Sind Östrogene Karzinogene? - Deutsche Gesellschaft für Senologie

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HRT – Quo vadis?
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
selten zuvor hat ein medizinisches Thema in der breiten Öffentlichkeit einen derart großen
Raum eingenommen wie die kontroversen Diskussionen rund um die Hormonersatztherapie.
Die oft unsachliche und zum Teil sehr emotional geführte Debatte begann mit dem Abbruch
eines Studienarms der Women’s Health Initiative und wurde durch die kürzlich
veröffentlichten Zwischenergebnisse der Million Women Study fortgesetzt. Die daraus
resultierenden – und notwendigen – Diskussionen rund um die Hormonersatztherapie
scheinen bisweilen eher politisch motiviert und lassen eine sachlich-konstruktive
Auseinandersetzung vermissen.
Die zunehmende Verunsicherung von Patientinnen und Ärzten hinsichtlich der Risiken und
der möglichen Vorteile der Hormonersatztherapie hat uns bewogen, zur sachlichen Klärung
ein eintägiges Symposium mit den führenden Experten auf diesem Gebiet zu initiieren. Die
Veranstaltung, die in enger Kooperation mit den beteiligten Fachgesellschaften sowie der
Kassenärztlichen Vereinigung Hessen durchgeführt wurde, fand am 21. Februar in Marburg
statt.
Dank der Mithilfe der Referenten sowie des Berufsverbands der Frauenärzte sind wir in der
Lage, Ihnen zeitnah die Vortragstexte zur Verfügung zu stellen.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen,
Prof. Dr. Uwe Wagner
PD Dr. Peyman Hadji
HRT und Tumorentstehung
Sind Östrogene Karzinogene?
G. Emons, C. Gründker, V. Hanf
Bei den Überlegungen für oder wider eine Hormonersatztherapie interessiert zunächst einmal,
ob und in welchem Umfang Hormone das Karzinomrisiko beeinflussen. Die Wissenschaft
bietet inzwischen jedoch auch ein Konzept, über welche Mechanismen sie auf die Zelle
einwirken. Es gibt Anlass zu der Hoffnung, dass eines Tages klarere Aussagen dazu gemacht
werden können, welche Frauen von der Hormongabe profitieren werden und welchen wegen
eines erhöhten Krebsrisikos abgeraten werden muss.
Die International Agency for Research on Cancer (IARC) zählt Östron und Östradiol zu den
Substanzen, die bei Versuchstieren und Menschen karzinogen sind (15, 16). Eine
Expertengruppe des National Toxicology Program des National Institute of Environmental
Health Sciences der USA schlug im Dezember 2000 vor, die steroidalen Östrogene in die
Liste der Karzinogene aufzunehmen. Dieses Gremium betonte, dass „Östrogene nicht nur mit
einem erhöhten Risiko für Karzinome assoziiert sind, sondern dass es sich um Substanzen
handelt, die bekannte Ursachen von menschlichen Karzinomen sind“ (23).
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HRT – Quo vadis?
Es ist allgemein akzeptiert, dass ein Hyperöstrogenismus bei relativem oder absolutem
Gestagenmangel das Auftreten von Endometriumkarzinomen begünstigt. Dies gilt
insbesondere für die heute bei Frauen mit Uterus nicht mehr propagierte reine
Östrogensubstitutionstherapie, die das Risiko für ein Endome triumkarzinom um den Faktor 2
bis 10 erhöht (10). Auch ein Zusammenhang zwischen Östrogenexposition und dem Auftreten
von Mammakarzinomen ist nicht von der Hand zu weisen. Frühe Menarche, späte Menopause
sowie Adipositas in der Postmenopause (Östrogenproduktion im Fettgewebe) erhöhen
signifikant das Mammakarzinomrisiko (4, 17, 24). Die beidseitige Ovarektomie vor dem 40.
Lebensjahr reduziert das Mammakarzinomrisiko um 80 % (17). Frauen ohne funktionierende
Ovarien haben ein ähnlich niedriges Mammakarzinomrisiko wie Männer (24). Eine
Metaanalyse früherer Studien (5), die aktuell diskutierte Studie der Women’s Health Initiative
und andere Untersuchungen legen eine marginale, aber signifikante Erhöhung des
Mammakarzinomrisikos durch eine Hormonsubstitutionstherapie in der Postmenopause nahe
(34).
Die hohe Effektivität von Antiöstrogenen wie Tamoxifen bzw. von östrogenablativen
Verfahren (Ovarektomie, GnRH-Analoga, Aromatasehemmer) in der adjuvanten und
palliativen Therapie des Mammakarzinoms und insbesondere in der Prävention kontralateraler
Mammakarzinome ist durch zahlreiche prospektive randomisierte Studien belegt (1, 29).
Eine Reihe neuerer epidemiologischer Studien legt einen Zusammenhang zwischen einer
langfristigen reinen Östrogensubstitution und dem Auftreten von Ovarialkarzinomen nahe
(19, 25, 26).
Östrogene als Tumorpromotoren
Östrogene induzieren über den Östrogenrezeptor Mitosen in östrogenabhängigen Zellen.
Durch die Zunahme von Mitosen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass spontane
Replikationsfehler auftreten. Außerdem sind die Möglichkeiten der DNA-Reparatur bei rasch
proliferierenden Zellen reduziert (13). Als potente Mitogene für entsprechende
östrogenrezeptorpositive Zellen sind Östrogene somit klassische Tumorpromotoren.
Östrogene als Karzinogene
Östrogene können aber auch in Zellen bzw. Geweben, die keine Östrogenrezeptoren
exprimieren, maligne Tumoren induzieren (20, 21, 28). Russo et al. konnten zum Beispiel
MCF-10F-Zellen (immortalisierte humane Mammaepithelzellen ohne Östrogenrezeptoren)
mit Östradiol in niedrig physiologischer Konzentration maligne transformieren (28). Da
Östradiol selbst keine direkte mutagene Wirkung hat, wurde vermutet, dass
Stoffwechselprodukte dieses Steroids zu DNA-Schäden führen könnten.
In der Tat konnte gezeigt werden, dass die durch aromatische ortho-Hydroxylierung von
Östradiol bzw. Östron gebildeten Katecholöstrogene (2-Hydroxy- bzw. 4-Hydroxyöstrogene)
zu entsprechenden Chinonen weitermetabolisiert werden, die direkt mit der DNA reagieren
können. Die Metaboliten der 2-Hydroxyöstrogene bilden stabile DNA-Addukte und haben
eine geringe mutagene Potenz. Die DNA-Addukte der Metaboliten der 4-Hydroxyöstrogene
sind jedoch instabil und führen zum Verlust von Guanin oder Adenosin aus der DNA (so
genannte depurinierende Addukte). Dadurch kommt es zu Einzelstrangbrüchen,
Punktmutationen und zur Bildung von „bulky DNA-adducts“ (21).
Somit ist in experimentellen Modellen ein schlüssiges Konzept entwickelt worden, wie
Östrogene eine Zelle maligne transformieren können: Die direkt genotoxischen
Östrogenmetaboliten führen zu DNA-Schäden und transformierenden Mutationen. Exprimiert
die betroffene Zelle gleichzeitig Östrogenrezeptoren, wirken Östrogene zusätzlich mitogen
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HRT – Quo vadis?
(s. Abb. 1). Durch häufige Mitosen ist die Zeit für die DNA-Reparatur verkürzt, die
Wahrscheinlichkeit für transformierende Mutationen und deren Weitergabe an Tochterzellen
ist erhöht. Östrogene sind in diesem Modell somit mutagen und mitogen, das heißt komplette
Karzinogene.
Übertragbarkeit auf den Menschen
Katecholöstrogene stellen die quantitativ wichtigsten Östrogenmetaboliten beim Menschen
dar (6–8). Sie werden jedoch nach ihrer Bildung in der Leber rasch zu inaktiven und
ungefährlichen Metaboliten weiterverstoffwechselt (8, 9), um dann über die Nieren
ausgeschieden zu werden.
Neben dem klassischen Enzym, das in der Leber Östrogene zu Katecholöstrogenen
metabolisiert (Cytochrom P450 3A), wurde ein weiteres Enzym identifiziert (CYP 1B1), das
beim Menschen unter anderem im Mamma-, Ovar- und Uterusgewebe exprimiert wird und
lokal hohe 4-Hydroxyöstrogenspiegel erzeugen kann (12, 20, 21, 29). Diese Datenlage ist
sicherlich nicht beweisend für eine direkte Karzinogenese durch Östradiol in Mamma, Ovar
und Endometrium. Die Befunde sind jedoch schlüssig und legen die Möglichkeit nahe, dass
lokal gebildete 4-Hydroxyöstrogene in diesen Organen zur malignen Transformation führen
können.
Die mutagenen Effekte der Östrogenmetaboliten könnten in den genannten Geweben durch
die mitogenen Effekte der Östrogene unterstützt werden (14). Im Endometrium wirken
Gestagene durch ihre antimitogene Aktivität protektiv. Im Mammagewebe könnten Gestagene
durch ihre hier nachweisbare mitogene Aktivität die maligne Transformation zusätzlich
unterstützen (s. Abb. 1 auf S. 215).
Östrogene und ihre Metaboliten sind im Vergleich zu klassischen chemischen Karzinogenen
nur schwach wirksam (21). Eine hohe karzinogene Aktivität dieser Steroide wäre mit der
Evolution von Säugetieren und Primaten wohl nicht vereinbar gewesen. Die schwache
karzinogene Aktivität von endogenen Östrogenen war gerade noch mit der Evolution
kompatibel, insbesondere da die möglicherweise durch Östrogene induzierten Tumoren in der
Mehrzahl erst nach der reproduktiven Lebensphase auftreten. Eine Belastung durch exogene
Östrogene und Umweltöstrogene („endocrine disruptors“) könnte jedoch zur Dekompensation
dieses Systems führen (21). Unter diesem Aspekt kann auch spekuliert werden, dass das
Versiegen der ovariellen Östrogenproduktion am Ende der reproduktiven Lebensphase einer
Frau einen sinnvollen Mechanismus der Evolution darstellt, durch den die Exposition
gegenüber endogenen Karzi- nogenen minimiert wird.
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HRT – Quo vadis?
Schutzmechanismen
Zur Abwehr von Schäden durch genotoxische Produkte des oxidativen Östrogenstoffwechsels
verfügt der menschliche Organismus über suffiziente Schutzmechanismen. Eine wichtige
„Entgiftungsreaktion“ für Katecholöstrogene ist die Methylätherbildung durch die Katechol0-Methyltransferase (COMT). Der dabei gebildete 2-Hydroxyöstradiol-2-Methyläther hemmt
die Proliferation von zahlreichen humanen Karzinomzelllinien, ist ein potenter
Angiogeneseinhibitor und hemmt damit die Tumorentstehung (11, 36). Somit können
Östradiol und seine Stoffwechselprodukte Karzinome induzieren und die Karzinogenese
hemmen (s. Abb. 2).
Bedeutung von Genpolymorphismen
Denkbar wäre, dass Frauen, die aufgrund eines Polymorphismus des Enzyms CYP 1B1
vermehrt 4-Hydroxyöstrogene bilden, ein höheres Risiko für die östrogeninduzierte
Karzinogenese aufweisen. Die Daten über höhere 4-Hydroxyöstrogenspiegel in
Mammakarzinomen (21, 29) deuten in diese Richtung. Auch die Befunde, dass Frauen mit
einer besonders aktiven Form der CYP 1B1 ein deutlich erhöhtes Ovarialkarzinomrisiko
haben, unterstützen diese Hypothese (12). Frauen mit einer hohen Aktivität der Katechol-0Methyltransferase hätten ein geringes, solche mit einer niedrigen Aktivität dieses Enzyms ein
hohes Risiko für östrogeninduzierte Karzinome, wie es in einigen molekularepidemiologischen Studien gefunden wurde (31, 35).
Perspektiven für die Zukunft
Auch wenn sich die diesbezügliche Forschung noch in einem frühen Stadium befindet,
werden sich wahrscheinlich in Zukunft Frauen definieren lassen, deren Enzymausstattung in
einem „ungefährlichen“ Östrogenstoffwechsel resultiert. Für diese hätte auch eine längerfristige Östrogensubstitution kein erhöhtes Karzinomrisiko zur Folge. Für Frauen, deren
Enzymausstattung zur überwiegenden Bildung von genotoxischen Östrogenmetaboliten führt,
wäre eine Östrogensubstitution nicht ratsam. Es könnte sich sogar herausstellen, dass ihre
endogenen Östrogene schon zu einem erhöhten Risiko von Mamma-, Endo-metrium- und
Ovarialkarzinomen führen. Wenn dies der Fall wäre, könnten präventive Strategien entwickelt
werden. Es ist inzwischen akzeptiert, dass die präventive Gabe von Tamoxifen das Auftreten
von Mammakarzinomen reduzieren kann (29). Möglicherweise sind Aromatasehemmer in
dieser Indikation noch effektiver. Entsprechende klinische Studien werden zurzeit
durchgeführt (29).
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HRT – Quo vadis?
Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung der Publikation „Sind Östrogene Karzinogene?“
von G. Emons, C. Gründker und V. Hanf, erschienen in Der Gynäkologe 36 (2003) 182–189.
Angaben zur Literatur erhalten Sie in dieser Originalarbeit oder beim Verfasser
([email protected]).
Für die Autoren
Prof. Dr. Günter Emons
Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe
Georg-August-Universität Göttingen
Robert-Koch-Straße 40
D-37075 Göttingen
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HRT – Quo vadis?
HRT-Forschung
WHI-Studie und Million Women Study aus
epidemiologischer Sicht
Lothar A.J. Heinemann
Die beiden Studien, die in den Jahren 2002/2003 die Diskussion um Indikationen und
Kontraindikationen einer Hormonersatztherapie am nachhaltigsten beeinflusst und viel zur
Verunsiche-rung von Ärzten und Frauen beigetragen haben, sind die ameri-kanische
Women’s-Health-Initiative(WHI)-Studie und die britische Million Women Study (MWS).
Welche Schlüsse diese beiden Studien erlauben und welche nicht gezogen werden dürfen,
wird im Folgenden von einem Epidemiologen erläutert.
Vor der epidemiologischen Bewertung sollen die beiden Studien zunächst kurz skizziert
werden.
Die WHI-Studie
Die WHI-Studie (1) wurde als randomisierte, plazebokontrollierte klinische Studie
(randomized clinical trial = RCT) zur Bewertung der Primärprävention von koronarer
Herzkrankheit durch HRT geplant. Der 2002 wegen Überschreitung eines komplexen
Abbruchkriteriums – wobei besonders die Brustkrebshäufigkeit eine Rolle spielte – beendete
Studienarm umfasste 16.600 Frauen, von denen etwa die Hälfte über acht Jahre eine fixe
Kombination von MPA und equinen Estrogenen erhalten sollte. Die mittlere
Beobachtungszeit beim Abbruch der Studie betrug 5,2 Jahre. Die beteiligten Frauen waren im
Mittel 63 Jahre alt – also etwa zwölf Jahre nach dem natürlichen Menopausealter – und
sollten möglichst frei von menopausalen Symptomen sein. Sie wiesen viele Risikofaktoren für
chronische Krankheiten auf.
Was bedeutet eigentlich…?
- Bias: systematischer Fehler; Verzerrung, die nicht rechnerisch korrigiert werden kann
- Detection Bias: Verzerrung bei der Erkennung/Erfassung
- Diagnostic Bias: zwischen Gruppen ungleiche diagnostische Erkennung (Verzerrung)
- Selection Bias: ungleiche Auswahl, z.B. von Personen, in Untersuchungsgruppen
- Confounding: Verzerrung, die theoretisch rechnerisch korrigiert werden kann
- Residual Confounding: bei dem Korrekturversuch übrig bleibende Verzerrung
- Global Index: Konglomerat von Indikatoren, die in der WHI-Studie zur Bewertung des
Nutzen-Risiko-Verhältnisses der Ergebnisse herangezogen wurden
- Healthy User Effect: In einer Untersuchungsgruppe sammeln sich mehr Gesunde als in der
Vergleichsgruppe
- Lag Time: Unterschiedlich lange Zeiten vor der Diagnose werden für die Bewertung einer
Exposition nicht berücksichtigt.
Das Studiendesign wurde gewählt, weil Zweifel an den Ergebnissen von Beobachtungsstudien
geäußert worden waren. Bei diesem Studientyp besteht zumindest theoretisch die Gefahr
methodischer Verzerrungen (Bias, Confounding; Erläuterungen siehe Kasten). Vom Ansatz
der WHI-Studie wurde angenommen, dass Bias und Confounding durch
Randomisierung/Verblindung und Plazebokontrolle weitgehend ausgeschlossen waren.
Als Ergebnisse wurden geringfügig erhöhte Risiken für koronare Herzkrankheit, Brustkrebs,
Schlaganfall und venöse Thromboembolien beschrieben, jedoch geringere Risiken für
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HRT – Quo vadis?
Frakturen (speziell der Hüfte und der Wirbelsäule), ein vermindertes Kolonkrebs-Risiko
sowie eine niedrigere Gesamtsterblichkeit.
Die Million Women Study
Die MWS (2) war als Langzeitbeobachtungsstudie zur Entwicklung von Brustkrebs mit und
ohne Hormonbehandlung geplant. Der Ansatz sollte durch ein Mammogramm zu
Studienbeginn einen einheitlichen Startpunkt gewährleisten und damit den möglichen
diagnostischen (Früherkennungs-)Bias bei HRT-Nutzung ausschließen, der allen
Brustkrebsstudien unterstellt werden kann.
Die Studie wurde nach Veröffentlichung der WHI-Daten einer (ungeplanten)
Zwischenauswertung nach einer mittleren Beobachtungszeit von 2,6 Jahren unterzogen; die
Zeit bis zur Brustkrebs-Diagnose betrug im Durchschnitt 1,2 Jahre. Die Ergebnisse von
829.000 Frauen wurden hastig als „Million Women Study“ veröffentlicht – viele Frauen
hatten bis dahin nicht die Möglichkeit, an dem zweiten Routine-Mammascreening
teilzunehmen.
Epidemiologische Bewertung
Kriterien bei der epidemiologischen Bewertung sind Studiendesign und
-durchführung sowie Generalisierbarkeit der Ergebnisse. Aus methodischer Sicht
unterscheidet man zwischen Beobachtungsstudien und randomisierten klinischen Studien.
Damit wird auch – man muss heute zugeben: nur zum Teil begründet – pauschal ein Urteil
über die methodische Qualität verbunden: RCTs wird pauschal eine höhere Wertigkeit als
Evidenz zugeschrieben. Hier ist ein Paradigmenwechsel zu erwarten, besonders wenn es um
Studien zu Langzeiteffekten geht. Jede Methode hat ihr Anwendungsoptimum, was nicht nur
von der Fragestellung abhängig ist. Eine solche Grenzsituation wird bei der WHI-Studie in
der Laufzeit deutlich.
Auch wenn die Qualität der Studienergebnisse keinen Anlass zur Besorgnis gibt, ist die
Generalisierbarkeit der Ergebnisse gerade bei RCTs mit ihren stark eingeschränkten Ein- bzw.
Ausschlusskriterien oft ein Problem.
Das nächste Kriterium betrifft die erforderliche Unterscheidung zwischen statistischer
Assoziation und kausaler Beziehung. Die Frage ist: Sind die der HRT zuordenbaren
Risikoerhöhungen bzw. -erniedrigungen absolut gesehen so groß, dass sie vermutlich als
kausal anzusehen sind und nicht als statistische Assoziationen, die auch allein durch Bias und
Confounding erklärt werden könnten?
Kenntnisstand vor WHI bzw. MWS
Für die Behandlung von menopausalen Beschwerden ist die HRT die unbestritten
kosteneffektivste Methode (3, 4). Aussagen hierzu erlaubt jedoch keine der beiden Studien.
Hinsichtlich der Sekundärprävention von koronarer Herzkrankheit, d.h. der Vorbeugung von
Krankheitsereignissen bei vorbestehender KHK bzw. Atherosklerose, haben sowohl
experimentelle als auch Beobachtungs- und klinische Studien vor großen Erwartungen
gewarnt. Das wurde durch die WHI-Studie unterstrichen.
Jedoch haben zahlreiche experimentelle Studien und langjährige Beobachtungsstudien
gezeigt, dass mit einer im jüngeren Alter begonnenen Estrogenbehandlung eine KHKPrimärprävention erzielt werden kann (5). Es gab allerdings auch einige wenige
Beobachtungsstudien, die keinen solchen Effekt zeigen konnten. Faktoren wie der Healthy
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HRT – Quo vadis?
User Effect, die soziale Gruppenzugehörigkeit und andere den Beobachtungsstudien inhärente
methodische Probleme hatten für viel Diskussion gesorgt. Die WHI-Studie suggerierte sogar
eine Erhöhung des KHK-Risikos. Übereinstimmungen zwischen Beobachtungsstudien und
der WHI-Studie gab es auch hinsichtlich eines erhöhten Risikos für venöse Thromboembolien
bei HRT-Nutzung.
Dass das Brustkrebsrisiko bei HRT geringfügig erhöht ist, war bereits in der Prä-WHI-Ära
allgemein bekannt; dies wurde sowohl durch die WHI-Studie als auch durch die MWS
bestätigt. Beim Ovarialkarzinom wiesen die Befunde überwiegend in Richtung eines
verminderten Risikos; neuerdings sind aber einige Studien mit erhöhtem Risiko
hinzugekommen. Kein erhöhtes Endometriumkarzinom-Risiko wurde bei Behandlung mit
Estrogen plus Progestin (E+P) beobachtet. Die WHI-Studie hat weder beim Ovarial- noch
beim Endometriumkarzinom Anlass zum Umdenken gegeben.
Ebenso haben die Ergebnisse der WHI-Studie das in vielen Beobachtungsstudien gefundene
erniedrigte Kolonkarzinom-Risiko bestätigt. Das Gleiche gilt für die positive Bewertung der
Effektivität einer HRT für den Knochenerhalt bzw. -wiederaufbau mit nachfolgender
geringerer Frakturrate, was übereinstimmend in Beobachtungsstudien und der WHI-Studie
gesehen wurde.
Insgesamt scheint damit nur die Bewertung der KHK-Primärprävention durch die WHI von
den bisherigen Kenntnissen abzuweichen. Dabei stellt sich die Frage, ob es hierfür rein
methodische Ursachen gibt. Ebenso wenig scheint die MWS grundsätzlich neue Erkenntnisse
gebracht zu haben; die methodischen Probleme dieser Studie werden weiter unten
angesprochen.
Wenn aber beide Studien keine wesentlich neuen Ergebnisse gebracht haben, was soll dann
eine Änderung der HRT-Anwendung in Europa begründen? Jedenfalls würden die für die
WHI-Studie ausgewählten Frauen in Europa kaum eine HRT neu verordnet bekommen haben.
Methodische Probleme der WHI
- Probleme in Design, Untersuchungsverlauf und Auswertung
Das im Design der WHI-Studie enthaltene Versprechen einer plazebokontrollierten,
randomisierten Langzeitbeobachtung ließ sich nicht erfüllen: Die dokumentierte
Entblindungsrate unterschied sich massiv zwischen E+P (40,5 %) und Plazebo (6,8 %). Die
tatsächlichen, nicht offiziell dokumentierten Unterschiede dürften noch weit größer sein – wie
man bei gebildeten Frauen erwarten kann, die so lange nach der Menopause eine HRT neu
verschrieben bekamen und so oft gewarnt wurden. Eine Entblindung durch den Arzt oder die
Studienteilnehmerin selbst öffnet aber die Tür für methodische Verzerrungen des Ergebnisses
(z.B. Detection Bias). Hinzu kommt eine zwischen E+P und Plazebo unterschiedliche Dropout- (42 vs. 38 %) bzw. Cross-over-Rate (6 vs. 11 %).
Damit erfüllte die WHI-Studie zum Zeitpunkt ihrer vorzeitigen Auswertung nicht mehr die
Kriterien einer randomisierten, plazebokontrollierten Studie, sondern ist als gleichwertig mit
einer Beobachtungsstudie einzustufen (6, 7) – mit allen immanenten
Verzerrungsmöglichkeiten, besonders Detection/Diagnostic Bias. Dies beeinflusst nachhaltig
die Interpretation aller beobachteten Endpunkte, besonders aber jener mit einem bekannten
hohen Potenzial der diagnostischen Erfassung bei erhöhter Aufmerksamkeit (seitens Arzt und/
oder Patientin), z.B. Herzinfarkt oder Brustkrebs, wie in Sensitivitätsanalysen gezeigt wurde
(6, 7). Man muss sich vor dem Hintergrund methodischer Probleme zu Recht fragen, ob nicht
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HRT – Quo vadis?
der gefundene Unterschied zwischen E+P und Plazebo von 0,08 KHK-Fällen pro 1.000
Frauen/Jahr, von 0,08 Schlaganfällen, 0,08 Lungenembolien und 0,08 zusätzlich
diagnostizierten Brustkrebsfällen pro 1.000 Frauen allein durch Bias zu erklären ist (7).
In diesem Zusammenhang ist auch das Problem der unglücklichen Mischung der
Vergleichsgruppe zu erwähnen. Bei Vergleich mit HRT-Niemalsnutzerinnen bzw. früheren
HRT-Nutzerinnen kommen ganz andere Risikoschätzungen zustande als bei Vergleich mit
früheren HRT-Nutzerinnen (soweit dies aus Veröffentlichungen erkennbar ist). Es kann
debattiert werden, welches die angemessene Vergleichsgruppe ist, d.h. wo die größeren
Fehlerquellen liegen.
Hinzu kommt, dass die angegebenen relativen Risiken nur scheinbar statistisch signifikant
waren, wenn – wie bei klinischen Studien üblich – noch nicht einmal die Zahl der zehn
Zwischenanalysen berücksichtigt wurde, danach waren sie nicht mehr signifikant. Überdies
wurde kein Versuch publiziert, voll für multiple Vergleiche (Bonferroni) zu adjustieren. Dafür
wären etwa 220 Vergleiche bei rund 22 Variablen in zehn Analysen nötig gewesen.
Ein weiteres ungeklärtes Problem ist, dass die Definition des Abbruchkriteriums für die WHIStudie (Global Index) wahrscheinlich dreimal geändert wurde. So scheint zweifelhaft, was
letztlich zum Abbruch des E+P-Arms der Studie geführt hat. War es wirklich nur der
(geänderte) Global-Index oder aber der Verlauf der Studie mit hoher Entblindung und hohem
Drop-out nach mehrfacher Warnung aller Studienteilnehmerinnen vor ungünstigen
Wirkungen der HRT auf Herz-Kreislauf-Ereignisse? Hier kann man nur spekulieren.
- Generalisierbarkeit allgemein
Die Studiengruppe war extrem alt für den Neubeginn einer HRT: Die Frauen befanden sich
im Mittel zwölf Jahre nach der erwarteten Menopause. 90 % wiesen keine klimakterischen
Beschwerden auf. Damit sind die Ergebnisse nicht auf jene Frauen übertragbar, die in Europa
üblicherweise eine HRT erhalten. Bei HRT-Nutzerinnen unter 60 Jahren waren weder das
Brustkrebs- noch das Koronarrisiko erhöht.
Eine Generalisierung des „Einflusses“ einer im höheren Alter begonnenen HRT auf
Lebensqualität, Beschwerdebesserung oder Alzheimer-Erkrankung verbietet sich auch aus
Gründen des primären Ausschlusses von Beschwerdeträgern und des hohen Alters – wie aus
experimentellen Studien bekannt ist.
Außerdem wurde als HRT durchweg die fixe Kombination von MPA mit equinen Estrogenen
eingesetzt, die in den meisten Ländern Europas nur einen minimalen Markanteil (um oder
unter 5 %) hat, in Deutschland z.B. von rund 2 % der Frauen genutzt wird. Das heißt jedoch,
dass die WHI-Studie weder für die Frauen generalisiert werden kann, die wegen
menopausaler Beschwerden eine HRT bekommen, noch für die überwiegende Mehrzahl der
in Europa zugelassenen HRT-Präparate. Diese Schlussfolgerung wurde auch von
internationalen Menopausegesellschaften gezogen, die neue Untersuchungen zur Klärung
gefordert haben. Plazebokontrollierte RCTs mit Langzeitbeobachtung dürften sich allerdings
nach den Erfahrungen der WHI heute verbieten.
Abschließend seien zwei Studienziele speziell angesprochen: das primäre Ziel, die
Primärprävention der KHK durch HRT, und ein emotional wichtiges sekundäres Studienziel,
die Brustkrebserkrankungsrate.
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HRT – Quo vadis?
- Primärprävention der koronaren Herzkrankheit
Die Zielstellung einer „primären Prävention der KHK“ bei einem mittleren Alter des HRTBeginns von 63 Jahren ist ein Widerspruch in sich selbst, zumal wenn man an die
Risikofaktoren der in die WHI-Studie aufgenommenen Frauen denkt. Interessanterweise
unterscheidet sich das mittlere Lebensalter zu Therapiebeginn in der größten Studie zur
sekundären Prävention, der HERS-Studie (8), mit 66 Jahren nicht wesentlich von dem der
WHI-Studie (63 Jahre).
Die Aussichten einer kardiovaskulären Primärprävention hängen bekanntermaßen vom
Lebensalter ab, in dem die Prävention begonnen wird. Es ist erstaunlich, dass Kommentare
von einigen Kardiologen bzw. Internisten zu den Schlussfolgerungen aus der WHI-Studie
diesem Umstand nicht gebührend Rechnung getragen haben, obwohl dieses Wissen
Allgemeingut sein dürfte. Eine Zusammenfassung von sechs Studien aus den letzten Jahren
zur kardiovaskulären Sekundärprävention (HERS, Phase, Esprit, Sullivan et al., Slipak et al.,
WHISP) haben insgesamt keinen positiven Effekt der HRT auf die KHK ergeben. Außer in
zwei Studien wurde ein Anstieg des Erkrankungsrisikos im ersten Jahr beobachtet, jedoch
nicht bei unter 50-Jährigen.
Kardiovaskuläre Vorteile einer HRT sind, wenn überhaupt, wahrscheinlich auf einen Beginn
einer Estrogenbehandlung unter 50 Jahre beschränkt. Unterstützende Evidenz zum Effekt des
Alters gibt es auch aus tierexperimentellen Untersuchungen. Eine kritische Übersicht zum
Präventionspotenzial einer ausreichend früh beginnenden Hormonbehandlung wurde kürzlich
von Windler (5) publiziert. Es ist schon erstaunlich, dass diese methodischen und inhaltlichen
Überlegungen anscheinend so wenig Eingang in die Diskussionen unter praktisch tätigen
Kardiologen Eingang gefunden haben.
Offenbar kann die WHI-Studie weder belastbare Aussagen zur Primärprävention der KHK
insgesamt noch zum Effekt einer adäquat früh begonnenen Intervention machen. Auch sind
bisher zum Effekt einer HRT in speziellen Subgruppen kaum oder keine Aussagen gemacht
worden.
- Brustkrebserkrankungsrate
Zusätzlich zu den oben genannten methodischen Vorbehalten, den beobachteten geringen
Risikounterschied zwischen E+P und Plazebo als kausal zu interpretieren (oder als durch Bias
erklärbar), gibt es über die WHI-Studie hinausgehende generelle Probleme: Was macht uns so
sicher, dass extern zugeführte Hormone zur Brustkrebsentwicklung führen? Sicher spielen
reproduktive und genetische Faktoren eine ätiologische Rolle. Darüber lassen sich auch
Zusammenhänge zu Hormoneffekten annehmen, wobei der Pathomechanismus nicht klar ist.
Wenn man die Schätzungen ernst nimmt, nach denen von der ersten malignen Zelle bis zu
einem Tumor von 1 mm Durchmesser etwa sieben Jahre, bis zu einem Durchmesser von 1 cm
etwa zehn Jahre und bis zur Diagnose im Mittel zwölf bis 15 Jahre vergehen – wo setzt die
Rolle externer Hormone ein? Was können Studien mit einer Zeit bis zur Diagnosestellung von
fünf (WHI) oder sogar nur 1,2 Jahren (MWS) zum Hormoneffekt aussagen? Wer kann sagen,
was kausal und was rein assoziativ interpretiert werden darf?
Wie geht man mit den vielen in Studien beschriebenen Brustkrebs-Risikofaktoren um, die wie
extern zugeführte Hormone (HRT oder orale Kontrazeptiva) ein etwa zweifach erhöhtes
Risiko aufweisen, wie z.B. reproduktive Faktoren, Ernährungscharakteristika, Alkohol,
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HRT – Quo vadis?
Kaffee, BMI und Familienanamnese? Wenn man ein Risiko durch die genannten
lebensstilbezogenen und biologischen Merkmale von 1:2 akzeptiert, wie interpretiert man den
Fakt, dass allein das Leben in „Hoch-Inzidenz-Gebieten“ ein bis zu 20-fach höheres
Brustkrebsrisiko als das Leben in „Niedrig-Inzidenz-Gebieten“ bedeutet und Migrationstudien
eine Umkehr zeigen konnten? Wo ist die spezifische Wirkung der Risikofaktoren für
Brustkrebs, wenn diese Risikofaktoren bei einer großen Zahl chronischer Erkrankungen
(einschließlich Tumoren) eine gleichgerichtete, ähnlich große Wirkung zu haben scheinen?
Reserviertheit gegenüber kausalen Schlussfolgerungen scheint angezeigt, solange wir den
Pathomechanismus so wenig verstehen. Was bedeuten da Erhöhungen des relativen Risikos
auf Werte um 2,0? In dieser Größenordnung kann man einen kausalen Zusammenhang weder
ausschließen noch bestätigen, wenn die Möglichkeit von Bias und Residual Confounding
nicht ausgeschlossen werden kann (7).
Methodische Probleme der MWS
Zusätzlich zu den angesprochenen allgemeinen methodischen Problemen epidemiologischer
Studien hat die MWS als Langzeitstudie zu HRT und Brustkrebs einige spezifische Probleme,
die zum Teil möglicherweise durch die offenbar hektische Auswertung und Publikation zu
erklären sind.
Das methodische Ziel, den diskutierten diagnostischen Bias bei HRT-Nutzung durch eine
systematische und einheitliche Mammographie-Untersuchung aller Frauen ausschließen zu
wollen, wurde zumindest durch die bisherige Publikation nicht dokumentiert: Die mittlere
Zeit bis zur Brustkrebs-Diagnose wurde mit 1,2 Jahren angegeben, der Abstand zwischen den
Routine-Mammogrammen beträgt aber drei Jahre. Die meisten Brustkrebs-Diagnosen dürften
also zwischen den beiden „Studien-Mammographien“ erfolgt sein. Wie sollte man
ausschließen, dass Frauen unter HRT (oder ihre Ärzte) sich speziell mit ihrer Brust
„beschäftigt“ haben und deshalb Karzinome selektiv und früher erkannt wurden?
Wenn das Einladungsschreiben zur Studie explizit zu einer Untersuchung zum
Brustkrebsrisiko bei Hormonnutzung einlädt, wie soll dann ein Selektionsbias minimiert
werden? Ganz offensichtlich haben sich auch mehr HRT-Nutzerinnen in der Studie
registrieren lassen, als man aufgrund der Häufigkeit in der Bevölkerung erwarten konnte
(unter den Teilnehmerinnen waren 33 %, bei den Nichtteilnehmerinnen 19 % HRT-Nutzer).
Sind das auch diejenigen Frauen, die früher und häufiger ihre Brust untersucht haben, mehr
benigne Knötchen erkannt haben – und wurden diese Frauen präferenziell in die Studie
eingeschlossen? Wenn die Frauen zwei bis sechs Wochen vor der Mammographie für die
Studie registriert wurden und von diesem Zeitpunkt an nach Krebsfällen im Krebsregister
gesucht wurde, dann ist das für die Bewertung der Krebshäufigkeit in der Studie (dürfte erst
nach dem Mammogramm beginnen) fragwürdig. Die Häufigkeit von Brustkrebsen war in der
Studie höher als durch die entsprechenden Register für die Bevölkerung bestimmt. Das ist
zumindest ein Hinweis auf eine mögliche Selektion bzw. einen diagnostischen Bias, speziell
wenn man den kurzen Zeitraum zwischen Einschluss in die Studie und Diagnosezeitpunkt
betrachtet!
Wenn aber auch in dieser Studie ein Detection bzw. Diagnostic Bias sowie ein Selection Bias
nicht ausgeschlossen werden können, was bedeutet dann ein absolutes Mehrauftreten von 0,4
Brustkrebs-Erkrankungen pro 1.000 HRT-Nutzerinnen und Jahr im Vergleich zu NiemalsNutzung bei Estrogentherapie und von 2,5 zusätzlichen Ereignissen bei E+P? Ist das
innerhalb des Auflösungsvermögens des „epidemiologischen Mikroskops“? Stutzig macht
auch, dass das Brustkrebs-Mortalitätsrisiko auf 1,22 erhöht sein soll, die Risikoerhöhung
11
HRT – Quo vadis?
jedoch verschwindet, wenn man eine frühere HRT-Nutzung berücksichtigt, oder auch wenige
Jahre nach Beendigung der HRT-Nutzung. Ist das nicht Ausdruck eines Selektionsbias?
Warum wurde bei der Auswertung nicht mit unterschiedlichen Lag Times für die HRTExposition gearbeitet?
Viele unbeantwortete Fragen machen diese Studie schwer interpretierbar – zumindest kann
man nicht schlussfolgern, dass sie stärker belastbare oder gar neue Evidenz zum
Brustkrebsrisiko bei Hormonnutzung beigebracht hat, zumal die Möglichkeit eines gering
erhöhten Brustkrebsrisikos unter Hormonnutzung auch lange vor dieser Studie in
der Beratung von HRT-interessierten Frauen eine gebührende Rolle spielte.
Fazit
Die neuen Studien haben unser Wissen über die HRT im menopausalen Übergang kaum
erweitert. Sie haben keine neuen Ergebnisse geliefert, die Aussagen für die in Europa
üblicherweise eine HRT nutzenden Frauen (symptomatisch, Peri- und frühe Postmenopause)
zulassen. Eine Generalisierung der Aussagen der WHI-Studie auf die europäischen
Behandlungsgewohnheiten ist methodisch nicht zulässig. Neue Studien sind nötig, die im
jüngeren Perimenopausealter beginnen und ein breites Spektrum von
Hormonzusammensetzungen testen. Allerdings dürften plazebokontrollierte, randomisierte
klinische Studien für das Studium von Langzeiteffekten methodisch nicht mehr tragbar sein,
da sich Randomisierung bzw. Verblindung bei dieser Hormonbehandlung nicht über Jahre
aufrechterhalten lassen.
Es gibt keinen Grund, Beobachtungsstudien und biologische Experimente zu ignorieren und
sich auf RCTs zu konzentrieren. Im Gegenteil – gegenwärtig sind die einzigen validen
Studienergebnisse zur primären Kardioprävention im menopausalen Übergang die großen
laufenden Beobachtungsstudien, deren Aussagen gut mit denen von labor- und
tierexperimentellen Untersuchungen übereinstimmen. Auch liegen keine belastbaren
Untersuchungsergebnisse vor, die die Forderung nach einer Begrenzung der Therapiedauer
stützen könnten – die übliche regelmäßige Evaluierung und Beratung vorausgesetzt.
Literatur
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Autor
Prof. Dr. Lothar A.J. Heinemann
ZEG Berlin
Invalidenstraße 115
D-10115 Berlin
E-Mail [email protected]
13
HRT – Quo vadis?
HRT und Brustdrüse
HRT und mammographische Dichte
K. Bock, P. Hadji, V. Duda, A. Weidner, C. Jackisch, U. Wagner
Die Drüsenkörperdichte hat entscheidenden Einfluss auf das wichtigste diagnostische
Verfahren der Brustkrebs-Früherkennung, die Mammographie. Wie sich unterschiedliche
Hormonpräparationen auf die mammographische Dichte auswirken, ist im Folgenden
zusammengestellt.
Während die Anlage des Brustdrüsengewebes geschlechtsunabhängig bereits im
frühembryonalen Leben erfolgt, wird die geschlechtstypische Differenzierung durch die
zunehmende Produktion von Steroidhormonen mit Beginn der Pubertät initiiert. Endgültig
abgeschlossen ist diese Entwicklung erst nach einer ausgetragenen Schwangerschaft.
Die mammographische Dichte
In der reproduktiven Phase der Frau unterliegt die Brust zyklusabhängigen hormonalen
Veränderungen, die Einfluss auf die Dichte des Drüsengewebes zeigen (1, 2). Eingebunden in
die komplexe Regulation des Brustdrüsengewebes sind endokrine, parakrine und autokrine
Faktoren sowie Steroid- und Proteohormone wie auch eine Reihe autokrin und parakrin
wirksamer Wachstumsfaktoren. Aber auch Alter (3, 4) und Fettgewebsanteil (BMI)
beeinflussen die Drüsenkörperdichte (3). Ebenso hat die ethnische Zugehörigkeit gewisse
Auswirkungen auf die Dichte des Brustdrüsengewebes (5).
Über einen möglichen Zusammenhang zwischen diversen Genpolymorphismen und der
Dichte des Drüsenkörpers lässt sich derzeit jedoch keine Übereinstimmung finden (6).
Zur Beurteilung der Drüsenkörperdichte in der Mammographie sind im Wesentlichen zwei
Klassifikationssysteme etabliert, die beide eine qualitative Einteilung der mammographischen
Dichte in vier verschiedene Klassen erlauben. In Deutschland wurde zunächst die Systematik
von Wolfe benutzt (7). Zunehmend wird aber auch hier die vom ACR vorgeschlagene
Einteilung in Dichteklassen nach dem BI-RADS (8) angewandt (s. Tab. 1).
14
HRT – Quo vadis?
Die Mehrzahl der im Folgenden zitierten Studien bedient sich dieser genannten Systeme zur
Beurteilung der Dichteveränderungen des Drüsengewebes.
Mammographische Dichte und Karzinomrisiko
Je geringer die Dichte des Drüsengewebes, desto höher ist die Sensitivität der Mammographie
(9, 10). Gleichzeitig scheint eine erhöhte mammographische Gewebsdichte mit einem
erhöhten Mammakarzinomrisiko einherzugehen (11, 12). Auch Sala und Mitarbeiter (13)
konnten zeigen, dass eine erhöhte Drüsenkörperdichte zu einer erhöhten Odds Ratio (1,3–1,8)
sowohl für invasive wie auch für präinvasive Mammakarzinome führt.
HRT und mammographische Dichte
Grundsätzlich kann die mammographische Dichte des Brustdrüsengewebes auch durch
exogen zugeführte Hormone beeinflusst werden. In der Altersgruppe unter 55 Jahren zeigt
eine Hormontherapie jedoch kaum einen Einfluss (4), was auf eine prämenopausal noch
vorhandene endogene Steroidhormonproduktion zurückgeführt werden kann.
Studien zum Einfluss einer Hormontherapie auf die mammographische Drüsenkörperdichte
ergaben eine Dichtezunahme bei bis zu einem Drittel der behandelten Frauen. Dabei scheint
die Beeinflussung der Drüsenkörperdichte abhängig zu sein vom Therapieregime: Während
eine reine Östrogensubstitution die Drüsenkörperdichte am geringsten beeinflusst, zeigen
Östrogen-Gestagen-Kombinationen deutlich stärkere Effekte (14–17).
Zu den Auswirkungen zyklischer oder kontinuierlich-kombinierter Östrogen-GestagenPräparationen ist die Datenlage inkonsistent. Während Persson (14) eine deutlichere
Erhöhung der Dichte bei kontinuierlich-kombinierter Therapie im Vergleich zur zyklischen
Applikation nachwies (28 vs. 10 %), konnte Greendale (18) diesen Effekt in einer ähnlich
konzipierten Studie mit vergleichbarer Fallzahl nicht bestätigen.
Auch die Auswahl des Gestagens scheint von Bedeutung zu sein.
So berichteten Sendag (16) und Christodoulakos (17) über eine stärkere Dichtezunahme unter
Norethisteronacetat (NETA) im Vergleich zu Medroxyprogesteronacetat (MPA).
Den Ergebnissen einer Studie von Lundström (19) und Mitarbeitern zufolge spielt auch die
Applikationsform eine Rolle. Transdermal verabreichte Östrogene zeigten mit 2 % eine noch
geringere Dichtezunahme als die niedrig dosierte orale Gabe mit 6 %.
Nahezu alle Dichtezunahmen wurden innerhalb des ersten Jahres nach Einsetzen der
Hormontherapie beobachtet (17, 18) und persistierten unabhängig von der Dauer während der
Zeit der Anwendung. Bereits zwei bis drei Wochen nach dem Absetzen einer HRT zeigten
sich hormoninduzierte Dichteveränderungen rückläufig (20).
Tibolon, das alternativ zu Sexualhormonen zur Behandlung klimakterischer Beschwerden
verschrieben wird, zeigt ebenfalls nur eine geringe Beeinflussung der Drüsengewebsdichte
unter 10 % (21–23).
Der SERM Tamoxifen, dessen östrogene Restwirkung insbesondere bei Risikopatientinnen
zur Kupierung von Wechseljahresbeschwerden genutzt wird und das teilweise auch
15
HRT – Quo vadis?
direkt zur Mammakarzinomprophylaxe gegeben wird, vermindert die Drüsenkörperdichte
deutlich, wie Brisson und Mitarbeiter in einer plazebokontrollierten Studie (24) an 44 % der
behandelten Frauen zeigten.
Raloxifen, ein weiterer SERM, führte in einer plazebokontrollierten Studie zu einer Abnahme
der Drüsenkörperdichte bei 19 % der Frauen, bei weiteren 6 % jedoch zu einer
Dichtezunahme (23).
Phytoöstrogene scheinen unterschiedlich – je nachdem, ob ihre östrogenagonistischen oder antagonistischen Wirkungen überwiegen – eine Verstärkung oder Verminderung der
Drüsenkörperdichte bewirken zu können (25).
16
HRT – Quo vadis?
Übersicht: HRT und mammographische Dichte
- Eine hohe Drüsenkörperdichte vermindert die Sensitivität der Mammographie.
- HRT kann bei bis zu einem Drittel der postmenopausalen Frauen zur Dichtezunahme des
Brustdrüsengewebes führen.
– Östrogen-Gestagen-Kombinationen haben einen deutlicheren Einfluss (=20 %) als reine
Östrogenpräparate (£10 %).
– Die transkutane Östrogenapplikation zeigt noch geringere Einflüsse als die orale
Applikation.
– Unterschiedliche Gestagene in Kombinationspräparaten weisen auf unterschiedlich starke
Beeinflussung der Dichte hin (NETA > MPA).
– Tibolon bewirkt eine Dichtezunahme bei £10 % der Frauen.
– Tamoxifen reduziert die Dichte bei etwa 40 %.
– Raloxifen vermindert die Dichte bei £20 %, erhöht sie jedoch bei weiteren rund 6 %.
– Phytoöstrogene scheinen sowohl eine Zunahme wie eine Abnahme der Drüsenkörperdichte
bewirken zu können.
- Dichteveränderungen unter HRT treten innerhalb des ersten Anwendungsjahres auf und
bleiben auch unter langfristiger Anwendung nahezu konstant.
- Das Absetzen der HRT kann innerhalb von zwei bis drei
Wochen zur Rückbildung der Dichteveränderung führen.
HRT und mammographische Treffsicherheit
Welchen Einfluss hat die Anwendung einer HRT unmittelbar oder mittelbar durch
Beeinflussung der mammographischen Dichte auf die Treffsicherheit der ScreeningMammographie? Zu dieser Fragestellung publizierten unter anderem Kavanagh und
Mitarbeiter (26) die Daten einer retrospektiven Evaluation der ersten Screeningrunde von
103.770 Australierinnen. Bei den 27 % die-ser Frauen, die eine HRT erhalten hatten, zeigte
sich eine um 12,5 % verminderte Sensitivität der Mammographie in Bezug auf die Erkennung
invasiver Mammakarzinome bei nahezu konstanter Spezifität der mammographischen
Untersuchung.
Hinweise zur HRT in der „Sekundärprävention“
- Beurteilbar sind die Daten aus HERS und WHI; Fallzahl/Dauer waren in WEST, PHASE,
WHISP, ESPRIT zu gering; in ERA, WAVE, WELLHART, PHOREA u.a. wurden nur
indirekte kardiovaskuläre Parameter erhoben.
- Es gibt keinen Nachweis einer Sekundärprävention. Dies ist nach experimentellen Studien
auch plausibel: Eine bestehende Arteriosklerose wird durch Hormone nicht mehr positiv
beeinflusst!
- Insbesondere ist kein zusätzlicher Protektionseffekt bei primär schon austherapierten
Patientinnen zu erwarten: 80 % hatten in HERS nach Infarkt bereits eine Basismedikation!
- Daher lautet die wesentliche Fragestellung bei vorbestehenden kardiovaskulären
Erkrankungen: Risikominimierung bei Bedarf einer HRT zur Behandlung menopausaler
Beschwerden!
- HERS ergab ein hohes Risiko venöser Thrombosen, keine Sekundärprävention mit
CEE/MPA sowie evtl. eine um 50 % höhere Reinfarktrate im 1. Jahr. Die hohe Quote ist aber
methodisch umstritten.
17
HRT – Quo vadis?
- Das Infarktrisiko war in HERS unter HRT besonders für digitalisierte Patientinnen erhöht.
Bei primär hohem Lipoprotein (a) ist es vermindert, deshalb als prädiktiv positiven Marker
bestimmen!
- Bei APC-Resistenz und Prothrombinvariante 20210G>>A ist das Infarktrisiko unter HRT
erhöht. Die Bedeutung anderer „arterieller Marker“ wie F.I, VII, VIII, PAI-1 ist noch unklar.
- Ein 5- bis 10fach höheres Risiko für venöse Thrombosen besteht bei angeborenen
Gerinnungsstörungen sowie bei Thrombose in der Anamnese (EVTET-Studie). Diese sind
daher Kontraindikation.
- Bei Diabetes besteht allgemein hohes Infarktrisiko: regelmäßige Glukose-Belastungsteste!
TG senken, v.a. bei metabolischem Syndrom; Diabetiker mit KHK profitieren vermutlich von
HRT.
- Nach Infarkt soll im 1. Jahr keine HRT durchgeführt werden, danach nur bei strenger
Indikation, nicht mit equinen Estrogenen/MPA, Gestagendosis minimieren, aber auch
Estradiol niedrig dosieren (Pflaster oder 1 mg oral).
- Bei Infarkt ist forensisch derzeit ein Absetzen zu empfehlen. Der Internist sollte jedoch
informiert werden, dass dadurch das Risiko erhöht werden kann, v.a. bei primär hoch
dosierter HRT.
- Bei stabiler, therapierter KHK ist kein Absetzen zu empfehlen: Abruptes
Absetzen könnte das Risiko für venöse Thrombosen oder Instabilisierung
arteriosklerotischer Plaques erhöhen.
- Mögliche Risiken ergeben sich vor allem durch Gestagene, aber auch durch Estrogene. Sie
sind weniger von der Art der Hormone als von den Dosierungen abhängig.
- Nach Hysterektomie soll kein Gestagenzusatz erfolgen: Durch Gestagenzusatz kann das
Brustkrebsrisiko erhöht werden, ein erhöhtes kardiovaskuläres ist Risiko nachgewiesen.
- Die Sekundärprävention der Wahl sind Statine! In HERS hatten die Frauen nach Infarkt
keine erhöhten kardiovaskulären Risiken durch HRT, wenn sie mit Statinen therapiert
wurden!
Tab. 3: HRT und kardiovaskuläres Risiko bei Frauen mit Vorerkrankungen
(„Sekundärprävention“).
Ähnliche Ergebnisse berichteten auch Laya (27), Litherland (28), Rosenberg (29) und
Seradour (30) anhand vergleichbarer Screeningkollektive aus anderen Nationen. Dabei
konnten Carney (10) und Mitarbeiter zeigen, dass eine HRT die mammographische
Treffsicherheit mittelbar durch Beeinflussung der Drüsenkörperdichte zu reduzieren scheint.
Klinische Schlussfolgerungen
Eine HRT führt nur bei einem Teil der Anwenderinnen zu Dichteveränderungen des
Brustdrüsengewebes, und nicht jede Dichtezunahme des Drüsengewebes führt automatisch
zur Verminderung der Beurteilbarkeit der Mammographie, wie das Beispiel in Abbildung 1
verdeutlicht.
18
HRT – Quo vadis?
Bei betroffenen Patientinnen empfiehlt sich eine Dosisreduktion oder ein Wechsel auf
Präparate mit geringerer Dichtebeeinflussung, zumindest jedoch ein kurzfristiges Aussetzen
der Behandlung vor einer geplanten Mammographie. Dabei sollte die Therapieentscheidung
auf der Basis des Informed Consent der Patientin beruhen.
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HRT – Quo vadis?
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Für die Autoren
Dr. med. Karin Bock
Klinik für Gynäkologie, Gynäkologische Endokrinologie und Onkologie der PhilippsUniversität Marburg
Pilgrimstein 3
D-35033 Marburg
Tel. +49 (0)64 21/2 86 44 00
Fax +49 (0)64 21/2 86 44 03
E-Mail [email protected]
21
HRT – Quo vadis?
HRT und Brustdrüse
HRT und Mammakarzinom-Risiko
Herbert Kuhl
Das Mammakarzinom zählt zu den hormonabhängigen Tumoren; viele seiner Risikofaktoren
stehen in Beziehung zur Reproduktion. Vor diesem Hintergrund sind verlässliche Angaben
dazu gefragt, wie und in welchem Umfang sich eine Hormonsubstitution auf das
Mammakarzinom-Risiko auswirkt.
Zu den Risikofaktoren im Zusammenhang mit der Reproduktion zählen zum Beispiel eine
frühe Menarche, eine späte Menopause, eine späte erste Geburt, Kinderlosigkeit oder eine
Hormontherapie, während längere Phasen der Anovulation oder der Laktation einen
protektiven Effekt haben. Die Zu- oder Abnahme des relativen Risikos bewegt sich dabei in
einem Bereich von 20–40 %. Im Vergleich dazu nimmt das Risiko bei starkem Übergewicht
um bis zu 250 % zu.
In welchem Umfang wirkt sich eine Hormonsubstitution aus?
Die bisher veröffentlichten Ergebnisse zahlreicher Kohorten- und Fall-Kontroll-Studien über
den Einfluss der Hormonsubstitution waren sehr widersprüchlich. Erst die 1997 publizierte
Reanalyse der Daten der wichtigsten großen Untersuchungen erlaubte eine definitive Aussage
über das mit der Hormonsubstitution verbundene relative Brustkrebsrisiko. Insgesamt erhöht
eine Hormontherapie, sofern sie über fünf Jahre und länger (im Durchschnitt über elf Jahre)
durchgeführt wird, das Mammakarzinomrisiko um 35 %; es geht aber nach Absetzen
innerhalb von fünf Jahren wieder zurück. Dabei erhöht eine fünfjährige Hormontherapie
innerhalb einer Beobachtungszeit von 20 Jahren die Zahl der Mammakarzinome um zwei
Fälle pro 1.000 Frauen und eine zehnjährige Therapie um sechs Fälle.
WHI-Studie: Selektionsbias durch Vorbehandlung?
In der randomisierten WHI-Studie wurde für das Risiko eines invasiven Mammakarzinoms
durch eine etwa fünfjährige Behandlung mit 0,625 mg konjugierten Estrogenen und 2,5 mg
Medroxyprogesteronacetat (CEE/MPA) im Vergleich zu einem Plazebo eine Erhöhung um 24
% beobachtet. Dabei stellte sich heraus, dass dies nur für diejenigen Frauen zutraf, die bereits
vor Beginn der Studie (über einen variablen Zeitraum) mit Hormonen behandelt worden
waren, während bei Frauen, die zuvor keine Hormonsubstitution erhalten hatten, das Brustkrebsrisiko nicht verändert war.
22
HRT – Quo vadis?
Eine Überprüfung der Daten zeigt jedoch, dass bei den mit Hormonen vorbehandelten Frauen
die Zunahme des relativen Risikos unter der CEE/MPA-Therapie nicht auf einer höheren
Brustkrebs-Inzidenz, sondern auf einer signifikant niedrigeren Rate in der Plazebogruppe
beruhte. Es handelt sich demnach um einen Selektionsbias, der auf die Vorbehandlung
zurückzuführen ist. Es ist anzunehmen, dass während der Vorbehandlung das Wachstum
okkulter Mammatumoren beschleunigt wurde, sodass diese vorzeitig entdeckt wurden und
infolgedessen in der Plazebogruppe während der WHI-Studie unterdiagnostiziert waren.
Welche Rolle spielt das Gestagen?
In der WHI-Studie betraf der vorzeitige Studienabbruch nur die Behandlung mit der
CEE/MPA-Kombination, während unter der reinen Estrogentherapie das Risiko nach 5,2
Jahren noch nicht erhöht war. Einige 2002 veröffentlichte Fall-Kontroll-Studien sowie die
Million Women Study fanden ebenfalls unter der Therapie mit Estrogen-GestagenKombinationen ein deutlich höheres Brustkrebsrisiko als unter der reinen
Estrogenbehandlung. Dabei scheint es sich in erster Linie um lobuläre Karzinome zu handeln.
Offensichtlich ist der Einfluss des zusätzlichen Gestagens von besonderer Bedeutung für die
Entwicklung des Mammakarzinoms, während dem Estrogen eher eine permissive Rolle
zukommt, zumal ein signifikanter Zusammenhang mit der Estrogendosis bisher nicht
nachgewiesen werden konnte. Möglicherweise wird der maximale Effekt der Estrogene
bereits bei relativ niedrigen Estrogenspiegeln erreicht, denn es gibt Hinweise auf eine
deutliche Abhängigkeit des Brustkrebsrisikos von den Serumspiegeln des Estradiols in einem
extrem niedrigen Konzentrationsbereich.
Die epidemiologischen Daten lassen den Schluss zu, dass der Effekt der Sexualsteroide
primär über ihre wachstumsstimulierende Wirkung zustande kommt. Untersuchungen an
ovarektomierten Rhesusaffen sowie postmenopausalen Frauen zeigten, dass die Mitoserate
des Brustdrüsenepithels unter der Behandlung mit CEE/MPA deutlich höher ist als unter CEE
allein, während zum Beispiel eine Kombination von Ethinylestradiol und Norethisteronacetat
oder die Behandlung mit Tibolon keinen stimulierenden Effekt hat. Die unter CEE/MPA
beobachtete verstärkte Proliferation entspricht der maximalen Mitoserate sowohl von
23
HRT – Quo vadis?
normalem Brustdrüsenepithel als auch von primären Mammakarzinomen in der Lutealphase,
die deutlich höher liegt als in der Follikelphase.
Andererseits wurde in der Million Women Study kein signifikanter Unterschied zwischen
dem Brustkrebsrisiko unter CEE/MPA und dem unter der Behandlung mit anderen EstrogenGestagen-Kombinationen oder Tibolon gefunden. Der Einfluss des Gestagens auf das
Brustkrebsrisiko, der auch für das natürliche Progesteron gilt, macht sich beispielsweise in der
um 60 % reduzierten Inzidenz des Mammakarzinoms bei anovulatorischen Frauen bemerkbar.
Ist der Einfluss auf die Vaskularisierung entscheidend?
Möglicherweise spielt der Einfluss der Sexualsteroide auf die Vaskularisierung bzw.
Durchblutung der Brustdrüse eine entscheidende Rolle. In einer französischen Fall-KontrollStudie führte die langjährige Therapie fertiler Frauen mit benignen Mastopathien mit täglich
8–10 mg Norethisteron zu einer Senkung des Brustkrebsrisikos um 50 %, während
Progesteronderivate keinen Effekt hatten. In einer klinischen Studie wurde gezeigt, dass
Norethisteron in Dosen von 5 oder 10 mg die Durchblutung der Brust um 50 % reduziert. In
diesem Zusammenhang erscheint interessant, dass die Durchblutung der Brust in der
Lutealphase ihr Maximum erreicht und dass die Vaskularisierung der Brust in Abhängigkeit
von der Zahl der Schwangerschaften im Vergleich zu Nulliparae geringer ist. Darüber hinaus
erhöht die Hypervaskularisierung die mammographische Dichte.
Der Einfluss der Sexualhormone auf die Durchblutung könnte auch den Schutzeffekt der
Hormonsubstitution gegenüber Kolon- und Lungenkarzinom erklären. Möglicherweise
besteht ein Zusammenhang zwischen der Reduktion des Risikos des Kolonkarzinoms bzw.
des Lungen-/Bronchialkarzinoms unter der Hormonsubstitution und der Verringerung der
Durchblutung des Intestinal- und des Respirationstrakts unter der Estrogen-GestagenTherapie.
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Autor
25
HRT – Quo vadis?
Prof. Dr. phil. nat. Herbert Kuhl
Zentrum der Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Klinikum der J.W. Goethe-Universität
Theodor-Stern-Kai 7
D-60590 Frankfurt/Main
E-Mail [email protected]
26
HRT – Quo vadis?
HRT nach Tumorerkrankungen
HRT nach Mammakarzinom
C. Jackisch, P. Hadji, K. Bock, U. Wagner
Die Mehrzahl der Brustkrebsüberlebenden ist bereits postmenopausal; weitere kommen durch
die Erkrankung und ihre Therapie frühzeitig in die Menopause. Für diese Frauen ist es
besonders wichtig zu wissen, ob sie ein erhöhtes Risiko für ein Rezidiv oder eine
Metastasierung eingehen, wenn sie ihre klimakterischen Beschwerden mit einer
Hormonersatztherapie behandeln. Die bisher vorliegenden Studienergebnisse zu dieser
Fragestellung ließen keine Risikoerhöhung erkennen. Die frühzeitige Beendigung der
HABITS-Studie erfordert eine erneute klärende Diskussion.
Die aktuelle, auf den unterschiedlichsten Ebenen geführte Diskussion über den
Zusammenhang zwischen HRT und Mammakarzinom-Entstehung gehört derzeit zu Recht zu
den wichtigsten Diskussionen, die die Routineversorgung einer großen Zahl gesunder Frauen
betreffen. Daher erscheint es erwähnenswert, dass in keiner der jemals zur HRT
durchgeführten klinischen Studien die Reduktion der Brustkrebsinzidenz- oder -detektion als
primäres Studienziel postuliert wurde. In präventiver Intention wurden allerdings zahlreiche
andere Vermutungen überprüft, über die bis heute diskutiert wird. So ist es durchaus
verständlich, dass die gleiche Sichtweise auch bei Patientinnen angewandt wird, bei denen
bereits ein Mammakarzinom diagnostiziert wurde.
Nach der Literatur leiden bis zu zwei Drittel der postmenopausalen Patientinnen unter
menopausalen Beschwerden. Die Behandlung der Es- trogenmangelsymptomatik, die oftmals
zu einer nicht akzeptablen Beeinträchtigung der Lebensqualität führt, mag somit in vielen
Fällen eine Indikation zur Einleitung einer topischen oder systemischen HRT darstellen. Ob
aber eine Hormonsupplementierung bei Mammakarzinompatientinnen den gleichen
Stellenwert hat, wie er für die Karzinogenese vermutet wird, bleibt unklar.
HRT nach Mammakarzinom – aktuelle Datenlage
Die verständliche Sorge, durch eine HRT das Auftreten von Lokalrezidiven, kontralateralen
Mammakarzinomen, Fernmetastasen oder gar Zweitkarzinomen zu fördern, die letztlich das
Überleben verkürzen, macht die Zurückhaltung bei der Indikationsstellung einer HRT in
dieser Situation nachvollziehbar. Diese Zurückhaltung findet sich auch in der derzeit gültigen
Konsensusempfehlung „Hormonsubstitution nach Mammakarzinom“ der Deutschen
Gesellschaft für Senologie, die im Juni 2002 verabschiedet wurde (1).
Unbestritten ist nach unserem derzeitigen Wissen der Nutzen eines temporären oder
dauerhaften Estrogenentzugs in der adjuvanten Therapie des hormonrezeptorpositiven
Mammakarzinoms. Dies gilt für alle Altersgruppen und sowohl für die Mono- als auch für die
Sequenztherapie (2). Im Gegensatz dazu stehen Ergebnisse von elf Kohorten- und FallKontrollstudien, in denen 214 Frauen nach Diagnose eines Mammakarzinoms eine HRT
erhielten. Vier dieser Studien wiesen Kontrollgruppen auf. Bei den 214
Brustkrebspatientinnen, die im Mit-tel 52 Monate nach Diagnosestellung mit der HRT
begannen, traten innerhalb einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 30 Monaten 17
Rezidive (4,2 % pro Jahr) auf, verglichen mit 66 Rezidiven bei den 623 Frauen der
Kontrollkollektive (5,4 % pro Jahr) (3). Das Rezidivrisiko war somit deutlich erniedrigt (RR
0,64; 95 % CI 0,36–1,15).
Eine weitere retrospektive Beobachtungsstudie aus Australien untersuchte 1.122 Patientinnen,
bei denen in den Jahren 1964 bis 1999 ein Brustkrebs diagnostiziert und behandelt wurde.
27
HRT – Quo vadis?
Insgesamt 286 dieser Frauen behandelten ihre menopausalen Beschwerden mit einer HRT (48
% kontinuierlich-kombiniert, 27 % orale Gestagene, 11 % vaginale Estrogenanwendung, 7 %
vaginale kombinierte Anwendung, 6 % Estrogene transdermal). Die Behandlung wurde im
Mittel etwa ein Jahr (0–23 Jahre) nach Diagnosestellung begonnen und 1,75 Jahre (0,17–34
Jahre) lang durchgeführt. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug in der Kontrollgruppe 5,1
Jahre, bei den HRT-Anwenderinnen 5,8 Jahre. Auch in dieser Analyse zeigte sich ein
geringeres Rezidivrisiko der HRT-Anwenderinnen mit einem relativen Risiko von 0,62 (95 %
CI 0,43–0,87) sowie eine Absenkung des relativen Risikos für die brustkrebsbezogene
Mortalität (RR 0,40; 95 % CI 0,22–0,72) (4).
Eine weitere Fall-Kontroll-Studie von O’Meira und Mitarbeitern bestätigte diese Ergebnisse
bei 174 Mammakarzinom-Patientinnen, die eine HRT benutzten: Auch hier waren
Rezidivinzidenz und Mortalität geringer (5). Eine Zusammenstellung von kleineren
retrospektiven Analysen oder Beobachtungsstudien, in denen insgesamt 656
Brustkrebspatientinnen, die zu irgendeiner Zeit nach Diagnosestellung eine HRT erhalten
hatten, mehr als zwölf Jahre nachbeobachtet worden waren, kommt zu den gleichen
Ergebnissen (6).
In der bisher verfügbaren Literatur konnte unter der Maßgabe einer evidenzbasierten
Datenanalyse maximal nur eine Level-III-Evidenz gefunden werden. In dieser prospektiven
Kohortenstudie wurden von 319 Brustkrebspatientinnen 39 prospektiv mit einer HRT
behandelt. Lediglich eine Patientin (2,6 %) in der HRT-Gruppe entwickelte in der
Nachbeobachtungsphase ein neues Mammakarzinom, wohingegen in der Kontrollgruppe bei
14 Patientinnen (5 %) entweder ein neues Mammakarzinom oder ein Rezidiv auftrat (7).
Prospektiv randomisierte Studien zu HRT nach Mammakarzinom
In einer am Royal Marsden Hospital in London durchgeführten Pilotstudie wurden 100 von
261 Brustkrebspatientinnen mit klimakterischen Beschwerden prospektiv randomisiert (HRT
vs. keine HRT) behandelt (8). Zielkriterien waren
- die Akzeptanz der Rekrutierung,
- die Fortführung der randomisiert zugewiesenen Behandlung und
- der Effekt einer HRT auf vasomotorische Symptome unter Tamoxifen.
Von den 100 rekrutierten Frauen erhielten 49 eine Tamoxifentherapie. Die HRT (2 mg
Estradiolvalerat bei hysterektomierten Patientinnen oder 2 mg Estradiolvalerat + 75 µg
Levonorgestrel d12–28) erfolgte für die Dauer von sechs Monaten. Unter HRT wurden bei
zwei Frauen Metastasen gefunden, in der Kontrollgruppe lediglich bei einer Patientin. Die
Kontrolle der vasomotorischen Beschwerden unter HRT, die das Haupteinschlusskriterium
dieser Untersuchung darstellte, wurde – unabhängig von einer begleitenden
Tamoxifentherapie – aus Sicht der Patientinnen als gut bewertet.
Der Effekt einer länger dauernden HRT (für die Dauer von zwei Jahren) bei
Brustkrebspatientinnen wird derzeit in drei prospektiv randomisierten Studien geprüft (10).
HRT und Antiestrogentherapie
Neben den Patientinnen mit dem kausalen Estrogenentzug zuzuordnenden vasomotorischen
Symptomen ist die Gruppe derjenigen Frauen zu beraten, die unter einer Therapie mit
Antiestrogenen vasomotorische Defizite beklagen. Hier gilt es zusätzlich zu beachten, dass
eine zunehmende für die Patientinnen belastende Symptomatik die Compliance gegenüber der
antineoplastischen Therapie gefährden kann.
28
HRT – Quo vadis?
Eine aktuelle Arbeit von Dew et al. untersuchte 1.472 Brustkrebspatientinnen, die sich
entweder einer Antiestrogentherapie mit Tamoxifen unterzogen (51 %) oder einen positiven
Estrogen-Rezeptorstatus aufwiesen und über vasomotorische Beschwerden klagten. Insgesamt
23,2 % der Frauen entschieden sich für eine hormonelle Behandlung ihrer menopausalen
Beschwerden. Die HRT begann im Durchschnitt drei Jahre nach Diagnosestellung und wurde
im Mittel 1,6 Jahre (0,25–22 Jahre) lang durchgeführt.
Das rezidivfreie Überleben wurde mit dem der verbliebenen 1.130 Frauen verglichen (9). Die
gleichzeitige Durchführung einer kontinuierlich kombinierten HRT mit einer
Tamoxifentherapie ergab ein RR von 0,67 (95 % CI 0,14–4,24; p=0,67), während eine
vaginal-topische Estrogensubstitution in Kombination mit einer Tamoxifentherapie ein RR
von 0,31 (95 % CI 0,10–2,57; p=0,28) ergab. In dieser Untersuchung konnte bei einer
medianen Nachbeobachtungszeit von drei Jahren keine erhöhte Rezidivrate für HRTAnwenderinnen unter einer Antiestrogentherapie beobachtet werden.
Fazit
Auf der Basis der bisher vorliegenden Daten, die verständlicherweise nur ein geringes
Evidenzniveau erreichen, konnte eine HRT nach entsprechender Aufklärung und
Ausschöpfung aller supportiven Möglichkeiten zur Behandlung vasomotorischer
menopausaler Beschwerden durchaus empfohlen werden, da eine Prognoseverschlechterung
nicht erkannt werden konnte (10). Die Sicherheit einer zweijährigen HRT gegenüber einer
HRT-freien Kontrollgruppe sollte in der prospektiv randomisierten HABITS-Studie an 1.300
Brustkrebspatientinnen mit menopausalen Symptomen überprüft werden. Das Ergebnis einer
„Saftey-Analyse“ dieser Studie ergab nach einer medianen Nachbeobachtung von 2,1 Jahren,
dass in der HRT-Gruppe insgesamt 26 „Brustkrebs-Ereignisse“ verglichen mit acht
„Brustkrebs-Ereignissen“ im Kontrollarm auftraten. Das Steering-Komitee hat daraufhin die
vorzeitige Beendigung dieser Studien im Dezember 2003 empfohlen (11).
Die Erkenntnisse der früheren Studien zur Reduzierung vasomotorischer Beschwerden durch
eine HRT müssen dennoch bei der Beratung beachtet werden. So betrug das krankheitsfreie
Intervall vor Aufnahme der HRT im Mittel mehr als 48 Monate gegenüber 30 Monaten in der
HABITS-Studie. Ob die unter HRT vermehrt aufgetretenen ipsi- und kontralateralen
Rezidive, aber auch die Fernmetastasen Einfluss auf die Mortalität haben werden, bleibt
abzuwarten. Die bisher vorliegenden Daten der HABITS-Studie lassen nicht erkennen, dass
die HRT bei rezeptornegativen Karzinompatientinnen zu einer Änderung des
Therapieverhaltens bei dieser Fragestellung führen muss.
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29
HRT – Quo vadis?
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localized breast cancer: clinical outcome of 319 women followed prospectively. J Clin Oncol
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symptomatic women with breast cancer feasible? Fertil Steril 73 (2000) 292–299.
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therapy in women previously treated for breast cancer: a cohort study. Climacteric 5 (2002)
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10. Pritchard KI, Khan H, Levine M et al.: Clinical practice guidelines for the care and
treatment of breast cancer: 14. The role of hormone replacement therapy in women with a
previous diagnosis of breast cancer. CMAJ 166 (2002) 1017–1022.
11.Holmberg L, Anderson H: HABITS (hormonal replacement therapy after breast cancer –
is it safe?), a randomised comparison: trial stopped. Lancet 363 (2004) 453–455.
Für die Autoren
PD Dr. med. Christian Jackisch
Stellvertretender Direktor Klinik für Gynäkologie, Gynäkologische Endokrinologie und
Onkologie Klinikum der Philipps-Universität Marburg
Pilgrimstein 3, D-35037 Marburg
Tel. +49 (0)64 21/2 86 43 90
Fax +49 (0)64 21/2 86 89 69
E-Mail [email protected]
30
HRT – Quo vadis?
HRT und Herz-Kreislauf-System
HRT und kardiovaskuläres Risiko
Alfred O. Mueck
Wie die WHI-Studie deutlich gemacht hat, ist kein kardiovaskulärer Benefit zu erwarten,
wenn eine HRT bei älteren Frauen mit vorbestehenden arteriosklerotischen Veränderungen
begonnen wird. Das heißt jedoch nicht, dass Hormone keinen Platz in der Primärprävention
von kardiovaskulären Erkrankungen haben können: Nach den Erkenntnissen der
Grundlagenforschung und verschiedener klinischer Studien sind kardiovaskulär präventive
Effekte zu erwarten, wenn bereits früh mit der Substitution des fehlenden Estradiols begonnen
wird. Dies ist derzeit jedoch keine Indikation für eine HRT.
Die kardiovaskulären Wirkungen der Estrogene zählen mit über 1.000 Studien zu den am
besten untersuchten endokrinologisch-pharmakologischen Paradigmen. Sie sind für das
körpereigene Estradiol mit die wichtigsten regulativen Hormoneffekte und betreffen vor allem
den Stoffwechsel der Lipide und der Kohlenhydrate, die Gerinnung und Fibrinolyse sowie die
Gefäßwand. Im Nettoeffekt müssen die vielfältigen, interaktiven Wirkungen als positiv für
alle kardiovaskulären Abläufe bezeichnet werden, Resultat einer über Millionen Jahre
verlaufenen Evolution – meines Wissens ist keine kardiovaskuläre Erkrankung bekannt, die
sich durch Entzug von Estradiol bessern würde! In Fall-Kontroll-Studien fanden wir für junge
Frauen mit niedrigen Estradiolspiegeln (als Folge ovarieller Insuffizienz) ein erhöhtes
Infarktrisiko; nach bilateraler Ovarektomie steigt die Infarktrate sehr steil – um ein Vielfaches
– an. Es gibt viele Belege für eine estrogenabhängige kardiovaskuläre Protektion!
Mit Risiken muss jedoch gerechnet werden, wenn Hormone unphysiologisch substituiert
werden oder erst nach jahrelangem Estrogendefizit auf pathologisch veränderte Strukturen
wie arteriosklerotische Plaques treffen. Somit ist die Situation einer Primär- von der einer
Sekundärprävention zu unterscheiden, mit der Zwischenstellung von Frauen ohne
bekannte Vorerkrankungen, aber mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko. Entsprechende
praktische Empfehlungen sind in den Tabellen 2 und 3 (S. 232/233) zusammengestellt.
31
HRT – Quo vadis?
HRT bei Frauen ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen
Fall-Kontroll- und Kohortenstudien zeigen nahezu übereinstimmend eine Reduktion des
kardiovaskulären Risikos bis 50 %. Auch die jüngste Metaanalyse der als besonders kritisch
eingeschätzten Epidemiologinnen Barrett-Connor und Grady ergibt eine Risikoreduktion um
bis zu 40 %. Diese Reproduzierbarkeit von positiven Ergebnissen muss als Beleg gewertet
werden, dass eine Primärprävention möglich ist, wenn das Kollektiv adäquat gewählt und die
Behandlung frühzeitig begonnen wird.
Dies ist zum Beispiel in der seit 1976 laufenden Nurses’ Health Study der Fall, für die primär
121.700 Krankenschwestern zwischen 30 und 55 Jahren, d.h. bereits in der Prä- und
Perimenopause, rekrutiert wurden. Im Gegensatz etwa zur Million Women Study, einer
Querschnittsstudie ohne Nachbeobachtung, ist dies eine prospektive Langzeitstudie mit
regelmäßigen, reproduzierbaren Auswertungen, ohne wesentliche methodische Mängel. So
wurde gerade auch für diese Studie nachgewiesen, dass die viel beschriebenen
„Selektionsbias“ nicht zutreffen: In allen Subgruppenanalysen, z.B. hinsichtlich sozialem
Status, Bildungsgrad, Arztbesuchen, Gesundheitsbewusstsein u.a., ergeben sich unter HRT
reduzierte kardiovaskuläre Risiken. Die letzte Auswertung in 2000 umfasste 70.533 Frauen
und zeigte eine Risikoreduktion um 40 %. Behandelt werden dabei nur Frauen mit
klimakterischen Beschwerden, d.h. mit gesichertem Estradiolmangel, während genau diese
Frauen in HERS und WHI ausgeschlossen wurden.
Bisher gibt es keine Studie, welche die kardiovaskulär präventiven Effekte einer HRT bei
Frauen ohne Vorerkrankungen widerlegt. Die Regeln der Evidence-based Medicine besagen,
dass nach jeweiliger Evidenz behandelt werden soll. Sie beinhalten nicht etwa Nihilismus, bis
doppelblind plazebokontrollierte Studien vorliegen. Da solche Studien derzeit für die
Primärprävention fehlen, sollten wir den Frauen mitteilen, dass bei frühem
Behandlungsbeginn mit einem kardiovaskulären Schutz gerechnet werden kann, der
allerdings verloren geht, wenn mit einer HRT erst begonnen wird, wenn bereits
arteriosklerotische Veränderungen vorliegen.
WHI – eine Studie bei älteren Frauen mit hohem kardiovaskulärem Risiko
Bekanntlich wurde die Teilstudie der WHI mit konjugierten equinen Estrogenen (CEE) 0,625
mg/d kombiniert mit MPA 2,5 mg/d (n=8.506) im Vergleich zu Plazebo (n=8.102) nach einer
mittleren Dauer von 5,2 Jahren (geplant waren 8,5 Jahre) vorzeitig abgebrochen, weil eine
kardiovaskuläre Prävention bis dahin nicht erreicht wurde. Es wurde im Gegenteil initial ein
höheres Risiko von Infarkten, Insulten und Thromboembolien gesehen. In absoluten Zahlen
waren diese Risiken allerdings gering, sie betrafen pro Jahr etwa 0,1 % der behandelten
Frauen.
Hinweise zur HRT in der „Primärprävention“
- „Evidence-based Medicine“ bedeutet, nach jeweils vorhandener Evidenz zu therapieren:
Derzeit widerlegt keine Studie die echte Primärprävention durch eine frühe, adäquate HRT!
- Rund 1.000 experimentelle Studien zeigen einen Benefit, in 40 FallKontroll- und Kohortenstudien betrug die Risikoreduktion bis 50 %.
Durchschnittsstatistiken erfassen jedoch nicht individuelle Risiken!
- Nur die Ergebnisse aus klinisch-experimenteller Forschung weisen darauf hin, wann und
warum mit individuellen Risiken zu rechnen ist. Sie sind
daher mit zu berücksichtigen.
32
HRT – Quo vadis?
- Bei frühem Behandlungsbeginn durch Estrogene wurden positive Effekte wie eine
Hemmung der Arteriosklerose-Initiation nachgewiesen, auch mit heute üblichen niedrigen
Dosierungen.
- Eine intakte Endothelfunktion vorausgesetzt, erfolgt durch Gestagene keine
Antagonisierung. Auch negative Stoffwechseleffekte (HDL!) sind bei sonst gesunden Frauen
klinisch kaum relevant.
- Mit zunehmenden vaskulären Veränderungen (Alter, Risikofaktoren wie Hypertonie,
Adipositas, Rauchen usw., vgl. WHI) verringert sich der Estrogenbenefit …
- … und negative Gestageneffekte wie Einschränkung des Blutflusses, ungünstige
metabolische Veränderungen usw. nehmen zu (weniger abhängig vom Typ als von der Dosis).
- Je länger das Estrogendefizit nach der Menopause besteht (WHI!), umso höher ist das Risiko
auch von negativen Estrogeneffekten wie Destabilisierung arteriosklerotischer Plaques und
Thromboembolien.
- Das Risiko venöser Thrombosen ist bei Prädisposition (Adipositas,
Immobilisation, Exsikkose …) relevant; es ist vierfach höher bei oraler als bei transdermaler
HRT (ESTHER-Studie).
- Kardiovaskuläre Risiken werden jedoch derzeit stark überbewertet: Selbst in Kollektiven mit
hohem Risiko wie in WHI waren nur wenige Patientinnen (20 Jahre postmenopausal)
betroffen!
- Bei gesunden Frauen (Anamnese, ggf. Labor!) ist ein Nutzen zu erwarten. Derzeit soll
jedoch keine HRT zum ausschließlichen Zweck einer kardiovaskulären Prävention erfolgen.
Tab. 2: HRT und kardiovaskuläres Risiko bei Frauen ohne Vorerkrankungen
(„Primärprävention“).
Es ist unsinnig, die WHI als eine Studie zur Primärprävention zu bezeichnen. Noch
nachvollziehbar ist, dass aus amerikanischen Universitäten bislang kaum Kritisches zur WHI
zu lesen war – die National Institutes of Health, Sponsor der WHI, sind der wichtigste
Drittmittelgeber in den USA. Erst jetzt sollen unabhängige Epidemiologen die Originaldaten
erhalten. Dass aber auch hierzulande selbst in „offiziellen Stellungnahmen“ der Titel der
Publikation (Studie „in healthy postmenopausal women“) kritiklos übernommen wurde, das
ist meines Erachtens der eigentliche „Hormonskandal“:
In der WHI wurden ca. 2.000 Frauen nach Venenthrombosen und Lungenembolien, nach
Herzinfarkt, mit Angina pectoris, nach Bypass-Operationen oder Angioplastie oder auch mit
Diabetes (mit wichtigste Ursache für KHK) geprüft. Darüber hinaus waren 36 %
Hypertoniker, 20 % nahmen ASS und 12 % Lipidsenker, wobei z.B. Frauen mit Triglyzeriden
bis 1.000 mg/dl rekrutiert werden konnten. 50 % waren vor oder während der Studie
Raucherinnen, und über 30 % waren mit 20 kg Übergewicht ausgesprochen adipös. Bereits
bei Studienbeginn lag das mittlere Alter bei 63,2 Jahren, und über 20 % der Frauen waren
älter als 70 Jahre. Somit wurde in der WHI vorrangig ein Kollektiv mit bereits bestehenden
arteriosklerotischen Veränderungen geprüft, und die Ergebnisse sind nur für diese
Bedingungen zu werten.
Auswertungen für die entscheidende Zeit – die Peri- und frühe Postmenopause – oder gar für
die wenigen „gesunden“ Frauen konnten nicht erfolgen. Nur für die Hochrisikogruppen
(KHK, Insult, Thrombosen) wurden Teilanalysen durchgeführt, die keinen Unterschied zum
Restkollektiv ergaben. Somit liegen mit den wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren –
Adipositas, Nikotinkonsum, Hypertonie, Hypercholesterinämie, Diabetes und
fortgeschrittenes bzw. hohes Alter – insgesamt sehr ungünstige Bedingungen vor, welche die
33
HRT – Quo vadis?
positiven Estrogeneffekte offensichtlich nicht mehr zur Wirkung kommen lassen. Estrogene
können zwar die Initiation der Arteriosklerose, nicht aber deren Progression verhindern, wie
allerdings (auch in eigenen Arbeiten) erst in den letzten Jahren festgestellt wurde.
Wie die Autoren selbst schreiben, gelten die Ergebnisse der abgebrochenen WHI „nicht für
niedrigere Dosierungen, nicht für andere orale Estrogene oder Gestagene und nicht für die
transdermale Applikation“. Sie gelten auch nicht für den noch laufenden Estrogen-Monoarm
der WHI – negative Gestageneffekte sind bei bereits vorliegender Arteriosklerose besonders
relevant, da die Gefäße nicht mehr adäquat regulieren können. Der Stand der Information ist
derzeit, dass bei Behandlungsbeginn erst im hohen Alter mit dem geprüften Präparat bei
Frauen mit hohem kardiovaskulärem Risiko keine Prävention erreicht werden kann. Initial
sind unter den Bedingungen der WHI erhöhte Risiken möglich – nach der kürzlichen
„Endauswertung“ jedoch ausschließlich für Frauen, deren Menopause länger als 20 Jahre
zurückliegt und die primär erhöhtes LDL-Cholesterin aufweisen, d.h. bei bereits vorliegenden
arteriosklerotischen Veränderungen.
HRT bei Frauen mit bekannten kardiovaskulären Vorerkrankungen
Die bis heute einzige plazebokontrollierte Doppelblindstudie, in der mit ausreichender
Fallzahl bei Frauen nach Herzinfarkt eine HRT geprüft wurde, ist HERS: Die vierjährige
Behandlung von 1.380 Frauen (mittleres Alter 67 Jahre) mit dem gleichem Präparat wie in der
WHI hat im Vergleich zu Plazebo (n=1.383) keine Protektion, sondern initial ein erhöhtes
Risiko für Infarkte gezeigt. Rechnerisch war die Re-Infarktrate im ersten Jahr um 50 %
erhöht. Diese hohe Quote ist aus verschiedenen Gründen umstritten, unter anderem wegen
häufigerem Beginn einer Behandlung mit Statinen in der Plazebogruppe. Die Rate venöser
Thrombosen war dreifach erhöht, wobei Frauen mit APC-Resistenz mehr als fünffach stärker
gefährdet waren.
Weitere, erst in den letzten drei Jahren publizierte Studien, in denen wie in HERS das
Auftreten von Re-Infarkten oder Re-Insulten unter HRT randomisiert prospektiv vs. Plazebo
festgestellt wurde, sind WEST, PHASE, WHISP und ESPRIT. In keiner dieser Studien wurde
ein signifikanter sekundärpräventiver Effekt nachgewiesen. Allerdings ergaben sich auch
keine signifikanten Risikoerhöhungen, wobei in allen vier Studien Estradiol und in PHASE
und WHISP zusätzlich Norethisteronacetat (NETA) verwendet wurde. Die statistische Power
ist insbesondere aufgrund der häufigen frühen Behandlungsabbrüche jedoch zu gering, um
sichere Schlussfolgerungen zuzulassen. Die Fallzahlschätzungen für „klinische Endpunkte“
ergeben etwa Patientenzahlen, wie sie für HERS rekrutiert wurden, d.h. pro Studienarm über
1.000 zu rekrutierende Frauen.
In WEST wurden 337 Frauen (mittleres Alter 71 Jahre) nach ischämischem Hirninsult oder
transitorisch ischämischen Attacken während durchschnittlich 2,8 Jahren mit oralem Estradiol
1 mg/d vs. Plazebo (n=327) geprüft. Die übliche „Intent-to-Treat“ (ITT)-Analyse ergibt zwar
ein (nicht signifikant) erhöhtes Risiko für letale Hirninsulte, aber ein Kausalzusammenhang
mit der Estradiolbehandlung wurde von den Autoren selbst in Frage gestellt: Es gab zwar
zwölf Todesfälle in der Estrogen- gegenüber drei in der Plazebogruppe, jedoch hatten zehn
der zwölf Frauen zum Zeitpunkt ihres Todes das Estrogen gar nicht eingenommen. In der Tat
hatten mindestens vier Patientinnen Estrogen nur drei Wochen lang angewandt und waren
zwei Jahre später gestorben. Dies ist ein typisches Beispiel, wie ITT-Analysen die Kausalität
verfälschen können. Meines Erachtens sollten Konsequenzen aus Studien überhaupt nur dann
gezogen werden, wenn auch „Per-Protokoll“-Analysen vorliegen!
34
HRT – Quo vadis?
In PHASE wurden 134 Frauen mit KHK (mittleres Alter 66 Jahre) mit transdermalem
Estradiol 80 mg/d, sequenziell kombiniert mit 120 mg NETA/d (Kombi-Pflaster), im
Vergleich zu 121 Frauen mit Plazebo geprüft. 40 % brachen insbesondere wegen Blutungen
bereits nach sieben Monaten vorzeitig ab, gegenüber nur 7 % in der Plazebogruppe. Dies war
zu erwarten aufgrund der relativ zur Gestagendosis bzw. für das Alter viel zu hohen
Dosierung des Estradiols; wir würden hier 25 mg/d verwenden. Die Studie wurde, wie
praktisch alle genannten Studien, von Kardiologen durchgeführt. Für die wenigen noch in der
Studie verbleibenden Patientinnen zeigte sich innerhalb von 31 Monaten keine Prävention,
aber auch keine signifikante Risikoerhöhung.
Vergleichbares gilt für die WHISP-Studie, in der Estradiol oral 1 mg/d kombiniert mit NETA
0,5 mg/d direkt nach akutem koronarem Syndrom geprüft wird. In den kritischen ersten drei
Monaten ergab sich kein Unterschied zu Plazebo bzw. es wurde sogar eine signifikant
geringere Rate diagnostisch notwendiger Koronarangiographien beobachtet. Die bislang
rekrutierte Zahl von insgesamt 100 Patientinnen (mittleres Alter 69 Jahre) sowie die bisherige
Behandlungsdauer von zwölf Monaten sind jedoch zu gering, um Aussagen bezüglich einer
möglichen kardiovaskulären Sekundärprävention zuzulassen.
In der zuletzt publizierten Studie ESPRIT wurden 513 Frauen (mittleres Alter 63 Jahre) nach
akutem Herzinfarkt vs. Plazebo (n=504) mit Estradiolvalerat 2 mg/d (ohne Gestagenzusatz)
behandelt. Auch hier zeigte sich keine Reduktion der Re-Infarkte oder Re-Insulte, allerdings
auch kein erhöhtes Risiko. Im Gegenteil – die Rate kardialer Todesfälle war unter Estradiol
um 32 % (allerdings nicht signifikant) reduziert. Damit ergibt sich ein Hinweis, dass ohne
Gestagenzusatz möglicherweise doch eine Sekundärprävention möglich ist. Dies muss jedoch
in weiteren Studien verifiziert werden, die mit höheren Fallzahlen signifikante Aussagen
liefern könnten.
Wesentlich geringere Fallzahlen – 100 bis 200 pro Gruppe – sind ausreichend für Studien mit
indirekten Parametern. Durchgeführt wurden plazebokontrollierte Studien mit
koronarangiographischen Messungen (ERA, WAVE, WELLHART), mit sonographischer
Bestimmung der Intima-Media-Dicke (EPAT, PHOREA, HERS B Mode) und eine Reihe von
Studien mit Messung von unterschiedlichen Parametern der Endothelfunktion. Die Studien
kamen im Wesentlichen zum gleichen Ergebnis – keine Sekundärprävention unter HRT, aber
primär- präventive Estrogenwirkungen! So erwies sich in EPAT Estradiol 1 mg/d so effektiv
wie Statine, um bei gesunden Frauen die Initiation einer Arteriosklerose zu verhindern.
Selbst die invasiven koronarangiographischen Studien können nur bedingt den Effekt auf
Klinik und Mortalität reflektieren, wie zum Beispiel Ergebnisse mit Statinen gezeigt haben.
Andererseits lassen sich durch solche Studien Wirkmechanismen abklären und damit auch
Präparate(kombinationen) weitgehend ausschließen, die in Situationen wie bei vorbestehender
Arteriosklerose keinen Erfolg versprechen oder sogar Risiken bedingen. Diese Risiken hätte
man vermeiden und so über 500 Millionen US-Dollar sparen können. Wir hätten heute schon
die viel versprechenden Studien, die jetzt erst begonnen werden – Studien etwa wie KEEPS,
in der transdermales Estradiol vs. konjugierte Estrogene bei gesichert perimenopausalen,
kardiovaskulär gesunden Frauen mit klimakterischen Beschwerden geprüft wird. Aber auch
aus Fehlern kann man lernen.
Weiterführende Literatur
1. Mueck AO, Römer T: Stoffwechsel und Hormonsubstitution. Thieme, Stuttgart, 2002.
2. Mueck AO: Primär- und Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen durch HRT.
Gynäkologe 36 (2003) 197–209.
35
HRT – Quo vadis?
Autor
PD Dr. med. Dipl. Chem. Dr. rer. nat. Alfred O. Mueck
Schwerpunkt für Endokrinologie und Menopause
Universitäts-Frauenklinik Tübingen
Calwer Straße 7
D-72076 Tübingen
E-Mail [email protected]
36
HRT – Quo vadis?
HRT und Skelettsystem
Einsatz der HRT in der Prävention der postmenopausalen
Osteoporose
Evidenz-basierte Empfehlungen
P. Hadji, K. Bock, C. Jackisch, U. Wagner
Bei Frauen sind etwa 80–90 % der Osteoporosefälle durch den physiologischen Abfall des
Östradiolspiegels im Rahmen der Menopause bedingt. Aus diesem kausalen Zusammenhang
begründet sich die Rationale zum Einsatz einer HRT zur Osteoporoseprävention. Im
Folgenden wird eine aktuelle Übersicht über die Möglichkeiten und Risiken einer HRT im
Rahmen der Osteoporoseprävention gegeben.
Von der Volkskrankheit Osteoporose sind zurzeit in Deutschland rund 6 Millionen Menschen
betroffen. Frauen erkranken vier- bis fünfmal häufiger als Männer, wobei die Frakturen in
einem wesentlich früheren Lebensabschnitt auftreten und Frauen aufgrund ihrer höheren
Lebenserwartung länger mit den zum Teil drastischen Einschränkungen leben müssen.
Insgesamt wird jede dritte postmenopausale Frau eine osteoporosebedingte Fraktur erleiden.
Pathophysiologie der postmenopausalen Osteoporose
Das Knochengewebe unterliegt einem lebenslangen kontinuierlichen Auf- und Abbau. Bei
diesem als Bone Remodelling beschriebenen Vorgang werden jährlich etwa 4–10 % der
gesamten Knochenmasse erneuert. Die maximale Knochenmasse, die so genannte Peak Bone
Mass, ist abhängig von genetischer Disposition, Menarchealter, Ernährung,
Lebensgewohnheiten, körperlicher Aktivität und dem Konsum von Genussmitteln und wird
zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr erreicht. Abhängig von Risikofaktoren sowie
endokrinologischen Erkrankungen bleibt die einmal erreichte Knochendichte bei
ausgeglichenem Knochenstoffwechsel bis zum Eintritt in die Menopause erhalten.
Durch den postmenopausalen Östradiolmangel wird der Remodellingzyklus auf einem
erhöhten Frequenzniveau eingestellt, das heißt Knochenauf- und -abbau erfolgen mit größerer
Geschwindigkeit. Durch die verstärkte Aktivität der Osteoklasten steigt die Zahl der
Resorptionslakunen auf der Knochenoberfläche, deren Tiefe und Ausdehnung nimmt zu. Als
Folge werden die Knochenbälkchen verdünnt, und bei weiterem Fortschreiten des
Knochenabbaus verschwinden die Querverbindungen vollständig. Dies kann in den
Wirbelkörpern zu Sinterungsfrakturen oder auch zu Einbrüchen der Endplatten führen.
Neben der direkten Wirkung des Östrogens auf den Knochenmetabolismus wirkt sich der
Verlust an Östrogenen auch nachteilig auf die Muskulatur aus, indem der anabole Effekt
reduziert wird. Durch die Abnahme der Muskelkraft erfolgt ein biomechanisch basierter
Knochenabbau.
Durch den postmenopausalen Östrogenmangel kommt es zu einem individuell sehr
unterschiedlich ausgeprägten, diskontinuierlichen Knochendichteverlust, welcher in den
ersten 10–15 Jahren nach der Menopause besonders stark ausgeprägt ist. Postmenopausal
wird ein Mineralsalzverlust um 1–2 % pro Jahr bei etwa zwei Dritteln aller Frauen als
physiologisch angesehenen. Bei rund einem Drittel aller Frauen kommt es jedoch zu einem
erheblich größeren, diskontinuierlichen Verlust. Insgesamt ist jede dritte postmenopausale
Frau von einer osteoporosebedingten Fraktur betroffen.
Diagnose der Osteoporose
37
HRT – Quo vadis?
Die Diagnostik der Osteoporose besteht aus einer Kombination von Anamnese, körperlicher
Untersuchung, Osteodensitometrie/-sonometrie, ggf. konventionellem Röntgen und
Laborwertbestimmungen. Ziel dieser mehrere Schritte umfassenden Diagnostik ist die
Erstellung eines individuellen Risikoprofils mit anschließender Therapie-Entscheidung.
Hierbei sind die Verfahren zur Knochendichtemessung (DXA und QUS) gleichwertig in der
Lage, das individuelle Frakturrisiko vorauszusagen. Als Goldstandard gilt jedoch aufgrund
der Datenlage zurzeit das DXA-Verfahren, auf dessen Basis die Diagnosestellung beruht.
Prävention der postmeno-pausalen Osteoporose
- Präventionsstrategien
Die Prävention der postmenopausalen Osteoporose umfasst
– die Frakturprophylaxe über eine Beeinflussung von Risikofaktoren bei Frauen ohne
bisherige Erkrankung (Primärprävention),
– die möglichst frühzeitige
Erfassung und Behandlung von Frauen, bei denen eine Osteoporose, aber noch keine Fraktur
vorliegt (Sekundärprävention), und
– die Verhütung weiterer Frakturen und Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit bei Frauen,
die bereits osteoporotische Frakturen erlitten haben (Tertiärprävention).
Ziel einer optimierten Prävention der postmenopausalen Osteoporose ist in jedem Fall die
Reduktion der Frakturinzidenz und der Erhalt von Lebensqualität bei den betroffenen Frauen.
Dieses Ziel sollte möglichst effektiv und – im Hinblick auf begrenzte Ressourcen – auch
möglichst effizient erreicht werden.
- Basistherapie
Entsprechend der multifaktoriellen Genese der Osteoporose liegen die Ansatzpunkte für die
Osteoporoseprävention in der Beeinflussung der Risikofaktoren. Hierbei steht im Rahmen der
Allgemeinprävention die Motivation zur individuellen, eigenverantwortlichen Vorsorge durch
eine knochenstoffwechselgesunde Ernährungsweise bzw. einen ebensolchen Lebensstil,
regelmäßige körperliche Aktivität sowie die Reduktion von
Alkohol- und Nikotinkonsum im Vordergrund.
Grundsätzlich sollte im Rahmen der Osteoporoseprävention bei prämenopausalen Frauen eine
Kalziumzufuhr von 800–1.200 mg/Tag sowie eine Vitamin-D-Zufuhr von 600 IE/Tag
sichergestellt werden. Postmenopausale Frauen haben einen erhöhten Kalziumbedarf, sodass
die Kalziumzufuhr auf 1.500 mg/Tag und die Vitamin-D-Zufuhr auf 800 IE/Tag erhöht
werden sollte. Bei institutionalisierten und/oder in ihrer Mobilität eingeschränkten Frauen
über 65 Jahre ist eine Supplementierung mit 1.200 mg Kalzium plus 800 IE genuinem
Vitamin D3 p.o. täglich zu empfehlen.
Physiologische Wirkung der Hormonsubstitution auf den Knochenstoffwechsel
Bei der postmenopausalen Osteoporose ist durch den physiologischen Abfall des
Östradiolspiegels das dynamische Gleichgewicht zwischen Knochenaufbau und
Knochenabbau gestört. Eine im Rahmen der Osteoporoseprävention durchgeführte Östrogen-/
Gestagen-Substitution führt hierbei über spezifische rezeptorvermittelte Wirkungen an
Osteoblasten und Osteoklasten sowie über autokrine und parakrine Wirkungen zu einer
Osteoklastenhemmung. Neben der Normalisierung des zuvor erhöhten Knochenumsatzes
steigt durch die Aktivierung der Osteoblasten die Knochendichte dosisabhängig relevant an.
38
HRT – Quo vadis?
Zusätzlich kommt es zu einer Modulation der Kalzitonin-Freisetzung und der
Parathormonwirkung, zu einem Anstieg der a-1-Hydroxylase-Aktivität und somit zu einer
verstärkten Produktion des aktiven Vitamins D3, mit der Folge einer erhöhten intestinalen
Kalziumabsorption. Weitere extraskeletale, frakturrelevante Wirkungen der
Östrogensubstitution liegen in der verstärkten Durchblutung der Muskulatur und in einer
Steigerung des Hirnstoffwechsels mit einer Verbesserung der neuromuskulären Erregbarkeit.
Wirkung der HRT auf die Knochendichte
Die Möglichkeit der Osteoporoseprävention durch eine Östrogen-Gestagen-Substitution ist
seit den achtziger Jahren bekannt. In der Zwischenzeit wurde die positive Wirkung auf den
„Surrogatparameter“ Knochendichte durch eine Vielzahl von prospektiven,
plazebokontrollierten Doppelblindstudien bestätigt (s. Abb. 1). Dies konnte in Metaanalysen
randomisierter klinischer Studien untermauert werden, wobei sich übereinstimmend ein
positiver Effekt der Hormonsubstitution sowohl im Rahmen der Primär- als auch der
Sekundärprävention zeigte (s. Abb. 2 auf S. 239). Hierbei lassen die Studienergebnisse auf
eine Dosis-Wirkungs-Beziehung schließen.
Während sich die orale, subkutane, transkutane und transdermale Anwendung von Östradiol,
Östradiolvalerat und konjugierten Östrogenen in Verbindung mit einem entsprechenden
Gestagen bei vorhandenem Uterus und unabhängig von der Applikationsform (sequenziell vs.
kontinuierlich) unter Berücksichtigung der Mindestdosis als gleichwertig erwiesen haben,
zeigen Untersuchungen zur Wirksamkeit von Östriol auch in höheren Dosen widersprüchliche
Ergebnisse auf (s. Tab. 1). In Bezug auf die verwendeten Gestagene hat sich in einer großen
Anzahl von Untersuchungen lediglich für NETA eine östrogenunabhängige Wirksamkeit auf
die Knochendichte nachweisen lassen.
39
HRT – Quo vadis?
Hormonsubstitution und Frakturrisiko
Im Gegensatz zu anderen im Rahmen der Osteoporosetherapie eingesetzten Medikamenten,
wie z.B. den Selektiven Östrogen-Rezeptor-Modulatoren (SERMs) und den Bisphosphonaten,
lagen bislang zur Hormonersatztherapie nur wenige Studien zur primären und sekundären
Prävention vor. Dies ist vor allem darin begründet, dass historisch gesehen die Einführung der
Östrogen-Gestagen-Substitution primär zur Beseitigung von klimakterischen Beschwerden
erfolgte. Erst nach Jahren wurden die ersten Studien zum Schutz vor Osteoporose
durchgeführt, wobei in großen Fall-Kontroll- sowie Kohortenstudien die Wirksamkeit in
Bezug auf die Reduktion osteoporosebedingter Frakturen nachgewiesen wurde. Hierbei zeigte
sich übereinstimmend eine Reduktion des relativen Risikos von Schenkelhalsfrakturen um
25–50 %.
In einer Metaanalyse von Torgerson et al., in die 22 prospektive, randomisierte Studien aus
den Jahren 1997 bis 2000 eingingen, konnte bei Frauen unter 60 Jahren eine 33%ige
Reduktion des Risikos für nichtvertebrale Frakturen festgestellt werden (RR=0,67; 95 % CI,
0,46–0,98; p=0,03). Für Frauen über 60 Jahre zeigte sich jedoch lediglich ein reduzierter
Effekt (RR=0,88; 95 % CI 0,71–1,08; p=0,22). Bezogen auf Schenkelhals- und
Radiusfrakturen zeigte sich insgesamt eine Reduktion um 40 % (RR=0,60; 95 % CI 0,4–0,91;
p=0,02), wobei diese bei Frauen unter 60 Jahren mit einer Risikoreduktion von 55 %
besonders stark ausgeprägt war (RR=0,45; 95 % CI 0,26–0,79; p=0,005) (s. Abb. 2).
Im Rahmen der „Women’s Health Initiative“ (WHI) konnte erstmalig in einer
plazebokontrollierten, randomisierten Doppelblindstudie die Fähigkeit der HRT zur
signifikanten Reduktion von osteoporosebedingten Frakturen der Lendenwirbelsäule sowie
des Oberschenkelhalses zweifelsfrei nachgewiesen werden (s. Abb. 3). Hierbei zeigte sich
eine signifikante Reduktion von klinisch manifesten vertebralen Frakturen um 34 %
(RR=0,66; 95 % CI 0,45–0,98), von Oberschenkelhalsfrakturen um 34 % (RR=0,66; 95 % CI
0,44–0,98) sowie eine Reduktion der Gesamtfrakturrate um 23 % (RR=0,77; 95 % CI 0,45–
0,98). Bei Frauen mit einem erhöhten Frakturrisiko (BMI<25) zeigte sich sogar eine
Risikoreduktion von 49 % bzw. 51 % für Schenkelhals- und Wirbelkörperfrakturen.
Hervorzuheben ist hierbei, dass es sich bei den Teilnehmerinnen der WHI-Studie um Frauen
mit einem geringen Frakturrisiko (hoher BMI, niedriges Alter, keine Basiserhebung der
Knochendichte) handelte, welche nachweislich nicht von einer Raloxifen- oder
Bisphosphonat-Therapie profitieren würden.
Entsprechend den Empfehlungen der S3-Leitlinien des Dachverbandes Osteologie zur
postmenopausalen Osteoporose (PMO) sollte die Entscheidung über den Beginn einer HRT
40
HRT – Quo vadis?
bei Frauen mit erhöhtem Osteoporoserisiko unter Abwägung von möglichen Risiken und
Nutzen gemeinsam mit der Patientin getroffen werden.
Therapiebeginn und Therapiedauer
Auch wenn eine Osteporoseprävention bzw. -therapie immer in ein individuell adaptiertes
Konzept eingebunden werden sollte, stellt die Therapiedauer ein zurzeit noch ungelöstes
Problem dar.
- Konzept des frühen Einstiegs
Nach einem Konzept sollte eine HRT bei Frauen mit hohem Frakturrisiko frühestmöglich
(unmittelbar nach der Menopause) begonnen werden, da so der größte Knochendichteverlust
verhindert werden kann. Bei einem solchen Vorgehen wird gegenwärtig aufgrund der zu
diesem Zeitpunkt im Durchschnitt gering ausgeprägten Arteriosklerose auch von einem
protektiven Effekt auf das Herz-Kreislauf-System ausgegangen. Hierbei sollte die niedrigste
knochenstoffwechselwirksame HRT-Dosis zur Anwendung kommen. Bei Frauen ohne Uterus
sollten in Hinblick auf den noch laufenden Arm der WHI-Studie („Estrogen only“), bei dem
sich bislang kein erhöhtes Risiko nachweisen ließ (bislang >7 Jahre Therapiedauer, geplant
8,5 Jahre), nur Östrogene eingesetzt werden.
Bezogen auf die Veränderung der Knochendichte nach Absetzen einer HRT gibt es zwei
Ansätze. Einerseits zeigte sich in einer Reihe von Untersuchungen, dass sich nach Absetzen
der Behandlung im Allgemeinen wieder ein Knochendichteverlust einstellt. Um Frakturen im
höheren Lebensalter zu verhindern, sollte nach diesem Konzept eine Langzeitsubstitution (5–
10 Jahre) durchgeführt werden. Hierbei wird eine Fraktur um die Jahre der HRT-Anwendung
verschoben. Ob dieses Konzept im Hinblick auf die aktuelle Diskussion um die
Einnahmedauer überhaupt umsetzbar ist, ist zumindest zweifelhaft. Andererseits zeigte eine
Anzahl von Studien das Fortbestehen eines protektiven Effektes auch zehn bis fünfzehn Jahre
nach einer drei- bis vierjährigen HRT. Welcher der beiden Ansätze zutrifft, kann aufgrund der
gegenwärtigen Datenlage nicht eindeutig bestimmt werden.
41
HRT – Quo vadis?
- Konzept des späten Einstiegs
Da sich eine niedrig dosierte HRT auch im höheren Lebensalter (>80 Jahre) noch positiv auf
die Knochendichte auswirkt, wäre entsprechend dem zweiten Konzept ein deutlich späterer
Therapiebeginn ebenfalls denkbar. Dabei würde man aber in Kauf nehmen, dass zu diesem
relativ späten Zeitpunkt ein großer Teil des Knochendichteverlustes bereits erfolgt ist und
dann nur noch eine deutlich geringere Wirkung erzielt werden kann. Des Weiteren muss man
bei Frauen in diesem Alter von einer hohen Inzidenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie
von höheren Stadien einer Arteriosklerose ausgehen, bei der aufgrund der aktuellen Datenlage
(HERS-Studie) keine HRT empfohlen werden kann.
Stellungnahme der International Menopause Society (IMS)
als Antwort auf die Entscheidung der EMEA, Hormonersatztherapie zur Prävention der
Osteoporose nicht zu empfehlen
Die International Menopause Society (IMS) ist fest davon überzeugt, dass die European
Medicine Evaluation Agency (EMEA) bei ihrer Entscheidung, die Hormonersatztherapie
(HRT) aufgrund des angeblich ungünstigen Risiko-Benefit-Verhältnisses für ungeeignet zur
First-Line-Behandlung unter der Indikation „Prävention der Osteoporose bei peri- und
postmenopausalen Frauen“ zu erklären, wichtige Informationen übersehen hat.
Die IMS stellt daher fest:
- Eine HRT ist eine sehr effektive Behandlung zur Prävention der postmenopausalen
Osteoporose sowie der Osteoporose-bedingten Frakturen in der Postmenopause, wie auch die
Women’s Health Initiative (WHI) eindeutig gezeigt hat (Reduktion der Zahl der Wirbel- wie
Hüftfrakturen).
- Bei Frauen in der frühen Postmenopause ist keine alternative Therapie vorteilhafter als die
Hormonersatztherapie. Individuelle Risiko-Benefit-Überlegungen sollten daher den Frauen
und deren Ärzten überlassen bleiben.
- Da es sich bei den Probandinnen in der WHI um im Durchschnitt sehr viel ältere Frauen
handelt, können Sicherheitsaspekte aus der WHI nicht auf Frauen in der frühen
Postmenopause übertragen werden. Und in der Million Women Study (MWS) werden
hinsichtlich der postmenopausalen Osteoporose überhaupt keine Feststellungen zum RisikoBenefit-Verhältnis unter einer HRT getroffen.
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HRT – Quo vadis?
- Die Empfehlungen der EMEA zur Osteoporoseprävention bei peri- und postmenopausalen
Frauen sind ungerechtfertigt und im Hinblick auf die Gesundheit postmenopausaler Frauen
potenziell abträglich.
Abschließend sollte die Frage nach einer HRT bei Frauen mit prämaturer Menopause und
hohem Osteoporoserisiko angesprochen werden. Auf diese Patientinnen können die
Ergebnisse der WHI-Studie nicht übertragen werden, sodass es zur HRT bislang keine echte
Alternative gibt.
Fazit
Zusammenfassend ist die HRT die einzige nachgewiesenermaßen wirksame
Behandlungsoption im Rahmen der Prävention der postmenopausalen Osteoporose.
Entsprechend den Empfehlungen der S3-Leitlinien des Dachverbandes Osteologie zur
postmenopausalen Osteoporose (PMO) sollte die Entscheidung über den Beginn einer HRT
bei Frauen mit erhöhtem Osteoporoserisiko unter eingehender Beratung und individueller
Abwägung von möglichen Risiken und erwartetem Nutzen gemeinsam mit der Patientin
getroffen werden.
Für die Autoren
PD Dr. Peyman Hadji
Philipps-Universität Marburg
Klinik für Gynäkologie, gynäkologische Endokrinologie und Onkologie
Pilgrimstein 3, D-35037 Marburg
E-Mail [email protected]
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HRT – Quo vadis?
Zukunft der HRT
HRT – quo vadis?
L.-Wilhelm Braendle
Wenn heute in einer gewissen Überreaktion nahezu nur noch von der Gefährlichkeit einer
Hormonbehandlung in und nach den Wechseljahren gesprochen wird, muss an die
Ausgangssituation erinnert werden: Zu Beginn der 90er Jahre herrschte geradezu eine
Euphorie hinsichtlich der Östrogensubstitution, die bis zu der Frage ging, ob man allen
postmenopausalen Frauen unabhängig von Beschwerden empfehlen solle, Östrogene oder
Östrogen-Gestagen-Kombinationen einzunehmen. Wie die Situation heute – rund zehn Jahre,
eine Reihe von Studien und Diskussionen auf unterschiedlichen Ebenen später – zu bewerten
ist, sollte dieses Symposium klären helfen.
Bei den Gefahren der HRT, die heute die öffentliche Diskussion dominieren, reicht der Bogen
von einer Beeinflussung des malignen Wachstums – positiv wie negativ – bis hin zur
„Karzinogenität“ von Östrogenmetaboliten, obwohl nach den epidemiologischen Studien
doch eher die Gestagene angeschuldigt werden müssen, die Entwicklung von
Mammakarzinomen zu fördern.
(Der Östrogenarm der WHI-Studie wurde nicht abgebrochen – nach den derzeitigen
Informationen ist beabsichtigt, ihn zu Ende zu führen, da bisher keine negative NutzenRisiko-Bilanz gezogen werden musste.)
HRT und Mammakarzinom: Viele Fragen sind noch offen
Dass hormonelle Einflüsse eine Rolle spielen in der Genese und dem Wachstum von
Mammakarzinomen, ist unbestritten. Zahlreiche Faktoren mit Beziehung zur Reproduktion
sind hieran beteiligt. Vor allem scheint es die Zahl von Zyklen mit Östrogen- und
Gestagenanstieg zu sein, die der Entwicklung eines Mammakarzinoms Vorschub leistet. Da
nimmt es nicht wunder, dass eine sequenzielle Hormonbehandlung in und nach den
Wechseljahren in gleichem Maße Inzidenz und Wachstum von Mammakarzinomen
beeinflusst.
Auf der Basis derzeitigen Wissens kann nicht erklärt werden, warum die MammakarzinomInzidenz bei einer kontinuierlich-kombinierten Substitutionsbehandlung mit Östrogenen und
Gestagenen am höchsten ist. Hierzu sind biologische Untersuchungen erforderlich. Ob
insbesondere molekularbiologische Untersuchungen – die zum Teil vorliegen, aber
widersprüchlich sind, zum Teil wie die Studien zum Genpolymorphismus erst begonnen
wurden – einmal in der Lage sein werden, Frauen zu definieren, deren Enzymausstattung in
der Kombination mit einer Behandlung mit Östrogenen oder Östrogenen und Gestagenen ein
Risiko darstellt, ist derzeit nicht absehbar. Dem steht entgegen, dass allgemein der
Östrogenentzug, sei es durch Ovarektomie, durch Antiöstrogengabe oder durch
Aromatasehemmer, in der Prävention von Mammakarzinomen effektiv ist.
HRT und mammographische Dichte: Kurzfristiges Absetzen hilft
Der Einfluss einer Hormonbehandlung auf die effektivste Screening-Methode zur Detektion
frühester maligner Veränderungen, die Mammographie, wird teilweise durch die Anwendung
insbesondere einer kombi- nierten Östrogen-Gestagen-Behandlung beeinträchtigt. Dies sollte
bei richtiger Anwendung aber nicht zu einer Verschlechterung der Diagnostik führen.
Dosisreduktion, Änderung des Präparates oder kurzfristiges Aussetzen der Behandlung vor
geplanter Mammographie sollten es immer zulassen, eine adäquat beurteilbare
mammographische Aufnahme anzufertigen.
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HRT – Quo vadis?
HRT nach Mammakarzinom: Sorgfältig abwägen
Selbst bei einem Zustand nach Mammakarzinom, bei dem in den allermeisten Fällen eine
Behandlung mit Antiöstrogenen oder Aromatasehemmern zur adjuvanten Therapie indiziert
ist und durchgeführt wird, wird in bestimmten Fällen eine hormonelle Behandlung zur
Kupierung klimakterischer Beschwerden erforderlich. Dies kann natürlich nur bei starkem
Therapiewunsch und nach adäquater Aufklärung erfolgen. Die bisher vorliegenden
Beobachtungsstudien lassen erstaunlicherweise keine erhöhte Rezidivrate oder erhöhte
Mortalität in der mit Östrogenen und Gestagenen behandelten Gruppe erkennen, weder bei
alleiniger Östrogen-Gestagen-Behandlung noch in Kombination mit Antiöstrogenen.
Drei Studien und was sie aussagen: WHI-Studie …
Die beiden großen Studien, die in jüngster Zeit so sehr zur Verunsicherung beigetragen haben,
müssen getrennt betrachtet werden. Die WHI-Studie ist eine randomisierte, prospektive,
plazebokontrollierte Studie, bei der die entscheidende Indikation zur Hormonbehandlung in
den Wechseljahren ein Ausschlussgrund war. Dies dürfte auch zur Folge gehabt haben, dass
das Kollektiv der behandelten Frauen im Wesentlichen nicht den auf individueller Indikation
behandelten Patientinnen entspricht. Dennoch ist bemerkenswert, dass bei allein im Rahmen
der WHI-Studie mit Hormonen behandelten Frauen keine erhöhte Inzidenz des
Mammakarzinoms gefunden wurde, die Inzidenz an Kolonkarzinomen geringer war und bei
einer Behandlung mit dieser Östrogen-Gestagen-Kombination früh in den Wechseljahren
keine erhöhte Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen auftrat.
… Million Women Study …
Die Million Women Study ist die größte bisher durchgeführte Beobachtungsstudie, die sich
der Frage einer Korrelation von Mammakarzinom-Inzidenz und Hormonbehandlung
gewidmet hat. In dieser Studie fand sich in allen Gruppen eine erhöhte Inzidenz an
Mammakarzinomen, am geringsten bei der alleinigen Östrogen-Behandlung, am höchsten bei
der kontinuierlich-kombinierten Östrogen-Gestagen-Behandlung, wobei kein Unterschied
zwischen den verschiedenen Östrogenen oder Gestagenen gefunden wurde.
Verglichen mit anderen Beobachtungsstudien war hier die Inzidenz an Mammakarzinomen in
allen Gruppen deutlich höher, wofür eine Erklärung aussteht. Betrachtet man die bisher
vorliegenden Studien, so findet sich bei einer alleinigen Östrogen-Behandlung, wenn
überhaupt, höchstens grenzwertig eine höhere Mammakarzinom-Inzidenz, und lediglich bei
sequenzieller und eher noch kontinuierlich-kombinierter ÖstrogenGestagen-Behandlung eine signifikant erhöhte Rate. Dies muss wohl auf der Basis aller
vorliegenden Studien so gesehen werden. Aus diesem Grund ist gerade zu dieser
Fragestellung weitere biologische und molekularbiologische Forschung erforderlich, um die
Mechanismen erklären zu können.
… und HERS
Die bis heute einzige plazebokontrollierte Doppelblindstudie zur Frage der
Sekundärprophylaxe kardiovaskulärer Erkrankungen mittels Östrogen-Gestagen-Gabe,
HERS, hatte keine Protektion, sondern initial sogar ein erhöhtes Infarktrisiko gezeigt. So
nimmt es nicht wunder, dass auch die WHI-Studie bezogen auf alle Teilnehmerinnen keinen
Schutz vor kardiovaskulären Erkrankungen ergab, da davon ausgegangen werden muss, dass
bei der Altersstruktur der Probandinnen bereits initial kardiovaskuläre Schädigungen
vorgelegen haben müssen. Dies konnte durch die WHI-Studie selbst quasi bestätigt werden,
denn in der Subgruppe der Frauen, die sich früh in der Postmenopause befanden, als sie im
Rahmen der WHI-Studie mit der Behandlung begannen, fand sich kein erhöhtes Risiko
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HRT – Quo vadis?
kardiovaskulärer Erkrankungen, sondern mit einem RR von 0,89 ein – allerdings nicht
signifikant – erniedrigtes Risiko.
Bei dem in vielen Beobachtungsstudien deutlich reduzierten kardiovaskulären Risiko unter
Östrogen- oder Östrogen-Gestagen-Behandlung muss davon ausgegangen werden, dass
andere Einflussfaktoren eine wesentliche Rolle gespielt haben, die zu einer Risikoreduktion
kardiovaskulärer Erkrankungen führen, wie auch in der jüngsten Analyse der Nurses’ Health
Study aufgezeigt. Aus diesem Grund kann auf der Basis derzeitiger Evidenz zwar davon
ausgegangen werden, dass präventive kardiovaskuläre Effekte zu erwarten sind, wenn bereits
früh mit der Substitution des fehlenden Östradiols begonnen wird, sie ist derzeit aber nicht als
alleinige Indikation für eine Hormonbehandlung in der Postmenopause in Erwägung zu
ziehen.
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HRT – Quo vadis?
HRT zur Osteoporoseprophylaxe: Empfehlungen überdenken
Hinsichtlich des Einsatzes von Hormonen in der Prävention der Osteoporose kam es zu
Verunsicherungen durch eine Stellungnahme der EMEA, der sich das BfArM angeschlossen
hat, nämlich die Hormonersatztherapie aufgrund des ungünstigen Risiko-BenefitVerhältnisses nicht als First-Line-Therapie einzusetzen. Dies verwundert umso mehr, als
gerade die WHI-Studie gezeigt hatte, dass auch durch eine kombinierte Östrogen-GestagenBehandlung signifikant sowohl Hüft- als auch Wirbelfrakturen gemindert werden können, und
es muss mit Recht der Stellungnahme der Internationalen Menopause-Gesellschaft
beigepflichtet werden, wenn sie betont, dass mit keiner anderen Maßnahme eine so
kosteneffektive Reduktion von sowohl Hüft- als auch von Wirbelfrakturen möglich ist.
Deshalb muss die Hormonbehandlung gerade in den frühen Wechseljahren – neben einer
gesunden Ernährung und Bewegung – als Therapie der ersten Wahl im Rahmen der
Osteoporoseprävention betrachtet werden.
Sorgfältig abwägen
Eine Risiko-Nutzen-Abwägung muss grundsätzlich mit der Patientin zusammen getroffen
werden. Dies gilt für jegliche Indikation für eine Behandlung mit Hormonen in und nach den
Wechseljahren. Es galt in der Vergangenheit und gilt auch für die Zukunft, wobei neue
Studiendaten selbstverständlich zu erneuten Überlegungen Anlass geben. Zur
Entscheidungsfindung sollte aber eine möglichst vollständige Betrachtung aller Studiendaten
herangezogen und auf dieser Basis die ärztliche Entscheidung gefällt werden.
Autor
Prof. Dr. L.-Wilhelm Braendle
Universitäts-Frauenklinik
Martinistr. 52
D-20246 Hamburg
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