To-Do-Liste für Hillary Clinton oder Donald Trump. Die Präsidentenwahl: eine ökonomische Richtungsentscheidung Ausgangslage Das Das Positive zuerst: Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 haben die USA – bezogen auf ihre Wirtschaftsleistung – überwunden: Der erlittene Einbruch ist wettgemacht. Andere Industrieländer wie etwa die der Eurozone hinken hier deutlich hinterher. Ganz anders sieht es aber am US-Arbeitsmarkt aus: Die Auslastung des Arbeitsmarktes1 liegt immer noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau von 2007. Die OECD konstatiert, dass die ökonomische Erholung bei vielen US-Bürgern nicht angekommen ist.2 In Folge der Finanz-/Wirtschaftskrise hat die Verschuldung des Staates historische Höchststände erreicht, und aufgrund der aktuellen politischen Konstellation ist kaum mit einem längerfristig orientierten Lösungsansatz zu rechnen. Die anstehende Präsidentenwahl ist auch eine ökonomische Richtungsentscheidung: Wie soll mit der horrenden Staatsverschuldung umgegangen werden? Wer wird gegebenenfalls für ihre Reduzierung belastet? Kann das Auseinanderdriften der verschiedenen Einkommensgruppen gestoppt werden? Wird die Qualität der öffentlichen Infrastruktur – etwa des Bildungssystems – verbessert? Kann die US-amerikanische Industrie (Stichwort „Rust Belt“) wiederbelebt werden? Wie geht es mit der Handelspolitik weiter? Fragen, die das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos im Folgenden versucht zu beantworten. Wirtschaftsleistung Index, 2007=100 120 Eurozone USA 110 100 90 2007 1 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Hier definiert als das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen (in Stunden) in Relation zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15-64 Jahre). Die offiziellen Arbeitslosenstatistiken der Vereinigten Staaten sind nicht direkt vergleichbar mit denen der Euro-Zone und tendieren dazu, die tatsächliche Arbeitslosigkeit zu unterschätzen. 2 Vgl. OECD Economic Suveys: United States, Juni 2016. Auslastung des Arbeitsangebotes 102 Index, 2007=100 100 98 96 94 Eurozone 92 USA 90 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 1. Sanierung des Staatshaushaltes Die Lage: Die fiskalpolitische Ausgangslage ist äußerst schwierig: Die Schuldenstandsquote der Vereinigten Staaten (Staatsschulden in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt) ist mit ca. 105 % so hoch wie zuletzt gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. Steuererhöhungen werden von der Republikanischen Partei strikt abgelehnt. Drastische Kürzungen der Staatsausgaben insbesondere in den Bereichen öffentliche Investitionen, Bildung und Soziales gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die langfristigen Wachstumsperspektiven des Landes. Ein „Herauswachsen“ aus den Schulden ist nur bei einer ausreichend hohen Zunahme des nominalen Bruttoinlandprodukts möglich (reales Wirtschaftswachstum zzgl. Inflationsrate). Die Prognose: Ein strikter Sparkurs ist unwahrscheinlich: Die Vermeidung möglicher konsolidierungsbedingter Dämpfungen des Wirtschaftswachstums wird in den USA tendenziell höher bewertet als fiskalpolitische Disziplin. In unserer aktuellen Prognose für die Vereinigten Staaten unterstellen wir daher unter einer Präsidentin Clinton einen „milden“ Konsolidierungskurs: geringe Steuererhöhungen nach 2016 und moderate Ausgabenkürzungen führen bei einem realen Wirtschaftswachstum von etwas über 2 % zu einem langsamen Absinken der Schuldenstandsquote auf knapp über 90 % im Jahre 2030. Absolut gesehen liegen die Schulden der Vereinigten Staaten dann gleichwohl 70 % über dem aktuellen Niveau (33,4 Billionen US-Dollar (2030) zu 19,8 Billionen US-Dollar (2016)). Für den Fall seiner Wahl hat Donald Trump angekündigt, den Budgetsaldo innerhalb von zehn Jahren auszugleichen, die Militärausgaben massiv zu erhöhen, deutliche Steuersenkungen vorzunehmen und dabei keine Kürzungen in den sozialen Sicherungssystemen (inkl. Medicare) vorzunehmen. Da auch Donald Trump die mathematischen Gesetzmäßigkeiten eines öffentlichen Haushalts nicht ignorieren kann, bliebe ihm nur die Veränderung der übrigen Staatsausgaben. Wollte Trump seine postulierten Ziele gleichzeitig erreichen, müssten vor allem die öffentlichen Investitionen und die Ausgaben für die Staatsbediensteten massiv gesenkt werden. Beides würde sehr schnell die Funktionsfähigkeit des amerikanischen Staatswesens insgesamt in Frage stellen. Die Empfehlung: Michael Böhmer, Chefökonom der Prognos AG: „Angesichts der anhaltenden Schwäche der Eurozone hat ein fiskalpolitisches Harakiri in den Vereinigten Staaten das Potenzial, das globale Wirtschaftswachstum deutlich zu dämpfen. Aus europäischer Perspektive wäre ein langsames Herauswachsen der Vereinigten Staaten aus ihren Schulden die vorteilhafteste Variante. Vor allem aber braucht die Weltwirtschaft einen verlässlichen und realistischen Plan der USA“. 2. Öffentliche Infrastruktur / Bildung / soziale Mobilität Die Lage: Statistiken der OECD zeigen, dass die öffentliche Infrastruktur der Vereinigten Staaten in einem vergleichsweise schlechten Zustand ist und das Land seit Jahren wenig in diesen Bereich investiert. Dies betrifft nicht nur Straßen, sondern auch staatliche Bildungseinrichtungen wie etwa Schulen. Im Vergleich zu anderen Industrieländern werden öffentlich angestellte Lehrer geringer entlohnt, was ebenfalls der Qualität der öffentlichen Bildungseinrichtungen nicht zu Gute kommt. Als eine der Konsequenzen wird der zukünftige soziale Status eines Kindes im internationalen Vergleich stark durch Bildung und Einkommen der Eltern bestimmt – ein Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär ist in den Vereinigten Staaten entgegen dem Mythos vergleichsweise unwahrscheinlich. Die Prognose: Eine schlecht funktionierende öffentliche Infrastruktur schädigt die langfristigen Wachstumsperspektiven eines Landes. Geringe soziale Mobilität und das Gefühl des „Abgehängtseins“ beeinträchtigen die gesellschaftliche Stabilität – und damit wiederum die ökonomische Stabilität. So unsicher die tatsächliche Ausrichtung seiner Politik auch sonst ist: Ein Wahlsieg Donald Trumps dürfte das gesellschaftliche Auseinanderdriften erhöhen. Bei einem Wahlsieg Hillary Clintons wird diese nur geringe fiskalpolitische Spielräume haben, um die öffentliche Infrastruktur mit mehr Ressourcen auszustatten und die Qualität des öffentlichen Bildungssystems zu verbessern. Wir erwarten daher unter einer Präsidentin Clinton keine entscheidende Verbesserung dieser Rahmenbedingungen. Die Empfehlung: Unter den schwierigen fiskalpolitischen Rahmenbedingungen sollte jeder Spielraum genutzt werden, um die staatlichen Bildungseinrichtungen und die öffentliche Infrastruktur zu fördern. Dazu gehören moderate Steuererhöhungen, dazu gehören aber auch Umschichtungen in den Ausgaben, denn nicht jeder öffentliche Dollar wird effizient ausgegeben. Michael Böhmer, Chefökonom der Prognos AG: „Es bieten sich eine Vielzahl unkonventioneller Wege. Nur ein Beispiel: In keinem anderen Land der Welt sitzen gemessen an der Gesamtbevölkerung so viele Menschen im Gefängnis wie in den Vereinigten Staaten. 80 Mrd. US-Dollar gibt der Staat pro Jahr hierfür aus. Mittel- und langfristig wird jeder Dollar, der mehr für die Bildung ausgegeben wird, dazu beitragen, dieser Vergeudung an Humankapital vorzubeugen.“ 3. Arbeitsmarkt / Einkommensverteilung Die Lage: Aktuell liegt die offizielle Arbeitslosenquote der Vereinigten Staaten bei knapp 5 %. Das tatsächliche Ausmaß der Unterbeschäftigung ist jedoch höher, da viele Arbeitslose nach einer längeren Phase der Arbeitslosigkeit aus der Statistik fallen. Die tatsächliche Auslastung des Arbeitsangebotes liegt immer noch unter dem Vorkrisenniveau. Die Struktur der Beschäftigung unterliegt seit einiger Zeit einem starken Wandel: Jobs in der Industrie fallen weg und neue Jobs entstehen in den Dienstleistungsbereichen.3 Dieser Strukturwandel ist eine Ursache dafür, dass die Lohneinkommen in den letzten zwanzig Jahren deutlich langsamer gewachsen sind als die Kapitaleinkommen. Auch hat die Ungleichheit der personellen Einkommens- und Vermögensverteilung spürbar zugenommen. Die OECD betont in ihrem jüngsten Economic Survey für die Vereinigten Staaten die Risiken dieser Entwicklung für die langfristigen Wachstumsperspektiven und fordert politische Gegenmaßnahmen (Erhöhung des Mindestlohns, progressivere Steuerbelastung, Ausbau des Affordable Care Act („Obamacare“) und des Earned Income Tax Credit (Lohnaufstockung für Geringverdiener)). Die Prognose: Strukturwandel ist zu allererst eine Marktentwicklung. Die langfristigen Gestaltungsmöglichkeiten der Politik sind – entgegen aller Ankündigungen – gering. Insofern ist es unwahrscheinlich, dass dieser eine breite Wiederbelebung der US-amerikanischen Industrie initiieren kann. Wir erwarten daher auch für die Zukunft einen langsamen Bedeutungsverlust der amerikanischen Industrie. Angesichts des zu erwartenden politischen Widerstands von Seiten der Republikanischen Partei und anderer Interessensgruppen hätte eine Präsidentin Hillary Clinton nur wenig Möglichkeiten, der Entwicklung bei der Einkommens- und Vermögensverteilung entgegen zu wirken. Die anhaltende Zuwanderung junger Menschen in den USamerikanischen Arbeitsmarkt wird zudem das Arbeitsangebot vergrößern und aufgrund geringer gewerkschaftlicher Vertretung die tarifliche Verhandlungsposition der Mehrheit der Beschäftigten gering bleiben. Eine grundsätzliche Trendwende bei der Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung erwarten wir daher nicht. Die Empfehlung: Michael Böhmer, Chefökonom der Prognos AG: „Seit Mitte der 1990er Jahre sind in den Vereinigten Staaten massiv Industriejobs weggefallen. Viele der gleichzeitig neue entstandenen Jobs im Dienstleistungssektor sind schlecht bezahlt. Sich einem Strukturwandel politisch entgegenzustellen, ist aber sinnlos. Neue Mauern gegen billige Importe hochzuziehen, wäre besonders töricht. Es gibt nur zwei dauerhaft Erfolg versprechende Ansätze, die aus dem Lot geratene Einkommensverteilung wieder gerade zu rücken: Die Bildungsbeteiligung und das Qualifikationsniveau muss für breite Bevölkerungsschichten verbessert werden. Danach kann staatliche Umverteilungspolitik, dort wo notwendig, noch zusätzlich eingreifen.“ 3 Alleine zwischen 2000 und 2014 sank die Zahl der in der Industrie Beschäftigten von 19,6 Mio. auf 15,1 Mio. Personen. 4. Handel Die Lage: Für die Vereinigten Staaten ist der freie Zugang zu den Weltmärkten von großer Bedeutung: Günstige Importe stärken die reale Kaufkraft der US-Bürger, während die gerade im Spitzentechnologiebereich oft führenden US-Unternehmen auf weltweite Absatzmärkte angewiesen sind. Der Anteil der Vereinigten Staaten am weltweiten Handel liegt bei gut 10 %. Die Vereinigten Staaten haben eine Reihe von Freihandelsabkommen mit einzelnen Ländern und Ländergruppen geschlossen, von denen vor allem die NAFTA von herausragender Bedeutung ist (Mitglieder: Kanada, Mexiko, Vereinigte Staaten). Aktuell verhandeln die Vereinigten Staaten mit der Europäischen Union (TTIP) und asiatisch-pazifischen Ländern (TPP) über weitere Abkommen. Die Prognose: Kandidat Trump hat erklärt, Zölle auf Produkte aus Mexiko und China einführen zu wollen – um so der USamerikanischen Industrie zu einer Wiederbelebung zu verhelfen. Dies bedeutet im Falle eines Wahlsieges einen Bruch bestehender Abkommen und zieht die Gefahr wechselseitiger Maßnahmen der betroffenen Länder nach sich. Am Ende kann das Volumen des weltweiten Handels schrumpfen. Kandidatin Clinton hat Korrekturen bei (zukünftigen) Handelsabkommen angedeutet, welche auf einen stärkeren Schutz der heimischen Wirtschaft abzielen. Ein grundlegender Wandel der US-amerikanischen Handelspolitik ist aber bei einem Wahlsieg Clintons nicht zu erwarten. Die Empfehlung: Michael Böhmer, Chefökonom der Prognos AG: „Wenn man Handelsschranken wieder runterlässt, profitieren davon allein die geschützten Branchen. Den Konsumenten aber werden preisgünstige Importe vorenthalten. Allein das bedeutet einen massiven Wohlfahrtsverlust des einzelnen Bürgers. Zudem werden die Exporteure ihrer Marktchancen beraubt. Schließlich verliert die gesamte amerikanische Volkswirtschaft an Dynamik, da der Konkurrenzdruck aus dem Ausland fehlen würde. Aus welcher Perspektive man es auch betrachtet: Will man Politik zum Wohle seines Landes betreiben, gibt es keinen vernünftigen Grund für Protektionismus“. 5. Szenario Harakiri Mit Hilfe unseres Weltwirtschaftsmodells VIEW haben wir berechnet, welche ökonomischen Konsequenzen ein fiskalpolitisches Harakiri in den Vereinigten Staaten für das Land selbst und für Deutschland hätte. Im Szenario „Harakiri“ haben wir unterstellt, dass in den beiden Jahren 2017 und 2018 in den Vereinigten Staaten sowohl die Steuern gesenkt als auch die Ausgaben erhöht werden. Als Konsequenz wird der Budgetsaldo (Einnahmen des Staates minus Ausgaben) wieder deutlich defizitärer und bewegt sich auf ein Niveau zu wie gegen Ende der Finanz- und Wirtschaftskrise (-9 % in Relation zum Bruttoinlandsprodukt). Die Schuldenstandsquote schießt als Konsequenz deutlich nach oben und erreicht Anfang der 2030er Jahre einen Maximalwert von 135 %. Kurzfristig profitiert das Bruttoinlandsprodukt der Vereinigten Staaten von dem fiskalpolitischen Stimulus, langfristig liegt das BIP jedoch unter dem Niveau des Referenzszenarios (-2,7 % im Jahr 2040). Für das BIP Deutschlands ist der langfristige Effekt ebenfalls negativ (-0,5 % bzw. 18 Mrd. Euro im Jahr 2040). Nicht berücksichtigt sind in dem Szenario mögliche Vertrauensverluste, welche Investoren angesichts der stark steigenden Schuldenstandsquote dazu veranlassen könnten, die langfristige Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten in Frage zu stellen und alternative Anlagemöglichkeiten zu suchen. In einem solchen Fall können unkalkulierbare und plötzliche Prozesse in Gang gesetzt werden, welche die Weltwirtschaft langfristig und massiv schädigen würden. Budgetsaldo 0% -5% -10% Szenario "Harakiri" Referenz -15% 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 Schuldenstandsquote 140% 130% 120% Szenario "Harakiri" 110% Referenz 100% 90% 80% 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 Für Interviews stehen Christian Böllhoff, Geschäftsführender Gesellschafter der Prognos AG und Dr. Michael Böhmer, Chefökonom der Prognos AG, zur Verfügung. Pressekontakt Prognos AG – Wir geben Orientierung. Felizitas Janzen Leitung Unternehmenskommunikation [email protected] Tel.: +49 30 52 00 59 222 Mobil: +49 177 8283155 www.prognos.com/weltreport