Programmheft - Badisches Staatstheater Karlsruhe

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ANNE
14+
FRANK
EUROPÄISCHE KULTURTAGE KARLSRUHE
UNSER GEDÄCHTNIS
DEFINIERT, WER WIR
WIRKLICH SIND
Mit freundlicher Unterstützung der Sparda-Bank Baden-Württemberg
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ANNE FRANK
Ballett von Reginaldo Oliveira
URAUFFÜHRUNG
Premiere im Rahmen der EUROPÄISCHEN KULTURTAGE 2016 EUROPÄISCHE KULTURTAGE KARLSRUHE
Choreografie & Inszenierung REGINALDO OLIVEIRA
Musik
Bühne
LERA AUERBACH
MAX RICHTER
ALFRED SCHNITTKE
DMITRI SCHOSTAKOWITSCH
SEBASTIAN HANNAK
Kostüme
JUDITH ADAM
Ballettmeister
ALEXANDRE KALIBABCHUK
VERONICA VILLAR
Dramaturgie
SILKE MEIER
PREMIERE 23.4.16 GROSSES HAUS
Aufführungsdauer ca. 2 ½ Stunden, eine Pause nach dem 1. Akt
Aufführungsrechte:
Dmitri Schostakowitsch, Alfred Schnittke, Lera Auerbach: Musikverlag Hans Sikorski, Hamburg
Max Richter: © mit freundlicher Genehmigung von Mute Song International limited
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Sehr verehrtes Publikum,
als Teil des von mir eingeschlagenen „Karlsruher Wegs“ liegt mir ausdrücklich die choreografische Nachwuchsförderung am Herzen. So erfüllt es mich mit besonderer Freude,
Ihnen in der zweiten Uraufführung dieser Spielzeit mit Reginaldo Oliveira eine große
Begabung aus den Reihen meines Ensembles vorstellen zu können.
Wobei einige von Ihnen seinen Namen und seine Arbeiten sicherlich schon kennen. Seit
2006 Mitglied des STAATSBALLETTS KARLSRUHE, sorgte er gleich mit seinem ersten
Auftragswerk für meine Compagnie, Der Fall M. im Rahmen des Ballettabends Mythos,
überregional für Aufmerksamkeit und Anerkennung.
Mit Anne Frank kreiert Reginaldo Oliveira nun sein erstes abendfüllendes Ballett und
erzählt auf überaus einfühlsame und eindringliche Weise die berührende Geschichte des
jüdischen Mädchens, die mit ihrem im Versteck vor den Nazis geschriebenen Tagebuch
ein heute weltberühmtes Zeugnis des Holocaust geschaffen hat.
Wir zeigen Anne Frank auch im Rahmen der 23. Europäischen Kulturtage Karlsruhe mit
dem Motto „Wanderungen“. Angesichts der aktuellen öffentlichen Diskussionen gerade
im Hinblick auf die Flüchtlingskrise möchten wir mit unserer Produktion als Plädoyer für
Toleranz und Menschlichkeit ganz im Sinne der Botschaft, die uns Anne Frank hinterlassen hat, unseren Beitrag dazu zu leisten, dass Karlsruhe eine weltoffene Stadt ist und
bleibt, die kulturelle und religiöse Vielfalt als Reichtum begreift!
Ich danke der Sparda-Bank Baden-Württemberg für die stete Förderung unserer Arbeit!
Herzlichst,
Ihre
Birgit Keil
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Margot Frank Rafaelle Queiroz, Edith Frank Harriet Mills, Otto Frank Andrey Shatalin, Anne Frank Bruna Andrade
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SZENENFOLGE
PROLOG Kitty
1. AKT
1 Emigration in die Niederlande
2 Unbeschwertes Leben im Exil – In der Schule – Am Strand
3 Einmarsch der Deutschen
4
Ein Tagebuch als Geburtstagsgeschenk
5
Der verhängnisvolle Brief
6 Untertauchen
7 Leben im Versteck
8 Schreiben, um zu überleben
9 Fritz Pfeffer
10Gefängnis
11Erwachsenswerden
12Peter
13 Jahreszeiten
– Pause –
2. AKT
1 Verrat, Verhaftung und Deportation
2 Im Konzentrationslager
3 Annes Tod
4
MUSIK
Lera Auerbach
24 Präludien für Klavier, op. 41
Zehn Träume für Klavier, op. 45
Max
Richter
Song
Alfred Schnittke Concerto grosso Nr. 1
Ausschnitte aus den Filmmusiken
Das Märchen der Wanderungen
Clowns und Kinder
Die Lebensgeschichte eines unbekannten Schauspielers
Die Kommissarin
Der Meister und Margarita
Sport, Sport, Sport
Konzert für Klavier und Streichorchester, op. 136
Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 8 in c-moll, op. 65
Sinfonie Nr. 11 in g-moll, „Das Jahr 1905“, op. 103
Sinfonie Nr. 1 „Chimera“
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6
Kitty Kt. Flavio Salamanka, Ensemble
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Anne Frank Bruna Andrada, Ensemble
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ZUR INSZENIERUNG
EIN INTERVIEW MIT DEM PRODUKTIONSTEAM
Reginaldo, welchen Ansatz verfolgst du in
deiner choreografischen Annäherung an
Anne Frank?
hat Beispielcharakter und trifft heute noch
genauso Millionen von Menschen wie vor
über 70 Jahren.
Reginaldo Oliveira Ich beleuchte verschiedene Stationen ihres Lebens und bringe
die historisch verbürgten Personen ihrer
Familie, der anderen Untergetauchten,
die sich im Hinterhaus verstecken mussten, und der Helferin Miep Gies auf die
Bühne. Neben den vielen traurigen und
schrecklichen Momenten in Anne Franks
Leben zeige ich aber auch Augenblicke von
Leichtigkeit, Glück und Hoffnung – so wie
sie in ihrem Tagebuch den verzweifelten
Alltag im Versteck beschreibt, aber eben
auch die pralle Schönheit des Lebens. Ihr
Optimismus hat mich zutiefst beeindruckt,
sie hat die Hoffnung auf Frieden nie aufgegeben.
Aber es ist nicht nur eine Biografie. Genauso wichtig ist mir Anne Franks Vermächtnis in unserer heutigen Zeit. Ihr Schicksal
von Diskriminierung, Verfolgung und Flucht
Anne Frank hat Kitty als Namen für die
fiktive Brieffreundin gewählt, an die sie
ihr Tagebuch adressiert. In deiner Produktion trägt die männliche Hauptfigur diesen
Namen. Wer genau ist Kitty?
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RO An Annes 13. Geburtstag, zu dem ihr
Vater Otto ihr ein Tagebuch schenkt, tritt
Kitty in Annes Leben und wird ein Teil
von ihr. Denn als sie anfängt, Tagebuch zu
schreiben, bemerkt Anne in den Worten,
die sie zu Papier bringt, dass jemand für
sie da ist. Im Versteck im Hinterhaus wird
Kitty zu Annes bestem Freund, ihm kann
sie sich anvertrauen und alle Geheimnisse
erzählen.
Doch der Abend beginnt mit Kitty als eine
Art Erzähler im Hier und Heute. Er nimmt
die Zuschauer mit auf eine Zeitreise in die
Vergangenheit, genauer gesagt, in das
Kitty Kt. Flavio Salamanka
11
Jahr 1934, in dem Anne Frank mit ihrer
jüdischen Familie aus Deutschland flieht
und in die Niederlande emigriert. Kitty
zeigt uns das Amsterdam vor dem Krieg,
das schöne unbeschwerte Leben im Exil,
die Freiheit. Kitty zeigt uns aber auch die
Verschlechterung der Lebenssituation für
Juden nach dem Einmarsch der Deutschen
1940.
In seiner Essenz ist Kitty der Teil von Anne
Frank, der überlebt hat. Er ist das flammende Plädoyer gegen Rassismus und
Gewalt, das Anne Frank in ihrem Tagebuch
niedergeschrieben hat. Er ist die Stimme,
die uns und die uns nachfolgenden Generationen auffordert, Krieg und Völkermord
nie wieder zuzulassen.
Ist „Anne Frank“ auch ein Stück über das
Erwachsenwerden?
RO Ja. Generell ist die Pubertät für alle
Jugendlichen eine schwierige und sensible Phase, in der sie sich in ihrem Körper,
der sich gravierend verändert, nicht wohl
fühlen. Wie aber mag nun diese Zeit der
Aufbrüche für ein Mädchen verlaufen, das
mehr als zwei Jahre im Versteck wie in
einem Gefängnis leben muss, dort vom
Kind zur Frau heranwächst und keinerlei
Privatsphäre hat? Der Druck, unter dem
Anne als Pubertierende leidet, wird durch
die vielen Menschen auf so engem Raum,
den draußen tobenden Zweiten Weltkrieg
und die ständige Angst davor, entdeckt zu
werden, immens erhöht. Allein bei Kitty
findet sie Zuflucht und Trost; sie schreibt,
um zu überleben. Die Fallhöhe zwischen
Freiheit im Exil und Gefangensein im Versteck zeige ich nicht nur bei Anne, sondern
bei allen acht Untergetauchten.
Die Musikzusammenstellung umfasst
Werke der Komponisten Dmitri Schosta12
kowitsch, Alfred Schnittke, Lera Auerbach und Max Richter. Nach welchen
Kriterien hast du die Stücke ausgewählt?
RO Bei der Musikauswahl verlasse ich
mich ganz auf meinen Instinkt. Wenn beim
Hören eines Stückes vor meinem inneren
Auge ganze Szenen entstehen, dann weiß
ich, dass es richtig ist. Für mich beginnt
alles mit der Musik. Sie sagt mir, was
als nächstes kommen muss, sie schafft
Atmosphären und liefert die Strukturen
für Situationen und Szenen. Die Musik ist
meine größte Inspiration für den Prozess
des Choreografierens.
„Anne Frank“ ist nach „Der Fall M.“ im
Rahmen des Ballettabends „Mythos“ die
zweite Zusammenarbeit des Bühnenbildners Sebastian Hannak mit dem Choreografen Reginaldo Oliveira. Sebastian,
welche Grundidee legst du deinem Raum
zugrunde?
Sebastian Hannak Der Raum ermöglicht immer wieder neue Einblicke in die
Lebensgeschichte von Anne Frank – ein
Leben, das leider viel zu kurz war.
Zu Beginn der Arbeit standen verschiedene Lebensstationen von Anne Frank und
ihrer Familie. Diese haben wir immer mehr
zu einem wandelbaren Raum verdichtet.
Seine Form erinnert an einen Briefumschlag. Er kann sich öffnen, man sieht eine
Station, und er schließt sich dann auch
wieder – wie ein Brief aus der Vergangenheit.
So wie Anne Frank als Erzählform ihres
Tagebuches auch den Brief gewählt hat?
SH Ja, genau. Ihr Tagebuch hat mich
zutiefst beeindruckt. Inmitten einer aussichtslosen Lebenslage stellt sich ein so
junges Mädchen eine Aufgabe und setzt
diese mit bewundernswerter Konsequenz
und Disziplin um. Ihre Gabe, in dieser lebensbedrohenden Zeit die Hoffnung nicht
zu verlieren, ist außergewöhnlich. Diese
Zuversicht überträgt sich sehr stark in
ihrem Zeitzeugnis. Berührt hat mich, dass
sie Trost in einer imaginären Brieffreundin
sucht.
Für den Bühnenraum bedeutet das,
vereinfacht gesprochen: Etwas öffnet
und schließt sich. Wie ein Briefumschlag,
aber auch wie ein Tagesablauf, wie ein
Leben, wie eine Wand, vor der ich stehe,
die sich plötzlich auftut. Der Raum nimmt
aber auch Bezug auf Ereignisse, die vor
und nach dem Verfassen des Tagebuchs
stattfinden.
Das Anne-Frank-Haus in Amsterdam, in
dessen Hinterhaus das jüdische Mädchen
mit ihrer Familie von 1942 bis 1944 versteckt lebte, ist heute ein Museum. War
es auch eine Inspirationsquelle für dein
Bühnenbild?
SH Inspirationsquellen sind für mich immer
die dem Stück zugrundeliegenden Texte,
Musiken, Sachverhalte, weniger konkrete
Orte. Das Anne-Frank-Haus und auch die
Verfilmungen sind definitiv Quellen der
Grundlagenforschung, auch um zu sehen,
was die Zuschauer bisher gesehen haben.
Wir werden zum Beispiel das berühmte
klappbare Regal als Zugang zu der Speicherwohnung zitieren.
In meinen Augen hat das Bühnenbild
aber nicht die Aufgabe, historisch korrekt die Zeit widerzuspiegeln, sondern
die Botschaft oder den Grundkonflikt der
Geschichte räumlich abzubilden – aus
unserer heutigen Sicht. Somit versuche
ich mit meiner räumlichen Übersetzung
Denkräume für unsere Zeit zu eröffnen.
Auch die Kostümbildnerin Judith Adam
arbeitet bereits zum zweiten Mal mit dem
Choreografen Reginaldo Oliveira. Judith,
wie historisch sind deine Kostüme?
Judith Adam Ich nehme Anne Frank als
Figur und Kind ihrer Zeit sehr ernst und
möchte sie künstlerisch nicht überhöhen.
Deswegen habe ich für sie, ihre Familie und
die Bürger von Amsterdam realistische
Kostüme im Stil der 1930er Jahre gestaltet.
Am Anfang sehen wir die Familie Frank
farbenfroh zwischen ihren Freunden im Exil.
Die Kostüme sind bunt und vielfältig, wie
das Leben der Menschen.
Mit der Invasion der Deutschen 1940 und
den immer weiter reichenden Repressionen
gegen die Juden verlieren die Kostüme
mehr und mehr an Farbe. Eleganz weicht
Eintönigkeit, bis im Konzentrationslager
jegliche Farben verloren gegangen sind
und nur noch graue Schatten übrig bleiben.
Die Uniformen der Soldaten hingegen habe
ich zu schattenhaften Umrissen verfremdet. Die kraftvolle Abstraktion verzichtet
bewusst auf historisch korrekte, aber doch
unangenehm dekorative Elemente. Die
Stärke des Tanzes liegt ja gerade darin,
Macht, Brutalität und Willkür in eine neue
physische Sprache zu übersetzen und
nicht eins zu eins nachzuahmen.
Und Kitty?
JA Kitty steht für das heißgeliebte Tagebuch. Sein Kostüm erinnert an weiße Papierblätter, die darauf warten, beschrieben
zu werden. Kitty nimmt Annes Gedanken
und all ihre Wünsche auf. Er ist die einzige
Kunstfigur, ist Annes nicht greifbarer, aber
eng vertrauter Weggefährte. Er verführt
sie zu Träumereien, teilt ihre Geheimnisse,
kann aber auch im Bühnenbild zurücktreten und sie aus der Ferne begleiten.
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14
Margot Frank Rafaelle Queiroz, Ensemble
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ZUR MUSIK
„Bach bildet für mich den Mittelpunkt von
allem. Er ist jenes Zentrum, jene Sonne,
die nach allen Seiten strahlt. Ganz gleich,
womit ich mich gerade beschäftige, immer
spüre ich sie.“ Dieses Bekenntnis des Komponisten Alfred Schnittke könnte ebenso
von den anderen drei Tonsetzern stammen,
deren Werke die Musik zu Reginaldo Oliveiras Ballett Anne Frank bestreiten. Auch
Lera Auerbach, Max Richter und Dmitri
Schostakowitsch beziehen sich in ihren
Kompositionen direkt oder indirekt auf Johann Sebastian Bach und sind maßgeblich
von dessen Schaffen beeinflusst worden.
Am augenscheinlichsten ist dies der
Fall bei Lera Auerbachs 24 Präludien für
Klavier, op. 41. Die russische Komponistin
wurde 1973 im sowjetischen Tscheljabinsk
geboren, lebt seit 1991 in den USA und feiert auch als Pianistin und Schriftstellerin
große Erfolge. Mit den 1999 entstandenen,
im Quintenzirkel angeordneten Miniaturen
setzt Auerbach eine lange Tradition fort,
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die – ausgehend von der Urform, Bachs
Wohltemperiertem Klavier – auch die
berühmten Präludien-Zyklen von Chopin
und Schostakowitsch hervorgebracht
hat. „Man kann nicht komponieren ohne
Kenntnis der Tradition oder ohne Wissen
darüber, was bis dahin geschah“, schreibt
die Komponistin. „Ich kann etwas sehr
Modernes und sehr Neues ausdrücken,
wenn ich weiß, was in der Vergangenheit
funktionierte.“
Dieses Credo gilt in gleichem Maße für
ihre Sinfonie Nr. 1 „Chimera“ von 2006,
deren Untertitel „Trugbild, Hirngespinst“
auf den geheimnisvollen und introvertierten Charakter des Werkes hinweist.
In Instrumentation und Melodik erinnern
viele Passagen an die Scherzi der Sinfonien ihres berühmten Landsmannes
Schostakowitsch. Auerbach scheut sich
auch nicht, auf spätromantische russische
Klangopulenz zurückzugreifen. In der
tiefen Empfindungskraft und hohen Emo-
Otto Frank Andrey Shatalin, Edith Frank Harriet Mills
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tionalität der historischen Anleihen spiegelt die Komponistin die Gegenwart – und
trifft damit den Nerv unserer Zeit.
Die Zehn Träume für Klavier, op. 45
schließlich hat Lera Auerbach 2008 beim
Schleswig-Holstein Musik Festival selbst
als Pianistin uraufgeführt. Die selbstvergessenen, weltverlorenen Kleinode stehen
in Expressivität und Spiritualität ihren
anderen Werken in nichts nach.
Doch kehren wir zu Bach und Schnittke
zurück: Der 1934 im sowjetischen Engels
geborene und 1998 in Hamburg verstorbene Alfred Schnittke ist spätestens durch
sein von ihm geschaffenes Verfahren der
Polystilistik in die Musikgeschichte des
20. Jahrhunderts eingegangen. Heterogene Materialien und Stile, Tonales und
Atonales, Vergangenes und Gegenwärtiges, Vertrautes und Fremdes werden
in verblüffend neue Zusammenhänge
gestellt. Es ist seine Form, Pluralität zu
inszenieren. 1971 sprach Schnittke in
seinem Moskauer Vortrag Polystilistische
Tendenzen in der modernen Musik von
einer „Demokratisierung“ der stilistischen
Mittel. Zur damaligen Zeit eine nahezu
subversive Äußerung eines Komponisten,
für dessen Werke unter dem sowjetischen
Parteiapparat immer wieder Aufführungsverbote verhängt wurden!
In seinem 1979 entstandenen einsätzigen
Konzert für Klavier und Streichorchester,
op. 136 verwendet Schnittke tief verborgen
in der Struktur die Tonfolge b – a – c – h
und setzt damit seinem „fernen, unerreichbaren Ideal“ ein verschlüsseltes Denkmal.
Johann Sebastian Bach selbst hatte um
die Musikalität seines Namens gewusst
und ihn in seinem unvollendet gebliebenen
Werk Die Kunst der Fuge als Themenkopf
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der Schlussfuge verewigt, quasi als Signatur eines Vermächtnisses.
Schnittkes Concerto grosso Nr. 1 aus
den Jahren 1976/1977, das er dem großen
Geiger Gidon Kremer widmete, ist ebenso
eine Reminiszenz an die barocke Vergangenheit. Die Besetzung sieht neben zwei
Soloviolinen unter anderem ein Cembalo
und ein präpariertes Klavier vor. Schnittke greift nicht nur in der Besetzung die
Strukturmerkmale des Concerto grosso
auf, sondern spielt auch virtuos und
fantasievoll mit den charakteristischen
Wechseln zwischen Solo- und Tuttipassagen.
Nach eigener Aussage konnte sich
Schnittke in seinem Leben nie entscheiden, ob er Filmkomponist oder so genannter normaler Komponist werden wolle.
Doch findet die Polystilistik gerade in
seinen über 60 Filmmusiken, mit denen
er über weite Strecken seines Lebens
seinen Lebensunterhalt verdiente, ihren
plastischsten Niederschlag. Hier kommen
sämtliche Gattungen und Genres zum Einsatz, vom Kirchenchoral über den Tango
bis hin zum Jazz.
Im Konzertsaal längst weltberühmt, entdeckte die Musikwelt erst nach Schnittkes
Tod seine Filmmusiken wieder. Dies ist zum
größten Teil das Verdienst des deutschen
Dirigenten Frank Strobel, der über Jahre
das Material gesichtet, zu Suiten arrangiert und mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin eingespielt hat. Schnittkes Gabe, Situationen und emotionale
Zustände instinktsicher zu beschreiben
und eindringliche Geschichten zu erzählen,
prädestiniert seine Filmmusiken geradezu
für die Bühne – und in besonderem Maße
für den Tanz, der ohne Worte auskommt.
Auch Max Richter, der 1966 in Hameln
geborene britische Musiker, nennt Bach
als sein Vorbild. In Deutschland ist der Absolvent der traditionsreichen Royal Academy of Music London und Schüler des
renommierten italienischen Komponisten
Luciano Berio neben seiner preisgekrönten Filmmusik zu Ari Folmans dokumentarischem Trickfilm Waltz with Bashir vor
allem durch seine mit dem Geiger Daniel
Hope eingespielte Neufassung von Vivaldis Vier Jahreszeiten bekannt geworden.
Richters wehmütig klagender Song aus
dem 2006 veröffentlichten Album Songs
from before ist ein filigraner Abgesang
auf vergangene Zeiten und vergessene
Erinnerungen.
Im umfangreichen Œuvre von Dmitri
Schostakowitsch, der 1906 in Sankt
Petersburg geboren wurde und 1975 in
Moskau starb, finden wir allerorten Spuren
von Johann Sebastian Bach, dessen
Wohltemperiertes Klavier Schostakowitsch jeden Morgen quasi als „Warmup“ gespielt haben soll. Alte Formen wie
Fuge, Passacaglia und Kanon, von Bach zu
unübertroffener Meisterschaft getrieben,
greift Schostakowitsch in seinen Sinfonien
und Konzerten wieder auf.
Ähnlich wie sein 28 Jahre jüngerer Landsmann Schnittke wurde auch er oftmals den
Repressionen der sowjetischen Diktatur
ausgesetzt. Seine Antwort darauf war die
innere Emigration. Was er wirklich dachte,
sprach er in seiner Musik aus. So sind seine
Werke bis heute musikalische Plädoyers
gegen Ungerechtigkeit, diktatorische
Gewalt und Antisemitismus.
Seine Sinfonie Nr. 8 in c-moll, op. 65 entstand 1943 unter dem Eindruck des in ganz
Europa wütenden Zweiten Weltkrieges:
„Dieses Werk spiegelt meine Gedanken
und Gefühle, auch Seelenzustände, in
Verbindung mit den freudigen Nachrichten
über die ersten Siege der Roten Armee
wider. In diesem Werk versuche ich, die
nahe Zukunft der Nachkriegsepoche vorwegzunehmen. Die ideell-philosophische
Konzeption der Sinfonie kann mit wenigen
Worten umrissen werden: alles Dunkle und
Schändliche wird vergeben; alles Schöne wird triumphieren.“ Bis 1956 durfte
dieses Werk in der Sowjetunion nicht
aufgeführt werden; zu riskant erschien den
Parteibürokraten wohl die schonungslose musikalische Abbildung der brutalen
Kriegsmaschinerie, der marschierenden
Soldatenstiefel und der verzweifelten
Schreie eines unterdrückten Volkes.
1957, vier Jahre nach Stalins Tod, ging
Schostakowitsch in seiner Sinfonie Nr. 11
in g-moll, op. 103 so weit, das Werk mit
einem programmatischen Untertitel zu
versehen, „Das Jahr 1905“. Er bezieht
sich damit zunächst auf den Petersburger Blutsonntag vom 9. November 1905,
als der Zar auf unbewaffnete Demonstranten schießen ließ und ein Massaker
mit mehreren hundert Toten anrichtete.
Schostakowitsch nutzt dieses historische
Ereignis der Russischen Revolution aber
auch, um verklausuliert die damals aktuelle Niederschlagung des Volksaufstandes
in Ungarn 1956 durch sowjetische Truppen anzuklagen. Er verwendet in diesem
Werk keine sinfonisch-abstrakte Sprache,
sondern agiert eher als Filmkomponist
(der er ja auch war), indem er traditionelle
Revolutionslieder zur Grundlage einer
gestisch-gegenständlichen Musik macht.
Offensichtlich verstanden die Zensoren
damals nicht die zweigleisige Botschaft;
Schostakowitsch erhielt für dieses Werk
1958 den Lenin-Preis.
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20
Ensemble
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5576: ANNE FRANK
VERSUCH EINES ESSAYS
Sie muss ein fröhliches Kind gewesen
sein, das viel lachte, lebenslustig und
frech war und wegen ihres ansteckenden
Optimismus von allen geliebt wurde. Als
Anne Frank 1934 mit ihrer jüdischen Familie vor Hitler und den Nationalsozialisten
aus Frankfurt floh und in die Niederlande
emigrierte, war sie nicht einmal fünf Jahre
alt. Obwohl die Nürnberger Rassengesetze von 1935 sie zu Staatenlosen gemacht
hatten, konnte die Familie im Amsterdamer
Exil bis zum Einmarsch der Deutschen
1940 ein normales Leben führen. Doch
die unbeschwerte Zeit, in der Anne in der
Schule wegen unaufhörlichen Schwatzens
Strafaufsätze schreiben musste, die selbst
den Lehrer zum Lachen brachten, endete
allerspätestens und für immer am 6. Juli
1942. An diesem Tag tauchte sie mit ihrer
jüdischen Familie im Versteck im Hinterhaus unter. Ihre Schwester Margot hatte
am Tag zuvor den Aufruf erhalten, sich
zum „Arbeitseinsatz im Osten“ zu melden.
Alle vorigen Versuche ihres Vaters, Asyl in
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Übersee zu erhalten, waren gescheitert.
Über zwei Jahre musste Anne mit sieben
Menschen auf engstem Raum wie in einem
Gefängnis zusammenleben, in der permanenten Angst, entdeckt, verhaftet und
deportiert zu werden.
Knapp einen Monat vor dem Untertauchen hatte Anne mit dem Schreiben eines
Tagebuchs in niederländischer Sprache
begonnen und es bis drei Tage vor ihrer
Verhaftung am 4. August 1944 weitergeführt. Die Verwirklichung ihres Traumes,
Schriftstellerin und Journalistin zu werden, blieb ihr zu Lebzeiten verwehrt. Ihr
Vorhaben, das Tagebuch nach dem Krieg
zu veröffentlichen, konnte sie selbst nicht
mehr in die Tat umsetzen. Sie starb 15jährig im Konzentrationslager Bergen-Belsen.
Wer die Hinterhausbewohner verraten
und an die Nazi-Schergen ausgeliefert
hatte, konnte nie geklärt werden. Annes
Vater Otto Frank, der als einziger der acht
Untergetauchten Konzentrationslager
und Krieg überlebte, erfüllte postum ihren
Wunsch und veröffentlichte 1947 ihr Tagebuch unter dem Titel Het Achterhuis (Das
Hinterhaus).
Heute ist ihr Tagebuch ein weltberühmtes
Zeugnis des Holocaust und hat seit seiner
Erstveröffentlichung vor fast 70 Jahren
einen beispiellosen Siegeszug rund um
den Globus angetreten. Es wurde in über
70 Sprachen übersetzt und in mehr als 80
Ländern veröffentlicht. Rund 30 Millionen Exemplare des Tagebuchs wurden
verkauft; es gehört zu den meistgelesenen
Büchern der Welt und ist in vielen Ländern
Schullektüre. Die erste Bühnenfassung,
verfasst von Frances Goodrich und Albert
Hackett, wurde 1955 am Cort Theatre in
New York uraufgeführt und sowohl mit
dem Pulitzer-Preis als auch mit dem Preis
des New York Drama Critics Circle ausgezeichnet. 1959 folgte die Hollywood-Verfilmung des Broadway-Stückes. Seither
entstanden zahlreiche Adaptionen des
Tagebuchs für Bühne, Film und Fernsehen.
Anne Franks Geschichte fand weltweit
Eingang in Literatur, Musik und Malerei.
2007 brachte der brasilianische Choreograf
Carlos Cortizo in Nürnberg die Uraufführung von Anne Frank als Tanztheaterstück
heraus, und jüngst kam im März 2016 die
deutsche Filmproduktion Das Tagebuch der
Anne Frank in der Regie von Hans Steinbichler in die Kinos.
Bereits 1957 wurde zum ersten Mal von
Holocaustleugnern die Echtheit des
Tagebuches in Frage gestellt. In den
folgenden Jahrzehnten griffen Anhänger
des Geschichtsrevisionismus, die meist
im Dunstkreis von Rechtsextremisten und
Neonazis agierten, die Fälschungsbehauptung immer wieder auf. Diese Angriffe
veranlassten das Niederländische Institut
für Kriegsdokumentation1, das im Besitz
von Anne Franks Manuskripten ist, eine
wissenschaftliche Untersuchung über
die Echtheit ihrer handgeschriebenen
Aufzeichnungen in Auftrag zu geben. Die
Ergebnisse dieser Untersuchung wurden
1986 in der ersten Kritischen Ausgabe der
Tagebücher veröffentlicht und belegen die
Echtheit des Tagebuchs. Eine Einschätzung, die das Urteil des Landesgerichts
Hamburg vom 23. März 1990 bestätigte.
Und Anne Frank selbst? Sie ist längst zur
internationalen Symbolfigur für die sechs
Millionen Opfer des Völkermordes in der
Zeit des Nationalsozialismus geworden.
Mehr noch, sie hat mittlerweile den
Kultstatus eines Popstars erreicht und ist
Gegenstand einer nahezu religiösen Verehrung geworden – und eine Marke, mit
der sich viel Geld verdienen lässt. David
Barnouw, Mitherausgeber der 1986 veröffentlichten Kritischen Ausgabe, spricht
überspitzt von einer „Anne-Frank-Industrie“.
Doch besinnen wir uns auf das junge
Mädchen mit der außergewöhnlichen
schriftstellerischen Begabung, das viel
zu früh sterben musste! Ihr Tagebuch ist
Zeitdokument eines unmenschlichen
Regimes und belletristische Initiationserzählung zugleich. Es ist eine eindringliche Mahnung gegen Diskriminierung,
Rassismus und Antisemitismus, aber auch
eine einzigartige Prozessbeschreibung des
Erwachsenwerdens. 2013 sind erstmals
ihre sämtlichen Werke, die auch Erzählungen und Briefe umfassen, als Gesamtausgabe veröffentlicht worden. Es ist an
uns, Anne Frank als Schriftstellerin neu zu
entdecken und ihre humanistischen Ideale,
die sie in allen ihren Texten zum Ausdruck
bringt, lebendig zu halten.
Seit 2010 trägt es den Namen Niederländisches Institut für Kriegs-, Holocaust- und Genozidstudien,
auf Niederländisch abgekürzt: NIOD.
1
23
24
Auguste
vanxxPels Blythe Newman, Hermann van Pels Ed Louzardo, Solisten
Folgeseiten
25
MASCHINEN DES
VERGESSENS
EINE STREITSCHRIFT
Die Menschen sind Maschinen des Vergessens. Nicht nur weil die Erinnerung
versagt und alle, die das Grauen an der
eigenen Haut erlebten, sterben – sondern
weil Aggressionen unser Erbteil sind und
wir nach Kämpfen, die unser Hasspotential
entleeren, langsam wieder aufgeladen
werden, bis wir Kriege brauchen: weil
der Mensch den Hass, den er kriminell
nicht ausleben darf, in einem kollektiven
Ausleerungsprozess namens Krieg verschütten muss und weil auf den Krieg der
Pazifismus folgt wie der Hänger auf den
Alkoholrausch.
Die Erinnerung wird nicht nur individuell,
sie wird kollektiv abgesessen; zuletzt
macht sie einen fuchsteufelswild wie
stinkendes Aas, und man entledigt sich
26
ihrer. Aus dem edlen Nachkriegswort
Pazifismus wird allenthalben in Europa ein
Schimpfwort, das nichts mehr mit Courage
und alles mit Feigheit zu tun hat, wir wollen
normal sein wie alle andern Völker auch
und wollen Soldaten, die man nicht Mörder
nennen soll, für gerechte Kriege, die wir
finden werden. Als ich ein Kind war, las
man an allen Häuserwänden und Mauern:
Nie wieder Krieg!
Das Vergessen ist nicht der zerstreute
Bruder des Verbrechens, der eine lässliche
Sünde begeht. Das Vergessen gehört zum
Verbrechen wie das Abwaschen des Bluts
zur Mordtat. Das Vergessen bereitet das
nächste Verbrechen vor. Vergessen und
Verbrechen gehören aufs innigste zusammen. Das Vergessen ist das Abflussrohr
des Verbrechens. Würden in den Köpfen
der Menschen die vergangenen Verbrechen nicht abfließen, könnten sie keine
neuen begehen.
Im Anfang war das Vergessen, so heißt es
in vielen abend- und morgenländischen
Schöpfungsmythen über die Menschwerdung. In der jüdischen Überlieferung
schlägt der Engel des Vergessens dem
Neugeborenen auf den Mund, damit er
sein ursprüngliches Wissen über die Dinge
vergesse. Bei den Griechen raubt Prometheus den Menschen das Wissen um
den Zeitpunkt ihres Todes, damit sie von
nun an ohne Angst leben können. Vergessen der Zukunft, Vergessen der Vergangenheit: Menschsein ist Vergessen und
Aus-der-Geschichte-Lernen Illusion. Aus
der Geschichte lernen sollen, die sich nicht
erinnern, die Menschen. Und da ihr Erbteil
das Vergessen ist, ist jede Generation dazu
verdammt, die Fehler der vorhergehenden
zu wiederholen, bis in alle Ewigkeit – dem
von den Göttern bestraften Prometheus
gleich, dem jeden Tag aufs Neue unter
unbeschreiblichen Schmerzen die immer
nachwachsenden Eingeweide weggefressen werden, und immer wieder lassen die
neuen Qualen die alten vergessen.
Aber wer kann mit all den Erinnerungen
leben? Wir würden, wenn wir nicht vergäßen, unter Erinnerungen ersticken.
Benjamin Korn
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28
Edith Frank Harriet Mills, Peter van Pels Pablo dos Santos, Hermann van Pels Ed Louzardo,
Margot Frank Rafaelle Queiroz, Anne Frank Bruna Andrade, Kitty Kt. Flavio Salamanka
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ICH SEHE, WIE DIE WELT LANGSAM
IMMER MEHR IN EINE WÜSTE
VERWANDELT WIRD, ICH HÖRE DEN
ANROLLENDEN DONNER IMMER
LAUTER, DER AUCH UNS TÖTEN
WIRD, ICH FÜHLE DAS LEID VON
MILLIONEN MENSCHEN MIT.
UND DOCH, WENN ICH ZUM HIMMEL
SCHAUE, DENKE ICH, DASS SICH
ALLES WIEDER ZUM GUTEN
WENDEN WIRD, DASS AUCH DIESE
HÄRTE AUFHÖREN WIRD, DASS
WIEDER RUHE UND FRIEDEN IN DIE
WELTORDNUNG KOMMEN WERDEN
Anne Frank Tagebuch. Zitat aus der Eintragung vom 15. Juli 1944.
30
Peter van Pels Pablo dos Santos, Anne Frank Bruna Andrade
31
ZEITTAFEL
1929 Annelies Marie Frank, genannt Anne, wird am 12. Juni als zweite Tochter des
jüdischen Ehepaars Otto Heinrich Frank und Edith Frank-Holländer in Frankfurt am
Main geboren. Sie hat eine drei Jahre ältere Schwester namens Margot Betty.
1933 Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigriert Otto Frank nach
Amsterdam und gründet dort die Firma Opekta. Seine Frau Edith und die beiden
Töchter folgen ihm im Februar 1934 in die Wohnung am Merwedeplein 37.
1935 Anne Frank besucht die Montessori-Schule in Amsterdam.
1940 Am 10. Mai besetzt die deutsche Wehrmacht die Niederlande. Königin Wilhelmina
flieht ins Exil nach London, die niederländischen Streitkräfte kapitulieren am 14. Mai.
1941 Aufgrund des allgemeinen Schulverbots für jüdische Kinder im Rahmen der Judengesetze wechselt Anne auf das Jüdische Lyzeum.
1942 Im Mai wird in den Niederlanden der Judenstern eingeführt, es folgen weitreichende Repressionen gegen Juden.
Zu ihrem 13. Geburtstag am 12. Juni erhält Anne als Geschenk ein rot-weiß kariertes Poesiealbum. Sie beginnt ein Tagebuch zu führen.
Am 5. Juli ergeht an Annes Schwester Margot der Aufruf, sich zum „Arbeitseinsatz
im Osten” zu melden.
Am 6. Juli taucht die Familie Frank in das vorbereitete Versteck im Hinterhaus des
Firmensitzes in der Prinsengracht 263 unter.
Am 13. Juli folgt das Ehepaar Auguste und Hermann van Pels mit ihrem Sohn Peter.
Am 16. November nehmen die Untergetauchten den jüdischen Zahnarzt Fritz
Pfeffer in ihr Versteck auf. Sie werden von den Helfern Miep und Jan Gies, Victor
Kugler, Johannes Kleiman und Bep Voskuijl versorgt.
1944 Nach dem Entschluss, Schriftstellerin zu werden, beginnt Anne im Frühjahr
damit, ihr Tagebuch für eine Veröffentlichung zu überarbeiten.
Am 4. August werden die acht Untergetauchten aufgrund von Verrat entdeckt
und verhaftet, ebenso ihre Helfer Victor Kugler und Johannes Kleiman.
Am 5. August werden die Untergetauchten in das „Judendurchgangslager”
Westerbork verbracht und dort zur Zwangsarbeit verpflichtet.
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1944 Alle acht Untergetauchten werden am 3. September mit dem letzten Transport
von Westerbork in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Anne kommt
mit ihrer Mutter und Schwester in das Frauenlager Auschwitz-Birkenau.
Hermann van Pels stirbt am 8. September in Auschwitz in der Gaskammer.
Ende Oktober oder Anfang November werden Anne und Margot in das KZ
Bergen-Belsen gebracht.
Fritz Pfeffer stirbt am 20. Dezember 1944 im KZ Neuengamme.
1945 Am 6. Januar stirbt Annes Mutter Edith Frank im KZ Auschwitz-Birkenau.
Am 27. Januar befreit die Rote Armee das KZ Auschwitz. Otto Frank gehört zu den
Überlebenden.
Anne und Margot sterben Ende Februar oder Anfang März im KZ Bergen-Belsen
an Typhus. Beide liegen in einem der Massengräber von Bergen-Belsen.
Auguste van Pels stirbt am 9. April 1945 im KZ Raguhn.
Ihr Sohn Peter van Pels überlebt einen „Evakuierungsmarsch” aus Auschwitz
und stirbt im KZ Mauthausen am 5. Mai, dem Tag der Befreiung der Niederlande.
Im Sommer übergibt die Helferin Miep Gies Otto Frank alle Aufzeichnungen von
Anne, die sie nach deren Verhaftung aus dem Hinterhaus hat retten können.
1947 Annes Vater Otto Frank veröffentlicht in Amsterdam ihr Tagebuch unter dem Titel
Het Achterhuis (Das Hinterhaus).
1950 Die deutsche Erstausgabe des Tagebuchs erscheint in der Übersetzung von
Anneliese Schütz.
1980 Annes Vater Otto Frank stirbt am 19. August in Birsfelden in der Schweiz.
1986 Das Niederländische Institut für Kriegsdokumentation veröffentlicht die Kritische
Ausgabe von Annes Tagebuch unter dem Titel De dagboeken van Anne Frank.
1991 In der Übersetzung von Mirjam Pressler erscheint eine erweiterte Neuausgabe
mit dem Titel Anne Frank Tagebuch.
2013 Im Oktober wird zum ersten Mal eine vollständige Gesamtausgabe mit sämtlichen
bekannten Werken Anne Franks veröffentlicht.
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Ensemble
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REGINALDO OLIVEIRA
Choreografie & Inszenierung
Der Brasilianer Reginaldo Oliveira absolvierte seine Tanzausbildung beim Ballet
Dalal Achcar und als Stipendiat an der
Staatlichen Akademie für Choreografie
des Bolschoi-Balletts Moskau. 2000 wurde
er am Teatro Municipal Rio de Janeiro
Mitglied der Ballettcompagnie und stieg
dort 2003 in den Rang eines Solisten auf.
Seit der Spielzeit 2006/07 gehört er zum
Ensemble des STAATSBALLETTS
KARLSRUHE. 2010 präsentierte er dort
im Rahmen von Choreografen stellen sich
vor seine erste Choreografie Attempt.
2012 folgten im gleichen Rahmen Torn
und das gemeinsam mit Arman Aslizadyan
erarbeitete Stück Two 4 One, das bei der
Tanzbiennale 2014 in Heidelberg und in
Würzburg bei der Ballettgala 2015 zu sehen war. Zusammen mit Flavio Salamanka
und Barbara Blanche setzte er sich 2012
für die Gerlinde Beck Stiftung mit Skulpturen der 2006 verstorbenen Bildhauerin
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choreografisch auseinander. Für die Gala
der Tanzstiftung Birgit Keil 2012 in Stuttgart kreierte er mit Across the border ein
Solo für Kammertänzer Flavio Salamanka,
das infolge in Salzburg, Essen und Donetsk
sowie bei der Karlsruher Ballett Gala 2013
gezeigt wurde. Im Rahmen des Ballettabends Mythos entstand 2014 als erste
Auftragsarbeit für das STAATSBALLETT
Der Fall M. Bruna Andrade erhielt für ihre
Rolleninterpretation in diesem Werk den
Deutschen Theaterpreis DER FAUST in der
Kategorie „Beste Darstellerin Tanz“. Es
folgten Attacke für die Ballett Gala 2014,
in der Spielzeit 2014/15 Presente für die
Gala Ein Abend für Birgit Keil, für die Ballett Gala 2015 Eiskalt, das auch in Brasília
präsentiert wurde, sowie eine Choreografie
für das STAATSBALETT im Rahmen der
Eröffnungsshow zum 300ten Geburtstag
der Stadt Karlsruhe. Anne Frank ist
Oliveiras erstes abendfüllendes Ballett.
SEBASTIAN HANNAK
Bühne
JUDITH ADAM
Kostüme
Sebastian Hannak studierte Bühnen- und
Kostümbild an der Kunstakademie Stuttgart bei Jürgen Rose und Martin Zehetgruber. Seine Raumgestaltungen für Oper,
Schauspiel, Tanztheater und Ballett führten
ihn an namhafte Häuser im deutschsprachigen Raum, so an die Staatsoper Stuttgart unter Klaus Zehelein, das Hessische
Staatsballett unter Tim Plegge, Nationaltheater Mannheim, Theater Basel, Schauspiel Frankfurt, Landestheater Salzburg.
Zusammenarbeit u. a. mit den Regisseuren
Christof Nel, Martin Nimz, Florian Lutz,
Hansgünther Heyme, Michael v. z. Mühlen
sowie den Choreografen Jörg Mannes und
Eun-me Ahn. Für das STAATSBALLETT
KARLSRUHE schuf er bisher die Bühne zu
Momo und Mythos. Seine Arbeiten wurden
mehrfach zum Raum des Jahres nominiert
und ausgestellt. Er veröffentlicht regelmäßig Textbeiträge in Fachzeitschriften und
hält Vorträge.
Judith Adam studierte in Berlin Mode-Design. Seit 2004 gestaltet sie Kostümbilder
für Musiktheater, Film und zeitgenössische
Tanzproduktionen, zuletzt für Tim Plegges
Ballett Kaspar Hauser. Sie arbeitet mit
Choreografen wie Gabriele Reuter, Amigo
Kadir Memis, Antoine Jully und Helena
Waldmann und Regisseuren wie Corinna
Tezel, Elmar Ottenthal, Michaela Dicu und
Annette Leistenschneider. Ihre Kostümbilder waren an Häusern wie der Oper Frankfurt, dem Oldenburgischen Staatstheater,
Oper Bonn, HAU Berlin, Theater Ulm, dem
Deutschen Theater Göttingen und dem
Hessischen Staatsballett Wiesbaden
Darmstadt zu sehen. Für das STAATSBALLETT KARLSRUHE entwarf sie bereits die
Kostüme zu Momo sowie zu Der Fall M.
und Orpheus im Rahmen des Ballettabends
Mythos. Nach Der Fall M. setzt Judith
Adam mit Anne Frank ihre Zusammenarbeit mit Reginaldo Oliveira fort.
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Kitty Kt. Flavio Salamanka, Anne Frank Bruna Andrade, Margot Frank Rafaelle Queiroz
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BRUNA ANDRADE* Erste Solistin, Anne Frank
Die Brasilianerin und FAUST-Preisträgerin 2014 studierte an der Akademie des Tanzes Mannheim und ist seit 2006 im Karlsruher Ensemble. Sie
tanzte u. a. Odette / Odile in Schwanensee, die Titelrolle in Giselle und
Anastasia in Dornröschen – Die letzte Zarentochter. Zuletzt kreierte sie
Coco Chanel in Terence Kohlers das kleine schwarze / the riot of spring.
RAFAELLE QUEIROZ* Solistin, Margot Frank
Aus Brasilien stammend, erhielt sie ihre Tanzausbildung an der Akademie des Tanzes Mannheim und ist seit 2009 Mitglied des STAATSBALLETTS KARLSRUHE. Hier debütierte sie als Odette / Odile in Schwanensee, es folgten u. a. Bianca in Der Widerspenstigen Zähmung und zuletzt
Coco Chanel in Terence Kohlers das kleine schwarze / the riot of spring.
HARRIET MILLS Solistin, Edith Frank
Geboren in England, studierte sie u. a. an der Royal Ballet School London.
Seit 2010 ist sie Ensemblemitglied des STAATSBALLETTS KARLSRUHE,
wo sie u. a. Anastasia in Dornröschen – Die letzte Zarentochter, Odette /
Odile in Schwanensee, Katharina in Der Widerspenstigen Zähmung und
Misia Sert in Kohlers das kleine schwarze / the riot of spring tanzte.
BLYTHE NEWMAN* Erste Solistin, Auguste van Pels
Die gebürtige Australierin studierte an der Akademie des Tanzes Mannheim und ist seit 2006 Mitglied des Karlsruher Ensembles, wo sie u. a.
Nikija in Die Tempeltänzerin, die Titelpartien in Giselle und Momo sowie
Katharina in Der Widerspenstigen Zähmung verkörperte. Zuletzt kreierte sie den Geist der Zeit in das kleine schwarze / the riot of spring.
HÉLÈNE DION als Gast, Miep Gies
Die Kanadierin kam nach Engagements in den USA, Israel und Schweden
1991 unter Germinal Casado nach Karlsruhe. Dem STAATSBALLETT ist
sie nach einem Tanzpädagogikstudium in Montréal weiterhin als Charaktertänzerin verbunden, u. a. als Dirne in Der Widerspenstigen Zähmung
und als Traditionshüterin in das kleine schwarze / the riot of spring.
Kt. FLAVIO SALAMANKA* Erster Solist, Kitty
In Brasilien geboren, vollendete er sein Studium an der Akademie des
Tanzes Mannheim. Seit 2003 tanzte er Hauptrollen des gesamten Repertoires, u. a. Petrucchio in Der Widerspenstigen Zähmung und Josef K. in Der
Prozess. 2013 wurde ihm der Titel Kammertänzer verliehen. Zuletzt kreierte
er Waslaw Nijinsky in das kleine schwarze / the riot of spring.
ANDREY SHATALIN Solist, Otto Frank
Der gebürtige Russe tanzte u. a. beim Eifman Ballet und als Solist am
Magdeburger Theater. Seit 2006 ist er im Karlsruher Ensemble, wo er
u. a. Alexej Karenin in Anna Karenina und Hilarion in Giselle tanzte. Er
kreierte Hagen in Breuers Siegfried, den Priester in Der Prozess und
zuletzt einen Alten Weisen in das kleine schwarze / the riot of spring.
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ED LOUZARDO Gruppe mit Solo, Hermann van Pels
Aus Brasilien stammend, tanzte er am Centro de Dança Ana Unger in
Belém und in der São Paulo Companhia de Dança. Seit 2013 ist er im Karlsruher Ensemble. Hier war er u. a. als Blauer Vogel in Dornröschen – Die
letzte Zarentochter und als Landsmann in Der Prozess zu erleben. Zuletzt
kreierte er Igor Strawinsky in das kleine schwarze / the riot of spring.
PABLO DOS SANTOS* Solist, Peter van Pels
Der Brasilianer studierte in São Paulo und an der Akademie des Tanzes
Mannheim. 2012 kam er zum STAATSBALLETT KARLSRUHE. Hier tanzte
er u. a. den Prinzen in Der Nussknacker – Eine Weihnachtsgeschichte
und Alexei in Dornröschen – Die letzte Zarentochter. Zuletzt kreierte er
den Geist der Zeit in Kohlers das kleine schwarze / the riot of spring.
BLEDI BEJLERI Gruppe mit Solo, Fritz Pfeffer
In Albanien geboren, studierte er an der Ballettakademie Tirana. Nach
Engagements an der Albanischen Nationaloper und in mehreren Compagnien in Italien ist er seit 2011 Mitglied des STAATSBALLETTS KARLSRUHE, wo er u. a. die Titelpartie in Siegfried, Petrucchio in Der Widerspenstigen Zähmung und den Advokat / Richter in Der Prozess tanzte.
ADMILL KUYLER Erster Solist, Kommandant
Der Südafrikaner kam nach einem Engagement in Johannesburg 2007
nach Karlsruhe. Hier tanzte er u. a. Oberon in Ein Sommernachtstraum
sowie Tybalt und Graf Paris in Romeo und Julia. Er kreierte die Titelpartie in Siegfried und den Richter in Der Prozess sowie den Großen Mann
und Sergej Diaghilew in das kleine schwarze / the riot of spring.
BALLETT – LEITUNG UND ENSEMBLE
Ballettdirektorin Kammertänzerin Prof. Birgit Keil Stellvertretender Ballettdirektor Prof.
Vladimir Klos Ballettmeister Matthias Deckert, Alexandre Kalibabchuk, Veronica Villar
Assistentin der Ballettdirektion Ariane Rindle Dramaturgie Silke Meier Korrepetition
Inna Martushkevych, Angela Yoffe
Erste Solisten Bruna Andrade, Blythe Newman, Admill Kuyler, Kammertänzer Flavio
Salamanka Solisten Moeka Katsuki, Harriet Mills, Patricia Namba, Rafaelle Queiroz,
Sabrina Velloso, Arman Aslizadyan, Pablo dos Santos, Andrey Shatalin, Juliano
Toscano, Zhi Le Xu Gruppe mit Solo Amelia Drummond, Naoka Hisada, Momoka Kikuchi,
Su-Jung Lim, Larissa Mota, Carolin Steitz, Eriko Yamada – Bledi Bejleri, Louis Bray,
Douglas de Almeida, Ronaldo dos Santos, Ed Louzardo, Jason Maison, Roger Neves,
Reginaldo Oliveira, Emiel Vandenberghe Ballettstudio Verônica da Silva, Jessica
Garside, Yeonchae Jeong, Lucas Correa, João dos Santos, Illya Gorobets, Tomoki
Tateyama
* Ehemalige Stipendiaten der Tanzstiftung Birgit Keil
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Kitty Kt. Flavio Salamanka, Anne Frank Bruna Andrade, Ensemble
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BILDNACHWEISE
IMPRESSUM
UMSCHLAG & SZENENFOTOS
Jochen Klenk
HERAUSGEBER
STAATSTHEATER KARLSRUHE
PORTRÄTS
Florian Merdes, Jochen Klenk,
Martina Pipprich
GENERALINTENDANT
Peter Spuhler
TEXTNACHWEISE
Anne Frank Tagebuch. Zitat aus der Eintragung vom 15. Juli 1944. Einzig autorisierte
und ergänzte Fassung Otto H. Frank und
Mirjam Pressler. © 1991 by ANNE FRANKFonds, Basel. Alle Rechte vorbehalten
S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.
Anne Frank Tagebuch. Zitat aus der Eintragung vom 7. März 1944. Einzig autorisierte
und ergänzte Fassung Otto H. Frank und
Mirjam Pressler. © 1991 by ANNE FRANKFonds, Basel. Alle Rechte vorbehalten
S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.
Benjamin Korn, Der Mensch, die Maschine
des Vergessens. Eine Streitschrift. In: Die
Zeit, 15. November 1996.
Alle nicht gekennzeichneten Texte sind
Originalbeiträge für dieses Programmheft
von Silke Meier.
WIR DANKEN
der Sparda-Bank Baden-Württemberg
für die großzügige Förderung
KAUFMÄNNISCHER DIREKTOR
Johannes Graf-Hauber
VERWALTUNGSDIREKTOR
Michael Obermeier
BALLETTDIREKTORIN
Prof. Birgit Keil
REDAKTION
Silke Meier
KONZEPT
DOUBLE STANDARDS BERLIN
www.doublestandards.net
GESTALTUNG
Danica Schlosser, Kristina Schwarz
DRUCK
medialogik GmbH, Karlsruhe
BADISCHES STAATSTHEATER
KARLSRUHE 2015/16
Programmheft Nr. 314
www.staatstheater.karlsruhe.de
WER MUT UND VERTRAUEN
HAT, WIRD IM UNGLÜCK
NICHT UNTERGEHEN
Anne Frank Tagebuch. Zitat aus der Eintragung vom 7. März 1944.
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Kommandant Admill Kuyler, Miep Gies Hélène Dion
45
Kunst für die
Region
Gemeinsam mehr als eine Bank
Die Sparda-Bank Baden-Württemberg steht ihren Kunden nicht nur als Wirtschaftspartner
zur Seite, sondern teilt auch das kulturelle und soziale Engagement mit Ihnen.
Wir freuen uns auf eine außergewöhnliche Vorstellung und wünschen viel Vergnügen und
unvergessliche Momente mit Anne Frank, getanzt vom Badischen Staatsballett Karlsruhe.
www.spardawelt.de
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