Aktuelles aus der Urinanalytik

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AUS DEM LABOR
Wesentliche Analysen
Aktuelles aus der Urinanalytik
Der Beitrag konzentriert sich auf neuere Entwicklungen, die
von Interesse für den Arzt sein dürften. Er ist kein Abriss der
Urinanalyse, sondern ein Aufruf zur Konzentration auf das
Wesentliche.
Dr. phil. Peter Hagemann
Schaffhausen
D
er erste Morgenurin, frühestens vier Stunden nach der letzten Blasenentleerung gewonnen, wird für qualitative Tests (Screening)
sowie bakterielle Untersuchungen empfohlen. Für quantitative Bestimmungen ist der zweite Morgenurin optimal. Postprandialer Urin wird
zwei Stunden nach einer kohlehydratreichen Mahlzeit gewonnen und
eignet sich für den Nachweis von Glucose. Spontanurin zu irgendeiner
Tageszeit sollte für Notfallnachweise (z.B. Toxikologie) vorbehalten bleiben. Urin zu sammeln und zu konservieren sollte vermieden werden,
auch wenn noch viele Einsendelabors dies vorschreiben. Abgesehen von
der Unbequemlichkeit für den Patienten und dem Zeitverzug bis zum
Resultat sind die Fehlerquellen mannigfaltig: Zeitbestimmung, Vollständigkeit, Volumenmessung, Konservierungsmittel, gleichzeitige Defäkation. Zur Quantifizierung empfiehlt sich die gleichzeitige Bestimmung
einer vom Volumen unabhängigen Bezugsgrösse, deren tägliche Ausscheidung konstant ist, in der Regel Kreatinin (1, Seite 131).
Die Uringewinnung erfolgt in der Arztpraxis in der Regel als Mittelstrahlurin unter vorgängiger Instruktion des Patienten. Verwendet wird
ausschliesslich kommerziell erhältliches Einwegmaterial, vorzugsweise
aus Polypropylen. Auffällige Farbe oder Geruch werden protokolliert.
Der Transport in ein Einsendelabor erfolgt möglichst bald, lichtgeschützt
und gekühlt, ohne Konservierungsmittel. Nach wie vor eine erhebliche
Fehlerquelle ist dabei eine unsorgfältige Patientenidentifikation.
Analytik im Praxislabor
„Urinstatus“ ist nicht ein Laborritual, sondern der Einstieg in einen
diagnostischen Pfad. Es wird empfohlen, als erste Stufe den Teststreifen einzusetzen (1, Seite 137 ff), wobei die Packungsvorschrift exakt
zu beachten ist (z.B. Streifen 1 s ganz eintauchen). Die Analyse muss
binnen zwei Stunden nach der Uringewinnung erfolgen, weil nach
vier Stunden alles Hämoglobin in Hämiglobin umgewandelt ist, das
nicht reagiert. Sind Leukozyten, Nitrit, Blut und Proteine negativ, liegt
mit grosser Sicherheit kein Infekt vor (2, Seite 64). Einschränkungen
der Teststreifen sind: Starke Eigenfarbe der Probe stört. Bei manchen
Herstellern können Blut- und Glucosetests durch hohe Dosen von
Ascorbat falsch-negativ ausfallen. Bei der Dichtemessung werden nur
Kationen erfasst, nicht aber nicht-ionische Komponenten wie Glucose
oder Harnstoff. Das Testfeld für Ketone reagiert vor allem mit Acetoacetat, gar nicht mit 3-Hydroxybutyrat. Das Proteintestfeld reagiert
vor allem mit Albumin. Das Nitrittestfeld hat eine hohe Spezifität bei
nur ca. 50% Sensitivität, weil nicht alle Bakterien im Urin Nitrat in Nitrit umwandeln können. Das Bluttestfeld kann nicht zwischen Hämaturie, Hämoglobinurie oder Myoglobinurie unterscheiden. Bei Frauen
kann der Test bis zu drei Tage vor bzw. nach der Menstruation falschpositiv ausfallen. Ausserdem können Resultate bei allen Feldern durch
Arzneimittel falsch-positiv wie falsch-negativ ausfallen. Urobilinogen
und Bilirubin im Urin sind obsolete Messgrössen der Leberfunktion,
die durch bessere Parameter im Serum ersetzt sind. Sie werden zwar
durch die Industrie unverdrossen weiter produziert, müssen aber nicht
unbedingt durch die MPA abgelesen und protokolliert werden.
Die Abklärung eines positiven Teststreifenfeldes für Blut, Leukozyten, Nitrit oder Protein erfolgt zunächst mittels Untersuchung des
Sediments. Zellen oder pH können nicht befriedigend konserviert
werden, deshalb muss eine Untersuchung binnen vier Stunden nach
der Gewinnung erfolgen (Aufbewahrung gekühlt). Die Durchführung erfolgt standardisiert (2, Seite 68 ff): Probenvolumen 10 ml in
Spitzbodenröhrchen, Zentrifugation 5 min bei 400 g, Zählung in der
Fuchs-Rosenthal-Kammer bzw. im KOVA-System (Bezug z.B. von
_ 2014 _ der informierte arzt
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Axonlab, Baden), Vergrösserung 400-fach (Zylinder
100-fach), Phasenkontrast. Berichtet werden: ErythroTab. 1
zyten, dysmorphe Erythrozyten, Leukozyten, EpitheFeld
lien, Zylinder, Pilze, Trichomonaden. Plattenepithel ist
Protein
eine Kontaminante. Relevante Kristalle sind lediglich
Blut
Cystin; andere sind stark von pH, Nahrung und ArzneiLeukozyten
mitteln (z.B. Amoxicillin) abhängig. Sie werden indesGlucose
sen im Rahmen einer Harnsteinmetaphylaxe berichtet.
Nitrit
Artefakte (z.B. Fetttröpfchen, Stärkekörner, Fasern)
werden vermerkt. Nicht berichtet werden Bakterien (es
pH
gelten Resultate von Teststreifen bzw. Tauchnährbö(rel.) Dichte
den). Ebenfalls nicht berichtet werden amorphe Salze,
die allenfalls die Untersuchung stören. Zusätzlich dient
der Teststreifen als Plausibilitätskontrolle: Bei einer Dichte < 1,010
lysieren Erythrozyten und Leukozyten schneller, in alkalischem Urin
gilt dasselbe für Leukozyten und Zylinder.
Die semiquantitative Urinkultur auf konfektionierten Tauchnährböden ist geeignet zur primären Kultivierung und Keimzahlbestimmung der meisten lokal pathogenen Bakterien sowie als
Transportmedium ins Untersuchungslabor. Handhabung und Interpretation erfolgen genau nach Packungsvorschrift.
Analytik im Spital- oder Privatlabor
Der wohl grösste Fortschritt der letzten Jahre ist die Ablösung der
Kreatinin-Clearance durch die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate
(eGFR) aus dem S-Kreatinin allein, wobei zur Berechnung aktuell die
CKD-EPI-Formel (publiziert 2009, überarbeitet 2012) empfohlen wird,
die alle Stadien einer Niereninsuffizienz abbildet. Neben Geschlecht
und Alter ist bei der Berechnung schwarze Hautfarbe zu berücksichtigen (Rechner z.B. unter www.labor-limbach.de). Der exakte Arzt
kommt nicht darum herum, beim ausführenden Labor genaue Informationen über die Methode zur Kreatininbestimmung (Jaffe oder
enzymatisch) samt Kalibration und die verwendete Formel einzuholen. – Weitere obsolete Messgrössen sind gemäss (2, Seiten 277-8)
Bence-Jones-Protein (Ersatz durch κ/λ-Leichtketten), Eisen (genetische Untersuchung auf Hämochromatose), Hydroxyprolin (besser
Pyridinoline) und ersatzlos Chlorid, Magnesium und Sulfat.
Eine vielversprechende Messgrösse ist NGAL (neutrophil gelatinase-associated lipocalin) als Marker für akute Nierenschädigung
(AKI). Es wurde bereits – vielleicht etwas voreilig – als das Troponin
der Niere bezeichnet. Ein Argument für die Bestimmung im Urin ist
der Anstieg in kurzer Zeit um bis das 10000-Fache an, während der
Anstieg im Serum lediglich 100 x ist.
Postanalytik
Für die Ablesung von Teststreifen werden zunehmend Ablesegeräte verwendet. Sie liefern objektive Befunde, unabhängig von
Beleuchtung und individueller Beurteilung. Die Charakteristika der
Testfelder sind in Tabelle 1 (3, Seite 812, verändert) dargestellt. Referenzwerte für Erythrozyten im Sediment sind < 8 /µl, für Leukozyten
< 10 /µl, für die übrigen Komponenten negativ. Dysmorphe Erythrozyten werden in Prozent aller Erythrozyten angegeben. Die Resultate
quantitativer Bestimmungen werden als Quotient ausgedrückt, also
mol Substanz/mmol Kreatinin bzw. mg Protein/g Kreatinin.
Diagnostik
Als Beispiel für das weitere Vorgehen auf diagnostischen Pfaden werden hier die nächsten Schritte bei positivem Teststreifen auf Protein
der informierte arzt _ 10 _ 2014
Charakteristika der Testfelder
Nachweisgrenze
Bemerkungen
Normale Befunde
150-300 mg/l
Referenzwert < 100 mg/l
Negativ
~ 5 Ec/µl
Hämoglobin aus ~ 10 Ec/µl
Negativ
10-25 Lc/µl
Granulozyten
Negativ
2,2 mmol/l
negativ (< 2 mmol/l)
11 µmol/l
Negativ
Morgen 5-6
4,8-7,5
entspricht 250-1400 mmol/kg
1010-1042
oder Blut skizziert (1, Seiten 137 bzw. 141): Proteinurie? Als nächster Schritt Bestimmung von Protein bzw. Albumin im 2. Morgenurin. Protein < 100 mg/g Kreatinin bzw. Albumin < 20 mg/g Kreatinin
entsprechen einem unauffälligen Befund (Proteinausscheidung konstant ca. 1,0 g/d). Cave: Geringgradige Proteinurie, z.B. bei Diabetikern oder Hypertonikern, die durch Teststreifen nicht erfasst wird:
Bei Verdacht gleich quantitative Proteinbestimmung. Hämaturie?
Als nächster Schritt Sedimentuntersuchung. Können Erythrozyten
nachgewiesen werden, liegt eine renale Hämaturie vor, wenn nicht,
eine extrarenale Hämaturie. Die gleichzeitige Differenzierung der
Urinproteine (Bestimmung von Albumin und α2-Makroglobulin)
erlaubt bei Erhöhung die Bestätigung einer renalen Hämaturie;
wenn unauffällig, ist die Hämaturie postrenal.
Was zeichnet sich ab?
Apologeten der Kommunikationstechnologie erwarten zunehmendes
Selbsttesten über das bei manchen Patienten bereits übliche hinaus.
Das „lab on a chip“ wird zur Metastase des Smartphones. Der Pa­tient
managt sich selbst. Der Arzt interpretiert und wird zum Coach.
Molekulardiagnostische Methoden werden in absehbarer Zeit
Einzug ins Praxislabor halten. Sie werden kaum die bisherigen
Messgrössen und Methoden ersetzen als vielmehr das eigene Spektrum des Arztes erweitern.
Eine weitere Entwicklungsrichtung sind Sets für die Entnahme
von Proben zu Hause und deren Versand (4). Als Probenmaterial
kommt dafür auch Urin in Frage, z.B. für unselektierte ScreeningProgramme. Die Analytik geht freilich am Praxislabor und wohl
auch am klassischen Einsendelabor vorbei.
Dr. phil. Peter Hagemann
Labormedizinisches Zentrum Dr. Risch
8201 Schaffhausen, [email protected]
Literatur:
1. Hofmann W et al. Klinikhandbuch labordiagnostische Pfade. 2. Aufl., De Gruyter,
Berlin 2014
2. Hagemann P, Scholer A (Hsg). Aktuelle Urindiagnostik für Labor und Arztpraxis.
LABOLIFE-Verlagsgemeinschaft, Rotkreuz 2011
3. Guder WG, Nolte J (Hsg). Das Laborbuch. 2. Aufl., Urban & Fischer, München 2009
4. The Promise of Home-Based Specimen Collection. Clin Lab News 2014/4; 40
Take-Home Message
◆fehlerfreie Patientenindikation
◆Proben korrekt gewinnen und frisch untersuchen
◆Analytik standardisieren (auch MPA untereinander)
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