Modellgestützte Verpackungsentwicklung - Verpackungs

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FORUM WISSENSCHAFT
Modellgestützte
Verpackungsentwicklung
Haltbarkeitsabschätzung am Beispiel verpackter Erdbeeren
Die Haltbarkeit verpackter Lebensmittel
wird von vielfältigen Faktoren beeinflusst:
Abhängig von der Zusammensetzung zeigt
jedes Lebensmittel spezifische Verderbsmechanismen (sog. Intrinsische Faktoren).
Die Geschwindigkeit dieser Verderbsreaktionen wird entscheidend von den Umgebungsbedingungen bestimmt (extrinsische
Faktoren). Dazu zählen u.a. die Temperatur,
die Gasatmosphäre in direkter Umgebung
sowie Mikroorganismen. Bei der Auswahl
geeigneter Packstoffe müssen sowohl intrinsische als auch extrinsische Faktoren berücksichtigt werden. Bislang sind oft aufwendige
Lagertests notwendig, um die Haltbarkeit eines Lebensmittels in einer (neuen) Verpackung zu untersuchen. Am Beispiel von frischen Erdbeeren wird im Folgenden gezeigt,
wie mathematische Modelle zur Auswahl
geeigneter Packstoffe sowie zur Abschätzung der Haltbarkeit verpackter Lebensmittel eingesetzt werden können.
Frisches Obst und Gemüse nimmt
eine Sonderstellung unter den verpackten
Lebensmitteln ein, da es auch nach der Ernte
einen aktiven Stoffwechsel hat. Es atmet
daher auch in der Verpackung weiter, d.h.
O2 wird verbraucht und CO2 produziert.
Dieser Mechanismus kann genutzt werden,
um in einer Packung eine modifizierte Gasatmosphäre einzustellen. „Modified Atmophere Packaging“ (MAP) ist bei Wurst-,
Fleisch- oder Backwaren weit verbreitet.
Doch auch Obst und Gemüse können von
einer modifizierten Atmosphäre profitieren,
da der produkteigene Stoffwechsel sowie
mikrobielles Wachstum durch erhöhte CO2und niedrige O2-Konzentrationen verlangsamt werden. Entscheidend für die Einstellung einer geeigneten modifizierten Atmosphäre ist die Auswahl von Packstoffen mit
Gasdurchlässigkeiten, die auf die Atmungsrate der jeweiligen Obst- und Gemüsesorte
abgestimmt sind [1].
Autor
Astrid Pant, Dr. Matthias Reinelt
Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV, Freising
[email protected]
Gastransportmodelle helfen bei der
Auswahl geeigneter Packstoffe. Sie beschreiben mathematisch alle Vorgänge des
komplexen Systems „Produkt-KopfraumVerpackung“, u. a. die Gaspermeation, die
Atmung der Produkte sowie das Wachstum bzw. den Stoffwechsel von Mikroorganismen. Zusammen mit Produkt- und
Materialkonstanten sowie Angaben zu den
äußeren Bedingungen lassen sich Verpackungsszenarien berechnen. So kann zum
Beispiel abgeschätzt werden, welchen Einfluss ein neuer Packstoff auf die Gasat-
Abbildung 1: Ergebnisse eines Lagerversuchs mit frischen Erdbeeren
a) Gaszusammensetzung im Kopfraum der Verpackung
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b) Sensorik und Mikrobiologie
10/2015
Quelle: Fraunhofer IVV
mosphäre einer Obst- oder Gemüsepackung
hat [2;3].
Shelf-Life-Modelle (engl. „shelf life“:
Haltbarkeit) umfassen zusätzlich auch Beschreibungen der Qualitätsentwicklung eines Produkts abhängig von den o.g. Einflussfaktoren. So ist es möglich, den Qualitätsverlust eines Produkts mit der Lagerung
zu simulieren und – sofern Qualitätsstandards definiert sind - Haltbarkeitsabschätzungen vorzunehmen [4;5]. Leistungsfähige
Shelf-Life-Modelle sind nach dem Baukastenprinzip aufgebaut. Dadurch ist es möglich, das Modell der konkreten Aufgabenstellung anzupassen und nur die für das jeweilige Produkt relevanten Prozesse zu betrachten. Die Verknüpfung der relevanten
Prozesse erfolgt in Differentialgleichungsform. Dies ist besonders wichtig, da viele
Prozesse sich gegenseitig beeinflussen. So
hängen z.B. die Respirationsrate und Permeationsrate von der Kopfraumatmosphäre ab,
verändern diese jedoch auch, sodass sich die
Raten selbst auch ständig verändern.
Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse eines
Lagerversuchs mit frischen Erdbeeren. 500 g
Erdbeeren wurden unter modifizierter Atmosphäre verpackt (Schale und Deckelfolie
aus Polypropylen) und bei 7°C gelagert. Die
Deckelfolie wurde mit 5 Perforationen (d =
200 µm) versehen, um die Gasdurchlässigkeit zu erhöhen und anoxische Bedingungen
zu vermeiden. Während der Lagerzeit von
15 Tagen wurde in regelmäßigen Abständen
die Gaszusammensetzung im Kopfraum der
Erdbeerpackungen untersucht (Abbildung
1a). Außerdem beurteilte ein Sensorikpanel
den Geschmack, den Geruch und das Aussehen der Erdbeeren auf einer 9-Punkte-Skala
(Abbildung 1b).
Innerhalb eines Tages stellt sich im
Kopfraum ein dynamisches Gasgleichgewicht von ca. 90 hPa Sauerstoff und 125 hPa
Kohlendioxid ein; nach 9 Tagen ist ein
sprunghafter Anstieg des CO2-Gehalts und
Abfall des O2-Gehalts zu beobachten. Diese
plötzliche Veränderung korreliert zeitlich mit
dem Abfall der sensorischen Bewertung
nach etwa 9 Tagen unter die sog. „Verkehrsgrenze“ von 6 Punkten, die eine deutliche
Veränderung der sensorischen Merkmalsausprägung markiert. Diese deutliche
Zunahme von CO2 liegt an der Respiration
der sich (exponentiell) vermehrenden Mikroben. Solch ein Verhalten ist typisch für den
10/2015
Wissenschaftliche Leitung:
Prof. Dr. Horst-Christian
Langowski, Fraunhofer IVV.
Verderb frischer Obst- und Gemüseprodukte
und zeigt, wie unterschiedliche Mechanismen zum Verderb der Erdbeeren beitragen:
Zum einen verlieren die Erdbeeren durch ihren Stoffwechsel und den damit verbunden
Abbau wertgebender Inhaltsstoffe langsam
an Qualität. Zum anderen tragen Mikroorganismen durch ihren Stoffwechsel zum Qualitätsverlust bei. Dieser Effekt ist erst sichtbar,
wenn sich die Mikroorganismen schon deutlich vermehrt haben, dann aber entscheidend für die Produktqualität.
In dem gezeigten Beispiel wird ein auf
den Lagerversuch abgestimmtes Shelf-LifeModell zunächst genutzt, um das Ergebnis
des Lagerversuchs mit Erdbeeren zu interpretieren. Die Entwicklung der KopfraumAtmosphäre sowie der sensorischen Bewertung wird durch das Zusammenspiel der Elementarprozesse „Permeation“ (als Gleichgewichtsnäherung des Diffusionsgesetzes),
„Respiration“ (von Produkt und Mikroben)
und „mikrobielles Wachstum“ (als Differentialform der Logistikgleichung) beschrieben,
d.h. die gemessenen Kurvenverläufe werden
durch Modellsimulationen nachvollzogen
(siehe Abbildung 1). Resultat dieser Berechnungen sind Modellparameter, wie z.B. Respirations- oder Wachstumskonstanten, die
das untersuchte System aus Verpackung und
Erdbeeren charakterisieren. Diese Parameter
werden in der Modelldatenbank hinterlegt;
das Modell ist somit konditioniert für die Beschreibung des Verderbs verpackter Erdbeeren. Dabei gilt: Je breiter die hinterlegte Datenbasis und je mehr Informationen zu einem Produkt zur Verfügung stehen, desto
präziser und verlässlicher werden die ge-
Dr. Maria Wagenstaller,
Wissenschaftliche
Mitarbeiterin,
Fraunhofer IVV.
wonnen Vorhersagen. Auch können bei guter Datenlage die Modelle ein höheres Detailniveau erreichen (mehr Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten werden berücksichtigt, wie z.B. Temperatureinfluss),
was die Vorhersagefähigkeit und Extrapolierbarkeit der Simulationen erhöht.
Das konditionierte Shelf-Life-Modell
kann nun verwendet werden, um den Einfluss verschiedener Verpackungskonzepte
und Lagerbedingungen auf die Haltbarkeit
frischer Erdbeeren zu untersuchen (Kontrolle
der extrinsischen Einflussfaktoren). Dazu
werden Teile des Modells, d.h. einzelne Elementarprozesse und Randbedingungen systematisch modifiziert und der Einfluss auf
z.B. Kopfraum-Atmosphäre untersucht. So
kann, ohne experimentellen Aufwand,
schon in frühen Entwicklungsphasen abgeschätzt werden, ob ein Packstoff zum Verpacken eines bestimmten Produkts geeignet
ist. Der Einsatz von Shelf-Life-Modellen zur
Haltbarkeitsabschätzung und Verpackungsentwicklung ist dabei nicht auf Obst und Gemüse beschränkt, sondern für alle verpackten Lebensmittel denkbar. Dazu wird die
Modelldatenbank kontinuierlich erweitert.
Literatur:
[1] A. A. Kader, D. Zagory and E. L. Kerbel, Crit. Rev.
Food Sci. Nutr., 1989, 28(1), 1-30.
[2] M. J. Sousa-Gallagher and P. V. Mahajan, Food
Control, 2013, 29(2), 444-450.
[3] E. Chaix, , B. Broyart, O. Couvert, C. Guillaume, N.
Gontard and V. Guillard, Food Microbiol., 2015, 51,
192-205.
[4] F. Oliveira, M. J. Sousa-Gallagher, P. V. Mahajan and J.
A. Teixeira, J. Food Eng., 2012, 111(2), 466-473.
[5] S. Bruckner, A. Albrecht, B. Petersen and J.
Kreyenschmidt, Food Control, 2013, 29(2), 451-460.
Abstract
Determining the shelf life of packed food
products is a time-consuming and costly
task due to extensive storage testing.
“Shelf life models” can be used to predict
the shelf life of packed foods depending
on the packaging and storage conditions.
Thereby the amount of storage tests can
be significantly reduced. This approach is
demonstrated for fresh strawberries
packed under modified atmosphere. The
results of the storage tests were
interpreted using a shelf life model.
Furthermore it is shown how the
obtained results can be used for
packaging development.
.
Keywords: Shelf life, strawberries,
package, food products, mircobiology,
respiration
Schlagworte: Haltbarkeit, Erdbeeren,
Verpackung, Lebensmittel, Mikrobiologie,
Respiration
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