Grundlagen der Umwelttechnik 7. Toxikodynamik Vorlesung an der Hochschule Augsburg Dr. Siegfried Kreibe Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 1 Natürliche Gifte Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 2 1 Natürliche Gifte: Spitzkegeliger Kahlkopf Spitzkegeliger Kahlkopf (Psilocybe semilanceata) Spitzkegeliger Kahlkopf Wirkstoff: Psilocybin • • • • • Gehalt: bis zu 1% Akute toxische Psychose Halluzinationen U. U. Brechreiz Im Tierversuch teratogene Wirkung nachgewiesen Quelle: Naturpix Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 3 Natürliche Gifte: Fliegenpilz Fliegenpilze Wirkstoff: u.a. Ibotensäure • • • • • • • • Gehalt: ca. 500 mg/kg Pilz Muskelkrämpfe Schläfrigkeit Koma Sehstörungen Halluzinationen Kein Erbrechen! Ca. 10 Fliegenpilze sind für einen Erwachsenen tödlich Quelle: Apothekerkammer Nordrhein Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 4 2 Natürliche Gifte: Pfeilgiftfrosch Ein Pfeilgiftfroschc Wirkstoff: u.a. Batrachotoxine • • • • Nerven- und Muskelgift Muskellähmung Herzstillstand Das Gift eines Tieres (Dendrobates histrionicus) genügt, um 10 Menschen zu töten Quelle: Dr. Jutta Nowak Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 5 Natürliche Gifte: Knollenblätterpilz Wirkstoff: u.a. Amatoxine V. a. leber- und nierentoxisch Verursachen Zusammenbruch der Proteinsynthese Brechdurchfall Störung der Blutgerinnung Zersetzung des Lebergewebes Leberkoma, Tod Enterohepatischer Kreislauf! Gift eines Pilzes kann tödlich sein Sterblichkeit: Erwachsene 10-15% Kinder 50 % Stand 2010 Der Grüne Knollenblätterpilz Quelle: SMS 1999 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 6 3 Natürliche Gifte: Giftsumach Giftsumach Urushiol: Oral: Erbrechen, blutige Durchfälle bei Berühren Hautentzündung und heftige Allergie Quelle: Informationszentrale gegen Vergiftungen NRW Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 7 Natürliche Gifte: Königskobra Königskobra Komplexes Gift: Peptide (und Enzyme), die vor allem auf das Nervensystem wirken: blockieren die für Reizübertragung zuständigen Rezeptoren => Curare-ähnliche Lähmung der Muskulatur Bei einem Biss injizierte Menge: 100 mg Tödliche Dosis für Menschen: 12 mg Biss in 32% der Fälle tödlich Quelle: www.thailandinfo.de/ th/reise-info.htm Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 8 4 Natürliche Gifte: Honig Bienenhonig Kann Pyrrolizidin enthalten: Carcinogen im Tierversuch Mutagen im Tierversuch teratogen im Tierversuch Pyrrolizidin ist z.B. enthalten in Huflattich, Pestwurz, Beinwell Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 9 Natürliche Gifte: Pfirsiche Pfirsiche Enthalten Chlorogensäure: Wirkt carcinogen bei Nagern Chlorogensäure kommt z.B. auch in Kaffee vor Institut für Medizin- & Gesundheitspflege Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 10 5 Natürliche Gifte: Champignons Champignons Enthalten Agaritin: Verursacht Magentumore bei Mäusen Quelle: BogaersGebr. Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 11 Natürliche Gifte: Bienen Bienen Gift enthält u.a. Enzyme und Peptide: Phospholipase A2 wirkt allergen Mellitin verursacht Schmerzen Tödliche Dosis für einen Erwachsenen: ca. 1000 Stiche Aber ca. 4% der Bevölkerung reagiert allergisch => ca. 10 Todesfälle /a Stand 2010 Quelle: Hendrik Brixius Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 12 6 „Natürliche“ Gifte: Räucherrauch = „der frisch entwickelte Rauch aus naturbelassenen Hölzern und Zweigen, Heidekraut und Nadelholzsamenständen, auch unter Mitverwendung von Gewürzen“ (LMBG) – Geschätzte Anzahl der Substanzen im Räucherrauch: 10.000 – In Räucherrauch nachgewiesen: 47 PAK (mit 200 ist zu rechnen) – PAK-Gehalt heute durch geeignete Reaktionsführung drastisch gesenkt; als problematisch gilt nur noch Schwarzgeräuchertes – Hinweis: auch beim Grillen entstehen PAK (z.B. Benzo(a)pyren) v.a. durch verbrennendes Abtropffett. Räucherrauch wurde allein aufgrund seiner traditionellen Verwendung zugelassen, nicht wegen des Nachweises einer fehlenden gesundheitlichen Schädigung Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 13 Natürliche Gifte: Alkohol Menschen, Bier trinkend Ethanol: Vielfältige Symptome bei chronischem Missbrauch Z.B. Leberzirrhose meist alkoholbedingt (30 Todesfälle pro Jahr pro 100.000 Personen) Bei 50 % aller Autounfälle mit Todesfolge ist Ethanol im Spiel ... Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 14 7 Dosis-Wirkungs-Beziehungen Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 15 Dosis-Wirkungsbeziehungen (1) Je höher die Dosis, desto stärker die Wirkung NOEL = no observed effect level LOEL = lowest observed effect level links: linear / rechts: logarithmisch EC50 = Dosis (Konz.), bei der 50 % des maximalen Effekts beobachtet wird. Kurven-Verlauf meist asymptotisch: anfangs rasche, später langsamere Zunahme in Richtung auf die maximale Wirkung Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 16 8 Dosis-Wirkungsbeziehungen (2) Verschiedene Wirkungen einer Substanz folgen unterschiedlichen Dosis-Wirkungs-Beziehungen Bsp.: therapeutisch erwünschte Wirkung (1) und unerwünschte Wirkung (2) eines Medikaments Für ein und denselben Stoff gilt: Verschiedene Wirkungen treten bei unterschiedlichen Dosen erstmals auf Die Intensivierung verschiedener Wirkungen wird in unterschiedlicher Weise von der Steigerung der Dosis beeinflusst Das Maximum verschiedener Wirkungen wird bei unterschiedlichen Dosen erreicht Quelle: Fichtl (1992) S. 5 Stand 2010 => Wenn eine Dosis mit Blick auf eine Wirkung A noch unproblematisch ist, kann sie mit Blick auf eine Wirkung B schon kritisch sein. Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 17 Dosis-Wirkungsbeziehung im Kollektiv Die Empfindlichkeit der Individuen innerhalb eines Kollektivs ist unterschiedlich wegen Unterschieden in: • • • • • • • • • Körpergewicht Geschlecht Lebensalter Ernährungszustand Vorerkrankungen Erbfaktoren Lebensweise Toleranz (Gewöhnung) ... Quelle: Fichtl (1992) S. 6 EDx = „effektive Dosis“ (Dosis, die einen bestimmten Effekt bei x % des Kollektivs, also z.B. der Versuchstiere verursacht) Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 18 9 Charakterisierung toxikologischer Wirkungen Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe Stand 2010 19 Nach Einwirkungsdauer, -häufigkeit – Akut toxische Wirkung von Stoffen/Dosen: Wirkung, die nach einmaliger Gabe bzw. kurzer Einwirkzeit einer relativ hohen Dosis (= akute Exposition) auftritt. – Chronisch toxische Wirkung von Stoffen/Dosen: Wirkung, die nach wiederholter Gabe oder langer Einwirkzeit relativ niedriger Dosen (= chronische Exposition) auftritt. Davon zu unterscheiden: • Akute Symptomatik = plötzlich auftretende, schnell verlaufende Wirkung • Chronische Symptomatik = sich langsam entwickelnde oder verlaufende Wirkung Hinweis: Stand 2010 akute Exposition kann auch chronische Symptomatik verursachen! Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 20 10 Nach Reversibilität – Reversibler Effekt: rückbildungsfähig z. B. Schleimhautreizung nach leichter SO2-Intoxikation z. B. Übelkeit nach akuter Alkoholintoxikation – Irreversibler Effekt: permanent, Dauerschäden z. B. Lungenkarzinom durch Asbest z. B. Leberzirrhose durch chronische Alkoholintoxikation Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 21 Teratogenität Teratogene = Substanzen, die bei Menschen oder Tieren angeborene Fehlbildungen auslösen können Hinweise: – Fehlbildungen können nur verursacht werden von Stoffen, die die Plazenta-Schranke passieren oder Erbgutverändernd wirken – Fehlbildungen können auch andere Ursachen haben: Strahlung, Viren Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 22 11 Mutagenität Mutagene = Substanzen, die bei Menschen oder Tieren Mutationen auslösen können Hinweis: – Mutagenität gibt Hinweis auf mögliche Karzinogenität und mögliche Teratogenität – Die meisten Karzinogene sind auch mutagen und umgekehrt – Mutationen können auch andere Ursachen haben: Strahlung, Viren Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 23 Karzinogenität Karzinogene = Substanzen, die bei Menschen oder Tieren bösartige Tumoren erzeugen können („krebserzeugend“); auch: Carcinogene, Kanzerogene, Cancerogene Hinweise: – Es gibt mehrere Gruppen bösartiger Tumore: • Karzinome: von Epithel ausgehende Tumoren (Epithel = Zellverband, der innere oder äußere Körperoberfläche bedeckt, z.B. Darmschleimhaut) • Sarkome: von Mesenchym ausgehende Tumoren (Mesenchym = Stütz-, Bindegewebe, z.B. Knochen) • ... – Bösartige Tumoren können auch andere Ursachen haben: Strahlung, Viren, Erblichkeit... Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 24 12 Was sind bösartige Tumoren? – Bösartige Tumoren: zerstören umgebendes Gewebe und setzen Metastasen • Körperzelle geht in eine Zelle über, die nicht mehr den Wachstumsbeschränkungen des jeweiligen Gewebes unterliegt, sondern sich ungezügelt und ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des Gesamtorganismus vermehrt. • Bösartige Tumoren können sich durch freigesetzte Zellen im Körper ausbreiten (Metastasen-Bildung). – Gutartige Tumoren: wachsen ohne direkte Schädigung der Umgebung (allenfalls mechanische Beeinflussung) Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 25 Krebsentstehung durch Chemikalien – Vollständige Karzinogene: können ohne weitere wirksame Stoffe bösartige Tumoren erzeugen, reagieren mit DNA, wirken initiierend, Wirkung irreversibel und additiv, keine Wirkungsschwelle, Latenzzeit zwischen erstem Kontakt mit einer Substanz und Tumorbildung 8 bis 20 Jahre. – Promotoren / Initiatoren (Co-Karzinogene): Reagieren nicht mit DNA, sind nicht mutagen, fördern aber Tumorbildung, Wirkung reversibel, Wirkung kann additiv sein, Wirkungsschwelle möglich Häufig wirken Karzinogene erst in Kombination mit anderen Substanzen (Co-Karzinogenen, Promotoren). Z. B. ist Benzpyren in Kombination mit TPA (kommt im Öl des Krotonölbaumes vor) mehr als 10 mal so wirksam wie alleine Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 26 13 Phasen d. chemisch induzierten Krebsentstehung 1. Initiationsphase: Karzinogen wirkt auf DNA. DNA-Schäden können repariert werden. Gelingt dies nicht, werden sie bei Zellteilung an Tochterzellen weitergegeben (irreversibel). Zellen noch ohne autonomes Wachstum. 2. Latenzperiode: Zeit zwischen Initiation durch ein Karzinogen und Entstehung autonom wachsender Tumorzellen. Kann durch Einwirken von weiteren Karzinogenen oder von Promotoren verkürzt werden. Ein Promotor wirkt auf Zelle ein und fördert oder beschleunigt die Entwicklung von Tumoren oder deren Vorstufen. 3. Bildung des bösartigen Tumors: häufig mit gutartigen Tumoren als Vorstufe Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 27 Krebserzeugende Arbeitsstoffe Liste der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1999): Stoffe, die beim Menschen Krebs erzeugen und nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten: – – – – – – – – – Arsentrioxid, Arsenpentoxid, arsenige Säure, Arsensäure u. ihre Salze Asbest Benzol Buchenholzstaub Eichenholzstaub Nickel (in Form atembarer Stäube/Aerosole von Ni-Metall, Ni-Sulfiden etc.) Passivrauchen am Arbeitsplatz Vinylchlorid ... (insgesamt 24 Positionen) Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 28 14 Allergenität Allergene = Substanzen, die Überempfindlichkeiten in Form allergischer Reaktionen hervorrufen können Einer Allergie geht in der Regel eine Sensibilisierung voraus: 1. Sensibilisierung: Erster Kontakt mit Substanz: Körper reagiert unauffällig, es entstehen aber Zellen, die Antikörper (spezifische Abwehr-Agentien des Körpers) auf das sensibilisierende Antigen bilden können (Körper ist sensibilisiert) 2. Allergische Reaktion: Bei erneutem Kontakt mit Substanz reagieren Antigen (die Substanz) und Antikörper zum Antigen-Antikörper-Komplex und es kommt zu Folgereaktionen, die zu allergischen Erscheinungsbildern unterschiedlicher Art führen können Bsp.: Berufsdermatitis von Schornsteinfegern oder Teerarbeitern Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 29 Bevorzugte Angriffspunkte toxischer Stoffe – Blockade oder Aktivierung von Enzymen (z.B. Blei hemmt die Schlüsselenzyme der Häm-Synthese) – Blockade oder Aktivierung anderer funktioneller Proteine (z.B. Curare blockiert Rezeptoren der Nerven-MuskelReizübertragung) – Entkopplung biochemischer Reaktionsfolgen (z.B. Cyanide blockieren ATP-Gewinnung in der Atmungskette) – Störung von Gleichgewichten im Körper (z.B. Methanol senkt den pH-Wert im Blut) – Reaktion mit Nukleinsäuren (z.B. Vinylchlorid-Abbauprodukte binden an DNA => Tumoren) – Störung von Prozessen an Membranen (z.B. Phosgen erhöht Durchlässigkeit der Alveolarmembranen => Austritt von Plasma => Lungenödem) Stand 2010 Vorlesung „Grundlagen der Umwelttechnik “ Copyright: Siegfried Kreibe 30 15