veränderung in der Behandlung des Retinoblastoms brachte Mitte der 1990er Jahre der Einsatz der Chemotherapie. Heute ersetzt sie fast vollständig die Bestrahlung in der Erstbehandlung. Die Chemotherapie schrumpft den Tumor im Auge und der Resttumor kann dann unter Vollnarkose durch Vereisung oder Photokoagulation vernichtet werden. Bei der gegen das Retinoblastom eingesetzten Chemotherapie kommen vier Medikamente zum Einsatz. Leider hat auch diese Therapie Nebenwirkungen. Übelkeit und Unwohlsein können durch vorbeugende Medikamente gut gelindert werden, aber ein erhöhtes Infektionsrisiko und Blutarmut in den Wochen nach der Therapie erfordern engmaschige Kontrollen an einem spezialisierten Zentrum für krebskranke Kinder. Da die Kinder ihr ganzes Leben noch vor sich haben, gilt die große Sorge der behandelnden Ärzte den Langzeitfolgen. Erst Jahre nach Einführung 5 WTZJournal_0214_flyeralarm_Layout 1 11.07.14 13:17 Seite 6 s c h w e r p u n k t 6 w t z - j o u r n a l Von James Wardrop über Gerhard MeyerSchwickerath bis zur Klinischen Forschergruppe Ophtalmologische Onkologie und Genetik. Seit der Erstbeschreibung des Retinoblastoms durch den schottischen Chirurgen und Ophthalmologen James Wardrop zu Anfang des 19. Jahrhunderts hat sich in Diagnostik und Therapie Einiges getan. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts lag die Überlebensrate der erkrankten Kinder bei lediglich 17 Prozent. Fortschritte in Diagnostik und OP-Technik – vor allem in Narkose und Wundinfektionsprophylaxe – verbesserten im 20. Jahrhundert die Prognose entscheidend, sodass heute in Deutschland mehr als 95 Prozent der erkrankten Kinder überleben, wenn sie Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung haben. Im Gegensatz zu anderen Tumorerkrankungen im Kindesalter, die fast immer eine systemische Behandlung mit Chemotherapie erfordern, können die meisten an Retinoblastom erkrankten Kinder durch die Entfernung des Auges geheilt werden. Bei vier von zehn erkrankten Kindern tritt das Retinoblastom jedoch nicht nur in einem, sondern gleichzeitig in beiden Augen auf. Kliniker und Wissenschaftler streben daher nach Möglichkeiten, den Tumor zu beseitigen und gleichzeitig das Auge zu erhalten. Eine besondere Bedeutung kam hier schon früh der Bestrahlung zu, die jedoch schwerwiegende Langzeitschäden verursachen kann. In der Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte Gerhard Meyer-Schwickerath in Deutschland die Photokoagulation, eine seinerzeit völlig neue Methode zur Behandlung intraokularer Veränderungen, die auf der Hitzewirkung eines durch die Pupille in das Auge eingebrachten fokussierten Lichtstrahls beruht. Die Photokoagulation wurde sehr erfolgreich zur Behandlung des Retinoblastoms eingesetzt. Nachdem Meyer-Schwickerath 1963 die Leitung der Augenklinik in Essen übernommen hatte, wurde Essen zum nationalen Zentrum für die Behandlung des Retinoblastoms. In diesem Zentrum steht den Patientinnen und Patienten mit Retinoblastom auch heute noch das gesamte Spektrum moderner interdisziplinärer Therapie zur Verfügung. Die beteiligten Fachrichtungen Augenheilkunde, Strahlenheilkunde, pädiatrische Onkologie, diagnostische und interventionelle Radiologie sowie die Humangenetik kooperieren auch auf wissenschaftlicher Ebene als Klinische Forschergruppe Ophthalmologische Onkologie und Genetik. Vor dem Hintergrund der bereits heute sehr guten Überlebensraten besteht das gemeinsame Ziel darin, langfristig das betroffene Auge zu erhalten, das Sehvermögen zu verbessern und Langzeitschäden zu vermeiden. 2 · 2 0 1 4 · 6 . J g der Chemotherapie fürs Retinoblastom können wir diese abschätzen. Durch sorgfältige Nachverfolgung wurden bei einigen Kindern Hörschäden festgestellt, und auch die Chemotherapie kann das Risiko für das Auftreten von späteren Krebserkrankungen erhöhen, allerdings in einem geringeren Maße als die Bestrahlung. Daher muss aus den verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten für jedes Kind mit einem Retinoblastom die individuell passende Therapie ausgewählt werden. Das klinische Register RB-Registry Diese bestmögliche Therapie muss nicht nur an das Alter und die körperlichen Voraussetzungen des Kindes angepasst sein, sondern hängt auch von den Ergebnissen der genetischen Untersuchungen sowie von Lage und Größe des Tumors ab. Die Wahl der passenden Therapie für jedes einzelne Kind soll durch die Auswertung der Daten, die im klinischen Register gesammelt werden, unterstützt werden. Dieses klinische Register wird von der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) unterstützt und am Universitätsklinikum Essen koordiniert. Zunächst wurden in Zusammenarbeit aller beteiligten Disziplinen Leitlinien für die risikoadaptierte Diagnostik und Behandlung des Retinoblastoms in Deutschland und Österreich geschaffen (Abbildung 3). Die systematische Erfassung der Heilungserfolge und aller Nebenwirkungen soll die Wahl der geeigneten Therapie, die Nachsorge und die Beratung der Eltern verbessern. Aufbauend auf diesen Ergebnissen können neue Therapien und Medikamente untersucht und wissenschaftliche Begleitprojekte unterstützt werden. Lokale Gabe von chemotherapeutischen Medikamenten Seitdem die Wirksamkeit von Chemotherapie auf Retinoblastome im Auge nachgewiesen wurde, bemühen sich Ärzte und Wissenschaftler um neue Verabreichungsformen, welche die lokale Chemotherapeutika-Konzentration im Auge erhöhen. Im Rahmen von klinischen Studien werden Medikamente mit unterschiedlichen Erfolgen und Nebenwirkungen direkt in die Augenhöhle oder in den Glaskörper verabreicht. In besonderen Fällen wird die Chemotherapie auch direkt in das Blutgefäß, das die Netzhaut versorgt, gespritzt. Die Arbeitsgruppe von Kaneko setzte diese Technik in Japan bereits seit 1990 erfolgreich ein [5], aber weltweite Aufmerksamkeit erlangte diese intraarterielle Chemotherapie erst 2008, als Abramson und andere in New York das Verfahren modernisierten und damit beachtenswerte Heilungsraten erreichten [6]. Heute findet die Technik in 26 Ländern vor allem nach Versagen der Standardtherapie zum Augenerhalt Verwendung. Da durch den breiten Einsatz dieser erfolgversprechenden Methode mittlerweile auch Nebenwirkungen bekannt werden [7, 8], ist der Einsatz in einigen internationalen Zentren umstritten. Zudem bestehen Bedenken, dass eine beginnende Ausbreitung des Retinoblastoms bei augenerhaltender Therapie übersehen werden kann. Die neuen Therapieverfahren müssen deshalb systematisch in klinischen multizentrischen Studien evaluiert werden, um den Nutzen und die Nebenwirkungen mit den etablierten Behandlungsformen zu vergleichen. Gezielte Chemotherapie beim Retinoblastom Neben der Anpassung der Verabreichungsform könnte die Entwicklung neuer, gezielt wirkender Medikamente zu besseren Behandlungsergebnissen beitragen. Die Inaktivierung beider Kopien des Retinoblas- WTZJournal_0214_flyeralarm_Layout 1 11.07.14 13:17 Seite 7 s c h w e r p u n k t Kleine Tumoren Mittelgroße Tumoren w t z - j o u r n a l Fokale Therapie Photokoagulation Chemotherapie Bestrahlung Fortgeschrittene Tumoren Kryotherapie Brachytherapie Enukleation Abbildung 3: Verfügbare Behandlungsmöglichkeiten in Abhängigkeit von Größe und Lokalisation des Tumors im Auge. Als fokale Behandlungen gelten die Photokoagulation mittels Laser, die Kryotherapie des Tumors und die Brachytherapie, also die lokale Bestrahlung der Tumorregion. tomgens steht am Beginn der Entwicklung aller Retinoblastome [9]. Es kommen in der weiteren Entwicklung dieser Tumoren jedoch noch andere genetische Veränderungen hinzu. Diese betreffen oft das Chromosom 1 [10], Chromosom 6 [11] und Chromosom 16 [12]. Wie genau diese chromosomalen Veränderungen das Wachstum des Tumors beeinflussen ist jedoch weitgehend unbekannt. Die Verfügbarkeit von Hochdurchsatz-Analyseverfahren eröffnet neue Möglichkeiten zur Identifikation von Kandidaten für die gezielte medikamentöse Therapie. Unter Nutzung dieser Technologien untersuchte die Arbeitsgruppe von Michael Dyer genomweite genetische Veränderungen und Unterschiede in Aktivitätsmerkmalen von Genen. Sie identifizierten die so genannte Spleen tyrosine kinase (SYK) als mögliches Ziel [13]. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass es beim Retinoblastom vorwiegend auf 2 · 2 0 1 4 · 6 . J g den Zustand von Aktivitätsmerkmalen (epigenetische Veränderungen) ankommt. Die weitere Aufklärung dieser Zusammenhänge wird das Verständnis der Tumorentstehung des Retinoblastoms verbessern und kann zur Entdeckung weiterer Kandidatengene mit therapeutischer Relevanz führen. Schlussfolgerungen und Ausblicke Es existieren also vielversprechende Ansätze in Diagnostik und Therapie, die den Erhalt von Augen und Sehvermögen ermöglichen. Dazu gehören die Verbesserung der Früherkennung und der kliniknahe Einsatz von molekulargenetischen Untersuchungen. Große Erwartungen knüpfen sich an die Entwicklung neuer operativer Techniken zur augennahen Gabe von Chemotherapie. Eine systematische Nachsorge muss die Heilungserfolge, die Nebenwirkungen und den Einfluss einer zeitlich intensiven augenerhaltenden Therapie auf die Lebensqualität im Vergleich zum Verlust eines Auges erfassen. Vor allem darf der zunehmende Einsatz von augenerhaltenden Therapien keinesfalls zu einem Anstieg der metastasierten Retinoblastome und damit zu einem Anstieg der Sterblichkeit führen. Die Verbesserung von Diagnostik und Behandlung des Retinoblastoms ist weiterhin eine große Herausforderung, der sich Ärzte und Wissenschaftler zusammen mit den Patienten und ihren Familien und mit Unterstützung von vielen Seiten stellen. Literatur auf Anfrage. Schreiben Sie eine E-Mail an [email protected] Diesen Beitrag haben wir – redaktionell leicht bearbeitet – mit freundlicher Genehmigung aus der Schriftenreihe UNIKATE, Ausgabe 42, übernommen (https:// www.uni-due.de/ unikate). Alle Behandlungsprogramme im Überblick Programm 1: Tumorerkrankungen des Magen-Darm-Traktes (Westdeutsches Magen-Darm-Zentrum) Kontakt: Dr. S. Kasper Innere Klinik (Tumorforschung) Telefon: 0201-723-2039 Mail: [email protected] Programm 2: Tumorerkrankungen der Lunge und der Thoraxorgane (Lungenkrebszentrum am Westdeutschen Tumorzentrum) Kontakt: Dr. W. Eberhardt Innere Klinik (Tumorforschung) Telefon: 0201-723-3131 Mail: [email protected] Programm 3: Hämatologische Onkologie (Leukämien, Lymphome und Myelome) Kontakt: Prof. Dr. U. Dührsen Klinik für Hämatologie Telefon: 0201-723-2417 Mail: [email protected] Programm 4: Gynäkologische Tumoren Kontakt: Prof. Dr. R. Kimmig, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Telefon: 0201-723-2441 Mail: [email protected] Programm 5: Neuroonkologie Kontakt: Prof. Dr. U. Sure Klinik für Neurochirurgie Telefon: 0201-723-2804 Mail: [email protected] Programm 6: Urologische Tumoren Kontakt: Prof. Dr. Dr. h. c. H. Rübben Klinik für Urologie Telefon: 0201-723-3211 Mail: [email protected] Programm 7: Pädiatrische Hämatologie/Onkologie Kontakt: komm. Prof. Dr. B. Kremens Zentrum für Kinder und Jugendmedizin, Klinik für Kinderheilkunde III Telefon: 0201-723-2503 E-Mail: [email protected] Programm 8: Hauttumoren Kontakt: Prof. Dr. D. Schadendorf Klinik für Dermatologie Telefon: 0201-723-2430 Mail: [email protected] Programm 9: Endokrine Tumoren Kontakt: Prof. Dr. Dr. D. Führer-Sakel Klinik für Endokrinologie und Zentrallabor, Bereich Forschung und Lehre Telefon: 0201-723-2821 Mail: [email protected] Programm 10: Kopf-/Hals-Tumoren Kontakt: Prof. Dr. S. Lang Klinik für HNO-Heilkunde Telefon: 0201-723-2481 Mail: [email protected] Programm 11: Augentumoren Kontakt: Prof. Dr. K.-P. Steuhl Zentrum für Augenheilkunde Erkrankungen des vorderen Augenabschnitts Telefon: 0201-723-2375 E-Mail: [email protected] Prof. Dr. N. Bornfeld Zentrum für Augenheilkunde Erkrankungen des hinteren Augenabschnitts Telefon: 0201-723-3568 E-Mail: [email protected] Programm 12: Knochen- und Weichteiltumoren Kontakt: Prof. Dr. S. Bauer Innere Klinik (Tumorforschung) Telefon: 0201-723-2112 E-Mail: [email protected] Programm 13: Knochenmarktransplantation Kontakt: Prof. Dr. D. W. Beelen Klinik für Knochenmarktransplantation Telefon: 0201-723-3136 Mail: [email protected] Programm 14: Primäre Tumoren der Leber (Lebertumor-Centrum am WTZ) Kontakt: Prof. Dr. G. Gerken, Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie Telefon: 0201-723-3611 Mail: [email protected] 7 WTZJournal_0214_flyeralarm_Layout 1 11.07.14 13:17 Seite 8 i n t e r v i e w w t z - j o u r n a l 2 · 2 0 1 4 · 6 . J g „Man muss heute informierter sein, um Präsentationen kritisch bewerten zu können.“ 8 Professor Dr. Martin Schuler zur ASCO-Jahrestagung 2014 und zur personalisierten Medizin Vor ziemlich genau vier Jahren haben wir an dieser Stelle mit Professor Martin Schuler über die Entwicklungen in der personalisierten Medizin gesprochen. Kurz nach der ASCO-Jahrestagung 2014 haben wir den Direktor der Inneren Klinik (Tumorforschung) wieder gebeten, zu aktuellen Entwicklungen Stellung zu beziehen. Läuft man angesichts von 25 000 Teilnehmern bei der ASCO-Jahrestagung nicht Gefahr, einem bloßen Hype zu erliegen? Wie soll man sich da orientieren können? Sie haben richtigerweise von 25 000 Teilnehmern gesprochen, es waren ja auch schon mal 32 000. Ich habe den Eindruck, dass die Tagungen ein wenig kleiner werden. Das hat mit den verschärften Transparenzbedingungen zu tun, die dazu führen, dass man nicht mehr mal eben auf Kosten der pharmazeutischen Industrie nach Chicago fliegen kann. Mit den zurückgehenden Teilnehmer-Zahlen ist es für die Organisatoren aus meiner Sicht immer wichtiger geworden, die Wissenschaftlichkeit der Tagung aufrechtzuerhalten, ohne sie in den Dienst von Marketing oder Lobbyarbeit zu stellen. Was meinen Sie konkret? Speziell in diesem Jahr war deutlich spürbar, dass mit den großen Plenarsitzungen auch politische Signale gesetzt werden sollten. Denn dort wurden ausgesprochen viele staatlich geförderte Programme präsentiert. Nationale Forschungspolitik ist wichtig, sie darf aber keinen höheren Stellenwert haben als die Qualität der Forschung. Die muss letzten Endes entscheidend sein. Fühlen oder fühlten Sie sich manipuliert? (lacht) Nein, ich persönlich nicht. Aber man muss heute informierter sein als früher, um kritisch bewerten zu können, was man da präsentiert bekommt. Bei aller Begeisterung für positive Studienergebnisse muss man sich fragen: Nutzt das meinen Patienten? Dann lassen Sie uns konkreter werden: Welche Erkenntnisse werden den Nutzen für Patienten mit NSCLC erhöhen? Ganz sicher die zur Wirksamkeit von Afatinib bei Lungenkrebspatienten, bei denen eine bestimmte aktivierende EGFR-Mutation festgestellt wurde. Die ist doch auch Voraussetzung für die Wirkung von Gefitinib und Erlotinib. Ja, das war auch der Stand des Wissens bei unserem Gespräch vor vier Jahren. Wir wussten damals, dass eine aktivierende EGFR-Mutation – die bei etwas 10 bis 15 Prozent der Patienten mit NSCLC auftritt – Voraussetzung ist für die Wirkung dieser beiden Tyrosinkinase-Inhibitoren. Heute ist klar, dass es unterschiedliche Arten dieser aktivierenden Mutationen gibt. Drei große Gruppen unterscheidet man: Etwa die Hälfte der Patienten mit aktivierender Mutation haben eine Deletion im Exon 19 des Tumorgenoms. Bei etwa 40 Prozent kommt es zu einer Mutation im Exon 21, die zu einem Aminosäureaustausch führt, und bei den restlichen 10 Prozent handelt es sich um seltene Mutationen in verschiedenen Exonen. Und was hat das nun mit Afatinib zu tun? Patienten mit einer Deletion im Exon 19 sprechen auf die Erstlinientherapie mit Afatinib besonders gut an. Das sind Ergebnisse einer in Chicago präsentierten gepoolten Analyse der LUX-Lung-3- und der LUX-Lung-6-Studie. Die Patienten erhielten entweder Afatinib oder eine platinhaltige Chemotherapie. In der Gruppe der Afatinib-Behandelten war das mittlere Ge- samtüberleben um nahezu zwölf Monate verlängert. Und das bei fortgeschrittenem nicht kleinzelligem Lungenkrebs. Das heißt die personalisierte Therapie wird immer kleinteiliger? Ja, das Prinzip der biomarkergestützten Behandlung hat sich weiter bestätigt. Die Gruppen werden zwar kleiner, die erreichbaren Effekte aber auch größer. Ein weiteres Beispiel in dieser Richtung ist der ALK-Inhibitor Crizotinib. Über den haben wir zumindest ansatzweise auch vor vier Jahren schon geredet. Bei etwa 2 Prozent der NSCLC-Patienten finden sich innerhalb des Gens, das für die anaplastische Lymphomkinase (ALK) kodiert, Translokationen. Bei Patienten mit diesen ALK-Translokationen wirkt Crizotinib besonders gut und ist deshalb mittlerweile zugelassen für die Rezidivbehandlung. Bei der ASCO-Jahrestagung konnte nun erstmalig gezeigt, werden, dass Crizotinib im Vergleich zur Chemotherapie in der Erstbehandlung zu einer deutlich verbesserten Krankheitskontrolle führt. Daten zum Gesamtüberleben gibt es noch nicht. Angesichts der sich abzeichnenden guten Ergebnisse ist aber zu erwarten, dass Crizotinib auch zur Erstlinienbehandlung zugelassen wird. Ist Crizotinib der einzige ALK-Inhibitor? Nein, in den USA ist mittlerweile bereits Ceritinib zugelassen, das ein noch potenterer und spezifischer wirksamer ALK-Inhibitor ist. Ceritinib wirkt auch noch bei vielen Patienten, bei denen Crizotinib nicht mehr wirkt. Das ist das Ergebnis einer Phase-I-Studie mit etwa 250 Patienten, an der wir auch teilgenommen haben. Die FDA hat Ceritinib wie gesagt in einem beschleunigten Verfahren bereits zugelassen, bei der europäischen EMA ist die Zulassung beantragt. Patienten aus Europa, bei denen Crizotinib nicht mehr wirkt, können sich an wenigen Zentren an einem Ceritinib- WTZJournal_0214_flyeralarm_Layout 1 11.07.14 13:17 Seite 9 i n t e r v i e w Zugangsprogramm beteiligen – auch am Westdeutschen Tumorzentrum in Essen. Auch die vom malignen Melanom bekannten B-RAF-Mutationen scheinen beim Lungenkrebs eine Rolle zu spielen. Ja, bei etwa 3 bis 3,5 Prozent der Patienten ist eine B-RAF-Mutation nachweisbar, und es gibt erste Hinweise, dass Dabrafenib, das für die Melanombehandlung letztes Jahr zugelassen wurde, auch hier wirksam ist. Entsprechende Studien laufen aber noch. Lassen Sie uns über die Entwicklungen beim Mammakarzinom reden. Vor vier Jahren galten die PARP-Inhibitoren als große Hoffnung, beispielsweise für Frauen mit tripelnegativem Mammakarzinom. Da ist Ernüchterung eingekehrt, oder? Das muss man im Zusammenhang sehen. Ganz viel zur Ernüchterung beigetragen hat Iniparib, die Substanz, bei der sich im Nachhinein herausstellte, dass sie gar kein PARP-Inhibitor ist. Aber das Prinzip ist nach wie vor genial: Bei Patientinnen mit BRCA1- und -2-Mutationen im Tumorgenom haben Tumorzellen bereits einen Defekt, der die – normalerweise unproblematische – Reparatur von Einzelstrang-DNS erschwert. PARP-Inhibitoren blockieren ein zweites Reparatursystem, wodurch Einzelstrangbrüche und – nach der nächsten Zellteilung – auch Doppelstrangbrüche nicht mehr repariert werden können. Konsequenz: Die Tumorzelle stirbt ab. Das ist die faszinierende Theorie. Gibt es klinische Ergebnisse? Nicht in Bezug auf das Mammakarzinom, aber für das Ovarialkarzinom wurden dazu auf der ASCO-Jahrestagung gute Daten präsentiert. In der Zweitlinienbehandlung von Patientinnen, die grundsätzlich platinsensibel waren, ließ sich die Erkrankung vergleichsweise gut auch mit einer PARPMonotherapie kontrollieren. Man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein. Bei all den Fortschritten in der Therapie von Patientinnen mit Mammakarzinom spielt auch in der personalisierten Therapie das Thema Resistenz eine Rolle. Gab es dazu etwas Neues? Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der mTOR-Inhibitor Everolimus eine Resistenz gegenüber antihormoneller Therapie überwinden kann. Dazu gibt es ja mittlerweile auch eine Zulassung. In Chicago wurde in diesem Jahr außerdem ein vielversprechender Inhibitor der Phospha- w t z - j o u r n a l tidylinositol-3-Kinase, also ein PI3K-Inhibitor vorgestellt. Buparlisib befindet sich noch in früher klinischer Entwicklung und kann offenbar Resistenzen antihormoneller Therapeutika, aber auch die von Trastuzumab und Everolimus überwinden. Es werden vielversprechende Remissionen und Krankheitsstabilisierungen gesehen. Ich bin sicher, da kommt in den nächsten Jahren noch mehr. Bei unserem ASCO-Schnelldurchlauf kommen wir nun zu den gastrointestinalen Tumoren. Was gab es dort Neues? Es gibt kaum etwas über neue Substanzen zu berichten; vielmehr wurde klar, dass nicht mehr nur K-RAS allein, sondern auch N-RAS für die Prädiktion der Wirkung von EGFR-Antikörpern wichtig ist. K-RAS-Mutationen im Kodon 12 oder 13 sind negative Prädiktoren für die Anti-EGFR-Therapie mit Cetuximab oder Panitumumab. Das wussten wir auch schon vor vier Jahren. Dann hat man sich das restliche K-RAS-Gen und auch das N-RAS-Gen angeschaut – und nun wissen wir, dass Mutationen dort ebenfalls negative Prädiktoren sind. Wenn man alle bislang bekannten K-RAS- und N-RAS-Mutationen zusammen nimmt, dann kommen wir auf mehr als 50 Prozent aller Patienten mit kolorektalem Karzinom. Und bei denen macht eine Behandlung mit Anti-EGFR-Antikörpern wie Cetuximab und Panitumumab keinen Sinn. Diese Erkenntnisse haben die Zulassungsbehörden in Europa auch berücksichtigt: Vor einer medikamentösen Behandlung müssen Pathologen nun zunächst den gesamten KRAS- und N-RAS-Status prüfen. Umgekehrt heißt das aber, dass nun auch Patienten – eben solche mit Wildtyp-RAS – identifizierbar sind, bei denen eine AntiEGFR-Strategie besonders erfolgversprechend ist. So ist es. Und in der deutschen FIRE-3- und in der US-amerikanischen PEAK-Studie ist geprüft worden, ob diese Anti-EGFR- oder möglicherweise eine Anti-VEGF-Strategie in Kombination mit Chemotherapie besonders wirksam ist. Die FIRE-3-Studie hat eine FOLFIRI-Chemotherapie kombiniert mit Cetuximab oder Bevacizumab, und das selbstverständlich ausschließlich bei Patienten mit Wildtyp-RAS-Tumoren. Es stellte sich heraus, dass die Anti-EGFR-Strategie tatsächlich erfolgreicher ist: Die Kombination mit Cetuximab führt gegenüber der Kombination mit Bevacizumab zu einem Überlebensvorteil. Die US-amerikanische PEAK-Studie kommt zu einem 2 · 2 0 1 4 · 6 . J g ähnlichen Ergebnis: In dieser Phase-II-Studie mit etwa 250 Patienten erwies sich die Kombination Panitumumab plus FOLFOX gegenüber Bevacizumab plus FOLFOX als wirksamer. Das sind jetzt aber keine Daten vom diesjährigen ASCO? Nein, aber vor diesem Hintergrund wurde bei der ASCO-Jahrestagung die riesige CALGB/SWOG-80405-Studie mit über 1 000 Patienten präsentiert. Auch hier wurde die Kombination der – frei wählbaren – Chemotherapie mit Cetuximab einerseits und Bevacizumab andererseits untersucht. Auf den ersten Blick ergab sich hinsichtlich des Gesamtüberlebens – eben anders als bei FIRE-3 und PEAK – kein signifikanter Unterschied. Man muss allerdings genauer hinschauen, dann sieht man, dass in dieser Auswertung nur nach K-RAS-Mutationen in den Kodons 12 und 13 unterschieden wurde. Das heißt K-RASMutationen in Kodon 61 und alle N-RASMutationen wurden gar nicht berücksichtigt. Ich will nicht prophetisch klingen, aber es kann erwartet werden, dass sich, wenn man diese Mutationen heraussortiert, auch in dieser großen Studie ein Vorteil für die Anti-EGFR-Strategie ergeben wird. Ich rechne damit, dass wir diese Analyse auf einem der nächsten großen Kongresse präsentiert bekommen. Diese Erkenntnis dürfte sich dem „einfachen“ ASCO-Jahrestagungsbesucher nicht von allein erschlossen haben. Das mag sein; deshalb ist es wichtig, sich bei der Beurteilung von Daten auf mehrere Quellen zu stützen. Als Westdeutsches Tumorzentrum haben wir da sicher den Auftrag, Fort- und Weiterbildung so zu organisieren, dass die entsprechenden Erkenntnisse sicher in der klinischen Praxis ankommen. Deshalb machen wir beispielsweise Jahr für Jahr kurz nach der ASCOJahrestagung eine Veranstaltung, bei der wir die Highlights von den jeweiligen Experten ihres Fachs verständlich präsentieren lassen. Und mit Unterstützung dieser Experten wird das WTZ-Journal im September eine Schwerpunktausgabe zur ASCO-Jahrestagung herausbringen. Dafür, Herr Professor Schuler, und für dieses Gespräch danke ich Ihnen herzlich. 9 WTZJournal_0214_flyeralarm_Layout 1 11.07.14 13:17 Seite 10 k u r z u n d k n a p p w t z - j o u r n a l 2 · 2 0 1 4 · 6 . J g kurz knapp & 10 Pomalidomid (Imnovid®) Seit Anfang August 2013 ist der Immunmodulator Pomalidomid in Europa in Kombination mit Dexamethason zur Behandlung von Patienten mit Multiplem Myelom zugelassen. Pomalidomid kommt bei erwachsenen Patienten zum Einsatz, die sich mindestens zwei vorausgegangenen Therapien, unter anderem mit Lenalidomid und Bortezomib, unterzogen haben, und deren Erkrankung sich dennoch verschlimmert hat. Unser Experte PD Dr. Jan Dürig leitet im WTZ das Behandlungsprogramm Multiples Myelom. Er ist Oberarzt in der Klinik für Hämatologie und porträtiert das Präparat. 1. Wie wirkt Pomalidomid? Pomalidomid ist ein neuartiger Immunmodulator (IMiD), dessen chemische Struktur eine große Ähnlichkeit zur klinisch bereits gut etablierten Vorläufersubstanz Lenalidomid aufweist [1]. In präklinischen Studien konnte eine verbesserte Anti-Myelom-Wirksamkeit dieses Präparats im Vergleich zu Thalidomid und Lenalidomid gezeigt werden [2]. Der komplexe molekulare Wirkmechanismus konnte bislang trotz intensiver Forschungsbemühungen noch nicht abschließend geklärt werden. Aus klinischer Sicht ist bedeutsam, dass sich der therapeutische Effekt von Pomalidomid durch die kombinierte Anwendung mit Dexamethason deutlich steigern lässt [3]. 2. Wie groß ist der zu erwartende Nutzen für Patienten? In der kürzlich von Miguel et al. in Lancet Oncology [4] publizierten zulassungsbegründenden offenen multizentrischen Phase-III-Studie wurde die Wirksamkeit von Pomalidomid in einer täglichen Dosierung von 4 mg (Tag 1 bis 21, alle 28 Tage) in Kombination mit niedrig dosiertem Dexamethason (LoDex; 40mg/die; Tag 1, 8, 15 und 22, n=302) mit einer Monotherapie mit hoch dosiertem Dexamethason (HiDex; 40 mg/die; Tage 1-4, 9-12 und 17-20, n=153) in der Drittlinienbehandlung des Multiplen Myeloms verglichen. Bei Patienten >75 Jahren wurde die Dexamethasondosis in beiden Armen aufgrund des in Vorarbeiten beobachteten gesteigerten Infektionsrisikos halbiert. Die Behandlung wurde kontinuierlich bis zum Progress der Grunder- krankung durchgeführt. Die Auswertung der Studie nach einer medianen Beobachtungszeit von 10 Monaten zeigte einen signifikanten Vorteil der Kombinationstherapie mit Pom/LoDex hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens gegenüber der bisherigen Standardtherapie mit HiDex. Die Behandlung im experimentellen Arm der Studie wurde von der Mehrzahl der Patienten gut vertragen. Als wesentliche Grad-3/4-Nebenwirkungen wurden eine Neutropenie (48% vs. 16% Pom/LoDex vs. HiDex) und eine Anämie (33% vs. 37%) beobachtet, die in vergleichbarer Ausprägung auch bei einer Behandlung mit Len/Dex auftritt. Interessanterweise war das vermehrte Auftreten von Neutropenien im Pom/LoDexArm nicht mit einer erhöhten Infektionsrate assoziiert. Eine Subgruppenanalyse ergab eine vergleichbare Wirksamkeit von Pom/LoDex in allen untersuchten Gruppen inklusive Patienten mit zytogenetischen Hochrisikoveränderungen und Refraktärität gegenüber einer Vorbehandlung mit Lenalidomid bzw. Lenalidomid und Bortezomib. 3. Welche Besonderheiten sind bei der Therapie mit Pomalidomid zu beachten? Die Auflagen für Verordnung von IMiDs sind zu befolgen, Pomalidomid kann nur mit Hilfe eines Sonderrezeptes (T-Rezept) verordnet werden. In Analogie zum Vorgehen bei der Behandlung mit Lenalidomid ist die strikte Einhaltung eines Schwangerschaftsverhütungsprogramms zu beachten und entsprechend zu dokumentieren. Wichtige Unterlagen zur Einleitung einer Therapie mit Pomalidomid (Entscheidungsbaum für Therapiebeginn, Checklisten für Patientenerklärung, Einverständniserklärung, Therapiepass u. a.) können unter [email protected] angefordert werden. Bezüglich der Details von Anwendung, Begleittherapie (memo Antikoagulation) und Aspekten der Dosisanpassung wird auf die Angaben in der Fachinformation verwiesen 4. Wie hoch sind die Therapiekosten? Laut Roter Liste betragen die Kosten monatlich nahezu 13 000 Euro. Zusammenfassende Kurzbewertung Die kombinierte Gabe von Pomalidomid und LoDex ist eine wichtige neue Option für die Drittlinienbehandlung des MM. Ein Vorteil ist die orale Applikation des Medikaments und die gute Verträglichkeit. Das therapeutische Ansprechen bei Patienten mit einer Refraktärität für eine vorangegangene Behandlung mit Lenalidomid (+/- Bortezomib) unterstreicht den innovativen Charakter und klinischen Wert dieser Substanz. Die im Rahmen der Zulassungsstudie beobachtete Verbesserung des PFS um 2 Monate im Vergleich zur HiDex Standardtherapie (4,0 vs. 1,9 Monate) ist allerdings als moderat einzuschätzen. Literatur auf Anfrage. Schreiben Sie eine E-Mail an [email protected] WTZJournal_0214_flyeralarm_Layout 1 11.07.14 13:18 Seite 11 k u r z u n d k n a p p w t z - j o u r n a l 2 · 2 0 1 4 · 6 . J g Trastuzumab Emtansin (Kadcyla®) Mitte November 2013 ist das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Trastuzumab-Emtansin in Europa zur Behandlung von Patientinnen mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs zugelassen worden. Das Präparat kommt bei Patientinnen zum Einsatz, deren Karzinom HER2-positiv ist und die zuvor bereits Trastuzumab (Herceptin®) und ein Taxan erhalten haben. Unsere Expertin Dr. Anja Welt ist Oberärztin an der Inneren Klinik (Tumorforschung) am Universitätsklinikum Essen. Als Spezialistin für das fortgeschrittene Mammakarzinom porträtiert sie für uns Trastuzumab-Emtansin. 1. Wie wirkt Trastuzumab-Emtansin? Der monoklonale Antikörper Trastuzumab ist bei Patientinnen mit HER2-positiven Tumoren bereits seit Jahren erfolgreich im Einsatz. Er bindet am HER2Rezeptor, der sich vermehrt an der Oberfläche der Brustkrebszellen finden kann. So aktiviert Trastuzumab Zellen des Immunsystems, die dann die Krebszellen besser erkennen und abtöten können. Weiterhin wird eine unerwünschte Aktivierung der Tumorzelle, also ihre Teilung und damit das Wachstum des Tumors verhindert. Ein Nachweis des vermehrt vorhandenen HER2-Rezeptors findet sich bei knapp einem Viertel aller Brustkrebserkrankungen. Diese Frauen kommen für die Therapie in Frage, bei anderen ist sie nicht wirksam. Bei Kadcyla® ist nun an den bekannten Antikörper ein Chemotherapeutikum (Emtansin) gebunden worden, welches erst dann wirksam wird, wenn es in die Krebszelle inkorporiert wird. Emtansin bindet in der Zelle dann Tubulin, ein Zellprotein, das für die Zellteilung wichtig ist. Durch die Bindung an Tubulin in den Krebszellen stoppt Emtansin (DM1) die Bildung dieses „inneren Skeletts“ der Zelle und verhindert so Zellteilung und damit das Tumorwachstum. 2. Wie groß ist der zu erwartende Nutzen für die Patientinnen? Das Medikament stellt eine echte Innovation dar, sodass es bei Präsentation der entscheidenden Daten beim Amerikanischen Krebskongress 2012 mit den von Paul Ehrlich visionär vorhergesagten magic bullets verglichen wurde. Die EMILIA-Studie verglich die Wirkung von Kadcyla® mit der ansonsten üblicherweise nach Vorbehandlung zum Einsatz kommenden Kombination von Capecitabin (Xeloda®) und Lapatinib (Tyverb®). Dabei konnte verglichen zur Standardtherapie sowohl eine knapp 6-monatige Verlängerung des krankheitsfreien Überlebens als auch eine statistisch signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens um gut drei Monate erreicht werden. Diese Ergebnisse haben in der Fachwelt für Aufsehen gesorgt, weil sich derart deutliche Unterschiede im Vergleich zu einer ebenfalls wirksamen Therapie selten nur durch eine Studie herausarbeiten lassen 3. Gibt es Patientengruppen, bei denen das Präparat besonders gut wirkt? In der Studie wurden nur Patientinnen mit Kadcyla® behandelt, deren Tumoren eine deutliche Überexpression des HER2Rezeptors aufwies. Dies wird durch den Pathologen getestet, der hierfür entweder Gewebe des ursprünglichen Mammakarzinoms oder aber aus einer Metastase an archiviertem Tumormaterial verwenden kann. Diese Testung kann mit konventionellen Methoden oder aber – sofern nötig – mit molekulargenetischen Untersuchungen (FISH/CISH) erfolgen. 4. Was müssen verabreichende Ärzte besonders beachten? Eine wie oben beschriebene HER2-Testung muss vorliegen und es sollte eine Behandlung mit einem Taxan (z. B. Paclitaxel oder Docetaxel) und dem Antikörper Trastuzumab (Herceptin®) bereits erfolgt sein. Es sollte außerdem keine stark verschlechterte Leberfunktion bestehen. 5. Welche unerwünschten Nebenwirkungen sind zu erwarten? Zu nennen ist eine Erhöhung der Leberwerte, speziell der Enzyme GOT und GPT, wobei dies meist „nur“ bei der Bluttestung auffällt, ohne dass sich für die Patientin hieraus Nachteile ergeben. Ebenfalls möglich ist eine Verminderung der Thrombozyten, welche ebenfalls bei regelmäßigen Blutbildkontrollen erfasst wird. 6. Wie lange muss das Präparat angewandt werden? Kadcyla® wird so lange angewandt, wie sich eine Besserung der Brustkrebserkrankung oder zumindest eine Stabilisierung des Verlaufs nachweisen lässt. Erst wenn eine Verschlechterung (z. B. Größenzunahme von Metastasen im Ultraschall oder Computertomogramm) oder aber inakzeptable Nebenwirkungen auftreten, soll die Behandlung beendet werden. 7. Wie hoch sind die Therapiekosten? Die Therapiekosten betragen pro Anwendung, die alle 3 Wochen erfolgt, etwa 6 500 Euro. Zusammenfassende Kurzbewertung Das neuartige Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Kadcyla® stellt eine echte Innovation für Patientinnen mit fortgeschrittenem HER2-positivem Mammakarzinom dar, was unser Behandlungsspektrum deutlich erweitert. Obwohl die Therapie sehr wirksam ist und sogar ein relevanter Überlebensvorteil nachweisbar war, wird die Substanz gut vertragen und löst üblicherweise keinen Haarausfall aus. Für 20-25% der Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs kommt diese Behandlung nach Vortherapie mit Herceptin® und einem Taxan in Frage. 11 WTZJournal_0214_flyeralarm_Layout 1 11.07.14 13:18 Seite 12 GD: AP 39513 g Jetz t zu gela ssen Der neue BRAF-Inhibitor ® Dabrafenib ist angezeigt zur Monotherapie von erwachsenen Patienten mit BRAFV600-Mutation-positivem nicht-resezierbarem oder metastasiertem Melanom1 Tafinlar® verlängert signifikant das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) auf 6,9 Monate1 TAFINLAR® Monate (Median) Hazard Ratio (95% KI) DTIC 6,9 2,7 (95% KI; 5,2; 9,0) (95% KI; 1,5; 3,2) 0,37 (95% KI; 0,24; 0,58) p<0,0001 6.9 Monate Medianes PFS mit Tafinlar Datenschnitt 25. Juni 2012 Für eine vollständige Auflistung der Kontraindikationen, Warnhinweise und Nebenwirkungen siehe Fachinformation. Wirkstoff: Dabrafenib Zusammensetzung: Eine 50 mg-bzw. 75 mg-Hartkapsel enthält Dabrafenibmesilat, entsprechend 50 mg bzw. 75 mg Dabrafenib. Sonstige Bestandteile: Mikrokristalline Cellulose, Magnesiumstearat, kolloidales Siliciumdioxid, Eisen(III)-oxid (E172), Titandioxid (E171), Hypromellose (E464), Eisen(III)-oxid-hydroxid (E172), Schellack, Propylenglykol. Anwendungsgebiete: Monotherapie von erwachsenen Patienten mit BRAF-V600Mutation-positivem nicht-resezierbarem oder metastasiertem Melanom. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Nebenwirkungen: Sehr häufig: Hyperkeratose, Hautausschlag, Papillom, palmar-plantares Erythrodysästhesie-Syndrom, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, verminderter Appetit, Schüttelfrost, Fatigue, Asthenie, Pyrexie, Arthralgie, Myalgie, Schmerzen in den Extremitäten, Husten, Haarausfall. Häufig: Verstopfung, grippeartige Erkrankung, Hypophosphatämie, Hyperglykämie, LVEF-Verringerung, Hautveränderungen (Plattenepithelkarzinom, seborrhoische/aktinische Keratose, Akrochordon, Basalzellkarzinom, trockene Haut, Pruritus, Hautläsion, Erythem). Gelegentlich: Uveitis, Pankreatitis, Pannikulitis, Überempfindlichkeit, neue Melanome, Nierenversagen, Nephritis, Herzrhythmusstörungen. Warnhinweise: Arzneimittel für Kinder unzugänglich aufbewahren. Behältnis enthält Trockenmittel, nicht entfernen oder verzehren. Verschreibungspflichtig. Stand: September 2013. GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG, 80700 München. www.glaxosmithkline.de Weitere Informationen über das Arzneimittel: Dosierung und Art der Anwendung: Die empfohlene Dosis von Dabrafenib beträgt 150 mg (zwei 75 mg-Kapseln) zweimal täglich (entsprechend einer Tagesgesamtdosis von 300 mg). Dabrafenib sollte mindestens eine Stunde vor oder mindestens zwei Stunden nach einer Mahlzeit eingenommen werden, mit einem Abstand von ungefähr 12 Stunden zwischen beiden Dosen. Weitere Warnhinweise laut Fachinformation: Pyrexie, kutanes Plattenepithelkarzinom, neue primäre Melanome, nichtkutane sekundäre/rezidivierende maligne Erkrankungen, Nierenversagen, Uveitis, Pankreatitis, QT-Verlängerung. Vorsicht bei gleichzeitiger Gabe von Medikamenten, die CYP2C8 oder CYP3A4 beeinflussen, Substrate von bestimmten metabolisierenden Enzymen oder Transportproteinen sind oder den pH-Wert des Magens erhöhen, oder bei gleichzeitiger Gabe von Warfarin oder Digoxin. Weitere Informationen siehe Fachinformation. Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer Erkenntnisse über die Sicherheit. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Abt. Pharmakovigilanz, Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, D-53175 Bonn, Website: www.bfarm.de zu melden. DE/MEK/0001/14 (1) 04/2014 Tafinlar® Quelle: 1 Fachinformation Tafinlar®, Stand Februar 2014. Tafinlar_Advert_210x297+3_GRM-2014-5478_D1_updated.indd 1 6/2/2014 7:11:16 PM