aqua med Refresher 09 Der Aufbau des Ohres, der Hörvorgang und die Veränderungen beim Tauchen Autor: Dr. med. Stefanie Mann – medical board aqua med Fast jeder Taucher, ob erfahren oder unerfahren, macht irgendwann einmal die Erfahrung unangenehmer Ohrenschmerzen unter Wasser. Um herauszufinden, wie sich der erhöhte Umgebungsdruck auf das Ohr auswirkt, möchten wir anatomische und physiologische Vorgänge des Aufbaus unseres Hör- und Gleichgewichtsapparates näher betrachten. Anatomisch betrachtet besteht das Ohr aus drei Abschnitten: dem äußeren Ohr mit Ohrmuschel und Gehörgang, dem Mittelohr und dem Innenohr. Schmerzen im Ohr Das Mittelohr Das Mittelohr besteht aus der Paukenhöhle mit dem Trommelfell und den Gehörknöchelchen, Nebenräumen der Paukenhöhle im so genannten Warzenfortsatz (Mastoid) und der Ohrtrompete. Die Paukenhöhle (Cavitas tympanica) ist etwa 3-6 mm breit und hat sechs verschiedene Wände. Sie enthält die drei Gehörknöchelchen, die Hammer, Amboss und Steigbügel genannt werden. Die Gehörknöchelchen dienen dem Übertragen und gleichzeitigen Verstärken der Schallwellen vom Trommelfell auf das Innenohr. Sie sind durch Gelenke miteinander verbunden. An der seitlichen Wand der Paukenhöhle schließt das Trommelfell (griech. tympanon = Handtrommel) den äußeren Gehörgang gegen die Paukenhöhle ab. Beim Trommelfell handelt es sich um eine etwa 0,1 mm dicke, ovale bis kreisförmige bindegewebige Membran von etwa 1 cm Durchmesser. Die innere Wand der Paukenhöhle trennt diese vom Innenohr ab. Sie enthält zwei Fenster, die ovales und rundes Fenster genannt werden. Gesundes Trommelfell Oberhalb des ovalen Fensters verläuft ein kleiner Kanal mit dem so genannten Gesichtsnerven (Nervus facialis). Die Ohrtrompete (Tuba auditiva) wird nach ihrem Entdecker, dem päpstlichen Leibarzt Bartolomeo Eustachi auch Eustachische Röhre genannt. Sie ist ein etwa 3-4 cm langer Kanal und verbindet die Paukenhöhle mit dem Nasen-Rachen-Raum. Die Ohrtrompete dient dem Druckausgleich für die Paukenhöhle. Beim raschen Überwinden größerer Höhen- und damit Druckunterschiede, z.B. beim Fliegen, im Gebirge oder beim Tauchen, kommt es zu einem Druckgefälle zwischen Bereich des MIttelohrs äußerem Gehörgang und Paukenhöhle. Entsprechend diesem Druckgefälle wird das Trommelfell entweder in die Paukenhöhle oder in den Gehörgang gepresst, was sich als "Druck auf den Ohren" bemerkbar macht. Durch Schlucken oder "Luftpressen" mit zugehaltener Nase, dem sogenannten „valsalvieren“ lässt sich dieser Druckunterschied ausgleichen. Refresher 09 „Ohren und Tauchen“ • Seite 1 aqua med • Am Speicher XI 11 • 28217 Bremen • Deutschland Tel.: +49 421 222 27-10 • Fax: +49 421 222 27-17 • [email protected] • www.aqua-med.eu Das Innenohr Das Innenohr wird wegen seines komplizierten Kanalsystems auch Labyrinth genannt. Es ist vollständig in den Knochen des Felsenbeines eingelassen und besteht aus der Schnecke mit dem eigentlichen Hörorgan und den Bogengängen des Gleichgewichtsorganes. Im Gegensatz zum äußeren Ohr und dem Mittelohr, die beide Luft enthalten, ist das Innenohr mit einer klaren Flüssigkeit, der so genannte Peri- und Endolymphe, gefüllt. Das Gleichgewichtsorgan besteht aus zwei Vorhofsäckchen und drei Bogengängen. Die beiden Vorhofsäckchen (Utriculus und Sacculus) enthalten Sinnesfelder mit den Gleichgewichtszellen für die Registrierung geradliniger Beschleunigungen. Die Gleichgewichtszellen tragen Sinneshaare, die in eine Gallertschicht mit kleinen Kalkkörnchen eingebettet sind. Die Kalkkörnchen biegen die Sinneshaare entsprechend der Schwerkraft seitlich ab und erregen so die Gleichgewichtszellen. Die drei Bogengänge dienen der Registrierung von Winkelbeschleunigungen. Sie sind mit Endolymphe gefüllt. Bei Bewegungen des Kopfes drückt die Beschreibung der Hörorgane Endolymphe auf Grund ihrer Trägheit gegen eine Gallertkuppel im Bogengang. Die Gallertkuppel wird dabei entgegen der Bewegung des Kopfes abgelenkt. Das Sinnesorgan spricht somit nicht auf Bewegung als solche an, sondern nur auf Änderungen der Geschwindigkeit (Beschleunigung). Die Stärke der Beschleunigung bestimmt das Ausmaß der Ablenkung der Gallertkuppel. Die drei Bogengänge stehen entsprechend den drei Dimensionen des Raumes rechtwinklig aufeinander. Aus der Kombination der erregten Gallertkuppeln der verschiedenen Bogengänge wird die Richtung der Bewegung festgestellt. Das eigentliche Hörorgan wird Corti-Organ oder Schnecke genannt. Die Schnecke besteht aus drei übereinander liegenden Kanälen, die zur Schneckenform gebogen sind. Diese Kanäle heißen (von unten nach oben) Paukentreppe (Scala tympani), Schneckengang (Ductus cochlearis) und Vorhoftreppe (Scala vestibuli). Sie sind durch dünne Wände (Reissner-Membran und Basilarmembran) gegeneinander abgetrennt. Bereich des Innenohrs Beim Hören erreichen Schallwellen das Hörorgan hauptsächlich über die Ohrmuschel und den äußeren Gehörgang, der am Trommelfell endet. Die Schalldruckschwankungen versetzen das Trommelfell in Schwingungen, die sich über die Gehörknöchelchen in der Paukenhöhle auf die Membran des ovalen Fensters übertragen. Dort beginnt das Innenohr. Refresher 09 „Ohren und Tauchen“ • Seite 2 aqua med • Am Speicher XI 11 • 28217 Bremen • Deutschland Tel.: +49 421 222 27-10 • Fax: +49 421 222 27-17 • [email protected] • www.aqua-med.eu Die Aufgabe der Gehörknöchelchen ist es, den Schall möglichst verlustarm von einem Medium mit niedrigem Wellenwiderstand (Luft im Außen- und Mittelohr) zu einem Medium mit hohem Wellenwiderstand (Lymphe im Innenohr) zu übertragen, wobei durch die Hebelkonstruktion der Gehörknöchelchen der Schall von einer großen Fläche (Trommelfell) auf eine kleine Fläche (ovales Fenster) geleitet wird. Im Innenohr ankommende Schallwellen wandern entlang der Schnecke und erreichen ihre maximale Amplitude (max. Stärke des Ausschlags einer Schwingungsbewegung) an einem für die jeweilige Tonhöhe spezifischen Ort. Unterschiede beim Hören im Wasser Im Wasser werden Schallwellen ungefähr viermal so schnell transportiert wie in der Luft. Die Übertragungsverluste durch Absorption sind wesentlich geringer als in Luft, so dass Schallwellen über größere Distanzen transportiert werden können. Dabei werden hohe Frequenzen stärker absorbiert als tiefe Frequenzen. Die genannten Effekte führen unter Wasser zu Problemen bei der Ortung von Schallquellen (Richtung und Entfernung), da die persönlichen Erfahrungswerte des Hörens in Luft zu Fehleinschätzungen führen. In der Luft führt der unterschiedliche Auftreffzeitpunkt der Schallwellen auf beide Ohren und die höhere Schallintensität, an dem der Schallquelle zugewandten Ohr, zu einem Raumeindruck. Beide Informationen sind unter Wasser schlecht zu verwerten. Viele Schallereignisse lokalisiert man beim Tauchen daher "im" Kopf, mit großer Erfahrung sind allenfalls grobe Richtungsangaben möglich. Gefahren im Wasser lassen sich oft nicht orten, z.B. kann man nur schlecht das Näherkommen oder sich Entfernen eines Schiffes unterscheiden. Lagesinn unter Wasser Die beiden Gleichgewichtsorgane in den Innenohren geben uns sowohl statische als auch dynamische Orientierungshilfen. Daneben erfolgt im Gehirn auch ein Vergleich mit den optischen Informationen beider Augen und den Sensoren der Haltemuskulatur des Körpers, die aufgrund des Spannungszustandes der Muskeln Informationen über die Körperhaltung geben. Dabei versucht das Gehirn immer, die Informationen aller drei Orientierungssysteme (Gleichgewichtsorgane, Sehen und Haltemuskulatur) in Übereinstimmung zu bringen. Gleichgewichtsorgan - Wikipedia Refresher 09 „Ohren und Tauchen“ • Seite 3 aqua med • Am Speicher XI 11 • 28217 Bremen • Deutschland Tel.: +49 421 222 27-10 • Fax: +49 421 222 27-17 • [email protected] • www.aqua-med.eu Unter Wasser gestaltet sich die Orientierung für den Menschen wesentlich schwieriger als an Land. Dies liegt zum einen an den eingeschränkten optischen Orientierungsmöglichkeiten, da die Sichtweite unter Wasser mehr oder weniger stark begrenzt ist und das Gesichtsfeld durch Maskengröße und optische Verzerrung eingeschränkt ist. Zudem kann die Haltemuskulatur eines Tauchers, der gut austariert im Wasser "schwebt", dem Gehirn nur schlecht verwertbare Informationen liefern. Ferner können die Bogengänge auch auf die Wassertemperatur reagieren und durch diese physikalische Reaktion zur Auslenkung der Endolymphe und zu Fehlinformationen führen, die als Schwindel wahrgenommen werden. Mit diesen oft unzureichenden Informationen versorgt, ergibt sich für das zentrale Nervensystem beim Tauchen noch die zusätzliche Schwierigkeit, dass sich der Mensch ohne festen Halt frei im dreidimensionalen Raum bewegt. Eine Art der Fortbewegung, für die dem Gehirn keine Erfahrungswerte vorliegen. Refresher 09 „Ohren und Tauchen“ • Seite 4 aqua med • Am Speicher XI 11 • 28217 Bremen • Deutschland Tel.: +49 421 222 27-10 • Fax: +49 421 222 27-17 • [email protected] • www.aqua-med.eu