Trauma und Traumafolgestörungen – psycho- und pharmakotherapeutische Ansätze H.P. Kapfhammer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Medizinische Universität Graz Konzeptualisierung des Traumas Trauma überwältigende Ereignisse außerhalb des Bereichs durchschnittlichen menschlichen Erlebens: z.B. kriegerische Auseinandersetzungen, verheerende Naturkatastrophen Ziviltraumata u. a. schwere körperliche Krankheiten A1: Lebensbedrohung, schwere Verletzung Bedrohung der körperlichen Integrität A2: intensive Angst, Panik Horror, Hilflosigkeit Was ist ein Trauma? einmalig extrem bedrohlich plötzlich unabwendbar unkontrollierbar ausweglos kumulativ persistierend kurzfristige und langfristige Konsequenzen Was ist ein Trauma? Technische Katastrophen institutionelle / politische Verantwortlichkeit, Glaubwürdigkeit Wiedergutmachung Krieg Militärisch: Opfer- / Täter-Status Zivil: Kumulative Traumata: Verletzung, Vergewaltigung, Verlust, Vertreibung, Zerstörung Naturkatastrophen Schicksalsgemeinschaft Theodizee Terrorakte Folter vorhersagbar, sinnlos, persönliche Bedeutungslosigkeit unschuldiger Opfer, staatlicher Schutz- / Wertekollaps Genozid ethnische Säuberung Was ist ein Trauma? sexueller, körperlicher, emotionaler Missbrauch Vernachlässigung, Gewalt in Beziehungen neben unmittelbarer traumatischer Einwirkung unvereinbare Kollision mit vertrauensvoller Beziehung / Bindung und humaner Selbstentfaltung Was sagt uns die Epidemiologie über die Häufigkeit von individuellen Traumatisierungen? Traumaexposition interpersonale Gewalteinwirkungen andere Verletzungen / schockierende Erlebnisse Erfahren von Traumatisierung/Tod naher Bezugspersonen/Freunde Erfahren vom plötzlichen Tod naher Bezugspersonen/Freunde Lebenszeitprävalenz: 50 – 90 % sehr häufig kumulativ [nach: Wittchen 2009] unmittelbare und langfristige Folgen – diagnostische Konzepte PTSD – prototypische, aber nicht einzige Reaktion auf Trauma Trauma Anpassungsstörung Bewältigung Depression Angst Dissoziation Somatisierung Sucht Integration Kompensation [modifiziert nach: Flatten et al. 2001] Akute Belastungsstörung PTSD Persönlichkeitsveränderung (komplexe PTSD) Persönlichkeitsstörung Diagnostisches Konzept der Posttraumatischen Belastungsstörung - (DSM-5) A. Trauma [kausal vs. kontingent + Vulnerabilität + Toxizität] B. C. D. E. intrusive Symptome mit Trauma assoziiert peristierende Vermeidung Trauma-assoziierter Reize negative Veränderungen von Kognitionen und Stimmung in Verbindung mit Trauma bedeutsame Veränderungen in Arousal - und Reaktionssystemen in Verbindung mit Trauma F. Dauer: mindestens 1 Monat G. bedeutsamer psychologischer Distress /soziale Beeinträchtigung - Subtypus: Subtypus: mit dissoziativen Symptomen (Depersonalisation / Derealisation) mit verzögertem Beginn nicht normative, sondern atypische Reaktion nach Trauma Diagnostisches Konzept der Akuten Belastungsstörung - (DSM-5) nach Trauma: ≥ 9 Symptome aus : Intrusion: Stimmung Dissoziation Vermeidung Arousal Dauer 1. Traumaerinnerungen 2. trauma-assoziierte Albträume 3. Flashbacks 4. psychologischer / physiologischer Distress bei Traumaerinnerungen 5. Verlust positiver Emotionen 6. Depersonalisation / Derealisation 7. dissoziative Amnesie 8. Vermeidung von trauma-assoziierten Erinnerungen, Gedanken, Gefühlen 9. Vermeidung von trauma-assoziierten äußerer Reizen 10. Schlafstörungen 11. irritables Verhalten, Wutausbrüche 12. Hypervigilanz 13. Konzentrationsprobleme 14. übertriebene Schreckreaktionen 13 % nach spezifizierten Trauma moderat positive Spezifität, jedoch ungenügende Sensitivität bezüglich späterem PTSD-Risiko [DSM-IV Kriterien] verbesserte Prädiktion durch DSM-5 Kriterien 4 Tage bis 1 Monat [Bryant 2015] bedeutsamer psychologischer Distress /soziale Beeinträchtigung Zur Epidemiologie der PTSD - allgemein amerikanische Studien – nicht-amerikanische Studien: geschlechtsdifferentiell – Vergewaltigung – Trauma mit höchstem konditionalem PTSD-Risiko: interpersonelle Gewalt (sexuell / nichtsexuell): traumatischer Verlust – ebenfalls bedeutsames PTSD-Risiko F>M 40% aller PTSD-Fälle PTSD-Remissionsquoten (Nicht-Fall-10Mo) – 40 Mo Baseline < 5 Mo post-TE vs. > 5 Mo post-TE: 44% (große Streubreite) 51.7% vs. 31.4% Lebenszeitprävalenz: Punktprävalenz: bei militärischem Personal: 7 – 8% 1 – 3% deutlich höher deutlich niedrigere LZP LZP – Frauen: LZP – Männer : 20% 8% (Norris u. Slone 2013; Kessler et al. 2008; Kessler u. Üstün 2008; Breslau et al. 2008; Morina et al. 2014) Große Mehrheit traumatisierter Personen erholt sich! [Shalev 2009] Verlaufstypen psychischer Reaktionen nach Traumaexposition [Bonanno 2004] Klinisch-pragmatische Bewertung von PTSD-Risiko nach Traumaexposition nach: Sareen (2014) Genetische und Umweltfaktoren tragen zum PTSD-Risiko nach Traumaexposition bei [Mahan & Ressler 2012] Traumaexposition, ASD / PTSD und psychologische Konzeptualisierung Gedächtnis autobiographisches G. implizit, situationsabhängig, intrusive Erinnerung, nicht reflexiv, schwer verbalisierbar, sensorisch, affektiv, viszeral, fragmentarisch, verzerrtes Zeitgefühl („jetzt“) Soziale Unterstützung negative Umgebung (Kritik, Indifferenz) > fehlende positive Hilfe Autonome Aktivierung exzessive Stimulierung-Reaktion: verhindert Habituation, Neulernen, Stimulusdiskrimination; Herzrate, Startle-Reaktion, autonomes Arousal Sensitivierung - Kindling Aufmerksamkeit, Vigilanz neutrale Stimuli als potentielle Gefahrensignale missinterpretiert, Circulus vitiosus: Überwindung traumatischer Erfahrungen, Neulernen verhindert Traumaexposition ASD / PTSD Coping Gedankenunterdrückung, allgemeine Vermeidung, Rumination, verstärktes Sicherheitsverhalten Kognitionen, Überzeugungen Katastropheninterpretationen, Selbst-, Objektschemata, allgemeine Weltsicht, „mentale Vernichtung“ Dissoziation peritraumatisch, v .a. wenn länger anhaltend, Gegenregulation zu autonomen Hyperarousal Affektive Reaktionen Angst, Horror, peritraumatische Panik, Scham, Schuld, Ärger lähmende Ohnmacht Vermeidungsverhalten Was zeichnet das traumatische Gedächtnis aus? [Mahan & Ressler 2012] Konditionierung emotionaler / traumatischer Erfahrungen [Parsons u. Ressler 2013] Verhaltensregulation in emotionaler Ausgeglichenheit versus traumatischem Stress Kontrolle durch präfrontalen Kortex während Nicht-Stressbedingungen [nach: Arnsten 2009] Kontrolle durch Amygdala während traumatischer Stressbedingungen Dissoziative Erinnerungsmodalität bei trauma-assoziierter Stimuluskonfrontation [nach: Lanius 2007] Neurobiologische Veränderungen nach Trauma / bei PTSD - Zusammenfassung – Atrophie in der Hippocampusformation Neurotransmitter-Dysfunktionen HPA-Achsen-Dysfunktionen • • • • • • • • • noradrenerg serotonerg dopaminerg opioiderg glutamaterg CRF Cortisol Glucocorticoid-Rezeptoren DST-Suppression Dysfunktionen im Inflammations-, Immunsystem Dysfunktionen des autonomen Nervensystems VVC-Sympathikus-DVC Dysfunktionen in zerebraler Informationsverarbeitung • hemispherale Lateralisierung: rechts > links • Dissoziation: Kompartmentalisierung / Selbst-/Umweltentfremdung • Problem der Überkonditionierung Komplikationen im chronischen PTSD -Verlauf komorbide psychiatrische Störungen (80 %) - Major Depression: Alkohol-/Substanzmissbrauch: Panikstörung: suizidale Verhaltensweisen: [Keane et al. 2007] 6x 3x 4x 6x erhöhte medizinische Inanspruchnahme: somatoforme Beschwerden und somatische Krankheiten exzessiv erhöht Persönlichkeitsveränderungen infolge chronischer oder früherer Traumatisierung (z.B. Defizite in Selbstfürsorge, affektiver Regulation, grobe Verzerrungen in der Wahrnehmung persönlicher Verantwortlichkeit und Selbstwirksamkeit) deutlich erniedrigte gesundheitsbezogene Lebensqualität deutlich erhöhte psychosoziale Behinderungsgrade hohe sozioökonomische Folgekosten Therapeutische Perspektive nach Trauma und Traumafolgestörungen nach Akuttraumatisierung im erhöhten Risiko für PTSD bei PTSD Psychological sequelae of the September 11Terrorrist attack in New York City PTSD: südlich Canal Street: Major Depression: 7.5 % 20.0 % 9.7 % Major Depression bei PTSD: Major Depression ohne PTSD: 49 % 6.5 % Galea et al. (2002) N Engl J Med 346: 982-7 Indikatoren für ernsthafte psychologische Reaktionen nach einem Akuttrauma anhaltender Distress ohne Perioden von relativer Beruhigung schwere dissoziative Symptome trotz Rückkehr in gesicherten Raum intensive Traumaintrusionen, die angstvoll vermieden, als Qual erlebt, mit Schlafstörungen extremer sozialer Rückzug unfähig über das Trauma nachzudenken, lediglich unwillkürliches emotionales Wiedererleben unkontrollierbare Angst, Ärger, pathologische Trauer ausgeprägte Schlafstörungen, Appetitverlust, Selbstvernachlässigung extreme kognitive Einbußen (Verwirrtheit, Konzentrationsstörungen, Urteilsstörung, Entscheidungsunfähigkeit, überwältigende Gefühle von Hilflosigkeit) Debriefing in der posttraumatischen Akutsituation früher als „Königsweg“ in Prävention von PTSD angesehen: − − − − in Gruppen: rasch nach akutem Trauma emotionale Verarbeitung Möglichkeit zum kathartischen Ausdruck schockartiger Gefühle Normalisierung hiermit assoziierter Verhaltensweisen Vorbereitung auf mögliche psychologische Folgen des Traumas empirische Datenlage: in systematischer Beurteilung: kein gesicherter positiver Effekt Hinweise auf negative Effekte in Langzeitentwicklung Systematisches Cochrane Review [Rose et al. 2002] Metaanalyse [van Emerikk et al. 2002] Psychologisches Debriefing nach Autounfällen Mayou RA et al. (2000) Br J Psychiatry 174: 589-593 Trauma-fokussierte Kognitive Verhaltenstherapie bei Akuter Belastungsstörung Fokus der Intervention: Personen mit klinisch bedeutsamen Symptomen nach dem Trauma (z.B. ASD - ca. 75% nach 6 Monaten PTSD) oder nach schwerwiegender Traumatisierung Foa et al. (1995) 2 Mo. 5 Mo. Bryant et al. (1998) (1999, 2003) 6 Mo. Bryant et al. (2005, 2006) 6 Mo. 3 Jahre Shalev et al. al. (2012) sexuelle / nichtsexuelle Gewalttraumata KVT (Angstmanagement, in vivo Exposition, kognitive Restrukturierung) versus KG KVT: 10 % PTSD vs. KG: 70 % PTSD KVT = KG Verkehrsunfall + ASD KVT (Psychoedukation + verlängerte imaginative Exposition + Angstmanagement) vs. Beratung KVT: 17 % PTSD, KG: 67 % w: 20 % Non-Response, 20 % vorzeitiger Abbruch Zilviltraumata + ASD KVT vs. KVT + Hypnose vs. Beratung 21 % - 22 % - 57 % kein Zusatzgewinn durch Hypnose prolongierte Exposition vs. cognitive restructuring vs. Escitalopram Rothbaum et al. (2012) prolongierte Exposition in Notaufnahme: ++ Möglichkeiten zur sekundären Prävention Pharmakologische Frühintervention Konsolidierung des Traumagedächtnisses Retrieval der Traumaerinnerung [Pitman u. Delahanty 2005] Traumatisches Gedächtnis und Noradrenalin-System NA reguliert entscheidend assoziatives emotionales Lernen nach Modell des klassischen und operanten Konditionierens (McGaugh 2004) NA-System des Locus coeruleus: hoch vulnerabel für Sensitivierung unter prolongiertem und unkontrollierbaren Stress: trägt so zu einem persistierenden autonomous Hyperarousal bei (Krystal & Neumeister 2009) Überkonsolidierung traumatischer Erinnerungen in der Amygdala: erleichtert adäquate Informationsverarbeitung in hippokampalen und präfrontalen Arealen: beeinträchtigt (Southwick et al. 2007) NA - Hyperaktivität erleichtert speziellen Modus der intrusiven Sensations-basierten Traumaerinnerungen und behindert gleichzeitig Prozesse des natürlichen Extinktionslernens (Roozendaal et al. 2009) Frühintervention: Reduktion der NA-Hyperaktivität durch postsynaptischen β- und α1adrenergen Antagonismus und durch präsynaptischen α2-adrenergen Agonismus? Frühintervention mit Reduktion der noradrenergen Überaktivität Clonidin (α2-agonistisch) Kinzie, Leung (1989) Kolb (1991) Harmon, Riggs (1996) Morgan et al. (2003) + PTSD-Symptome, auch bei Kindern Guanfacin (α2-agonistisch) Horrigan (1996) + PTSD-Symptome Prazosin (α1-antagonistisch) Raskind et al. (2003, 2007; DB-PC) Taylor et al. (2007, 2008; PC) Germain et al. (2012; DB-PC) + + + PTSD-assoziierte Schlafstörungen, Alpträume Propranolol (β-antagonistisch) - Famularo et al. (1988) Pitman et al. (2002; DB-PC) Vaiva et al. (2003) McGhee et al. (2009; DB-PC)M Sharp et al. (2010; DB-PC) Stein et al. (2007; DB-PC-CC) + PTSD-Symptome Frühintervention: + Reduktion der Schwere von späteren PTSD-Symptomen Frühintervention: + Reduktion der Schwere von späteren PTSD-Symptomen Behinderung der Konsolidierung traumatischer Erinnerungen (? Hodge et al. 2012) Traumatisches Gedächtnis und HPA-Achse Überwältigender Beleg für dysfunktionale HPA-Achse bei PTSD: niedrige Cortisolspiegel als möglicher Persönlichkeits-gebundener Prädispositionsfaktor und wahrscheinlicher Riskofaktor für PTSD nach Traumaexposition (Yehuda 2009) Glucokortikoide entscheidend an der Regulation des Gedächtnisses beteiligt: differentieller Einfluss auf Gedächtnis-Konsolidierung, Retrieval und Arbeitsgedächtnis (Joels et al. 2011) suppressiver Effekt auf intrusive Sensations-basierte Traumaerinnerungen möglicherweise entscheidender Schritt eine Überkonsolidierung der Traumaerinnerung zu verhindern (De Quervain et al. 2009) Frühintervention: Substitution mit Stressdosen von Hydrocortison? Stressbezogene Gaben von Hydrocortison hohes PTSD-Risiko nach ARDS, septischem Schock, aber auch herzchirurgischen Eingriffen [Schelling et al. 1999; Kapfhammer et al. 2004] - Stressdosen Hydrocortison reduzieren hoch signifikant das PTSD-Risiko bei schwerst kranken, intensivpflichtigen Patienten [Schelling et al. 2001, 2004; Weis et al. 2006; DB-PC] - nach Ziviltrauma [Aerni et al. 2004; DB-PC] - nach Zivil- / militärischen Traumata [Zohar et al. 2011; DB-PC] - nach diversen Traumata [Delhanty et al. 2013; RCT] Hydrocortison unterdrückt den intrusiven Retrieval-Prozess [Frage des zeitlichen therapeutischen Fensters] Traumatisches Gedächtnis und Opioid-System endogenes Opioid-System bedeutsam an dissoziativer Gegenregulation der NAHyperaktivität beteiligt, vermittelt psychomotorisches Frightening, emotionale Betäubung und Analgesie; trägt zu funktioneller Diskonnektion von Amygdala und Hippokampus bei, behindert adäquate Realitätskontrolle und aktives Coping (Schmahl & Bohus 2007) unkontrollierter Schmerz: unabhängiger PTSD-Risikofaktor (Norman et al. 2008) Frühintervention mit Opioiden in akuten Schmerzzuständen? Frühintervention mit Opiaten initiale Gabe von Opiaten nach schwerwiegenden körperlichen Verletzungen: wahrscheinlich protektiver Effekt gegenüber PTSD-Risiko - Saxe et al. (2001) - Stoddard et al. (2009) - Holbrook et al. (2010) unklar, ob protektiver Effekt auf Ebene der Schmerzkontrolle oder anderweitig vermittelt wird (Bryant et al. 2009) Traumatisches Gedächtnis und GABA-erges System GABAerge inhibitorische Kontrolle zentral an präziser Regulation von Konsolidierung, Expression und Extinktion der emotionalen, d.h. traumatischen Konditionierung beteiligt (Roozendaal et al. 2009; Mahan & Ressler 2012) Extinktionslernen reguliert durch komplexes Zusammenspiel von exzitatorischen glutamatergen und inhibitorischen GABAergen, Endocannabinoid-ergen, und anderen Neurotransmittern und neurohumoralen Effekten (Garakani et al. 2009; Atsak et al. 2012) Frühintervention: Benzodiazepine? Frühintervention mit Benzodiazepinen nach Akuttrauma Benzodiazepine Gelpin et al. (1996) Mellman et al. (2002) n = 13 / 13, DB/PC, innerhalb 18 Tage p.T. 1 Mo – 6 Mo n = 10 (Clonazepam: 2.7 mg) n = 3 (Alprazolam: 2.5 mg) Endpunkt: Diagnose PTSD: Diagnose Major Depression: BDZ: 69 % vs. Placebo: 15 % BDZ: 54 % vs. Placebo: 0 % Frühintervention, DB/PC Temazepam (30 mg) : n = 11, Placebo: n = 11 Endpunkt: Diagnose PTSD BDZ = Placebo Traumatisches Gedächtnis und Serotonin-System Serotonin moduliert NA-Reaktivität und autonomes Arousal Einfluss auf Funktionalität der HPA-Achse vermittelt generell inhibitorische Effekte auf neuronale Aktivität / Plastizität balancierte serotonerge Neurotransmission Grundvoraussetzung für flexible Realitätsorientierung und adäquate Reaktion prolongierter und unkontrollierbarer Stress wie in traumatischen Situationen zu serotonerger Dysfunktion (Krystal & Neumeister 2009) Frühintervention mit SSRIs? Frühintervention mit SSRI Serotonin moduliert noradrenerge Reagibilität / autonomes Arousal, zentriert und pointiert Wahrnehmung – flexible Realitätsorientierung - ökonomisiert Handlungen - kein prophylaktischer Effekt von Escitalopram (Shalev et al. 2012) - diskreter prophylaktischer Effekt von Sertralin (Stoddar et al. 2011) unklarer Stellenwert der SSRI in der Frühintervention Traumatisches Gedächtnis und Bindungssystem Traumatische Erfahrung ist auch eine existentielle Erfahrung von totalem Bindungsverlust Polyvagale Theorie der Emotionen nach Porges (2001) - VVC Signalsystem für Emotion, Bewegung, Kommunikation [Tröstung, Kontaktnähe, Stressreduktion] - SNS adaptives – aktives Mobilisierungssystem [Fight – Flight] - DVC Immobilisierungssystem [passive Vermeidung, Totstellreflex, Dissoziation] Stärkung des Bindungssystems: protektiv gegenüber PTSD-Risiko [Olff et al. 2012] Frühintervention mit Oxytocin? Frühintervention mit Oxytocin [Olff et al. 2012] einige positive Signale aus Pilot-RCTs [Pitman et al. 1993; Yatzkar & Klein 2009] beachte kurze HWZ beachte komplexe Wirkung von Oxytocin mit anderen Verhaltenssystemen Psychotherapeutische Ansätze bei der PTSD Allgemeine Behandlungsaspekte: supportiv, Sicherheit stiftende Beziehung, aktiv, klärend Coping mit affektiv-kognitiver Über- / Unterkontrolle Konfrontation, Exposition, Desensibilisierung, Entspannung emotionale Kontrolle / Verarbeitung kognitive Umstrukturierung Selbstkohärenz, Narrativ Kognitive Verhaltenstherapie bei PTSD Zentrale Hypothesen (Foa u. Cahill 2002; Ehlers u. Clark 2000): Emotionales Engagement Habituation Kognitive Modifikation - Angstmanagement – Stressimpfungstraining - Prolongierte Exposition - Kognitive Ansätze bei Teilgruppe von PTSD-Patienten Exposition nicht anzuwenden, Risiko der Retraumatisierung (Schuld, Scham, Ärger, mental defeat) Kontraindikationen Modifikationen bei komplexen / komplizierten PTSD-Verläufen sehr gute empirische Datenbasis mit überzeugenden Wirksamkeitsnachweisen Cochrane Review [Bisson u. Andrew 2007; Bisson et al. 2013] auch Gruppensetting [Barrera et al. 2013] Trauma-Kognitionen: PE = KM [Diele et al. 2014] Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) bei PTSD moderne Variante eines kognitiven Expositionsverfahrens mit intendierter Integration neurobiologischer Überlegungen (F. Shapiro 1995) - Imagination einer Szene aus Trauma induzierte sakkadische Augenbewegungen Fokussierung auf aktivierte traumabezogene Kognition Exposition bis Angsthabituation Verknüpfung mit affektiv positiver Szene bei beibehaltenen sakkadischen Augenbewegungen gute empirische Datenbasis: weder in theoretischer Konzeptualisierung noch klinischer Differenzierung abschließend beurteilbar in systematischer Beurteilung: gesicherter positiver Effekt Cochrane Review [Bisson u. Andrew 2007; Bisson et al. 2013] Reihung der Effektstärken für Veränderungen von PTSD Symptomen nach Typus der Psychotherapie Typus der Psychotherapie N Studien Rang der Effektstärke Mittel (SD) Median Range Expositionstherapie Exposition + kognitive Therapie Kognitive Therapie / Restrukturierung EMDR Problem-orientierte Therapie Supportive Beratung 18 14 6 9 3 5 7.94 (±1.66) 8.04 (±2.09) 8.83 (±1.17) 5.89 5.67 (±2.08) 5.00 (±2.12) 8.0 8.0 9.0 9.0 4.0 7.0 5-10 3-10 7-10 4-10 4-8 2-7 Übliche Behandlung (TAU) 3 5.00 (±2.64) 3.0 3-8 [Reihung der Effektstärken: Effektstärke: 0.00-0.10 = Rang: 1; 0.11-0.20 = 2; 0.21-0.35 = 3; 0.36-0.49 = 4; 0.50-0.65 = 5; 0.66-0.79 = 6; 0.80-1.00 = 7; 1.01-1.50 = 8; 1.51-2.00 = 9; 2.01- = 10; Beschreibung: Rang 1: sehr klein - Rang 10: extrem ausgeprägt] [nach: Cloitre 2009] Psychotherapeutische Ansätze bei psychologischen Störungen nach Trauma – Zusammenfassung Nach Traumaexposition: behutsame und rationale Vorgehensweise, derzeit keine Evidenzbasierung, große logistische Herausforderung bei Massentraumata Debriefing-Verfahren (CISD; CISM) kann nach EbM nicht empfohlen werden; eventuell negative Langzeitfolgen ASD: KVT mit gesicherter Wirksamkeit, löst aber nicht die Herausforderung einer sekundären Prävention allgemeine Beurteilung bei PTSD: Cochrane Review (Bisson u. Andrew 2007; 2013) noch unentschiedene empirische Datenlage: - KVT, EMDR > Stressmanagement > psychodynamische Verfahren - noch unklare Kontraindikationen, notwendige Modifikationen zu bedenken: in früheren Studien meist keine Patienten mit psychischer / somatischer Komorbidität; schwierige Generalisierbarkeit auf durchschnittliche Versorgungsbedingungen; aber durchaus: (Ronconi et al. 2014) Pharmakotherapeutische Ansätze bei der PTSD Zentrale Fragen Zeitpunkt der Kontaktaufnahme: akut versus chronisch Traumakontext: z.B. zivil versus militärisch psychotherapeutisch – psychosozial – pharmakotherapeutisch Kombination – Interferenz Akuttherapie – Langzeitbehandlung Wahl der Substanzklasse Ziel der Behandlung Dauer der Behandlung unterschwellige – chronische – therapieresistente Symptomatik Arzt-Patientenbeziehung Psychopharmakotherapeutische Ansätze bei der PTSD SSRI Tagesdosis Paroxetin 10 – 60 mg Sertralin 50 – 200 mg Fluoxetin 20 – 80 mg Citalopram 20 – 60 mg Fluvoxamin 50 – 300 mg RCT Effekte (Response-Kriterium, Zeitdauer) 3 3 5 1 1 signifikante Reduktion von B, C, D-Symptomen klinische Globalverbesserung effektiv auch für Depression, Panikstörung, sozialer Phobie, OCD Reduktion von assoziierten Symptomen (Ärger, Aggression, Impulsivität, Suizidgedanken) kontroverse Position in der Beurteilung der Effizienz [Institute of Medicine 2007] Konsens: US-Veteranen mit langjährigem PTSD-Verlauf: relativ ernüchternd – negativ nach Ziviltraumata: mehrheitlich positiv – Response-Kriterium: Reduktion um 30% (!) mehrheitlich: Dauer: 5 -12 Wochen Langzeittherapie: deutliche kontinuierliche Besserung [z.B. Londborg et al. 2001] Psychopharmakotherapeutische Ansätze bei der PTSD andere SRI Venlafaxin 75 – 225 mg Mirtazapine 15 – 45 mg Trazodon 150 – 600 mg Bupropion 200 – 450 mg den SSRI vergleichbare Wirksamkeit schwächer als SSRI, aber in Kombination: Schlaf + gegenüber Placebo keine signifikante Überlegenheit MAO-Hemmer Phenelzin 15 – 90 mg Brofaromin, Moclobemid 2 1 1 reduzieren B-Symptome, Effekte moderater als unter SSRI; klinische Globalverbesserung Trizyklika Amitriptylin, Imipramin, Desipramin je 1 A, I > D; insgesamt moderate Effekte, NW-Spektrum Psychopharmakotherapeutische Ansätze bei der PTSD Mood-Stabilizers aus offenen Studien zunächst ermutigende Ergebnisse für Carbamazepin, Oxcarbazepin, Valproat, Gabapentin, Topiramat, Tiagabin, Phenytoin, Vigabatrin unklarer Status – Effizienz B, C, D-Symptomverbesserungen in RCT: Valproat = Placebo, Lamotrigin > Placebo unklar im Hinblick auf Anti-Kindling pragmatisch: Add-on, unzureichend validiert Antipsychotika der 2. Generation Risperidon, Olanazpin, Quetiapin effektiv gegen B, (C), D-Symptomcluster + Aggression, Misstrauen, Feindseligkeit RCT: nachgewiesene Rolle als Augmentation beachte: Krystal et al. (2011) – SSRI-Resistenz + add-on Risperidone: unwirksam beachte: Kellner et al. (2010) – große Interaktionsprobleme: Sertralin + Ziprasisdone Psychopharmakotherapeutische Ansätze bei der PTSD Benzodiazepine Adrenolytische Substanzen keine Besserung der PTSD-Kernsymptomatik [Braun et al. 1990] möglicherweise Alprazolam: + intrusive Symptome [Lee et al. 2013] unklar, ob die GABA-A-Agonisten (Zoplicone, Zaplone, Zolpidem) klinische Vorteile PTSD-assoziierten Schlafstörungen Eszopiclone: DB-PC-RCT: ++ [Pollack et al. 2011] Propranolol Clonidin Prazosin 40 – 160 mg 0.2 – 0.6 mg 6 – 10 mg Opiatagonisten / -antagonisten s. o. + + + PTSD-assoziierte Schlafstörungen, Alpträume komplexe Zusammenhänge akut: + Naloxon: Entzugssymptomatik [Pitman et al. 1990] BPD: + Naloxon/Naltrexon: + Depersonalisation [Bohus et al. 1999] Depersonalisationsstörung: nur 1 offene Studie + Naloxon [Nuller et al. 2001] Pharmakologische Optionen in der Behandlung der PTSD und ihre klinische Beurteilung Substanzklasse Klinische Relevanz kritische Anmerkungen Serotonerge AD positive Beeinflussung der zentralen oft klinisch nur bescheidene Effekte, vor allem PTSD-Symptomcluster durch SSRI; bei chronischem PTSD-Verlauf, insbesondere nach SSNRI, NaSSA, SARI: Mittel der 2. Wahl Kriegstraumata; Relevanz der Langzeitmedikation Moodstabilizer mögliche positive Effekte auf Ärger, Aggressivität, Impulsivität Antipsychotika AP der 2. Generation : positive Effekte auf meist als add-on-Therapie mit SSRI; beachte: Aggressivität, negative Affektivität, Nebenwirkungs- und Interaktionspotenzial dissoziative Intrusionen Benzodiazepine keine Beeinflussung der PTSDKernsymptomatik allenfalls kurzfristige Applikation; beachte: mögliche negative Effekte auf posttraumatische Verarbeitung; bei assoziierten Schlaf- u. Traumstörungen: GABA-A-Agonisten Opiate / O-Antagonisten möglicherweise bei ausgeprägter dissoziativer Depersonalisation günstig unzureichende Datenlage; beachte: unter Opiatantagonisten „Entzugssymptome“ auslösbar Prazosin günstige Effekte bei Alpträumen beachte: Blutdrucklage, langsame Höherdosierung Hydrokortison möglicherweise günstig bei Intrusionen noch unzureichende Datenlage D-Cycloserin, D-Serin verstärkte Effekte von Expositionsverfahren experimenteller Status Oxytocin verstärkte Effekte von Expositionsverfahren experimenteller Status unzureichende Datenlage; kein empirischer Beleg für Anti-Kindling-Effekt; meist in add-on-Therapie mit SSRI Psychopharmakologische Ansätze bei psychologischen Störungen nach Trauma – Zusammenfassung Initialbehandlung unmittelbar nach Trauma: + Einsatz von Clonidin, Propranolol, Prazosin - Benzodiazepine allgemeine Beurteilung bei PTSD/ASD: Cochrane Review (Stein et al. 2006) noch unentschiedene empirische Datenlage: SSRI > SSNRI, NaSSA, SARI > MAO-Hemmer > TZA: - breites Wirkspektrum: PTSD-Symptome + Angst, Depression - Atypische Neuroleptika: v.a. add-on - Mood-Stabilizer: relativ unklare Indikation, Wirksamkeit - Benzodiazepine: große Zurückhaltung - Prazosin: PTSD-assoziierte Schlafstörungen, Alpträume allgemeine Durchführung: - erwünschter Effekt oft erst verzögert (8- 12 Wochen) - niedrige Anfangsdosierungen – höhere Verlaufsdosierungen - langfristige Erhaltungsdosis (> 1 Jahr) - hohe Drop-out-Quote: Psychoedukation / Compliance !! - Kombination mit psychotherapeutischen Verfahren (Evidenz ?)